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Professor Erwin Braumann war um die Mitte der siebziger Jahre im Westen Berlins eine wohlbekannte, beinahe berühmte Persönlichkeit. Seine beiden Bilder: »Heinrich IV. auf dem Schloßhof von Kanossa« und »Tannhäuser im 16 Venusberg«, in der üblichen glatten Manier jener Zeit gemalt, hatten ihm eine bedeutende künstlerische Stellung verschafft, die auch gesellschaftlich entsprechend zum Ausdruck kam. Vom Brandenburger Tor bis zur von-der-Heydt-Straße gab es kein gastliches Haus, dessen Wirt es sich nicht zur Ehre angerechnet hätte, Herrn und Frau Professor Braumann zum Diner zu laden.
Professor Braumann stammte aus Mainz. Dort hatte er auch seine ersten Künstlerjahre zugebracht und war bald zur Erkenntnis gelangt, daß er als hübscher, blonder Germane in erster Linie dazu berufen sei, die reichen Jüdinnen von Mannheim, Frankfurt am Main und seiner Vaterstadt zu porträtieren. So kam es denn, daß man von seinen Bildern bald ebensoviel sprach, wie von seinen Liebesabenteuern, daß sein bescheidenes Talent mit klingender Münze reichlich überzahlt wurde. Als er sich in Fräulein Hertha von Finkenwald, die Tochter eines unbemittelten pensionierten Majors, verliebte und ihr die Hand zum ewigen Bunde reichte, ging sein Nimbus als Don Juan in den betreffenden Kreisen naturgemäß flöten. Er gab daher das Porträtieren auf, wandte sich der Historienmalerei zu und zog mit seiner jungen Gattin nach Berlin. Hertha war bildschön, und so wandte sich das Blättlein. 17 Während ihn in seiner Junggesellenzeit die Frauen der anderen lanciert hatten, übernahm jetzt ihm gegenüber Hertha diese Mission. Und nun waren es die Männer der anderen, die der schönen Frau Hertha den Hof machten und aus Dankbarkeit dem Herrn Gemahl Aufträge in Hülle und Fülle gaben. Erwin war ein kleines Talent, und ein noch viel kleinerer Charakter. Er war der gefällige Ehemann, der, frei von jeder Eifersucht, die ihm geschäftlich nur hätte schaden können, die Gerüchte ignorierte, die über seine Gattin im Umlauf waren und auch zu ihm dringen mußten. Für ihn war Wohlleben alles. Das Gefühl, in dem beide Gatten sich begegneten, war Vergnügungssucht. Sie führten selbst großes Haus. Sogar die Spitzen der Berliner Finanzaristokratie fanden es selbstverständlich, bei Professor »Braumanns« zu verkehren. Zwei Kinder waren der Ehe entsprossen, Fifi und Hans. Fifi ähnelte im Äußeren der Mutter, Hans war der ganze Papa. Die schlechten Charaktereigenschaften, die sie von den Eltern geerbt, wurden durch keine strenge Erziehung gehemmt. Hans war eitel, leichtsinnig und egoistisch wie sein Vater. Dabei besaß er kein ausgesprochenes Talent und war stets der Letzte und Faulste in der Klasse. Kein Wunder, daß er von einem Gymnasium 18 zum anderen, von einer Pension zur anderen wanderte und überall nach kurzer Zeit hinausgeworfen wurde. Auch Fifi wurde mit Lernen nicht viel gequält. Dagegen wußte sie schon als zehnjähriges Mädchen in Toilettefragen recht gut Bescheid. Mit fünfzehn Jahren interessierte sie sich für jeden Klatsch, und da die Eltern fast jeden Abend außer dem Hause zubrachten, so war sie auf das Gesinde angewiesen und hörte in der Küche, was ihr bis dahin vielleicht noch unverständlich geblieben war.
