Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Am Abend vor diesem Sonntag war alles bei Schuppkes auf rot gestimmt. Rot blinkte die Abendsonne im schrägen Strahl durch das Fenster, über die zwei blutroten Kutscherwesten an der Wand hin; rot war Frau Schuppkes Gesicht, rot Annies unordentliches Haar, flammend rot ihre linke Wange, das Produkt einer mütterlichen Ohrfeige, die aus straffer Hand sausend, geradezu plastisch sich anschmiegend, das Töchterchen durch das schmale Zimmer bis an den Ofen hatte fliegen lassen.

Und das war so gekommen.

Es war gegen neun. Vater Schuppke pflegte sich bereits um acht Uhr zur Ruhe zu begeben, und sägte daher auch jetzt seit einer Stunde nebenan in der Kammer Balken. Er war ja jeden Morgen schon um fünf aus den Federn und fütterte und putzte seine Braunen, die seinerzeit mit großer Mühe, als für die Fabrik unentbehrlich, vor dem Schicksal bewahrt worden waren, sich unfreiwillig am Weltkrieg zu beteiligen; dann richtete er den Stall blitzsauber her, auf den er ebenso eitel war, wie nur eine Frau auf ihren Salon, und brachte Geschirr und Wagen auf Hochglanz.

Für Frau Schuppke war dieser Abend, den Feiertag vor sich, der Höhepunkt der Woche. Da saß sie gern mit ihrem Strickstrumpf an dem schmalen Tisch bei der Lampe und predigte der Tochter Weisheit, jene Weisheit älterer Leute, von der keiner zugibt, daß er sie seinen einstigen Dummheiten zu verdanken hat.

Ihre Tochter saß ihr gegenüber.

Annie war heute anders als sonst. Sie hatte kaum von den schönen Speckkartoffeln gekostet, und auch jetzt rückte sie unruhig auf ihrem Stuhle hin und her, als ob etwas Schweres sie drückte.

Frau Schuppke sprach wieder einmal von Lisa. Sie hielt es aus erzieherischen Gründen für wünschenswert, der Tochter Lisas Schicksal möglichst oft als Warnungsbeispiel vorzuhalten. Nach altem Gesetz versprach sie sich um so mehr von solchen Belehrungen, je weniger sie selbst, als sie noch jung und schön war, auf solche gehört hatte.

»Merkwürdig,« sagte sie. »So ein Flittchen, das überall 'rumnascht und sich die Nächte um die Ohren schlägt, dem passiert so etwas nie; aber 'n anständiges Mädchen, das fällt dir regelmäßig 'rein. Natürlich, so ein Weg, den alle Welt geht, der setzt kein Gras an.«

»Ja,« antwortete Annie beklommen. »Du kannst ja auch ein Lied von singen. Wenn Vater einen sitzen hat, dann redet er noch heute über das Pech, daß ich schon vor der Hochzeit ankam.«

Frau Schuppke war das erste Dienstmädchen im Wagnerschen Hause gewesen. Sie »ging« damals mit Schuppke, der bei der Tivoli-Brauerei als Kutscher angestellt war. Und als es soweit war, da hatte er zwar einigen Zweifel an seiner Vaterschaft gehegt und einen rothaarigen, ihm stark verdächtigen Friseur erst grün und blau verprügelt, dann aber doch die Pförtner- und Kutscherstelle gern geheiratet und Frau und Kind mit in den Kauf genommen.

»Bloß weil dein Vater den dämlichen Hufschlag in das Kreuz bekam und wir zehn Wochen warten mußten,« antwortete die Mutter ohne Prüderie.

»War dir denn das nicht scheußlich, Mutter?« fragte Annie gespannt.

»Nee,« erwiderte Frau Schuppke überlegen. »Ich war doch Braut, ein respektables Mädchen. Da kommt es auf 'nen Monat nicht so an.« Sie strickte, daß die Nadeln flogen. »Aber du,« fuhr sie fort, sich ihrer pädagogischen Aufgabe erinnernd, »du mit dem langen Pferdehopser, paß du nur auf, daß du dich nicht verplemperst. Das sag' ich dir, die Knochen im Leibe schlage ich dir entzwei.«

»Warum denn, Mutter?« trotzte Annie auf. »Dir hat sie doch auch keiner kaputt geschlagen.«

»Das ist was anderes,« antwortete Frau Schuppke geharnischt. »Denkst du etwa, der dumme Junge, der geht mit dir aufs Standesamt? Den Dreck wird er tun.«

»Ich habe den Charley aber doch gern,« sagte Annie wieder eingeschüchtert.

