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Deutsche Schriften

Konservativ?

1853

Die Frage, ob ich bereit sein würde mich der konservativen Partei anzuschließen, wenn eine dahin zielende Aufforderung an mich erginge, kann ich mit einem einfachen Ja oder Nein nicht beantworten. Prinzipienerörterungen, Betrachtungen allgemeiner historischer Verhältnisse sind das einzige, was ich mir in meiner gegenwärtigen Lage zugemutet wissen möchte und zu meinem Vergnügen mir im vorliegenden Falle zugemutet finde.

Es dürfte sich herausstellen, daß ich für den Dienst des gegenwärtigen Staates als solchen schlechthin nicht passe. Da ich niemals Aussichten und Rücksichten die Oberhand über Einsichten gewinnen lassen werde, muß dies mein eigenes Urteil, dünkt mich, entscheidend sein. Wenn ich auch jung genug bin, mich zu entwickeln, die Richtung meines Lebens steht fest und wird sich nicht ändern: mag die Fähigkeit im einzelnen irre zu gehn abnehmen, die Romantik völlig sich abstreifen, welche mir binnen Jahresfrist so schon fast ganz abhanden gekommen ist: ich bin zu konservativ, um nicht radikal zu sein, und kann, da ich in der Politik noch lange würde gehorchen müssen, nicht hoffen jemals einen Einfluß zu gewinnen: ich befürchte müde zusammenzubrechen, bevor ich mit ihm an der Reihe wäre.

Vor allem wird sich fragen, was unter dem Worte konservativ zu verstehen ist: sein vermeintliches Widerspiel liberal werde ich mit behandeln müssen.

Als ich am zwanzigsten März 1848 eine schwarzweiße Kokarde an den Hut steckte, war ich der Ansicht, mich zur konservativen Partei zu bekennen: als ich sie am vierten Dezember 1849 losschnitt, glaubte ich nicht, mich von meinen bisherigen – ich darf in meinem Alter nicht sagen, Grundsätzen, will also von Anschauungen reden – von meinen bisherigen Anschauungen zu trennen. Jenes war ein Irrtum, da ich nur der Partei der Ordnung mich zugesellte, aus Reinlichkeits- und Existenzgefühl dem Schmutze der Straße und der widerlichen Leugnung des Bestehenden entgegentrat: dieses war kein Abfall, da vor den Leuten Ekel zu empfinden, welche den Prozeß Waldeck Benedikt Waldeck (1802-1870), ein echter Westfale und gläubiger Katholik, war seit 1836 Oberlandesgerichtsrat in Hamm, seit 1841 Obertribunalsrat in Berlin. In der preußischen Nationalversammlung von 1848 gehörte er der äußersten Linken an, die für eine Verbindung von Monarchie und demokratischem Geist eintrat. Er war Vorsitzender des Verfassungsausschusses, wurde 1849 wegen angeblicher hochverräterischer Umtriebe sechs und einen halben Monat in Haft gehalten, dann aber im Dezember freigesprochen. Wegen seines lauteren und unbeugsamen Charakters war er beim Volke sehr beliebt; er hieß der »westfälische Bauernkönig«. Auch ehrliche Gegner, wie Lagarde, brachten ihm höchste Achtung entgegen und mißbilligten seine Behandlung durch die Regierung. zu unternehmen und zur Schande des Staates Monate lang zu führen sich nicht geschämt hatten, jedenfalls altpreußischer war, als ein so unerhörtes Bubenstück wie jenen Prozeß als nichts bedeutend, als einfachen Irrtum, beiseite zu schieben.

Es wird darauf ankommen, welchen Akkusativ man zu dem Zeitworte konservieren setzen will.