Inzwischen hatten sich jedoch die materiellen Verhältnisse des Hauses Braumann recht ungünstig gestaltet. Er war unmodern geworden, eine neue Geschmacksrichtung hatte sich Bahn gebrochen, und der Verkauf der Bilder ging nicht mehr so flott vonstatten wie ehedem. Frau Herthas Schönheit war im Verblühen, die neuen Kurmacher wurden seltener, die alten Freunde zogen sich zurück. Der Haushalt wurde eingeschränkt, das Pumpen begann. Hans war Leutnant geworden, hatte Schulden gemacht und war gezwungen, wie so manche seiner Kameraden, den Weg übers große Wasser anzutreten. Die einzige Hoffnung beruhte noch auf Fifi. In ihrer Schönheit, ihrer Anmut, ihrem bezaubernden Wesen steckte das letzte Kapital der Familie Braumann. Aber die Jahre vergingen, die 19 Sorgen wurden mit jedem Tag drückender, der Kredit gestaltete sich von Monat zu Monat schwieriger, und noch immer fehlte der heißersehnte Freier. Der alte Glanz des Hauses Braumann kam indessen der Tochter insoweit zustatten, als die früheren gesellschaftlichen Verbindungen für die Tochter noch in Geltung blieben. Sie verkehrte noch viel in den reichen Häusern der Finanz und hatte somit reichlich Gelegenheit, ihre Netze nach allen Richtungen hin auszuwerfen. Aber lange Zeit waren die Versuche nicht von Erfolg gekrönt. Das Kokettieren, das Flirten half nichts! Vielversprechende Blicke, heiße Händedrücke erzielten kein greifbares Resultat. Die Herren amüsierten sich mit ihr ausgezeichnet, ohne daß sich einer von ihnen zu dem entscheidenden Worte entschlossen hätte.
In der höchsten Not erschien Franz Gleiwitzer auf der Bildfläche. Er war nicht schön, aber reich. Und Fifi war sein Geschmack. Schon als junger Mann hatte er unter den schlanken, blonden Konfektioneusen des Hausvogteiplatzes seine Favoritinnen gesucht, und Fifi konnte mit diesen Damen des Textilreichs nicht nur in bezug auf äußere Erscheinung, sondern auch in bezug auf Unwissenheit und Oberflächlichkeit getrost konkurrieren. Frau Hertha, die in diesen Dingen naturgemäß eine feine Spürnase besaß, entwarf 20 geschickt den Schlachtplan. Sie biß Herrn Gleiwitzer gegenüber die geborene von Finkenwald heraus, der Herr Professor pochte auf seinen Künstlerruhm. Einige gute Freunde des Hauses Braumann wirkten mit und suggerierten dem jungen Gleiwitzer, daß es für ihn eigentlich eine ganz außerordentliche Ehre sei, sich mit einem Hause zu verbinden, das durch echten Adel und echte Kunst geweiht sei.
Der alte Gleiwitzer schäumte. Er hatte für seinen Sohn weitere Millionen erträumt, und seine praktische Natur ließ ihn klar erkennen, daß Franz nicht nur Fifi heiraten, sondern die ganze Familie auf dem Halse haben würde. Er drohte mit Enterbung, aber je eigensinniger er wurde, desto hitziger wurde Franz. So kam es denn zwischen Vater und Sohn beinahe zum Bruch, und man munkelte bereits in der Stadt, daß Franz aus dem väterlichen Geschäft ausscheiden und bei einem Freunde der Familie Braumann als Associé eintreten würde.
Frau Rosalie war es, die sich nunmehr ins Mittel legte und das Äußerste zu verhindern wußte. Sie war sich zwar auch über die Charaktereigenschaften ihrer zukünftigen Schwiegertochter und deren Eltern vollständig klar, aber sie konnte den Bitten ihres einzigen Sohnes nicht widerstehen, und so kam denn die Partie 21 zustande. Die Sache ging indessen viel besser, als der Kommerzienrat Ludwig befürchtet hatte. Nach finanzieller Richtung hin erfüllten sich seine Ahnungen zwar vollständig. Die alten Braumanns lebten nur von Franz, denn er mußte die Bilder kaufen, die kein anderer mehr dem Herrn Professor abnahm. Fifi führte das Leben, das sie von Hause aus gewöhnt war. Um die drei Kinder, die sie im Laufe der Ehe ihrem Gatten geschenkt, kümmerte sie sich wenig. Das war Sache einer vorzüglichen Französin, die gleich nach der Geburt des ersten Kindes in das Haus aufgenommen worden war. Die Pflichten der Repräsentation verhinderten sie daran, Mutter zu sein. Auch bei ihr war die Vergnügungssucht das treibende Lebenselement. Es gab keine große Gesellschaft, keine elegante Wohltätigkeitsveranstaltung ohne Frau Fifi. Aber Franz, der immer behauptete, daß diese gesellschaftliche Position seiner Gattin für ihn auch geschäftlich wertvoll wäre, fühlte sich bei dieser Lebensführung ganz wohl, und zwar um so mehr, als selbst die bösesten Mäuler die eheliche Treue der schönen Frau Gleiwitzer nicht in Zweifel zu ziehen wagten. . . .
