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Sechstes Kapitel

Welcher Unfall Gil Blas zwang, sich eine neue Stellung zu suchen.

 

Als Don Mathias erwachte, gab er mir ein neues Amt. Gil Blas, sagte er, nimm Papier und Tinte, und schreibe zwei oder drei kleine Briefe, die ich dir diktieren werde; ich mache dich zu meinem Sekretär. Vortrefflich! sagte ich bei mir selber; kein Mangel an Ämtern! Als Lakai begleite ich meinen Herrn überall; als Kammerdiener kleide ich ihn an; und jetzt soll ich als Sekretär noch für ihn schreiben: dem Himmel sei Lob! Ich werde der dreifachen Hekate gleich drei verschiedene Persönlichkeiten vertreten. Du weißt nicht, fuhr er fort, welches meine Absicht ist? Höre an, aber sei verschwiegen; es geht um dein Leben. Da mir bisweilen Leute begegnen, die mit ihrem Glück bei den Frauen vor mir prahlen, so möchte ich, um ihnen den Rang abzulaufen, gefälschte Frauenbriefe in der Tasche haben, die ich ihnen vorlesen will. Das wird mir einen Augenblick Vergnügen machen; und glücklicher als jene meinesgleichen, die Eroberungen machen, einzig, um sie veröffentlichen zu können, will ich ihrer veröffentlichen, ohne sie mühsam zuvor gemacht zu haben. Aber, fügte er hinzu, verstelle deine Schrift, so daß es nicht aussieht, als seien die Briefe alle von einer Hand.

Ich nahm also eine Feder, Papier und Tinte zur Hand und schickte mich an, meinem Herrn zu gehorchen. Zunächst diktierte er mir ein Billet-doux, das also lautete: »Ihr wart heute nacht nicht beim Stelldichein. O Don Mathias, was wollt Ihr zu Eurer Rechtfertigung sagen? Welchen Fehler ich begangen habe! und wie gerecht Ihr mich bestraft, daß ich so eitel war, zu glauben, alle Vergnügungen und Geschäfte der Welt müßten vor dem Genuß zurückstehn, Doña Clara de Mendoce zu sehn!« Dann ließ er mich ein zweites schreiben, das den Schein erwecken sollte, als sei es von einer Frau, die ihm einen Prinzen opfere; und schließlich ein drittes, in dem eine Dame ihm schrieb, wenn sie nur seiner Verschwiegenheit versichert wäre, würde sie die Reise nach Kythera mit ihm machen. Er begnügte sich nicht damit, mir diese schönen Briefe zu diktieren, er ließ mich sogar die Namen bekannter Personen darunter setzen. Ich konnte mich nicht enthalten, ihm zu sagen, daß ich das sehr heikel fände; aber er bat mich, ihm nur dann Ratschläge zu erteilen, wenn er sie verlangte. Ich mußte schweigen und seinen Befehlen gehorchen. Dann stand er auf und ich half ihm, sich anzukleiden. Er steckte die Briefe in die Tasche und ging aus. Ich folgte ihm zum Diner zu Don Juan de Moncada, der an diesem Tage fünf oder sechs befreundete Kavaliere geladen hatte.

Man wurde gut bewirtet, und die Freude, die beste Würze eines Festmahls, herrschte an der Tafel. Alle Gäste trugen zur Erheiterung der Unterhaltung bei, die einen durch Scherze, die andern durch Geschichten, in denen sie sich als die Helden ausgaben. Mein Herr ließ sich die schöne Gelegenheit nicht entgehn, die Briefe zur Geltung zu bringen, die er mich hatte schreiben lassen. Er las sie mit so überzeugender Miene vor, daß sie mit Ausnahme seines Sekretärs die ganze Gesellschaft täuschten. Aber unter den Kavalieren, die diese dreiste Lektüre hörten, befand sich einer namens Don Lope de Velasco. Und dieser, ein ernster Mann, fragte, statt wie die andern über das angebliche Glück meines Herrn zu lachen, kühl, ob ihn Doña Claras Eroberung viel gekostet habe. Weniger als nichts, versetzte Don Mathias; sie hat mir alle Avancen gemacht. Sie sieht mich auf der Promenade; ich gefalle ihr. Man folgt mir auf ihren Befehl; man erfährt, wer ich bin. Sie schreibt mir und gibt mir in ihrem Hause um eine Stunde der Nacht, um die alles schläft, ein Stelldichein. Ich finde mich ein; man führt mich in ihr Zimmer ... Ich bin zu diskret, um Euch zu sagen, was folgte.

