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§ 1. Philal. Da Gott den Menschen zu einem geselligen Geschöpf bestimmt hat, hat er ihm nicht nur den Wunsch gegeben und ihn in die Notwendigkeit versetzt, mit seinesgleichen zu leben, sondern ihm auch das Vermögen der Sprache verliehen, die das große Hilfsmittel und das gemeinsame Band dieser Gesellschaft sein sollte. Das ist der Ursprung der Worte, welche dazu dienen, die Ideen zu vertreten und sogar zu erklären.
Theoph. Ich freue mich, daß Sie nicht der Ansicht des Hobbes sind, der nicht zugeben wollte, daß der Mensch für die Gesellschaft gemacht sei, indem er sich vorstellte, daß man nur durch die Notwendigkeit und durch die Bosheit von seinesgleichen dazu gezwungen worden sei Eine eingehende Kritik von Hobbes' Staatstheorie hat Leibniz in seiner Abhandlung »Méditation sur la notion commune de la justice« gegeben; s. Band II, S. 506 ff.. Er erwog aber nicht, daß die besten von jeder Bosheit freien Menschen sich, um ihren Zweck besser zu erreichen, vereinigen würden, wie die Vögel sich zusammenscharen, um in Gesellschaft besser zu reisen, und wie die Biber sich zu Hunderten vereinigen, um große Dämme zu bauen, was eine kleine Zahl dieser Tiere nicht zustande bringen könnte; und diese Dämme sind ihnen nötig, um Wasserbehälter oder kleine Seen anzulegen, in denen sie ihre Hütten erbauen und Fische fangen, von denen sie sich nähren. Dies ist der Grund der Geselligkeit der Tiere, soweit sie hierzu geeignet sind, keineswegs aber die Furcht vor ihresgleichen, die bei den Tieren kaum vorkommt.
Philal. Ganz recht; und um diese Geselligkeit besser zu pflegen, sind die Organe des Menschen von Natur in der Art geformt, daß sie fähig sind, artikulierte Laute zu bilden, die wir Worte nennen.
Theoph. Was die Organe betrifft, so sind die der Affen, wie es scheint, ebenso fähig, als die unseren, Worte zu bilden, und doch findet man nicht, daß sie hierzu irgendwelche Anstalten machen. Es muß ihnen also hierfür etwas fehlen, was nicht in die Sinne fällt. Ferner muß man in Betracht ziehen, daß man sprechen, d. h. durch die Laute des Mundes sich vernehmlich machen könnte, auch ohne artikulierte Laute zu bilden, wie man sich z. B. der Töne der Musik zu diesem Zwecke bedienen könnte. Um indessen eine Sprache der Töne zu erfinden, würde es mehr Kunst bedürfen, während die Sprache der Worte nach und nach durch Menschen, die sich in der natürlichen Einfachheit befinden, gebildet und vervollkommnet werden konnte. Doch gibt es Völker, wie die Chinesen, welche mittelst der Töne und Akzente ihre Worte, deren sie nur eine kleine Zahl besitzen, variieren. Golius, ein berühmter Mathematiker und großer Sprachkenner Jac. Golius, der von 1596-1667 lebte, Schüler und Nachfolger des Erpenius an der Leidener Universität, hat sich durch die Herausgabe mehrerer arabischer Werke, besonders aber durch sein arabisches Lexikon bekannt gemacht., meinte daher, daß ihre Sprache künstlich sei, d. h. daß sie von irgendeinem klugen Manne auf einmal erfunden worden sei, um einen sprachlichen Verkehr zwischen einer Menge verschiedener Nationen herzustellen, die jenes große Land, welches wir China nennen, bewohnen, wenn diese Sprache sich auch jetzt durch den langen Gebrauch verändert haben könnte.
§ 2. Philal. Wie der Orang-Utang und andere Affen die Organe besitzen, ohne Worte zu bilden, so kann man sagen, daß die Papageien und manche andere Vögel Worte haben, ohne deshalb Sprache zu besitzen; denn man kann diese Vögel dazu abrichten, ziemlich deutliche Worte zu bilden; dennoch sind sie keineswegs der Sprache fähig. Nur der Mensch ist imstande, sich dieser Laute als Zeichen innerer Gedanken zu bedienen, um sie dadurch anderen kund tun zu können.
Theoph. Ich glaube, daß wir ohne den Wunsch, uns verständlich zu machen, in der Tat niemals die Sprache gebildet haben würden; ist sie aber einmal ausgebildet, so dient sie dem Menschen auch dann, wenn er für sich allein denkt, sowohl dadurch, daß ihm die Worte Mittel an die Hand geben, sich abstrakter Gedanken zu erinnern, als auch durch die Förderung, die man beim Nachdenken durch den Gebrauch von Charakteren und tauben Gedanken findet; denn es würde zu viel Zeit erfordern, wenn man alles erklären und an die Stelle der einzelnen Termini immer ihre Definitionen setzen wollte.
