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Trotz seines königlichen Namens war Ed Tudor, recte Edward Tudor, kein Mitglied der britischen Aristokratie. Er war ein Dreiviertelblut-Indianer, untersetzt und dunkelhäutig, mindestens ein Viertel in ihm war ein Mischmasch aus französischem, portugiesischem und wahrscheinlich mexikanischem Blut. Aber Ed war der erfolgreichste Trapper des Distrikts und Besitzer einer prachtvollen Blockhütte mit zwei Zimmern.
Auch war sein Tanz nicht eigentlich sein Tanz, sondern von Lawrence Jackfish bezahlt, der für seine Reise mit Joe Easter bares Geld in die Hand bekommen hatte und nun vor Sehnsucht brannte, es loszuwerden. Er hatte sich bereits einen neuen Hut gekauft, der aussah wie die Kopfbedeckung eines Filmcowboys, ein neues Perlenband für diesen Hut und ein Gewehr aus sechster Hand, und nun verwendete er die Überreste seines Reichtums dazu, Eds Hütte zu mieten und einen Ball zu veranstalten, für alle, die da kommen wollten.
Der große und sehr niedrige Hauptraum der Hütte hatte einen Fußboden aus knorrigen Föhrenbrettern, die Wände waren mit alten Zeitungen tapeziert. Unter dem Dach lagen in wüstem Durcheinander Schlitten, Hundegeschirre und Schneeschuhe. Auf der einen Seite war eine Feuerstelle mit einem Tisch davor, auf der anderen stand ein Bett, das mit einer schreiend bunten Decke zugedeckt war. Irgendwo auf dem Fußboden hatten sich zwei Stühle verirrt, und auf diesen saßen die ehrwürdigsten Indianersquaws. Die übrigen Gäste lungerten auf dem Bett herum, hockten an den Wänden auf ihren Absätzen oder standen herum und warteten mit fast chinesischer Geduld auf den Beginn der Lustbarkeit.
Die Regeln des Etikettebuches für die jungen Männer von Mantrap Landing schrieben nicht vor, daß diese ihre Damen zum Tanz aufforderten. Wenn vier Männer nach einer halben Stunde angestrengten Nachdenkens zu dem Schluß gekommen waren, daß sie an diesem Tanz teilnehmen könnten, pflanzten sie sich in der Mitte des Zimmers auf, den Hut auf dem Kopf, und wisperten und kicherten miteinander, bis vier Squaws – meistens junge – den gleichen schweren Entschluß faßten und sich aus freien Stücken zu ihnen gesellten. Die Männer und die Mädchen sprachen nicht ein Wort miteinander – von Plaudern wußten sie nichts – sie hatten nur den Wunsch, mit dem Tanzen zu beginnen.
Sie warteten, bis das Oktett komplett war, dann fingen sie an, den Boden in fleißiger Quadrille mit den Füßen zu stampfen, die jungen Männer schwangen die Mädchen tüchtig herum oder ließen sich ebenso herzlich von den kräftigen Weibern herumschwenken. Obwohl nur wenige von ihnen Englisch sprachen, wurden alle Kommandos für die Figuren in dieser Sprache gegeben, weil es sonst, sogar für indianische Geduld, zu lange gedauert hätte.
»Vögelchen im Käfig und drei Burschen drum rum«, bellte Lawrence Jackfish, und eine tiefernste Squaw wurde von drei tiefernsten jungen Männern umkreist. »Vögelchen fliegt aus, und Falke fliegt ein; Falke fliegt aus und gibt Vögelchen 'nen Stoß.«
… Bum, bum, bum, von den Mokassinfüßen. Der Ruf: »Falke fliegt ein!« Hüpfende Gestalten, verwischte Konturen im Lampenlicht, das kaum den wirbelnden Tabakrauch zu durchdringen vermag. Unter und über und hinter den Tanzenden das ohrenzerreißende Quieken der Fiedel, das lautere Fußstampfen des Geigers im Takt zu den stoßenden Melodien altmodischer Gigs, Truthahn im Heuschober, Truthahn im Stroh … Truthahn im Heuschober … Truthahn im Stroh … Bum, bum, bum …
So sah und hörte Ralph mit den anderen den Tanz, während sie sich durch die Menge, die an der Tür stand und zuschaute, ihren Weg bahnten. Er bemerkte, daß die Indianer sie mit unfreundlichen Blicken musterten. Sie starrten Alverna an (die rote Backen hatte, fröhlich lachte und ununterbrochen vor froher Erregung in die Höhe sprang) und wichen vor Curly Evans, der in Uniform war, scheu zurück.
