Theodor Lessing
Haarmann
Theodor Lessing

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Vorwort

Kein Baum und kein Wald rauscht durch diese Geschichte. Keine Blume und kein Stern blicken tröstend darein. Es handelt sich um das hoffnungslos dunkle Gemälde einer von allen Naturgöttern ausgestoßenen Höhlenmenschheit, welcher auch das Beglückendste und Heiligste, das im Kosmos waltet: die schöpferische Liebesmacht der Natur zu Verbrechen und Krankheit, Laster und Unnatur mißraten ist. Nur mit Widerwillen, ja oft mit Ekel bin ich, ganz andersartige Lebensarbeit unterbrechend, der Chronist dieses Stückes »Kulturgeschichte« geworden. Aber erstens wurde ich da hineingedrängt durch ein Gericht, das die Wahrheit zu verschleiern drohte und mithin das ewig gültige Recht zu Gunsten des bloß zeitlich geltenden Rechts zu beugen unternahm. Weil aber die Wahrheit bedroht war, so wurde es fast zur Pflicht, folgerichtig durchzugreifen und den gesamten Rechtsfall klar und sachlich vor die Nachwelt zu bringen. Dazu aber kam ein zweites: In Stadt und Schauplatz gewurzelt, war ich der einzige, der Ort, Zeit, Personen und Zusammenhänge völlig übersehen konnte. Und so wurde es auch von dieser Seite her zur Pflicht gegen die künftigen Geschlechter, den merkwürdigsten Rechtsfall unserer Tage aufzubewahren. Es geschah so, daß dem einfachen Leser alle Vorgänge bildhaft lebendig werden, daß andererseits aber auch für die Wissenschaft: Psychologie, Psychiatrie, Strafrecht und Rechtsethik, das Studium dieses Kriminalfalles wertvoll bleibt. Darüber hinaus aber sehe man in dieser Schrift ein Stück Zeitkritik und Charakterkunde; denn in dieser Hinsicht kann dies Buch gelten als ein sinnfälliges Beispiel zu den Lehren, die ich in »Untergang der Erde am Geist« und »Geschichte als Sinngebung des Sinnlosen« über Philosophie der Kultur und in der »Symbolik der menschlichen Gestalt« zur Psychologie niedergelegt habe.

Hannover, im Januar 1925.

Theodor Lessing,
Dr. med. und phil. Prof. der Psychologie.


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