Friedo Lampe
Von Tür zu Tür
Friedo Lampe

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Zu Straßburg auf der Schanz

Am späten Nachmittag kam der Reiter an den Rand des Waldes, und er sah unter sich ein Tal liegen, das schwamm im milden Spätlicht, und das Tal öffnete sich weit und mit sanften Hängen zur Ebene hin, und die Ebene breitete sich in goldenem Dufte vor ihm aus. Ein kleiner Fluß mit braunem Wasser floß durch das Tal in die Ebene hinaus, und eine steinerne Brücke wölbte sich über den Fluß, und an seinem Ufer, in der Nähe der Brücke, lag eine alte hölzerne baufällige Mühle und wenige ärmliche strohgedeckte Hütten, ein paar breite Fischkutter lagen still mit gefalteten Segeln am Ufer, die braunen Flügel der Mühle standen auch still in der blauen Luft, am Mühlenteich saß ein Junge und angelte, Schwäne schwammen auf dem Mühlenteich, und der Nachmittagsschein lag golden auf der steinernen Brücke und dem Mühlenflügel und den herbstlichen Bäumen und Büschen. Hellblau und klar stand der Himmel über dem weiten Tal, gereinigt und erfrischt durch ein abziehendes Gewitter, mit langen silbergrauen Wolkenstreifen, und dort, wo der Himmel am hellsten war und am durchsichtigsten, auf der letzten Bergspitze, stand eine Burgruine dunkelklar vorm kühlen Blau.

Der Reiter ritt langsam in das Tal hinunter, er hatte einen roten Mantel und einen großen 8 schwarzen Hut, und ritt über die Brücke und auf die Mühle zu. Die Tür zur Mühle stand offen, der Reiter klopfte an die offene Tür, und als niemand sich meldete, trat er in einen kleinen Flur. Drei Türen gingen von dem Flur ab, an alle drei klopfte er, aber auch hier erschien niemand, da öffnete er vorsichtig die eine Tür und trat in die Stube. In der Stube war eine sanfte goldene Dämmerung, und mitten in der Stube stand ein schwarzer Sarg, und darin lag ein junges Mädchen im weißen Hemd, wachsbleich und mit gefalteten Händen und schön gescheiteltem rabenschwarzem Haar. Unter die gefalteten Hände hatte man ihr einen dicken Strauß glühender Spätsommerblumen geschoben, Dahlien, Georginen, Astern und Rosen, und die dufteten süß und krank durchs Zimmer, und die Züge des jungen Mädchens waren so klar und friedlich und ernst, daß der Soldat stehenbleiben mußte und seinen Hut abnahm und sie anschaute, eine lange Zeit. Da fühlte er plötzlich, daß jemand hinter ihm stand in der offenen Tür, er wandte sich um, da stand ein älterer Mann im dunklen Feiertagsrock mit rundem blassem Gesicht. Der Soldat bat um Verzeihung, daß er einfach in die Wohnung gegangen war, er habe sich erkundigen wollen, in welcher Gegend er sich hier befinde, er sei von seinem Wege abgekommen. Leise nur wagte er zu sprechen in Gegenwart der Toten, und der Müller winkte ihm, 9 mitzukommen, und sie gingen in die Küche. Hier bekam der Soldat ein Stück kaltes Fleisch und Kaffee und Brot, und während er am Tisch saß und aß, gab ihm der Müller Auskunft über Gegend und Weg. Erstaunt war der Müller, daß in nicht allzu weiter Ferne eine so große Schlacht stattgefunden habe, nichts hatten sie hier davon gemerkt. »Herzog Johanns Heer ist geschlagen«, sagte der Soldat, »und in alle Winde zerstreut. Nun will ich nach Hause, nach Utrecht, lange, lange bin ich fortgewesen, Vater und Mutter sind inzwischen gestorben, nun will ich wenigstens ihr Grab besuchen.« – »Auch wir wollen nach Utrecht, der Adrian und ich«, sagte der Müller, »wir wollen den Sarg den Fluß abwärts fahren, in Utrecht, wo alle meine Vorfahren auf dem Friedhof ruhen, soll auch meine Tochter begraben sein. Wenn Ihr mir eine Freundlichkeit erweisen wollt, so helft mir, den Sarg in das Schiff zu schaffen. Dann brauche ich nicht den Adrian um diesen Dienst zu bitten; er hat schon viel zu tragen, und diese Last würde ihm vielleicht allzu schwer auf die Schulter drücken – macht er sich doch im stillen bittere Vorwürfe, daß er stets so lange von seiner Braut fortgeblieben ist, es zog ihn mächtig hin zum Meer, und er ließ sie viel allein und zögerte die Hochzeit immer wieder hinaus, konnte sich auch nicht entschließen, an Land zu bleiben bei mir hier in der Mühle, hätte ihn ja so gut brauchen können, und 10 nun fürchtet er wohl, sie sei am Warten erkrankt; gebe Gott, daß er unrecht hat.«