In ein tea-gown aus blauem Seidenlinon gehüllt, lag Frau Fifi auf dem Divan ihres Boudoirs. Draußen war trübes, unfreundliches 22 Herbstwetter; ein feiner Sprühregen rieselte hernieder und näßte die welken Blätter, die müde von den Bäumen herabglitten. Die schweren Vorhänge an den Fenstern waren zugezogen und dämpften das aufdringliche Klingeln der Straßenbahn. Zu Fifis Füßen auf einem Tabourett saß ihr Vater, der Herr Professor Braumann. Der schlanke, große Herr sah mit seinem vollen weißen Haar und Bart vornehm und achtunggebietend aus. Neben ihm auf einem Tischchen stand eine Flasche alten Portweins, der er mit Vergnügen zusprach.
Frau Fifi schien etwas nervös. Die kleinen Füßchen in den Atlaspantoffeln zuckten; von ihrem Schoß glitt ein französischer Roman auf den Teppich herab, den der Herr Professor galant aufhob.
»Du mußt dich doch etwas schonen, liebe Fifi. Die Aufregung der letzten Tage hat dich mehr mitgenommen, als du glaubst; du brauchst Ruhe. Gerade jetzt während der Trauer hast du die beste Gelegenheit, ein wenig mehr an deine Gesundheit zu denken.«
»Papa, laß mich bloß mit der Ruhe zufrieden! Alles kann ich vertragen, nur keine Ruhe. Außerdem habe ich heute noch schrecklich viel zu tun.«
»Heute?« . . .
23 Fifi sah ihren Vater verwundert an. »Ja, natürlich, heute erst recht . . . jeden Augenblick erwarte ich den Livreeschneider. . . . Für den Chauffeur ist schwarze rauhe Wolle das einzig Schicke. Ich muß das alles auch noch für meinen Schwiegervater mitbesorgen; er hat keine Ahnung von diesen Sachen, und man kann sich doch nicht blamieren. . . . Dann muß ich mit den Kindern zu Gerson wegen unserer Toiletten . . .«
»Na ja,« meinte Herr Professor Braumann begütigend, »das sehe ich ja alles ein. Aber abends kannst du doch wenigstens zeitig ins Bett gehen . . .«
»Abends kommt Fritz.«
Der alte Professor runzelte die Stirn. »Gestern ist deine Schwiegermutter beerdigt worden – und heute schon Besuch?!«
Fifi richtete sich halb auf und sah ihren Vater unfreundlich an. »Da ist doch nichts dabei, wenn der beste Freund des Hauses herkommt, um mir zu kondolieren. Soll ich vielleicht den ganzen Abend allein mit Franz sitzen und mich zu Tode mopsen? Außerdem ist das meine Sache, und das geht niemand etwas an.«
Der Professor schwieg und trank einen Schluck Portwein. »Gewiß, mein Kind, es ist gar nichts dabei, aber Mama meinte . . .«
24 Wieder fuhr Frau Fifi ziemlich ungnädig empor. »Was meinte Mama?«
Braumann wurde verlegen. Nach einer Weile sagte er zögernd: »Mama meinte, ihr solltet euch eine Weile nicht öffentlich mit Fritz zeigen. Man munkelt allerlei . . .«
Fifi war aufgesprungen. »Was soll das eigentlich heißen? Schon seit ein paar Monaten diese Redensarten! Fritz ist so gut mein Freund, wie der Freund meines Mannes. Und wenn Franz mit meinem Verkehr einverstanden ist, geht euch das gar nichts an. Ich verstehe nichts von Terraingesellschaften, und außerdem interessiert mich das auch nicht. Franz kann im Klub mit seinen Bekannten über seine Geschäfte reden so viel er will, aber ich lasse es mir nicht nehmen, mit einem eleganten, vornehmen jungen Manne aus einer allerersten Familie zu verkehren wie es mir paßt.« . . .
Professor Braumann war klein geworden, ganz klein. Er wagte nur schüchtern zu erwidern: »Liebste Fifi, rege dich nur nicht auf, du weißt, daß der Arzt dir nach deiner letzten Operation jede Gemütserregung streng verboten hat. Das, was ich dir sage, kommt ja auch gar nicht von mir, sondern von Mama. Und Mama hat mich ausdrücklich beauftragt« . . .
