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Kapitel III.
Von den allgemeinen Ausdrücken.

§ 1. Philal. Obgleich es nur besondere Dinge gibt, so besteht der größte Teil der Wörter nichtsdestoweniger in allgemeinen Ausdrücken, weil es unmöglich ist, – § 2 daß jede besondere Sache einen besonderen und bestimmten Namen für sich haben kann, abgesehen davon, daß hierfür ein wunderbares Gedächtnis nötig wäre, gegen welches dasjenige mancher Feldherren, die alle ihre Soldaten bei Namen nennen konnten, nichts sein würde. Die Sache würde sogar ins Unendliche gehen, wenn jedes Tier, jede Pflanze, ja jedes Pflanzenblatt, jedes Samenkorn, jedes Sandkörnchen, für das man eine Bezeichnung nötig haben könnte, seinen eigenen Namen haben müßte. Und wie soll man die sinnlich nicht mehr unterscheidbaren Teile der Dinge, z. B. die des Wassers, des Feuers, benennen? § 3. Zudem wären diese besonderen Namen unnütz, weil der Hauptzweck der Sprache darin besteht, im Geiste dessen, der mich hört, eine Idee, die der meinen ähnlich ist, zu erwecken. Also genügt die Ähnlichkeit, welche durch die allgemeinen Ausdrücke bezeichnet wird. § 4. Auch würden die besonderen Worte allein nicht dazu dienen, unsere Erkenntnisse zu erweitern, noch auch dazu, von der Vergangenheit einen Schluß auf die Zukunft oder von einem Individuum einen Schluß auf ein anderes zu ziehen. § 5. Da man indes oft von bestimmten Individuen, besonders von solchen unserer Art, sprechen muß, so bedient man sich der Eigennamen, die man auch den Ländern, Städten, Bergen und anderen Ortsunterscheidungen gibt. Die Roßhändler geben sogar ihren Pferden Eigennamen, wie es auch Alexander mit seinem Bucephalus tat, um dies oder jenes besondere Pferd, wenn es ihnen nicht vor Augen ist, unterscheiden zu können.

Theoph. Diese Bemerkungen sind gut und stimmen zum Teil mit denen, die ich soeben gemacht habe, überein. Aber ich möchte im Verfolg dessen, was ich schon bemerkt habe, hinzufügen, daß die Eigennamen gewöhnlich Appellativa, d. h. ursprünglich allgemeine Ausdrücke gewesen sind, wie Brutus, Cäsar, Augustus, Capito, Lentulus, Piso, Cicero, Elbe, Rhein, Ruhr, Leine, Ocker, Bucephalus, Alpen, Brenner oder Pyrenäen; denn man weiß, daß der erste Brutus diesen Namen von seinem anscheinenden Stumpfsinn hatte, daß Caesar der Name für ein Kind war, das man durch einen Schnitt aus dem Mutterschoß gezogen, daß Augustus ein Ehrenname war, daß Capito wie auch Bucephalus Dickkopf bedeutet, daß Lentulus, Piso und Cicero ursprünglich Namen waren, die man Leuten gab, die speziell gewisse Gemüsearten zogen. Was die Namen der Flüsse, Rhein, Ruhr, Leine, Ocker, bedeuten, habe ich schon gesagt. Man weiß auch, daß in Skandinavien noch alle Flüsse »Elbe« genannt werden. »Alpen« endlich sind Berge, die mit Schnee bedeckt sind (womit album, weiß, stimmt), und Brenner oder Pyrenäen bedeutet eine große Höhe, denn bren war hoch, oder Haupt (Anführer, wie Brennus im Keltischen), wie noch bei den Niedersachsen Brinck Höhe bedeutet, und zwischen Deutschland und Italien gibt es einen Brenner, wie die Pyrenäen zwischen Gallien und Spanien gelegen sind. Demnach möchte ich zu behaupten wagen, daß fast alle Worte ursprünglich Gemeinausdrücke sind, weil es sehr selten vorkommen wird, daß man, um dies oder jenes Individuum zu bezeichnen, ohne Grund ausdrücklich einen eigenen Namen erfindet. Man kann also sagen, daß die Namen der Individuen Gattungsnamen waren, die man vorzugsweise oder unterschiedlich irgendeinem Individuum beilegte, wie man den Namen Dickkopf in der ganzen Stadt demjenigen gab, der von allen dicken Köpfen, die man kannte, den größten oder auffallendsten hatte. So gibt man auch den Arten Geschlechtsnamen, d. h. man begnügt sich, um die spezielleren Arten zu bezeichnen, mit einem allgemeinen oder unbestimmten Worte, indem man sich um die Unterschiede nicht weiter kümmert. Man begnügt sich z. B. mit dem allgemeinen Namen Wermut, obgleich es davon so viel Arten gibt, daß einer der Bauhins darüber ein eigenes Werk geschrieben hat Leibniz meint den älteren Bauhin, mit Vornamen Jean, und spielt an auf dessen Werk: de plantis absinthii nomen habentibus, welches 1595 und 1599 zu Montbeliard erschienen ist, wo Bauhin als Leibarzt des Herzogs Ulrich von Würtemberg-Montbeliard lebte und starb. Sein Hauptwerk aber ist die allgemeine Geschichte der Pflanzen, welches er mit J. J. Cherler, seinem schweizerischen Landsmann, zusammen verfaßte und 1650-1651 zu Yverdun in drei Folianten erscheinen ließ (Sch.)..

