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»Von der Parteien Haß und Gunst verwirrt, schwankt sein Charakterbild in der Geschichte.« Dies Wort gilt von Giordano Bruno mehr als von irgend einem anderen hervorragenden Denker. In der bisherigen »Geschichte der Philosophie«, die ihn lange Zeit neben den großen Philosophen der Schule etwas stiefmütterlich behandelt hat, ist dem Nolaner nicht immer Gerechtigkeit widerfahren. Meines Erachtens liegt die Schuld weniger daran, daß Bruno selber eine zweideutige, schwankende Gestalt gewesen wäre, als vielmehr an unzulänglichem Studium seines so lange Zeit fast unterdrückten und zum nicht geringen Teile erst in der neuesten Zeit wieder entdeckten geistigen Nachlasses. Schon Goethe Vgl. meinen Vortrag »Giordano Brunos Einfluß auf Goethe und Schiller«. Verl. v. Thomas, Leipzig 1908., der sich bereits in jugendlichem Alter eingehend mit den wenigen ihm zugängigen Schriften Brunos, augenscheinlich besonders mit den Dialogen della causa usw. beschäftigte, hat sich bemüht, die einseitige und entstellende Zeichnung zu berichtigen, die seinerzeit Gelehrte, wie Bayle und andere, von der Weltanschauung dieses durch seinen tragischen Lebenslauf berühmten oder je nach der Parteistellung berüchtigten Denkers geliefert hatten. Man kann leider auch nicht einmal behaupten, daß der Streit um die gerechte Würdigung des genialen Italieners infolge der neuerdings veröffentlichten trefflichen Gesamtausgaben seiner Schriften De Lagarde, opere italiane ... 3 Bde. Jordani Bruni Nolani opera latine conscripta publicis sumptibus edita. Florenz 1880-1881 (Tocco, Vitelli, Imbriani). bereits eine bessere Wendung genommen habe. Der Verfasser dieser Schrift, der so ziemlich alles gelesen hat, was auf deutschem, italienischem, französischem und englischem Sprachgebiet seit den Tagen Goethes und Schellings über Bruno veröffentlicht worden sein dürfte, darf mit seiner Meinung nicht zurückhalten, daß zum mindesten dreiviertel dieses zumeist in oberflächlichen Vorträgen und Skizzen bestehenden Schrifttums, um einen sehr milden Ausdruck zu gebrauchen, aus »Tendenzpoesie« niederster Gattung besteht, stellenweise sogar zur sogenannten wissenschaftlichen Schundliteratur gehört und an die pessimistischen Ausführungen über die Nachteile des Nachruhms erinnert, für die Leopardi in seinem Dialog« »Parini ovvero la gloria« einen so klassischen Beleg liefert. Der wissenschaftlichen Würdigung des Nolaners und seiner Gedanken scheint es geradezu geschadet zu haben, daß sein Name, zumal seit der Jubiläumsfeier und Denkmalsenthüllung in Rom (1900), von zahlreichen Parteigängern einer religionsfeindlichen Denkrichtung, die mit einer bloßen Kenntnis auch nur weniger seiner Schriften unvereinbar ist, als »Schiboleth« zu rein demonstrativen Zwecken mißbraucht wurde, was dann wieder in Bestätigung des Lieblingswortes Brunos von der »Coinzidenz der Gegensätze« – les extrêmes se touchent – auch das unbegründete Vorurteil der Gegenpartei gegen ihn nur um so stärker bekräftigen mußte.
