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§ 1. Philal. Außer den natürlichen Unvollkommenheiten der Sprache gibt es auch noch willkürliche, die durch Nachlässigkeit verschuldet sind; und es heißt die Worte mißbrauchen, wenn man eine so schlechte Anwendung von ihnen macht. Der erste und sichtbarste Mißbrauch ist (§ 2), daß man keine klare Idee mit ihnen verbindet. Es gibt zwei Arten solcher Worte: die einen haben niemals eine bestimmte Idee enthalten, weder ihrem Ursprunge noch ihrem gewöhnlichen Gebrauch nach. Die meisten Sekten in der Philosophie und Religion haben dergleichen Worte eingeführt, um irgendeine seltsame Meinung aufrechtzuerhalten oder irgendeinen schwachen Punkt ihres Systems zu verbergen. Dennoch werden sie als unterscheidende Kennzeichen im Munde der Parteigänger gebraucht. § 3. Andere Worte wieder bezeichnen zwar in ihrem ersten und gewöhnlichen Gebrauch eine klare Idee, doch hat man sie später auf sehr wichtige Gegenstände angewandt, ohne mit ihnen irgendeine bestimmte Idee zu verbinden. Auf diese Weise führen die Menschen oft die Worte Weisheit, Ruhm, Gnade im Munde.
Theoph. Ich glaube, daß es nicht so viel bedeutungslose Worte gibt, als man denkt, und daß man mit etwas Sorgfalt und gutem Willen entweder die leeren Laute mit Inhalt erfüllen oder ihre Unbestimmtheit fixieren könnte. Die Weisheit scheint nichts anderes zu sein, als das Wissen um das Glück. Die Gnade ist ein Gut, das Menschen verliehen wird, die es nicht verdient haben, sich aber in einem Zustande befinden, wo sie seiner bedürfen. Und der Ruhm ist der Ruf der Vortrefflichkeit eines Menschen.
§ 4. Philal. Ich will jetzt nicht untersuchen, ob über diese Definitionen etwas zu sagen ist, um lieber die Ursachen des Mißbrauchs der Worte anzumerken. Erstens lernt man die Worte früher als die Ideen, die zu ihnen gehören, kennen, und da die Kinder von der Wiege an hieran gewöhnt sind, so bedienen sie sich ihrer ebenso während ihres ganzen Lebens, um so mehr, als sie sich, ohne jemals ihre Idee streng zu bestimmen, nichtsdestoweniger im Gespräch verständlich machen können, indem sie verschiedene Ausdrücke gebrauchen, um den anderen das, was sie sagen wollen, begreiflich zu machen. Dies füllt indessen oft ihre Rede mit einer Menge leerer Laute an, besonders wenn es sich um Gegenstände der Moral handelt. Die Menschen nehmen die Worte an, die sie in ihrer Umgebung im Gebrauch finden, um nicht den Anschein zu erwecken, als wäre ihnen deren Bedeutung unbekannt, und wenden sie mit Zuversicht an, ohne ihnen einen bestimmten Sinn beizulegen: und wenngleich sie in Unterhaltungen dieser Art selten recht haben, so sind sie doch auch selten überzeugt, unrecht zu haben, und sie aus ihrem Irrtum reißen zu wollen, heißt einen Vagabunden aus seinen Besitz vertreiben wollen.
Theoph. In der Tat nimmt man sich so selten die gehörige Mühe, ein Verständnis der Ausdrücke oder Worte zu gewinnen, daß ich mich mehr als einmal darüber gewundert habe, daß die Kinder die Sprache so schnell erlernen können, und daß die Menschen noch so richtig reden; in Anbetracht, daß man sich so wenig bemüht, die Kinder in ihrer Muttersprache zu unterrichten, und daß auch die übrigen so wenig daran denken, sich klare Definitionen zu verschaffen; um so mehr als die, die man in den Schulen lernt, gewöhnlich nicht die Worte, welche im allgemeinen Gebrauch sind, betreffen. Übrigens gestehe ich, daß es den Menschen häufig widerfährt, Unrecht zu haben, selbst wenn sie ernsthaft disputieren und gemäß ihrer Überzeugung sprechen; doch habe ich auch oft genug bemerkt, daß sie in ihren spekulativen Streitigkeiten über Dinge, die die Fassungskraft ihres Geistes nicht übersteigen, sämtlich von beiden Seiten recht haben, ausgenommen in den Einwürfen, die sie widereinander geltend machen und in denen sie die Ansicht des Gegners falsch verstehen: ein Fehler, der durch den falschen Gebrauch der Ausdrücke und bisweilen auch durch den Widerspruchsgeist und eine angenommene Überlegenheit verschuldet wird.
