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Einundzwanzigstes Kapitel

Willy war durch seinen Bartwuchs, sein Haar und seine Kleidung, die Timm »frei nach Haiti« entworfen hatte, derart verändert, daß Frau Inge und Töns ihm schon sehr bald seinen Wunsch, Autofahrten zu unternehmen, gestatteten. Rolfs Auto mit Mr. Williams war am Kurfürstendamm und in der Tauentzienstraße bald etwa das, was ehemals das Kaiserliche Auto unter den Linden war. Henny Portens Popularität ging auf den Tortuganer über, dessen Photographie in sämtlichen Papierhandlungen des Westens hing, und Breitenträter, ehemals »unser Hans«, war eine Berühmtheit von gestern. Allenfalls Gerhart Hauptmann bestand noch neben Mr. Williams, und ein paar Nörgler, die immer etwas auszusetzen fanden, behaupteten schüchtern: »Mr. Williams! gewiß! – Aber gezeigt hat er doch eigentlich noch nichts, während von Gerhart Hauptmann doch immerhin ›Florian Geyer‹ und ›Die Weber‹ vorliegen.« – Töns pflegte auf derartige Einwände zu erwidern: »Immer diese veralteten Sachen! Man muß sich doch endlich umstellen und der Zeit anpassen.«

Immerhin fühlten auch Frau Inge und Töns, daß man Mr. Williams endlich der Oeffentlichkeit übergeben müsse. Schon rüstete man sich in den andern Sportlagern. Während sich im Reich der Boxer nach den märchenhaften Berichten über den Mann aus Haiti niemand dazu drängte, mit Williams in den Ring zu treten, versuchten die Kreise des Turn-, Schwimm-, Rad-, Ruder- und Fußballsports den berühmten Mann vor ihren Wagen zu spannen. Aber Willy war vernünftig genug, dem Rat von Frau Inge zu folgen und sich nicht zu zersplittern. – Vor allem fehlte allen diesen Sports die gesellschaftliche Note. Ihr aber lag gerade daran, daß die Gesellschaft das Ungetüm zu sich emporzog und jede Dummheit, die man ersann, mitmachte.

Daß Raffkes, die mit Klavierstunden begonnen hatten, über die Ostsee zum Tennis, über die »Dame« und »Elegante Welt« zum Wintersport und über die Neuanschaffung von Möbeln zu einer Bibliothek mit Lederbänden und Graphik gelangt waren, nur noch Boxen kannten, versteht sich von selbst. Buchläden verschwanden im Westen, und an ihre Stelle traten Spezialgeschäfte, in denen man sämtliche Bedarfsartikel für den Boxsport fand. In den Handschuhläden sah man statt der Glacé- und Schweden- nur noch Boxhandschuhe, und von der Zahl der Unzen sprach man mit derselben Selbstverständlichkeit, wie man ehedem von den Handschuhnummern gesprochen hatte. Dentisten und Apotheken sahen goldene Zeiten. Es kam eine Hausse in Verbandsstoff-Artikeln. Ehemalige Romanschriftsteller lebten von dem Vertrieb der patentamtlich geschützten »Tortuga«, einem chemischen Präparat, das die Zähne unempfindlich gegen Boxfausthiebe machte. Nirgends mehr auf den Straßen hörte man lautes Schimpfen von alten Weibern und betrunkenen Kutschern. Entstand irgendwo ein Streit, so war er in wenigen Augenblicken durch einen Boxkampf entschieden. An Untergrundbahn- und Theaterkassen, in den Anwaltsbureaus und Lebensmittelgeschäften stand man nicht mehr an, man boxte sich an, und in den Parlamenten trat an Stelle ehemaliger stundenlanger Diskussionen das Boxen.

Wie Mr. Williams der Bonaparte, so wurde Häslein die Jungfrau von Orleans des Boxsports. Sie saß von früh ab bei Willy, verfolgte mit heiligem Eifer jeden Schlag und jede Bewegung des Meisters, sah unsere Fehler, lernte, wie man sie vermied, ersann Kniffe, mit denen sie oft sogar den Lehrer bedrängte und wußte, vor allem, wenn sie mit Männern kämpfte, Schläge vorzutäuschen, deren Abwehr ihr gestattete, den Gegner knockout zu schlagen.

