Alain René Lesage
Gil Blas von Santillana
Alain René Lesage

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Sechstes Kapitel.

Wie Aurora Gil Blas'n empfing und wovon sie sich unterhielten.

Ich fand Aurore'n im Nachthabit; was mich nicht wenig erfreute. Ich grüßte sie auf's ehrerbietigste, und mit so vielem Anstand als nur immer möglich. Sie empfing mich mit lächelndem Gesicht, nöthigte mich, mich neben sie hinzusetzen, und – was mich vollends entzückte – befahl ihrer Abgesandtinn, in's nächste Zimmer zu gehen.

Nach diesem nichts übel weissagenden Vorspiele sagte sie zu mir: Gil Blas, Ihr werdet bemerkt haben, daß ich Euch mit günstigerm Aug' ansehe, als die übrigen Leute meines Vaters, Euch den Vorzug vor ihnen gebe, und habt ihr nicht aus meinen Blicken geschlossen, daß ich Euch nicht abgeneigt sey, so werdet Ihr nach dem Schritte, den ich diese Nacht gethan 200 habe, daran zu zweifeln gar keine Ursache mehr finden.

Mehr zu sagen ließ ich ihr nicht Zeit. Als Mann von Lebensart glaubt' ich ihrer Verschämtheit das Peinliche einer förmlichen Erklärung ersparen zu müssen. Ich stand mit Entzücken auf, warf mich hin Aurore'n zu Füßen, wie ein Theaterheld vor seine Prinzessinn, und rief in deklamirendem Tone: Wie, Gnädige, darf ich meinem Gehöre trauen? Richtete sich diese Rede an mich? Sollt' es möglich seyn, daß Gil Blas, bis jetzt der Fangball des Glücks, und der Wegwurf der ganzen Natur, so glücklich wäre, Ihnen Gesinnungen eingeflößt zu haben, die . . . . .

Werdet nicht so laut! unterbrach mich meine Herrschaft, mit lachendem Munde, Ihr möchtet meine Mädchen aufwecken, die hier nebenan schlafen. Steht auf, setzt Euch wieder an Euren Platz, und hört mich an bis zu Ende, ohne mir in's Wort zu fallen. Ja, Gil Blas, fuhr sie fort, indem sie ihre ernste Miene wieder annahm, ich bin Euch gewogen, und zum Beweise hiervon will ich Euch ein Geheimniß anvertrauen, von welchem das Glück meines Lebens abhängt.

Ich liebe einen jungen, schönen, wohlgebildeten Cavalier aus einem der ersten Häuser; den Don Luis Pacheco. Ich seh' ihn unterweilen auf Spaziergängen, und in 201 Schauspielen; doch gesprochen hab ich ihn noch nie. Mir ist sogar sein Character und seine Aufführung nicht bekannt. Gleichwohl möcht' ich davon gern auf's genaueste unterrichtet seyn. Hierzu bedürft' ich Jemandes, der sich nach seinen Sitten auf's sorgfältigste erkundigte, und mir treuen Bericht ablegte. Ich wähle Euch vorzüglich vor allen unsern andern Leuten, und glaube nichts zu wagen, wenn ich Euch mit diesem Auftrage belade. Ich hoffe, Ihr werdet ihn mit eben so vieler Geschicklichkeit als Verschwiegenheit besorgen, und es soll mich gar nicht reuen, Euch meines Zutrauens gewürdiget zu haben.

Hier hörte das Fräulein auf zu reden, und meine Antwort zu erwarten. Anfänglich war ich nicht wenig betreten, daß ich mich so gewaltig hatte hinter's Licht führen lassen; ich erhohlte mich aber bald wieder, besiegte die Scham, die eine stete Gefährtinn verunglückter Verwägenheit ist, und äußerte so viel warmes Interesse für die Dame, widmete mich ihr mit soviel brennendem Diensteifer, daß ich, wofern ich ihr nicht gänzlich den Gedanken benahm, ich hätte mir thörichter Weise mit ihrer Zuneigung geschmeichelt, ihr doch wenigstens zu erkennen gab, ich wisse einen dummen Streich wieder gut zu machen. Ich bat mir nur zwey Tage aus, um ihr von Don Luis gehörige Rechenschaft ablegen zu können. Hierauf führte mich die Dame 202 Ortiz, die das Fräulein hereingerufen hatte, in den Garten zurück, und sagte beym Weggehen mit einer spöttischen Miene zu mir: Gute Nacht Gil Blas, ich will's Euch nicht einknüpfen, beym nächsten Rendezvous früh zu erscheinen. Ich kenne Eure Pünctlichkeit hierin zu gut, als daß ich dieserhalb besorgt seyn dürfe.

Ich kehrte also wieder in meine Stube zurück, wegen der mir fehlgeschlagnen Hoffnung etwas ärgerlich. Nichts desto weniger war ich vernünftig genug, mich hierüber zu trösten. Es ziemt sich besser für Dich, dacht' ich, den Vertrauten Deines Fräuleins als ihren Liebhaber zu machen. Vielleicht wirft's auch dabey was für Dich ab: die Liebesmäkler werden für ihre Mühe gemeiniglich gut belohnt. Sonach legt' ich mich des festen Vorsatzes zu Bette, Aurorens Verlangen zu erfüllen.

Zu dem Ende ging ich gleich den folgenden Morgen aus. Die Wohnung eines solchen Cavaliers, wie Don Luis, war gar bald ausgeforscht. Ich erkundigte mich nach ihm in der Nachbarschaft, konnte aber nicht hinlängliche Nachrichten erhalten. Dieß nöthigte mich Tages darauf von neuem Untersuchungen anzustellen. Dießmahl war ich glücklicher, ich begegnete einem Bekannten auf der Gasse, stehe da und plaudere mit ihm, indem geht einer von seinen Freunden vorbey und redet ihn an. Er 203 sagte, eben hätt' ihn Don Josef Pacheco, der Vater des Don Luis, fortgejagt, weil man ihm Schuld gegeben habe, er hätte einen Vierteleimer Wein ausgesoffen.

Eine so schöne Gelegenheit, alles zu erfahren, was ich zu wissen verlangte, ließ ich nicht aus den Händen; und ich hatte endlich so viel herausquästionirt, daß ich höchst zufrieden, meiner Herrschaft Wort halten zu können, nach Hause ging. Die nächste Nacht war anberaumt, daß ich um die nähmliche Stunde, auf die nähmliche Art, wie das erstemahl, zu ihr kommen sollte. Dießmahl fühlt' ich nichts weniger, denn Herzensdrang, und war so weit entfernt über meines alten Herrn Erzählungen verdrüßlich zu werden, daß ich ihn vielmehr selbst auf sein soldatisches Steckenpferd brachte. Ich hörte mit der größten Ruhe von der Welt die Glocke Zwölf ertönen, und nachdem ich noch einige Stadtuhren hatte schlagen hören, stieg ich herab in den Garten unpommadirt und unparfümirt; auch in dem Stücke hatte ich mich geändert.

Ich fand die erztreue Duenna schon auf dem Platze, die mir den boshaften Vorwurf machte: mit meiner Eilfertigkeit ging' es verzweifelt bergunter. Ich antwortete ihr darauf nicht, und ließ mich in Donna Aurore'ns Gemach führen, die mich gleich beym Eintritte fragte, ob ich mich nach dem Don Luis genau 204 erkundigt und Vieles in Erfahrung gebracht hätte.

Beydes, gnädiges Fräulein, sagt' ich; ich kann Ihre Neugier aufs völligste befriedigen. Zuerst muß ich Ihnen sagen, er ist im Begriff nach Salamanka zurückzukehren, um daselbst seine Studien zu enden. Wie man mir gesagt hat, ist's ein junger Edelmann voller Rechtschaffenheit und Redlichkeit. An Muth kann's ihm gar nicht fehlen, denn er ist von edlem Geblüt, und Castilier. Ueberdieß hat er viel Geist, und viel, Welt. Was Ihnen aber nicht gefallen wird und was ich Ihnen nothwendig sagen muß, er macht's so wie alle junge Cavaliere, ist ein verdammt lockrer Zeisig. Sollten Sie's wohl glauben, daß er, so jung er auch ist, mit zwey Komödiantinnen in sehr engem Liebesverständnisse steht. Was sagt Ihr mir, versetzte Aurore. Welche Sitten! Bist Du aber fest versichert, Gil Blas, daß er ein so zügelloses Leben führt? Völlig, gnädiges Fräulein, antwortete ich. Ein Bedienter, den man heute früh aus dem Hause gejagt, hat mir's gesagt, und Bediente sind sehr aufrichtig, wenn von den Fehlern ihrer Herrschaften die Rede ist. Ueberdieß sind Don Alexo Segiar, Don Antonio Centellez und Don Fernando de Gamboa sein täglicher Umgang. Was bedarf es weiters Zeugnisses, daß er wild in's Gelag 'nein lebt. 205

Nichts weiter von ihm! Gil Blas, sagte das Fräulein seufzend; ich will nach dieser Nachricht meine unwürdige Leidenschaft bekämpfen. Zwar hat sie bereits tiefe Wurzeln in meinem Herzen geschlagen, doch geb' ich noch nicht alle Hoffnung auf, sie auszurotten. Geht, fuhr sie fort, und drückte mir einen kleinen Geldbeutel in die Hand, der nicht leer war. Hier habt ihr etwas für Eure Bemühungen. Hütet euch ja mein Geheimniß zu entdecken. Bedenkt, daß ich auf Euch das uneingeschränkteste Vertrauen gesetzt habe.

Ich versicherte meiner Herrschaft, ich sey der HarpokratesHarpokrates, »der Gott des Stillschweigens bey den Ägyptern.« – D. Uebers. aller Vertrauten, und sie könne dieserhalb ganz ruhig seyn. Nach dieser Versicherung begab ich mich fort, voll brennender Ungeduld, zu wissen, was in dem Beutel sey. Ich fand zwanzig Pistolen darin.

Hm! dacht' ich, Aurore hätte Dir gewiß noch mehr gegeben, wenn Du ihr eine angenehme Nachricht gebracht, da sie eine kränkende so gut bezahlt. Es reute mich nun, daß ich es nicht wie die Rechtsgelehrten gemacht, die unterweilen der Wahrheit in ihren Protocollen Schmink' aufzulegen pflegen. Mich ärgerte es, ein Liebesfeuer in seiner Geburt erstickt zu 206 haben, bey dem ich mich in der Folge sowohl hätte wärmen können, wenn ich nicht so dumm-treuherzig gewesen wäre. Indeß hatt' ich doch den Trost, wieder zu dem Gelde gelangt zu seyn, das ich so zur unrechten Zeit an Pomaden und wohlriechenden Sachen verschwendet hatte.

 


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