Jonas Lie
Hof Gilje
Jonas Lie

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Siebentes Kapitel.

In der Küche auf Hof Gilje herrschte eine emsige Thätigkeit, denn die Weihnachtsschlachterei war im Gange. Vom Beischlag drang ein kalter Zug herein, und in der Luft schwebte ein Geruch von Muskatblüte, Ingwer und Gewürznelken. Laut trommelten die Hackmesser, und dumpf dröhnte das Stampfen im großen Steinmörser, woran Stor-Ola mit einer weißen Schürze und einer Serviette um den Kopf arbeitete, daß das Haus zitterte.

Oben am langen Küchentisch saß Ma mit Stopfnadel und Hanfzwirn und nähte Rollwürste zusammen, während einige Käthnerfrauen und Thea, weiß wie die Engel, damit beschäftigt waren, Fleisch für den feinen Kloßteig zu schaben.

Hinten auf der Küchenbank saß die kürzlich nach Hause gekommene Thinka mit blutigen, mörderisch aussehenden Armen und stopfte Blutwürste über einem großen Trog. Das machte sie mit großer Fertigkeit und sehr rasch vermittelst eines großen Wursthorns. Sie steckte einen langen Dorn durch jede Wurst und band einen der großen, unheimlichen Riesenblutegel nach dem andern, während deren Brüder und Schwestern in gewaltigen Kesseln brodelten, woran die Flammen in die Höhe leckten und in den Schornstein schlugen.

Auch der Hauptmann war in die Küche gekommen und übersah mit einem gewissen Vergnügen das Schlachtfeld. Das waren ja recht angenehme Aussichten, woran man gern denken mochte, und kleine Proben der fertigen Erzeugnisse waren ihm auch fortwährend auf sein Dienstzimmer geschickt worden, damit er seine Meinung darüber zum besten gebe.

»Ich werde euch 'mal zeigen, wie man hacken muß, ihr Mädchen,« sprach er und nahm Torbjörg die beiden Hackmesser aus der Hand, und nun flogen sie so rasch auf dem Brett auf und nieder, daß man sie kaum unterscheiden konnte, und die in der Küche versammelte Gesellschaft, ganz verblüfft über dieses Meisterstück, die Arbeit unterbrach und laut ihre Bewunderung aussprach. Es dauerte freilich nur zwei bis drei Minuten, während Torbjörg und Aslak den lieben, langen Tag mit den leinenen Schürzen dastehen und hacken mußten. Aber ein Sieg ist nun einmal ein Sieg, und als der Hauptmann nachher in die Stube ging und stillvergnügt ein Liedchen vor sich hinsummte, that er das nicht ohne einen kleinen, verschmitzten Nebengedanken an seine Kriegslist, denn, ja, meiner Seele, die Arme schmerzten ihn hinterher doch ganz gewaltig. Er rieb sie sich ein paarmal, ehe er sich eine Serviette um den Hals band und sich an den Tisch setzte, um den warmen Blutürsten mit Rosinen und Butter, womit Thinka gerade eintrat, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

»Ein bißchen Senf, Thinka!«

Thinkas schlanke Gestalt glitt lautlos an den Eckschrank, um das Verlangte zu holen.

»Hör 'mal, du, wenn der Teller ein bißchen wärmer wäre, schadete das auch nichts ... er muß für Butter und Rosinen eigentlich fast glühend heiß sein.«

Die allzeit flinke Thinka war im Nu mit einem Teller draußen am Herde, und als sie gleich darauf wieder eintrat, hielt sie ihn mit einer Serviette, denn mit der bloßen Hand konnte man ihn nicht anfassen.

»Nun gieß' nur alles hier auf diesen Teller, Vater, dann sollst du 'mal sehen.«

Eine der glücklichsten häuslichen Seiten, die Thinka nach ihrer Rückkehr offenbarte, war die unvergleichliche Geschicklichkeit, womit sie den Vater zu behandeln verstand. Von Gereiztheit war fast keine Rede mehr. Dabei war mit ihrer launigen, gemütlichen Fügsamkeit eine wahre Ruhe ins Haus eingekehrt, denn der Hauptmann wußte, er brauchte ihr nur den kleinsten Wink in Hinsicht auf die Zubereitung einer Lieblingsspeise zu geben, er wurde stets beachtet. Sie war so gefällig, wahrend Ma sich immer nur in einer schwerfälligen, ungeschickten Weise fügte, als ob es, bildlich gesprochen, in ihr krachte, so daß er brummig wurde und anfing zu zanken, trotzdem sie wußte, daß ihm das sehr schlecht bekam.