Es war ein guter Gedanke von Frau Inge, schon vor dem ersten Auftreten Mr. Williams' ein Buch aus seiner Feder über den Boxsport anzukündigen. Ehe die erste Zeile geschrieben war, überboten sich Verleger aller Verlagszweige. Was dann in dem Buch stand, war eine Auslese des Besten, was in andern Büchern über Boxsport zu lesen war. Das Reizvollste darin waren die Abbildungen von Häslein, auf die hin ein derartiger Andrang zu den männlichen Unterrichtskursen einsetzte, die Häslein erteilte, daß Häslein, vor allem Rolf gegenüber, die Nase noch höher trug als sonst.

Ihre Berühmtheit, mehr noch das unbekannte Gefühl, zum ersten Male etwas anderes im Kopf zu haben als ihre Garderobe und ihre Liebhaber, dämpfte ein wenig ihre Begeisterung für Willy. Die Vorstellung von dem Riesen, den ein dunkles Gefühl von Verbrechen zu Verbrechen trieb, der von einem Mord nicht mehr hermachte, als sie von einem Teebesuch oder einer Anprobe, verlor sich.

Eines Morgens erschien sie, kecker als sonst und weniger verliebt, bei ihm und sagte, während sie sonst stets englisch mit ihm sprach, auf deutsch:

»Tu mir einen Gefallen!«

Wie ein Automat hob Willy zwei Finger der rechten Hand und sagte:

»Ich schwöre, ich liebe nur dich und mache mir weder aus der Baronin, noch aus Frida, noch aus Grete …«

»Heut' will ich das nicht hören!«

»Häslein!« rief Willy. »Wenn das wahr ist …«

»Was ist dann?« fragte sie.

»Dann kann es sein, daß ich mich wirklich noch mal in dich verliebe.«

»Du hast also wochenlang Morgen für Morgen falsch geschworen?«

Wieder flitzte Willys Hand zum Schwur empor.

»Ich schwöre …« begann er.

»Laß das!« fiel sie ihm ins Wort. »Ich will was anderes.«

»Was?« fragte er erstaunt.

»Geh auf allen Vieren!«

»Nanu!«

»Tu's, bitte! – Ich muß sehen, wie das aussieht.«

»Ich bin kein Hund.«

»Ich schwör' dir, ich denk' dabei an was anderes.«

»Du bist eine Canaille!«

»Bitte, gehe auf allen Vieren!« bettelte Häslein. Und da er zögerte, fuhr sie fort: »Tue ich dir nicht auch alles zuliebe?«

»Verlange sonst was!«

»Wenn ich mir aber gerade das wünsche!«

»Meinetwegen! – Aber mach' keinen Quatsch!«

»Bitte! bitte!«

Er zögerte noch einen Augenblick lang, ging dann in die Knie, streckte die Arme nach vorn und hockte wie ein Riesentier am Boden.

»Himmlisch!« rief Häslein, nahm von der Wand eine Kette, warf sie ihm um den Hals und zog sie an.

»Du bist wohl toll?« krächzte er.

»Bleib' so!« rief Häslein. »Bitte! Bitte! – Wenn du wüßtest, wie ich genieße!«

»Dämliches Frauenzimmer!«

»Genau so habe ich dich heut' nacht im Traum gesehen! – Denke dir, du warst ein Bär – ganz zahm natürlich – na, das bist du ja.« – Er wollte aufspringen, aber Häslein hatte eine Eisenstange ergriffen und schlug damit so kräftig auf seinen Rücken, daß er aufschrie. – »Schrei nur! Das erhöht den Reiz. – Und so an der Kette lagst du, und ich bin mit dir von Hof zu Hof gezogen.«

»Bestie!« schrie er und versuchte abermals, sich aufzurichten.

»Kusch dich, Vieh!« rief Häslein und schlug wieder auf ihn ein. »Du hast den Zucker aus der Hand gefressen – und getanzt hast du, Püppchen, wie ein junger Gott!«

Willy riß sich hoch, schlug ihr die Stange, die eben wieder auf seinen Rücken fiel, aus der Hand, stürzte sich auf sie und schlug so lange auf sie ein, bis sie zusammenbrach und sich nicht mehr rührte.

