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Achtes Kapitel

Faste sah plötzlich Laura Groth um die Ecke kommen und in die Papierhandlung verschwinden; er wußte, daß sie wieder zur Stadt gekommen war, und wurde immer zerstreuter, während John Berg von der Firma Berg & Sohn auf ihrer Wanderung durch die Hafenstraße auf ihn einredete, auseinandersetzte und voller Begeisterung berichtete.

»Es ist wirklich, als wenn sie da unten in der Strandstraße ›Kämmerchen-Vermieten‹ spielen. – – Allein in dieser Woche sind Nummer sieben, Nummer neun und dreiundzwanzig in andere Hände übergegangen, und über Nummer zwei mit dem Bauplatz nach dem Vorstrand hinab liegen sich jetzt Anders Beck und Großhändler Müller in den Haaren – – denk dir. Faste, der schmale Streif Moor mit dem Hügel darin, auf dem nichts als Wegerich und Löwenzahn wächst, und das alte zahnlose Gitterwerk ringsumher, das die Wäscherinnen mit ihrer Wäsche ausstaffieren, – dafür würde doch niemand einen Heller geboten haben! – