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Nun kann der Dichter zu diesem Grade der Illusion, wie die Erfahrung zeiget, auch die Vorstellungen anderer, als sichtbarer Gegenstände erheben. Folglich müssen notwendig dem Artisten ganze Klassen von Gemälden abgehen, die der Dichter vor ihm voraus hat. Drydens Ode auf den Cäcilienstag ist voller musikalischen Gemälde, die den Pinsel müßig lassen. Doch ich will mich in dergleichen Exempel nicht verlieren, aus welchen man am Ende doch wohl nicht viel mehr lernet, als daß die Farben keine Töne, und die Ohren keine Augen sind.
Ich will bei den Gemälden bloß sichtbarer Gegenstände stehen bleiben, die dem Dichter und Maler gemein sind. Woran liegt es, daß manche poetische Gemälde von dieser Art, für den Maler unbrauchbar sind, und hinwiederum manche eigentliche Gemälde unter der Behandlung des Dichters den größten Teil ihrer Wirkung verlieren?
Exempel mögen mich leiten. Ich wiederhole es: das Gemälde des Pandarus im vierten Buche der Ilias ist eines von den ausgeführtesten, täuschendsten im ganzen Homer. Von dem Ergreifen des Bogens bis zu dem Fluge des Pfeiles, ist jeder Augenblick gemalt, und alle diese Augenblicke sind so nahe und doch so unterschieden angenommen, daß, wenn man nicht wüßte, wie mit dem Bogen umzugehen wäre, man es aus diesem Gemälde allein lernen könnteIliad. Δ. v. 105.
. Pandarus zieht seinen Bogen hervor, legt die Sehne an, öffnet den Köcher, wählet einen noch ungebrauchten wohlbefiederten Pfeil, setzt den Pfeil an die Sehne, zieht die Sehne mitsamt dem Pfeile unten an dem Einschnitte zurück, die Sehne nahet sich der Brust, die eiserne Spitze des Pfeiles dem Bogen, der große gerundete Bogen schlägt tönend auseinander, die Sehne schwirret, ab sprang der Pfeil, und gierig fliegt er nach seinem Ziele.
Αυτίκ' εσύλα τόξον εΰξοον – – – –
Καὶ τὸ μὲν ευ̃ κατέθηκε τανυσσάμενος, ποτὶ γαίη
’Αγκλίνας – – – – – – –
Αυτὰρ ο σύλα πω̃μα φαρέτρης· εκ δ' έλετ' ιόν
’Αβλη̃τα, πτερόεντα, μελαινω̃ν έρμ' οδυνάων,
Αι̃ψα δ' επὶ νευρη̃ κατεκόσμει πικρὸν οϊστόν, – –
‛Έλκε δ' ομου̃ γλυφίδας τε λαβὼν καὶ νευ̃ρα βόεια.
Νευρὴν μὲν μαζω̃ πέλασεν, τόξω δὲ σίδηρον. –
Αυτὰρ επει δὴ κυκλοτερὲς μέγα τόξον έτεινε,
Λίγξε βιός, νευρὴ δὲ μέγ' ίαχεν, αλτο δ' οϊστός
’Οξυβελής, καθ' όμιλον επιπτέσθαι μενεαίνων.
Übersehen kann Caylus dieses vortreffliche Gemälde nicht haben. Was fand er also darin, warum er es für unfähig achtete, seinen Artisten zu beschäftigen? Und was war es, warum ihm die Versammlung der ratpflegenden zechenden Götter zu dieser Absicht tauglicher dünkte? Hier sowohl als dort sind sichtbare Vorwürfe, und was braucht der Maler mehr, als sichtbare Vorwürfe, um seine Fläche zu füllen?
Der Knoten muß dieser sein. Obschon beide Vorwürfe, als sichtbar, der eigentlichen Malerei gleich fähig sind: so findet sich doch dieser wesentliche Unterschied unter ihnen, daß jener eine sichtbare fortschreitende Handlung ist, deren verschiedene Teile sich nach und nach, in der Folge der Zeit, ereignen, dieser hingegen eine sichtbare stehende Handlung, deren verschiedene Teile sich nebeneinander im Raume entwickeln. Wenn nun aber die Malerei, vermöge ihrer Zeichen oder der Mittel ihrer Nachahmung, die sie nur im Raume verbinden kann, der Zeit gänzlich entsagen muß: so können fortschreitende Handlungen, als fortschreitend, unter ihre Gegenstände nicht gehören, sondern sie muß sich mit Handlungen nebeneinander, oder mit bloßen Körpern, die durch ihre Stellungen eine Handlung vermuten lassen, begnügen. Die Poesie hingegen – –