§ 5. Philal. Zweitens ist der Gebrauch der Worte mitunter unbeständig; das kommt unter den Gelehrten nur zu oft vor. Dies ist jedoch eine offenbare Täuschung, und wenn sie mit Willen geschieht, Narrheit oder Bosheit. Wenn jemand in seinen Rechnungen so verfahren wollte (z. B. ein X für ein V zu nehmen), wer würde dann noch mit ihm zu tun haben wollen?
Theoph. Da dieser Mißbrauch nicht allein unter den Gelehrten, sondern auch in der großen Welt so allgemein ist, so glaube ich, daß er eher durch schlechte Gewohnheit und Unachtsamkeit als durch Bosheit verursacht wird. Gewöhnlich haben die verschiedenen Bedeutungen desselben Wortes eine gewisse Verwandtschaft; dies macht, daß die eine an die Stelle der andern tritt, und man nimmt sich nicht die Zeit, das, was man sagt, mit aller wünschenswerten Genauigkeit zu betrachten. Man ist an Tropen und Redefiguren gewöhnt, und eine gewisse Eleganz oder etwas Flitterglanz imponiert uns leicht. Denn zumeist sucht man das Vergnügen, die Unterhaltung und den Schein mehr als die Wahrheit, abgesehen davon, daß die Eitelkeit sich einmischt.
§ 6. Philal. Der dritte Mißbrauch ist eine affektierte Dunkelheit, sei es, daß man gewöhnlichen Ausdrücken ungewöhnliche Bedeutungen gibt, sei es, daß man neue Ausdrücke einführt, ohne sie zu erklären. Die alten Sophisten, die Lucian so vernünftig verspottet, bedeckten, indem sie sich anheischig machten, über alles zu sprechen, ihre Unwissenheit mit dem Schleier der Dunkelheit der Worte. Unter den Sekten der Philosophen hat sich die peripatetische durch diesen Fehler kenntlich gemacht; aber auch die übrigen Sekten, selbst unter den neueren, sind nicht ganz von ihm frei. Es gibt z. B. Leute, welche den Ausdruck Ausdehnung mißbrauchen und es für nötig halten, ihn mit dem Ausdruck Körper zu verwechseln.
§ 7. Die Logik oder die Kunst des Disputierens, die man so hoch geschätzt hat, hat nur dazu gedient, die Dunkelheit weiter bestehen zu lassen. Diejenigen, die sich ihr ergeben haben, sind für das Gemeinwesen unnütz oder vielmehr schädlich gewesen, § 9 während die Männer der mechanischen Fertigkeiten, welche von den Gelehrten so verachtet werden, dem menschlichen Leben genützt haben. Doch sind jene dunklen Doktoren von den Unwissenden bewundert worden, und man hat sie für unbesiegbar gehalten, weil sie mit Disteln und Dornen gepanzert waren, mit welchen sich einzulassen kein Vergnügen war; denn die Dunkelheit allein konnte der Ungereimtheit zur Verteidigung dienen. § 12. Das Schlimme ist, daß diese Kunst, die Worte zu verdunkeln, die beiden großen Richtmaße der menschlichen Handlungen, die Religion und das Rechtswesen, in Verwirrung gebracht hat.
Theoph. Ihre Klagen sind großenteils gerecht; doch gibt es, wenngleich nur selten, auch verzeihliche, ja sogar löbliche Dunkelheiten, wenn man nämlich ausdrücklich rätselhaft sein will und das Rätsel am Platze ist. In dieser Weise verfuhr Pythagoras, und ähnlich ist die Art der Orientalen. Die Alchimisten, welche sich Adepten nennen, erklären, nur von den Kindern der Kunst verstanden werden zu wollen. Dies wäre ganz gut, wenn diese angeblichen Kinder der Kunst nur den Schlüssel der Geheimschrift hätten. Eine gewisse Dunkelheit könnte erlaubt sein, doch muß sie etwas verbergen, was verdient erraten zu werden, und das Rätsel muß lösbar sein. Die Religion und die Rechtspflege dagegen verlangen klare Ideen. Der Mangel an Ordnung, den man beim Unterricht beider angewandt hat, hat ihre Lehre verwirrt gemacht, und die Unbestimmtheit der Ausdrücke kann hierbei mehr als die Dunkelheit schädlich sein. Wenn nun die Logik die Kunst ist, die die Ordnung und den Zusammenhang der Gedanken lehrt, so sehe ich keinen Grund, sie zu tadeln. Im Gegenteil geschieht es aus Mangel an Logik, daß die Menschen sich irren.
