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Als dem großen Pittakos von Mytilene, den sein Ruhm unter das Siebengestirn der Weisen Griechenlands versetzte, in der Aisymnetie die höchste irdische Gewalt über Leiber und Seelen anvertraut war, kam ein Jüngling zu ihm und trug seinen Rechtsfall vor: Er wollte seinen Vater verklagen.
»Wir werden richten«, sagte Pittakos kalt. »Wenn du im Unrecht bist, so wirst du verurteilt; wenn du aber im Recht bist, so verdientest du, verurteilt zu werden.«
Timon von Athen, der Philosoph, der die Menschen haßte, kam zur Zeit des größten Volksandranges auf den Markt, erhob seine schrille Stimme und schrie:
»Ihr Bürger von Athen! Widerwillig rede ich zu euch, aber ich habe kein anderes Mittel, um euch mitzuteilen, daß ich den großen Feigenbaum, der auf meinem Grundstück steht, abzuhauen gedenke. Manche von euch haben sich in vergangenen Jahren daran erhängt, nun aber muß er fallen, um einem Hause Platz zu machen. Sind Lebensmüde unter euch, die sich noch daran erhängen wollen, so mögen sie es eiligst tun, ehe es zu spät ist.«
kam der große Philosoph Aristippos und zeigte sich durchaus bereit, sich in höfische Sitten und Bräuche zu fügen.
»Ich möchte wohl einmal wissen«, sagte der unhöfliche Tyrann, »weshalb die Philosophen so oft zu den Fürsten kommen – und die Fürsten so selten zu den Philosophen.«
»Weil«, sagte Aristippos, »die Philosophen ganz genau wissen, was ihnen nottut, die Fürsten aber nicht.«
Protagoras, der große Redner, hatte zu Athen einen Schüler namens Eualthes in die holde Kunst der forensischen Beredsamkeit eingeweiht und sich die Hälfte des Lehrgeldes im voraus zahlen lassen; die andere Hälfte sollte fällig sein, wenn Eualthes seinen ersten Prozeß würde gewonnen haben. Als aber Eualthes so weit gediehen war, daß er auf die Rechtspflege losgelassen werden konnte, weigerte er sich, seine Kunst öffentlich anzuwenden. Protagoras ging zum Areiopagos und reichte eine zünftige Klage auf Honorarzahlung ein.
»Ihr Richter«, sagte Protagoras, »dieser Eualthes muß in jedem Falle zahlen. Wenn Ihr zu meinen Gunsten entscheidet, so ist er verurteilt; entscheidet Ihr aber zu seinen Gunsten, so muß er dennoch zahlen, weil er seinen ersten Prozeß gewonnen hat.«
»Ihr Richter«, sagte Eualthes, »dieser Protagoras bekommt in keinem Falle das Geld. Lasset Ihr mich gewinnen, so habt Ihr gegen seine Sache entschieden, und er hat keinen Anspruch gegen mich; lasset Ihr aber ihn gewinnen, so zahle ich ihm nichts, weil ich meinen ersten Prozeß verloren habe.«
Da die weisen Richter keinen Spruch wußten, so seien ehrgeizige Juristen darauf hingewiesen, daß der Prozeß möglichenfalls noch heute anhängig ist.
Zu Demosthenes, dem Muster und Meister rednerischer Künste, kam ein Mann, von dem die Rede ging, daß ihm die dunklen Nächte lieber seien als die hellen, da sie es ihm ermöglichten, Gegenstände von Wert unauffällig den Besitzer wechseln zu lassen. Der Mann verhehlte seine Abneigung gegen Demosthenes nicht.
»Deine Reden riechen nach der Lampe«, sagte er verächtlich.
»Es ist mir bekannt«, antwortete Demosthenes, »daß Leute, die nachts Lampen brennen, für dich und deinesgleichen unbequem sind.«
Der strenge Cato lebte in einer Zeit, da es Sitte war, allen mehr oder weniger würdigen Zeitgenossen, sofern sie sich nur Berühmtheit zu verschaffen wußten, Bildsäulen zu errichten. Cato war nicht darunter. Ein Neugieriger wollte seine Meinung darüber wissen.
»Sorge dich darum nicht«, antwortete Cato. »Mir ist es lieber, die Welt fragt, weshalb ich keine Bildsäule erhalten habe, als wenn sie sich darüber wundert, daß ich eine bekam.«
Am Tage vor seiner Ermordung war Julius Caesar bei Marcus Lepidus zu Gaste. Während man bei Tische saß, brachte sein Schreiber ihm eine Anzahl von Verfügungen, die er unterzeichnete. Dennoch entging ihm kein Wort des Gesprächs.
»Welche Todesart«, fragte Lepidus, »ist für uns Menschen die beste?«
Caesar sah auf.
»Die am wenigsten erwartete«, sagte er.
Unter der Regierung des römischen Kaisers Tiberius ging einmal ein Spaßvogel während einer Bestattungsfeier an die Leiche heran und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Man fragte ihn natürlich, was er dem Toten mitzuteilen gehabt habe.
»Ich bat ihn«, sagte der Mann, »im Totenreich dem Caesar Augustus zu berichten, daß die Legate, die er dem Volke ausgesetzt hat, nicht bezahlt werden«.
Man hinterbrachte dies sofort dem Kaiser. Er lächelte, ließ sich den Mann kommen und ihm die schuldige Summe aushändigen.
