Jonas Lie
Hof Gilje
Jonas Lie

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Elftes Kapitel.

Nun hatte der Winter alles in sein weißes Gewand gehüllt; weiß war es überall von den Fenstern in der Stube bis zum Garten, den Hügeln und den Bergkämmen, weiß, wohin das Auge blickte, bis zum Himmel hinauf, der wie eine halb durchsichtige, matt gefrorene Fensterscheibe das Ganze bedeckte.

Es wäre kalt, behauptete der warmblütige Hauptmann, der anfing, sich damit zu unterhalten, daß er umherging und fühlte, wo es zog, und dann lange Papierstreifen mit Salband und Werg darunter über die entdeckten Risse zu kleistern. Aber von der Arbeit lief er manchmal ohne Hut fort, nur mit der Perücke, und schwatzte mit den Leuten im Stalle oder der Scheune, wo gedroschen wurde.

Nun waren ja nur noch Ma, Thea und er da, und was Thinka für ihn gewesen war, das begriff niemand, niemand. Schließlich fing er an, darüber nachzugrübeln, ob er Fuchseisen oder Fallen oder Selbstschüsse für Wölfe und Luchse in den Feldern legen sollte. Ma mußte wohl hundertmal am Tage seine Frage beantworten, was sie meine, obgleich sie ebensoviel davon verstand, wie von den Mitteln, den Mond herabzunehmen.

»Ja, ja, mach das nur so, lieber Jäger.«

»Ja, aber glaubst du denn, daß sich das lohnt? Das ist es, wonach ich frage. Fuchseisen kosten Geld.«

»Nun, wenn du welche fängst...«

»Ja, wenn...«

»... dann hat ein Fuchsfell doch auch seinen Wert ...«

»Ob's nicht am Ende besser wäre, ich legte Köder für Luchse und Wölfe?«

»Ist das nicht teurer?«

»Ja, aber die Felle ... wenn ich welche fange ... das ist es, worauf es ankommt, siehst du.«

Und dann ging er nachdenklich zur Thür hinaus ... um nach kurzer Zeit wieder zu einer andern hereinzukommen und ihre Ohren mit denselben Fragen zu quälen.

Mas Instinkt sagte ihr, daß sie eigentlich der Gegenstand seines ersten Fanges war. Ließ sie sich verleiten, einen bestimmten Rat zu geben, dann vergaß er sicher nicht, sie die Verantwortlichkeit für den Ausgang fühlen zu lassen ... wenn die Geschichte schief ging.

Auch heute hatte er wieder darüber nachgegrübelt und ihre Ansicht wiederholt verlangt, als sie plötzlich dadurch überrascht wurden, daß der Schlitten des Vogts vor der Treppe vorfuhr.

Die infolge des Frostes knarrende Gangthür flog auf, von der eifrigen Hand des Hauptmanns geöffnet.

»Herein mit dir in die Stube, Vogt!«

Hinter seiner Wolfsschur steckte Thinka sorgfältig in Pelze gehüllt.

»Ergebenster Diener, mein lieber Schwiegervater und Freund!«

Der Vogt war auf einer Dienstreise in die Berge begriffen und bat um Aufnahme für Thinka auf zwei bis drei Tage bis zu seiner Rückkehr. Er würde es nicht vergessen, sie abzuholen. Sodann ersuche er seinen Schwiegervater, ihm für die weitere Reise einen kleineren Schlitten zu leihen, er müsse am Abend ganz oben auf Nordals Vorwerk sein.

Thinka befand sich schon in den Händen Theas und der alten Torbjörg, die sich um die Wette bemühten, ihr die Ueberstrümpfe auszuziehen, und es war nicht umsonst, daß Marit im Eifer durch die Thür guckte.

»Du mußt jedenfalls eine Kleinigkeit essen und einen Theewasserknecht trinken, während sich dein Pferd verschnauft und der andre Schlitten hergerichtet wird.«

Dem Vogt stand nicht viel Zeit zur Verfügung, aber des Familienlebens Sonne schien hier zu milde, als daß er sich nicht eine halbe Stunde abringen lassen möchte – genau nach der Uhr gemessen.

»Du hast den Knoten in meinem seidenen Halstuche so fest geknüpft, daß du ihn auch selbst wieder aufbinden mußt,« sprach er zu Thinka, nachdem er einigemal vergeblich einen Anlauf genommen hatte, abzulegen. »Danke, danke, meine liebe Thinka. Sie verwöhnt mich in jeder Weise ... na, du kennst sie ja, Hauptmann. – Ihr könnt sehen, was sie mir schon zu werden anfängt,« wandte er sich mit einem leisen Lächeln an seine Schwiegereltern, während er sich eifrig über die ihm vorgesetzten Speisen hermachte, aber seinen Theewasserknecht wollte er nur von Thinkas Hand zubereitet haben.