Nun war seit Montag morgen wirklich außerordentlich viel geleistet worden, und sie konnten darauf rechnen, morgen abend fertig zu werden. Zwei Kühe, ein Kalb und ein Schwein, das war keine kleine Schlachterei – von den Schafen ganz zu schweigen.

»Der Vogt! – Das Pferd des Vogtes ist auf dem Hofe!« verkündete plötzlich in der Dämmerung eine Stimme der in der Küche arbeitenden Gesellschaft.

»Spute dich, Jörgen, lauf hinauf in die Dienststube zu Vater und sag' ihm, er möchte herunterkommen und ihn empfangen,« rief Ma nach kurzer Ueberlegung. »Du mußt das,« auf die Schürze zeigend, »ablegen und aufhören, Stor-Ola, so ungelegen es auch ist.«

»Der hat gewittert, daß wir Würste im Kessel haben, glaube ich,« rief Marit in ihrer derben Hochlandssprache. »Ist das nicht schon das zweite Mal, daß er uns mitten in unser Weihnachtsschlachten kommt? Gewiß ist er seinen Leuten zu Hause im Wege.«

»Nimm dein Mundwerk in acht, Marit,« sprach Ma ärgerlich. »Der Vogt mag sich wohl zu Hause nicht allzu behaglich fühlen, seit er seine Frau verloren hat, der arme Mann.«

Aber es war doch sehr ungelegen, daß er gerade heute kam – grenzenlos ungelegen. ... Allein man mußte aushalten, es war nicht angängig, die Arbeit zu unterbrechen.

»Der Vogt bleibt bis morgen hier,« rief der Hauptmann, hastig in die Küche tretend. »Da ist nichts zu machen, Ma! Ich werde ihn auf mich nehmen, wenn wir bloß etwas bekommen, daß wir nicht verhungern.«

»Ja, das ist leicht gesagt, Jäger! ... So, wie wir hier stehen und alle Hände voll zu thun haben.«

»Krammetsvögel ... Frikandellen ... ein bißchen frische Wurst. Das ist doch nicht schwer zu beschaffen ... ich hab' ihm gesagt, daß er Metzelsuppe essen muß – und hör 'mal, Thinka, ein Glas Grog,« rief er seiner Tochter mit einem freundlichen Nicken zu, »etwas Toddy – so rasch als möglich«.

Thinka war schon in Bewegung und rannte nur einen Augenblick hinauf an ihre Kommode.

Von Natur anspruchslos und gar nicht blöde, war sie gleich nachher wie der Wind mit dem Toddybrett und einer frischen blauen Schürze unten, und dann, nachdem sie den Vogt begrüßt hatte, am Schrank, um Rum und Arrak herauszunehmen, dann wieder am Rauchtisch, wo sie ein Bündel Fidibusse holte und den Herren aufs Theebrett legte, ehe sie wieder in der Küchenthür verschwand.

»Du mußt dich waschen, Torbjörg, und oben das Fremdenzimmer für den Vogt in Ordnung bringen ... und dann müssen wir nach Anne Vaelta schicken, daß sie hier hilft, so wenig sie auch taugt. – Jörgen, spring 'mal gleich hin,« sprach Ma, die sich ihrer allernotwendigsten Truppen mehr und mehr beraubt sah.

Stor-Ola hatte das Pferd des Vogts in den Stall gebracht und stand nun wieder in seiner großen weißen Schürze, die wie ein Chorhemd aussah, vor dem Mörser und stampfte bum, bum, bum.