Nehme ich an, daß Preußen lebt, so wird in Preußen wohl ein Analogon dessen zu konservieren sein, was man in jedem andern Lebenden konserviert. Mithin ist der gesuchte Akkusativ nicht: das Bestehende. Das wäre zum mindesten keine Antwort auf die Frage: es wäre ein Vorhang vor die Türe, welche man öffnen soll. Ich erhalte in meinem Leibe nicht die Speisen, welche ich genieße, sondern die Kraft zu genießen und zu verdauen: nicht meine Glieder unverändert, wie sie mir bei der Geburt geschenkt wurden, sondern die Zähigkeit bei stetem Stoffwechsel, bei stetem Wachstum derselbe, sogar ein wachsender Mensch zu bleiben. Was in meinem Leibe dem Leben und dem Vorwärtsleben nicht dienen kann, erhalte ich nicht, sondern befreie mich davon so schnell und so gründlich wie möglich: was ich erhalten wissen will, ist das Vermögen zur Existenz, und zwar zu einer, wenn tunlich, sich von Jahr zu Jahr steigernden, bereichernden, vertiefenden, kräftigenden Existenz. Ich bin außerstande, mir das Leben eines Staates anders klar zu machen denn als Analogon des individuellen Lebens einer Person. Konservativ wird also meines Dafürhaltens in Preußen der sein, welcher das eigentümliche Leben Preußens leistungsfähig zu erhalten strebt. Nicht die Niederschläge dieses Lebens, die Hefen und Schlacken, welche der Lebensprozeß auswirft, nachdem er aus dem ihm zugeführten Stoffe das ihm förderliche ausgeschieden, sondern die Fähigkeit, Preußen zu sein.

Preußen ist ein Produkt der Not. Es ist nur existenzfähig, wenn es sich selbst über sich hinaus treibt: es muß laufen, um nicht schmählich zu fallen: es muß vorwärts, weil es zu weit gekommen ist, um zurückzugehn. Preußen ist ein Wanderer, der drei Viertel des Weges aufwärts zurückgelegt hat und im Gebiete des Knieholzes nicht stehn bleiben darf, sondern zum Gipfel zu steigen hat. Konservativ ist in Preußen, das zur Rettung des in dem zum Unstaate gewordenen Deutschland zu Rettenden geschaffen wurde, nur, wer Preußen zwingt, die Notexistenz, das Muß, irgendwie zu sein, um von Deutschland wenigstens etwas zu erhalten, zur Erhaltung von Alldeutschland fortzuführen. Brandenburg ist das Brandenburg geworden, das wir ehren, als in Deutschland nichts fest stand als Baiern und das sogenannte Sachsen: es ist es geworden, um in dem allgemeinen Verfalle deutschen Wesens ein Stückchen mehr zu retten, als durch jene beiden schon gerettet war: es ist energischer geworden als jene, da es in herbster Not werden mußte, während jene aus reicherem, sicherem, binnenländischem Dasein nur in die Zeiten der Not hinüberlebten. Ist mithin Preußens Existenzprinzip Rettung deutschen Staatslebens, so muß es vollends retten, wenn es konservativ sein will. Wer in Preußen konservativ ist, hat deutsch zu sein, oder aber er hat Preußen in spezifisch preußische Grenzen einzuschließen, und unter Darangabe der Rheinprovinz und Westfalens und Erwerbung der den alten Ländern am nächsten gelegenen Staaten einen Provinzenkomplex ohne Zipfel und Lappen herzustellen, in welchem nicht deutsche Einheit, sondern preußisches Dasein gepflegt wird. Vorläufig halte ich es für unwahrscheinlich, daß jene Darangabe erwählt werden wird, und darum bleibt auch die Aufgabe Preußens dieselbe, welche Brandenburg gehabt hat.

Der Staat Preußen ist mithin konservativ, wenn er mit allen Kräften und Mitteln strebt, das zu erreichen, was sein Ziel war, als er entstand: deutsches Leben zu pflegen, in Deutschland zu retten, was an Deutschland noch rettbar ist. Das ist keine Arbeit des Friedens, und wer Eier essen will, darf Eierschalen zu zerschlagen sich nicht scheuen.

