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Siebentes Kapitel

Welchen Charakters die Marquise von Chaves war, und was für Leute meist bei ihr verkehrten.

 

Die Marquise von Chaves war eine Witwe von fünfunddreißig Jahren, schön, groß und wohlgebaut. Sie genoß eines Einkommens von zehntausend Dukaten und hatte keine Kinder. Nie habe ich eine ernstere und wortkargere Frau gesehn, was nicht hinderte, daß sie als die geistreichste Dame von Madrid galt. Vielleicht war dieser Ruf mehr die Folge des großen Andrangs von vornehmen Leuten und von Gelehrten, die man täglich bei ihr sah, als ihrer Persönlichkeit. Ich will nur sagen, daß ihr Name den Gedanken an überlegenes Genie eingab, und daß man ihr Haus in der Stadt das Bureau der geistreichen Werke nannte.

Wirklich las man dort täglich bald dramatische Gedichte, bald andre Poesien vor. Aber man las fast nur ernste Werke; alles Komische verachtete man. Man sah bei ihr die beste Komödie, den scharfsinnigsten und heitersten Roman als ein schwaches Erzeugnis an, das kein Lob verdiente; während das geringste ernste Werk, eine Ode, eine Ekloge, ein Sonett als das größte Werk des Menschengeistes galt. Oft geschah es, daß das Publikum das Urteil des Bureaus nicht bestätigte, und bisweilen pfiff es sogar unhöflicherweise die Stücke aus, denen man dort großen Beifall gezollt hatte.

Ich war Saalmeister in diesem Hause, das heißt, mein Amt bestand darin, daß ich in den Räumen meiner Herrin alles für den Empfang der Gäste zu rüsten, den Herren Stühle, den Damen Polster zurechtzurücken hatte; nachher stand ich an der Tür, um die Eintreffenden zu melden und einzuführen. Am ersten Tage skizzierte mir der Oberpage jeden, dem ich die Tür aufhielt. Dieser Hofmeister hieß Andreo Molina. Er war von Natur kühl und ein Spötter, und es fehlte ihm nicht an Geist. Zunächst stellte sich ein Bischof ein. Ich meldete ihn, und als er ins Zimmer getreten war, sagte der Hofmeister: Dieser Prälat ist von recht lustigem Charakter. Er hat einigen Einfluß bei Hofe; aber er möchte gern glauben machen, er habe großen. Jedermann bietet er seine Dienste an, aber er dient niemandem. Eines Tages trifft er beim König einen Kavalier, der ihn grüßt; er hält ihn an, überschüttet ihn mit Höflichkeiten, drückt ihm die Hand und sagt: Ich bin Euer Gnaden ergebenster Diener. Stellt mich, ich bitte Euch, auf die Probe; ich könnte nicht zufrieden sterben, wenn ich nicht eine Gelegenheit fände, Euch zu verpflichten. Der Kavalier dankt ihm voller Erkenntlichkeit; und als sie auseinander gehn, sagt der Prälat zu einem seiner Kirchendiener, der ihm folgt: Ich glaube, ich kenne diesen Menschen; mir ist dunkel, als hätte ich ihn irgendwo gesehn.

Einen Augenblick nach dem Bischof erschien der Sohn eines Granden; und als ich ihn eingeführt hatte, sagte Molina: Dieser Edelmann ist wieder ein Original. Stellt Euch vor, daß er oft ein Haus betritt, um über eine wichtige Angelegenheit zu unterhandeln, und daß er geht, ohne noch an das zu denken, worüber er reden wollte. Aber, fuhr der Hofmeister fort, als er zwei Damen kommen sah: dort sehe ich Doña Angela de Pegnafiel und Doña Margarita de Montalvan. Diese beiden Damen sind sich sehr unähnlich. Doña Margarita spielt sich auf die Philosophin hinaus; sie bietet den größten Gelehrten aus Salamanca die Stirn, und nie werden ihre Schlüsse vor deren Gründen weichen. Doña Angela spielt dagegen nie die Gelehrte, obgleich sie kultivierten Geistes ist. Ihre Reden sind treffend, ihre Gedanken fein, ihre Ausdrucksweise zart, vornehm und natürlich. Dieser Charakter, sagte ich zu Molina, ist liebenswert; aber der andre, scheint mir, paßt nicht recht für das schöne Geschlecht. Nicht sehr, erwiderte er lächelnd; er macht sogar viele Männer lächerlich. Die Frau Marquise, unsre Herrin, ist auch ein wenig auf die Philosophin erpicht. Wie wird man heute hier disputieren! Gebe Gott, daß die Religion nicht in den Disput gezogen wird!

In diesem Augenblick sahen wir einen dürren Mann eintreten, der ernst und verdrießlich dreinsah. Mein Hofmeister verschonte ihn nicht. Der da, sagte er, gehört zu jenen ernsten Geistern, die als große Genies gelten wollen, weil sie viel schweigen oder bisweilen eine Sentenz aussprechen, die sie von Seneca haben; aber wenn man sie ernsthaft prüft, so sind sie nur dumm. Es folgte ein Kavalier von recht schöner Statur, der sich griechisch trug, das heißt, seine Haltung war voller Anmaßung. Ich fragte, wer es sei. Ein dramatischer Dichter, sagte Molina. Er hat in seinem Leben hunderttausend Verse gemacht, die ihm keine vier Groschen eingetragen haben; dafür hat er sich freilich mit sechs Prosazeilen ein beträchtliches Einkommen errungen.

