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VI.
Ostende

 

Ein schöner Weg längs einem von parkähnlichen Anlagen bekränzten Kanale führt von Gent nach Brügge, dessen Name für uns durch den letzten Roman Grattans wieder aufgefrischt worden ist. Brügge ist eine schöne Stadt, berühmt durch sein herrliches Denkmal Karls des Kühnen und mehr noch durch einen Ruhm, die schönsten Mädchen von Belgien zu besitzen.

Nobilis Bruxella viris, Antwerpia nummis,
Gandavum laqueis, formosis Bruga puellis,
Lovanium doctis, gaudet Malchinia stultis.

Das Letzte ist ein schlechtes Kompliment, hoffentlich auf Kosten der Unwahrheit und jetzt vielleicht nicht passender, als der Denkspruch auf die übrigen Schwesterstädte.

So wie man Brügge verläßt, wird die Gegend eintönig, öde, traurig. Das Land senkt sich immer mehr dem Meere zu; alles ist flach, nicht angebaut. Nur hier und da erblickt man ein vereinzeltes Haus. Eine schärfere Luft weht uns entgegen, wir nähern uns dem Meere, das uns bald eine Reihe von Deichen und die dahinter hervorragenden Masten verrathen. Ueber verschiedene Brücken und längs einigen Festungswerken fahren wir endlich in Ostende ein.

Die Stadt hat so oft von Feindes Wuth gelitten, daß alle Spuren ihres Alters darunter verloren gegangen sind. Die wenigen Straßen, die sie besitzt, sind jetzt alle modern und in sehr bescheidenem Style aufgebaut. Das Merkwürdigste an dem ganzen Orte ist, daß er kein süßes Wasser hat und daß man nicht vor die Thür gehen kann, ohne auf Engländer zu stoßen. Wie Heuschrecken haben sie sich hier niedergelassen und beherrschen Alles. Sie haben ihre Lebensweise, ihre Langeweile und ihren Spleen mitgebracht, von dem sich niemand hier losmachen kann. Die Luft ist dick von Melancholie und ladet förmlich ein zum Todtschießen, wenn man nicht früher aus Ennui umgekommen ist. Regnet es obenein, so recht anhaltend, in dünnen, ununterbrochenen Tropfen, wie jetzt, so kann man bei aller Frömmigkeit sich dem Teufel verschreiben, wenn er sich irgend hieher wagt.

Der einzige Spaziergang ist nach dem Meere, das von einem schönen Quai eingefaßt ist, hinter dem sich Wälle erheben, welche den schlechten Hafen beherrschen, der nur bei hoher Fluth das Einlaufen der Schiffe erlaubt, die sonst allenthalben auf Sandbänke gerathen können. Die See war gestern glatt wie ein Spiegel und brach sich nur am Strande schäumend gegen den Sand. Ich nahm noch schnell ein Bad und setzte mich dann oben auf eine Bank des Quais und erfreute mich an der immer neuen Schönheit eines Sonnenunterganges. Das Meer, das schon die Annäherung der Fluth zu empfinden schien, fing an, sich leicht zu kräuseln, und die letzten Strahlen der Sonne glitzerten in den Kreisen des Wassers und über die ganze Fläche hin liefen die verschiedensten Streiflichter. Es war ein Wechsel von Farben, wie man ihn vielleicht auf einem Bilde für unnatürlich halten würde, oft schroff gegen einander abstechend, dann sich wieder mit einander vermischend, braun, roth, grün, violett und zuletzt im Hintergrund sich nebelhaft verlierend und mit dem Himmel verbindend. In der ganzen ungeheuren Weite war nichts, was den Blick festgehalten hätte, nirgends ein Schiff. Nur ganz hinten zeigte sich ein bewegliches Wölkchen. Es war der Rauch eines Dampfschiffes, das vorüber nach London zog.

Das Meer ist erhaben, wenn es sich in seiner unermeßlichen Gewalt zeigt, aber so ruhig, eine unübersehbare Oede, macht es schwermüthig und sein eintöniges Rauschen ist nur geeignet, immer noch tiefer darin zu versenken.

