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Achtes Kapitel

In der Tiergartenvilla blieb in dieser Nacht alles wach – bis auf Frida – und erwartete die Rückkehr von Frau Inge. Burg fand es empörend, daß die Herren der Baronin diese Eskapade gestattet hatten, und er hielt mit seiner Meinung gegenüber der Dienerschaft nicht zurück.

Aehnlich dachten wir, sprachen es aber, da jeder sich schuldig fühlte, nicht aus, beruhigten vielmehr unser Gewissen, indem wir erst alten Pommard süffelten und, da der uns nicht in Stimmung brachte, einen Cup Delmonico nach dem andern hinuntergossen.

So waren wir schon kurz nach Mitternacht so selig, daß Etville lauten Beifall hatte, als er sagte:

»Eigentlich ist es auf die Dauer verdammt langweilig ohne Weiber.«

»Ich ertrage das höchstens noch …«

»Wie lange?« fiel mir Etville ins Wort.

»Ueberhaupt nicht mehr!« rief ich, woraufhin Töns an den Apparat stürzte und sich mit einem bekannten Nachtlokal verbinden ließ.

»Ist bei euch was los? – Wer ist da? – Lolotte? – Gut! wer noch? – Hertha? – mit wem? – sie soll den Troddel sitzen lassen und sofort mit Lolotte hierherkommen! – und den verrückten Cellisten sollen sie mitbringen. – Blödsinn! den Ausfall ersetz' ich! Sie können sich morgen einen Scheck holen lassen. – Gemacht! Her mit den Luders!«

»Bravo!« riefen wir, aber Etville nannte schon wieder eine neue Nummer. Das Amt sagte:

»Da meldet sich niemand.«

»Bitte, stark klingeln! Die Dame hat den Apparat am Bett.« – Und gleich darauf rief eine erschrockene Stimme:

»Ja doch! ja!«

»Lola?«

»Du, Liebling? – Frechheit, mitten in der Nacht!«

»Hör' mal, ich langweile mich so furchtbar.«

»Ich mich nicht.«

»Du hast doch nicht etwa …?«

Lola lachte laut: »Bist du eifersüchtig? Ich muß sagen, das finde ich goldig. Ich finde mich in bester Gesellschaft.«

»Was heißt das?«

»Daß ich allein bin.«

»Dein Glück! – Also mach! zieh dich an und komm.«

»Wohin?«

»Frage! – zu mir natürlich! – In fünf Minuten steht ein Auto vor der Tür.«

»Ich muß sagen, ich finde das fesch, Erni!«

»Wa...a...a...a? – Erni??«

»Allmächtiger, bist du's etwa?«

»Wer soll ich sein?«

»Baronchen! – natürlich! jetzt erkenne ich's deutlich. – Also ich komme!«

»Halt! – Erst sage mir, wer ist Erni?«

»Was für'n Erni?«

»Mit dem du mich verwechselt hast.«

»Ich wollte dich doch nur eifersüchtig machen.«

»Schwöre!«

»Ja!«

»Du sollst schwören!«

»Aber siehst du denn nicht? Ich liege im Bett und hebe beide Beine hoch. Ueber dem linken habe ich schon den schwarzen Seidenstrumpf. – Du, muß ich mich feinmachen – oder nur so, um hineinzuschlüpfen?«

»Wie du willst.«

»Also Pelz und darunter Pyjama. Ich muß sagen …«

»Red' nicht! Komm!« – Er hing den Hörer an. »So! Und nun müßten wir eigentlich noch Häslein bitten. Prost!«

»Die kommt nicht,« sagte ich.

»Das kommt auf den Versuch an,« erwiderte Töns und ließ die Verbindung herstellen.

»Um Himmelswillen, was ist los?« rief Häslein, die tief eingekuschelt unter ihrer blauseidenen, mit Valenciennes-Spitzen besäten Decke lag.

»Rate!« erwiderte Töns.

»Ist Rolf krank?« fragte sie ängstlich.

