Friedo Lampe
Von Tür zu Tür
Friedo Lampe

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Das dunkle Boot

Im purpurnen Norden das Land. Auf den Wiesen das braune Vieh mit den schwappenden Eutern. Und die Mühlen, und das Moor, und die schwarzen Segel der Torfboote, sanft gebläht.

Im September aber ist die dunkle Fülle gewaltig. Dahlien, Astern, Georginen, prunkend in den Gärten vorm Haus, satter Klang der Kirchturmglocke ins Dorf, milde und gelb der Schein der Sonne in die kalkweiße Kirche, streifend den Altar mit der roten Decke und der dicken Bibel, und der Küster sitzt an der Orgel, und es summt das geistliche Lied.

Der lungenkranke Lehrer hängt an die gelbe Wand den knisternden Immortellenkranz, und dann sitzt er nieder am braunen Klavier und spielt Walzer von Chopin und Schubert. Die Kinder hören's auf dem Friedhof, bleiben einen Augenblick stehn – Summen der Orgel, Walzerklänge – und dann springen sie wieder hin zwischen den Gräbern im hohen Gras.

Die alten verrosteten Kreuze, schief angelehnt an die Friedhofsmauer, und die Kränze auf dem frischen Grab, halb verfault schon in der brütenden Sonne, und die Bienen, saugend an den Blüten den Todesseim. Das Schwarzbrot, eingebrockt in die dicke Milch, die Brummer über Schinken und Wurst in der Speisekammer, der 14 Fleischerhund, die große gefleckte Dogge, die das rote Stück Fleisch zerreißt, das Philipp, der Schlachtergeselle, ihr zuwirft, und der Mond, weich und groß überm Apfelgarten, die Küsse, das Umfassen, der Erntewagen, der am Abend langsam einfährt, Heuduft, und die Purpurträume in der schwülen Kammer, der sanfte Schein der Lampe in der dickbeblätterten Laube – September, so voll im Leben, so nah am Tod.

Und die Jungens, die am Abend in der Wumme baden, ihr Lustgekreisch über die Wiesen, wenn der Nebel schon beginnt zu steigen, das Unterducken, das Plantschen, die Ua-Rufe, und dann still hintreiben im Weichen, im Flüssig-Kühlen, auf dem Rücken liegend, die weißen Leiber im moorigen Wasser, das träg hinfließt unter Weiden. –

Der Augenblick dann, wenn aus Baumdämmer Jan und Didi, die Stärksten, die Wildesten, hervorsprengen auf Ackergäulen, bewundert von den Jungens und gefürchtet, und ihr Zeug abwerfen, einen Klaps auf den klobigen Ackergaulhintern und hinein in die Wumme, platsch, platsch, platsch. Abkühlen die Pferdeleiber, rauchend, harte Knie gepreßt in die Flanken, vorwärts Liese, hü Max, und rauschend das Wasser am Pferdehals, glotzend die Augen . . . Und dann wieder raus und gestampft über »Wiesen, wo Nebel weich steigen, Luft weich zieht um breite Schultern, triefende Haare, lachenden Mund.

15 Zur selben Stunde aber ziehen die Mädchen, die kleinen, durchs dämmernde Dorf, in der Hand die bunte Papierlaterne, rötlich leuchtend, und singen:

Laterne, Laterne,
Sonne, Mond und Sterne.
Brenn auf, mein Licht,
Brenn auf, mein Licht,
Aber nur meine liebe Laterne nicht.
Laterne, Laterne . . .

Während aber der Pfarrer die Predigt memoriert für den nächsten Sonntag und dabei auf und ab geht in der engen Stube, bereitet Hein Oeltjen alles vor zur Abfahrt. Hochaufgeschichtet lagert der Torf am Deich, hat getrocknet den ganzen Sommer, nun trägt er ihn ins Boot, und als es genug ist, legt er die braune Persenning darüber, zieht hoch das kaffeebraune Segel, sein Weib reicht ihm den Proviant, in ein Tuch gewickelt, und still gleitet das teerschwarze Boot in die Wiesen. Hein raucht die Pfeife und hält das Steuer und wird die ganze Nacht durch fahren und am Morgen in der großen Stadt ankommen und seinen Torf abliefern beim Kaufmann.