– – – Als ich heute badete, sah es noch trüber aus. Es regnete und man konnte nur wenig vor sich sehen. Dazu war der Quai leer. Man sah nur die Leute, die zur Bedienung der Badekarren gehören, und allenfalls einen langen Engländer, der mit großen Schritten auf- und abging und dem Meer Trotz bot. Sonst alles verlassen, kein Laut als das Brausen der vom Winde etwas höher aufgetriebenen Wellen, die lang angeschwommen kamen und ihren Gischt gegen den Quai schleuderten. Man hatte mir so viel von dem Unangenehmen der Seebäder gesprochen, daß ich in dieser Beziehung mich wenigstens angenehm getäuscht sah. Das Wasser ist für die Jahreszeit noch ziemlich warm und das Anprallen der Wellen ist so arg nicht. Das Häßlichste ist, daß man so viel Salzwasser verschluckt, das nicht zu den Delikatessen gehört, welche das Meer liefert. Aber, wie gesagt, das Baden hier muß von großem Einflusse auf die Gesundheit seyn, um die Folgen aufzuwiegen, die der Mangel an Zerstreuung nothwendig auf den Geist und also auch auf den Körper haben muß. Jeder Arzt sollte von vornherein seinem Patienten vorschreiben, hierher nicht anders als in angenehmer Gesellschaft zu reisen. Doch muß man niemand Unrecht thun. Ostende hat zwar kein Theater, keine Lesebibliothek, aber ein Casino, das sich manche andere Städte zum Muster nehmen könnten. Das Lokal besteht aus fünf oder sechs Sälen, die alle zum Theil ganz reich, gewiß aber sehr geschmackvoll dekorirt sind und wo der Fremde sogar umsonst Zulaß erhält und auf so billige Weise die Bekanntschaft aller Badegäste, so wie aller Einheimischen machen kann. Die Fremden haben es nicht überall so gut. Leider sind die Herrschaften jetzt schon meist fort. Ich bin eine Stunde lang durch die glänzend erleuchteten Zimmer gelaufen und habe mich dabei amusirt, wie ein König, das heißt allein. Aber ich liebe die großen Säle. Es denkt sich hübsch, wenn man auf und ab durch sie geht. Uebrigens sollen noch verschiedene Leute gekommen seyn, als ich mich entfernte. Man versicherte mich, ich hätte unendlich viel verloren. Ein Tyroler hat mit seiner Frau gesungen: »C'etait charmant,« sagte eine alte Französin »tout à fait original.« Ich hatte den Tyroler schon in Antwerpen gesehen. Er ist aus Sachsen und seine Frau aus Hannover; sie gurgeln ihre Lieder auf gut Norddeutsch herunter und ihr Kostüm ist in Hamburg gemacht, und das des Mannes gar nicht für seine Spindelbeine eingerichtet.

Es ist nicht mehr hier auszuhalten. Ich glaube, ich bin der letzte Badegast. Bei Tische sind nur noch zwei Fremde, jene alte Französin, die, wie andere auf Bilder, auf's Meer reist. Sie hat es jetzt hier gesehen und geht nun nach Dünkirchen, Boulogne und Calais, um Vergleiche anzustellen; und dann eine junge Engländerin, die, als Gräfin Platen verkleidet, mit einer schwarzrothen Pandurenmütze herumläuft. Damit soll man sich zerstreuen! Grattan, der hier lebt und den ich gern gesprochen hätte, ist noch fort, um sich von dem Verluste eines Kindes zu erholen. Ich gehe fort.