Der tragische Tod des Nolaners und s. z. s. der Rauch des Scheiterhaufens, auf dem er ihn erlitten hat, steht also seiner unbefangenen Würdigung im Lichte. Verhältnismäßig die besten Darstellungen der Gedankenarbeit Brunos haben bislang M. Carrière in seinem Buche »Die Weltanschauung
der Reformationszeit«, Stuttgart 1847, Brunnhofer in seiner Schrift »Giordano Brunos Weltanschauung und Verhängnis«, Leipzig 1882, und Clemens in seiner Abhandlung über »Bruno und Nicolaus v. Cusa«, Bonn 1847, geliefert; erstere in einem protestantischen Geiste, letzterer vom katholischen Standpunkte aus. Aber selbstverständlich betrachten ihn alle drei durch eine andersfarbige Brille. Der Verfasser dagegen hat es von vornherein für das Richtigste gehalten, auf Bruno selber zu verweisen und da weder die italienischen noch auch die lateinischen Schriften – letztere wegen ihrer sehr schwierigen und scholastischen Worte und Satzbildung vielleicht am wenigsten – auf einen sehr ausgedehnten Leserkreis rechnen können, es mit Übersetzungen versucht.
Giordano Brunos Gesammelte Werke. Eugen Diederichs Verlag in Jena. 1904-1912. Bislang erschienen:
Bd. 1. Das Aschermittwochsmahl. Brosch. 4 M., geb. 5,50 M.
Bd. 2. Vertreibung der triumphierenden Bestie. 2. Aufl. Brosch. 7 M., geb. 8,50 M.
Bd. 3. Zwiegespräche vom unendlichen All und den Welten. 2. Aufl. Brosch. 6 M., geb. 7,50 M.
Bd. 4. Von der Ursache, dem Anfangsgrund und dem Einen. Brosch. 4 M., geb. 5,50 M.
Bd. 5.
Eroici furori, Zwiegespräche vom Helden und Schwärmer. 2. Aufl. Brosch. 7 M., geb. 8,50 M.
Bd. 6. Kabbala, Kyllenischer Esel, Reden, Inquisitionsakten. Brosch. 5 M., geb. 6,50 M.
Man vgl. dazu noch: Kuhlenbeck, Im Hochland der Gedankenwelt (Grundzüge einer heroisch-ästhetischen Weltanschauung). 1904. Brosch. 2 M., geb. 4 M.
Wenn freilich dabei der Herausgeber in Einleitungen und Erläuterungen ebenfalls seinen eigenen Standpunkt nicht hat verleugnen können und wollen und auch vielfach eine kritische Stellungnahme zu Brunos Gedanken für nötig gehalten hat, so bietet doch die möglichst getreue Übersetzung im Text dem Leser überall die Möglichkeit, seine Auffassungen nachzuprüfen.
Von diesem Verfahren, von dem Grundsatze, den Nolaner möglichst selber zur Sprache kommen zu lassen, beabsichtige ich auch in dieser Schrift nicht abzuweichen und werde, wenn auch vielfach unter Bezugnahme auf schon Veröffentlichtes, dabei vorzugsweise noch nicht in der unvollendeten Gesamtausgabe abgedruckte Proben bringen.
Allerdings wird es, um gerade die Stellung des Nolaners zu religiösen Fragen in eine passende Beleuchtung zu versetzen, nicht zu vermeiden sein, daß der Verfasser in seinen Überleitungen und Anmerkungen, vom eigenen religions-philosophischen Standpunkte ausgehend, hier und da in Widerspruch treten muß zu Auffassungen, die in der sonstigen Bruno-Literatur hervorgetreten sind. Aber Verfasser betont ausdrücklich, daß ihm persönlich nichts weniger am Herzen liegt, als den leider schon viel zu sehr mißbrauchten Nolaner im Dienste einer tendenziösen Polemik, sei es nun im religiösen oder auch nur philosophischen Sinne, auszubeuten, – am Herzen liegt es ihm vielmehr, das Studium der Werke dieses jedenfalls außergewöhnlichen Denkers und Dichters zu beleben und seine Bedeutung für jene Fragen herauszustellen, die zu allen Zeiten Herz, Gemüt und Geist in Anspruch nehmen werden. Wenn auch Bruno nicht auf jede dieser Fragen eine Jeden befriedigende Antwort gefunden hat, so trägt doch gar manche seiner Äußerungen schon wegen ihrer eigentümlichen Form den Stempel der Genialität.