»Seid ihr denn rein aus dem Häuschen? Denkt ihr denn gar nicht ein bißchen nach?« sprach der Hauptmann, der plötzlich hereingestürzt kam. Er dämpfte zwar seine Stimme, war aber um so ärgerlicher. »Warum rollt ihr nicht gleich auch noch ein bißchen? Damit der Vogt es richtig über und unter sich rumpeln hört. Es ist ja so, daß im Zimmer alles wackelt.«

Ma machte eine Gebärde der Verzweiflung, und in ihren Augen erschien plötzlich ein düsterer, wilder Ausdruck, der fast wie Auflehnung aussah ... nun fing auch er noch an, sie zum Aeußersten zu treiben ... aber es kam nur zu einem entsagungsvollen: »Nimm deinen Mörser hinaus auf den steinernen Flur des Beischlags, Stor-Ola.«

Thinka wurde die Aufsicht über die im Gange befindlichen Arbeiten und die Herrichtung des Abendessens übertragen, so daß Ma drinnen bleiben konnte; allerdings saß sie wie auf Nadeln, und es mußte doch so aussehen, als ob nichts vorginge.

Als Ma hereinkam, herrschte anfangs zwischen ihr und dem Vogt aus Anlaß des schweren Verlustes, der ihn betroffen hatte, eine etwas feierliche Stimmung, denn sie war noch nicht mit ihm zusammengetroffen, seit er vor drei Monaten seine Frau begraben hatte. ... Er fühle sich sehr vereinsamt, da er nur eine Schwester, Fräulein Gülke, bei sich habe. Vigo und Baldrian – was eine Verkürzung von Balthasar vorstellen sollte – wären beide auf dem Gymnasium und kämen erst im nächsten Jahre nach Hause, wenn Vigo die Universität bezöge.

Der Vogt blinzelte etwas und machte eine traurige Gebärde, als habe er die Absicht, sich über ein Auge zu fahren, aber weiter auch nichts. Er hatte sozusagen an jeder Thürschwelle des ganzen Bezirks Trauervorstellungen gegeben; hier aber war er zu Leuten gekommen, die viel zu vernünftig waren, als daß sie an einem gedeckten Tische einen umständlichen Schmerzensausbruch von ihm erwartet hätten.

So entwickelte sich denn eine längere Sitzung von einem Austausch sich steigernder, starker Artigkeiten begleitet, wenn während der Mahlzeit Gelegenheit war, etwas von der Hausfrau zu sehen, oder bei jeder neuen Schüssel, die Thinka dampfend und verlockend unmittelbar aus der Pfanne hereinbrachte ... ein richtiger Schlachteschmaus mit altem schäumenden Flaschenbier, da das neue Weihnachtsgebräu noch zu frisch war, und außerdem ein paar wohlangebrachte Schnäpse.

Der Vogt wußte sehr wohl, was im Hause vorging und wie thätig Ma und Thinka waren.

Die erwachsene Tochter räumte den Tisch ab und besorgte alles so flink und gemütlich, ohne viel Worte und Aufhebens davon zu machen – und dabei so umsichtig. Ehe sie es selbst recht wußten, saßen sie wieder mit ihren Pfeifen und Toddygläsern auf dem Sofa, und jeder hatte eine frische dampfende Kanne neben sich.

Des Vogts Gülke neugierige kleine Aeuglein standen weit voneinander ab; sie konnten in zwei Ecken auf einmal sehen, während sein rundlicher, kahler Schädel dem entgegen glänzte, mit dem er sprach. Er saß hoch aufgerichtet, und seine Blicke folgten wohlgefällig dem blonden, schlanken Mädchen mit der feinen, leuchtenden Haut, das so lautlos und anmutig seinen Geschäften nachging.

»Du bist ein glücklicher Mann, Hauptmann,« sprach er mit einem tiefen Seufzer.

»Trink' ein bißchen, Vogt,« erwiderte der Hauptmann gutmütig tröstend und stieß mit ihm an.

»Ja, du hast gut reden mit deinem Haus voll Behagen ... weiche Kissen rings um dich in allen Ecken und Kanten, so daß du noch welche nach der Stadt abgeben konntest. Aber ich, siehst du,« seine Augen wurden feucht, »ich sitze nun den ganzen Tag auf meiner Amtsstube zwischen Akten. Ich war gewaltig verwöhnt, weißt du ... na ja, wir wollen nicht mehr davon reden. Ich soll wohl für das eine oder das andre, was ich gethan habe, gestraft werden. – Nicht wahr, Fräulein Thinka,« scherzte er, als sie eintrat, »das ist ein böser Vogt, der da so ungelegen mitten in die Schlachterei bei Ihnen hineinfällt? Aber ihr müßt ihm etwas häusliches Behagen leihen, seit es ihm daheim verloren gegangen ist. – Aber da hätte ich beinahe etwas vergessen,« fuhr er eifrig fort und eilte mit der Pfeife im Munde nach seiner Aktentasche, die an einem Stuhle neben der Thür hing. »Ich habe Ihnen hier den zweiten Teil von ›Der letzte der Mohikaner‹ mitgebracht, den Ihnen Bine Scharfenberg schickt ... und ich sollte bitten um ... ja, wie hieß es doch nun gleich? ... aber warten Sie, ich hab's mir aufgeschrieben: ›Eine launenhafte Frau'‹ von Emilie Carlén«.«

