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Ein Deutscher, der sich – es mag vor einem runden Jahrhundert gewesen sein – in der Umgegend von Cordoba erging, wurde durch einen unvermittelt aus dem Gebüsch tretenden, tadellos gekleideten Herrn aufgehalten. Der Herr lüpfte mit der Linken höflich den Hut, ließ mit der Rechten einen schöngearbeiteten langen Dolch in der Sonne funkeln und sprach: »Vergönnen Sie mir, Señor, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß der Rock, den Sie tragen, nicht Ihnen, sondern mir gehört. Das gleiche gilt für die darin steckende Brieftasche sowie für Ihre Busennadel, Ihre Ringe und Ihre Uhr. Würde es Ihnen belieben, mir die genannten Gegenstände auszuhändigen?«
Der Deutsche griff in die Tasche, zog eine schön gearbeitete Pistole hervor, zielte und sprach: »Vergönnen Sie mir, Señor, Ihnen zu sagen, daß Sie hinsichtlich der genannten Gegenstände im Irrtum sind. Dagegen befinden sich in dieser Pistole zwei Kugeln, die Ihnen gehören und die ich in fünf Sekunden ihrem rechtmäßigen Besitzer zukommen lassen werde.«
»Madre de Dios, wie kann man so irren!« rief der höfliche Herr erstaunt. »Jetzt erkenne ich, daß ich mich täuschte. Ich bitte Sie, Señor, die Behelligung zu verzeihen und mich in Ihr Gebet einzuschließen.«
Und er verneigte sich mit vollendeter Anmut und trat ins Gebüsch zurück.
Papst Clemens der Sechste berief eine Ratsversammlung europäischer Fürsten ein, die darüber Beschluß fassen sollte, wann und wie den Sarazenen das gelobte Land zu entreißen sei. Die Herren hielten sich aber vor allem an das Nächstliegende: sie teilten die zu erobernden Gebiete untereinander auf.
Don Sanchez, der sich damals gerade des Thrones von Castilien bemächtigt hatte, brachte sich einen gelehrten Dolmetscher mit: denn die Verhandlungen wurden in lateinischer Sprache geführt, und die verstand er nicht. Als nun plötzlich donnernder Beifall losbrach, wandte er sich an seinen Dolmetscher: »Was brüllen die Herren?«
»Man hat Euch«, versetzte der Dolmetscher, »zum König von Ägypten gemacht.«
»Oh –!« sagte Don Sanchez. »Da wollen wir uns nicht lumpen lassen. Steh auf und rufe den Heiligen Vater zum Kalifen von Bagdad aus.«
Caruso
Enrico Caruso, auf triumphaler Gastspielreise durch die Vereinigten Staaten, sang in der Civic Opera zu Chikago den Bajazzo, von Stürmen der Begeisterung umtost. Eines Abends fiel ihm auf, daß der zweite Tenor, ein begabter junger Sänger, der die Partie des Beppo verkörperte, tief bekümmert war. »Es ist ja alles sinnlos«, sagte der junge Mann. »Wenn ich hinter den Kulissen die Arie des Beppo singe, rührt sich keine Hand. Das Publikum ist völlig von der Suggestion des großen Namens gebannt.«
Caruso, der leidenschaftlich an die unmittelbare Wirkung seiner Leistung glaubte, war entrüstet. Er wolle sich verpflichten, sagte er, am anderen Tage unbemerkt mit dem Sänger des Beppo die Rollen zu tauschen um sich mit der »Kulissen-Arie« den gleichen Beifall zu ersingen wie als Bajazzo auf der Bühne.
Der Tausch wurde gemacht. Caruso fühlte, daß er niemals besser gesungen hatte. Das Publikum müsse, meinte er, obwohl es den Sänger nicht sah, hingerissen eine Leistung anerkennen, die in der damaligen Welt nicht ihresgleichen hatte. Aber das Publikum rührte keine Hand. Stumm und bleich ging Caruso in seine Garderobe. Er hat den Versuch nie wiederholt.
*
Bei seiner Ankunft in Chikago vernahm Caruso, daß sein ruhmgekrönter Kollege McCormack, damals Amerikas berühmtester Tenor, gleichzeitig eingetroffen war und sogar im gleichen Hotel wohnte. Ein Zusammentreffen der beiden war unvermeidlich – es mußte sogar feierlich in Szene gesetzt werden. Aber die beiderseitigen Freunde sahen diesem ersten Zusammentreffen nicht ohne Bangen entgegen, denn McCormack war von so empfindlicher Eitelkeit, daß der leiseste Mißton fürchterliche Folgen haben mußte.
Der große Augenblick, kunstvoll als historischer »Zufall« vorbereitet, kam. Caruso ging durch die Halle, McCormack kam die Treppe herabgeschritten, stutzte, breitete die Arme aus und sagte mit schönem Schwung: »Ich grüße den größten Tenor der Welt.« Zitternd stand das beiderseitige Gefolge.
Caruso blieb stehen und wandte sich zu seinem Sekretär. »Was soll das heißen?« fragte er zornig. »Wofür zahle ich Ihnen eigentlich Ihr Gehalt? Weshalb haben Sie mir nicht gesagt, daß McCormack gestorben ist?« – Sie wurden Freunde.
Rossini
Als Rossini, auf der Höhe seines Ruhmes, eine Reise nach Portugal machte, ließ König Pedro ihn zur Hoftafel einladen. Das wäre für Rossini, der den Künsten der Küche kennerisch zugetan war, ein Anlaß zu freudiger Erwartung gewesen; aber er war nicht nur ehrenhalber und zum Speisen, er war auch zum Hören bestellt. Der König war mit Eifer dem Gesang von Liedern ergeben, und Rossini sollte die Allerhöchste Stimme beurteilen.
Das Schicksal nahm seinen unabwendbaren Lauf. Nach dem Essen begab man sich ins Musikzimmer. Der König sang. Rossini lauschte mit gebührender Andacht. »Nun, Maëstro?« fragte der König, als er geendet hatte. »Was halten Sie davon?«
»Majestät«, versetzte Rossini mit unverkennbar ehrlicher Überzeugung, »noch nie habe ich einen König besser singen hören.«