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(Bühnenfassung Zürich 1936)
Im Schülerschen Gutshause feiern im großen Eßraum den Sederabend des Pessahfestes:
Herr und Frau Schüler; ihre dreiundzwanzig Kinder: Heinrich Menachem, seine Frau Elfriede und beider Sohn, der zehnjährige Oskar; alle die anderen Kinder; Dr. Engelbrecht Vogelsang, Katharinas Gatte; der Bischof Matthias von Paderborn; der Kaplan Bernard Michalski; Monsieur Filigran, Inspektor des Schülerschen Gutshauses; der Weinreisende Kissingen; Alexander Ostermorgen, Siegfried Ostermorgen, die Söhne des Jugendfreundes von Herrn Schüler. Die sieben armen Juden der jüdischen Gemeinde in Gaesecke: Nachtwächter Altmann, Hausierer Zilinsky, Wanderbursche Nathanael Brennnessel, die drei Lumpenhändler Perlmutter, Josefje, ihr kleiner Neffe.
Schneeweiß steht die Tafel feierlich gedeckt. Die großen und kleinen Töchter tragen alle samtne Kleider und die kleinen Söhne Samtjacken.
Zwei brennende jüdische silberne Leuchter stehen auf dem Tisch vor dem Platz des Gutsbesitzers, ferner eine große Schüssel mit drei ungesäuerten Broten, in eine Serviette gehüllt. Außerdem stehen auf dem Tisch vor dem Vater kleine Schüsselchen mit Rettich, Bitterkraut, Petersilie und harten Eiern in Salzwasser.
Es beginnt mit einem Chorgesang oder der Zeremonie der bitteren Kräuter und des Brechens der Mazzoth. Am Ende der Zeremonie wendet sich Schüler an den Bischof.
Schüler: Euer Gnaden beliebten, die stumme Frage an meine Wenigkeit zu richten, betreffs der bitteren Kräuter? Sie symbolisieren gewissermaßen die Bitternis der Knechtschaft, die unser Volk erduldete im fremden Lande. Das ungesäuerte Brot jedoch den eilenden befreienden Auszug aus Ägypten. (Falls vorher die Zeremonie der zehn Plagen ausgeführt wurde, spricht Schüler noch folgenden Satz) Und dem Becher der Freude entnahmen wir zehn Tropfen, als Zeichen der Betrübnis über die zehn Plagen, die der Herr unser Gott den Ägyptern auferlegte.
Die Leute am kleinen Tisch beginnen zusammen zu murmeln, doch immer andächtig mit Maß und Ziel.
Der eine der drei Perlmutter: Zwei Gojim am Sederabend seinigem?
Brennessel: Mach ich nun wieder mal nach Paderborn, weiß ich, wo ich logier.
Alle: Na wo?
Brennessel: Im Dom, bei Seiner Fürstlichkeit. Bei Emm!
Weist mit dem Auge auf den Bischof.
Nachtwächter (philosophisch): Schwatz nicht. Eene nüe Weltgeschichte beginnt.
Perlmutter: Hol'n wir die alte mit unserm Hundekarren in de Häuser ab.
Bischof (zum Kaplan): Wer sind die?
Schüler (flüstert): Sieben arme Juden unserer Gemeinde. Wie es so Sitte ist am Sederabend bei uns Juden. (Er weist auf den Nachtwächter.) Der sorgliche Vater unseres Dorfes: Altmann. Er bläst mit seinem Hörne allabendlich die Kinder Gaeseckes in den Schlummer. (Er weist auf Brennessel.) Unser Weltenbummler: Nathanael Brennessel, ein nimmermüder Wanderer. (Nathanael kichert.) »Pan« nannte ihn der berühmte Vater meiner Gattin Henriette. (Herr Schüler weist auf Lämmle Zilinsky.) Lämmle Zilinsky aus Lemberg, unser Großkaufmann. Seine Ware kann ich mit gutem Gewissen empfehlen.
Zilinsky reißt sich in der Schüchternheit fast die Knöpfe seines Kaftans ab.
Schüler (gnädig): Meine drei lieben Freunde Perlmutter. Sie sammeln die Antiquitäten des Dorfes! Ihr kleiner Neffe, der Josef.
Der eine Perlmutter: Josefche, erheb dich!
Bischof (zum Kaplan): Antiquitäten?
Kaplan (lächelnd): Drei Lumpensammler.
Bischof (enthusiasmiert von der Demut des Hausherrn): Wahrlich, wir sind bei einem Fürsten zum Mahle.
Zilinsky (wickelt aus einem alten Zeitungsfetzen ein weißes Pelzkrägelchen und gestikuliert, bis Arthur Aronymus es bemerkt. Arthur tritt an seinen Tisch): Hat er mir doch seine Leckereien seine gebracht am christlichen Morgen Weihnacht, mit Tränli in die Oigen seine.
