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Giordano Brunos Entwicklungsgang.

Im ersten Bande meiner Übersetzungen habe ich den äußeren Lebenslauf Brunos, der in seiner fast abenteuerlichen Gestaltung und mit seinen zahlreichen Wechselfällen ihn durch Italien, Frankreich, England, Deutschland und dann wieder zum merkwürdigerweise von ihm selbst (Bd. I, S. 146) vorausgesagten Flammentode nach Rom zurück-* führte, dargestellt. / Unter Hinweis auf diese Darstellung, ohne jedoch deren Kenntnis vorauszusetzen, glaube ich mich hier eingehender über den damit verbundenen geistigen Entwicklungsgang des leidenschaftlich rastlos strebenden Denkers verbreiten zu müssen. Was den erst vierzehnjährigen Knaben, den Sohn eines »Soldaten« aus Nola, in das Dominikanerkloster zu Neapel führte, ist nicht mit Bestimmtheit zu erraten. Wahrscheinlich ist es weniger einer tief religiösen Stimmung, wie sie den schon in reiferem Jünglingsalter stehenden Dr. Luther ergriff, als vielmehr dem Umstande zuzuschreiben, daß das Kloster gerade des wissenschaftlich besonders regsamen Dominikanerordens dem unbemittelten und auffallend veranlagten Knaben die günstigsten Bedingungen zur Ausbildung bot. Bruno gedenkt vielfach mit Verehrung des Priors Ambrosio Pasqua, der ihn noch bei der ersten über seine Rechtgläubigkeit eingeleiteten Untersuchung in Schutz nahm (Bd. 6, S. 161). Auch ein gelehrter Augustiner, der spätere Rektor des Augustiner-Konvents in Florenz, Teofilo de Varrano, hat ihn in Neapel in Logik und Metaphysik unterrichtet. Den größten Einfluß auf seine theologische und philosophische Ausbildung hatte das Studium der umfangreichen Werke des heiligen Thomas von Aquino, und wir dürfen seinem Bekenntnis Glauben schenken, das er vor dem Inquisitionsgericht zu Venedig ablegt Vgl. Bd. 6, S. 185, 186. »... für die katholischen Kirchenlehrer habe ich immer diejenige Achtung gehabt, die ich ihnen schuldig bin, und ganz besonders für den heiligen Thomas, den ich, wie ich eben schon sagte, immer geschätzt und geliebt habe, wie meine eigene Seele, und daß dies die Wahrheit ist, sehen Sie hier in diesem meinem Buche de monade, numero et figura, S. 89., daß »er vor diesem größten Theologen der katholischen Kirche sich immerfort die größte Achtung bewahrt, dessen Werke immer bei sich gehabt und studiert habe und sie hoch schätze, wie seine eigene Seele«. Denn dies Bekenntnis wird durch zahlreiche Anführungen und Verweisungen auch seiner spätesten Schriften und noch dadurch bekräftigt, daß Bruno sogar das bekanntlich für die Heiligkeitserklärung des gelehrten Mystikers verwertete Mirakel seiner sog. Levitation nicht in Zweifel zieht Vgl. Bd. 5, S. 309.. Frühzeitig scheint Bruno daneben sich in die Schriften des deutschen Bischofs Nicolaus v. Cusa (1401-64) vertieft zu haben. Die Bedeutung dieses ebenso tiefgründigen wie umfassenden deutschen Denkers ist erst in den letzten Jahrzehnten auch von protestantischer Seite hinreichend gewürdigt worden. Wir verweisen vor allem auf die Einzelschrift: »Grundzüge der Philosophie des Nicolaus Cusanus, mit besonderer Berücksichtigung der Lehre vom Erkennen von Dr. Richard Falckenberg, Privatdozent der Philosophie an der Universität Jena; 1880.« Es bleibt aber ein unleugbares Verdienst des Privatdozenten Dr. Clemens in seiner immer noch beachtenswerten Abhandlung: »Giordano Bruno und Nicolaus von Cusa, Bonn, 1847« nachgewiesen zu haben, daß »hier die eigentliche, unmittelbare Quelle« ist, »aus welcher Bruno mit beiden Händen geschöpft, die Philosophie, der er manche seiner Hauptsätze entlehnt hat.« Vgl. auch Felix Tocco, Giordano Bruno, Conferenza 1886, S. 13 ff. Del Cusano il Bruno trasse il più potente impreso alla sua speculazione sulla scorta di lui scrisse il più metafisico dei dialoghi italiani intitulato della causa principio et Uno.. Vielleicht führte ihn erst die Beschäftigung mit dem Nachlaß des Cusanus auf die noch tiefer in die eigentliche Scholastik zurückreichende merkwürdige Gestalt des spanischen Franziskaners Raimundus Lullus (1234-1315), dessen teils rein mnemotechnische, teils mystisch-dialektische Schriften einen fast übermäßigen Einfluß auf Brunos Denk- und Darstellungsweise ausgeübt haben und uns Modernen das tiefere Eindringen zumal in Brunos lateinische Schriften, die den Stempel des »Lullismus« in höherem Maße tragen, als seine italienischen, nicht nur erschweren, sondern vielfach geradezu verleiden, so daß bereits Goethe (vgl. m. Vortrag S. 81) bemerken konnte, das »gediegene Gold und Silber aus der Masse jener so ungleich begabten Erzgänge auszuscheiden und unter den Hammer zu bringen, erfordere fast mehr, als menschliche Kräfte vermögen«.