»Glauben Sie, wir sollen da rein?« fragte Ralph leise Alverna.
»Ach, der Teufel soll sie holen! Wir wollen ihnen mal zeigen, was lustig sein heißt und wie richtiges Tanzen aussieht.«
Alverna faßte Curlys Arm und zerrte ihn hinein. Die Quadrille blieb stehen, die kreischende Fiedel hörte auf zu spielen, die Tänzer rissen den Mund auf. Alverna wandte sich an den Wirt, den Diener ihres Mannes: »Sind wir eingeladen, Lawrence?«
Er sah nicht sehr glücklich aus, brummte aber schüchtern: »Ja, glaub' schon.«
»Dann sag mal dem Geiger, er soll was Flotteres spielen. Ist das alles, was er kann, diese dummen alten Sachen? Na also, gut, danach werden wir so was ähnliches wie Onestep tanzen können, glaub' ich.«
Unter den glotzenden Blicken der Indianer, denen ihre Lustbarkeit plötzlich weggenommen war, tanzte Alverna mit George Eagan durch das Zimmer, während der Geiger Töne produzierte wie ein reparaturbedürftiges elektrisches Klavier.
Pete Renchoux und Curly Evans fanden zwei Indianermädchen, die sich etwas graziöser bewegen konnten als Ameisenbären, bemächtigten sich ihrer trotz allen schamhaften Gekichers und versuchten ihnen Onestep beizubringen – eine Aufgabe, der sich die Indianerinnen mit dem Eifer galoppierender Kühe hingaben. Pop diskutierte mit Lawrence Jackfishs Großmutter, einer matriarchalischen Dame von zweieinhalb Zentnern, über Ästhetik und über den Nerzfang.
Ralph blickte feierlich auf die Indianer im Zimmer, und die Indianer blickten feierlich auf ihn. Keine der beiden Parteien schien sehr erfreut zu sein – welche mehr Unbehagen empfand, ist nicht leicht zu entscheiden. Aber allmählich ließen sich die jungen Burschen zum Tanz der Weißen verleiten und schritten mit widerstrebenden Squaws rasch im Zimmer herum, immer an der Wand entlang, in einer Art Turnermarsch, den sie voller Freuden für Onestep hielten.
Die Luft wurde immer erstickender vom Tabakrauch. Durch diesen Nebel klang nur gedämpft das Scharren der Füße, das endlose Ratata der Fiedel und das Takttreten des Geigers. Aber über den ganzen Lärm erhob sich ein helles Geräusch: Alvernas Lachen.
»Es macht ihr Freude, dem armen Ding. Für sie ist das alles etwas sehr Schönes«, dachte Ralph, und sein Herz dehnte sich aus, er fühlte sich plötzlich frei – frei von dem unaufhörlichen Kopfzerbrechen des Ralph Prescott, frei von allen Gedanken an Joe Easter.
Curly und Alverna kamen an ihm vorbei und gingen auf die Tür zu.
»Es ist so rauchig – 'n bißchen frische Luft schnappen!« murmelte sie, schaute ihn aber dabei nicht an, löste ihren Blick nicht von den kühnen Augen Curlys.
Er konnte die beiden am Rande des Lichtstreifens, der durch die Tür hinausfiel, unter einer Tanne stehen sehen. Curly streichelte sie und hielt ihre Hand in der seinen; er gab wohl vor, ihr durchaus wahrsagen zu wollen. Sie sprang vor Freude und versuchte ihre Hand freizumachen – nicht sehr ernsthaft, wie es schien. Plötzlich raste schwarzer, eifersüchtiger Haß gegen Curly in Ralph. Bei Joe war sie tabu, bei Curly Evans aber etwas, um das gekämpft werden mußte. Er tat seinem ewigen marternden Denken Einhalt und überließ sich seinen Gefühlen. Und sein Gefühl für Alverna war etwas Tieferes und Zärtlicheres, etwas, das freier von aller Niedrigkeit war als alles, was er bisher empfunden hatte.