»Du wirst nicht mehr von einem Bären träumen, Canaille!« rief er und befreite sich von der Kette, die noch immer um seinen Hals hing. »Es gibt doch nichts Verrückteres als Weiber,« dachte er, zog sich die Boxhandschuhe über und trainierte an seiner Puppe, ohne auf Häslein, das regungslos dalag, auch nur einen Blick zu werfen.

Erst als sie nach ein paar Minuten noch immer regungslos lag, ging er ins Nebenzimmer und holte Wasser. Er wollte sich eben um sie bemühen, als sie die Augen aufschlug und den Versuch machte, den Kopf zu heben.

Willy sagte:

»Na also!« setzte die Wasserkanne in für Häslein erreichbare Nähe auf den Tisch und beschäftigte sich wieder mit seiner Puppe. Nach einer Weile kam von der Stelle her, auf der Häslein lag, das erste:

»Du!«

»Hm?« erwiderte er, ohne sich nach ihr umzusehen.

»Ich … ich … ver–göttere … dich!«

»Steh' schon auf!«

»Ich … kann … nicht.«

»So bleib liegen.«

»Verzeih mir – bitte!«

»Wenn ich wütend werde … ich kann dir sagen …« – dabei trommelte er mit den Fäusten an die Puppe.

»Wie du aufbraustest! – Wie ein Tier! … Sag, Willy, war das dein wahres Gesicht?«

»Was sonst?«

»Ich liebe dich!«

»Ich weiß.«

Sie hockte jetzt auf dem Boden und streckte die Arme nach ihm aus. – Willy arbeitete unausgesetzt an der Puppe.

»Alle Frauen lieben dich.«

»Laß se doch.«

»Wenn ich deiner sicher wäre.«

»Was wär'n denn?«

»Aber wenn du mich nicht liebtest, hättest du mich nicht geschlagen.«

»Meinst du?«

» So nicht.«

»Wie denn?«

Er arbeitete, ohne aufzusehen, weiter. Häslein mühte sich unter Schmerzen hoch. Sie konnte sich kaum bewegen, trat von hinten an ihn heran und legte die Hand auf seine Schulter.

»Willy!« sagte sie.

»Stör' mich nicht!«

»Glaubst du, daß es Frauen gibt, die sich wünschen, deine Puppe« – er versetzte ihr gerade einen Schlag unter das Kinn – »zu sein?«

»Ich weiß nicht.«

»Ich liebe gewalttätige Männer – weißt du, rohe, die keine Kultur haben – oder doch nur so auf der Oberfläche – bei denen man nur so zu machen braucht« – sie machte mit der Hand eine Bewegung, als wenn sie über einen Tisch fuhr, um Staub zu wischen – »und die Politur ist runter.«

»Na und?«

»Bei dir sind sie gerad' dabei, dich zu polieren.«

»Laß se doch!«

»Ich will aber nicht!« rief sie wütend und trampste mit dem Fuß auf. »Ich will, daß du bleibst, wie du bist.«

»Stör' mich nicht!« – Die Puppe erhielt eben einen Bauchstoß. – »Sonst rutscht meine Faust mal ab.«

»Ich habe genug für heute.«

»Denn geh'.«

»Erst schwör' mir …«

Willys Faust flitzte in die Höhe.

»Ich schwöre,« sagte er, »ich liebe nur dich und mache mir weder aus der Baronin, noch aus Frida, noch aus sonst irgendeiner Frau etwas!«

Häslein atmete auf und sagte:

»Ich wußte es ja!«

Sie küßte ihn auf den Kopf. Und da er den gerade vor der zurückschnellenden Puppe zur Seite bog, so erhielt sie einen Schlag an die Stirn, schrie auf und rief:

»Ich sagte dir doch, daß ich genug für heute habe,« ging zur Tür, wandte sich noch einmal um und rief: »Laß dir die Zeit nicht lang werden, Liebling! Ich bin bald wieder da.«

»God by!« rief er, ohne aufzusehen, und trommelte auf die Puppe ein.