Legt ihm schüchtern lächelnd das Krügelchen um den Hals. Arthur Aronymus präsentiert sich zunächst dem Kaplan und dann der ganzen Gesellschaft.
Frau Schüler: Herr Zilinsky, das ist aber rührend von Ihnen. Betrachte der Herr Vater das kostbare Geschenk!
Kaplan (mit gesenktem Kopf, zu Arthur Aronymus): Wolltest du 's nicht von mir annehmen?
Arthur Aronymus: Ich weiß nicht, Bernardchen.
Frau Schüler: Euer Gnaden, Herr Bischof, im Traume wäre es meinem Gatten und mir nicht eingefallen, daß der Herr Bischof und der uns so willkommene, zurückgekehrte Herr Kaplan mit unserer Familie gemeinsam dieses heilige Fest feiern werden.
Bischof (breit lachend): Aber die liebreiche, jugendfrische Madame Mutter hat sich uns, den Bischof Matthias von Paderborn, doch nicht gar als einen Duckmäuser vorgestellt? Wie oft diskutierten wir und der große Rabbuni von Rheinland und Westfalen bis spät in den Nächten über tief religiöse Probleme.
Frau Schüler: Und nun ruht mein armer Vater einsam in der Erden – – –
Bischof: Gottes Wege sind unerforschlich, sein Tun ein ewiges Rätsel.
Arthur Aronymus (stark, wie aus einem Medium äußert sich aus ihm die Stimme des Rabbi): Der Rabbuni ist nicht einsam. Er ist versammelt mit seinen Vätern.
Alle aufs tiefste erschüttert, selbst der Vater. Pause. Arthur Aronymus, zu sich gekommen, rennt verblüfft in eine Ecke des Raumes.
Bischof: Diese Wahrheit suchte sich zu entströmen, ein reines Kinderherz.
Frau Schüler stehen Tränen im Auge. Der Kaplan eilt zu Arthur Aronymus und bringt ihn langsam an den Tisch zurück.
Bischof (umarmt Arthur Aronymus): Ich segne das alte Volk Israel! Unser Herr Jesus sagte in Kapharnaum: »Viele werden von Osten und von Westen kommen und mit Abraham, Isaak und Jakob im Himmelreiche zu Tische sitzen.« Jedes der Kinder Israels versinnbildlicht so eine kleine Thorah im samtenen Tragkleide, aber eine von den kleinen Thoroth trägt Silberschellen um den Hals. Mich dünkt (er streichelt die Haare Arthur Aronymus'), die ist 's!
Alle sind tief gerührt.
Bischof (zum Kaplan): Er ist dir wahrlich entkommen, armes Bernardchen. Aber tröste dich, mein guter Sohn in Christo, der alte Gott Israels läßt die Seelen seiner Kinder nicht im Stich!
Frau Schüler (neigt dankbar bejahend den Kopf): Und mit einem bißchen Liebe gehts schon, daß Jude und Christ ihr Brot gemeinsam in Eintracht brechen, noch wenn es ungesäuert gereicht wird.
Arthur Aronymus (leise zum Kaplan): Guck mal, Bernard, wie der Oskar deinen Bischof anguckt.
Oskar (hart und finster): Ich werde ein Mönch!
Bischof (lacht plötzlich stürmisch, kaum kann er sich beruhigen): Aber daß mir das Hexenverbrennen fürder aufhört!
Alle lachen – das Lachen der Kinder übertönt alles. In das Lachen setzt Schüler kräftig ein, seine Söhne unterstützen den Gesang: zwei Strophen des Liedes »Lecho ulecho«. Nach der zweiten Strophe hört man draußen den ungestümen Lärm der Menge. Die Leute rufen: »Wir wollen unsern Bischof sehen.« – Gleichzeitig eilen in den Raum
Drei Mägde (zugleich): Sie wollen ihren Bischof sehen!
Der Bischof erhebt sich mächtig. Alle stehen auf. Der Bischof schreitet mit dem Kaplan, Arthur Aronymus zwischen sich führend, zur Türe der Terrasse, die ihm geöffnet wird. Herr Schüler, Frau Schüler und die älteren Kinder folgen ihm. Im Raum bleiben nur die armen Juden und einige kleine Kinder.
Bischof (auf der Terrasse zur Menge sprechend): Meine geliebten Brüder und Schwestern in Christo! Von tiefer Freude ist mein Herz bewegt. In dieser Stunde, in der ich als Mittler stehe zwischen euch vor diesem Hause und denen in diesem Hause, erfüllt sich mir das Wort unseres heiligen Apostels Petrus, der da sagte: »Gott sieht nicht auf die Person, vielmehr ist ihm in jedem Volke wohlgefällig, wer ihn fürchtet und recht tut.«
Choral: »Großer Gott, wir loben dich.« Dorfmusik, Trompete, Waldhorn, Trommeln, Flöten, Harmonika. Während der Choral gesungen wird und im Saale langsam die Lichter verlöschen, fällt der Vorhang.
Ende