Mitleid mit ihren armseligen Vergnügungen, Bewunderung für ihre Tapferkeit, Sorge um ihre Tollheit – und das Bedürfnis nach der tröstenden Weichheit ihrer schmalen Hände.
Er war ein einsamer Mann!
Das empfand er, ohne es in Worte zu fassen. Er war ein einsamer Mann und brauchte sie, während Curly Evans ein skrupelloser Vagabund der Liebe war, gegen den er sie in Schutz nehmen mußte. Er drängte sich durch die Menge vor der Tür und schritt auf das Paar unter der Tanne zu.
»Alverna!« sagte er scharf. »Sie sollten nicht hier bleiben, wo diese Indianer Sie beobachten können. Wenn Sie tanzen wollen, tanzen Sie! Ich – wollen Sie mit mir tanzen?«
» Können Sie tanzen, Schatz?«
»Ich kann! Verdammt gut kann ich.«
»Na, Mr. Ralph Prescott, es hat immer einen sehr einfachen und eleganten Weg gegeben, auf dem man zu der Ehre kommen kann, mit mir zu tanzen: man braucht mich nur aufzufordern. Warum haben Sie das nicht getan?«
»Ich fordere Sie auf!«
Curly maulte: »Sieh mal –«
»Du gehst und steckst den Schädel in kaltes Wasser«, sagte sie, nicht übertrieben vornehm, zu Curly.
Sie nahm Ralphs Arm und lief mit ihm an den Zuschauern vorbei in die stinkende Hütte.
»Jetzt werden wir ja sehen, wie das mit dem Verdammt-gut-Tanzen ist!« sagte sie.
Aber sie blickte ihn dabei zärtlich an.
Sie sah, wie es mit dem Tanzen bestellt war. Ralph war sicherlich der einzige routinierte Tänzer in der ganzen Gegend. Aber bisher hatte er immer nur mit der kühlen, sicheren Vollkommenheit des Mannes getanzt, der jederzeit das Richtige tut, eben weil es das Richtige ist. Sein Tanz bekam jetzt Leben, und seine Stimmung erhob sich zu einer lebendigen, warmen Leichtigkeit. Er vergaß das rauchige Zimmer, in dem er war, das plumpe Ta-ta-ta-ta-ta-ta-ta-ta der stolpernden Fiedel und das Taktstampfen des Geigers, er war in einem Paradies – er war ihr nahe.
»Hören Sie, Sie schmeißen aber die Hufe wirklich gut, warum haben Sie nicht schon früher mit mir getanzt?« fragte sie.
Trotzig: »Ich hatte Angst davor. Aber hol' Sie der Teufel, Alverna –«
»Herr Gott! Der Mann wird noch lebendig!«
»Wenn es nicht Joes wegen gewesen wäre, hätte ich's ja schon früher getan.«
»Nein, Sie sind einfach schrecklich! Sie haben eine dreckige Phantasie! Als ob unser bißchen Tanzen dem armen alten Joe was tun könnte! Sie müßten jetzt um Entschuldigung bitten, glaub' ich!«
»Sie glauben gar nichts Derartiges!«
Sie schien ihn trotz seiner Grobheit nicht weniger freundlich anzusehen. Sie seufzte (er mußte ihr in diesem Trubel die Worte von den Lippen ablesen): »Curly will noch einmal mit mir tanzen.«
Als er knurrte: »Ach, Curly soll zum Teufel gehen!« bereitete ihr das anscheinend nicht den geringsten Schmerz.