Raimundus Lullus kann insofern als ein Vorläufer Hegels bezeichnet werden, als er im schärfsten Gegensatze zum Agnostizismus und zum Credo, quia absurdum Tertullians von der begrifflichen Erkennbarkeit alles Seins, und von dem Grundsatze ausging, daß die Logik alle Glaubenswahrheiten begründen könne. Dieser Gedanke erfüllte Lullus mit einer geradezu mystischen Begeisterung, so daß die scheinbar sich widersprechende Bezeichnung eines »mystischen Dialektikers« oder Rationalisten auf ihn, ebenso gut wie auf Hegel, paßt. Wie letzterer glaubte er an eine Art »Selbstbewegung« des Begriffes und ersann sonach, nachdem er Gott um Erleuchtung angefleht und sich in die Einsamkeit zurückgezogen hatte, die »große Kunst« der lullischen Methode. Er befestigte sechs konzentrische Kreise so übereinander, daß jeder selbständig drehbar blieb, verzeichnete auf ihnen Buchstaben, welche die vermeintlichen Fundamentalbegriffe vertraten, und glaubte nunmehr eine Art von logischer Rechenmaschine erfunden zu haben, die auch den schwerfälligsten Geist in alle Wahrheit leiten könne.

Der äußerste Kreis heißt Schlüssel der Erfindung; er enthält die Fragen, welche über die Gegenstände aufzuwerfen sind: »ob, was, warum« usw.; der zweite enthält neun Klassen des logischen, der dritte neun Kategorien des physischen Seins, der vierte Tugenden und Laster, der fünfte und sechste sowohl absolute als relative physische und metaphysische Eigenschaften der Dinge. Man soll nun irgend einen Gegenstand nehmen, und zusehen, wie er sich bei den durch Drehung der Kreise erfolgenden Kombinationen verhält. Lullus glaubte damit erschöpfende systematische Tafeln der Grundbegriffe unserer Erkenntnis entdeckt zu haben, und vertraute dermaßen auf deren Beweiskraft, daß er nach Afrika ging, um die dortigen Mohammedaner unter Anwendung seiner Methode zu bekehren. Nichts vermochte seinen Eifer zu schwächen, bis er – ein seltsamer logischer Schwärmer und Narr – zu Tode gesteinigt wurde Vgl. des Näheren Reuter, Geschichte der religiösen Aufklärung im Mittelalter. Berlin 1877, II, p. 95 ff..

Diese für die Wortgefechte der Scholastik freilich sehr geeignete sog. Lullische Kunst ( ars magna) fand auch in der Spätrenaissance noch viele Anhänger. Auch Giordano Bruno nahm sie mit Begeisterung auf, verstand es aber kraft seiner dichterischen Phantasie und philosophischen Genialität in der Tat, an diesem wunderlichen Spalier mancherlei wertvolle Gedanken emporranken zu lassen, die uns, so abgeschmackt uns auch die Methode an sich erscheinen mag, immer wieder nötigen, auch seinen sog. lullischen Schriften unsere Aufmerksamkeit zuzuwenden. »Bruno behandelt,« wie Carrière M. Carrière, Die philosophische Weltanschauung der Reformationszeit, p 374. sagt, »die Lullische Kunst als die der Gedankenbildung, als die der Erinnerung und Vergegenwärtigung der Ideen; insofern ist sie ihm zugleich Mnemonik, eine Architektur der Erkenntnis, von dem Prinzip alles Seins zu dem Einzelnen sich ausbreitend; sie kommt nicht einem besonderen Seelenvermögen, wie einem Zweige zu, sondern der ganzen Wesenheit, dem Stamm der Seele; Intelligenz, Phantasie, Wille werden von ihr geregelt und gelenkt; sie ist ein Abbild der Künstlerin Natur, die aller Künste Quell und Urstand heißen darf. Der Mensch steht in der Mitte der Welt, er ist von der Natur geboren und verknüpft sie durch die Mnemonik dem Selbstbewußtsein, wie die Natur der Seele ihren Leib und die angemessenen Organe gibt; weshalb die Pythagoräer und geniale Magier den Geist aus der Form des Leibes erschließen können. – Darum will er durch seine lullischen Schriften eine innere Malerei lehren, welche die wahren Bilder der Dinge erzeugt und zusammenordnet; durch Gewohnheit soll alsdann diese Kunst geläufig werden, wie der Zitherspieler fingerfertig auch ohne besondere Aufmerksamkeit spielt, wie wir lesen ohne zu buchstabieren. Nicht bloß, daß Bruno weitere Einzelheiten in den Lullischen Riß des Denkens hineingezeichnet und das Ganze schön koloriert hätte: er entwickelt auch die Grundbegriffe, er redet von ihrem Zusammenhang, und gewinnt dadurch für seine Schemen ein gesundes Lebensblut, für seine Formen einen Inhalt, so daß bei der systematischen Darstellung seiner Philosophie seine lullischen Schriften nicht vernachlässigt werden dürfen. Er fährt diejenigen gewaltig an, welche von seiner Kunst nichts wissen wollen.«