»Das ist eben der Blödsinn,« zürnte die Mutter. »Ob du ihn gern hast, ist ganz egal. Ist's erst soweit, hat der sich ganz allein gern und pfeift auf Annie Schuppke. Lehr' mich die Mannsleute kennen! Aber das hört mir jetzt auf, sonst steck' ich's deinem Vater; der wird ihm schon die Hammelbeine strecken. Du bist von hochanständigen Eltern, das merke dir. Hast du verstanden?«

Blitzähnlich stand Annies Kindheit vor ihr. Schon als sie mit der Schulmappe durch die Straßen ging, waren sie hinter ihr hergewesen, in Ballonmütze und Zylinder, in Arbeitsbluse und Pelz, hatten gelockt, geschmeichelt, geboten; hundertmal hatte es am seidenen Faden gehangen, daß sie sich nicht beschwatzen ließ. Nichts Menschliches war ihr ja fremd, sie wußte schon damals, daß sie den Weg gehn würde, den alle gingen, offen oder heimlich, sobald der Lenz lachte oder das Gold klirrte. Für wen denn auch den Schatz hüten? Für einen Mann, der es ihr doch nicht glaubte, oder der vielleicht nie kam? Und jetzt, wo nun einmal das Unglück geschehen war, da drohte ihr die Mutter mit Prügeln, ausgerechnet sie, die es ganz anders noch getrieben hatte.

Annie weinte statt jeder Antwort auf.

Frau Schuppke ließ den Strumpf sinken und sah forschend hoch.

»Nanu?« sagte sie gedehnt. Aber in dem einen Wort lag alles.

Annie heulte noch stärker los.

Und da hatte sich aus dem mütterlichen Handgelenk die Ohrfeige gelöst, die nun in feurigem Rot auf Annies Wange glühte.

Aber wie es Gewitter gibt, die sich mit einem einzigen Schlage entladen, so hatte sich auch mit dieser Ohrfeige Frau Schuppkes mütterliche Entrüstung Luft verschafft. Sie war ja längst auf diese Möglichkeit gefaßt; das war eine Krankheit, der junge Mädchen ihrer Kreise selten entgingen, und immerhin saß sie ja auch im Glashaus. So sagte sie denn, als Annie wimmernd sich aufrichtete, nur gelassen:

»Halt's Maul, sonst wacht der Vater auf.«

Und schon hatte Annie ihren Schmerz verwunden. Diese Ohrfeige, das war ja das Mindeste, was sie hatte erwarten müssen, war gewissermaßen nur eine Form, die den guten Ton in dieser Lebenslage wahrte. Jetzt, wo die Mutter alles wußte, fühlte sich Annie wesentlich erleichtert, im mütterlichen Schutz geborgen. Die Warnung vor dem Vater zeigte ihr ja auch, daß sie zunächst von diesem nichts zu fürchten brauchte. Am liebsten hätte sie die Mutter dankbar umarmt; aber sie kannte sie, wußte, man mußte bei ihr Hammer sein, um nicht als Amboß mißbraucht zu werden.

»Wenn du noch einmal dich an mir vergreifst,« sagte sie entschlossen, »dann habt ihr mich das letzte Mal gesehn.«

Die Mutter bekam einen Schreck. »Wir werden dich schon mit der Polizei zurückholen,« schalt sie.

»Polizei? Da lacht 'ne Fliege,« antwortete Annie aufsässig. »Ich verdiene mir selbst mein Brot; da kann ich wohnen, wo ich will.«

Das war das ewige Leid der kleinen Leute. Wurden die Mädel groß und selbständig und trugen endlich zum Haushalt bei, so brauchte ihnen nur das Kleinste nicht zu passen, das Bummeln verboten, der Hausschlüssel versagt, der Liebhaber verargt zu werden, und sie kehrten dem Elternhaus den Rücken. Annie lieferte zweihundert Mark monatlich ab, ein schöner Zuschuß, den Frau Schuppke schwer entbehrt hätte.

»Brauchst nicht gleich mit 'm Kopf durch die Wand zu gehn,« knurrte sie. »Wenn man so mir nichts, dir nichts zur Großmutter wird, da soll einem die Hand nicht ausrutschen. Du lieber Gott,« seufzte sie auf, »das Leben ist schon 'ne Hühnerleiter. Nun setz dich mal und nimm ein nasses Handtuch auf die Backe. Also der grüne Bengel?«

Annie nickte.

»Weiß er's schon?«

»Nein.«

»Keiner als wir beide?«

»Nein.«

»Dann hältst du mir den Mund,« befahl die Mutter. »Hat der Mensch was hinter sich?«

»Keinen Groschen,« antwortete Annie ehrlich. »Die Kröten hat alle noch die Alte. Nierenkrank ist sie ja; aber wenn's das Unglück will, lebt die noch Jahre. Und Jockey ist er auch nicht, man bloß Lehrling.«

»Und so was setzt Kinder in die Welt,« klagte die Mutter auf. Dann grübelte sie. »Also mit dem Lümmel, das ist sicher nichts,« sagte sie. »Nicht mal die Alimente. Konntet ihr denn nicht vorsichtig sein?«

»Das sagst du so,« brauste Annie auf. »Wenn du selbst damals, vor achtzehn Jahren, vorsichtig gewesen wärst, Mutter, so wär' mir heute das nicht passiert. Ich gehe einfach zu so 'ner Frau.«

»Das tust du nicht,« widersprach die Mutter energisch.

»Alle tun sie's, alle durch die Bank,« beharrte Annie. »Eine ist neulich direkt von da wieder ins Bureau gekommen. Das ist 'ne Kleinigkeit.«

»Zehnmal geht's gut,« stritt die Mutter. »Und 's elfte Mal hast du 'nen Knax für's Leben weg.«

»Es ist ja doch nicht das elfte Mal,« verteidigte sich Annie.