§14. Philal. Der vierte Mißbrauch besteht darin, die Worte für Dinge zu halten, d. h. zu glauben, daß die Ausdrücke der wirklichen Wesenheit der Substanzen entsprechen. Wer ist wohl in der peripatetischen Philosophie groß geworden und bildet sich nicht ein, daß die zehn Worte, welche die Prädikamente bezeichnen, der Natur der Dinge genau entsprechen? daß die substantiellen Formen, die Pflanzenseelen, der Horror vacui, die intentionellen Spezies etwas Wirkliches sind? Die Platoniker haben ihre Weltseele, und die Epikureer das Streben zur Bewegung, das die Atome im Zustand der Ruhe besitzen sollen. Wenn die Luft- oder Ätherwagen des Dr. Morus irgendwo in der Welt zur allgemeinen Anerkennung gekommen wären, so würde man sie nicht minder für wirklich angesehen haben.
Theoph. Hierbei werden nicht eigentlich die Worte für die Sachen genommen, sondern es wird etwas für wahr gehalten, was es nicht ist. Ein Irrtum, der allen Menschen nur allzu gewöhnlich ist, der aber nicht allein vom Mißbrauch der Worte abhängt, sondern in etwas ganz anderem besteht. Der Plan der Prädikamente ist sehr nützlich, und man sollte, statt sie zu verwerfen, lieber daran denken, sie zu verbessern. Die Substanz, die Quantität, die Qualität, das Handeln und Leiden und die Relation, d. h. fünf allgemeine Titel des Seins könnten mit den Begriffen, die aus ihrer Zusammensetzung entstehen, hinreichen, und haben Sie nicht selbst die Ideen bei ihrer Anordnung als Prädikamente geben wollen? Von den substantiellen Formen habe ich früher gesprochen. Auch weiß ich nicht, ob man hinlänglich Grund hat, die Pflanzenseelen zu verwerfen Zum Begriff der »vegetativen Seele« s. ob. Anm. 26 (Buch II).; denn sehr erfahrene und urteilsfähige Leute erkennen zwischen Pflanzen und Tieren eine große Analogie, und Sie selber haben, wie es scheint, Tierseelen zugelassen. Der horror vacui kann einen haltbaren Sinn haben: vorausgesetzt nämlich, daß die Natur einmal alle Räume angefüllt hat, und daß die Körper undurchdringlich und nicht zusammendrückbar sind, so kann sie kein Leeres zulassen; und alle diese drei Voraussetzungen halte ich für wohlbegründet. Von den intentionalen Spezies dagegen, welche den Verkehr zwischen Seele und Leib bewerkstelligen sollen, gilt dies nicht, wenngleich man vielleicht die sinnlichen Spezies, die von dem Objekt zu dem entfernten Organ übergehen, entschuldigen kann, wenn man darunter die Fortpflanzung von Bewegungen versteht Zur scholastischen Theorie des »species intentionales« vgl. Leibniz' Schreiben an Clarke (V, Nr. 84); Band I S. 198; vgl. auch Band I, Anm. 143.. Ich gebe zu, daß es keine Weltseele im Sinne von Platon gibt, denn Gott ist über der Welt als extramundana oder vielmehr supramundana intelligentia Gegen die Auffassung Gottes als »Weltseele« vgl. bes. Leibniz' fünftes Schreiben an Clarke Nr. 43ff., 82, 86ff., Band I, 180 ff., 197, 199 ff.. Ich weiß nicht, ob Sie unter der Tendenz zur Bewegung, die die Epikureer den Atomen beilegen, nicht die Schwere verstehen, welche sie ihnen zuschrieben; und diese war ohne Zweifel unbegründet, weil sie behaupteten, daß die Körper sich von selbst alle nach ein und derselben Seite bewegten. Der verstorbene Henry Morus, Theolog der englischen Kirche, war, so gescheit er sonst war, doch allzu leicht geneigt, Hypothesen zu schmieden, die weder verständlich noch wahrscheinlich waren, wie dies sein hylarchisches Prinzip der Materie bezeugt, das die Ursache der Schwere, der Elastizität und aller möglichen anderen Wunderwirkungen sein sollte. Über seine ätherischen Fahrzeuge habe ich Ihnen nichts zu sagen, da ich ihre Natur nicht geprüft habe Über Henry Mores Lehre vom »hylarchischen Prinzip« siehe bes. Band I, S. 186 (Anm. 128)..
