Isolde Kurz
Wandertage in Hellas
Isolde Kurz

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Der Parthenon von der Westseite

Der Parthenon von der Westseite

 


 

Isolde Kurz

Wandertage in Hellas

 


 

1913
München bei Georg Müller

 


 

Grabrelief, Athenisches Nationalmuseum

 

Widmung

          Mit deiner Milch, versprengte Griechin, sog ich
den Traum von Griechenland, als Wiegenlieder
umrauschten mich homerische Gesänge,
und meine dämmernden Gedanken wandtest
du Hellas zu.

                      Nicht Bänder und Juwelen
und was sonst Mutterlust den Töchtern schenkt,
gabst du der deinen, doch das lautre Gold
der Dichtung häuftest du auf sie und liessest
bei Göttern und Heroen sie erblühn,
die Glückliche, gabst Iphigenien ihr
zur Spielgefährtin und Antigone.

Des Lebens tiefre Schönheit lernt' ich frühe
von dir, die grossen schmerzgenährten Freuden,
und dass kein Glück der Brust genügen kann,
wenn es den Dämon nicht in uns beglückt.

Lang war dein Tag und reich an Wundern. Jauchzend
warfst du in Opferflammen dich und stiegst
verjüngt hervor. Zu deiner Höhe drangen
die kleinen Sorgen nicht, und für die grossen
gab dir dein Platon Trost. Dein Kinderherz,
das nie den hohen Ernst vom Lächeln trennte,
blühte nur seliger zwischen Gräbern auf,
denn die das Leben dir entfernte, gab
der Tod dir ganz zurück. Dir war das Altern
nur wie ein Kleiderwechsel; ewig jung
lebtest du fort mit Genien und Heroen
und wusstest nichts von Zeit. Das Siechtum kam
und brach dich nicht, es sänftigte zum Frieden
den allzuhohen Schwung der Seele nur.
Und süsser reifte deines Lebens Frucht
und höher strahlten deine Heldenaugen,
und deine Liebe hielt dich fest im Licht.
Für immer, dacht' ich, müsste sie dich halten.

Umsonst, die Stunde rann. Da, auf dem Estrich,
erscholl ein unerbetener Schritt. Du hobst
das Haupt: Bist du es, alter Thanatos?
Wohlan, ich murre nicht, doch wär' es schön,
ein Weilchen zu verziehn. – Der stand und staunte,
gerührt, dass ihn einmal, den Allverhassten,
ein Strahl des Lächelns traf. Bescheiden trat er
zurück und harrte noch im Vorgemach.

Wie heilig war dir die geschenkte Stunde.
Zu allem Lebenden sprachst du noch einmal:
Ich liebe dich! – und hobest einmal noch
zu allem Hohen, Herrlichen die Arme,
mit Genien sprachst du noch und mit Heroen,
und in die letzten Träume folgten dir
des Sophokles Gestalten. Also festlich
schiedst du hinweg, die Höhen glühten all
von deinem Licht. – Als es verglommen war,
fiel jäher Frost herab, die Welt vereiste.

– – Auf deinen Hügel, Heilige, leg' ich nun
dies Buch von Hellas, dein ist jedes Wort
und dir vertraut, du warst ja mit dabei!
Als mich die jonischen Gewässer wiegten,
als ich zum erstenmal den Pallasberg
erstieg und Salamis vor meinen Augen
aufglänzt' im Meere mit den Schwesterinseln,
vernahm ich deine Stimme, denn du sangst
und jubeltest in mir. Werd' ich auch nie
dein Auge strahlen sehn auf diesen Blättern,
weil es zur Sonne heimgekehrt, doch fühl' ich
dein Lächeln ringsumher, wenn ich dir sage:
Die schönen Mären, die dem Kinde du
erzählt, sind alle, alle wahr! Ich sah
den Isthmus, wo des jungen Theseus Hand
den Räuber Sinis zwang, ich sah die Stelle,
wo rastend sass die mütterlichste Göttin,
ich sah den Weg, auf dem Antigone
lebendig einging in des Hades Haus.
So heimatinnig sah das heilige Land
mich an, weil jeder Schritt mich dein gemahnte.
Dort gab zum erstenmal der Traumgott dich
zurück, dort schmolz das Eis, von dem ich starrte,
dort wärmte mich zuerst die Sonne wieder.

In deinen Blumenhügel, wo dein Geist
am liebsten weilt, bei der Tyrrhenerwelle,
die, wenn sie anrauscht, von der jonischen
erzählen kann, hab' ich ein Reis gesenkt,
das aufspross im Geröll der Pallasburg.
Du nahmst und sandtest es nach Mondenfrist
versechsfacht wieder, überschwenglich warst du
ja stets im Geben, und in tauiger Frühe
des schönsten Tags stand die Toskaner Magd
am Beet und rief und sagte fromm: »Ein Wunder!«
Ein Wunder wahrlich war's, denn eine Blume
war über Nacht erblüht, wie keine noch
der Boden trug, die schönste Griechenblume,
aus Sonnenschein gewoben, safranfarben
wie Festgewänder der Athenerinnen,
wenn sie, vom Reiterzug umbraust, der Göttin
den heiligen Peplos brachten. Einen Tag nur
stand sie inmitten ihrer irdischen Schwestern,
die Fremdlingin, und schloss den Kelch für immer.

Aus mütterlichen Reichen, wo du liebend
am ewigen Wachstum schaffst, war sie gekommen
als Botin, dass du nicht vom Lethebecher
getrunken, dass auch bei den Unsichtbaren
du liebend, wirkend dich im Sein erhältst.

 

Forte dei Marmi, Herbst 1912.

 


 

Inhalt

        Triest–Piraeus
Athen
Aegina und Salamis
Eleusis
Menidhi-Acharnä
Kap Sunion
Die Argolis
Korinth und der Isthmus
Delphi
Nach Olympia
Ein arkadischer Frühlingstag
Besuch in Theben
Chalkis
Letzte Tage in Athen

 


 


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