»Und was dann?« eiferte die Mutter. »Dann bist du genau so weit wie vorher. Nee, nee, nee, laß mich mal nachdenken, – die Sache muß ganz anders gefingert werden. Hast du denn sonst keinen guten Freund, so 'n kleinen Beamten oder Briefträger oder sonst was Reelles?«

Annie, die wieder ganz auf der Höhe war, schüttelte den Kopf. »Ich hab' sie ja alle abfallen lassen, ich bin doch aus hochanständiger Familie.«

»Da siehst du deine Dummheit,« schalt die Mutter, die ihre Rede von vorhin schon längst vergessen hatte. »Ich zu meiner Zeit, ich hatte mindestens ein halbes Dutzend an der Strippe.«

»Du warst auch Braut und ein respektables Mädchen,« antwortete Annie möglichst harmlos.

Die Mutter merkte den Stich garnicht, so eifrig war sie beim Nachdenken. Jetzt, wo sie sich einigermaßen mit dem Unfall abgefunden hatte, machte es ihr fast Vergnügen, der Tochter ihre Welterfahrung zu beweisen.

»Auch keinen im Bureau?«

»Die!« stieß Annie zornig hervor. »Die versetzen uns ihre gepfefferten Witze und kneifen uns in die Hüften. Aber heiraten tun die Jungens nicht.«

Wieder sann Frau Schuppke angestrengt vor sich hin. »Wie lange schon?« fragte sie.

»Drei Wochen,« antwortete Annie prompt.

»Hm,« brummte die Mutter. »Dann ist es höchste Zeit. Merkwürdig, wie oft das Erste in der Ehe ein Siebenmonatskind ist.« Sie kratzte sich mit der Stricknadel den Kopf. »Da müssen wir was ganz Feines ausbaldowern – Still!« wehrte sie ab, als Annie etwas erwidern wollte.

Wohl durch fünf Minuten klapperten die Nadeln, dann ließ Frau Schuppke das Strickzeug sinken. »Ich hab's,« sagte sie mit triumphierenden Augen. »Was meinst du, Annie, zur Frau Assessor?«

Annie sah sie nur sprachlos an.

»Also hör' mal zu, Kind,« sagte die Alte, in heller Begeisterung ihre Hand zärtlich auf die der Tochter legend. »Du bist doch ein vernünftiges Mädel, was?«

»Vorhin hast du auf meine Dummheit geschimpft,« antwortete Annie.

Frau Schuppke hörte nur, was ihr paßte. »Also mit diesem langen Laban, dem zweistöckigen Kerl ist nun Schluß, nicht wahr?«

Annie erwiderte nichts.

»Sieh mal,« schmeichelte die Mutter, »du sagst, du hast ihn gern. Dann willst du ihm gewiß doch keine Ungelegenheiten machen, wo er nun einmal nichts für dich tun kann. Stimmt's?«

Annie schwieg hartnäckig.

»Und wenn erst mal so'n Kind sich anmeldet, so'n Kind der Liebe, wie die Leute so schön sagen, weil's in der Ehe mit der Liebe meistens mies ist, das kühlt dir einen Mann ab, wie Schneewasser die Zehen. Was soll er denn auch mit 'nem verfallenen Mädel? Mit dem kann er nicht ausgehn und tanzen und Staat machen. Wer ist also der Dumme? Du!«

Noch immer schwieg Annie. Von ihrem Liebsten lassen? Es wurde ihr schwer. Was hatten sie schon zusammen gelacht, sich amüsiert, sich geküßt! Aber freilich, den Willy hatte sie auch nach wenigen Wochen verschmerzt.

»Also höre auf deine Mutter,« fuhr diese fort, »und auf ihre Erfahrung. Meinst du, ich hätte den Sägebock da drinnen, der siebzehn Jahre älter ist als ich, genommen, wenn ich nicht mußte? Und eingebrockt habt ihr's euch selbst. Morgen ist Sonntag. Da holt der Assessor sich seinen Strauß für die erhoffte Braut da oben. Und wenn du nicht von Gott verlassen bist, dann seid ihr nächste Woche verlobt.«

»Da bin ich aber gespannt,« sagte Annie mit rasch erwachter Neugier. Die Lust am Intrigieren, die jedes Weib beherrscht, funkelte ihr aus den Augen.

»Um zwölf ist morgen der Wagen für die Frau bestellt,« rechnete die Mutter, »bis halb drei hat der Vater im Stall zu tun. Ich mach' mich dünne. Um eins kommt der Assessor. Dem Hund gönn' ich's.«

Eine Stunde noch tuschelten die Frauen, bevor sie sich zur Ruhe begaben.

»Kind,« sagte Frau Schuppke zum Abschied, »nun schlafe dich recht schön aus, damit du morgen frisch aussiehst. Zeig mal die Backe. Nichts zu sehn! Da hab' ich von meiner Mutter ganz andere Schwalben bezogen.« Sie strich Annie übers Haar. »Legst du den Burschen 'rein, bist du fein 'raus. Und daß die aufgeblasene Trude da oben dann Luft schnappt, das macht mir besonderen Spaß.«

Leicht wurde es Annie nicht, wenn sie an ihren Charley dachte. Aber die eiserne Notwendigkeit behielt den Sieg. Und das schwor sie sich: War ihr der Fang gelungen, so wollte sie diesen Assessor nach Strich und Faden mit ihrem Charley betrügen. Das war das Mindeste, was ihr das Schicksal schuldete.