§ 6. Philal. Ihre Bemerkungen über den Ursprung der Eigennamen sind sehr richtig; um aber auf die Appellativa oder allgemeinen Ausdrücke zu kommen, so werden sie ohne Zweifel zugeben, daß die Worte allgemein werden, wenn sie als Zeichen von allgemeinen Ideen dienen, und daß die Ideen allgemein werden, wenn man durch Abstraktion die Zeit, den Ort, oder diesen oder jenen anderen Einzelumstand, der sie zu dieser oder jener besonderen Existenz bestimmen kann, von ihnen abtrennt.

Theoph. Ich leugne diese Anwendung der Abstraktion nicht, aber sie gilt mehr beim Aufsteigen von den Arten zu den Gattungen, als beim Aufsteigen von den Individuen zu den Arten. Denn es ist uns, so paradox dies auch erscheinen mag, unmöglich, die Individuen zu erkennen oder die Individualität irgendeiner Sache genau zu bestimmen, ohne die Sache selber festzuhalten, denn alle Umstände können wiederkehren; die kleinsten Unterschiede sind uns unmerklich; Ort und Zeit, weit entfernt, für sich bestimmend zu sein, müssen vielmehr selbst durch die Dinge, die sie enthalten, bestimmt werden. Das Bemerkenswerteste hierbei ist, daß die Individualität die Unendlichkeit in sich schließt, und daß nur derjenige, der das Unendliche zu begreifen imstande ist, die Erkenntnis des Prinzips der Individuation dieser oder jener Sache besitzen kann; was eine Folge des wechselseitigen Einflusses ist (dieses Wort in seinem richtigen Sinne genommen), den alle Dinge des Weltalls aufeinander ausüben. Das wäre freilich nicht so, wenn es demokritische Atome gäbe, aber dann würde es auch keinen Unterschied zwischen zwei verschiedenen Individuen von gleicher Gestalt und Größe geben.