– – – Der Abschied von Ostende war doch noch schön. Gegen Mittag hatte sich ein furchtbarer Sturm erhoben, ein Sturm, wie ihn die Aequinoctien fast jährlich über's Land schicken, stoßweise und immer wieder mit neuer Wuth aus irgend einem Winkel des Kompasses über die Wellen jagend. Ich hatte noch einige Stunden vorher gebadet und die Wellen gingen noch nicht besonders hoch, nur daß man ihnen eine größere innere Gewalt anspürte, gegen die man sich nur eben aufrecht erhalten konnte. Es schien, als ob die kleinen Dinger sich schon der Gewalt bewußt wären, zu der sie bald anwachsen würden. Und welch ein Schauspiel einige Stunden später! Der Vollmond hatte die Fluth zu ihrer höchsten Höhe herausgezogen und nun diese Wassermasse vom Orkan gepeitscht! Wie das tiefste, innerste Gefühl, die Offenbarung des Allerheiligsten im geistigen Leben, so läßt sich auch das Extrem der Naturkraft nicht mit Worten beschreiben. Das Ganze überwältigt uns und die Schilderung der einzelnen Theile, wenn deren aufzufassen sind, wo alles buchstäblich ineinander verschwimmt, gäbe keinen Begriff davon. So weit das Auge reichte – Woge an Woge, die schäumend übereinander stürzten und sogleich von neuen ersetzt wurden, ein riesiger Kampf ungeheurer Wellen, die sich untereinander packten, zerrissen und miteinander in das bodenlose Grab sanken, während schon wieder andere Kämpfer über sie hinbrausten. Dazu das Donnern des gegen das Ufer anprallenden Wassers, das Heulen des Windes: im sichersten Asyle überschlich einen ein banges Gefühl. Dort ein Segel, noch eins, wieder eins. Bis zwölf konnte man zählen, die auf der Rhede herumschwankten und eine Zuflucht im Hafen suchen wollten. Aber die Einfahrt in Ostende ist nicht leicht. Mit aufgerefften Segeln trieben sie näher, ihre Flaggen gehörten allen Nationen, von den fernsten Gegenden her waren Hoffnungen und Wünsche diesen schwankenden Häusern gefolgt, die ein Wink des Sturmes zum Sarge für Jugend und Liebe machen konnte. Wie mochte jeder froh aufathmen, als er den sichern Port vor sich sah, hinter sich das immer stärkende Rasen des Sturmes wußte. Da kracht es! Der am Ufer versammelte Menge entfährt ein Schrei des Entsetzens. Eins der Schiffe, ein gewaltiger Dreimaster, ist dem Balkenwerk, das in die See hinausgebaut ist und das jetzt von den Wellen übersprüht wird, zu nahe gekommen und dagegen aufgestoßen. Einen Augenblick hebt eine nachdrängende Welle das Hintertheil des Schiffes hoch auf, man zittert, es müsse sich überschlagen, da es vorne nicht nachgeben kann. Aber die Welle senkt sich wieder und läßt das Schiff herabfallen, eine geschickte Wendung gibt in demselben Momente dem Fahrzeuge eine Seitenrichtung und wieder frei fliegt es zurück in die See und biegt mit einer plötzlichen Wendung in den Hafen ein, den es glücklich mit einer geringen Havarie erreicht. Noch ein Schiff! Und wie, kein fliehendes! Es verläßt den Hafen, um dem Sturme entgegen zu ziehen, den Kampf mit ihm aufzunehmen? Es ist das Englische Postschiff, das um jeden Preis zu seiner bestimmten Zeit die Fahrt antreten, es wenigstens versuchen muß. In dichte Dampfwolken gehüllt, arbeitet es mit seinen mächtigen Schaufelrädern gegen die Elemente an, die menschliche Kunst ringt mit all ihrer Kraft gegen die Gewalt der Natur. Berg auf, Berg ab stürzt es durch die Wogen, hin und her geschleudert wie eine Nußschale von den Wellen, die es sich wie leichtes Spielwerk zuwerfen. Alles läuft voll banger Theilnahme auf die Jettée, aber dort ist nicht auszuhalten. Der Sturm wirft jeden um, der sich einige Schritte hinauswagen will und die Wellen sprühen sogar hinüber über den mehr als fünfzig Fuß hohen Damm, der sonst von der Fluth nur eben bespühlt wird. Ueberdies ist die Neugierde schon befriedigt. Das Dampfschiff wendet, es hat die Eitelkeit seines Strebens erkannt und kehrt beschämt zurück in den Port. Jetzt bricht noch ein Gewitter dazu aus, die Elemente sind ungestört Herren vom Kampfplatze geblieben und toben sich gegen einander aus: der Donner ist die Trommel, die zum Streite ruft und gelbe Blitze zucken rasch über die Gewässer, um den Sieg und den Widerstand der wuthschäumenden Ringer zu beleuchten. Lebe wohl, Ostende, wir haben einen guten Abschied genommen.