§ 15. Philal. Ein Beispiel, das das Wort Materie uns liefert, wird Ihnen meinen Gedanken verständlicher machen. Man sieht die Materie als ein vom Körper verschiedenes, wirklich in der Natur vorhandenes Wesen an: und dies ist in der Tat von äußerster Evidenz, denn sonst könnte die eine dieser beiden Ideen unterschiedslos an die Stelle der anderen gesetzt werden. Nun kann man zwar sagen, daß eine und dieselbe Materie alle Körper bildet, nicht aber, daß ein und derselbe Körper alle Materien bildet. Ebensowenig wird man, denke ich, sagen, daß eine Materie größer ist als die andere. Die Materie drückt die Substanz und Solidität des Körpers aus, also haben wir so wenig einen Begriff von verschiedenen Materien als von verschiedenen Soliditäten. Seitdem man indes die Materie als den Namen für etwas angesehen hat, das in scharfer Unterscheidung existiert, hat dieser Gedanke unverständliche Reden und verworrene Streitigkeiten über die erste Materie hervorgerufen.
Theoph. Wie mir scheint, dient dies Beispiel eher dazu, die peripatetische Philosophie zu entschuldigen, als sie zu tadeln. Ist es, wenn alles Silber gestaltet wäre oder vielmehr weil in der Tat alles Silber durch die Natur oder die Kunst gestaltet ist, darum weniger erlaubt, zu sagen, daß das Silber ein in der Natur wirklich vorhandenes Wesen sei, das – wenn man es genau nimmt – vom Geschirr oder vom Gelde verschieden ist? Man wird doch darum nicht behaupten wollen, daß das Silber nichts anderes sei als eine bestimmte Eigenschaft des Geldes. Auch ist es nicht so nutzlos, als man denkt, in der allgemeinen Physik von der ersten Materie zu sprechen und deren Natur zu bestimmen, um zu wissen, ob sie immer einförmig ist, ob sie noch eine andere Eigenschaft als die Undurchdringlichkeit hat (wie ich in der Tat, nach Kepler, gezeigt habe, daß sie außerdem noch das, was man Trägheit nennen kann, besitzt Zum Begriff der Trägheit s. ob. S. 99 und Anm. 11 (Buch II)., wenngleich diese erste Materie sich niemals ganz nackt vorfindet: in demselben Sinne, wie wir auch das Recht hätten, vom reinen Silber zu reden, selbst wenn es auf Erden kein solches gäbe, und wir kein Mittel, es rein darzustellen, hätten. Ich mißbillige es also nicht, daß Aristoteles von der ersten Materie gesprochen hat, aber man kann sich nicht enthalten, diejenigen zu tadeln, die sich hiermit zu viel aufgehalten und hieraus Chimären geschmiedet haben, auf schlecht verstandene Worte dieses Philosophen hin, der vielleicht zu diesen Mißverständnissen und zu Gallimathias bisweilen allzu viel Anlaß gegeben hat. Doch soll man die Fehler dieses berühmten Schriftstellers nicht allzusehr übertreiben, weil man weiß, daß mehrere seiner Werke von ihm selbst nicht vollendet oder veröffentlicht worden sind.
§17. Philal. Der fünfte Mißbrauch besteht darin, die Worte an die Stelle von Sachen zu setzen, die sie in keiner Art bezeichnen oder bezeichnen können. Dies geschieht, wenn wir durch die Namen der Substanzen etwas mehr als dies sagen wollen: was ich Gold nenne, ist dehnbar (wiewohl das Gold dann im Grunde genommen gar nichts anderes bezeichnet als das, was dehnbar ist), und damit zu verstehen geben wollen, daß die Dehnbarkeit von der wirklichen Wesenheit des Goldes abhängt. Auch pflegen wir die Aristotelische Definition des Menschen als eines vernünftigen Tieres als gut, dagegen die Platonische, daß er ein Tier mit zwei Füßen ohne Federn und mit großen Nägeln sei, als schlecht zu bezeichnen. § 18. Es findet sich kaum jemand, der nicht voraussetzt, daß diese Worte ein Ding bezeichnen, das eine reale Wesenheit besitzt, von der diese Eigenschaften abhangen. Dies ist indessen ein klarer Mißbrauch, da dies in der zusammengesetzten Idee, die durch dieses Wort bezeichnet wird, nicht enthalten ist.