»Stört, ihr Toren, uns nicht, wir wohnen in heiliger Tiefe;
Weisesten Geist, nicht euch, fordert das schwierige Werk.«

Zumal für Brunos Stellung zur Religionsphilosophie sind seine mnemotechnischen Schriften in erster Linie beachtenswert.

Die größte Epoche in Brunos Denken bewirkte jedenfalls seine frühzeitige Bekanntschaft mit dem Werke des Copernicus, dem wissenschaftlichen Markstein und Wegweiser in der Neuzeit.

Mit welcher jugendlichen Begeisterung er dieses Werk aufnahm, beweisen folgende Verse aus seinem späteren Lehrgedicht über das Universum:

»Hier begrüßen wir dich, du mit herrlichstem Sinn Begabter,
Dessen erhabenen Geist ein ruhmlos dunkeler Zeitstrom
Nimmer bedeckt, deß Stimme der Toren dumpfes Gemurmel Freudig und frisch durchhallt, hochedler Copernicus, dessen
Mahnendes Wort an die Pforte der Jünglingsseele mir pochte,
Da ich noch mit Sinn und Verstand ein anderes meinte,
Als ich jetzo gefunden es hab' und greife mit Händen!
Siehe, da öffnete sich die lautere Quelle der Wahrheit,
Wie der Stab sie berührt, und hell aufglänzte die Schönheit
Nun in der Welt – denn es hat im Wendepunkte der Zeiten
Gott zum Diener auch mich des besseren Tages erkoren.«

Alle diese Anregungen trafen bei Bruno auf einen gleichzeitig durch die humanistische Bildung seines Zeitalters und seiner Umgebung vorbereiteten Boden. Die Naturphilosophie des Telesius Vgl. Carrière, Philosophische Weltanschauung der Reformationszeit, S. 360 ff. und vor allem Fiorentino Bernadino Telesio ossia studi storici su l'idea della natura nel risorgimento. 2 Bde. (1508-1588) scheint ebenfalls unmittelbar oder mittelbar, obwohl er ihn niemals erwähnt, auf ihn eingewirkt zu haben; die Nachwirkungen der neuplatonischen Akademien (Ficinus, Pico von Mirandola) mit ihren Anknüpfungen an die Kabbalah sind unverkennbar. Die Schönheitsmystik des Plotin, den er vielleicht in der lateinischen Bearbeitung des Ficinus kennen lernte, spiegelt sich vor allem in seinem dichterischen Hauptwerke, den Eroici furori, wieder. Eine solche Geistesnahrung mußte ihn frühzeitig, zumal in Verbindung mit der neuen Kosmologie des Copernicus, zu einem fast leidenschaftlichen Gegner des Aristotelismus stempeln, wie solcher in der Scholastik unter vielfachem Mißverständnis und einseitiger Auffassung des wahren Aristoteles sich entwickelt hatte.