Nach ein paar Minuten streifte er die Boxhandschuhe ab, ging zum Schreibtisch und zog unter der Mappe einen angefangenen Brief hervor, las die paar letzten Zeilen noch einmal und schrieb dann:

 

»Jetzt is sie weg. Was die ein quelt! Nach die, wenn es ginge, müßte ich schon zum ersten Frühstück einen totgeschlagen haben. Aber ein hübsches Mädchen – na, Du kennst ihr ja. Aber was sie sich einred', is nich und nie, denn so für einmal, na ja, aber das würde sie nich, und auf die Dauer will ich nich. Sie hat mir heute in Wut gebracht, und ich habe ihr verdroschen, was ihr gefallen hat. Dummes Luder, ich meine aber nich etwa dich, sie – das hätt' ich mit dir mal machen sollen. Warum immer die Baronin – laß ihr doch. Anders is sie schon und mehr wie du, so ohne quatschen, weil man denn weiß, was is, dann is es besser und Augen hat sie auch so, wenn sie glupsch is und böse kuckt – genau wie du – und denn die Art und das Ganze, kein Getue. Gestern habe ich sie mit offenes Haar gesehen, das kam so, daß ich gerade draußen war, als sie ins Bett ging so um zehn, na, ich bin ja nich dof und habe das von die Frida, das is 'n sehr gutes Mädchen – du glaubst garnich, Gretel, was die führ mich tut – alles! – also denn so um zehn auf dem Flur und denn – ja in die Baronin ihr Zimmer – Du das Haar bis zum Knien und ganz dicht und dazu die Haut ganz weiß – das kam, weil Frida führ mich die Tür nich verschlossen hatte – na, ich wäre ja dämlich, wenn ich denn einfach an die Tür vorbeigegangen wäre. Also bei sowas werd ich warm, wenn man doch schon immer dran denkt und denn steht se da auf einmal und denn so. – Aber der dämliche Spiegel hat mir verraten und denn paß auf, nich das sie losschreit, wie so 'ne olle Kuh, der man in die Euter sticht – i Gott bewahre! ken Mucks, aber eine Brennschere fliegt mir an die Stirn, als wenn se alle Abende immer nur so auf meine Stirn gezielt hätte, mitten rin, na ich vertrag' ja was, aber das Ding war nich von schlechte Eltern, und denn schwoll es auch gleich so an, aber ich faß' gerade mit die Hand hin, weil ich denke, am Ende läuft mir das Gehirn davon – schwups sitzt schon wieder 'n Ding 'n paar Sentimenter übers Auge – na, das is genug, denk ich fors erste und geh los. Erst wollte ich schreiben und ihr entschuldigen, aber ins Deutsche, das is so 'ne Sache, bei Dir da macht des nichts, aber for die da is es am Ende doch nich gut genug und ins Englisch, na ja! Ich habe denn auch eine Karte, was sie mir haben machen lassen mit Mr. Williams, Tortuga, Haiti – wie des klingt und draufgeschrieben ei beck ju parden, das is so wie, na wenn schon oder laß man, des macht ja nichts und denn hat Frida dasu ein Diazintentopf geholt – aus en Garten, sagte se, na des is ja gleich und denn als se kam hat se nachher getan, als wenn überhaupt garnichts gewesen were. Sieh, nu weißt du Bescheid, weil ich dir doch soll alles über hier berichten. Das große Fest geht nu los, na ich fürcht' mich nich, ich habe mich auch sehr gefreut, was du schreibst mit dem Film das wäre am Ende noch besser gewesen als mit des Boxen, aber der Mensch soll sich bescheiden, und mir werden gut verpflegt, was will der Mensch mehr in solche Zeiten! Wir werden ja sehen, wenn es nu nich bald losjeht, denn wird mir das auf der Dauer zu dumm. Denke nichts über die Baronin, wenn Du doch fort bist, bis dahin küßt Dich

Dein
Wil.

Bequemer is ja, wenn du hier bist, wegen des Schreiben. –«

 

Und nun las Willy Gretes letzte Briefe, soweit er sie noch nicht beantwortet hatte, nach. Sie schrieb:

 

10. XII. 22.

Mein Kerl!

