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Die Novelle in der Theaterloge.

Das Theater, unser Theater, unsre Schauspieler, unser Bader, unsre Seidler , daß ist in Berlin Frühstück und Abendbrod, ganz Deutschland bringt nicht so viel Rekruten zur Bühne als Berlin, mehr als die Hälfte aller deutschen Schauspieler ist aus Berlin. Alles urtheilt über das Theater, Alles bespricht das Theater.

In Wien sind die Theater die Hauptsache, in Berlin ist's das Theater.

Ueber das Schauspielhaus am Gensdarmenmarkte ist man nun ziemlich beruhigt; es hat allen Witzen und Ausrufungen Stand gehalten, jetzt wird es wetterdunkel und hart. Es ist im Ganzen eine großartige Konstruktion Schinkels; daß seine vielen Fensterlatten an ein Trockenhaus erinnern, stört allerdings, und der Tunnel-dunkle Eingang, der Mangel lichter, lockender Eintrittshallen mag Tadel wecken, der grandiose Treppenaufgang, oder richtiger Untergang, der edle stolze Stil des Uebrigen entschädigt reich. Jene Treppe, von wo aus die Mondabende wie gemalt aussehen, um mit unsern Künstlern zu reden, ist darum ein Untergang zu nennen, weil Niemand hinaufgehen, sondern die Menschheit zur Sommerszeit nur herunter gehen darf. Während der anderen Saisons konservirt sich diese jungfräuliche Treppe und ist blos zum Ansehen da. Hoch über ihr auf dem Frontengiebel fährt Apollo von dannen, oder wie der Berliner sagt, auf und davon mit zwei schwarzen, falbelhaften Bestien. Daß auf der anderen Seite die Heuschrecke, der Hippogryph, ebenfalls vom Hause fort galoppirt oder wenigstens trabt, ist natürlich von der Witzhypochondrie ausgebeutet worden, und man sagt, von der alten Kunst sei nur Herr Schneider übrig auf dem Schlachtfelde geblieben. Darin übertreibt Berlin, denn dieser Herr Schneider ist weder so gut, noch so schlecht, ein geborner Bediente, der für alles Gemeine und Freche ein recht hübsches Talent hat; daß er in seinen Rollen immer Herr Schneider ist, begegnet manchem großen Künstler.

Wo soll denn aber auch Apoll und das Musenroß hin! Besser doch, sie entfernen sich, als daß sie dem Publikum den Rücken kehrten und noch Schlimmeres, und solchergestalt die Giebel und das Haus verunzierten.

Das Gespann Apollo's, ein Paar krummbeinige und krummgeflügelte Drachen, ist glücklicherweise vom Publikum noch nicht enträthselt, und die deßfallsigen Witze sind uns bis jetzt geschenkt, denn es sind »Chimären«, mit denen der Pythische Gott in die Luft reis't, ein sinnig erdachtes und vortrefflich ausgeführtes Symbol für das Theaterhaus. Glückliche Zeit, wo die Chimären einen Gott ziehen konnten, in unsrer vernünftigen Welt erziehen sie keinen Viertelsgott mehr – wirklich? Ohne Chimäre lebt die Welt nicht vier und zwanzig Stunden mehr, sie entleibt sich in Masse bis zum gemeinsten Philister herab, welcher die Chimäre verachtet als unsolid. –