Während Ralph sie entdeckte und sich selbst vergaß, verlor die Umgebung für ihn ihre Scheußlichkeit. Das Zimmer war jetzt voller Indianerpaare, die sich mit vielem Trampeln und Stolpern mühsam vorwärts und rückwärts bewegten und dabei ununterbrochen vor Freude gackerten. Curly, der zuerst Ralph und Alverna wütend beobachtet hatte, tröstete sich jetzt mit der schlanksten der jungen Squaws und Pop Buck keuchte in seinem Bemühen, die protestierende und entzückte Großmutter Lawrence Jackfishs durch das Zimmer zu steuern.
Der Geiger ließ seine Fiedel immer gewaltiger kreischen und trat immer wilder den Takt. Die Zuschauer vor der Hütte verliehen ihrer Bewunderung schnatternd Ausdruck. George Eagan, der Cree sprach, torkelte unter ihnen umher, ließ die Burschen von seinem Fusel aus der Flasche trinken, und die jungen Leute begannen unter brüllendem Lachen vor der Hütte miteinander zu tanzen.
Und durch die springende Menge glitt Ralph mit Alverna und sah und hörte nichts außer ihr.
Mit einem Ruck wurde er auf die Erde zurückgerissen. An der Tür ließ sich eine polternde Stimme vernehmen, deren dicker schottischer Akzent im Zorn noch dicker klang: »Leute, ihr müßt sofort mit dem Krach aufhören, auf der Stelle! Ich kann nicht schlafen!«
Der Geiger hörte auf zu spielen. Die Füße scharrten nicht mehr. In der Tür stand rot und wutbebend McGavity von der Hudsons Bay, McGavity vom Fort, und schoß grimmige Blicke auf die eingeschüchterte Menge.
Als er Ralph, Alverna und Curly Evans sah, warf er zögernd die Lippen auf und kratzte sich am Kinn.
»Hallo, Mac!« sagte Curly lustig.
»Hallo, Evans«, sagte McGavity – nichts weniger als lustig.
»Machen wir zu viel Lärm?« fragte Curly.
»Ja – die Missus und ich konnten nicht schlafen. Ich dachte, daß das ein Indianertanz wäre!«
Alverna flüsterte Ralph zu: »O Himmel, das wird Mrs. Mac brühwarm erfahren, und dann kann ich mich auf was gefaßt machen. Joe ist ein lieber Kerl, aber, Herr Gott – wie kann er schimpfen!« Sie segelte auf McGavity zu und zwitscherte: »Wir haben nur eine Minute hereingeschaut, um ihnen zu zeigen, wie man Onestep tanzt. Joe wollte nachkommen, aber ich glaub', das arme Huhn ist eingeschlafen. Wir wollten uns eben auf den Heimweg machen. Gute Nacht, Lawrence, gute Nacht allerseits. Kommen Sie, Ralph. Gute Nacht, Mr. Mac.«
Sie nahm Ralphs Arm und ging dreist auf die Tür zu. Die Zuschauer machten Platz für sie, und sie schwebte zwischen ihnen hindurch, verbeugte sich nach rechts und links und versuchte auszusehen wie eine Gutsherrin, soweit das unter den wütenden Blicken von Mr. James McGavitys roten Augen möglich war. Ralph spürte den nervösen Druck ihrer Finger auf seinem Arm, und in diesem Augenblick hätte er McGavity mit Lust und Eifer töten können.
Er schritt mit ihr aus dem Licht der Hütte in die Dämmerung des Waldpfades hinaus, unbeschreiblich glückselig und erregt – er war allein mit ihr in der Nacht. Alle Probleme, alle Sorgen, alle Freundestreue wurde zunichte vor der zitternden Lebendigkeit dieses Manikürmädchens, das Helena und Isolde und Heloise in einem war.