 

Ich habe eine felsenfeste Überzeugung von der Richtigkeit des Satzes, daß in der Geschichte kein Geist ohne Leib und kein Leib ohne Geist segensreich wirken kann. Menschen sind geistleibliche Wesen: was ihnen als Menschen förderlich sein soll, muß ihrem eigenen Wesen entsprechend ebenfalls geistleiblich sein. Ich habe das mit voller Deutlichkeit erst in England eingesehen, wo mir der Unterschied unserer deutschen, nur auf den Geist ausgehenden Art, von der altgermanischen, hier in diesem gebenedeiten Eilande noch erhaltenen Weise augenfällig klar wurde. Ist das aber richtig, so müssen unsere Fürsten, so muß unser hoher Adel mehr für sich und unter sich haben als das bloße Erbrecht: hat man einen Leib, laßt auch Geist zeigen, und besitzt man Geist, so muß diesem Geiste ein genügender Leib zur Verfügung stehn, oder er wird in nicht langer Zeit uns so gleichgültig werden wie der Knopf eines Mandarinen am Hoangho, und danach wird er uns widerlich sein. Ich will erhalten, was da ist und was, wenn gesund, not tut: wenn wir in Deutschland einmal die Fürsten einbüßen sollten, werden wir nicht besser, sondern erheblich schlechter daran sein als jetzt. Darum verlange ich, um konservativ sein zu können, Zustände, welche des Konservierens wert sind.

 

Wo Germanen hingekommen sind, haben sie die Aristokratie mit sich gebracht. Nicht weil sie als Eroberer kamen und als solche Herren über Eroberte wurden: sie haben ja Eroberte in ihre Mitte aufgenommen, wie in Frankreich die keltischen Vendômes: sie haben ja aristokratisch regiert, auch wo sie nicht in dem Sinne wie in Francien, Longobardien, Gothalanien Eroberer waren, zwischen Rhein und Saale und Böhmerwald. Sie haben aristokratisches Regiment geführt, weil sie königlich gesinnt waren, und es das Königtum leugnen heißt, es nicht als höchsten Berg neben vielen hohen Bergen denken, die gemach zur Ebene sinken.

Es mag Drang nach Poesie sein, daß unter vier Augen in Deutschland eigentlich alle Welt adeliger Herkunft ist: daß Leute, die von einem lebendigen Adeligen keinen Bissen Brot nehmen würden, von einem vor hundert Jahren verstorbenen Adeligen mit einem gewissen Behagen herstammen, daß alle Kinder in ihren Spielen nie Gastwirt Kreideweiß, sondern Ritter Toggenburg und was weiß ich heißen wollen: daß Goethe nach eigenem Berichte lebhaft gewünscht hat, der Sohn irgend eines heimlichen Prinzen zu sein. Aus dem Zeitalter der Hosen mit Strippen, der Tschakos mit Wachstuchüberzug, der Vatermörder in das Mittelalter, überhaupt nach irgendeinem Zeitalter zu flüchten, in dem man nicht die königlich preußische Elfe unter der Nase oder den kaiserlich russischen Backenbart quer über das Gesicht trug, das, denke ich, war großen und kleinen Kindern erlaubt. Ich habe die Schwärmerei reichlich mitgemacht, und Schulkameraden, an deren kleinbürgerlicher Herkunft nicht der mindeste Zweifel bestand, teilten die Neigung, wenigstens im Spiele wohllautende Namen von der ungeheuerlichsten poetischen Wirksamkeit zu führen. Aber sollte das nicht mehr sein als Romantik und Unzufriedenheit mit der Wachtparadengegenwart? Meine neapolitanischen Bekannten leugnen, daß bei ihnen ähnliches vorkomme, und ihre Heimat hat allerdings eine schönere Natur als unsere Mark, sie hat aber sonst doch vieles nicht, was wir nicht zu vermissen brauchen. Sollte in diesem Spiele nicht germanische Anschauung in kindischer Weise zutage treten?