 

Nur mit Mühe hatte sich Frau Schuppke am nächsten Mittag bei Wagners freigemacht. Schon eine halbe Stunde war sie an der Haltestelle des Kurfürstendamms auf und ab geschlendert, ehe sie Berg von der Elektrischen springen sah.

»Herrgott, Herr Assessor,« sagte sie anscheinend erschreckt, »die Blumen habe ich ganz vergessen.«

Berg war in der denkbar gehobensten Stimmung. Er hatte, durch das schöne Wetter angeregt, im Vorgarten der großen Konditorei am Potsdamer Platz gesessen und inmitten der dichtgedrängten Menge sein Glas Sherry getrunken.

Eben im Begriff aufzubrechen, um zu Wagners zu fahren, sah er plötzlich zwei Damen hereinkommen.

Dolly ...

Als sie nach Plätzen suchend sich ihm näherten, erhob er sich, um Dolly zu begrüßen. Sie setzte sich zögernd an seinen Tisch, stellte ihn ihrer Gesellschafterin vor.

Sie war schöner als je. Sein Herz ging in lauten Schlägen.

»Wie geht es der gnädigen Frau?«

»Ich danke, Herr Assessor.«

»Und dem Herrn Gemahl?«

»Fräulein Agnes,« wandte sich Dolly an ihre Begleiterin. »Der Kellner kommt nicht. Wollen Sie uns etwas am Büfett aussuchen?«

Das Fräulein verschwand.

»Mein Mann?« sagte Dolly. »Der ist gestern operiert worden; die Operation wurde abgebrochen. Vorgeschrittener Krebs. Der Professor gibt ihm nur noch Tage.«

Sie unterbrach sich. Von einem vorüberschwirrenden Selbstfahrer, dessen Harttraber den Asphalt wie unter Hammerschlägen erklirren ließ, grüßte ein Herr tief.

Sie sah ihm nach. Und wie unter einem Zwange sagte sie: »Alex Reichsgraf von Durlach-Behringen ...«

Berg achtete nicht darauf. »Noch einige Tage?« fragte er hastig. »Und dann bist du frei?«

»Frei,« antwortete sie, mit rätselhaften Augen.

Ihm stockte der Atem fast. Dann, kaum verständlich, fragte er:

»Und ich darf kommen?«

»Es ist alles so neu für mich,« erwiderte sie zögernd. »Und so schwer. Laß mir Zeit.«

Sein Herz zog sich zusammen. »Du hast mich noch lieb, Dolly?«

»Du sollst nicht immer fragen,« entgegnete sie nervös. »Man schenkt Liebe, – und schenken heißt freiwillig geben. Das andere ist keine Liebe. Du hast mir Geduld versprochen.«

Er sah sie flehend an. »Hab' ich die nicht bewiesen, Dolly? Nur hoffen darf ich doch?« setzte er bang hinzu.

»Das Hoffen,« sagte sie freundlicher, »hab' ich dir nicht verboten.« Und er glaubte ein deutliches Ja in ihrem Lächeln zu lesen.

Das Fräulein kam zurück. Sie wechselten noch gleichgültige Worte, dann erhob er sich.

»Meine Empfehlung, bitte, und gute Besserung für Ihren Gatten, gnädige Frau.«

»Ich danke, Herr Assessor.«

Als er, wie berauscht von der unerwarteten Wendung der Dinge, den Fuß auf die Straße setzte, war er mit Trude Wagner fertig.

Und deshalb ließ ihn Frau Schuppke mit ihrer Nachricht recht kalt, daß er möglicherweise heut auf die Rosen verzichten müßte.

»Sind die nicht abgegeben?« fragte er.

»Jawohl,« antwortete Frau Schuppke, »aber es ist jetzt niemand zu Haus. Mein Mann ist ausgefahren. Und ich muß schleunigst zur Post, für die Frau Konsul bei uns oben eine Depesche aufgeben.«

»Wo ist denn Fräulein Annie?« fragte Berg. Es tat ihm leid, auf seine sonntägliche Zerstreuung verzichten zu müssen.

»Die Annie?« erwiderte Frau Schuppke. »Die ist natürlich da. Einer muß doch aufpassen. Aber –« Sie stockte.

»Aber?« fragte der Assessor möglichst gleichmütig. Die nächste Post war in der Uhlandstraße; vor einer guten halben, dreiviertel Stunden konnte Frau Schuppke nicht zurück sein. Und den Wagnerschen Wagen hörte man durch die Einfahrt kommen. Heil und Sieg!

»Aber die badet grade,« fuhr Frau Schuppke fort. »Vielleicht, wenn Sie mal anklopfen, daß sie schon fertig ist und Ihnen die Blumen zureicht. Sonst bringe ich sie gleich nachher 'rauf.«

»Gut,« erwiderte Berg, »machen wir. Ein Unglück ist das ja nicht. Morgen, Frau Schuppke.«

»Auf Wiedersehn, Herr Assessor.« Und hastig lief sie den Kurfürstendamm hinab.