Dann, plötzlich, war er sehr fühlbar nicht allein mit ihr. Curly Evans hatte sie eingeholt und nahm mit der verspielten Freundlichkeit eines jungen braunen Bären Alvernas anderen Arm. Er schrie: »Herrje, der alte Mac ist genau so liebenswürdig wie'n Ochsenfrosch. Mir vergeht wirklich schon die Lust, den Hüter von Gesetz und Ordnung zu spielen, die Schnapsbrennereien auszuheben – und überhaupt den braven Mann nach sechs Uhr abends zu markieren! Da könnt' man ja fast ebensogut Missionar sein! Herr Gott, Ralph!« – mit einer brüderlichen Zärtlichkeit, die Ralph gerade in diesem Augenblick voll wütender Verachtung ablehnte – »Sie sind wirklich ›Eins A‹ im Onestep … Aber an Alvy kann keiner ran!«
Er drückte ihren Arm, er drückte ihn voll knabenhafter Herzlichkeit. Ralph raste vor Eifersucht. Warum konnte dieser verdammte Narr sie nicht in Ruhe lassen! Er – er hätte mit ihr über den guten alten Joe geredet, und sie wären so ruhig und glücklich und manierlich durch die stille Nacht nach Hause gewandert.
Als die ganze Gesellschaft lärmend und johlend in das Haus kam, schlief Joe, in einem Küchensessel ausgestreckt, mit den Füßen auf einem anderen Stuhl. Was Curly und Alverna sahen, ist nicht bekannt, aber Ralph sah Joe wehrlos, gebeugt von übermäßiger Müdigkeit, mutlos.
Joes Kopf war hinten übergefallen, seine Wangen sahen hohl aus, und seine Hand hing schlaff und kraftlos, mit geschwellten Adern, herunter. Im Nu wurden Ralphs quälende Sorgen wieder lebendig … Hatte er Alverna behütet, wie Joe es von ihm erwartete? War sie ihm heilig gewesen? Hatten sie durch die Verärgerung der klatschsüchtigen McGavitys Joes Stellung als Prokonsul gefährdet?
Alverna aber schien frei von allen Sorgen zu sein. Sie setzte sich Joe auf den Schoß und lachte über ihn, sie streichelte und küßte ihn, und als er mit einem erschreckenden Schnarchton aufwachte, gluckste sie: »Ah, der süße kleine Joesy!« Aber Joe sagte nur unter nicht endenden Gähnkrämpfen: »Schon zurück? Na, die Jungs werden wohl wieder was zu trinken haben wollen.«
Die Jungs wollten wieder was zu trinken haben. Sie drückten diesen Wunsch höflich, aber bestimmt aus. Pop Buck, Eagan, Renchoux, Stromberg – und auch Biermeier, der aus seinem trunkenen Schlaf erwachte, sprachen davon wie von etwas Selbstverständlichem.
»Jetzt fängt das Beisammensein erst richtig an, mit 'nem kleinen Poker«, äußerte Pop Buck.
»Oh, fein, natürlich, klar!« jubelte Alverna.
»Das wird fein«, sagte Joe.
Wenn Pop Buck auch als Tänzer weit entfernt von jeglicher Vollkommenheit war, in der Kunst des Pokers war er über alles Lob erhaben. Er schielte nur so ganz nebenbei auf seine Karten, schlug nie auf den Tisch, bluffte nie – wenigstens hatte man diesen Eindruck – aber so oft er den Mund auftat, schien er mehr Asse in der Hand zu haben als jeder andere in dem Kreis krummrückiger Männer um den Tisch unter der Hängelampe. Und Joe Easter wurde wach. Er war unermüdlich im Mischen, Teilen, Kaufen und Erhöhen, und immer blieb sein Gesicht geheimnisvoll wie das einer Mumie.
Alle tranken wacker, und außer Pop, Joe und Ralph schrien alle immer lauter – lauter – schriller und aufgeregter, und in allen wuchs bis zur Unerträglichkeit die Sehnsucht, ihren ganzen Besitz auf eine Karte zu setzen.
Alverna beteiligte sich am Spiel, schien aber nicht die geziemende Ehrfurcht vor dem Ernst der Angelegenheit aufbringen zu können. Sie störte die grimmige Sachlichkeit der Spieler, indem sie sang, Joe zwickte, ein Glas Wasser nach Pete Renchoux warf und mit Curly Evans darüber stritt, ob sie ihm nachher einen Gutenachtkuß geben sollte – eine Debatte, zu der Joe, anscheinend nicht sehr erfreut, die Stirn runzelte.
Sie wurde einstimmig aufgefordert, »sich rauszuscheren und 'n bißchen Futter fertigzumachen.«
»Ich werde Ihnen helfen, Alverna«, sagte Ralph hastig.