25 Fifis Augen flammten zornig. »Ich bin eine anständige Frau, verstehst du, und weiß ganz genau, wie weit ich zu gehen habe. Ich verbitte mir jede Zurechtweisung. Außerdem ist fast immer Edith dabei, wenn wir zusammen ausgehen. Und Edith, die sittenstrenge – Frau Fifi geruhte hämisch zu lächeln –, würde gewiß nicht ihre Hand dazu bieten, wenn sie nicht davon überzeugt wäre, daß es sich bei dem Verhältnis zwischen Fritz und mir nur um reine Freundschaft handelt.«
Der Herr Professor war froh, daß der Name Edith genannt worden war. Er konnte nunmehr das Gespräch auf ein unverfänglicheres Thema lenken. »Glaubst du denn am Ende, daß Edith und Fritz?« . . .
Die Miene von Frau Fifi wurde wieder heiterer. Sie strich mit der feinen weißen Hand über das zarte Gewebe ihres Gewandes. . . . »Vielleicht. . . . Edith ist immer sehr glücklich, wenn sie mit uns zusammen sein kann. Mir freilich hat sie noch nichts gesagt; sie ist mir gegenüber verschlossen. Das liegt übrigens in ihrem Charakter, ihr Vater und ihr Bruder genießen nicht einmal ihr Vertrauen. Aber warum sollte das unmöglich sein? Fritz ist ein entzückender, reizender Mensch, und warum sollen sich 26 Jurisprudenz und Chemie nicht auf diesem Wege vereinigen können.
Jedenfalls«, fuhr sie lebhafter fort, »würde sich Edith nie und nimmer so um unsere Gesellschaft reißen, wenn sie den schmeichelhaften Verdacht meiner Mutter teilen würde.«
»Verdacht! Verdacht!« brummte der Herr Professor. »Warum denn immer gleich so scharfe Worte? Wenn es jemand mit dir gut meint, so ist es doch wirklich deine Mutter. Und wenn sie sich nach langem Nachdenken entschließt, dir so etwas sagen zu lassen, dann muß man doch in Berlin irgend etwas munkeln.«
Frau Fifi lachte laut auf. »Die Welt, auf die ich Wert lege, weiß ganz genau, was sie von Frau Dr. Gleiwitzer zu halten hat.«
Sie stand auf, eilte an ihr Pult und reichte ihrem Vater ein bedrucktes Stück Papier hin. »Bitte, lies! . . . Da ist die Einladung zum Eintritt in das Komitee für das Wohltätigkeitsfest zum Besten des Cäcilien-Krankenhauses; nur Prinzessinnen, Fürstinnen und Gräfinnen – und ich . . . als die einzige Bürgerliche.«
Der Professor betrachtete seine Tochter mit aufrichtigem Stolz.
»Bravo, Fifi! Du hast dir wirklich eine kolossale gesellschaftliche Position gemacht.«
27 Er küßte seiner Tochter die Hand, und diese nahm die Huldigung befriedigt entgegen.
Ein kurzes Schweigen, das der Professor dazu benutzte, um sich wiederum zu stärken.
»Hör' mal, Fifi,« begann er dann etwas unsicher, »sag' doch mal Franz, er soll dieser Tage zu mir ins Atelier kommen und sich die Skizze ansehen, die ich für das neue Gemälde für euer Eßzimmer entworfen habe: ›Das Gastmahl des Lukullus‹. Ich glaube, es wird ein glänzendes Bild.«
Fifi nickte gnädig. »Ich habe mit Franz schon darüber gesprochen und sollte dir bestellen, daß er morgen nachmittag um fünf Uhr bei dir sein wird. . . . Habt ihr Nachrichten von Hans?«
Der Alte zuckte mit den Achseln.
»Seit vier Wochen nicht mehr. Er hat sich für die tausend Mark bedankt, die du ihm nach Chikago geschickt hast, aber seitdem haben wir keinen Brief.«
Es klopfte, der Diener trat herein. »Gnädige Frau, der Schneider mit den Proben.«
Der Professor erhob sich. »Adieu, mein liebes Herzchen, ich will dich nicht länger stören. Nur um eines bitte ich dich, strenge dich nicht übermäßig an.«
Frau Fifi begleitete ihren Vater bis zur Tür und widmete sich dann der schweren Frage, 28 welcher Livreestoff der geeignetste wäre, das Andenken der entschlafenen Frau Rosalie Gleiwitzer würdig und standesgemäß zu ehren.