Theoph. Ich möchte vielmehr glauben, daß es offenbar unrecht ist, diesen allgemeinen Gebrauch zu tadeln, weil es sehr wahr ist, daß in der zusammengesetzten Idee des Goldes der Gedanke liegt, daß das Gold ein Ding ist, das eine reale Wesenheit besitzt, von der wir aber im einzelnen nichts anderes wissen, als daß solche Qualitäten, wie z. B. die Dehnbarkeit, von ihr abhängig sind. Um aber vom Gold die Dehnbarkeit auszusagen, ohne ein bloß identisches Urteil zu fällen und in den Fehler des Coccysmus oder der Wiederholung zu verfallen (siehe Kap. III, § 18) Im Text steht Chap. 8, § 18; die Verweisung bezieht sich indes offenbar auf das dritte Kapitel (oben S. 324) zurück; κοκκυσμός(eigentl. der Kuckucksruf): eine Definition, in welcher der Begriff, statt erklärt, lediglich wiederholt wird., muß man es noch an anderen Eigenschaften, wie z. B. an Farbe und Gewicht, erkennen. Es ist also, als wollte man sagen, daß ein gewisser schmelzbarer, gelber und sehr schwerer Körper, den man Gold nennt, eine Wesenheit hat, die ihm auch die Eigenschaft gibt, unter dem Hammer sehr weich zu sein und außerordentlich dünn geschlagen werden zu können. Was die dem Plato zugeschriebene Definition des Menschen betrifft, die er nur zur Übung aufgestellt zu haben scheint, und die Sie selbst, glaube ich, nicht im Ernst mit der allgemein angenommenen werden vergleichen wollen, so ist sie offenbar etwas zu äußerlich und vorläufig, denn wenn jener Kasuar, von dem Sie kürzlich gesprochen haben, zufällig lange Nägel besessen hätte, so wäre er damit ein Mensch gewesen, denn man hätte nicht erst nötig gehabt, ihm die Federn auszureißen, wie dies Diogenes mit jenem Hahn tat, den er, der Erzählung nach, zu einem Platonischen Menschen machen wollte.
§ 19. Philal. In den zusammengesetzten Modi erkennt man auch sogleich, daß man, sowie eine Idee, die in sie eingeht, wechselt, etwas anderes erhält, wie augenscheinlich in folgenden Wörtern der Fall ist: murther, welches auf Englisch (wie Mord im Deutschen) einen vorbedachten Totschlag bedeutet; manslaughter, ein in seinem Ursprunge dem Totschlag verwandtes Wort, es bezeichnet einen freiwilligen, aber nicht vorbedachten Totschlag; chancemedly (gemäß der Bedeutung des Wortes: ein zufällig eingetretenes Handgemenge) ein Totschlag, der ohne Absicht begangen wird. Was durch diese Worte ausgedrückt wird und was man als Eigenschaft der Sache ansieht (ich nannte es früher die nominale und die reale Wesenheit), ist hierbei dasselbe. Anders aber steht es mit den Namen der Substanzen, denn wenn einer in die Idee des Goldes etwas hineinlegt, was der andere nicht in ihm denkt, z. B. die Feuerfestigkeit und die Löslichkeit in Königswasser, so glaubt man darum doch nicht, daß man die Spezies gewechselt habe, sondern nur, daß der eine von der verborgenen realen Wesenheit, auf die man den Namen Gold bezieht, eine vollkommenere Idee als der andere besitzt, obwohl diese geheime Beziehung ohne Nutzen ist und nur dazu dient, uns zu verwirren.
Theoph. Ich glaube, es schon bemerkt zu haben, will Ihnen aber hier nochmals klar zeigen, daß sich das, was Sie eben ausgeführt haben, bei den Modi ebenso wie bei den substantiellen Wesen findet und daß man keinen Grund hat, diese Beziehung auf die innere Wesenheit zu tadeln. Hier ein Beispiel davon. Man kann eine Parabel im Sinne der Geometer als eine Figur definieren, in welcher alle Strahlen, die einer bestimmten Geraden parallel sind, durch die Reflexion in einen bestimmten Punkt, den Brennpunkt, vereinigt werden. Aber diese Idee oder Definition bezeichnet eher die äußere Beschaffenheit und die Wirkung, als die innere Wesenheit dieser Figur oder das, was uns unmittelbar eine Erkenntnis ihres Ursprungs geben könnte. Man kann anfangs sogar zweifeln, ob eine Figur, wie man sie hier verlangt und die diese Wirkung haben soll, etwas Mögliches ist, und daran läßt sich meiner Ansicht nach erkennen, ob eine Definition nur nominal und von bestimmten Eigenschaften hergenommen, oder ob sie zugleich real ist. Wer indes von der Parabel spricht und sie nicht anders als durch die eben angeführte Definition kennt, versteht darunter freilich eine Figur, die eine bestimmte Konstruktion oder Konstitution besitzt, von der er jedoch nichts weiß, die er aber kennen zu lernen wünscht, um die Figur zeichnen zu können. Ein anderer, der sie gründlicher kennt, wird irgendeine andere Eigenschaft hinzufügen und z. B. entdecken, daß in der verlangten Figur der Teil der Achse, welcher zwischen der Ordinate und der vom selben Punkte der Kurve gezogenen Perpendikularlinie liegt, stets konstant und der Entfernung des Scheitels vom Brennpunkte gleich ist. Somit wird er eine vollkommenere Idee als der erste haben und leichter dazu gelangen können, die Figur zu beschreiben, wenngleich auch er noch nicht so weit ist. Und doch wird man zugeben, daß dies dieselbe Figur ist, deren Wesen aber noch verborgen ist. Sie sehen also, daß alle die Eigentümlichkeiten, die Sie im Gebrauch der Worte, welche substantielle Dinge bezeichnen, finden, und die Sie teilweise tadeln, sich auch im Gebrauch der Worte, die sich auf zusammengesetzte Modi beziehen, zeigen und sich hier offenbar rechtfertigen lassen. Was Sie zu der Ansicht geführt hat, daß in dieser Hinsicht zwischen den Substanzen und den Modi ein Unterschied besteht, ist nur der Umstand, daß Sie hierbei nicht die schwer zu untersuchenden, verstandesmäßigen Modi in Betracht gezogen haben, die in allen diesen Punkten den Körpern gleichen, welche freilich noch schwerer zu erkennen sind.