Die Baukunst ist in unsrer Natur und in unsrer Zeit übel daran, und deßhalb auch die Besprechung derselben; einen eignen schöpferischen Geschmack haben wir seit der Kirchenzeit nicht gehabt, und wir haben ihn heut noch nicht, es handelt sich immer nur um einen nachgemachten und angewandten, es fragt sich, ob griechisch oder römisch, oder byzantinisch oder gar maurisch. Sind wir doch einmal gar in einen schnörkelnden französischen gerathen, und daß wir uns da heraus und zu besseren Vorbildern gearbeitet, rechnen wir uns an wie eine Originalschöpfung. Erst beklagt unser Klima, das sieben Monat ordentlichen Winter und außerdem zwei Monate außerordentlichen hat, dann beklagt unsere Kunst, daß sie keine eigenthümlich schönen, selbstständigen Gebäude erfinden kann. Wir kennen noch keine Architekturschönheit ohne Luft- und Himmelsblicke, ohne Luftfreiheit, dergleichen können wir aber gar nicht brauchen, wenn wir nicht Schnupfen und Rheumatismen anbaun, oder Gebäude hinstellen wollen, die blos zum Ansehn aus der Ferne sind. Ein wirklich nordischer Geschmack war also nur der gothische Bau, eine wirklich selbstständige, nationale Erfindung; aller andere Stil ist nur mehr oder minder glücklich nachgebildeter Geschmack, und wir haben sonst noch immer keinen Stil, als den für den Süden, für Länder wo es warm, und die Erkältung nicht das dritte Wort ist, wie bei uns. Können wir mit Oefen und Witterungsrücksichten einen großen Stil haben, so soll es uns lieb sein, bis jetzt ist er noch nicht da.

Man hat Schinkel den Bramante Berlins genannt, und hinzugesetzt, daß er den Italiener übertreffe; sicherlich ist er bis jetzt der geschmackvollste Baumeister Berlins.

Das Glänzendste im Innern des Schauspielhauses ist der Concertsaal, welcher in prächtiger Weiße schimmert, und wo die Künstlerbüsten aus vielen Nischen in's moderne Licht hereinsehn. Das Theater selbst ist sehr behaglich und ohne Prätension hübsch; die Novelle passirte aber nicht hier, sondern in dem dunkler und anspruchsvoller geschmückten Opernhause.

Als ich in die Loge trat, saß vorn an der Brüstung eine verschleierte Dame. Sie war schwarz gekleidet, in ein großes Umschlagetuch gehüllt und verhielt sich ganz still, übrigens war die Loge noch leer.

 

Sie glauben gar nicht, wie entschlossen stolz und abweisend die Weiber Berlins waren, als die Franzosen im Jahre 6 und im Jahre 12 hier einrückten; aber lieber Gott, das Weib ist schwach, sagt Salomo; es waren schöne Leute bei der großen Armee, ein schöner Italiener hat besonders viel Liebe angerichtet. Solch ein Soldat hat doch auch wahrhaftig nicht Zeit, sich um Alles zu kümmern, das kommt, das geht. Hulda hieß das Mädchen, was 1814 ganz klein war, sie hat ihren Vater ihr Lebtag nicht gesehen, und den fremden Namen hatte sogar die Mutter vergessen. Aber das Mädchen wuchs doch schlank auf, hatte dunkle Augen, und weil sie halb italienisch Blut war, trug sie im Körbchen Orangen umher, und mit der Zeit war sie die hübsche Orangen-Hulda.

Sie kam eines Tages in ein schönes Parterrezimmer unter den Linden, in eins der chambres garnies, wo noch heute bewegliche Garçons zu finden sind. Ein langer junger Herr saß in seidnem Schlafrocke auf dem Sofa und frühstückte, obwohl es schon elf Uhr war. Er stand spät auf, und die Orangen paßten noch nicht recht, obwohl ein warmer Sonnentag draußen auf den Linden glitzerte. Aber ein hübsches Mädchen, wenn es auch ein schmutzig kattunen Fähnchen trägt, und der Teint vom Straßenleben sonnverbrannt ist, paßt einem frischen jungen Herrn immer. Und Cäsar war sehr hübsch und sehr munter. Hulda mußte sich zu ihm setzen und ihre Geschichte erzählen. Auf dem Tische lagen ungezählt in Häufchen große und kleine Goldstücke unordentlich umher – »ich habe kein Silbergeld, schöne Hulda, für Deine Orangen; nimm Dir da ein Paar Goldstücke, und setz Deinen Vorrath hin!«