§7. Philal. Dennoch ist es klar, daß die Ideen, die die Kinder sich von den Personen bilden, mit denen sie umgehen (um bei diesem Beispiel stehen zu bleiben), den Personen selbst ähnlich und nur besondere sind. Die Vorstellungen, die sie von ihrer Amme oder ihrer Mutter haben, sind ihrem Geiste wohl eingeprägt, und die Namen » Amme« oder » Mama«, deren die Kinder sich bedienen, beziehen sich nur auf diese Personen. Wenn sie dann mit der Zeit bemerken, daß es viele andere Wesen gibt, die ihrem Vater oder ihrer Mutter gleichen, so bilden sie eine Idee, an der, wie sie finden, alle diese besonderen Wesen gleichmäßig teilhaben, und geben ihr, gleich den anderen, den Namen Mensch. § 8. Auf dem nämlichen Wege erwerben sie allgemeinere Namen und Begriffe; so wird z. B. die neue Idee »lebendes Wesen« nicht dadurch gebildet, daß man irgendeinen neuen Bestandteil hinzufügt, sondern nur dadurch, daß man die Gestalt oder die besonderen Eigenschaften des Menschen fortläßt und lediglich den Gedanken eines Körpers, der mit Leben, Gefühl und selbständiger Bewegung begabt ist, festhält.

Theoph. Sehr gut; aber dies beweist nur das, worauf ich soeben hingewiesen habe; denn wie das Kind durch Abstraktion von der Auffassung der Idee des Menschen zu der der Idee des lebenden Wesens fortgeht, so ist es auch von der spezielleren Idee, die es sich von seiner Mutter oder seinem Vater oder von anderen Menschen gemacht hat, zur Idee der menschlichen Natur gelangt. Denn daß es keine genaue Idee des Individuums hatte, läßt sich schon daraus ersehen, daß es sich auf Grund einer mäßigen Ähnlichkeit leicht täuschen und eine andere Frau für seine Mutter halten würde, die es nicht wäre. Sie kennen die Geschichte von dem falschen Martin Guerra, der sogar die Frau des wirklichen und dessen nächste Verwandten durch seine Ähnlichkeit mit ihm, die er geschickt ausnutzte, täuschte, und der die Richter, selbst nachdem der echte angekommen war, lange in Verlegenheit setzte.

§ 9. Philal. So kommt also dies ganze Mysterium von der Gattung und den Arten, von dem man in den Schulen so viel Lärm macht, das aber außerhalb derselben mit Recht so wenig beachtet wird, einzig auf die Bildung abstrakter Ideen von größerem oder geringerem Umfang hinaus, denen man gewisse Namen gibt.

Theoph. Die Kunst, die Dinge in Geschlechter und Arten zu ordnen, ist von nicht geringer Bedeutung und dient sowohl dem Urteil als dem Gedächtnis erheblich. Sie wissen, von welcher Wichtigkeit dies in der Botanik ist, ohne hier von den Tieren und anderen Substanzen, und ohne auch von den moralischen und begrifflichen Wesen, wie einige sie nennen, zu reden. Die Ordnung hängt zum guten Teil hiervon ab, und manche gute Schriftsteller schreiben derart, daß ihr ganzer Vortrag sich auf Einteilungen oder Untereinteilungen zurückführen läßt, gemäß einer Methode, die der der Gattungen und Arten verwandt ist und die nicht nur dazu dient, die Dinge zu behalten, sondern sie sogar zu finden. Auch haben diejenigen, die alle Arten von Begriffen unter gewisse Titel oder Prädikamente verteilt haben, etwas sehr Nützliches vollbracht.

§ 10. Philal. Bei der Definition der Worte bedienen wir uns der nächsthöheren Gattung oder des nächsthöheren allgemeinen Ausdruckes, und zwar geschieht dies, um sich die Mühe zu sparen, die verschiedenen einfachen Ideen, die diese Gattung bedeutet, aufzuzählen, oder vielleicht mitunter auch, um uns die Schande zu sparen, daß wir diese Aufzählung nicht machen können. Obgleich aber die Definition durch das Geschlecht und den (artbildenden) Unterschied, wie die Logiker sich ausdrücken, der kürzeste Weg ist, so kann man doch meines Erachtens daran zweifeln, ob es der beste sei; zum mindesten ist es nicht der einzige. In der Definition, welche besagt, daß der Mensch ein vernünftiges Tier sei (eine Definition, die vielleicht die genaueste nicht ist, aber dem vorliegenden Zweck hinlänglich dient), könnte man an die Stelle des Wortes Tier seine Definition setzen. Dies zeigt, wie wenig notwendig die Regel ist, daß eine Definition aus Geschlecht und Artunterschied bestehen müsse, und wie wenig vorteilhaft es ist, sie genau zu beobachten. Auch sind die Sprachen nicht immer nach den Regeln der Logik gebildet, so daß die Bedeutung jedes Ausdruckes nicht immer durch zwei andere genau und klar ausgedrückt werden kann. Die, welche diese Regel gemacht haben, haben auch unrecht daran getan, uns so wenig Definitionen zu geben, die ihr gemäß sind.