Dann ging der Müller mit dem Soldaten zurück in die Stube. Die letzte Abendröte lag auf dem Gesicht der Toten und durchblutete es mit scheinhaftem Leben, und es war, als wenn sie gleich aufwachen müßte und dem Sarg entsteigen. Der Müller stand lange da und schaute sie an, es war still, und die Blumen dufteten immer stärker, süßer und ziehender, und um den Mund der Toten war ein bitteres zehrendes Lächeln, und draußen begann auf einmal eine Trompete zu erschallen in dem stillen Abendtal: Zu Straßburg auf der Schanz, da ging mein Trauern an – scharf und langgezogen, gräßlich klar und wehmütig. Und dann verblaßte die Abendröte auf dem Angesichte der Toten, die Sonne war hinter dem Berge untergegangen, im grauen Dämmer lag die Stube, und das Totenantlitz begann weiß daraus hervorzuglimmen. Da trat der Müller an den Sarg heran und schloß den Deckel leise und legte die Eisenriegel vor, und dann hoben sie den Sarg auf die Schulter und trugen ihn aus der Stube und aus der Haustür und durch den kleinen Garten, der um die Mühle war und wo dichtgedrängt die Blumen blühten, Dahlien, Astern, Georginen, Rosen, die das Mädchen in Händen gehalten hatte, das Pferd des Reiters stand noch immer festgebunden am Zaun und sah ruhig mit seinen runden braunen Augen zu 11 seinem Herrn hinüber, der Junge saß angelnd am Mühlenteich, und das Gefieder der Schwäne schimmerte weich in der sanften Luft, und die Trompete spielte: Zu Straßburg auf der Schanz . . . So trugen sie den Sarg über den Steg auf den breiten alten Fischkutter.

Adrian, der junge Fischer, stand unbeweglich am Mast und blickte mit seinen scharfen grauen Augen auf den herannahenden Sarg, als wollte er seine schwarzen Wände durchdringen, mager und verwittert war sein Gesicht und knochig-hager seine Gestalt, und sagte nur: »Nun hast du ihn schon zugemacht«, und wischte sich mit der harten Hand über die Nase und schielte dabei mißtrauisch auf den Soldaten. »Ja, ja, laß man gut sein«, sagte der Müller und erklärte ihm kurz, wie es gekommen sei, daß der Soldat ihm beim Tragen geholfen habe. Sie stellten den Sarg aufs Hinterdeck, und Adrian legte eine graue Persenning darüber und band den Sarg mit Tauen an den Wanten fest. Aber auf einmal richtete er sich auf und hob drohend die Faust und sagte mit schneidender Stimme: »O wenn doch bloß diese verfluchte Trompete still sein wollte.« Aber die Trompete schallte fort, weit hallend durchs Tal, und Adrian zog das braune Segel hoch und machte das Boot klar zur Fahrt. Da verabschiedete sich der Soldat von den beiden und ging an Land und trat auf die alte steinerne Brücke, die sich über den Fluß wölbte. Ein 12 stiller Wind wehte und blähte sanft das braune Segel, und der dunkle schwere Kahn glitt langsam den Fluß hinunter. Der Müller winkte noch einmal mit seinem schwarzen Hut, dann stieg er zur Kajüte hinab, und Adrian saß allein am Steuer, und vor ihm unter der grauen Persenning stand der Sarg mit dem jungen Mädchen. »Auf Wiedersehen in Utrecht«, rief ihnen der Soldat flüsternd nach, »in Utrecht auf dem Friedhof.« Allmählich verschwand das Boot im Abenddämmer, Schatten und feuchte Nebel füllten das Tal, nur die Ruine da oben ragte noch dunkelklar im letzten Licht. Da ging der Soldat zurück zu seinem Pferd und stieg auf und ritt weiter, den Fluß entlang, der Ebene zu. Und lange noch klang ihm im Rücken der schneidende Ton der Trompete. 13

 


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