Hulda hat in ihrem Leben erst ein einziges Mal solch ein Goldstück in der Hand gehabt, um es für einen reichen Herrn wechseln zu lassen, und sie war damals förmlich erschrocken, als sie so viel Thaler und Achtgroschenstücke für das gelbe Ding erhielt. Sie hatte seit der Zeit jene angenehme Furcht vor Goldmünzen, welche ein verliebtes Mädchen empfindet, wenn sie an den nahen Hochzeitstag denkt. Cäsar war ein Spieler; er reis'te Ostern und Michael nach Leipzig zur Messe, im Sommer nach Dobberan, oder wenn das Jahr sich arrangirte, gar bis hinaus nach Baden-Baden. Den Winter vertändelte er mit diesem und jenem Privatjeu in Berlin.

Es machte ihm Spaß, aus dem armen Orangenmädchen eine schöne Dame zu machen, er nahm sie sogar einen Sommer mit nach Dobberan, und hatte die Dreistigkeit, sie in der Badeliste seine Geliebte zu nennen, und in Berlin offen und ehrlich am hellen Tage Arm in Arm mit ihr spaziren zu gehn.

Die Spieler sind unsere modernen Rinaldinis, großmüthig, dreist, nach Umständen liebenswürdig, auf gute Manier von fremden Börsen lebend, und weil sie nichts Anderes sein können, starke Geister. Ich empfinde eine Art Respekt, ich staune den Muth an, wenn ich solch einen Gentleman des dreisten Stegereifs offen und ehrlich mit seiner Maitresse promeniren sehe; er genießt auch den Frühling im Thiergarten, spricht mit seinem Mädchen über die Schönheit der Witterung, ein Familienbezug zwischen ihm, zwischen dem Mädchen und der Welt existirt nicht, ein innerer Bezug zwischen ihm und dem Mädchen ist ebenfalls nicht da; morgen kann er ein ganz anderes eben so führen, sie kann von einem ganz anderen eben so geführt werden; sie sind eben eine Gestalt mit einer anderen, welche diesen Augenblick Sinne für einander haben, und äußerlich eben so aussehn, wie alle übrigen Leute, die eine durchwirkte, beziehungsreiche Geschichte der Gegenseitigkeit haben und am Arme umherführen.

Dieser Respekt, den ich empfinde, kann ein ganz falscher sein, es imponirt aber Alles, was man außer der Gesellschaft dreist und selbstständig auf sich beruhen und bestehen sieht. Der Mann hat vielleicht eben nur den leichten Sinn, keine Gedanken zu haben; er vergleicht nicht, und eine bürgerliche Schaam ist nur möglich, wo eine Vergleichung geweckt wird, es ist nicht die stolze Frechheit, ein eignes, einzelnes Recht sich anzumaaßen, denn dazu gehören auch Gedanken, es ist nicht die Freiheit des stolzen Menschen, der kein Opfer bringen will, es ist vielleicht nur die brutale Sorglosigkeit. Ob ihn die Leute kennen oder nicht kennen, was kümmert's ihn! Kennen Sie ihn, so wissen sie: das ist seine Maitresse, das macht in der großen Stadt jeder so, der das Geld dazu hat. Ob die andern Leute zu ihrer Begleiterin etwas Anderes sagen als das Nichts, was er der seinigen sagt, was kümmert's ihn! Er weiß davon nichts, er hat kein solches Interesse und er weiß auch, daß es ein Wort gibt, welches Vorurtheil heißt, und über welches sich starke Geister hinwegsetzen. Er weiß, daß er bequemer lebt, als andere Leute, und darum ein starker Geist ist; ob dies bequemere Leben aus einer Operation seines Geistes entspringt, oder aus dem Zufalle, dem Leichtsinne, das ist ihm einerlei.

Item, Hulda ward in dieser sorglosen Sinnenwelt geschaukelt, bis Cäsar eine hübschere fand, ihr seine Wohnung bis zum Ablaufe des Monats überließ, wo anders hin zog, mit einer Andern promeniren ging. Sie konnte ja wieder Orangen herumtragen; es waren mehrere Goldstücke im Sekretair liegen geblieben; sie konnte machen, was sie wollte.