»Mach uns 'n bißchen Speck und Eier, Alvy«, verlangte Pete.
»Diese Trapper«, vertraute Alverna Ralph neben dem Ofen an, »haben gar keinen guten Geschmack. Immer Speck und Eier! Ich werd' ihnen mal was zeigen!«
Und das tat sie. Aus Rühreiern und Büchsentomaten schuf sie etwas, womit ein französischer Koch zufrieden gewesen wäre. Während Ralph die Tomatenbüchse ausleerte und Alverna die Eier aufschlug, fragte er sie leise: »Sie haben Curly gern, nicht wahr?«
»Natürlich. Klar. Er ist 'n großartiger Junge!«
Er wollte faseln: »Haben Sie ihn lieber als mich?« Aber sogar in seinem immer noch zunehmenden Wahnsinn erschien ihm diese Frage ein wenig zu knabenhaft. Er ließ, trotzig und schweigend, das Wasser von den Tomaten abtropfen, und sie war es, die den Faden der Unterhaltung wieder aufnahm.
»Ralph!«
»Eh?«
»Sie sind so 'n Baby!«
»Warum?«
»Oh, ich glaube, Sie wissen blendend gut Bescheid mit Büchern und den Gesetzen und so – und sicher hat die Jane, die Ihnen das Tanzen beigebracht hat, ihre Sache verstanden. Aber Sie – ach, Sie haben keine Ahnung, wie man mit einem Mädel redet.«
»Ja?«
»Ja! Sie sind so'n komisches schüchternes Schäfchen. Herrje, wenn das ganze New York so ist wie Sie, muß es dort grad' so lustig sein wie im Leichenschauhaus am Sonntag nachmittag! Aber, oh, Junge, wenn Sie mal lebendig werden! Sie sind rausgekommen und haben mich von Curly weggeholt, als ob Sie der alte Mr. Lanzelot wären, oder wie der Bursche heißt, der aus dem Westen geritten gekommen ist und von dem wir immer in der Schule gelesen haben – der alte Doc Lanzelot selber. Ich wette, wenn Sie mal zehn Minuten lang nicht achtgeben und sich verlieben, werden Sie 'n regelrechter kleiner Vulkan sein!«
Sie warf ihm schnell einen Blick zu, er seufzte, lächelte sie an und freute sich darüber, daß er am Küchentisch einer Blockhütte stand, mit einem Manikürmädchen – der Frau seines besten Freundes.
»Aber Sie«, sagte er zögernd, während sie den Kaffee aufbrühte, »Sie machen sich sehr viel aus Curly?«
»Aus dem? Ach, Sie sind ja närrisch! Er ist sehr nett, aber er ist doch nur ein dummer Junge.«
Ralph fühlte sich seltsam beruhigt. Er redete sich ein, daß er nur Joes wegen diese eingehenden Untersuchungen anstellte.
In den Rachen der pokerbesessenen Helden verschwand das Eiergericht, ohne eines Lobs gewürdigt zu werden, und Whisky mit Wasser spülte es hinunter.
So ruhig und gelassen Männer in der Leidenschaft des Pokerspiels auch ihren Whisky trinken mögen, er übt schließlich seine Wirkung aus. Die Nacht ging rasch und wie im Traum vorüber – das bejahrte Grammophon gab keine quakenden Töne mehr von sich aber sie ging nicht ohne Resultate vorüber. Biermeier erhob sich inmitten eines Full House – gegen einen Dreier-Vierling – blieb noch bis zum Schlafzimmer nebenan lebendig und kam dann nicht mehr zum Vorschein. Pete Renchoux verschwand und ließ bis zum Morgen nichts von sich hören. Er hatte sich in der Veranda auf den Fußboden gelegt und war sofort eingeschlafen. Ralph und Alverna nahmen die Plätze der marodierenden Spieler ein, bis sie am Tisch zu nicken begannen und hinausstolperten, um frische Luft zu schöpfen.