Mit dem »Humanismus« der Spätrenaissance in mittelbarem Zusammenhange steht sodann zweifellos eine unleugbare Hinneigung zum antiken Heidentum im Gegensatz zu dem weltüberwindenden und in seinen strengsten Auffassungen geradezu asketischen Christentum. Schopenhauer hat nicht unrecht, wenn er den Nolaner als Hauptvertreter einer Philosophie der Willensbejahung kennzeichnet Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung Bd. 4. Seite 335 (Frauenstädt)., und auch Clemens findet hier mit Recht die wichtigste Ursache dafür, daß Bruno, ungeachtet seiner philosophischen Abhängigkeit von Thomas von Aquino und dem Cusaner, stellenweise zum Christentum eine geradezu feindselige Haltung anzunehmen scheint. Abgesehen von einer unverkennbar starken Sinnlichkeit, die selbst der Bruno-Schwärmer Carrière nur mit dem Worte Varnhagens entschuldigen zu dürfen glaubt, daß »ein Genie ohne kräftige Sinnlichkeit« nicht vorkomme, und die immerhin auch auf den süditalienischen Bluteinschlag zurückzuführen sein mag Nicht unwahrscheinlich ist, daß Bruno im wesentlichen germanischer Abstammung gewesen ist. Dgl. Bd. I. S. 176 meiner Übersetzung und Fiorentino, la fanciulezza di G. Bruno. 1882., muß hier auch die Umwelt, in der er aufwuchs, in Betracht gezogen werden.

Der Verfasser einer stellenweise so schlüpfrigen Komödie, wie des Candelajo, dieses Jugendwerkes des Dichter-Philosophen, ist gewiß, wie auch de Lagarde andeutet, im frühen Alter vor mancherlei unkeuschen Eindrücken nicht bewahrt geblieben. Die ganze Richtung des damaligen »humanistischen« Zeitalters war übrigens von einem bewußten Auflehnen einer sog. natürlichen »Sinnlichkeit« gegen die asketische Auffassung des Mönchstums bestimmt, und gerade für Bruno konnte der häufige Verkehr mit dem begabten Dichter Cansillo, der ein Hauptvertreter der jede Dezenz verschmähenden Erotik jener Zeit ist, nicht ohne Folgen bleiben. Daß Bruno mit der bedenklichsten Leistung Cansillos, dem »feszenninischen« Winzergedicht (Vendemmiatore) bekannt war, beweisen wiederholte Zitate einiger, von ihm freilich in einem edleren und reineren Sinn umgedichteter Strophen Vgl. Bd. II meiner Übersetzung, S. 168, 179.. Clemens geht aber doch zu weit, wenn er ohne weiteres aus einer vielfach auffallenden Vorliebe Brunos für erotische Anspielungen (sonderbarerweise manchmal sogar in rein philosophischen Schriften) Rückschlüsse auf einen lockeren Lebenswandel zieht. Die rastlose Geistesarbeit des Denkers, der überdies gerade in der Zeit, aus welcher derartige Schriften stammen, die Gastfreundschaft eines sittlich so reinen und streng religiösen Mannes wie des Botschafters v. Mauvissiere genoß, ist damit nicht in Einklang zu bringen. Bruno selbst, als er sich wegen solcher Schlüpfrigkeiten später vor der Inquisition zu verantworten hat, bezeichnet sie als gelegentliche Ausflüsse einer übermütigen Stimmung und Laune. Als begeisterter Anhänger Plotins erhebt er sich andrerseits in den eroici furori und selbst in der für Clemens anstößigsten seiner Schriften, in der »Vertreibung der triumphierenden Bestie« zu einer mystisch erhabenen Verherrlichung der unbedingten Keuschheit Vgl. vor allem die dichterisch schöne Stelle über das Wesen der Reue im Bd. II, S. 154.. Das »et me peramaverunt nymphae« Auch mich haben die Nymphen sehr geliebt. in seinem Selbstgespräch hat sowohl Clemens als Carrière völlig mißverstanden, da Bruno hier augenscheinlich die Musen im Auge hat, nach dem Vorgange des horazischen: »non sine Dis animosus infans« Als lebensfroher Knabe und Liebling der Götter..

Aus dem Charakter des jungen Dominikaners, den dargestellten geistigen Einflüssen und den Zeitumständen wird leicht begreiflich, daß, bald nachdem er die Priesterweihe empfangen hatte und sich in größerer Freiheit bewegen konnte, vielfach allzu freimütige Äußerungen zum zweiten Male eine Untersuchung wegen zweifelhafter Rechtgläubigkeit gegen ihn veranlaßten. Anscheinend spielten auch persönliche Feindschaften, die ihm die eigene Leidenschaftlichkeit zugezogen hatte, eine große Rolle bei dieser zweiten Anklage. Vgl. die eigentümlichen Andeutungen im Vorwort zum Candelajo. Wagner, I, S. 6. In der Hoffnung, sich beim Prokurator des Ordens selbst, von dem er größere Unparteilichkeit erwarten mochte, rechtfertigen zu können, wandte er sich jetzt persönlich nach Rom. Doch wenige Tage nach seiner Ankunft erhielt er dort Briefe von Neapel, daß sein Prozeß eine schlimme Wendung zu nehmen drohe, da man einige von ihm vor seiner Flucht beseitigte verbotene Bücher aufgefunden und als Beweismittel zu den Akten genommen habe.