Dies Mädchen nahm sich das zu Herzen, wie man sagt, kaufte sich einen schwarzen Schleier, ging einsam spaziren, machte die Bekanntschaft einer alten Gräfin, die sehr fromm ist, zog zu ihr, ging nur verschleiert aus, und da sitzt sie – diese Dame in der Loge ist Hulda.

Der Herr, welcher mir leise aus der rechts angrenzenden Loge dies erzählt hatte, wies mit dem Stöckchen auf sie. In diesem Augenblicke entstand lebhaftes Geräusch an der Thür, ein schöner Herr mit einem schwarzen Backenbarte trat mit einer Dame ein. Die Dame setzte sich vorn neben Hulda, der Herr hinter seine Dame. Er schwatzte sehr lustig mit ihr, und die verschleierte Hulda sah sich nur ein einziges Mal flüchtig nach ihm um.

 

Im Parterre stand ein junger Mensch, der unverwandt nach der Loge und nach Hulda's Schleier blickte. Er war ein Student bärtigen Angesichts, im bloßen Halse, mit einer großen Brille auf der Nase. Ein blondes Madonnengesichtchen saß neben ihm, die Tochter seiner Wirthin, daß Mädchen verehrte und liebte ihn, er nahm aber aus Grundsatz wenig Notiz davon, und sagte dies auch mit vielen Redensarten täglich dem blonden Kinde. Aber just wegen der Redensarten verstand sie ihn nicht recht, lächelte dazu und litt ein wenig.

Guido nämlich war aus der Provinz, und hatte vielerlei schwierige Dinge eifrig studirt, mitten aus diesen heraus war er in die große Stadt gerathen, und um recht großstädtisch zu sein, dachte er sich alle Verhältnisse derselben erstaunlich groß. Solch 'ne kleine Neigung zu einem Bürgermädchen war ihm das unbedeutendste Sandkörnchen einer Hauptstadt, sie mußte sich seines Erachtens verlieren wie ein Tropfen im Meere, sonst hielte sie ab, trennte von der stürmischen Allgemeinheit, machte kleinstädtisch. Dazu gerieth er obenein in die Lektüre moderner Schriftsteller, und stellte die dreisten Forderungen derselben auf die Spitze; nichts von Reiz und Glück, dessen ein junger Mensch nur habhaft werden könnte, wollte er sich entgehn lassen. Nur um Gotteswillen nicht am Einzelnen kleben, um Gotteswillen nicht von einer Spezialität sich verschlingen lassen, die Spezialität möge sein, was sie wolle.

Zu diesen auseinandergehenden größtstädtischen Tendenzen brachte er leider die kleinststädtische Gewohnheit; seine Spekulation; die er sich anlernte, war dreist und sorglos, sein eigentliches Wesen aber war schüchtern. Er hatte Hulda am Arme Cäsars gesehen, er hatte sie schön gefunden, er wollte ihr seine Maximen vortragen, ging ihr zu Gefallen, versäumte seine Studien, hatte aber nicht den Muth zu einer Anknüpfung. Er sah sie allein promeniren, als sie von Cäsar verlassen war, er vermuthete die größte tragische Heldin, er schwärmte in Kombination und Plänen; warum sie ihn nur nicht anredete! In fünf Minuten hätte sie sein ganzes System gewußt, in zehn Minuten wäre sie mit ihm einig gewesen, denn mehr Zeit mußte für eine Dame der großen Welt, für einen jungen Helden der neuen Welt nicht nöthig sein. Sie that es leider nicht, sie war noch nicht genug modern ausgebildet. Du mußt ihr schnell die letzten Aufschlüsse über Menschenverkehr geben, gleich bei der ersten Begrüßung, dachte er, wenn sie nur wenigstens einmal grüßte.