»Im Gegenteil! – Er ist gar nicht zu Hause.«

»Was?« rief sie erregt – »Wo ist er denn?«

»Rate!«

»Er betrügt mich!«

»Er möchte. – Aber sie denkt nicht daran.«

»Wer ist sie?«

»Die Baronin.«

»Und die bummelt die Nacht durch?«

»Das hängt mit dem Einbruch zusammen.«

»Erklär' es mir!«

»Gern! Aber dazu mußt du aufstehen und dich herbemühen.«

»Jetzt?«

»Wenn du kein Interesse hast, so schlaf weiter – gute Nacht!«

»Ich komme!« rief sie erregt. »Schick' mir ein Auto.«

Und zehn Minuten später, als unsere Stimmung kaum noch zu überbieten war, als Karl Theodor gerade der beschwipsten Lolotte einen Delmonico in das Dékollet é goß, Töns auf dem verstimmten Flügel einen Straußschen Walzer spielte, nach dem Etville mit Lola Shimmy und Frida, die auf die Musik hin aus dem Bett gehüpft war, mit Burg nebenan Walzer tanzte, ging die Tür auf, und Frau Inge trat ins Zimmer. Hinter ihr Rolf.

Der Kontrast zwischen diesem Anblick und dem Erleben, das hinter ihr lag, war so stark, daß sie die Hand vor das Gesicht führte, in den Knien zitterte und sich schämte – zum zweiten Male in dieser Nacht.

Rolf hingegen nutzte die Situation, wandte sich an uns und rief:

»Seid ihr des Teufels? – Wißt ihr nicht, was ihr der Baronin schuldet?«

Der Lärm brach ab. Verdutzt sahen alle zur Tür. Zunächst sprach niemand ein Wort. – Als erste fand Lola, die im Pyjama an Etvilles Arm hing, die Haltung zurück:

»Ich muß sagen, ich finde nichts so Ungewöhnliches daran, daß man nachts lustig ist und tanzt. Zum Schlafen hat man tagsüber genug Zeit.«

Wir standen unter Alkohol und fanden das durchaus vernünftig. Karl Theodor ging sogar so weit, daß er mit einem Glas Champagner an Frau Inge herantrat und sagte:

»Wir haben Ihnen zuliebe so lange Trübsal geblasen, daß Sie uns zuliebe schon einmal lustig sein können.«

Frau Inge schüttelte den Kopf und sagte:

»Danke! heute nicht! – vielleicht ein anderes Mal.«

Rolf, dessen Kehle ausgetrocknet war, suchte vergebens sich zu beherrschen, griff nach dem Glas und goß es hastig hinunter.

Gleich nach Frau Inge und Rolf war Häsleins Auto vorgefahren. Behutsam war sie den Beiden gefolgt. Aus der Haltung und dem Benehmen Rolfs und aus den paar Worten, die sie miteinander sprachen, entnahm sie, daß kein Grund zur Eifersucht vorlag. – Auch jetzt, während sich der Vorgang im Saal abspielte, hielt sie sich zurück und trat erst in die Erscheinung, als sich Frau Inge umwandte, sie sah und erstaunt fragte:

»Auch Sie? – Schade!«

»Nein! – Es verhält sich anders.«

»Kommen Sie mit mir,« bat Frau Inge, hing sich in Häsleins Arm und ging mit ihr über den Flur in ihr Zimmer. Rolf sah unschlüssig den beiden Frauen nach. Rief er, was ihm jetzt nahe lag, Häslein zurück, so begrub er damit die letzte Chance bei Frau Inge. Also ließ er sie gehen und sagte sich, daß, wenn hier Einer ein Recht auf Musik, Sekt und Frauen hatte, so war er es, der sich aus Interesse für Frau Inge, die seine Geduld auf eine Probe stellte wie keine Frau zuvor, die halbe Nacht in einem kalten Auto um die Ohren geschlagen hatte.

Als Frau Inge mit Häslein in ihrem Zimmer war, sagte sie:

»Wie gut, daß ich jetzt einen Menschen bei mir habe. – Aber Sie wären gewiß viel lieber vorn geblieben.«

»In der Gesellschaft? – danke!«

»Soll ich Ihnen erzählen, in was für Gesellschaft ich die Nacht verbracht habe?«

»Ich denke, mit Rolf.«

»Nein! – der arme Junge wartete in einem Auto und fror, während ich einem Kontrollmädchen und einem Einbrecher einen Besuch abstattete.«

»Wie interessant!«

»Lehrreich! – Wissen Sie, daß diese Menschen ihre Moral für sich haben?«

»Moral?« fragte Häslein unsicher.