Nunmehr (1576) begann sein unruhiges Wanderleben. Zunächst wendet er sich nach Norditalien, von dort nach Genf; dann wandert er durch Frankreich nach Paris, von dort nach England (im Gefolge des französischen Botschafters), dann nach Deutschland (Wittenberg, Helmstedt). Von hier kehrt er nach 15 Jahren (1591) nach Italien (Venedig) zurück, wo er von seinem Gastfreunde Mocenigo im Jahre 1592 der Inquisition ausgeliefert wurde. Der gegen ihn wieder aufgenommene Prozeß, der im Jahre 1593 zur Auslieferung nach Rom führte, hat auffällig lange gedauert. Erst am 9. Februar 1600 kam es zur Verurteilung und Überlieferung an den »weltlichen Arm«, der das Todesurteil durch Verbrennung am 17. Februar 1600 vollstreckte.

Über die äußeren Schicksale dieser Pilgerfahrten zu den berühmtesten Hochschulen seiner Zeit hat uns Bruno in den Protokollen des venetianischen Prozesses einen Bericht hinterlassen, der die einzige authentische Grundlage aller zahlreichen und oft in romanhafter Weise ungeschickt ausgeschmückten Biographien bildet. Wir begnügen uns, darauf (Bd. 6 unserer Uebersetzungen) hinzuweisen Vgl Bd. VI, S. 160 ff., und hier, wo es sich lediglich um den geistigen Entwicklungsgang des Denkers handelt, nur einige Bemerkungen daran anzuknüpfen, die uns zur Widerlegung vielfach noch verbreiteter Irrtümer erforderlich erscheinen. Bruno ist niemals, wie früher oft angenommen wurde, aus der römischen Kirche ausgetreten. Er blieb überall Katholik. So hatte er sogar bei seinem Versuche, sich in Marburg die Erlaubnis zu Lehrvorträgen zu erwirken, die Naivetät, sich als doctor Theologiae Romanae anzumelden, und geriet deswegen mit dem Rektor jener Universität, als sein Gesuch zurückgewiesen wurde, in eine heftige persönliche Auseinandersetzung. Seine erste Berührung mit Protestanten in Genf war übrigens nicht derart, vielleicht vorher von ihm gefaßte Hoffnungen einer größeren Lehrfreiheit auf protestantischem Boden zu erfüllen; zudringlicher Bekehrungseifer stieß ihn ab, und schließlich konnte er sich demselben Schicksal, das ihn schließlich in Rom erfaßte, nur um ein Haar mit Hülfe des französischen Gesandten entziehen, nachdem ihn eine Streitschrift gegen den Philosophieprofessor de la Faye mißliebig gemacht hatte. Noch in seinen in England erschienenen italienischen Schriften gibt er häufig seiner auf die Genfer Erlebnisse zurückzuführenden Erbitterung gegen die reformierte »Sekte« lebhaften Ausdruck, so vor allem in der »Vertreibung der triumphierenden Bestie« Bd. II, S. 112 ff.: »Möge doch ein Held der Zukunft jene alberne Sekte von Pedanten ausrotten, die, ohne die guten Werke zu tun, die das natürliche und göttliche Gebot anbefiehlt, sich für höchst religiös und für Auserwählte Gottes halten, indem sie behaupten, daß auf gute oder böse Werke gar nichts ankomme, sondern, daß die Seligkeit nur davon abhänge, daß man an ihren Katechismus glaube.« Zeus bestimmt a. a. O. als Strafe für alle Anhänger der »deformierten«, nicht »reformierten« Religion, daß sie nach ihrem Tode eine dreitausendjährige Seelenwanderung in Eselleibern antreten sollen.