§ 20. Philal. So fürchte ich also, daß ich das unterdrücken muß, was ich Ihnen über die Ursache dieses Mißbrauchs, wofür ich ihn ansah, sagen wollte. Sie könnte in dem falschen Glauben liegen, daß die Natur immer regelrecht handelt und jeder Art vermöge der spezifischen Wesenheit oder inneren Bildung, die wir in ihr voraussetzen und die stets mit demselben spezifischen Namen verbunden ist, feste Grenzen setzt.
Theoph. Sie sehen doch nun wohl am Beispiel der geometrischen Modi, daß man nicht allzu unrecht daran tut, sich auf die inneren und spezifischen Wesenheiten zu beziehen, wenngleich hier zwischen den sinnlichen Dingen – von denen wir, sie mögen nun Substanzen oder Modi sein, nur vorläufige Nominaldefinitionen haben und bei denen wir nicht leicht auf Realdefinitionen hoffen dürfen – und zwischen den schwer zu untersuchenden verstandesmäßigen Modi ein großer Unterschied besteht: denn wir können doch schließlich zu der inneren Beschaffenheit der geometrischen Figuren durchdringen In beiden Fällen haben wir es, nach Leibniz, nicht mit willkürlichen Vorstellungskombinationen – wie sie Lockes »gemischten Modi« (mixed modes) zugrunde liegen – sondern mit objektiv gegenständlichen Beschaffenheiten und Relationen zu tun; nur daß es sich das eine Mal um »ideale«, das andere Mal um »reale« Gegenstände handelt. Die ersteren sind dadurch ausgezeichnet, daß sich von ihnen zuletzt stets eine exakte (genetische) Definition gewinnen lassen muß, die ihre »Wesenheit« vollständig erschöpft, während bei den empirisch gegebenen wirklichen Substanzen jede Bestimmung ihres »Wesens« nur eine vorläufige und hypothetische sein kann..
§21. Philal. Ich sehe endlich, daß ich unrecht gehabt habe, diese Beziehung auf innere Wesenheiten und Beschaffenheiten unter dem Vorwande zu tadeln, daß wir dadurch unsere Worte zu Zeichen eines Nichts oder eines Unbekannten machen würden. Denn was in gewisser Beziehung unbekannt ist, kann auf eine andere Art erkannt werden, und das Innere wird zum Teil durch die Erscheinungen kenntlich, die aus ihm hervorgehen. Was die Frage betrifft, ob ein monströser Fötus ein Mensch ist oder nicht, so sehe ich ein, daß, wenn man auch nicht sofort darüber entscheiden kann, dies nicht hindert, daß die Art in sich selbst fest bestimmt sei, da unsere Unwissenheit an der Natur der Dinge nichts ändert.
Theoph. In der Tat ist es sehr gescheiten Geometern begegnet, daß sie die Natur mancher Figuren nicht erkannten, von denen sie mehrere Eigenschaften wußten, die den Gegenstand zu erschöpfen schienen. Es gab z. B. Linien, welche man Perlen nannte und von denen man sogar Quadraturen, sowie das Maß ihrer Oberflächen und der durch ihre Drehung erzeugten Körper gab, ehe man wußte, daß sie nur eine Zusammensetzung aus gewissen kubischen Paraboloiden seien Die Untersuchung dieser »Perlen« – deren allgemeine Gleichung durch die Formel byn = (c-x)pxm dargestellt wird – geht auf de Sluse (1622-1685) zurück, der vermittels ihrer Quadratur zu einer Quadratur des Kreises zu gelangen hoffte.. Indem man also diese Perlen zunächst als eine besondere Art betrachtete, hatte man von ihnen nur eine vorläufige Erkenntnis. Wenn dies in der Geometrie vorkommen kann, darf man sich da wundern, wenn es schwer ist, die Arten der körperlichen Natur zu bestimmen, die unvergleichlich mehr zusammengesetzt sind?