§ 3. Philal. Da aber, wenn man zur Bezeichnung jedes besonderen Dinges ein bestimmtes Wort nötig gehabt hätte, diese Vermehrung der Worte ihren Gebrauch verwirrt haben würde, so ist die Sprache noch durch den Gebrauch allgemeiner Ausdrücke, die zur Bezeichnung allgemeiner Ideen dienen, vervollkommnet worden.
Theoph. Die allgemeinen Ausdrücke dienen nicht allein der Vervollkommnung der Sprachen, sondern sind sogar für ihre wesentliche Struktur notwendig. Denn wenn man unter den besonderen Dingen die individuellen Dinge versteht, so würde es unmöglich sein, zu sprechen, wenn es nur Eigennamen und keine Appellativa, d. h. wenn es nur Worte für die Individuen gäbe. Denn diese kehren in jedem Moment neu wieder, sofern es sich um individuelle Beschaffenheiten und vor allem um individuelle Handlungen handelt, die dasjenige sind, was man am häufigsten bezeichnet. Versteht man aber unter den besonderen Dingen die niedrigsten Arten ( species infimas), so ist es, – abgesehen davon, daß es sehr oft schwierig ist, sie fest zu bestimmen, – auch offenbar, daß dies schon auf die Ähnlichkeit gegründete allgemeine Begriffe sind Die Begriffsbildung kann mit anderen Worten, nach Leibniz, aus der Sprachbildung nicht abgeleitet werden, da vielmehr schon die ersten Anfänge der Sprache die Funktion des begrifflichen Denkens voraussetzen. Gegen den Gerhardtschen Text ist hier die Interpunktion geändert, statt »des individus, des accidents et particulièrement des actions« lese ich mit Streichung des Kommas »des individus des accidents« etc., d. h. wenn es sich um Individuelles auf dem Gebiete der (stets wechselnden) Akzidenzen oder Handlungen handelt; vgl. »individu d'accident«, Gerh. V, 300, Zeile 18.. Da es sich also, wenn man von Gattungen oder Arten spricht, nur um einen größeren oder geringeren Grad von Ähnlichkeit handelt, so ist es natürlich, jede Art von Ähnlichkeit oder Übereinstimmung zu bezeichnen und folglich allgemeine Termini jeglichen Grades anzuwenden; ja die allgemeinsten Termini sind, – da sie hinsichtlich der Ideen oder Wesenheiten, die sie einschließen, inhaltlich weniger erfüllt sind, wenngleich sie hinsichtlich der Individuen, denen sie zukommen, von größerem Umfang sind – am leichtesten zu bilden und am nützlichsten. So sehen Sie auch, daß die Kinder und diejenigen, die von der Sprache, welche sie sprechen wollen, oder von dem Gegenstand, von dem sie sprechen, nur wenig wissen, sich allgemeiner Bezeichnungen, wie Sache, Pflanze, Tier, bedienen, statt die besonderen Bezeichnungen anzuwenden, die ihnen fehlen. Und es ist sicher, daß alle Eigennamen oder individuellen Bezeichnungen ursprünglich Appellativa oder allgemeine Worte gewesen sind.
§ 4. Philal. Manche Worte, die man gebraucht, dienen sogar nicht dazu, um eine bestimmte Idee, sondern um den Mangel oder die Abwesenheit einer bestimmten Idee zu bezeichnen, wie Nichts, Unwissenheit, Unfruchtbarkeit.
Theoph. Ich sehe nicht ein, warum man nicht sagen könnte, daß es privative Ideen gibt, wie es auch negative Wahrheiten gibt, denn die Tätigkeit des Verneinens selbst ist positiv. Ich hatte hiervon schon vorher etwas erwähnt.
§ 5. Philal. Ohne darüber zu streiten, wird es, um dem Ursprunge aller unserer Begriffe und Erkenntnisse etwas näher zu kommen, nützlicher sein, darauf zu achten, wie die Worte, welche man zum Ausdruck für den Sinnen ganz entrückte Handlungen und Begriffe anwendet, ihren Ursprung aus den sinnlichen Vorstellungen ziehen, um alsdann in abstrusere Bedeutungen umgewandelt zu werden.
Theoph. Dies liegt daran, daß unsere Bedürfnisse uns gezwungen haben, die natürliche Ordnung der Ideen zu verlassen; denn diese Ordnung wäre den Engeln und Menschen, ja allen Intelligenzen überhaupt gemeinsam und müßte von uns befolgt werden, wenn wir nicht auf unsere besonderen Zwecke Rücksicht nähmen. Wir haben uns also dem anpassen müssen, was Gelegenheiten und Zufälle, denen unser Geschlecht einmal unterworfen ist, uns geliefert haben, und diese Ordnung gibt nicht den Ursprung der Begriffe, sondern sozusagen die Geschichte unserer Entdeckungen.