Während seines ganzen Aufenthaltes in Frankreich, England und Deutschland legt Bruno überall besonderen Wert darauf, nur als Philosoph und in ausgesprochener Enthaltung von allen religiösen oder gar konfessionellen Streitfragen zu lehren. Dabei scheut er sich freilich nicht, gelegentlich zumal in seinen »lullischen« Lehrvorträgen eine Art von humanistischem Heidentum hervorzukehren, indem er z.B. die Christen nicht ohne verächtlichen Anklang als »Christicolae« bezeichnet Vgl. vor allem Tocco, a. a. O., S. 54. »Gleichwohl«, sagt Tocco a. a. O., »erscheint er weniger als Heide, als die Humanisten, die ihm voraufgegangen waren, und noch weniger, als die nachfolgenden bis auf Carducci.«
Man darf überhaupt den großen Unterschied zwischen einem sogen. modernen Heidentum (Atheismus, Materialismus) und dem antiken Heidentum, das ja tief religiös im weiteren Sinn war, nicht vergessen. (Zwischen einem David Strauß und einem Julianus Apostata, einem Renan und einer Hypatia liegt eine unausfüllbare Kluft, über welche der beiden Gegensätzen gemeinsame Haß gegen das Christentum nur eine gebrechliche Brücke bildet.)
. Was ihn überall, in Frankreich und England besonders, in Kämpfe mit seiner gelehrten Umwelt zerrte, war lediglich sein leidenschaftlicher Eifer für die neue, durch Copernicus wieder entdeckte Anschauung vom Universum (Kosmologie) und der Gegensatz zu dem starr am ptolemäischen System festhaltenden »Aristotelismus«. Sein Verkehr war vorzugsweise auf »Weltmänner« in vornehmster Bedeutung beschränkt, auf jene Aristokratie der Renaissance, von deren Geistesart und Bildung uns Gobineau so meisterhafte Skizzen geliefert hat. In diesen Kreisen erschien eine gelegentliche freimütige und selbst frivole Äußerung über kirchliche Glaubenssätze mit einer trotzdem grundsätzlich festgehaltenen Achtung vor der Tradition nicht unvereinbar (Mauvissière, Sidney). Den größten Verdacht eines völligen Abfalls Brunos vom Katholizismus haben freilich gewisse Äußerungen in seinen in Wittenberg und Helmstedt gesprochenen akademischen Reden begründet, so z. B. die Verherrlichung Luthers Oratio valedictoria (Bd. VI, S. 89 f.). Er feiert Luther als Deutschlands größten Geisterhelden, der »ein zweiter Herkules den dreiköpfigen Höllenhund mit der dreifachen Tiara gebändigt und gezwungen habe, sein Gift auszuspeien« usw.. Allein diese rein rednerischen Ergüsse finden ihre zulängliche Erklärung in seinem süditalienischen Temperament, in seiner dichterischen Überschwenglichkeit, die geradezu einem vulkanischen Feuer vergleichbar war. Tatsache ist vielmehr, daß der Nolaner mit zunehmendem Alter immer häufiger dem Gedanken näher trat, nach Italien zurückzukehren und sich mit seiner Mutterkirche auszusöhnen. Die kirchlich bedenkliche Satire auf das Mönchswesen, die Cabala des cyllenischen Esels Bd. VI, S., zog er, wie schon eine Stelle im Buche »De Compositione imaginum« (p. 137) bezeugt, aus dem Buchhandel zurück quod opusculum quia volgo displicuit et sapientibus propter sinistram sensum non placuit, suppressum est. »Da dieses Werk allgemein mißfiel und seines zweideutigen Sinnes wegen von vielen mißdeutet wurde, habe ich es unterdrückt.«. Schon in Toulouse und Paris hatte er durch den päpstlichen Nuntius und unter Vermittelung des Jesuiten v. Mendoza Verhandlungen anzuknüpfen versucht, um sich »von den kirchlichen Strafen zu lösen« und in den Orden zurückkehren Bd. VI, S. 168 ff.. Die damals gescheiterte Hoffnung lebte wieder auf, als ein neuer Papst Clemens VIII. (Aldobandrini) dem unversöhnlicher gestimmten Sixtus V. nachfolgte.

So erklärt sich das Wagnis, das seinen deutschen Freunden, wie uns ein Brief des Eglinus zeigt, mit Recht als fast unglaubliche Verwegenheit erschien, daß er schließlich von Frankfurt a. M. aus, wohin er sich von Helmstedt zur Beaufsichtigung des Drucks seiner großen lateinischen Lehrgedichte begeben hatte, einer Einladung des venetianischen Nobile Mocenigo folgend, nach Italien zurückkehrte. Der tragische Verlauf dieses, jedenfalls auch durch Heimweh nach dem Vaterlande bestimmten Wagnisses ist bekannt. Mocenigo lieferte in schnöder Verletzung der Gastfreundschaft seinen Gast der Inquisition aus. Die Denunziation Mocenigos verrät einen ebenso beschränkten Kopf wie eine schamlose Gesinnung; er hatte von dem Nolaner, den er als eine Art Faust betrachtet zu haben scheint, etwas anderes erhofft, als bloßen mnemotechnischen Unterricht, nämlich die Einweihung in magische Künste, die ihm Bruno, der sich allerdings im Geiste seiner Zeit gelegentlich auch, – übrigens, wie seine Schriften beweisen, von einem rein psychologischen Gesichtspunkte aus – mit Okkultismus beschäftigt hat, weder geben konnte noch wollte Vgl. Bd. VI meiner Übersetzung, S. 204 f.. Im übrigen stehen die ihr rachsüchtiges kleinliches Motiv selbst bekennenden Aussagen Mocenigos, wie schon Tocco hervorhebt, sowohl mit sich selbst, als auch mit den Aussagen vornehmer und jedenfalls einwandfreier Zeugen in Widerspruch.