Er suchte das Buch eifrig hervor und überreichte es ihr, nicht ohne einen gewissen ritterlichen Anstand.

»Nun dürfen Sie aber ja nicht vergessen, Fräulein Kathinka, mir morgen das andre Buch zu geben,« fuhr er scherzhaft drohend fort, »oder Sie machen mich da unten bei Bine Scharfenberg rein unglücklich – mit der ist nicht gut auskommen, wissen Sie.«

Schon während der Vogt noch sprach, glitten Thinkas Augen gespannt über die ersten Zeilen ... nur um eine Ahnung zu haben, wie es weiter ginge ... und im Augenblick war sie aus ihrem Zimmer wieder da und brachte das ausgelesene Buch von Carlén und den ersten Band der Mohikaner, sauber in Papier eingeschlagen und mit Bindfaden zusammengebunden, mit.

»Sie sind pünktlich, wie ein Geschäftsmann, Fräulein Thinka!« scherzte der Vogt, während er das Päckchen mit einer gewissen langsamen Umständlichkeit in der Tasche verwahrte und das junge Mädchen mit seinen kleinen Augen wohlgefällig betrachtete.

Ungeachtet sie sich seit früh morgens bei der Schlachterei und andern Arbeiten sehr angestrengt hatte, konnte es Thinka, nachdem sie zu Bett gegangen war, doch nicht unterlassen, einen flüchtigen Blick in das unterhaltende Buch zu werfen. Sie las ein Kapitel, und noch eins, und noch eins, und ihr Vorsatz, nach dem nächsten aufzuhören, wurde immer schwächer. Noch um zwei Uhr nachts lag sie mit dem Leuchter hinter dem Kopfkissen und folgte dem letzten der Mohikaner, dem edlen Unkas, durch alle ihn umdräuenden Verfolgungen und Gefahren.

Und da wunderte sich Ma noch, daß so viele der dünnen Talglichte im Winter verbraucht wurden!


Ehe der Vogt am nächsten Morgen abreiste, mußte er noch ein kleines warmes Frühstück zu sich nehmen, und dann verabschiedete und bedankte er sich für die behaglichen, heiteren Stunden, die sie ihm bereitet hatten, trotzdem er zu so ungelegener Zeit gekommen war. »O ja, Frau Hauptmann,« er wußte es ganz gut, daß er ungelegen gekommen war – »obwohl Ihnen ja jetzt eine helfende Hand im Haushalte zur Seite steht. ... Ja, Fräulein Thinka, ich habe Sie scharf beobachtet, man hat nicht umsonst Polizeiaugen! ... Unsichtbar, und doch immer gegenwärtig, wie ein stiller Hausgeist ... ist das beste, was man von einer Frau sagen kann,« sprach er lebhaft in schmeichelndem Tone, während er sich den Shawl um den Hals wand und in den Schlitten stieg, freundlich mit den Augen zwinkernd, und mit etwas ins Graue spielenden Bartstoppeln, denn er hatte sich heute nicht rasiert.

»Ein gemütlicher Mann, der Vogt! ... Der hat ein Herz im Leibe,« meinte der Hauptmann, als er munter und händereibend aus der Kälte wieder in die Stube kam.