Bei diesem lakonischen Bericht malte sich auf dem Gesicht Don Lopes große Erregung. Es war nicht schwer zu erraten, ein wie großes Interesse er an der fraglichen Dame nahm. All diese Briefe, sagte er zu meinem Herrn, indem er ihn wütend ansah, sind gefälscht, und vor allem der, den Ihr Euch von Doña Clara de Mendoce erhalten zu haben rühmt. In Spanien lebt kein züchtigeres Mädchen als sie. Zwei Jahre hindurch bietet ein Kavalier, der Euch weder an Geburt noch an persönlichem Verdienst nachsteht, alle Mittel auf, um ihre Gunst zu gewinnen. Er hat kaum die unschuldigsten Vorteile zu erringen vermocht; aber er kann sich schmeicheln, wenn sie andre zu gewähren vermöchte, so würde er der Glückliche sein. Ah! wer behauptet das Gegenteil? unterbrach Don Mathias mit spöttischer Stimme. Ich bin ganz Eurer Meinung, sie ist ein braves Mädchen. Ich meinerseits bin ein braver Junge. Ihr dürft also ruhig glauben, daß zwischen uns nur brave Dinge vorgefallen sind. Das ist zuviel, unterbrach Don Lope jetzt ihn; lassen wir diese Spöttereien. Ihr seid ein Betrüger. Nie hat Doña Clara Euch nachts ein Stelldichein gegeben. Ich kann nicht dulden, daß Ihr ihren Ruf beschmutzt. Auch ich bin zu diskret, um Euch zu sagen, was folgt. Mit diesen Worten bot er der ganzen Gesellschaft Trotz und zog sich in einer Haltung zurück, aus der ich schloß, daß diese Affäre schlimme Folgen haben könnte. Mein Herr, der für einen Mann seiner Art recht mutig war, verachtete Don Lopes Drohung. Der Geck! rief er und brach in Lachen aus. Die fahrenden Ritter verteidigten die Schönheit ihrer Geliebten; und er will die Züchtigkeit der seinen verteidigen: das scheint mir noch toller.

Velascos Rückzug, dem sich Moncade vergeblich hatte widersetzen wollen, trübte das Fest keineswegs. Die Kavaliere achteten kaum darauf, amüsierten sich weiter und trennten sich nicht vor Tagesanbruch. Mein Herr und ich gingen gegen fünf Uhr morgens zu Bett. Ich war von Schläfrigkeit übermannt und freute mich auf einen langen Schlummer; aber ich hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht, oder vielmehr, ohne unsern Pförtner, der mich schon nach einer Stunde weckte, um mir zu sagen, es stehe ein Bursche draußen, der mich zu sprechen wünsche; er sage, die Sache sei dringlich. So stand ich auf, zog mir nur Hose und Wams an und ging unter Flüchen hinaus, um den Burschen zu suchen, der mich erwartete. Freund, sagte ich, teilt mir bitte mit, welche dringende Angelegenheit mir die Ehre verschafft, Euch so frühmorgens zu sehn. Ich habe, gab er zur Antwort, dem Herrn Don Mathias persönlich einen Brief zu übergeben; er muß ihn auf der Stelle lesen, es ist von höchster Wichtigkeit für ihn: ich bitte Euch also, mich in sein Zimmer zu führen. Da ich glaubte, es handelte sich um eine wichtige Sache, so nahm ich mir die Freiheit, meinen Herrn zu wecken. Verzeiht, sagte ich, wenn ich Eure Ruhe störe; aber die Wichtigkeit ... Was willst du? unterbrach er mich schroff. Gnädiger Herr, sagte da der Bursche, der mich begleitete, ich habe Euch von Don Lope de Velasco einen Brief zu überbringen. Don Mathias nahm das Billet, brach es auf, las es und sagte zu Don Lopes Boten: Mein Kind, ich stände nicht vor Mittag auf, und schlüge man mir das größte Vergnügen vor. Nun frage dich, ob ich um sechs Uhr morgens aufstehen werde, um mich zu schlagen! Du kannst deinem Herrn ausrichten, wenn er um halb eins noch da ist, wo er auf mich wartet, so werde er mich sehn; bringe ihm diese Antwort. Mit diesen Worten sank er von neuem ins Bett zurück, und bald war er wieder eingeschlafen.

Er stand zwischen elf und zwölf Uhr auf und zog sich sehr ruhig an; dann ging er aus, indem er mir sagte, ich brauchte ihm nicht zu folgen; aber ich war zu neugierig, was aus ihm werden mochte, um ihm zu gehorchen. Ich folgte ihm bis zur St. Hieronymus-Wiese, wo ich Don Lope de Velasco festen Fußes warten sah. Ich verbarg mich, um sie beide zu beobachten. Sie trafen zusammen und begannen sich einen Augenblick darauf zu schlagen. Ihr Kampf war lang. Sie bedrängten sich wechselseitig mit viel Geschick und Kraft. Der Sieg erklärte sich indessen für Don Lope: er durchbohrte meinen Herrn, streckte ihn zu Boden und entfloh, zufrieden, daß er Rache genommen hatte. Ich eilte zu dem unglücklichen Don Mathias und fand ihn besinnungslos, fast leblos vor. Das Schauspiel rührte mich; aber trotz meines Schmerzes vergaß ich doch nicht, an meine kleinen Interessen zu denken. Ich kehrte schleunigst, und ohne etwas zu verraten, in unser Haus zurück, schnürte meine Sachen in ein Bündel, tat aus Versehen ein paar Kleinigkeiten meines Herrn hinein und trug es zu dem Barbier, bei dem auch der Anzug meiner galanten Abenteuer noch lag. Dann verbreitete ich den tragischen Vorfall, dessen Zeuge ich gewesen war, in der Stadt. Ich erzählte ihn jedem, der ihn hören wollte, und vor allem versäumte ich nicht, ihn Rodriguez zu melden. Er schien weniger betrübt als mit den Maßnahmen beschäftigt, die er zu treffen hatte. Er versammelte alle Bedienten, befahl ihnen, ihm zu folgen, und führte uns auf die St. Hieronymus-Wiese. Wir trugen meinen Herrn, der noch atmete, nach Hause, wo er drei Stunden später starb. So kam der Herr Don Mathias de Silva ums Leben, weil er sich hatte einfallen lassen, am unrechten Ort angebliche Billets-doux vorzulesen.


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