§ 22. Philal. Gehen wir zum sechsten Mißbrauch über, um die angefangene Aufzählung fortzusetzen, obwohl ich schon sehe, daß ich einige Punkte aufgeben muß. Dieser allgemeine, aber wenig bemerkte Mißbrauch besteht darin, daß die Menschen, nachdem sie gewisse Ideen durch einen langen Gebrauch mit gewissen Worten verknüpft haben, sich einbilden, daß dieser Zusammenhang evident sei und daß jedermann damit übereinstimme. Daher kommt es, daß sie es sehr sonderbar finden, wenn man sie nach der Bedeutung der von ihnen angewandten Worte fragt, selbst wenn dies absolut notwendig ist. Es gibt wenige, welche es nicht als eine Beleidigung aufnehmen würden, wenn man sie fragte, was sie darunter verstehen, wenn sie vom Leben reden. Doch genügt die vage Idee, die sie davon etwa haben mögen, nicht, wenn es sich darum handelt, zu wissen, ob eine Pflanze, die schon im Samen vorgebildet ist, oder ein Huhn, das in einem noch nicht bebrüteten Ei steckt, oder auch ein Ohnmächtiger, der ohne Empfindung und Bewegung ist, Leben haben. Und wenngleich die Menschen nicht so kurzsichtig oder nicht so lästig erscheinen wollen, um stets nach der Erklärung der gebrauchten Ausdrücke fragen zu müssen, noch als so unbequeme Kritiker gelten wollen, um andere wegen ihres Gebrauchs der Worte unaufhörlich zu tadeln, so muß man gleichwohl, wenn es sich um eine genaue Untersuchung handelt, zur Erklärung schreiten. Oft reden die Gelehrten verschiedener Parteien in den Schlußfolgerungen, die sie gegeneinander aufführen, nur verschiedene Sprachen und denken doch dasselbe, obwohl ihre Interessen vielleicht verschieden sind.
Theoph. Ich glaube mich hinlänglich über den Begriff des Lebens erklärt zu haben. Das Leben muß stets mit Perzeption in der Seele verbunden sein; sonst ist es nur ein Schein, wie jenes Leben, das die Wilden Amerikas den Taschenuhren oder Pendeluhren zuschrieben, oder das jene obrigkeitlichen Personen den Marionetten beilegten, die sie als von Dämonen beseelt ansahen, und derentwegen sie den, der dies Schauspiel zuerst in ihrer Stadt aufgeführt hatte, als Zauberer strafen wollten.
§ 23. Philal. Um zu schließen: so dienen die Worte: 1) unsere Gedanken verständlich zu machen, 2) um dies mit möglichster Leichtigkeit zu tun, 3) um uns in die Erkenntnis der Dinge einzuführen. Man fehlt im ersten Punkt, wenn man mit dem Wort keine bestimmte und feststehende oder keine allgemein angenommene und anderen verständliche Idee verbindet. § 23. Man fehlt gegen die Leichtigkeit des Ausdrucks, wenn man sehr verwickelte Ideen hat, ohne für sie genaue Namen zu haben; ein Fehler, der oft den Sprachen selbst, die keine Bezeichnungen haben, oft aber auch dem Menschen zur Last fällt, der sie nicht kennt; man hat alsdann große Umschreibungen nötig. § 24. Wenn aber die Ideen, die durch die Worte bezeichnet werden, mit der Wirklichkeit nicht zusammenstimmen, so fehlt man im dritten Punkt. § 26. 1) Wer die Ausdrücke ohne Ideen hat, ist wie einer, der nur ein Verzeichnis von Büchern hätte. § 27. 2) Wer sehr zusammengesetzte Ideen hat, wäre einem Menschen zu vergleichen, der eine Menge von Büchern in losen Blättern ohne Titel hätte und der das Buch nicht anders geben könnte, als indem er die Blätter eines nach dem anderen reicht. § 28. 3) Wer sich im Gebrauch der Zeichen nicht gleich bleibt, wäre wie ein Kaufmann, der verschiedene Dinge unter demselben Namen verkaufte. § 29. 4) Wer mit den allgemein angenommenen Worten besondere, ihm eigentümliche Ideen verknüpft, kann die andern durch die Einsicht, die er etwa haben mag, nicht aufklären. § 30. 5) Wer Ideen von Substanzen, die niemals gewesen sind, im Kopfe hat, kann in den realen Erkenntnissen keine Fortschritte machen. § 33. Der erste wird umsonst von der Tarantel oder der christlichen Liebe sprechen, der zweite wird neue Tiere sehen, ohne sie den andern auf leichte Art kenntlich machen zu können; der dritte wird den Körper bald für das Solide nehmen, bald für das, was nur Ausdehnung besitzt, und unter der Genügsamkeit wird er bald die Tugend, bald das Laster bezeichnen, das diesem Ausdruck nahesteht. Der vierte wird einem Maulesel den Namen Pferd geben, und der, den alle Welt einen Verschwender nennt, wird ihm als freigebig gelten, und der fünfte wird auf die Autorität des Herodot in der Tartarei eine Nation von Einäugigen suchen. Ich bemerke, daß die vier ersten Fehler sowohl bei den Namen der Substanzen, als auch bei denen der Modi, der letzte aber nur bei den Substanzen vorkommt.