Als der Vogt nachher warm eingehüllt von seiner jungen Frau an den Schlitten begleitet wurde, stand Thinkas Thee noch unberührt und fast kalt da. Aber jetzt kam Ma auch mit einem frischen, warmen Aufguß in der Kanne, und sie konnten sich nun in Ruhe zusammensetzen und sich des Wiedersehens erfreuen.

»Er ist ja so gütig,« dachte Ma, »er hatte gemerkt, daß sich Thinka nach Hause sehnte.«

»Der Vogt ist sehr rücksichtsvoll gegen dich, daß er dir schon so bald Gelegenheit gegeben hat, uns wiederzusehen,« sagte sie laut,

»Ein prächtiger Mann! Der sucht seinesgleichen!« rief der Hauptmann mit vollem, kräftigem Basse aus, »er trägt dich ja förmlich wie eine Puppe, Thinka!«

»Er ist so gütig, als er nur sein kann. ... In der nächsten Woche kommt Jungfer Braun, um ein Atlaskleid für mich abzuändern, das kaum einmal getragen worden ist. Gülke will Staat mit mir machen,« antwortete Thinka.

Ihr Ton war so ruhig, daß es Ma nicht leicht wurde, ihre eigentliche Meinung zu ergründen.

»Der Mann steht ja auf dem Kopfe für dich und weiß gar nicht, was er alles ersinnen soll.«

Aber außer dem Wunsche, seiner jungen Frau Sehnsucht nach der Heimat zu befriedigen, wurde der Vogt möglicherweise auch noch durch eine kleine Rücksicht auf die jüngeren Kräfte unten im Hauptorte bestimmt, sie nicht allein zu Hause zu lassen – Buchholtz und Holm hatten begonnen, sich etwas häufig einzustellen und sich augenscheinlich behaglich zu fühlen, seit eine junge, anziehende Wirtin im Hause war.

Am Abend hatte der Hauptmann einmal wieder ein gemütliches Spiel Pikett. Es war, als ob mit Thinka die Behaglichkeit zurückgekehrt sei. Ihr vermittelndes und ausgleichendes Wesen war wieder im Hause, das spürte man innen und außen. Vater kam wieder vormittags zu einem kleinen Frühstück von »Mölje« und Quarkkäse herunter, als sie in der Küche Pökelfleisch und Erbsen kochte, und Ma fand dieses und jenes schon für sie besorgt, und manche gewandte Handreichung leistete ihr Hilfe, ungeachtet Thinka ein Paar Pantoffeln auf Stramin fertig sticken mußte, die Gülke sich gewünscht hatte. Aber damit war es nicht so gefährlich. Sie kam schon weit vorwärts mit ihrem Muster, wenn Vater Mittagsruhe hielt und sie oben bei ihm saß, nachdem sie ihn in Schlaf gelesen hatte. Der Hauptmann fand das so gemütlich, wenn er die Nadel und das bunte Stickgarn in Thinkas Händen sah – keine andre Möglichkeit, als einzuschlafen.

Und dann hatte er sie ja kaum drei Tage!

Während die Finger über den Stramin flogen, hielt Kathinka ihre einsame Gedankenstunde ab ...

Ohs hatte ihr einen Brief geschrieben, nachdem er von ihrer Verheiratung gehört hatte. ... An sie hätte er geglaubt, so daß er hätte sein Leben dafür hingeben können. Und wären auch Jahre vergangen, er würde gearbeitet, sich gemüht und geplagt haben, um ihr einmal wieder nahe zu sein ... wenn dann auch ihre Jugend hinter ihnen läge. Das wäre seine frohe Hoffnung gewesen, daß sie warten und an ihm festhalten werde, selbst durch Bedrängnis und Niedrigkeit. Aber jetzt, wo sie sich für Geld und Gut verkauft hätte, könne er niemand mehr trauen. Er habe nur ein Herz, nicht zwei, aber das Unselige wäre, er wisse sehr wohl, daß auch sie nur eins habe ...

»Hm, mir war, als ob du tief geseufzt hättest,« bemerkte der Hauptmann erwachend, »das kommt davon, daß ich auf dem Rücken gelegen habe. ... So, nun wollen wir Kaffee trinken.«

Konnte Thinka auch nicht an Ohs schreiben, so wollte sie doch versuchen, ihr Herz Inger-Johanna gegenüber ein wenig zu erleichtern. Sie hatte deren letzten Brief mit nach Hause genommen, um ihn in der ungestörten Zeit daheim zu beantworten, und nun war sie oben im Zimmer und er lag vor ihr.