Theoph. Ich bin mit Ihren Bemerkungen einverstanden, gleichwohl würde es aus vielen Gründen vorteilhaft sein, wenn die Definitionen aus zwei Ausdrücken gebildet werden könnten. Dies würde ohne Zweifel die Sache sehr abkürzen, und alle Einteilungen könnten auf Dichotomien zurückgeführt werden, die die beste Art der Einteilungen und für die Erfindung, das Urteil und das Gedächtnis sehr förderlich sind. Ich glaube indessen nicht, daß die Logiker stets verlangen, daß das Geschlecht oder der Artunterschied in einem einzigen Worte ausgedrückt werde. So kann z. B. der Ausdruck regelmäßiges Polygon als die Gattung des Quadrats gelten; und beim Kreis könnte als Gattung der Begriff der ebenen krummlinigen Figur gelten, während der Artunterschied in der Bedingung bestünde, daß alle Punkte der Peripherie von einem bestimmten Punkte, als Mittelpunkt, gleich weit entfernt sind. Übrigens ist noch zu bemerken, daß das Geschlecht oft mit dem Artunterschied und dieser mit dem Geschlecht vertauscht werden kann (z. B. das Quadrat ist eine vierseitige regelmäßige Figur oder aber das Quadrat ist ein regelmäßiges Vierseit), so daß es scheint, als ob Geschlecht und Artunterschied nur wie Substantiv und Adjektiv sich voneinander unterscheiden: wie wenn, statt daß man sagt: der Mensch ist ein vernünftiges Tier, die Sprache den Ausdruck verstattete, der Mensch sei ein tierisch Vernünftiges, d. h. eine vernünftige Substanz, die mit einer tierischen Natur begabt ist, während die Geister vernünftige Substanzen sind, deren Natur nicht tierisch ist, d. h. mit den Tieren nichts gemein hat. Und zwar hängt die Möglichkeit dieses Wechsels von Gattungen und Artunterschieden von der Veränderung der Ordnung in den Unterabteilungen ab.

§ 11. Philal. Aus dem, was ich eben gesagt habe, folgt, daß das, was man allgemein und universell nennt, nicht zum Dasein der Dinge gehört, sondern ein Werk des Verstandes ist. § 12. Und die Wesenheiten jeder Art sind nur abstrakte Ideen.

Theoph. Ich sehe diese Folgerung nicht völlig ein. Denn die Allgemeinheit besteht in der Ähnlichkeit der einzelnen Dinge untereinander, und diese Ähnlichkeit ist eine Realität.

§ 13. Philal. Ich wollte Ihnen schon selbst sagen, daß die Arten sich auf Ähnlichkeiten gründen.

Theoph. Warum sollen wir also hierin nicht auch das Wesen der Gattungen und Arten suchen?

§ 14. Philal. Man wird weniger überrascht sein, mich sagen zu hören, daß die Wesenheiten das Werk des Verstandes sind, wenn man in Betracht zieht, daß es zum mindesten komplexe Ideen gibt, die sich dem Geiste verschiedener Personen oft als ganz verschiedene Verbindungen einfacher Ideen darstellen: so ist das, was im Geist des einen Menschen Geiz ist, im Geist eines andern nicht dasselbe.