Ich zweifle also nicht im mindesten, daß die Bildung einer gentry, selbst wenn diese gentry als solche steuern müßte, mit Dank aufgenommen werden würde, wobei es liberalen Gemütern ja unbenommen bliebe, öffentlich zu protestieren und sich nur mit verkniffener Freude der Gewalt zu fügen. Wir würden durch eine solche Maßregel noch nicht den Stand gewonnen haben, der regieren könnte, aber die Möglichkeit wäre geschafft einen solchen Stand heranzubilden.

Geschieht so etwas nicht, dann sehe ich ab zu erleben, daß der Adel, das heißt der kleine Adel, das Junkertum, der Nation so lästig wird, daß niemand ihn mag: das wäre noch zu verschmerzen, aber die Folge würde sein, daß das Volk selbst sich schließlich lediglich als Sammlung von zusammenhangslosen Individuen zu denken gewöhnte, und die Folge davon wieder könnte keine andere sein als die, daß es eine solche Sammlung werden würde und daß, da Nation und Staat doch mit bloßen Individuen wirklich zu keiner Zeit gewirtschaftet haben, irgendein Despotismus die Gliederungen künstlich und beengend herstellte, welche Mutter Natur in läßlicher Freiheit herzustellen bereit ist, wenn nur irgendein politischer Kopf ihr die Türe öffnen wollte. Dann sehe ich auch ab zu erleben, daß schon Eigennamen bürgerlichen Klanges reaktionär dünken, daß, wer seinen Urgroßvater noch kennt, als Mitglied der Kamarilla und als Fürstenknecht gilt. Die Eheliebste weiland des Hofrats Semmelziege mag ermessen, ob nicht unter Abschaffung der Eigennamen die Staatsbürger nur nach den auf dem Oberarme eintätowierten Nummern zu bezeichnen das allein des vorurteilsfreien Menschen Würdige ist.

Volksbildung sehe ich nur in einem germanisch, das heißt aristokratisch, gegliederten Staatswesen für möglich an. Ich verstehe freilich unter Bildung etwas anderes als den Besitz eines Konversationslexikons. Lesen, schreiben und rechnen hat jeder Mensch in irgendeiner Art Schule zu lernen: alles übrige empfangen die Kinder der nicht besitzenden Klassen im Umgange mit den besitzenden, als Diener und Arbeiter im Hause (nicht genauer, aber verständlicher sage ich, in der Familie) ihrer Brotgeber. Im Leben soll das Volk lernen, von Tatsachen der Geschichte und Natur so viel lernen, wie im Leben von diesen wirklich in seinen Gesichtskreis tritt: die deutschen Kaiser und die preußischen Könige und die Elemente der jetzigen Chemie der Reihe nach herschnurren nützt nichts, weil auch ein Papagei es zu lernen imstande wäre. Ist dies richtig, so muß ein Adel und eine gentry da sein, wohlwollend und wohlhabend genug, um Diener und Arbeiter dauernd in ihre Häuser aufzunehmen: so muß eine Geistlichkeit da sein, welche überwiegend aus den besten Geschlechtern hervorgeht, deren Glieder um Gottes, nicht um des Gehaltes willen Geistliche sind, eine Geistlichkeit (ein schöner Titel), welche des Volkes mit ihm lebende Leiterin und Beraterin ist, noch besser, welche dem Volke vorlebt, eine Geistlichkeit, von der jeder Arbeiter jeden Augenblick weiß, daß sie ebenso über ihm wie neben ihm steht. Es war eine entzückende Zeit, das Mittelalter, als alles Lernen unter Meistern geschah. Was dem Menschen gedeihen soll, kann meines Erachtens nur vom Menschen selbst ausgehn und von der Gliederung von Menschen, nicht aber von dem caput mortuum der Menschheit, der Einrichtung, der Institution, am allerwenigsten von dem Extrakte des Extraktes, der Konstitution. Ich möchte einmal Neigungen früherer Jahre nachgeben, und mich ausdrücken als sei ich ein Philosoph: die Formel für das in diesem Teile der Geschichte wirksame Gesetz ist: Menschen müssen wirken, als seien sie Institutionen, Institutionen, als seien sie Personen.