Aber die Freude, wenn die Kirchweih da ist, die dunkle Lust, die das Dorf durchflutet, wenn die grünen und gelben und roten Wagen ankommen aus allen Himmelsrichtungen, und auf dem Ulmenplatz vor Meyerdiercks Gasthof Buden entstehen und Karussells und die russische 16 Schaukel, und wenn am Abend dann endlich Orgeln hämmern, Bratwürste duften und Schmalzkuchen, und Lampenkugeln unter Ulmkronen verheißungsvoll schimmern – oh, dann ist's der Gipfel des Jahres. Und die Mädchen holen die besten Kleider aus den breiten Schränken, und die jungen Männer ahnen die Wonne der warmen Nächte, wollen versinken im Strom des Genusses, gehen suchend zum Platz der Freude.

Auch der Schulmeister geht, der lungenkranke, am Arme die Braut, Oeltjens Hanna, die Tochter Hein Oeltjens, des Torfbauern, der mit dem Boote gefahren ist zur Stadt. Und sie gehn durch das dichte Gedränge, grüßen hierhin und grüßen dorthin, aber der Lehrer darf nichts mitmachen, darf keine Wurst essen und keinen Berliner und darf auch nicht auf die russische Schaukel. Und da beißt Hanna allein in die Bratwurst, geht allein in die russische Schaukel, denn sie hat saftige rote Lippen und Brüste und Blut und glänzende Augen, die nach Sättigung dürsten – aber es bleibt nur das halbe Vergnügen. Und sie sagt: »Du amüsierst dich ja gar nicht.« Und er hustet und sagt: »Doch, ist ganz nett hier.«

Und dann kommen sie vor eine rote Bude, und ein Mann ruft durchs Rohr: »Philipp, der Schlachtergeselle, hat Nuno, den Negerriesen, zum Ringkampf herausgefordert, kommen Sie rein und sehn sich das an.« Und plötzlich will Hanna rein in die Bude, sie kennt ja Philipp aus dem 17 Schlachterladen, seine Arme, vom Tierblut besprenkelt, und die Kraft seines Nackens, und da gibt der Schulmeister nach, und schon sitzen sie drin auf der Holzbank und schaun auf den erhöhten Ringplatz.

Und wirklich, wie nichts biegt Philipp zu Boden den riesigen seidenhäutigen Neger, er ist wahrhaftig ein toller Bursche, hält ihn fest in der Klammer und lacht dabei freundlich, und der Neger macht ein blödes Gesicht und verdreht die Augen, daß das Weiße leuchtet aus dem schwarzen Gesicht, und die Zuschauer grölen, und sie hängen Philipp einen dicken Lorbeerkranz um den stämmigen Nacken, und Philipp hebt den Siegerarm und schaut dabei plötzlich auf Hanna. Später aber im Zelt, wo getanzt wird, es krachen Trompeten und Trommeln knallen und Zimbeln klirren, da tritt Philipp an den Tisch und will mit Hanna tanzen. »Bitte, bitte«, sagt der Schulmeister und beugt seinen Kopf über das Bierglas, und Philipp und Hanna gehn auf die Tanzfläche, und er faßt sie fest an und reißt sie hinein in den harten Tanzschritt.

Aber raus aus dem Zelt geht der Schulmeister, geht fort von den Buden, fort aus dem Gedudel, aus dem Geduft und Geleuchte in die Stille der Nacht. Sitzt nieder am Deiche und blickt in das Dunkel, das üppig lagert auf Wumme und Wiesen, sitzt mitten im Weichen, im Schwarzen, im Vollen, fühlt das Brennen der Lungen und die 18 Mattheit der Glieder, möchte hinsinken in den Schoß der Nacht. Da sieht er sich lösen aus sanfter Schwärze den schwarzen Kahn mit dem dunklen Segel und an dem Steuer den stillen Mann. Voll mit Torf ist er geladen, und leise gluckert die Welle am Bug. Und dann legt er an am Rande des Deiches, und der stille Mann winkt, und der Lehrer steigt ein. Setzt sich bescheiden hin auf die Holzbank, und wieder gluckert die Welle am Bug. Und hin zwischen Wiesen, nächtlich verhangen, auf morastiger Flut, die traurig dahinfließt, treibt dunkel das Boot. Und treibt aus den Wiesen fort in die Moore, und es rauscht das Schilf, und die Seerose glimmt bleich. Da füllt sich die Luft mit hauchender Klage, und trübe dahinten dämmert ein Schein. Bang fragt da der Lehrer: »Sind wir am Ziele?« Und der Fährmann nickt milde und murmelt nur: »Bald.« 19

 


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