Um elf Uhr, als sie Ed Tudors Hütte verlassen hatten, war es ziemlich dunkel gewesen. Jetzt war die Nacht vorüber, und Ralph sah durch den Dunst seiner Schläfrigkeit, daß es wieder Tag war, grauer Tag vor Sonnenaufgang.
Alverna setzte sich verschlafen auf sein Bett. Er legte ihren Kopf auf das Kissen und deckte sie zu, dann streckte er sich auf dem Boden aus, zwischen dem Bett und Pete Renchoux, der noch dalag, wie er sich hingeworfen hatte. Halb bewußtlos sah er noch Lichter und hörte matte Stimmen im Haus – jemand krächzte: »Und ich erhöhe um einen Knochen!«
Dann wußte er überhaupt nichts mehr, nichts von der Dämmerung und nichts von Alverna, die ruhig wie ein kleines Kind neben ihm schlief, nichts von Poker und von schleichenden Indianern, nichts vom träge rauschenden See.
Erschrocken fuhr er auf, ein langgezogenes Heulen, das klang wie das Wehklagen der armen Seelen in der Hölle, hatte ihn geweckt.
Er setzte sich auf und erinnerte sich, daß er von E. Wesson Woodbury geträumt hatte; daß er Woodbury gesehen hatte, mit Schlamm beschmiert, das Gesicht blutend von Dornenrissen und Moskitostichen, durch einen Sumpf taumelnd, verirrt, verhungernd.
Bald wußte er, was das Heulen war. Es waren die Ziehhunde, die den Sommer über auf dem Blaunaseneiland gehalten wurden, melancholische Hunde, die einander in der melancholischen Dämmerung zuheulten. Aber die Vision Woodburys blieb hartnäckig, das Bild eines einsamen, verschüchterten, schweigsamen Woodbury, dessen Ferien zu einem einzigen Schrecken geworden waren.
»Ja! Ich bin von ihm desertiert! Ich habe ihm die ganze Tour verpatzt! Und er hat es doch gut gemeint! Wir hatten so viel Freude und Spaß, als wir in New York den ganzen Plan entwarfen«, dachte Ralph bekümmert.
Woodbury zu verlassen, war ihm natürlich und gerecht erschienen, solange er unter dem ewigen Nörgeln und Kritteln gelitten hatte. Jetzt kam er sich wie ein Verräter vor.
Die Hunde begannen wieder zu heulen, lange, hoffnungslose, zitternde Töne, die Stimme dieses traurigen Landes selber. Am Ufer stand ein verkohlter Föhrenstamm vor dem farblosen See. In Ralphs Nähe waren Menschen genug, aber alle schienen in ihrem Schlaf tot zu sein, tot wie der gespensterhafte Klang dieses unseligen Heulens, tot wie das gespenstische Schwarz des gemordeten Baumes.
Die ganze Gesellschaft mußte viel zu betrunken gewesen sein, um nach Hause gehen zu können. George Eagan schnarchte auf dem grünen Diwan im Wohnzimmer, und Pop Buck und Nels Stromberg schienen sich der Betten bemächtigt zu haben, denn Joe Easter war zu Ralph auf die Veranda gekommen und schlief zusammengekauert und schaudernd auf einer Decke.
Alverna sah unter der Decke, die Ralph ungeschickt über sie geworfen hatte, in ihrem zerdrückten blauen Musselinkleid hilflos jung und unvernünftig aus, mitleiderregend jung und wehrlos. Ihr Mund war offen, und mit der Hand zwischen Wange und Kissen lag sie da, wie ein Kätzchen, das auf seiner gekrümmten Pfote schlummert.
»Sie kann unmöglich mit Curly Evans und den anderen weit gegangen sein. Und ich werde den Kopf nicht verlieren. Es wird schon alles gut gehen. Guter, alter Joe. Süße Alverna!« seufzte er.
Ihre Nähe tröstete ihn, aber als er wieder eingeschlafen war, suchte ihn abermals die Vision des verirrten Woodbury heim, der nicht mehr in brüllender Kraftmeierei lächerlich war, sondern in seiner Einsamkeit tragisch wirkte.
Und hinter der Wand der Veranda dehnte sich der Träumende See im zunehmenden Tageslicht.