Der Protestantismus ist mit dieser Auffassung der Dinge unverträglich. Er wollte nicht auf das Subjekt hinaus, aber er mußte auf das Subjekt hinaus, und darin liegt das Zersetzende des Protestantismus. Durch die Aufhebung des Zölibats hat er den Söhnen guter Familien unmöglich gemacht Geistliche zu werden, da am verheirateten Dorfpfarrer unter den jetzigen Verhältnissen ein Proletariat hängt, das die bedenklichsten Literaten stellt und nicht selten in die Hefe des Volkes hinuntersinkt. Durch die Leugnung des Priestertums hat der Protestantismus feineren Gemütern unmöglich gemacht der Kirche zu dienen: durch die zum Besten der ihm günstigen Fürsten und Fürstchen vorgenommene Beseitigung der bischöflichen Würde hat er der nobility die Stelle geraubt, in der sie in die Behandlung der kirchlichen Fragen hätte Erfahrung und weiten Blick tragen können: die Kirche ist unvornehm geworden, ganz abgesehen von der inneren Unwahrheit, an der sie krankt, und wird, wie alles, was nicht Form hat und nicht wächst, damit endigen, langweilig zu sein. C'est bien le pire, qui puisse lui arriver. Ist nicht der Protestantismus allein schon dadurch verurteilt, daß er politische Gestaltungen unmöglich macht, deren wir nicht entraten dürfen? Nichts ist gut, was ein Gutes am Existieren hindert: denn alle Güter sind Organe desselben Ganzen, und darum niemals wider einander. Hindert der Protestantismus Deutschland sich politisch zu organisieren, so muß der Protestantismus je eher je lieber über Bord.

Was die Kirche angeht, so habe ich ein allerpersönlichstes Urteil über mehr als eine ihrer Spielarten. Union Schleiermacherischer, Union Heubnerischer, Union Hengstenbergischer Färbung, Goßner, Alt-Luthertum, Katholizismus sind der Reihe nach von mir erlebt worden, und ich habe mir je nach meinen Jahren und meinem Verständnisse ernstlich Mühe mit ihnen gegeben: Irvingianer und gefräßige, verlogene Mucker und Stundenhalter habe ich, jene mit verachtendem Spotte, diese mit unverhohlenem Ekel in meiner Nähe dulden müssen: wer kann behaupten, daß ein ehrlicher Mensch, der das Seine gelernt hat, mit diesen – wenn ich den Katholizismus ausnehme, welcher wenigstens vornehm und eine Macht ist – Idiosynkrasien von denk- und werdefaulen Privatpersonen sich einlassen werde und dürfe? Dies alles zerbricht entweder an den gesicherten Tatsachen der Geschichte und Kritik, oder an den Bedürfnissen der Menschen des neunzehnten Jahrhunderts: wir können uns doch nicht die Sehnsucht stillen lassen, welche die Kinder des vierzehnten oder siebzehnten Säkulums gefühlt: wir können uns doch nicht einbilden von der Speise satt zu werden, welche unsere längst begrabenen Vorfahren aufgegessen haben. Oder aber es zerbricht an jenen Tatsachen und diesen Bedürfnissen zusammen.

Was ist denn bei dem deutschen Mittelstande das Ideal eines Pfarrers? Der würdige Vater von Vossens Luise ist es, in welchem man Geistliches nicht allzuviel finden wird. Frische grüne Erbsen mit selbstgemachter Schlackwurst, aus dem eigenen Hofe erzogenen Brathähnchen, selbstbereitetem Johannisbeerweine – wer so viel Gutes besitzt, wie der treffliche Geistliche von Grünau vermutlich besessen haben wird, tut allerdings wohl, nicht auch eine selbstgemachte Theologie aufzuschüsseln: die Güter sind im Leben gleich verteilt, und einer kann nicht alles haben. Aber weil er auf selbstgemachte Theologie verzichtet, hat er noch nicht das Recht gar keine Theologie zu haben, und ein Meßpfaffe ohne Messe, ein bequem vegetierender Zungendrescher zu sein, der im besten Falle beim Erbauen von Schweineställen guten Rat erteilt.