Philal. Sehr richtig, und zwar kann uns die Analyse der Worte an den Namen eben diese Verknüpfung kennen lehren, die die Analyse der Begriffe aus dem von Ihnen angeführten Grunde nicht geben kann. So sind die Ausdrücke: vorstellen, begreifen, anhänglich sein, erfassen, einflößen, einer Sache sattsein, Unruhe, Ruhe sämtlich von den Wirkungen sinnlicher Dinge entlehnt und auf bestimmte Modi des Denkens übertragen. Das Wort Geist ist seiner ersten Bedeutung nach so viel wie Wind und das Wort Engel bedeutet Bote. Daraus können wir abnehmen, welche Art von Begriffen diejenigen hatten, die jene Sprache zuerst redeten, und wie die Natur den Menschen den Ursprung und Anfang aller ihrer Erkenntnisse durch die Worte selbst unbewußterweise darbot.
Theoph. Ich habe Sie schon darauf aufmerksam gemacht, daß man in dem Glaubensbekenntnis der Hottentotten den heiligen Geist durch ein Wort bezeichnet hat, das bei ihnen einen wohltätigen und sanften Windeshauch bezeichnet. Das gleiche gilt von den meisten anderen Worten, und man erkennt dies sogar nicht immer, weil die wahren Etymologien in den meisten Fällen verloren gegangen sind. Ein Holländer, der der Religion wenig zugetan war, hat diese Wahrheit (daß nämlich die Ausdrücke der Theologie, Moral und Metaphysik ursprünglich von gemeinsinnlichen Dingen hergenommen sind) dazu mißbraucht, um in einem kleinen flamändischen Wörterbuche die Theologie und den christlichen Glauben lächerlich zu machen, indem er in boshafter Wendung den Ausdrücken nicht solche Definitionen und Erklärungen gab, wie der Sprachgebrauch es verlangt, sondern wie die ursprüngliche Bedeutung der Worte es zu fordern schien; und da er auch sonst Zeichen von Gottlosigkeit gegeben hatte, so wurde er, wie man sagt, im Raspelhaus dafür bestraft. Indessen ist es gut, diese Analogie der sinnlichen und unsinnlichen Dinge in Betracht zu ziehen, die den Tropen als Grundlage gedient hat; ein Zusammenhang, den man besser verstehen wird, wenn man ein sich sehr weit erstreckendes Beispiel, wie z. B. den Gebrauch der Präpositionen: zu, mit, von, vor, in, außer, durch, für, über, gegen, in Betracht zieht. Sie alle sind vom Ort, von der Entfernung und von der Bewegung hergenommen und nachher auf alle Arten von Veränderungen, Ordnungen, Folgen, Verschiedenheiten, Übereinstimmungen übertragen worden. Zu bedeutet, sich einer Sache nähern, wie wenn man sagt: Ich gehe zur Stadt. Da man nun aber ein Ding, wenn man es mit einem anderen zusammenfügen will, diesem anderen dort, wo die Vereinigung geschehen soll, nähert, so sagen wir, daß ein Ding zu einem anderen gefügt werde. Ja noch mehr: da in dem Falle, daß ein Ding aus dem andern nach moralischen Gründen folgt, zwischen beiden sozusagen eine immaterielle Verknüpfung besteht, so sagen wir, daß das, was aus den Bewegungen und Willensakten einer Person folgt, ihr zugehöre oder anhafte, wie wenn es auf diese Person abzielte, um auf sie zu oder neben ihr her zu gehen. Ein Körper ist mit einem anderen, wenn sich beide an demselben Orte befinden; aber man sagt auch, ein Ding sei mit einem anderen, wenn es sich im selben Zeitpunkt, in derselben Ordnung oder einem Teil derselben Ordnung, wie dieses, befindet oder an ein und derselben Handlung teilnimmt. Wenn man von einem bestimmten Orte kommt, so ist dieser Ort vermöge der sinnlichen Dinge, die er uns dargeboten hat, Objekt unserer Wahrnehmung gewesen und ist noch jetzt Objekt unseres Gedächtnisses, das von ihm ganz erfüllt ist, und daher kommt es, daß das Objekt mit dem Vorworte » von« bezeichnet wird, wie wenn man sagt, davon ist die Rede, man spricht davon, nämlich wie wenn man davon herkäme. Und da das, was in einem Orte oder einem Ganzen eingeschlossen ist, sich darauf stützt und mit ihm fortgenommen wird, so sieht man die Akzidenzien so an, als wären sie im Subjekt enthalten: ( sunt in subjecto, inhaerent subjecto). Das Wörtchen » über« wird gleichfalls auf das Objekt [des Denkens] angewandt, man sagt: Man denkt über ein Problem nach, ungefähr wie ein Arbeiter über das Holz oder über den Stein gebeugt sitzt, die er schneidet und formt. Da nun diese Analogien außerordentlich veränderlich und gar nicht von fest bestimmten Begriffen abhängig sind, so ergibt sich hieraus der außerordentlich verschiedene Gebrauch, den die Sprachen von diesen Partikeln und von den Fällen machen, welche die Präpositionen regieren oder in denen vielmehr diese Präpositionen stillschweigend mitgemeint und potentiell enthalten sind.