Theoph. Ich gestehe Ihnen, daß ich in wenigen Punkten die Gültigkeit Ihrer Folgerungen weniger eingesehen habe als hier, und das tut mir leid. Wenn die Menschen über das Wort nicht einig sind, ändert denn das die Dinge selbst oder deren Ähnlichkeiten? Wenn der eine das Wort Geiz auf die eine Ähnlichkeit, der andere es auf eine andere anwendet, so sind das zwei verschiedene Arten, die durch das nämliche Wort bezeichnet werden.

Philal. Bei derjenigen Art von Substanzen, die uns die vertrauteste ist, und die wir auf die genaueste Art kennen, hat man mitunter gezweifelt, ob die Frucht, die eine Frau zur Welt gebracht hat, ein Mensch sei, so daß man sogar darüber uneinig wurde, ob man sie aufziehen und taufen sollte. Dies könnte nicht der Fall sein, wenn die abstrakte Idee oder die Wesenheit, der der Name »Mensch« zukommt, das Werk der Natur wäre, und nicht eine verschiedenartige und unsichere Verknüpfung einfacher Ideen, die der Verstand zusammenfügt und der er, nachdem er sie auf dem Wege der Abstraktion allgemein gemacht hat, einen Namen beilegt. Im Grunde ist daher jede bestimmte, durch Abstraktion entstandene Idee eine bestimmte Wesenheit.

Theoph. Verzeihen Sie mir die Bemerkung, daß Ihre Ausdrucksweise mich in Verlegenheit setzt, weil ich darin keinen Zusammenhang sehe. Wenn wir nach den äußeren Anzeichen nicht immer über die inneren Ähnlichkeiten urteilen können, sind diese denn darum weniger wirklich? Wenn man ungewiß ist, ob eine Mißgeburt ein Mensch ist, so liegt dies daran, daß man im Zweifel ist, ob sie Vernunft hat. Weiß man aber einmal, daß dies der Fall ist, so werden die Theologen bestimmen, daß sie getauft, und die Juristen, daß sie aufgezogen werde. Freilich kann man über die niedrigsten Arten, im logischen Sinne, streiten, da diese sich durch Zufälligkeiten innerhalb derselben physischen Art oder in demselben Zeugungsstamme abändern; man hat aber gar nicht nötig, sie zu bestimmen, ja man kann sie bis ins Unendliche abändern, wie man dies z. B. an der großen Verschiedenheit der Orangen, Apfelsinen und Zitronen sieht, die die Sachkundigen zu benennen und zu unterscheiden wissen. Das Gleiche konnte man an den Tulpen und Nelken beobachten, als diese Blumen in der Mode waren. Ob übrigens die Menschen diese oder jene Ideen miteinander verbinden oder nicht, ja auch ob die Natur sie in Wirklichkeit zusammenfügt, hat auf die Wesenheiten, Geschlechter oder Arten keinen Einfluß, denn in ihnen handelt es sich nur um Möglichkeiten, die von unserem Denken unabhängig sind.

§ 15. Philal. Gewöhnlich nimmt man an, daß die Art eines jeden Dinges eine reale Beschaffenheit besitzt, und es steht in der Tat außer Zweifel, daß es eine solche Beschaffenheit geben muß, von der jede Vereinigung einfacher Ideen oder koexistierender Eigenschaften in diesem Dinge abhängen muß. Aber da augenscheinlich die Dinge nur insofern in Klassen und Arten geordnet und unter bestimmten Namen zusammengefaßt werden, als sie mit gewissen abstrakten Ideen übereinkommen, denen wir diesen bestimmten Namen beigelegt haben, so ist auch das Wesen einer jeden Gattung oder Art nichts anderes, als die durch den allgemeinen oder besonderen Namen bezeichnete abstrakte Idee, und wir werden finden, daß dies der gewöhnlichste Gebrauch des Wortes Wesenheit ist. Meiner Meinung nach würde es nicht übel sein, diese zwei Arten von Wesenheiten mit zwei verschiedenen Namen zu bezeichnen und die erstere reale Wesenheit, die andere nominale Wesenheit zu nennen.