Es war ein wunderbarer Abstich, die bewegte See und die Spiegelglätte des Kanals, auf dem ich von Ostende nach Brügge und Gent fuhr. Eine bescheidene, von Pferden gezogene Barke glitt langsam und langweilig mit uns dahin und nur von Ferne erinnerte uns noch das Rollen des Donners an die furchtbare Scene, deren Zeuge wir eben gewesen waren. Der Regen sprühte in dünnen Tropfen auf das Verdeck, daß man nicht oben bleiben konnte und hinunter in die enge Kajüte mußte, wo man bald der trockenen Gesellschaft müde wurde und im engen Kämmerchen das Bett suchte. An Ruhe war freilich nicht zu denken. Der Lärm von allen Seiten, um und über einem, ließ es nicht so weit kommen und so war man froh, als es nur Tag wurde und man Gent vor sich sah, von wo es schnell weiter nach Brüssel ging.

Zwei Sachen hatte ich hier noch nicht gesehen, die niemand versäumen sollte: das eine ist das Grand Hospice, ein kolossales, herrlich eingerichtetes Gebäude, in dem über fünf hundert alte Leute beiderlei Geschlechtes Aufnahme und Unterhalt finden. Durch einen hübschen Garten tritt man in eine große Küche, in der in saubern, aber geräumigen Kesseln die Kost zubereitet wird, welche zweimal täglich und schmackhaft gereicht wird. Im ersten Stockwerke sind in vielen Sälen die eisernen Schlafstellen angebracht, alles wohl gelüftet und überhaupt sorgsam geordnet, besonders die Lingerie, wo für das ganze Personal die Wäsche in allen ihren verschiedenen Rubriken aufgeschichtet ist, daß für jeden Einzelnen auf der Stelle das Erforderliche gefunden werden kann. Ich glaube, es dürfte wenig Anstalten der Art geben, die es mit dieser aufnehmen könnten. Das Andere und noch Interessantere ist die Bibliotheque de Bourgogne, die, außer vielem Gedruckten, 12,000 Manuscripte enthält, worunter viele von der größten Wichtigkeit, die meisten aber auf die Belgische Geschichte bezüglich. Einige davon enthalten die köstlichsten Miniaturbilder, die guten Aufschluß über Kostüme und Sitten der ältesten Zeiten geben, so namentlich ein Werk aus der Zeit und auf Befehl Philipps des Guten abgefaßt. Die Bibliothek war früher so verwahrlost worden, daß man ihre Existenz kaum kannte. An eine Aufstellung war nicht zu denken. Erst durch ihre Reise nach Paris auf Befehl Napoleons ist ihr Verdienst wieder an den Tag gekommen und der jetzige Vorsteher, Herr Marchal, gab sich viele Mühe damit. Wahrscheinlich wird sie eine Unterabtheilung der größern Bibliothek bilden, die der Staat jetzt einrichten will (die schon existirende gehört der Stadt Brüssel). Der Bibliothekar ist in der Person des Herrn von Reiffenberg bereits ernannt. Es fehlen nur noch die Bücher und ein größeres Publikum, dem es um Bücher und Gelehrsamkeit zu thun ist.

Bis dahin – doch auf so lange wollen wir es uns nicht verschwören – also einstweilen wollen wir Brüssel Valet sagen. Der nächste Brief soll Ihnen von Holland und seinem Volke melden, das, wenn es auch eben so eingebildet, als das Belgische ist, doch am Ende weiß, worauf; das sich in seinem kleinen, selbstgeschaffenen Lande einen Ruhm erworben, der mehr als einmal die weite Welt durchdrungen hat.



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