Er folgte ihr mit den Augen, bis sie verschwunden war. Dann ging er rasch zum Hause hinüber. Die Begegnung mit Dolly hatte ihn erregt, all seine Hoffnungen neu geweckt. Er war so recht von dem Gefühl des Siegers erfüllt, in der übermütigen Stimmung, kleine widerspenstige Mädchen kirre zu machen. Endlich hatte er Annie allein, – Glück mußte man haben!

Er klopfte.

»Wer ist da?« Annie stand, vor Erregung blaß, in der wassergefüllten Kufe, nur mit dem Badetuch bedeckt.

»Ich, Fräulein Annie,« antwortete er. »Assessor Berg.«

Sie scheute nun doch vor der Tat zurück, vor all dem Widerlichen, was sich die Mutter ausgedacht hatte. »Ich bin nicht angezogen,« stammelte sie.

»Nur das Bukett,« bat er. »Ich sehe wahrhaftig nicht hin.«

In Annie bäumte der Abscheu gegen ihn sich hoch. »Sie müssen warten,« sagte sie bestimmt.

»Himmelkreuz –« hörte sie ihn leise fluchen. »Warten! Ich habe doch Ihre Mutter gesprochen. Sie möchten mir die Blumen geben.«

»Nein!«

»Annie, – machen Sie doch auf,« bettelte er kurz, abgerissen. »Ich tue Ihnen weiß Gott nichts.«

Sie regte sich nicht.

»Annie, liebe, kleine Annie ...!«

Annie, liebe, kleine Annie ... Ihr Charley tauchte vor ihr auf; hatte der nicht immer so zu ihr gesagt, in den Stunden des Glücks? Und wieder schlug die Liebe zu ihm, dem Vater ihres Kindes in ihr hoch; nur sie konnte ihn aus all den Schwierigkeiten retten, vor ihrem wütenden Vater schützen, der ihm mit seinen Bärenkräften die Knochen zerschlagen würde.

Fest biß sie die Zähne zusammen. Sie stieg aus der kleinen Kufe, nahm die Rosen aus dem Glase heraus, trocknete die langen Stiele an dem Tuch und öffnete fingerbreit die Tür.

Eine Hand drückte sie scharf zurück. Ein Fuß schob sich durch die Spalte. Und schon drängte er sich gewaltsam in das schmale Zimmer.

Bleich, mit zornblitzenden Augen, fest in ihr Badetuch gehüllt, stand sie vor ihm. Sie war in diesem Augenblick über seine Frechheit ehrlich empört. »Herr Assessor, das geht zu weit,« schrie sie ihm entgegen.

Auch er war blaß. Mit gierigem Blick sah er auf ihre Blöße, die schmalen weißen Füße, den schlanken Hals.

»Wenn Sie jetzt schreien,« sagte er heiser, »so findet man Sie in diesem Kostüm mit mir. Seien Sie doch vernünftig, Mädel.«

»Die Tür zu!« schrie sie ihm entgegen.

Er wandte sich, riegelte ab.

»Von draußen!« Ihre Stimme brach sich in der Erregung.

»Demnächst,« antwortete er spöttisch, »über ein Kleines.« Er war seines Erfolges jetzt gewiß.

Ein unbändiger Haß flammte in ihr auf. Nun wünschte sie selbst die Tat, die ihn ins Unglück brachte.

Und plötzlich legte sich ihr Zorn, wurde sie weich, fast demütig.

»Bitte, bitte, lieber Herr Assessor! Das schickt sich doch nun einmal nicht,« bat sie, die Hände zu ihm hebend, sodaß ihre zarte Brust, die schneeige Haut der Rotblondine ihm entgegenblühte. »Die Mutter kann auch jeden Augenblick kommen.« Aber ihre flimmernden Augen straften sie Lügen, ihr heißer Atem streifte sein Gesicht. Langsam wich sie vor ihm zurück, bis zu dem Bett dort in der Ecke.

Er folgte ihr hastig, griff nach ihr.

»Lassen Sie mich los,« flehte sie noch demütiger; aber zugleich wand sie sich so geschickt in seinem Arm, daß sich das Tuch fast ganz herabzog.

Ein Stöhnen ging durch den Mann. Wieder packte ihn der unselige Rausch, der ihm so oft schon die Besinnung geraubt hatte.

Er preßte sie an sich, rang sie mit allen Kräften nieder.

Sie wehrte sich verzweifelt, ohne einen Laut, schlug und biß; dann, plötzlich, gab sie nach.

Als er von ihr abließ, lag sie vor ihm, glühend, das offene, rote Haar verwirrt, mit wutflammendem Blick und blutender Nase.

Sie richtete sich hoch, griff nach dem Tuch. »Lump!« heulte sie auf. »Verfluchter Lump!«

Lump ...! Er fuhr zurück. Zwischen Trude und ihm war das Wort gefallen, Lisa hatte es ihm ins Gesicht geschleudert, und nun schallte es ihm zum dritten Mal in ein und demselben Hause entgegen.

»Na na,« beschwichtigte er sie keuchend, sichtlich verstört, als fasse er selbst nicht, was er getan. Und angstvoll spähte er nach der Tür, schwankend zwischen dem Wunsche, sich rasch zu entfernen und sie vorher zu versöhnen.