Theoph. Mir scheint, daß der Sprachgebrauch, den wir hier einführen, außerordentlich viele Neuerungen der Ausdrucksweise in sich schließt. Man hat bisher wohl von nominalen und von kausalen oder Real-Definitionen Über den Unterschied zwischen Nominaldefinition und Realdefinition (»kausaler«, genetischer Definition) s. bes. die Abhandl. »De Synthesi et Analysi universali« s. Band I, S. 41 ff., sowie die »Meditationes de cognitione, veritate et ideis, Bd. I, S. 26 ff., nicht aber, soviel ich weiß, von anderen als realen Wesenheiten gesprochen; es sei denn, daß man unter nominalen Wesenheiten falsche und unmögliche verstanden habe, die Wesenheiten zu sein scheinen, es aber nicht sind, wie dies z. B. für das reguläre Dekaeder, d. h. einen von 10 Flächen umschlossenen regelmäßigen Körper gelten würde. Die Wesenheit ist im Grunde nichts anderes als die Möglichkeit dessen, was man denkt. Was man als möglich voraussetzt, wird durch die Definition ausgedrückt, aber diese Definition ist nur nominal, wenn sie nicht zugleich die Möglichkeit des Gegenstands zum Ausdruck bringt: denn dann kann man zweifeln, ob eine solche Definition etwas Reales, d. h. Mögliches, ausdrücke, bis die Erfahrung uns zu Hilfe kommt und uns diese Realität a posteriori, dadurch, daß die Sache sich wirklich in der Welt findet, kennen lehrt. Dies genügt in Ermangelung des Grundes, der die Realität a priori erweisen würde, indem er die Ursache oder die mögliche Erzeugung des definierten Dinges angibt. Es hängt also nicht von uns ab, die Ideen nach unserem Belieben zu verknüpfen, wenn diese Verknüpfung nicht entweder durch die Vernunft, die sie als möglich, oder durch die Erfahrung, die sie als wirklich und somit auch als möglich erweist, gerechtfertigt wird S. hierzu den »Dialogus de connexione inter res et verba« Band I, S. 15 ff.. Um Wesenheit und Definition besser zu unterscheiden, muß man auch erwägen, daß jede Sache nur eine Wesenheit besitzt, daß es aber mehrere Definitionen geben kann, die die nämliche Wesenheit ausdrücken, wie dasselbe Bauwerk oder dieselbe Stadt, je nachdem man sie von verschiedenen Seiten her betrachtet, durch verschiedene perspektivische Abbildungen dargestellt werden kann.

§ 18. Philal. Sie werden mir, denke ich, zugeben, daß bei den einfachen Ideen und den Ideen der Modi das Reale und das Nominale stets zusammenfallen; in den Ideen der Substanzen aber ist beides stets völlig verschieden. Eine Figur, die vermöge dreier Linien einen Raum einschließt, bildet sowohl die reale als die nominale Wesenheit des Dreiecks, denn sie ist nicht allein die abstrakte Idee, mit der der allgemeine Name verbunden ist, sondern die Wesenheit oder das eigentümliche Sein der Sache selbst, d. h. der Grund, woraus alle ihre Eigenschaften hervorgehen und mit dem sie verknüpft sind. Ganz anders aber verhält es sich mit dem Golde; denn die wirkliche innere Beschaffenheit seiner Teile, von der die Farbe, die Schwere, die Schmelzbarkeit, die Feuerfestigkeit abhangen, ist uns unbekannt, und da wir hiervon keine Idee besitzen, so besitzen wir auch keinen Namen, der als Zeichen für sie diente. Gleichwohl bilden jene Eigenschaften den Grund dafür, daß dieser Stoff Gold genannt wird, und stellen somit seine nominale Wesenheit, d. h. dasjenige dar, was ein Recht gibt, ihn mit diesem Namen zu nennen.

