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Mit ihr starb all meine Lebensfreude. Aus ihrem Grabe wuchs mir Groll und Haß. Das Leben hatte seinen Sinn verloren, die Welt war öde, und die Schöpfung war entgöttert.
Doch mich in unfruchtbarem Schmerze zu verzehren war nicht meine Art. Ich hatte aus dem großen Beispiel der Natur gelernt, die Leidenschaften zu bezwingen und zu nutzen.
Der unbeherrschte Dampf zersprengt den Kessel; gefesselt, schleppt er Lasten, treibt er Schiffe. Die Kraft zu unserm Handeln mögen wir der Leidenschaft entlehnen, doch sein Ziel muß dem Gebote unsres Willens folgen. Die Feuerkraft entflammten Pulvers gibt dem Geschosse seine Wucht, doch seine Richtung wird ihm durch das Stahlrohr aufgezwungen.
Rasende Sehnsucht war die Feuerkraft, die mein Unterfangen mit dem Sturmhauch ihres Atems drängte und beschwingte, und mit dem Stahle meines Willens, in zorniger Verachtung aller Grenzen, suchte ich mein Ziel geradewegs in der Unendlichkeit. Agathe mußte ich zurückerobern. Nicht durch Gebet, nein, durch Gewalt, nicht in den Himmeln, deren trügerische Leere ich verlachte, nein, auf Erden, nicht in der Zukunft, die ich haßte, in der Vergangenheit, die mich in meinen Träumen lockte. Durch eine Maschine war sie mir entrissen worden, eine Maschine sollte sie mir wiedergeben.
Ich wollte unternehmen, was noch nie zuvor ein Mensch begann: die Zeit besiegen.
Der Raum ist überwunden; es sind die Tage nicht mehr ferne, da wir im Weltenraum von Stern zu Stern gelangen werden. Aber die Zeit ist unbesiegt. Sie macht den Zufall zum Regenten unsres Lebens, das Werden straft sie durch Vergehen, den Plan läßt sie durch die Erfüllung sinnlos werden, sie macht das Heute zu dem Feind des Gestern, sie macht uns sterblich. Unbesiegt ist sie.
Doch ist sie unbesiegbar? Trägt dieser Ozean kein Schiff und keine Brücke? Hat nicht der erste Mensch, der auf das Weltmeer blickte, sich verzweifelnd abgewendet, hoffnungslos, es jemals zu durchqueren?
Die Zeit besiegen! Den längst verlornen Augenblick erhaschen, wiederbringen, was unwiederbringlich schien, und das Vergangene unvergänglich machen! In einem neuen und verführerischen Sinne erstrahlte mir das Wort des Dichters: »Zum Augenblicke dürft’ ich sagen: Verweile doch, du bist so schön!«
Das war mein Ziel. Ihm galten meine besten Kräfte, mein letztes, tief behütetes Erkennen.
Und nun das Rätsel, das grauenvolle Wunder: Wie ich dies Ziel verfolgte, weiß ich nicht; ja, ich weiß nicht, ob ich es erreichte.
Ich weiß, daß ich viele Jahre, wohl reichlich über ein Jahrzehnt, mit heißestem Bemühen nur diesem einen Plane nachhing, daß ich ihm alles opferte, Jugendkraft und Geld und äußeres Ansehen, daß ich Schweres litt. Bis wir zuletzt – ich und die gute Mutter, der Vater war schon längst verstorben – in bittrem Elend darbten. Aber welche Höhen ich durchmaß und welche Tiefen, welche Erkenntnisse ich sammelte, welch wechselvolle Freuden und Enttäuschungen ich zu durchleben hatte – ich weiß es nicht, ich habe es vergessen. Wie Nebelschleier über einer Landschaft, aus der nur hie und da ein Baum aufschimmert, eine Felswand oder das matte Leuchten eines ungewissen Lichtes – so breitet sich Vergessen über alle jene Jahre. Gleich einem bunten, wirren Traum, der uns ein ganzes reiches Schicksal durchleben läßt, voll Abenteuer, Spannung, Mißgeschick und Aufstieg – und den man im Erwachen schon vergißt.
Und doch sind es gerade meine Träume, die aus jenem Nebelmeer in vielfarbigem Glanze leuchten. Agathe kam zu mir in meinem Träumen, schweigend und ernst, in alter Tracht, mit Reifrock, Halskrause und Haube. Immer vielfältiger wurde der Reigen meiner nächtlichen Besucher und ihr Verweilen immer ungestümer und immer lockender ihr Werben. Und immer mächtiger ward meine Sehnsucht nach Vergangenem, wuchs mein Verlangen nach verjährten Zärtlichkeiten.
Irgendwo, bei Maupassant, habe ich gelesen: »Ich bin besessen von dem Wunsche nach Frauen längst entschwundner Zeiten, ich liebe sie von ferne. Und die Kunde der verschollnen Zärtlichkeiten füllt mein Herz mit Trauer. O Schönheit, Lächeln, jugendfrohes Hoffen, warum müßt ihr sterben! Wie hab’ ich euch beklagt in langen Nächten, ihr holden Frauen der Vergangenheit. Sehnsüchtig öffneten sich eure Arme nach dem Kusse, und ihr mußtet sterben! Doch der Kuß stirbt nicht. Er zieht von Mund zu Mund und von Jahrhundert zu Jahrhundert. Die Menschen geben, nehmen ihn und sterben.
Es lockt mich die Vergangenheit, die Gegenwart erschreckt mich und die Zukunft ist der Tod. Was je geschehen ist, beklage ich, und ich beweine alle, die einst lebten. Festhalten möchte ich die Zeit, bannen wollte ich die Stunde. Doch sie verrinnt, sie nimmt von Augenblick zu Augenblick ein Stück von mir – pour le néant de demain. Et je ne revivrai jamais.«
Wie liebliche Musik bleibt mir die holde Trauer dieser Worte unauslöschlich im Gedächtnis. Sonderbar, daß es ein Irrer ist, den der Dichter solche Worte sprechen läßt!
Traum und Nebel und Vergessen! Wo ist Wirklichkeit, wo ist Erwachen? Sind jene Träume – an die allein ich mich erinnere – Wirklichkeit, und was ich sann und schaffte, war geträumt? Und was ich jetzt durchlebe, ist’s ein Traumbild oder Wachen? Wenn’s Wahrheit ist, so ist dann alles Frühere ein Traum? Und wenn das jetzt ein Traum ist, wo ist dann das Wachen, wann, wann denn werde ich erwachen? »Früher, jetzt und später« – o Schauder, sie haben ihren Sinn für mich verloren, diese Worte. Ach, ich weiß nicht, bin ich von Sinnen oder umfängt mich ein furchtbares Wunder.