Ueberleg' nicht viel! schreib, was Dir einfällt und wie es Dir gerad in die Feder kommt. Ich versteh Dich schon. Denn wenn Du erst überlegst, wird es unwahr und unverständlich. So aber merke ich wenigstens, was mit dir los ist. – Schau an! also die Baronin! und die anderen Weiber sind Dir ein Dreck. Das steht nicht da – und steht doch in jedem Satz – auch wenn Du von ganz anderen Dingen schreibst. Und falls es Dir selbst noch nicht eingegangen sein sollte, so teile ich Dir hierdurch mit, daß Du die Baronin liebst! – Kerl! Bist Du wahnsinnig? Was bildest Du Dir ein? Meinst Du, die nimmt Dich ernst? Im besten Falle bist Du ihre Puppe, mit der sie spielt und die sie in die Ecke wirft, sobald es ihr über ist. Und das wird sehr bald der Fall sein. Denn rede Dir ja nicht ein, daß die Dich liebt. Die liebt überhaupt niemanden! Die sucht – wen, weiß sie selbst nicht. Und was, noch weniger. Aber das verstehst Du nicht. Das fühlt nur eine Frau. Also hüte Dich und sei kein Schaf. – Was die anderen Frauen da in Dir lieben, das ist Deine Kraft und, wenn Eure Sache klappt, Deine Berühmtheit. Auf die pfeif ich. Deine Kraft nehme ich mit. Aber was ich liebe, ist ganz etwas anderes. Du bist zu dumm, um es zu verstehen. Ich weiß es so recht eigentlich selber nicht. Wenigstens nicht so, daß ich sagen könnte, erstens darum, zweitens darum – und so weiter. Du bist eben mein Kerl, meine Kreatur, mein großer Junge, und wenngleich Du reichlich blöd und schwerfällig bist, so bist Du doch – lach nur! meine Sonne! – Du verstehst das alles nicht – aber wenn ich ein Dichter wäre, glaubst Du, ich hätte so viel zu sagen. Aber über das Elend meines Lebens hat es mir doch hinweggeholfen, daß ich so etwas in mir fühle, was den Ekel wie einen Dreck, in den man tritt, abstreift und so für mich allein mich bei allem doch Mensch bleiben läßt. – Schaf! wozu ich Dir das schreibe. Du verstehst ja nichts, und ich muß Dir anders kommen. Also so: Wenn Du Dir die dumme, sinnlose Liebe zur Baronin nicht aus dem Kopf schlägst – so schlage ich Dir den Schädel ein! Bums! so muß man mit Dir reden, Blödian geliebter, der Du auf alles und auf jedes hineinfliegst und diesmal nur wie durch ein Wunder von dem Zuchthaus gerettet wirst. Das Wunder aber ist gar keins, sondern nichts anderes, als die Laune einer Frau – für die Du mir, obschon Du nichts wert bist, doch immer noch zu schade bist. Also ich bitt' mir aus! verstanden? Dummer Kerl!!

Grete.

 

»Quatsch!« sagte Willy und schrieb unter seinen Brief an Grete als Nachschrift:

Fang' man so an, da kommst Du weit mit! Ganz so dumm bin ich ja nich.

Wil.

 

Und er las ihren Brief vom 15. XII. 22.

 

Fauler und geliebter Kerl!