»Inger-Johanna ist glücklich: sie hat nichts andres zu denken,« seufzte sie, während sie las:

Und Du, Thinka, solltest Dein Augenmerk ein wenig darauf richten, aus der Stellung, in die Du nun einmal gelangt bist, etwas zu machen, das ist da oben sehr vonnöten, denn es kann keinem Zweifel unterliegen, daß der gesellschaftliche Verkehr die große Aufgabe hat, die Sitten zu verfeinern und gegen das Rohe zu kämpfen, wie Tante sich ausdrückt.

»Ich schreibe dies nicht für nichts und wieder nichts; ich stehe ja, wie Du weißt, inmitten von Verhältnissen, wo mir der Gedanke an die Möglichkeit, daß ich selbst einmal eine solche Stellung einnehmen könnte, nahe liegt. Wenn ich etwas andres sagte, wäre ich nicht aufrichtig.

»Und nun muß ich Dir mitteilen, ich sehe so mancherlei und vielerlei, daß ich wohl Lust hätte, zu versuchen, meinen Ansichten Geltung zu verschaffen. Es sollte doch möglich sein, für einen großen Teil der Interessen, die jetzt gleichsam in Acht und Bann gethan sind, Platz zu schaffen.

»Im gesellschaftlichen Verkehr muß man Duldsamkeit üben, sagt Tante. Weshalb kann man dann also Ansichten, wie die Grips, nicht ruhig besprechen? Das erste, was ich thäte, wäre, daß ich mich offen zu ihnen bekennte, selbst auf die Gefahr hin, für überspannt zu gelten; bei uns Frauen wird ja so etwas bis jetzt nur für pikant gehalten. Aber diese Ansichten müssen sich durchringen, auch bis in die gute Gesellschaft.

»Ich grüble und denke mehr, als Du ahnst; ich fühle, daß ich etwas leisten könnte, siehst Du.

»Außerdem flößt mir die Weisheit der Männer bei weitem nicht mehr die unbedingte Achtung ein, wie früher. Eine Frau wie Tante schweigt und zieht an der Schnur, aber Du kannst Dir schwerlich eine Vorstellung machen, wie viele daran tanzen. Sie ist, unter uns gesagt, etwas altmodisch diplomatisch und geziert, so daß es ihr fast ein Genuß ist, etwas unmerklich und auf Umwegen durchzusetzen, was sie ganz gut auf geradem und offenem Wege erreichen könnte. Ich zöge den geraden Weg vor; meine Natur ist nun einmal so.

»Und nun noch eine kleine Mahnung, Thinka (o weh, ich fühle, daß ich so spreche, als ob ich in Tantes Haut steckte). Denke stets daran, daß man eine Stube von keinem andern Platze aus beherrschen kann, als vom Sofa aus. Ich weiß, Deine Bescheidenheit ist so groß, daß sie Dir beständig nur einen Stuhl anweisen, aber Du bist keineswegs so dumm, als Du selbst glaubst; Du solltest nur versuchen, Deine Meinung zur Geltung zu bringen.

»Wenn ich Grip einmal wieder träfe, dann würde ich ihm zu beweisen suchen, daß auch noch andre Wege nach Rom führen, als mit dem Kopfe gegen die Wand rennen. Ich habe mir auch meine Ansichten gebildet, seit er mich zuletzt mit seiner Verachtung für den gesellschaftlichen Verkehr gehofmeistert und beständig den Ueberlegenen gespielt hat. Aber ich habe den ganzen Winter über nichts mehr von ihm zu sehen gekriegt, als hie und da einen kleinen Schimmer auf der Straße. Er ist wahrscheinlich ganz von sich selbst in Anspruch genommen, und jetzt, wo er sich öffentlich zu seinen Ansichten bekannt hat, an die man nicht rühren kann, ohne einen heftigen Meinungsstreit heraufzubeschwören, kann man ihn nicht mehr gut zu unsern Gesellschaften einladen, sagt Onkel. In ein paar Herrengesellschaften sei er sehr vorlaut gewesen, als ob er zu viel getrunken gehabt hätte, meinte Onkel. Aber ich weiß sehr wohl warum: er muß etwas haben, wenn er erschöpft ankommt und sich gar zu arg langweilt, und bei Dürings ist es fürchterlich ›luftleer!‹«

Thinka hatte den Brief durchgelesen, und es war viel darin, was zum Nachdenken anregte. Allein sie war innerlich so mit Ohs beschäftigt – sie wurde nie damit fertig, den Mühlstein zu rollen.