Himmel, was ist sie interessant, in diesem schwarzen Thränenschleier, sagte er zu sich im Parterre, wie vornehm und wie unglücklich mag sie sein, und gewiß um die Kleinigkeit der Liebe zu einem einzigen Menschen. Mit zwei Worten könntest Du sie bilden und aufrichten, heut willst Du's thun!

Aber, lieber Guido, warum antworten Sie mir denn gar nicht? fragte das Madonnengesichtchen –

Liebste, wie kann ich mich im Opernhause so vereinzeln, die hundert Eindrücke und Lockungen ringsum wie ein beschränkter Barbar ignoriren, wir können ja zu Hause reden – traurige Beschränktheit!

 

Es war ein prächtiger Sommervormittag in England, die Sonne warf eben die aufgestiegenen Nebel aus den höheren Luftkreisen und fiel mit jubelndem Glanze auf die hohen Bäume eines Parkes und auf die sammtgrünen Rasenplätze desselben.

Zwei junge Damen, welche dort ihr Frühstück verzehrten, setzten ihre Strohhüte auf, und die eine sprach:

Es wird warm, Flipp; warum zögern wir, nach Deutschland zu gehn, und uns Männer zu suchen in der Nation, die uns interessirt, weil wir ihre Literatur verstehen. Es ist hier Alles todt, was uns band, die Deutschen sind transcendental und doch auch witzig, sie sind die besten Ehemänner.

Yes, Mab, sprach die angeredete, und sie reis'ten auf der Stelle nach Deutschland, kamen in Dobberan an die Bank, und Mab verlor tausend Pfund und ihr kleines Herz an Cäsar. Man ging nach Berlin, um Hochzeit zu machen; Polterabend war ihnen nicht wünschenswerth, und so kamen sie in die Theaterloge, und Mab setzte sich neben Hulda.

In der Nebenloge links saß eine starke Dame mit stolzem Federhute; der Ausdruck ihres Gesichts war sehr verdrießlich, wenn sie aber grüßte, – und dies geschah nach einigen Seiten – so lächelte sie süß auf saurem Grunde; die Begrüßten erhielten ein Glas Essig, aber ein Stückchen Zucker dazu, was sie in den Mund nehmen konnten. Die Dame war von Stande, und war nur des Winters in der Hauptstadt, im Sommer gebar sie ihre Kinder und erzog sie, und ging in's Bad, um eine schlechte Taille zu konserviren. Sie war grau und gelb gekleidet, was man sagt sehr recherchirt, und hatte einen außerordenlich großen Opernkucker. Lange Zeit sah sie gegenüber auf einen leeren Platz, und es stand der Physiognomik nach Alles zu befürchten für den schüchtern hinter ihr stehenden magern Gemahl. Endlich erschien ein kompakter Dandy auf dem leeren Platze, die Dame setzte nun ihren Opernkucker auf die Brüstung, und sagte, beinahe lächelnd, über die Schulter zum Gatten: Der Baron hat wieder die schönste Weste im ganzen Hause – ja, meine Geschätzte, oui, oui, immer besten englischen Gout –

A propos englisch, sagte die Gattin, und erkannte jetzt Cäsar, und winkte mit der Fingerspitze, sein Ohr zu nähern.

Sie wollen solid werden, Vetter, hör' ich, und eine reiche Engländerin heurathen? Cäsar lächelte blos.

Sie Schalk! Viel Geld?

Er nickte. – Aber die Familie? Er zuckte mit den Achseln. Besuchen Sie uns auf dem Lande gelegentlich.

In dem Augenblicke wendete sich Mab zu ihr herum, die Dame griff nach ihrem Opernkucker, und Mab stand dicht an der Batterie. Zu ihrer Schutzwehr streckte sie die Zungenspitze ein klein wenig über die Lippen heraus und parirte damit. Mab sagte dann zu Cäsar, er möge ihr ein Glas Eis besorgen.