Und was ist bei den herrschenden Klassen das Ideal eines Predigers? Nun, nach Geschmack. Der eine von denen, welche Sonntags um neun wirken wollen, fängt sein Gebet allemal »Der Du, Herr« an, und winkt, während er vor der Majestät des lebendigen Gottes steht und mit ihr redet und ringt, dem Kirchendiener, die grünen Vorhänge an dem einen Fenster fallen zu lassen, weil er die erbaute Exzellenz unten vom Sonnenlichte belästigt zu glauben trotz seines Betens Zeit fand: während der Predigt wird Sankt Cassius die Häupter seiner Lieben zählen, aus der Zahl auf Zunahme des Glaubens schließen, und nachher die Beförderungen der unter ihm sitzenden Streber für eine mit dem Besuche seiner Kirche nicht zusammenhängende göttliche Fügung erklären. Der andere seufzt regelmäßig die dreieinige Liebe an, weil diese Phrase einem Manne gefällt, bei welchem er am Tage des Herrn gut und viel zu Abend zu essen liebt. Ein dritter reist auf die Geschichten von Jager Afrikaner und das Gleichnis von dem lieben Unglück, das dem Herrn Gott als das Hirtenhündlein dient, die verlorenen Schafe zur Herde zurückzubeißen. Ein vierter weiß nichts als zu sagen »von Christus aus zu Christus hin«, oder sich aus einem alten Propheten, welchen er, obwohl ein in der Wolle gefärbter Protestant, allegorisch deutet, für das Erniedrigen aller Berge und Ausfüllen aller Täler zu begeistern, bis aus reiner Langeweile selbst die davonlaufen, deren Protestantismus spielendes Echo der Redende ist. Die protestantischen Geistlichen aller Schattierungen sind nichts als theologisch angefärbte Projektionen politischer Velleitäten: Maden, welche die Farbe der sie fütternden Frucht annahmen.

Schleiermacher hat einst Reden über die Religion an die Gebildeten unter ihren Verächtern gerichtet: jetzt gölte es, Reden für die Religion gegen die Ungebildeten unter ihren Freunden zu halten, da diese Freunde der Religion mehr schaden als alle Verächter.

 

Konservativ ist, wer die lebendigen Kräfte einer Nation, eines Staates erhalten wissen und erhalten will, liberal derjenige, welcher darüber wacht, daß die Produkte des Lebens dieser Nation, dieses Staates nicht der Lebenskraft gleich gesetzt und gleich geachtet werden, durch welche sie ins Dasein gerufen worden sind. Der Liberalismus ist, so gefaßt, die notwendige Ergänzung des Konservativismus, und ein wirklicher Staatsmann würde zu gleicher Zeit konservativ und liberal sein, wie ein Arzt nicht allein dem Magen die Verdauungs-, sondern auch dem Mastdarme die Entleerungsfähigkeit erhalten wird.

Wehe der Nation, welche nicht konservativ empfindet: sie trägt öffentlich zur Schau, daß sie unglücklich ist, daß ihre Geschichte nichts taugt, und daß sie ihre Staatsmänner für außerstande erachtet, den verfahrenen Wagen unzerbrochen und unzerlegt aus dem Sumpfe und von des Abgrunds Rande hinweg zu führen. Wehe der Nation, welche eine liberale Partei in ihrer Mitte duldet, bevor die natürlichen Grundlagen der Existenz vorhanden sind, und die Volksgenossen ohne Ausnahme diese Grundlagen als unantastbar anerkannt haben: wobei ich, da wir Menschen aus Leib, Seele und Geist bestehn, die Bedingungen der materiellen Existenz von denen des psychischen und pneumatischen Daseins nicht unterscheiden, und gegen jene nicht unterschätzen lasse, woferne sie als eines neben zweien gefaßt werden.