Aber nach all den starken Mahlzeiten wahrend der Schlachtezeit wurde der Hauptmann ganz krank. Der Corpsarzt riet ihm, Wasser zu trinken und sich ordentlich Bewegung zu machen – dann und wann ein Glas Toddy werde ihm auch nichts schaden. Und daß Weihnachten gleich hinterher kam, machte den Blutandrang nach dem Kopfe auch nicht besser. Der Vater war niedergedrückt, aber er wollte nicht gern außer der gewöhnlichen Zeit im Frühjahr und Herbst einen Aderlaß anwenden, allein nach einer kleinen, zu Ehren des Gerichtsschreibers Buchholtz gegebenen Abendgesellschaft, an einem Donnerstag, wurde es zu schlimm. Er ging ganz unglücklich umher und erblickte in allen Ecken Verluste, Zurücksetzungen und falsche Rechnungen.

Nun half's nichts mehr, nun mußte doch nach dem Kantor Orjseth geschickt werden, denn außer seinen kirchlichen Amtsverrichtungen besorgte dieser den Jugendunterricht und ließ zur Ader. Was er in den beiden ersten Zweigen leistete, soll hier ungesagt bleiben, aber in Hinsicht auf die zuletzt erwähnte Thätigkeit, kann man dreist behaupten, daß er das Blut des ganzen Bezirks in hohem Maße, ja, eimerweise auf dem Gewissen hatte, und nicht zum geringsten Teile das des vollblütigen Hauptmanns, den er nun seit einer Reihe von Jahren regelmäßig angezapft hatte.


Die Wirkung war einfach großartig! Auf die schwüle, beklommene Donner- und Unglücksstimmung, die sich in jeder Ecke des Hauses fühlbar gemacht und alle bis auf Paßauf hinab schwer bedrückt hatte, folgte strahlend helles Wetter, Spässe mit Thinka und ganz ausschweifende Pläne, daß die Familie im Sommer hinunterfahren sollte, um sich die großen Exerzierübungen anzusehen.

Als sich seine überströmende, lustige Laune bis zu dieser Höhe emporgeschwungen hatte, ergriff Ma entschlossen die Gelegenheit, ihm die Notwendigkeit, Jörgen zur Schule zu schicken, vorzustellen ... auch daß Tante Alette sich erboten hätte, für Kost und Wohnung und noch mancherlei aufzukommen, und die Sache müsse eingerichtet werden.

Nun gab es ein Berechnen, ein Hin- und Herreden mit Beweisen und Gegenbeweisen über die geringsten Kleinigkeiten, die zum Unterhalt eines Menschen in der Stadt gehörten. Der Hauptmann vertrat die Ausgaben- und Sollseite in der Form entrüsteter Fragen und Vermutungen über jede Einzelheit, die darauf hinausliefen, daß Ma ihn mit aller Gewalt zu Grunde richten wolle, und Ma verteidigte ebenso hartnäckig und zäh die Seite des »Habens«, indem sie ihm wieder und wieder alle die Posten vorrechnete, die in Abzug zu bringen seien. Und wenn ihr dann bei den ewigen Wiederholungen manchmal etwas wirbelig wurde, so daß sie sich verschnappte, dann kam eine schlimme Zeit für sie, bis es ihr glückte, sich wieder von ihrer Niederlage zu erholen. Der Hauptmann mußte langsam daran gewöhnt werden, bis es so viel Eindruck auf ihn gemacht hatte, daß er selbst anfing zu denken und die Sache vom richtigen Standpunkt aus zu sehen. Wie ein hartnäckiger, unermüdlicher Kreuzer hatte sie das Ziel stets vor Augen und näherte sich ihm unmerklich, aber sicher.

»Die baren Auslagen!« Sie waren für Ma ein Geschwür, das bei der leisesten Berührung schmerzt und schließlich aufgeschnitten werden muß.

Das Ende vom Lied war wie immer, daß der Hauptmann sich überreden ließ und nun selbst am eifrigsten für die Sache eintrat. Ueberall wurde Jörgen beobachtet, und er mußte oben auf dem Dienstzimmer sitzen, wo sein Vater auf Tod und Leben mit ihm lernte.


»Die Geschichte ist so alt, wie die Berge!« trompetete der Hauptmann höhnisch .... »Schwingt man ein Huhn herum, legt es auf den Rücken und zieht einen Kreidestrich vor den Schnabel, dann bleibt es ganz stille liegen, ohne sich zu rühren. Es hält wohl den Strich für einen Strick, der es festhält. Ich habe das sehr häufig versucht – grüß' du sie nur herzlich von mir und schreib' ihr das dabei, Thinka.«

»Aber warum erwähnt Inger-Johanna das in ihrem Briefe?« fragte Ma etwas ernst.