 

Ein junger, etwas verlebt, aber interessant aussehender Mann trat für einige Augenblicke in die Loge. Er schließt sich mit einem sehr langen, sehr nachgiebigen Bande von Amtlichkeit entweder an's Auswärtige, oder an's Kammergericht oder an die Regierung, die in Potsdam ihre Sessionen hat, ich weiß es nicht, aber er hat immer Zeit zu seinem Vergnügen, aber nicht immer Interesse genug, er kennt alle hübschen Mädchen, alle Opern, alle Weinhäuser, er wäre blasirt, wenn er Geist und Anspruch genug hätte, dies zu sein, und so geht und lacht er halb interessirt weiter. Er begreift es nicht, wie man in der einförmigen Provinz leben kann, er reis't auch nie. Wenn ich nicht irre, lebt er vom Kapitale seines bereits sehr angegriffenen Vermögens, wenn das zu Ende sein wird, lebt er noch eine Zeit lang vom Kredite desselben, was dann kommt, das findet sich, hält er's in der Misère nicht aus, so schießt er sich eine Kugel durch den Kopf.

Das neue Gesicht Mab's hatte ihn diesmal in die Loge gelockt – »er will sie, oder richtiger, sie will ihn wahrhaftig heurathen? Nun, das muß ich sagen, die englischen Guinéen werden unser jeu animiren. Nicht übel, gar nicht übel! Schönes Profil. A propos, Doctor, was sagen Sie zur Minna im Cirkus draußen? Straf mich Gott, das ist ja Hulda, die der Cäsar einmal hatte, ich erkenne sie am Nacken! Nun, das ist viel Liberalismus, diese beiden neben einander zu setzen, Hulda erzählt ja im lebhaften Feuer, und die Engländerin hört andächtig zu. Ob sie ihr die Nächte schildert, wenn wir bei Cäsar spielten, und sie Punsch einschenkte? Wahrhaftig in Gott, das ist bemerkenswerth!«

Er ließ die Lorgnette am Bande hinunter fallen und ging lächelnd.

An der Thür begegnete ihm ein Officier. –

»Wer ist die Dame mit dem englischen Gesichte? straf mich Gott, ein Vollblutgesicht, Sie kennen meine Fuchsstute, die Kitty, finden Sie nicht eine sprechende Aehnlichkeit? Eine komplett neue Erscheinung, sprechen Sie!«

Die Thür fiel in's Schloß, man hörte Cäsar hinzutreten, hörte Lachen und Bewegung.

 

Und über all dies zerknitterte Flittertreiben rauschte und wogte eine lebendige Opernmusik, die Tänzerinnen mit den kurzen, aufgebauschten Röckchen drehten sich und ihr stehendes Lächeln umher. Die große Oper, welche der Klassiker so vortrefflich findet, ist sehr geschickt erfunden für die große Welt im besseren Sinne des Wortes. Sie ist nicht da, um bestimmte, gesonderte Eindrücke, gesammelten Nachdruck einer Situation, eines Charakters hervorzubringen, sie soll nichts sein, als ein großer bewegter Hintergrund, eine Anregung, eine beliebige phantastische Welt neben der begrenzten, abgezirkelten Welt der bürgerlichen Gesellschaft. Die Fülle, der ungezählte Glanz, der mannigfache Reiz, Alles, was einzeln in gewöhnlicher Form nicht bewilligt ist, der ganze leichtsinnige Apparat der Sinne flüchtet sich in ein Ensemble hierher, und ist in den geordneten, den fleißigen, den mit Geschäft und Spekulation überladenen Leuten eine Erholung, man giebt sich einmal ohne Nachdenken der himmelblauen Woge des Beliebigen hin. Ihr wundert Euch, daß geistreiche, daß bedeutende Leute öfters in der großen Oper zu finden sind, als im Schauspiel, die gelernt dogmatischen oder nachsprechenden Kritiker haben ihr gerechtes Aergerniß an der großen Oper – seht doch tiefer hinein. Der Staatsmann, der Denker, der Dichter, der aus Geschäften Hervorkriechende, was findet er bequemer? Die bunte Farbenwelt einer wechselnden Oper oder das dürre Gerüst eines Drama's, was über abgestandene Interessen des Gedankens erbaut ist, worin er noch alle die Latten des beschwerlichen eignen Treibens wiedersieht, was er eben selbst verlassen hat? Erst wenn Ihr ein Drama erfunden habt, welches den wirklichen schönen Kern, den Aetherschaum unseres Lebens gefällig darlegt und damit reizt, dann fordert die Theilnahme der bewegten, großen Welt dafür. Und daneben laßt der mächtigen Stadt diese Geburt der freien Phantasie, die Schöpfung des Blutes, was in den Adern hüpft, was Glanz und Reiz und bunte Fernsicht wünschet, laßt ihr Oper und Ballet. Sie sind die heitere Verspottung der Convenienz, der engen Regel, der Polizeilichkeit, man sieht, man hört, man träumt, man läßt den Sinn spielen, man vergißt, man ist nicht in Anspruch genommen und doch nicht müßig, man empfängt Mährchengebilde, phantastische Reiche.