Ich wollte mich gerade nach der Art eines so billig erworbenen Vermögens erkundigen, als ich auf der Treppe lauten Lärm vernahm. Vortrefflich, rief der Hofmeister, da kommt der Lizentiat Campanario. Er meldet sich schon, ehe er noch da ist. Er beginnt schon an der Gartentür zu reden und hört nicht eher auf, bis er wieder zum Hause hinaus ist. Wirklich hallte das ganze Haus von der dröhnenden Stimme des Lizentiaten wider, der schließlich mit einem befreundeten Bakkalaureus im Vorzimmer erschien und während des ganzen Besuchs weitersprach. Der Herr Campanario, sagte ich zu Molina, ist offenbar ein Genie. Ja, erwiderte mein Hofmeister, er ist ein Mann von glänzenden Einfällen und entlegenen Wendungen: er ist amüsant. Aber abgesehn davon, daß er ein unerbittlicher Sprecher ist, wiederholt er sich unaufhörlich; und um die Dinge nach ihrem Wert zu schätzen, so glaube ich, die Liebenswürdigkeit und Komik, mit der er würzt, was er sagt, machen sein größtes Verdienst aus. Der größere Teil seiner Witze würde einer Sammlung von Bonmots keine, große Ehre machen.

Es kamen noch andre Leute, von denen Molina mir lustige Bilder entwarf; er vergaß auch nicht, mir die Marquise zu schildern, und sein Bild war nach meinem Geschmack. Unsre Herrin, sagte er, ist trotz ihrer Philosophie ein ziemlich ebenmäßiger Geist. Sie kennt keine schwierigen Launen und man hat in ihrem Dienst wenig Grillen zu ertragen. Sie ist eine der vernünftigsten Frauen von Stande, die ich kenne; sie hat nicht einmal eine Leidenschaft. Sie findet am Spiel so wenig Gefallen wie an der Galanterie, und sie liebt nur die Konversation. Ihr Leben wäre für die meisten Damen recht langweilig. Durch dieses Lob nahm der Hofmeister mich für meine Herrin ein. Aber schon nach ein paar Tagen konnte ich mich des Argwohns nicht mehr enthalten, daß sie keine so große Feindin der Liebe sei; und ich will erzählen, worauf sich dieser Argwohn gründete.

Eines Morgens stellte sich, als sie bei der Toilette war, ein kleiner Mensch von etwa vierzig Jahren bei mir ein; er war von unangenehmem Äußern, schmutziger noch als der Dichter Pedro de Moya, und obendrein sehr bucklig. Er sagte mir, er wolle die Frau Marquise sprechen. Ich fragte ihn, in welcher Angelegenheit. In eigner, gab er hochmütig zur Antwort. Sagt ihr, ich sei der Kavalier, über den sie gestern mit Doña Anna de Velasco gesprochen habe. Ich führte ihn in die Gemächer meiner Herrin und meldete ihn. Die Marquise ließ einen Ausruf vernehmen und sagte in übermäßiger Freude, er könne eintreten. Sie begnügte sich nicht damit, ihn freundlich zu empfangen, sie schickte all ihre Frauen zum Zimmer hinaus. So blieb der kleine Bucklige, glücklicher als je ein Ehrenmann, mit ihr allein. Die Zofen und ich, wir lachten ein wenig über dies schöne Tête-à-tête, das fast eine Stunde dauerte; dann verabschiedete meine Herrin den Buckligen unter Höflichkeiten, die verrieten, wie zufrieden sie mit ihm war.

Sie hatte an seiner Unterhaltung so großen Gefallen gefunden, daß sie mir abends unter vier Augen sagte: Gil Blas, wenn der kleine Bucklige wiederkommt, so laßt ihn so heimlich wie möglich ein. Dieser Befehl, das will ich gestehn, erregte seltsamen Verdacht in mir; als jedoch der kleine Mensch wiederkam, es war am nächsten Morgen, führte ich ihn, entsprechend dem Befehl meiner Herrin, auf einer verborgenen Treppe in das Zimmer der gnädigen Frau. Ich tat das gehorsam noch zwei- bis dreimal, und ich schloß daraus, daß die Marquise bizarre Neigungen hatte, oder daß der Bucklige die Rolle eines Kupplers spielte.

Meiner Treu, sagte ich, in diesem Glauben befangen, wenn meine Herrin einen Ehrenmann liebt, so verzeihe ich ihr; aber wenn sie in diesen Affen vernarrt ist, so kann ich diese Geschmacksverirrung, offen gestanden, nicht entschuldigen. Wie falsch ich meine Herrin beurteilte! Der kleine Bucklige beschäftigte sich mit der Magie; und da man der Marquise sein Wissen gerühmt hatte, und sie gern auf die Wunder eines Scharlatans einging, so hatte sie heimliche Unterredungen mit ihm. Er zeigte im Glase Erscheinungen, sagte mit dem drehenden Siebe wahr und offenbarte für Geld alle Geheimnisse der Kabbala; oder besser, er war ein Schelm, der auf Kosten leichtgläubiger Menschen lebte; und man sagte, er erhöbe Tribut von mehreren Frauen von Stande.


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