»Warum? Wegen nichts – nur um etwas zu schreiben.«

In dem gestern an die Eltern angekommenen Briefe war einer an Thinka eingeschlossen gewesen, denn Mas bevorstehender Geburtstag gab Veranlassung zu besonderen Verhandlungen zwischen den Schwestern. Und Inger-Johanna hatte die Gelegenheit benutzt, ihr eine kleine Vorlesung zu halten, etwas wie eine Aufmunterung zum Aufstand; sie solle nur treu zu ihrer Flamme im Westen stehen, wenn wirklich noch etwas Feuer darin sei. Das mit dem Huhn und dem Kreidestrich kam aus zweiter Hand, von Grip. Frauenzimmer ließen sich alles Mögliche weis machen und legten sich ganz gutwillig zum Sterben hin, wenn man ihnen einen Kreidestrich vor den Schnabel zöge.

»Das könne wohl wahr sein,« meinte Thinka, »aber wenn doch nun alle so dagegen wären und sie einsehe, wie es Vater und Mutter betrüben würde« – sie seufzte und der Hals war ihr wie zugeschnürt – »dann wäre der Kreidestrich wahrlich zu dick, als daß sie etwas dagegen vermöchte.« Inger-Johannas Brief hatte sie ganz trübe gestimmt. Sie fühlte sich so unglücklich, daß sie hätte laut aufschluchzen können, wenn sie jemand ansah. Und Ma that das mehr als einmal während des Tages und bemerkte gewiß, daß sie ganz rote Augen hatte.

Während der Nacht las sie »Arwed Gyllenstjerna« von Van der Velde, so daß die Thränen herzhaft flossen. Der Brief der Schwester enthielt auch mancherlei, was ihre eigenen Angelegenheiten betraf und nicht gerade für Vater und Mutter bestimmt war.

»... Denn siehst Du, Thinka, wenn man hier alle Bälle mitgemacht hat, wie ich, dann hopst man nicht mehr blind umher mit allen Kerzen in den Augen. Man hat eine Kleinigkeit gelernt, man erwartet etwas auf die eine oder andre Art von der Unterhaltung oder den Leuten. Denn das Ballgeschwätz! Na! ... Ich sage wie Grip, ich habe es satt, satt, satt! Tante ist wohl auch nicht mehr so drauf versessen, daß ich hingehe, obschon manchmal doch noch mehr als ich.

»Nun werde ich auch noch für hochmütig, anspruchsvoll und tadelsüchtig und was nicht alles gehalten, bloß, weil ich keine Lust habe, beständig über nichts zu schwatzen. Tante findet jetzt, daß eine gewisse eigenartige Kälte zu meinem ›allzu lebhaften Naturell‹ getreten sei, eine zurückhaltende Ruhe, die Achtung einflößt und reizt – also wohl das erwünschte Richtige, vermutlich etwas, was dem in Puddingsteig eingebackenen Eis der Chinesen gleicht, wovon wir im Bien gelesen haben, weißt du noch?«

»Tante hat so viele Einfalle diesen Winter. Nun will sie, daß wir beiden untereinander französisch sprechen! Aber daß sie dem Hauptmann von Rönnow geschrieben hat, ich sei vollkommen darin, war mir eigentlich gar nicht recht. Ich habe keine Lust, ihm als Schulmädchen vorgestellt zu werden, wenn er zurückkommt. Außerdem ist meine Aussprache gar nicht so ›rein‹, wie sie immer sagt.

»Ich verstehe sie wirklich manchmal nicht mehr. Wenn jemand Grip in dieser Zeit verteidigen könnte und sollte, dann wäre sie es, aber statt dessen greift sie ihn bei jeder Gelegenheit an.«

»Er hat eine freie Sonntagsschule oder Vorträge für jeden, der kommen will, in einem Saale draußen in der Stargade angefangen. Das ist etwas, was, wie Du Dir denken kannst, Aufsehen erregt. Und Tante zuckt die Achseln und sieht voraus, daß er sich in der guten Gesellschaft unmöglich machen werde, obschon sie früher immer die erste war, die sich für ihn interessierte und fand, daß er stets mit etwas Neuem komme. Das ist erbärmlich, wie mir scheint.«


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