»Ich habe das Gefühl, daß es sich lohnt, sich mit diesen Menschen zu beschäftigen.«

»Das glaube ich auch.«

»Damit, daß man sie verachtet und sich selbst unendlich über sie erhaben dünkt, ist es nicht getan.«

Frau Inge machte für sich und Häslein Tee, setzte sich neben sie auf die Chaiselongue und erzählte, was sie mit dem Mädchen und dem Verbrecher erlebt hatte. Häslein griff nach Frau Inges Hand und sagte:

»Bitte, bitte, nehmen Sie mich mit! – Ich möchte diese Menschen sehen und kennenlernen.«

»Gerade das ist es, um was ich Sie bitten wollte,« erwiderte Frau Inge. »Ich brauche jemanden, der Herz hat und an dessen Gefühlen ich meine Gefühle kontrollieren kann.«

»Schrecklich gern. Aber ob ich Ihnen nützen kann, weiß ich nicht.«

»Gerade so, wie Sie sind, sind Sie recht. – Damit will ich nicht etwa das Leben billigen, das Sie führen und das mich nichts angeht. Aber als Mensch gefallen Sie mir.«

»Sie sind viel klüger als ich.«

»Ich habe mehr nachgedacht als Sie und mehr erlebt. – Das ist es. Ich habe den Trieb, alles kennenzulernen – und kenn' ich es, langweilt es mich, und ich suche Neues. Sie hingegen haben, auch wenn Sie ein dutzendmal ihre Freunde gewechselt haben, im Grunde doch immer denselben Mann geliebt. Der einzige Unterschied besteht im Namen und in der Höhe seines Bankdepots. Und daß dies Genre Mann besonders interessant und reizvoll ist, kann ich nicht behaupten.«

»Ich liebe sie ja nicht.«

»Armes Kind – Das spricht zwar für Sie – aber Sie tun mir leid.«

»Und Sie?« fragte Häslein.

»Als ich vierzehn Jahre alt war, liebte ich einen Vetter, der über die großen Ferien auf unser Gut kam. Er war sechzehn. Sie hätten ihn sehen sollen! Er war schlank und biegsam wie eine Gerte, ritt die Pferde auf den Koppeln zu, daß unsere Stallknechte die Mäuler aufrissen, jagte mit den Hunden meines Vaters durch die Wälder, hatte dabei einen Teint und Gelenke wie ein Mädchen – all dieser Dinge wurde ich mir natürlich erst später bewußt, als ich mich fragte, was eigentlich ich an ihm geliebt haben mag.«

»Er war dumm?«

»O nein, durchaus nicht! Er machte Gedichte – Gott es waren keine Goetheschen Verse – aber sie hatten Rhythmus und waren eigen, nicht nachempfunden. Und er las Bücher, über deren Wahl meine Mutter staunte. Nie vergesse ich, wie er mir eines Nachts die Weise von Liebe und Tod des Kornetts Christoph Rilke deklamierte.«

»Und Sie haben sich geliebt?«

»Ich sagte es ja.«

»Ich meine – richtig!«

»Natürlich nicht! – Keiner von uns dachte daran – Freilich« und es schien, als wenn Frau Inge noch heute in Erinnerung daran errötete – »wir haben uns geküßt – einmal! und zwar in dieser Nacht, und wir glaubten beide, daß wir uns dadurch für das Leben verbunden hätten.«

»Das finde ich schön,« sagte Häslein – und während Frau Inge noch in der Erinnerung lebte, fuhr sie fort: »Aber es kam anders – nicht wahr?«

Frau Inge nickte nur, und Häslein sagte:

»Es kommt ja immer anders – leider!« – und da Frau Inge noch immer nicht sprach, so fragte sie:

»Ist er im Krieg gefallen?«

»Nein! – er lebt!« erwiderte sie, beugte den Kopf weit zurück, schloß für einen Augenblick die Augen und sagte: »Lassen wir das! – Jedenfalls: es war das einzige Mal. Danach nie wieder. – So sehr ich mich bemühte.«