»Das soll Ihnen übel bekommen,« schrie sie ihn noch gellender an. »Lassen Sie nur meine Mutter zurück sein.«

Er suchte sie vergebens zu beruhigen. »Aber Kind, sei doch nicht so maßlos,« stotterte er. Ihm zitterten die Kniee.

Sie jammerte auf. »Ich habe solche Schmerzen. Pfui Teufel, – ein Vieh sind Sie! Das sollen Sie mir büßen.«

Er suchte zu retten, was zu retten war, faßte sie zärtlich um. Heftig entzog sie sich ihm, eilte ans Fenster. »Mutter soll kommen,« wimmerte sie ohne Aufhören. »Mutter, Mutter!«

Er war völlig ratlos. Sollte er bleiben oder gehn? Beides schien ihm die sichere Entdeckung.

»Kind,« bat, flehte er, »ich will ja alles für dich tun. Ich habe dich eben zu lieb. Versprich mir, nichts zu verraten.«

Aber sie nahm keine Vernunft an. »Das werde ich Ihnen besorgen,« weinte sie immer wieder auf und trocknete ihre blutende Nase mit dem Badetuch. »Das werde ich Ihnen heimzahlen.«

Als er endlich ging, streckte sie lang hinter ihm die Zunge heraus. Die weißen Rosen lagen zerstampft am Boden.

In aller Ruhe zog sie sich an.

Eine Viertelstunde später kam Frau Schuppke. Mit einem Blick maß sie das Bett, die Rosen, die Tochter, die mit geröteten Augen und geschwollenem Näschen am Tisch saß und sich die Zöpfe flocht.

Triumphierend starrte ihr Annie entgegen.

»Fertig?« fragte die Mutter.

»Fertig,« antwortete Annie.

Die Alte schlug entzückt die Hände über dem Kopf zusammen. »Das mußt du mir erzählen –« grinste sie. »Warte einmal ...« Sie sann einen Augenblick nach. »Auf ein paar Tage kommt's nun nicht mehr an; im Gegenteil, der muß erst sicher werden. Montag und Dienstag ist Wäsche, aber am Mittwoch geht's zum Linksanwalt, mal hören, was der sagt. Und nun komm her, mein Herz, ich muß dir einen Kuß geben ...«

 

Am selben Sonntag, in aller Frühe, hat auch bei Wagners Wichtiges sich ereignet.

Herr Goldstein, der Warenhausbesitzer aus Köln, ist seit Freitag wieder in Berlin eingetroffen und hat sofort bei Wagners antelephoniert. Klein, wohlbeleibt, mit schiefer Nase und klugen, lebendigen Augen, ist er am Sonnabend, herrliche Orchideen in der Hand, zum Tee gekommen und hat für diesen Sonntag noch einen Abschiedsbesuch in Aussicht gestellt. Mit dem Mittagszug will er nach Köln zurück. Weder Trude, noch ihre Mutter sind sich zweifelhaft gewesen, was dieser Besuch bedeutet.

Ohne daß zwischen Mutter und Tochter viel darüber gesprochen wird, geht alles wie am Schnürchen. Nach kurzer Begrüßung wird Frau Hildegard plötzlich abgerufen. Herr Goldstein bleibt mit Trude allein.

Herr Goldstein betrachtet sie, wie ein Stratege vor dem Angriff das Gefechtsfeld überblickt. Er hat lange auf die beiden Seelen in seiner Brust, die materielle und die ideelle, gelauscht, und beide haben schließlich eine erfreuliche Übereinstimmung gezeigt und seinen Entschluß gebilligt. Das Warenhaus, dieser Ladenbetrieb, entspricht schon lange nicht mehr seinem Ehrgeiz. Ganz feiern, in seinen Jahren, sagt ihm auch nicht zu. Da ist die Blumenfabrik von Robert Wagner, diese Goldgrube, gerade das Richtige, um einen gutfundierten Mann aufs angenehmste zu beschäftigen. Trude ist das einzige Kind; der Sohn, Jurist, rechnet nicht mit. Und wenn Herr Goldstein auch auf die Mitgift pfeift, auf die Millionenerbschaft tut er es schon weniger. Und dann die andere Seele ... Mit Blond ist er schwer hereingefallen, nun will er es einmal mit Schwarz versuchen. Das Mädel ist schick, rassig, voll Leben, was immerhin – hm! – nicht zu unterschätzen ist. Du lieber Himmel! Mit zweiundvierzig Jahren kann man schon etwas Anregung gebrauchen. Nein, er hat sich lange genug umgesehn, lange genug sich die Sache sorgsam überlegt, – er kann nichts finden, das so nach jeder Richtung für ihn paßt. Er ist sich einig.

»Mein gnädiges Fräulein,« sagt er, »ich bin Geschäftsmann und gewohnt, zu wägen, aber dann zu wagen. Ich möchte gern die nächsten fünf Minuten frei weg reden.«

»Soll ich so lange hinausgehn?« fragt sie scherzend.

