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Zuerst erschienen: 1834
Im Jahre 1508 wurde des Morgens einem armen Vicentiner, der in einer schmalen Seitenstraße wohnte, ein Söhnlein geboren. Der Bube ward Andrea getauft, und wuchs auf mehr zu seiner Mutter als seines Vaters Freude. Er hatte ein stilles schweigsames Wesen und beschäftigte sich viel mit Spielereien, malte sich Bildchen, knetete Figuren aus Thon, lag in der Sonne und träumte. Der Vater meinte, er sei zum Handwerker verdorben, und die Mutter entgegnete, das freue sie, denn Andrea solle ein Künstler werden. Auf der Piazza vorn wohne ein sehr geschickter Meister in der Bildhauerei, mit dem habe sie gestern Abend gesprochen, und er werde den Andrea zu sich nehmen. Und so geschah's denn auch: der Bildhauer sagte, Andrea habe ein schönes Auge für den Marmor, ein großes weitläufiges Kunstauge, Andrea würde ein tüchtiger Meister werden.
Um jene Zeit war der Bube groß gewachsen und flügge geworden, er strich des Abends auf dem Korso umher, und die Mädchen schalten ihn heftig, weil sie ihn in dem Verdachte hatten, daß er mehr als eine Geliebte küsse. Andrea sah aber sehr ernsthaft dazu aus, wuchs immer größer, ward immer voller und tüchtiger, und die Figuren, die er mit seinem Meister schuf, wurden ihm täglich kleiner und unbedeutender. Es war viel Unruhe und Drang in seiner Brust.
Am Thore von Vicenza liegt noch heut ein kleiner dunkelgrüner Hügel, der heißt seit vielen Jahrhunderten Monte Berico, und darauf stand damals eine ganz kleine Kapelle. Dorthin pilgerte Andrea gewöhnlich gegen Sonnenuntergang, und sah mit Sehnsucht in die Weite. Denn unter dem Monte Berico breitet sich wie ein dunkelgrüner Mantel die Lombardei aus. Das Herz schwoll ihm auf, Größeres zu schaffen als seine kleinen Statuen, und es quälte ihn, daß er nicht wußte, wie das anzufangen sei.
So saß er auf der Treppe der Kapelle, das Land war vom Abende tief roth und blau, drin am Altare knieete ein Weib, Alles war still, und die sinnliche lombardische Andacht schwebte durch die Luft. Es war dem Andrea selig unglücklich, als müßte er eine Welt gebären.
– Da rauschte ein Kleid hinter ihm, er blickte rückwärts, das Weib vom Altare stand hinter ihm, die letzten rothen Sonnenstrahlen fielen auf ihre hohe Gestalt und ihr hohes Antlitz. Sie war schön und verführerisch wie eine griechische Heilige. Andrea sprang vor Freude erschrocken auf, und seine ausgebreiteten Arme und seine trunkenen Augen sagten ihr, daß er sie liebe.
Die griechische Heilige sah ihn mit einem Blicke an, vor dem sein Herz aufsprang wie eine Knospe von der Morgensonne, und ihr weites, schwarz seidnes Gewand rauschte an ihm vorüber, und Andrea seufzte laut auf, und ward sich seiner erst wieder bewußt, als der fliegende schwarze Schleier unten in der Dämmerung verschwand.
Er war in einem wunderlichen Zustande: die Gesichtszüge des schönen Weibes waren wie Sonnenstrahlen nur hindurch geflogen durch sein Gedächtniß, er hätte sie nimmer malen können. Aber stolze Tempel und Palläste stiegen auf vor seinem Geiste, hoch und üppig wie der Wuchs der schwarzseidnen Dame, mit wollüstigen Säulengängen und breiten berauschenden Lichtern wie die Augen, die großen Augen des Weibes. Ihre Augen erschienen ihm so groß wie der Himmel.