Theoph. Ich würde lieber nach dem eingeführten Sprachgebrauch sagen, daß die Wesenheit des Goldes dasjenige ist, wodurch es konstituiert wird und was ihm jene sinnlichen Eigenschaften gibt, an denen wir es erkennen und die seine Nominaldefinition ausmachen, während wir die Real- und Kausaldefinition des Goldes besitzen würden, wenn wir diese seine innere Struktur und Beschaffenheit zu erklären vermöchten. Doch ist hier die Nominaldefinition gleichzeitig auch die Realdefinition: zwar nicht an und für sich (denn sie läßt die Möglichkeit oder Entstehung des Körpers nicht a priori erkennen), wohl aber vermöge der Erfahrung, sofern wir durch den Versuch finden, daß es einen Körper gibt, in dem jene Eigenschaften sich zusammenfinden. Sonst könnte man doch zweifeln, ob so große Schwere und so große Dehnbarkeit zusammen bestehen können, wie man bis zur Stunde zweifeln kann, ob es Glas gibt, das sich unerhitzt hämmern läßt. Übrigens bin ich nicht Ihrer Meinung, daß hier zwischen den Ideen der Substanzen und denen der Prädikate ein Unterschied besteht, und daß die Definitionen der Prädikate (d. h. der Modi und der Gegenstände der einfachen Ideen) immer zugleich reale und nominale, die der Substanzen dagegen nur nominale seien. Ich gebe freilich zu, daß es schwerer ist, Realdefinitionen von den Körpern, die substantielle Wesen sind, zu erlangen, weil ihre innere Bildung weniger bemerkbar ist. Aber nicht mit allen Substanzen verhält es sich so; denn von den wahren Substanzen oder Einheiten (wie von Gott oder der Seele) haben wir eine ebenso genaue Erkenntnis wie von den meisten der Modi. Übrigens gibt es auch Prädikate, die ebensowenig bekannt sind, wie die innere Struktur der Körper es ist: denn Gelb und Bitter z. B. sind Gegenstände einfacher Ideen oder Sinnesbilder, und dennoch hat man von beidem nur eine verworrene Erkenntnis. Selbst in der Mathematik kommt dies vor; denn auch hier kann derselbe Modus sowohl eine Nominal-, wie eine Realdefinition haben. Wenige haben richtig erklärt, worin der Unterschied dieser beiden Definitionen besteht: ein Unterschied, der zugleich die Differenz zwischen der Wesenheit und der Eigenschaft ausmacht. Meiner Meinung nach besteht dieser Unterschied darin, daß die Realdefinition die Möglichkeit des Definierten anzeigt, was die Nominaldefinition nicht tut. Die Definition zweier paralleler Geraden, nach welcher sie zwei Gerade sind, die in derselben Fläche liegen und sich, selbst ins Unendliche verlängert, niemals schneiden, ist nur nominal, und man könnte zunächst zweifeln, ob so etwas möglich ist. Sobald man aber begriffen hat, daß man in einer bestimmten Ebene zu einer gegebenen Geraden eine Parallele ziehen kann, wenn man nur darauf achtet, daß die Spitze des Stiftes, welcher die Parallele beschreibt, von der gegebenen Graden stets gleich weit entfernt bleibt, so sieht man gleichzeitig, daß die Sache möglich ist, und warum die Linien die Eigenschaft haben, sich niemals zu begegnen, was zwar ihre Nominaldefinition ausmacht, was aber das Kennzeichen des Parallelismus nur dann bildet, wenn die beiden Linien gerade sind, während wenn mindestens eine von ihnen krumm wäre, sie so geartet sein könnten, daß sie sich niemals begegnen könnten und dessenungeachtet nicht miteinander parallel wären Vgl. hierzu noch den »Discours de Métaphysique« § 24 (Band II, S. 168 f.)..

§ 19. Philal. Wenn die Wesenheit etwas anderes wäre als die abstrakte Idee, so wäre sie nicht unerschaffbar und unvergänglich. Ein Einhorn, eine Sirene, ein vollkommener Kreis sind vielleicht gar nicht in der Welt vorhanden.

Theoph. Ich habe Ihnen schon gesagt, daß die Wesenheiten ewig sind, weil es sich in ihnen nur um Mögliches handelt.


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