Womit könnt Ihr das sonst zu Stande bringen? Etwa mit Raupach oder mit der Orthographie? Geht!

In unsrer Loge war auch sehr unerwartet ein Mährchengebild empfangen worden. Mab blieb bis zu Ende der Oper die Liebenswürdigkeit selbst gegen Cäsar; als man aufstand, um fortzugehen, als Cäsar mit schäkernder Sicherheit ihr den Arm bot, lächelte sie, deutete auf Hulda, hob dieser den schwarzen Schleier auf, und sagte: Lieber Cäsar, diese Dame ist so hübsch wie ich, und die Oper hat mir unerwartete Nachrichten aus England gebracht, ich reise sogleich und habe keine Zeit zum Heurathen.

Damit schlüpfte sie nach der Thür.

Cäsar, man muß es gestehen, war ein Mann von Fassung, er hatte sich daran gewöhnt, mit einer einzigen Karte Alles umschlagen zu sehn, er sah Hulda lachend an, bot ihr den Arm und sagte: Du hast dies wahrhaftig gescheidter angefangen, als ich Dir zugetraut hätte.

Vor der Logenthür war wirklich der Student aufpostirt, und er gab sich mühsam ein Ansehn, als ob er Muth hätte. Mab fragte ihn schnell, ob er englisch verstünde, er antwortete in der Geschwindigkeit »Bitte recht sehr«, ob er sie hinunter zu ihrem Wagen führen wolle? Da diese Frage ebenfalls englisch geschah, so antwortete er noch einmal dasselbe; Mab's Diener war aber zur Hand, und sie verschwand mit diesem. Hulda ging an Cäsars Arm vorüber, es war dem Studenten zu verzeihn, daß er sich nicht schnell orientiren konnte.

Die starke Tante trat auch aus der Loge, lächelte entschieden süß dem herbei eilenden Baron entgegen, und fragte, auf Hulda weisend: Ist denn diese die Engländerin? Nein, meine Gnädige, dies ist eine parvenue, ein Orangemädchen von Geburt. Fi donc, mon époux, wandte sie sich zum schüchternen Gatten, zu welchen Betisen verleiten Sie!

Die arme kleine Madame im Parterre war durch das moderne Streben ihres Begleiters ohne Führung, der zweifelhafte Referendarius, welcher einen Augenblick in der Loge gewesen war, hatte dies mit seiner guten Lorgnette bemerkt, er eilte hinzu, bemächtigte sich ihres Armes, tröstete, und unterrichtete sie.

Der Student, als er sich allein auf der Straße fand, begriff äußerst deutlich, daß es zur völligen Modernität und zum Leben in der großen Stadt unerläßlich sei, englisch zu verstehen. Er nahm sich das ernstlich vor, und als er auf Umwegen spät nach Hause kam, fand er seine Wirthin und das Ausbleiben der Madonnentochter sehr sonderbar.


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