»Ich kann Ihren Wunsch begreifen,« antwortet er gemessen. »Ich bin ja eben nicht Demosthenes aus Attika, sondern Goldstein aus Köln am Rhein. Aber es würde den Zweck meiner Rede doch bedenklich gefährden.«

Sie sitzt in ihrer Lieblingsstellung, ein Bein über das andere geschlagen, in ihrem Wippstuhl.

Er nimmt einen Hocker, setzt sich ihr zu Füßen. Seine Augen mustern anerkennend ihre tramaseidenen, bis zum Knie sichtbaren Strümpfe.

Sie bemerkt es; und obwohl sie nicht recht weiß, ob seine Aufmerksamkeit dem Inhalt oder dem Fabrikat gilt, zupft sie das Kleid hinab. »Mode,« sagt sie wie entschuldigend.

»Je höher der sittliche Schlamm der Großstadt reicht, desto kürzer wird eine anständige Dame den Rock tragen.«

»Darüber wollen Sie fünf Minuten sprechen?« fragt sie.

»Nicht ganz,« antwortet er, »trotz des dankbaren Themas. Die Zeit wäre hierfür zu kurz bemessen.« Er schweigt einen Moment. »Ich heiße, wie ich soeben schon hervorhob, Goldstein. Ein Unglück kommt nie allein: mein Vorname ist Jacques. Trotzdem bin ich Christ, sogar in zweiter Generation.«

Er macht eine Pause. »Also Goldstein,« sagt er. »Es ist nicht zu ändern. Ich hätte so gern in diesem Kriege das Gold meines Namens abgeliefert und mich mit Stein begnügt, im Notfall auch Freiherr von Stein, – es war mir nicht vergönnt. Jacques und Goldstein sind Passiva, der orientalische Einschlag, mein Exterieur und meine zweiundvierzig Jahre immerhin Dubiosa. Im übrigen habe ich einige Aktiva aufzuweisen: Eine absolut gesicherte Position, ein verträgliches Wesen. Ich bin solid und häuslich; Sie sehen,« – er fährt sich über die Glatze – »die Hörner habe ich mir bereits abgelaufen. Was nun die Ehe betrifft, so bin ich, wie Sie vielleicht wissen, geschieden, als schuldiger Teil, worauf ich mir etwas einbilde; denn bei solchen Auseinandersetzungen nimmt immer der anständigere Teil die Schuld auf sich. Meine Schuld war ein baumlanger Deutzer Kürassier, ein Baron, was immerhin ein Trost ist. Nach dieser Richtung ist also mein ehelicher Bedarf gedeckt; die unbedingte Korrektheit ist die einzige Beschränkung, die ich Ihnen auferlegen möchte. Und so frage ich Sie denn: Wollen Sie es mit mir wagen?«

»Von Liebe haben Sie eigentlich garnichts gesagt,« antwortet Trude.

»Die Frauen wollen heutzutage immer noch die Liebe erklärt haben,« erwidert er, »obwohl sie doch so gut in ihr Bescheid wissen. Und dann, mein liebes Fräulein, ein Antrag von Jacques Goldstein mit seinen vierhundert Mille Einkommen und Villa und Auto, wenn das nicht Liebe ist –«

»Aber Jacques ist furchtbar,« wirft sie zögernd ein. »Wie sind denn Ihre anderen Vornamen?«

»Decken wir den Mantel unserer Liebe darüber,« antwortet er. »Meine beiden Großväter hießen Siegfried und Sally. Ihre Namen umschweben mich segnend, als Sünde der Väter bis ins dritte Glied.«

»Jacques ist natürlich Jakob?«

»Natürlich?« fragt er zurück. »Ich finde es direkt unnatürlich, für einen rechtschaffenen Katholiken.«

Die evangelische Trude sieht ihn nachdenklich an. »Wenn unsere Ehe,« sagt sie, »ebenso reich an Glück ist wie an Konfessionen, so kann es uns ja nicht fehlen. – Und Köln ist nett?« fragt sie weiter.

»Köln ist Köln,« erwidert er stolz. »Und wird es für mich, eine Frau Trude unter meinem Dache, noch tausendmal mehr sein.« Er senkt die Augen auf die straffgespannten Grauseidenen vor ihm, rutscht unruhig auf seinem Hocker hin und her. »Weiter wäre wohl nichts zu besprechen?« fragt er.

Sie folgt seinem Blick. »Ich denke, nein,« entgegnet sie gutgelaunt. »Alles andere erledigt sich wohl später von selbst.«

»Ja,« sagt er mit einem Auffunkeln seiner schwarzen Augen. »Das andere würde augenblicklich zu weit führen.« Er reißt sich gewaltsam los, erhebt sich. »Also einig?«

»Einig und stark,« antwortet sie und läßt ihrerseits ihren Blick lächelnd an ihm hinabgleiten.

»Leider,« antwortet er und zieht seine Weste energisch herunter. »Taille hundertundzwei Zentimeter. Rheinische Küche. Darf ich Ihnen jetzt den Verlobungskuß geben?«

»Mit Maß,« erwidert sie.

Und er hebt sich auf die Zehenspitzen und küßt sie.

Frau Hildegard wird herbeigerufen. Sie läßt sich die Gelegenheit zu einer längeren Rede nicht entgehen. »Und du, mein Trudchen,« schließt sie salbungsvoll, »vergiß nie, daß du noch eine Mutter hast.«

»Ich werde stets an meine Jugendzeit in diesem Hause denken,« erwidert Trude mit Betonung.