Wenn die Zeitung nicht so viel über Dich berichtete, wüßte ich überhaupt nichts von Dir. Das ist ja ein unverschämter Schwindel, den Ihr da aufzieht! Und aussiehst Du mit Deinen Zotteln auf dem Kopf und Deinen Haaren im Gesicht wie ein verlauster Bär. Ich kann mir denken, daß die Weiber nach Dir immer verrückter werden. Kannst Du Dir sonst nicht noch wo Haare wachsen lassen? – Aber mein Wort, ich hätte Dich nach den Bildern in den Blättern nicht erkannt. Du, ich lach mich tot, hast Du die letzte Illustrierte gesehen? Auf der dritten Seite der berühmte Boxmeister aus Tortuga und darunter Hete Hegera, der neue Filmstar, der in dem Film Katharina II. die Hauptrolle spielen wird. – Wird sie? – Wenn Du wüßtest, wovon das abhängt! – Der Direktor meint, ich besäße Talent, müßte aber etwas von meinen bürgerlichen Ansichten opfern! – nicht himmlisch? – Anständig, meint er, sei ja ganz schön. Aber zu viel sei ungesund für die Karriere – und, meint er weiter, wenn ich die erste Scheu erst überwunden und erst einmal mit einem Manne zusammengewesen wäre – wobei er natürlich nicht an sich denkt! – nu ne! – dann würde ich die Welt mit ganz anderen und viel fröhlicheren Augen ansehen. Der kann mir gefallen! – Ach Will, die Menschen, so eine Bagage! und immer um dasselbe schmierige Zeug dreht es sich – – Will, ich glaube, die Welt hat zwei Gesichter! – die hier und auch die Baronin und deren Kreise sehen sie anders. Die wissen alle gar nicht, daß es das gibt, wie mich. Wie rette ich mich nur aus diesem Ekel – aber was da neu aufsteigt vor mir, ist ja viel ekelhafter – und man muß von Natur aus oder von früh an daran gewöhnt sein. Die tun alles bewußt, auch wenn es schlecht ist, und dann erst reizt es sie, während wir doch gar nicht darüber nachdenken. Aber das ist nichts für Dich, berühmter Meister, der Du Deinen Geist (seit wann hast Du Geist?) dem Geschmack der Zeit entsprechend in Deine beiden Fäuste legtest! Mit den Schlägen dieser beiden Fäuste wirst Du die Menschheit bis zur Raserei begeistern! Dieselben Fäuste, die in einer Nacht unter Gefahr für das Leben ein Dutzend silberne Gabeln ergatterten, werden jetzt gefahrlos und unter dem Jubel der Menge für Millionen Silber an sich reißen. Ich sehe in der veränderten Methode keine moralische Besserung. Und mir, Will, geht es mit mir genau so! Das Schlimme ist, daß ich anfange, zu denken und nicht so dumm bin wie Du. Wenn es mir glückt, den Quatsch hier ohne nachzudenken, einfach wie alle Andern mitzumachen und mir dabei noch etwas einzubilden – frech muß man sein und arrogant! – dann kann noch alles gut werden. Aber dumm bleibt es auf alle Fälle! Ach, Will, gib mir etwas von Deiner Dummheit ab, die mich retten könnte.

Grete.

 

Willy tauchte nach der Lektüre dieses Briefes nochmals die Feder ein und schrieb:

Was Du Dich immer quelst. Laß doch die Andern sich für Dich quelen, wie ich es tue – wenn die Menschen doch so dof sind, was brauchst Du schlauer sein.

Will.

 

Willys letzten Brief beantwortete Grete folgendermaßen:

 

Mein Dummian!