Mitte Februar brachte ein eintreffender Brief etwas Abwechslung in die Einförmigkeit des Winters. Der Hauptmann wog ihn in der Hand und besah ihn einigemal, ehe er ihn öffnete ... weißes, glattes Velinpapier ... im Siegel ein ihm bekanntes Wappen.

Ja, er war von Rönnow. Seine schöne, geläufige Handschrift mit den Schnörkeln konnte einen an ihn selbst erinnern, wenn seine vornehme Gestalt auf und ab ging und von Zeit zu Zeit eine flotte, schlenkernde Bewegung mit dem Beine machte.

»Herrn Hauptmann Jäger!«

»Hochverehrter, lieber älterer Kamerad und Freund!

Ich will keine langen Umschweife mit einleitenden Auseinandersetzungen über Lebensstellung, Aussichten etc. machen, sondern gleich auf meine Bitte und mein Begehren losgehen.

Falls Du meinen Karten aufmerksam gefolgt bist – die aber in der That mehr kamen, wie sie fielen, als wie ich sie spielte – wirst Du nicht überrascht sein, wenn ich Dir sage, daß ich es während der letzten paar Jahre für richtig befunden habe, mich nach einer Hausfrau und Lebensgefährtin umzusehen, die in meine Verhältnisse paßt.«

»Allein während all dieses Suchens lebte doch im geheimsten Winkel meines Herzens das Bild eines schwarzhaarigen, dunkeläugigen Mädchens, das ich zuerst an der Seite des Spieltisches an einem Winterabend auf Gilje erblickt habe. Seitdem habe ich wieder und wieder Gelegenheit gehabt, sie zu sehen; ich bin Zeuge gewesen, wie sie sich zu einem stolzen Weibe und einer Dame entwickelt hat, deren überlegene Natur unbestreitbar ist, und sie hat mich mehr und mehr gefesselt.«

»Du wirst nicht erwarten, daß ich Dir bei meinen runden sechsundvierzig Jahren mit einer langen Liebesgeschichte aufwarte, obgleich ich auch in dieser Hinsicht ein gut Teil sagen könnte. Daß ich innerlich noch nicht alt bin, habe ich bei dieser Gelegenheit wenigstens deutlich erkannt.«

»Es versteht sich wohl von selbst, daß ich mich nicht mit diesem Begehren an Dich wenden würde, wenn ich nicht zuvor im Laufe einer längeren und näheren Bekanntschaft geprüft hätte, daß auch Deine Tochter entsprechende Gefühle für mich empfinden kann.«

»Daß das Ergebnis dieser Prüfung nicht zu meinem Nachteil ausgefallen ist, geht aus ihrer gestern entgegengenommenen, teueren Antwort hervor, worin sie mir ihr Jawort und ihre Einwilligung gibt, bei Dir um sie anzuhalten.«

»In der Hoffnung, daß mein aufrichtiges Vorgehen und meine offene Aussprache keiner Mißdeutung ausgesetzt sind, richte ich hiermit die Bitte und Frage an Dich und Deine liebe Gattin, ob Ihr mir Eurer Inger-Johanna Zukunft anvertrauen wollt.«

»Was ein Mann thun kann, ihren Lebensweg zu erleichtern und zu ebnen, das, so kann ich auf parole d'honneur geloben, soll ihr nie fehlen.

»Ich will nur noch hinzufügen, daß ich, wenn die Allerhöchsten Herrschaften gegen Ende Mai oder Anfang Juni nach Christiania reisen, mich in ihrem Gefolge befinden werde. Dann werde ich sie wiedersehen, nach der all mein Sehnen und Sinnen steht.«

»Voll Spannung Deiner geehrten Antwort entgegensehend,

Dein hochachtungsvoller, allzeit getreuer Freund

Carsten Rönnow.«

Nun gab es etwas andres zu bedenken und mit Ma zu besprechen, als Fuchseisen und Selbstschüsse, und aus dem Mittagsschläfchen wurde heute auch nichts. Er stürzte in großer Eile auf den Hof hinaus ... beim Dreschen sollte ein Mann mehr genommen werden ... und der Dünger mußte da weg ... überhaupt mehr Schneid in die Wirtschaft kommen.

Als er ins Haus zurückkehrte, setzte er sich aufs Sofa, zündete einen Fidibus an, fuhr aber wieder in die Höhe, während er ihn auf die Pfeife hielt. Er erinnerte sich, daß ein Bote zum Schmied geschickt werden müsse, damit er die Eggen und sonstigen Ackergeräte zum Frühjahr in stand setze.


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