Frau Hildegard stutzt mißtrauisch; aber im Bewußtsein ihres Wertes verwirft sie gleich den Gedanken an jede Ironie.

Und so herrscht allgemeine Befriedigung im Hause Wagner.

Dann bricht der glückliche Bräutigam auf. Die Zeit drängt, der Zug wartet nicht. Wagners lassen anspannen und bringen ihn in das Hotel.

Zwei Stunden später, nach dem Zusammentreffen mit Dolly und dem Erlebnis bei Schuppkes, sitzt Berg schweigsam am Wagnerschen Tisch. Man wundert sich höflich, daß er so wenig Appetit zeigt. Von Jacques Goldstein und der Verlobung wird kein Wort gesagt.

Berg fühlt sich bedrückt. Außer seiner Entgleisung mit Annie lastet ja auch die Absicht, sich schleunigst von Trude freizumachen, auf ihm. Er hat nur den einen Wunsch, dieses Unglückshaus nie wieder zu betreten.

Trude, die als heimlich Verlobte an seiner Seite sitzt, ist ebenso wortkarg. Zwei Seelen streiten sich in ihr: Die eine, die die Braut zur Vorsicht mahnt, die andere, die zum Bruch drängt. Dieses Hinhalten und Versteckspielen entspricht nicht ihrem Temperament. Sie hätte sich prügeln können; warum hatte sie sich so mit Berg eingelassen, was hatte sie an ihm gefunden? Sie lechzt nach einer Aussprache, fiebert danach, ihn selbst zum Verzicht zu zwingen. Sie hat mit Lisa ja eine gute Waffe in der Hand.

Nach Tisch legt sich Frau Hildegard, wie stets, ein halbes Stündchen hin.

Trude geht ohne weiteres auf ihr Ziel los.

»Entsinnst du dich, daß du mir damals bei dir sagtest, du habest mich sehr lieb?«

Er wittert etwas Feindseliges. »Besinnen tu ich mich nicht,« antwortet er. »Aber stimmen kann es. Das sagt man nämlich immer.«

»Daß aber nur ein Lump sich die Gelegenheit zunutze macht, ein Mädchen zu verführen?«

»Sehr richtig,« erwidert er. »Darum hab' ich es auch nicht getan.«

»Nein,« entgegnet sie kampflustig. »Aber als du bei Lisa es getan, was warst du da?«

Er ist schon längst auf diesen Angriff gefaßt. Er weiß sofort, daß das den Abschied bedeutet; und er weiß auch als Soldat, daß immer noch die beste Parade der Hieb ist.

»Gott, Trude,« sagt er, mit den Händen in den Taschen vor ihr stehend. »Das war eben eine Geschmacklosigkeit. Und ob es von dir nicht eine größere ist, mir meine Worte vorzuhalten, das stelle ich anheim.«

Sie ärgert sich über seine Beherrschung. »Du läßt dir ja von niemand etwas vorhalten.«

Er lächelt; er geht lässig hin und her. »Das ist der erste vernünftige Satz, den ich von dir gehört habe. Du tätest gut, dir ihn zu merken.«

»Ich merke vielleicht mehr, als dir lieb ist,« ruft sie ihm zornbebend zu.

»Mir ist überhaupt nichts lieb,« gibt er über die Schulter zurück.

»Nur du dir selbst,« sagt sie scharf.

Er wendet sich jäh zu ihr um. »Mein liebes Kind,« sagt er ruhig, aber mit stahlharten Augen, »daß Lisa das Kind bekommt und nicht du, ist wirklich nicht dein Verdienst. Im übrigen habe ich den Ton da satt. Die ganze Richtung paßt mir nicht. Ich wünsche dir alles Gute für die Zukunft. Meine Empfehlung an deine Mutter. Und ich irre wohl nicht, wenn ich dir zu Herrn Goldstein gratuliere.« Es ist für ihn nicht schwer, auf diesen Gedanken zu kommen; er braucht sich nur seiner eigenen Absichten zu erinnern. »Vielleicht sehen wir uns,« setzt er spöttisch hinzu, »nach deiner Hochzeit wieder einmal bei mir zum Tee.«

»Ach nein,« sagt sie anzüglich. »Es lohnt sich ja kaum, dich nochmals ganz umsonst in Unkosten zu stürzen. Aber vielleicht nimmst du ihn en revanche bei mir, au sein de ma famille

»Ich danke,« erwidert er. »Ich trinke keinen Karawanentee.«

Sie erblaßt unter seinem Hohn. Aber ehe sie ihm antworten kann, hat er das Zimmer verlassen.

Als er draußen steht, stößt er einen Seufzer der Erleichterung aus. Trude hat ihn freigegeben, bei Schuppkes hat sich nichts gerührt. Gott sei gedankt, das alles liegt hinter ihm!

Am nächsten Mittwoch früh, als er die Zeitung aufschlägt, fällt ihm ein großes, schwarzgerändertes Inserat ins Auge. Dollys Name. Der Geheimrat ist tot.

Er atmet auf. Das Rennen ist gewonnen.

* * *


 << zurück weiter >>