»Sie haben sich bemüht zu lieben?« fragte Häslein. – »Ja, kann man das?«

»Ich weiß nicht! – Aber ich redete mir zu. War ein Mann schön und stattlich, so war er meist dumm; war er gescheit, so war er meist ungepflegt und hatte schlechte Manieren. War er gescheit und schön, so war er eitel. Jedenfalls: Etwas störte mich immer – auch da, wo alle Voraussetzungen, zu lieben gegeben schienen.«

»Sie stellen hohe Ansprüche! – Freilich, Sie können es ja.«

»Nicht ich stelle sie. Im Gegenteil: ich wehre mich dagegen. Aber es sind Widerstände, die sich von selbst mir aufdrängen, die unabhängig von meinem Willen sind.«

»Das verstehe ich nicht.«

»Freuen Sie sich!«

»Ich muß sagen: ich verliebe mich leicht.«

»Dann sind Sie glücklich zu preisen.«

»Manchmal ist es auch unbequem.«

»Sie meinen, wenn man nicht wiedergeliebt wird?«

»Das kommt nicht in Frage.«

»Oho! sieh einmal an! – Freilich, wenn man so hübsch ist.«

»Es ist oft unpraktisch.«

»Wie meinen Sie das?«

»Man hat einen reichen Freund und verliebt sich in einen armen.«

»Ach so!« – Frau Inge lächelte. »Daran habe ich allerdings nie gedacht.«

»Das ist es ja! Ich tue es auch nicht! Man ist so dumm! – Aber hinterher, da bereut man.«

»Dann kann die Liebe aber nicht groß gewesen sein.«

»Manchmal doch!«

Jemand klopfte an die Tür und auf Frau Inges Ruf: »Herein!« trat Burg ins Zimmer.

»Nanu?« sagte Frau Inge. »Sie sehen ja so frisch aus. Nach dieser Nacht?«

Burg tat wie ein Kind, schämte sich, senkte den Kopf und sagte leise:

»Ich habe gebadet und bin frisch rasiert.«

»Wie interessant!« erwiderte Frau Inge spöttisch. Burg hob den Kopf, nahm stramme Haltung an und sagte:

»Ich wollte damit nur zum Ausdruck bringen, daß ich wieder der Alte bin – und für den Vorfall von heut nacht um Entschuldigung bitten.«

»Es war geschmacklos!«

»Ich weiß – und es ist zugleich der schlimmste Vorwurf, den Frau Baronin mir machen können.«

»Ist die Post schon da?« fragte Frau Inge und wies auf ein Silbertablett, das Burg die ganze Zeit über in der Hand hielt.

»Verzeihung! – ich vergaß – der Brief kommt aus dem Hause.« – Frau Inge nahm, öffnete und las:

 

6 Uhr früh.

Aufrichtig verehrte Baronin!

Wie konnten wir nur! – Wir bereuen aufrichtig und schwören, daß Entgleisungen dieser oder ähnlicher Art nie wiederkehren werden, sofern Sie uns versprechen, künftighin keine Nacht mehr außerhalb des Hauses zu verbringen – es sei denn in Gesellschaft Ihrer Sie verehrenden

Rudolf Graetzer, Töns, Baron Etville,
Karl Theodor Timm, Peter Lenz.

 

»Schlafen die Herren?« fragte Frau Inge.

»Ja!«

»Sind die Damen fort?«

Burg erwiderte verlegen:

»Ja – bis auf Fräulein Lola.«

Frau Inge dachte gerade: Ich hätte nicht fragen sollen, als draußen laut Lolas Stimme ertönte:

»Leb' wohl, Schnucki! Ich muß sagen, die Nacht war himmlisch!«

Und die heisere Stimme eines Mannes, die Etvilles, aber auch die jedes Andern sein konnte, erwiderte:

»Mach schon, daß du rauskommst, ehe dich jemand hört.«

Burg versank fast vor Scham und sah zu seinem Entsetzen, daß er vergessen hatte, die Tür hinter sich zu schließen.


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