»Nun befehle ich dir aber«, sagte er dann, »sofort wieder zu der Leichenfeier zu gehen und dem Caesar Augustus getreulich ausrichten zu lassen, daß du dein Geld bekommen hast.«
Ein ägyptischer Sultan hatte einmal, so liest man in einem alten Anekdotenbuch, einen Krieg gegen einen andern Sultan verloren und war in Gefangenschaft geraten. Der Sieger nahm dem Besiegten alles Gefolge und ließ ihm nur seinen Leibkoch. Als nun der Koch, um seinem hungrigen Herrn das Mahl zu bereiten, ein Stück Fleisch in einen Kochtopf getan hatte und auf die Suche nach Feuer gegangen war, kam ein noch hungrigerer Hund herbei, steckte seine Schnauze in den Topf, konnte sie nicht wieder herausziehen und rannte so mitsamt dem Topfe aus Leibeskräften davon. Als das der Sultan sah, lächelte er und sagte: »Wie groß ist doch der Wechsel in meinem Geschick! Einst waren dreihundert Kamele nötig, um meine Küche zu tragen – und heute trägt sie ein einziger Hund auf dem Kopfe davon.«
Als der große und weise Cosimo von Medici, den sie den »Vater des Vaterlandes« nannten, auf dem Totenbette lag, neigte seine Gattin sich angstvoll über ihn.
»Warum schließest du die Augen?« fragte sie.
Cosimo lächelte ihr zu – ein tröstendes Lächeln.
»Um sie daran zu gewöhnen«, sagte er.
Dante war zu der Zeit, als er im politischen Leben der Stadt Florenz eine führende Rolle spielte, von seiner staatsmännischen Bedeutung zutiefst überzeugt. Am Tage, als die Partei der »Weißen« ihn mit der Gesandtschaft nach Rom beauftragt hatte, die für ihn so verhängnisvolle Folgen haben sollte, wanderte er in tiefen Gedanken durch die Straßen.
»Was bedrückt dich?« fragte ihn ein Freund, der ihm begegnete.
Dante hob den Blick: »Wenn ich hierbleibe – wer soll dann reisen? Und wenn ich reise – wer bleibt dann hier?«
Papst Benedikt der Zwölfte ließ sich den Dichter Petrarca kommen und sagte ihm viel Schönes und Lobendes über jene Gedichte, in denen wir ein unvergängliches Zeugnis von des Dichters Liebe zu Laura besitzen. Aber – so fügte der Papst in wahrhaft väterlicher Meinung hinzu –: eine so große und reine Liebe müsse nach seiner Meinung – und zwar recht bald – durch den Bund der Ehe geadelt und gefestigt werden.
Petrarcas wirklichkeitsscheue Seele geriet in große Bedrängnis. Er fürchte sich davor, sagte er, daß seine Liebe in der Üblichkeit der Heiratsbräuche und in der Nüchternheit des Familienlebens welken und sterben könne.
Der Papst schüttelte den Kopf und lächelte erheitert.
»Das ist doch wahrhaftig«, sagte er, »als ob einer sich weigern wollte, zu essen, aus Angst, sich den Appetit zu verderben.«
Ein venetianischer Edelmann des 16. Jahrhunderts stellte in einer Gesellschaft die Behauptung auf, Dante sei ein größerer Dichter als Ariost, und geriet im Disput mit einem Andersdenkenden derart in Hitze, daß es einen Zusammenstoß und infolgedessen ein Duell gab.
Der Danteschwärmer ging als Sieger daraus hervor und fand an dieser Art des literarischen Wirkens soviel Gefallen, daß er es fortsetzte und um seines Dichters willen im Laufe der Zeit zweiundzwanzig Duelle ausfocht. Alle bestand er unverwundet oder mit geringen Verletzungen; im dreiundzwanzigsten aber wurde er auf den Tod getroffen.
Sein Beichtvater, der ihm die letzten Tröstungen der Religion brachte, fragte ihn vorwurfsvoll:
»War Euch denn die Streitfrage so wichtig, daß Ihr darum so oft Euer Leben wagen und es schließlich verlieren mußtet?«
»Eigentlich begreife ich es selbst nicht recht«, sagte der Sterbende nachdenklich, »denn ich habe in meinem ganzen Leben weder von Dante noch von Ariost je eine Zeile gelesen.«
Als Correggio, damals noch fast ein Knabe, eines Abends mit seinem Vater vor den Toren der Stadt lustwandelte, erschienen etliche Räuber und plünderten die beiden gänzlich aus. Dem Vater war darüber aus Entrüstung und auch sonst so gründlich der Spaß vergangen, daß die Obrigkeit mit seinen Angaben nicht viel anzufangen wußte; der Sohn hingegen nahm derweil ein Blatt Zeichenpapier und zeichnete die Räuber aus dem Gedächtnis so gut und deutlich auf, daß sie erkannt und bald darauf festgesetzt wurden.
Als Michelangelo im Alter erblindet war, ließ er sich oftmals von seinem Diener zu den Trümmerstätten altrömischer Bauten tragen. Da saß er dann vor irgendeinem Torso, dessen Schönheit wie eine Blume im Schutt und Geröll glänzte, und betastete ihn liebevoll mit zitternden Fingern. Tränen liefen unablässig in seinen Bart.
»Warum weint Ihr?« fragte einmal einer der Diener.
Michelangelo wandte dem Frager die blicklosen Augen zu. »Es sind Tränen der Dankbarkeit«, sagte er.