Wir sind bei uns gar nicht in der Lage konservativ, und gar nicht in der Lage liberal zu sein, weil die vor aller Parteibildung nötige Existenzfrage noch nicht erledigt, weil der Körper, welcher übel und weh existiert, mit so garstigem Grinde überzogen ist, der Folge der Liebestränkchen, welche uns unsere allverehrte Fürstenschaft, unsere teuren Nachbaren und unsere eigene, allezeit nach Fremdem lüsterne, mit dem Ehrennamen Universalität entschuldigte Naschhaftigkeit eingefüllt hat, daß vor allem erst eine Frühlingskräuterkur nötig scheint, um den Körper aus den von Gott gewollten status quo ante unserem nationalen Unglücke zurück zu heilen: weil unsere Psyche eine wahre Hydra ist, eine Sammlung von gegen einander unvermittelten Möchtegernheiten und Allenfallsigkeiten, von welchen keine den Mut und die Kraft besitzt, sich resolut zur Alleinherrschaft durchzuleben.

Organisieren wir nicht die Freiheit, die Verwaltung, die Nation, ich sollte sagen, geben wir nicht den in natura rerum vorhandenen Organen der Freiheit, der Verwaltung, der Nation durch Wegräumung der sie beengenden, ja knebelnden Hindernisse die Möglichkeit sich selbst zu entwickeln, zu bilden, zu stärken, zu äußern, so werden wir zum état machine, zur nation machine kommen, zu einem ungeheuren Räderwerke, das grausam sein wird, weil jede Maschine grausam ist. Es wird gleich gelten dürfen, ob die diese Maschine montierenden und bedienenden Leute Konservative oder Liberale heißen wollen: ja die letzteren werden herzloser daneben stehn als jene, weil sie den obenauf sitzenden Fürstlichkeiten den Verdacht hintanhalten müssen, ihnen gefährlich zu sein.

Unser Liberalismus, mir stets ein Gegenstand instinktiven Mitleids – ich meine, in meinen wohlwollenden Augenblicken – leidet daran, daß ihm durch die Scheußlichkeit unserer Zustände eine konservative Partei fehlt, an welche er anknüpft, zu deren Kontrolle er seinem Wesen nach bestimmt ist, und daß er infolge dieses Mangels die Beseitigung der Mißstände, das heißt, die Korrektur und nahezu die Neuschaffung alles Bestehenden in die Hände nehmen kann, muß und will, während ihm von Amts wegen nur die Korrektur derjenigen Menschen obliegt, welche die Gesetze der immanenten Natur unseres Volkes aus irgend welchem Grunde übertreiben, und ihre Wirkungen, das von ihnen Gewirkte, egoistisch monopolisieren und festlegen wollen.

Erst sein, dann wie sein!

Im gegenwärtigen Augenblicke sehe ich als konservative Politik ein Analogon der Tätigkeit des Heilkünstlers an, welcher den Körper tunlichst bei Kräften erhält, den er einem Heilverfahren noch nicht unterwerfen kann. Als Verfassung würde man unter Abschaffung der bestehenden Konstitution wenige Paragraphen zu verkünden haben, vorausgesetzt daß man sie durchführen könnte und wollte. Jeder Preuße, welcher älter als zehn Jahre ist, erhält täglich ein halbes Pfund Rindfleisch. Schulden müssen von Privatpersonen wie von Behörden in bestimmter Frist abgestoßen werden. Die Äußerungen der Überzeugung sind ohne Schranken frei, Meinungsäußerungen unbedingt verboten. Unwahrhaftigkeit ist das einzige politische Kapitalverbrechen, Selbstbelügung die schlimmste Form derselben.

Die Zukunft gehört meiner Partei, den Radikal-Konservativen, welche bis auf weiteres nur von mir vertreten ist.


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