Es weiß Niemand genau, wie jene Nacht und jener Tag vergingen, am andern Abende stand er wieder oben auf dem Monte Berico, und das schöne Weib stand neben ihm, und erklärte ihm die Schönheit der Welt. Er stand eine Stufe tiefer denn sie, und sah mit dem seligsten Schmerze hinein in das weite Auge der Göttlichen, es war ihm, als könne er immer nicht tief genug hineinblicken, denn die Gebäude der athenischen Akropolis, und dahinter die Palläste von Babylon meinte er zu sehen, und hinter diesen Pallästen waren noch schönere, sein Auge reichte nur nicht weiter. So drängte er im Glück des Schauens sein Haupt nahe an ihren Leib; sie trat aber zurück und sprach: Du darfst mich nimmer berühren Andrea.
So verging ein Abend nach dem andern; sie fanden sich immer wieder bei der kleinen Kapelle, und erzählten einander von den Schönheiten der Welt. An einem warmen Abende, als die schwarzseidne Dame ihren schönen, entblößten Arm ausstreckte, und einen Halbkreis zog an dem Horizonte, um einen phantastischen Pallast darzustellen, als Schulter und Busen dem vorgebeugten Arme sich nachsenkten, hin zu Andrea, so daß der warme Hauch ihres Lebens ihn berauschte, da vergaß er ihres Wortes, drückte ihren schönen Arm um seinen Hals, bedeckte Busen und Schulter und Mund mit Küssen, stürmte mit aller Raserei der Jugend in die weiche volle Schönheit des Mädchens ein, war unbändig wie ein Halbgott.
Und das schöne Mädchen wehrte matt der überwältigenden heißen Liebe, und es ward dunkel im Thal, es ward dunkel auf dem Monte Berico – das unendliche Küssen fragte nicht nach Sonne und Mond. –
– Leuchtenden, glücklichen Auges stieg am andern Abend Andrea wieder den Hügel hinauf, um seine Geliebte zu küssen. Aber es ward dunkel in der Ebene und auf dem Monte Berico, nicht Mond, noch Sonne, noch irgend ein Stern konnten einen Kuß verrathen, Andrea saß einsam an der Kapelle. Und es vergingen sieben Abende einer langen Woche, seine Einsamkeit blieb ungestört. Er durchfragte alle Palläste, alle Hütten Vicenzas, er fragte jeden Wagen, jeden Schleier auf dem Korso, das Blut stürzte ihm in die Augen – nirgends, nirgends war die Dame seiner Palläste zu finden.
Nach vielen Wochen erzählte ihm seine Mutter, daß man lange Zeit sein Leben und seinen Verstand aufgegeben habe, so sei er vom hitzigen Fieber geschüttelt worden. Als er bleich und matt zum ersten Male wieder vor das Thor kam, und die kleine Kapelle auf dem Monte Berico erblickte, da fuhren ihm dunkle, ferne, ferne Mährchen durch den Sinn von schwarzseidnen Tempeln, fleischigen, vollen Pallästen mit großen Himmelsaugen, Fenstern, auf welchen die ganze Sonne schlafen könne. Und auf dem Rückwege trat er in's Haus des berühmten Trissino, zeichnete ihm wunderliche Gebäude auf den Tisch, und fragte ihn, ob er's nicht erlernen könne, solche Häuser wirklich zu bauen, er hätte ihrer gar zu viel in Kopf und Herzen, und müsse einige los werden, sein Auge lechze nach ihrem Anblick. Auch fühle er, daß er die Gestalt seiner verlornen Geliebten wieder aufbauen könne in schönen Pallästen.
Und Trissino stieg mit ihm zu Rosse, und sie ritten nach Rom. Dort erklärte er ihm die Schönheit der Architektur, und Andrea sagte, das stimme Alles vollkommen zu dem, was er früher darüber empfunden, was er sich über volle architektonische Formen gedacht habe.
Als sie zurückkamen, fing Andrea an zu bauen, lauter Palläste aus dem Auge seiner schwarzseidnen Dame, und auf dem Monte Berico erbaute er eine Kapelle in Form eines Maltheserkreuzes, welche die frühere kleinere einschloß, und welche heut noch steht.
Man erzählte sich, jene Lehrmeisterin Andrea's sei eine sehr vornehme Dame aus Venezia gewesen, und es dauerte gar nicht lang, so schickten die Herren vom Markusplatze in Venedig den Titel eines »Baumeisters der Republik Venedig«, und Niemand baute in Oberitalien einen Pallast, der nicht dem Andrea den Bau übertrug.