Ich gebe Dir den guten Rat, mein Junge, Dich an dem offenen Haar der Baronin aufzuknüpfen. Denn Du erreichst sie nie! Und der Gedanke, daß Du – ne, weißt Du, man könnte lachen, wenn es nicht so traurig wäre. Und darum laß Dir gesagt sein, mein Junge, daß Du von mir nie loskommst – wenn ich nicht will – und ich will nicht! Das merke Dir und betrag Dich danach. Du machst Dich lächerlich, und das will ich nicht. Einfach das ist es! und nichts anderes, daß der Mensch, mit dem ich nun mal verbunden bin, sich nicht lächerlich machen darf. Lieber brich wieder ein, bring' Menschen um, tue sonst, was Dir gefällt und riskiere meinetwegen täglich, stündlich Dein und – wenn Du willst – auch mein Leben. Ich bin immer da, wenn Du mich brauchst – und was ich hier aufgebe, ist ein Dreck! Obschon ich seit Montag ein eigenes Auto und einen deutschen Schäferhund habe, von dem ich mich – ich meine den Hund! – nie mehr trenne. So'n Kerl wie Du, nur tausendmal gescheiter und – treuer. Du Schwein, Du! Oder glaubst Du, ich merke nicht ganz genau, was zwischen Dir und der Frida vorgeht? Aber mir scheint eher, daß die noch nicht ganz fertig ist. Ich rate Dir, sie mal ordentlich durchzuschütteln – was Du so gut verstehst. Bei der ist noch alles durcheinander, und es muß erst jemand kommen und alles an den richtigen Ort und die richtige Stelle legen. Aber, was kümmert uns Frida? Obschon sie für Dich gefährlich werden kann – viel mehr als die Baronin, für die Du ernstlich gar nicht in Frage kommst. Das sag' Dir immer wieder. – Uebrigens hat sie mir geschrieben. Sehr nett und sehr klug – na, das ist bei ihr ja natürlich. Du »machtest Dich« – so spricht man von einem Baby, das man großpäppelt, oder, da der Vergleich nicht paßt, von einem Tier, das man abrichtet – aber nicht von einem Kerl wie Dir. Und dann schreibt sie, daß Du in allernächster Zeit an die Oeffentlichkeit trittst. – Ich kann mir nicht helfen, Willy, aber alles das wirkt dumm und ekelhaft auf mich. Sie machen aus Dir einen Popanz, und ich will sehr hoffen: nur äußerlich. Denn, wenn Du so dämlich bist und Dir am Ende gar selbst einbildest, daß Du irgend etwas anderes bist als ein dummer, anständiger Kerl, dann kannst Du mir leid tun. Aber das ist ja auch etwas an Dir, was ich mag, daß Du Dir nie was eingeredet hast. Denn früher, da warst Du wer als der verwegenste Einbrecher, und alle Deine Bekannten haben zu Dir aufgeschaut und gesagt: Der Willy, das is 'n Kerl! Und wer mit Dir mitgehen durfte, ein Ding drehen, der stieg in unserer Achtung. Das war schon alles ganz gut so und hatte seine Berechtigung. Aber Du bliebst darum doch immer der einfache Kerl, der seinen Weg ging, der nun mal krumm war, aber doch Mut und Kraft und Gott weiß was erforderte. Was Du jetzt machst, oder richtiger, mit Dir machen läßt, ist ein Dreck dagegen. Genau wie bei mir. Die Kleider stehen mir glänzend, und auf der Photographie sehe ich wie eine Dame aus. Ich tue kaum etwas dazu, bewege mich ganz natürlich, weil ich innerlich ja doch pfeife auf das Theater. – Die sagen, es käme, daß ich so gut bin, weil ich völlig unbefangen wäre. Ich möcht' mal wissen, weswegen ich befangen sein soll. Die Menschen da um mich herum nehm' ich doch nicht für ernst. Das Pack spreizt sich und belügt und betrügt und beneidet sich, daß einem das Kotzen kommt. Ich kümmere mich einen Dreck um sie, und sie behaupten, ich wäre stolz. Was sagst Du dazu? Mal muß ich lustig sein, dann denk' ich an Dein Jungengesicht, wenn Du Strolch was ausgefressen hast und vor mir Deine Beute auspackst. Hast Du nicht bemerkt, daß ich dann immer nur auf Dich und gar nicht auf die Sachen schau, die Du hinlegst? – Und wenn sie wollen, daß ich traurig bin, dann denk' ich, wie alles so war, daß es so wurde und ob die andern Menschen vielleicht glücklicher sind. Besser sind sie nicht! Sie sagen immer etwas anderes, als sie meinen. Und mich staunen sie an wie ein Wunder, weil ich alles geradeheraus sage und nicht danach frage, ob es mir schadet oder mir nützt. Die Menschen da bei Dir sind gewiß genau so. Du achtest nur nicht drauf. Aber laß Dir gesagt sein, das ist nichts für uns. Und da die Baronin will, daß ich mir den Schwindel mitansehe, wenn sie Dich zum erstenmal ausstellen – sage ihr bitte, daß ich das, auch wenn ich dort wäre, nicht mitmachte. Mich wollen sie nämlich so ähnlich mit Loge und Blumen und allem möglichen Kram »populär« machen. Mein Direktor, der tut, was ich will und ganz ein lieber Kerl ist, nur zu fett, weißt Du, und mit dem Geld schmeißt er! – aber da er eine A. G. ist, so meint er, spiele das keine Rolle – also der kleine, runde Direktor gibt mir in allem nach – weißt Du warum? weil ich ihm in einer bestimmten Sache nicht nachgebe. Das hat er noch nicht erlebt! sagt er, und mit meinen Ansichten paßte ich in ein Diakonissenheim, aber nicht zum Film. Na, ich nehm' ihn schon. Und er ist auch schon so weit, daß er erklärt, mich müsse man eben anders managern, mich müsse meine Exklusivität populär machen. Es fällt schon mehr auf, daß man mich nirgends sieht, als wenn man mich überall sähe, was auf die Dauer keine Begebenheit mehr wäre. Daher habe ich auch Zeit, Dir so lange Briefe zu schreiben, was ich eigentlich mehr mir als Dir zuliebe tue. Denn ich muß irgendwie mich von dem Rummel befreien, der hier allmorgendlich um zehn beginnt und meist bis in die Nacht dauert. Denn so froh ich bin, Mutter hier zu haben, anzufangen ist mit ihr nichts. Für sie ist alles, was hier vorgeht, ein großer Schwindel, womit sie in gewissem Sinne ja auch recht hat. Ich habe oft das Gefühl, daß sie sich aus der Fülle wegwünscht und in den Keller zurücksehnt und – Will, nun kommt das furchtbare Bekenntnis – es gibt Stunden, in denen es mir genau so geht. Ich weiß, es ist Irrsinn, oder es klingt doch so, aber ich kann mir nicht helfen, ich habe oft das Gefühl, als wenn ich früher ein anständigerer Mensch gewesen wäre. Bitte, sage mir, ob es Dir nicht auch so geht.