Schon bei seiner Ankunft in Venedig hatte Bruno dem Dominikaner v. Nocera seine Absicht anvertraut, »er wolle ein wichtiges Buch (das mehrfach von ihm erwähnte Werk: »Von den sieben freien Künsten«), unterstützt von den Empfehlungen hoher Persönlichkeiten, Seiner Heiligkeit überreichen und hoffe, von dieser Gnade zu erlangen, wie er auch bereits Ruhe in seinem Gewissen erlangt habe, so daß er dann in Rom bleiben und dort der Wissenschaft leben könne«. Bruno hat sich auch diesem jedenfalls aufrichtigen Wunsche entsprechend vor dem venetianischen Inquisitionsgericht verhalten, dem er sein inzwischen vollendetes Werk: »De septem liberalibus artibus« überreichte. Zumal da Bruno sich in Venedig auch zu einem reumütigen Bekenntnis seiner gröbsten Verstöße gegen die Ordensdisziplin und seiner offen eingestandenen Zweifel über einige Dogmen verstand Bd. VI, a. a. O., S. 212, gewinnt man bei unbefangener juristischer Würdigung der venetianischen Akten, auch wenn man sich als Jurist auf den Standpunkt des damaligen kirchlichen Strafrechts stellt, den Eindruck, daß sein Prozeß von vornherein keineswegs auf das tragische Ende gerichtet war, mit dem er in Rom erst sieben Jahre später seinen Abschluß fand.

Da die römischen Prozeßakten bislang ebenso wenig, wie die zu den Akten überreichten Schriften, zu denen auch eine in der Schlußverhandlung eröffnete Verteidigungsschrift kam Bd. VI, S. 226., veröffentlicht worden sind, so liegt ein undurchdringlicher Schleier über die tragische Wendung des Prozesses. Die ungewöhnlich lange Dauer der Untersuchung läßt lediglich der Vermutung Raum, daß einerseits die römischen Inquisitoren sich große Mühe gegeben haben, das Leben des Angeklagten zu schonen und ihn in den Zustand noch tieferer Zerknirschung zu versetzen, um einen umfassenderen Widerruf zu erzwingen, daß aber andererseits diese Absicht und die dafür benutzten und fast mystischer Überzeugung beseelte leidenschaftliche Persönlichkeit gerade die umgekehrte Wirkung ausgeübt haben.

Der letzte Bericht des Generals des Dominikanerordens an den Papst über Brunos Verhalten, »daß jener Jordanus von ihm befragt sei, wie weit er die von ihm in Schriften und Protokollen aufgestellten Behauptungen als ketzerisch anerkenne und abschwöre, daß derselbe aber behauptet habe, er habe nie ketzerische Sätze aufgestellt, sondern seine Lehren seien von den Beamten des heiligen Amtes falsch aufgefaßt worden«, wirft einiges Licht auf die berühmten Worte, mit denen er das Todesurteil entgegennahm:

Majori forsan timore judicium in me fertis, quam ego accipiam! »Ihr fällt das Urteil gegen mich wohl mit größerer Furcht, als ich es entgegennehme!« Brunos denkerische Stellung zur Religion im allgemeinen.