Theoph. Ihre Bemerkungen sind sehr lehrreich. Ich möchte nur noch hinzufügen, daß es, wie mir scheint, auch in unseren Ideen von den Akzidenzien oder von den Bestimmungsweisen des Seins Chimärisches gibt, und daß also auch der fünfte Fehler den Substanzen und Akzidenzien gemeinsam ist. Der phantastische Schäfer war dies nicht nur, weil er glaubte, daß hinter den Bäumen Nymphen versteckt seien, sondern weil er auch stets irgendwelche romantische Abenteuer erwartete.
§ 34. Philal. Ich hatte die Absicht, zu schließen, doch erinnere ich mich noch des siebenten und letzten Mißbrauchs, welcher der der figürlichen Ausdrücke oder Anspielungen ist. Man wird indes Mühe haben, dies für einen Mißbrauch zu halten, weil das, was man Geist und Phantasie nennt, besser als die trockne Wahrheit aufgenommen wird. Nun ist dies bei den Unterhaltungen, bei denen man nur zu gefallen sucht, ganz gut; im Grunde aber dient (mit Ausnahme der Ordnung und Wahrheit, die sie hervorbringt) die gesamte rhetorische Kunst und alle diese künstlichen und figürlichen Anwendungen der Worte nur dazu, falsche Ideen zu erwecken, die Leidenschaften zu erregen und das Urteil irre zu führen, so daß es bloße Täuschungen sind. Gleichwohl weist man dieser trügerischen Kunst den ersten Rang an und gibt ihr die größten Belohnungen, weil die Menschen sich nicht viel um die Wahrheit kümmern und es vorziehen, zu täuschen und sich täuschen zu lassen. Dies ist so wahr, daß ich nicht zweifle, man werde das soeben gegen jene Kunst Gesagte als die Wirkung einer maßlosen Kühnheit betrachten. Denn die Beredsamkeit hat gleich dem schönen Geschlecht Reize, die zu mächtig sind, als daß es gestattet wäre, sich dagegen aufzulehnen.
Theoph. Weit entfernt, Ihren Eifer für die Wahrheit zu tadeln, finde ich ihn gerecht, und es wäre zu wünschen, daß er Wirkung hätte. Ich verzweifle nicht gänzlich daran; denn es scheint, daß Sie die Beredsamkeit mit ihren eigenen Waffen bekämpfen, ja daß Sie eine andere Art Beredsamkeit besitzen, die jener trügerischen überlegen ist: wie es eine Venus Urania, die Mutter der himmlischen Liebe, gab, vor welcher jene andere Bastardvenus, die Mutter einer blinden Liebe, nebst ihrem Sohne, der die Binde vor den Augen trägt, nicht zu erscheinen wagte. Aber gerade dies beweist, daß Ihre These einer gewissen Einschränkung bedarf und daß manche rhetorische Zieraten jenen ägyptischen Gefäßen zu vergleichen sind, deren man sich zum Dienste des wahren Gottes bedienen konnte. Es ist damit wie mit der Malerei und der Musik, wenn man sie mißbraucht; denn dann stellt die eine oft groteske, ja selbst schädliche Phantasien dar, während die andere das Gemüt verweichlicht, und beide bereiten nur ein eitles Vergnügen: aber sie können nichtsdestoweniger nützlich angewendet werden, die eine, um die Wahrheit klar, die andere, um sie ergreifend zu machen – welch letztere Wirkung auch die Poesie haben muß, die zwischen der Rhetorik und Musik die Mitte hält.