Gretel.

 

Willy faßte sich in seinem Antwortschreiben kurz und schrieb:

 

Liebes Gretel!

Denk doch bloß nicht soviel nach und zurück, es is ja doch schließlich alles ganz egal ob so oder so und wir brauchen uns auch nichts forzumachen, so'ne Berühmtheit is auf die Dauer fielleicht unbequem und langweilig, aber vorläufig fühle ich mich ganz wol dabei. Der große Tag kommt nun heran und findet mich gewaffnet, Häslein wird alle Tage verrückter und auch die Andern setzen mir zu, nur Frida nich und die Baronin, mit die Du nach Frida follkommen recht hast, was mir aber nur weiter treibt, da ich nicht der Mann bin, für den Du mich hältst. Ich will zwahr nich los von Dir, aber ich gebe um Dich auch die Baronin nicht auf, was Du mir nicht verdenken kannst, da sie auch sehr fiel Gutes führ mir schon getan hat und nich denken soll, das ich undankbar bin. Aber ehe sie sich entscheidet, hörst Du von mir, da ich nicht gewillt bin, Dich einfach beiseite zu schieben, wo Du stehts gut zu mir wahrst. Das Englische geht schon viel besser als deutsch nur zu schreiben fällt ungewohnt, ich sage alles lieber auch Dir, sei sehr viel geküßt von Deinem liebevollen

Willy.

 

»Mein Junge,« erwiderte Grete, »jetzt bist du endlich so weit und schnappst über! Bitte, bitte, sage Dir alle Tage, wenn Du noch so groß und viel und gut über Dich in den Zeitungen liest, daß Du darum doch der Sohn eines Säufers, der Fürsorgezögling und Einbrecher Willy bist und bleibst – wie ich die Hure bleibe, auch wenn ich die weltberühmte Diva werde. Sei doch ehrlich gegen Dich! warst Du nach unserer Trennung ein einziges Mal auch nur auf eine Stunde so unbefangen, so frei, so glücklich, so Du selbst, wie Du es Tag für Tag mit mir gewesen bist? – Werde Dir nicht untreu, Will! Es gibt kein Kompromiß zwischen diesen Menschen und uns – es sei denn, daß wir uns selbst aufgeben und heucheln, als wären wir wie sie. Wir sind es nicht und werden es nie sein und wollen es nie sein! Begreife das doch! Und wenn Du Dich verlierst, Will, so erscheine ich eines Tages und bringe Dich um.

Grete.«


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