Religion auch im weitesten Sinne ist zweifellos mehr Sache des Herzens, als des Kopfes. Allemal aber fordert sie schließlich Übereinstimmung zwischen Kopf und Herz, zwischen Wissen und Glauben, und es zeugt allemal von der religiösen Grundstimmung eines hervorragenden Denkers, wenn er bemüht ist, diese Übereinstimmung auf seine Weise herzustellen. Bruno gehört nicht zu den kalten Denkern, denen die Religion ein gleichgültiger, »unwissenschaftlicher« Gegenstand ist, und die gerade deshalb in der bequemen Lage sind, jedem Konflikt mit herrschenden Religionsanschauungen aus dem Wege zu gehen. Dies unterscheidet den begeisterten Vorkämpfer der modernen Naturanschauung z. B. von Galilei, der beim Abschwören des kopernikanischen Systems das: »Und sie bewegt sich doch!« zwischen den Zähnen geflüstert haben soll, und hier liegt unseres Trachtens die letzte Triebfeder seines tragischen Lebenslaufs. Selbst in denjenigen Schriften, in denen der Nolaner eine gewisse Hinneigung zum antiken Heidentum nicht verleugnet, wie z. B. in der »Vertreibung der triumphierenden Bestie« betont er überall seine hohe Wertschätzung der Religion im Allgemeinen, und wenn er z. B. in dieser Schrift einen begeisterten Lobeshymnus singt auf die Religion der alten Egypter Bd. II, S. 218 ff., so feiert er diese hauptsächlich deshalb, weil gerade bei jenem Volke in höchstem Grade alle Lebensverhältnisse religiös geregelt waren. Religionen sind nach Brunos oft wiederholter Versicherung dem Volke notwendig und ihm eine unschätzbare Wohltat. Er nimmt hierbei auch keineswegs bloß den Standpunkt Macchiavellis ein, der die Religion einseitig als gesellschaftlich- und staatspolitisch-praktisches Postulat bewertet und ebenfalls aus diesem Grunde die engere Verknüpfung des antiken Staats mit der Religion betont, sondern eher denjenigen Schopenhauers, der in seinem Hauptwerke (W. als W. u. V. I, 12) schreibt, daß man als das notwendige Credo aller Gerechten und Guten dieses aufstellen kann: »Ich glaube an eine Metaphysik«, – dabei erscheint es ihm als Frage von nebensächlicher Bedeutung, in welchen Dogmen und Allegorien diese Metaphysik sich für das zum philosophischen Denken unfähige Volk darstellt. Brunos Zweifel und gelegentliche Anspielungen gegen einzelne Dogmen der Kirchenlehre lassen sich fast durchweg auf seine Kosmologie und auf seinen Kampf gegen den mit der damaligen Dogmatik eng verknüpften scholastischen Aristotelismus zurückführen. Schon im »Aschermittwochmahl« (Bd. I S. 111) zieht er eine scharfe Grenzlinie zwischen der naturwissenschaftlichen Erkenntnis und der Tragweite der von ihm anerkannten Offenbarung. »Jedermann kann klar und deutlich erkennen, daß die heiligen Schriften nicht Beweise und Spekulationen über naturwissenschaftliche Dinge bringen wollen, als handle es sich um Philosophie; sie wenden sich nicht an unseren Verstand, sondern an unser Gemüt und unser Gewissen. – Indem der göttliche Gesetzgeber dieses Ziel vor Augen hat, kümmert er sich nicht darum, im Sinne seiner Wahrheit zu reden, die doch für die Menge, um sie vom Bösen ab- und dem Guten zuzuwenden, wertlos wäre; die Gedanken darüber überläßt er den Menschen von wissenschaftlicher Anlage, und zur Menge redet er in der Sprache, die diese selber gewohnt ist und verstehen kann. – Wenn also der Weise anstatt zu sagen: » Die Sonne geht auf und unter, sie wandelt durch den Mittagskreis und wendet sich wieder im Norden« gesagt hätte: »Die Erde dreht sich nach Osten, sie schreitet an der Sonne vorbei, welche untergeht, sie wendet sich in den beiden Wendekreisen usw.,« so würden seine Hörer daraus zwar entnommen haben, daß er behaupte, sie bewege sich. Aber würden sie nicht auch gesagt haben: Was sind das für Neuigkeiten? Sie würden ihn schließlich für einen Narren gehalten haben!«

Vor allem in seinen akademischen Reden und Schriften verwehrt der Nolaner sich stets gegen den Vorwurf, daß seine Naturphilosophie mit der rechtgläubigen Theologie nicht in Einklang zu bringen sei, daß er irgend etwas vertrete, was den allgemeinen Glauben und die Religion untergraben könne« 3. B. Bd. VI, 132., und augenscheinlich in vollster Überzeugung schreibt er in der Widmung seiner »161 Thesen gegen Mathematiker und Philosophen dieser Zeit« an Kaiser Rudolf II.: »Leider ist es dahin gekommen, daß jene Religion der Liebe, die nicht von dem bösen Geiste eines Volkes, sondern von Gott, dem Vater Aller, ausgegangen, übereinstimmend mit der Natur die allgemeine Menschenliebe, ja die Feindesliebe gebeut, leider ist es dahin gekommen, daß diese wahre Religion nirgends gehalten wird. Diese Religion aber ist es, die über allen Streit erhaben ist, sie ist es, die nach Gefühl und Vernunft, sowie nach väterlicher Erziehung die meine ist


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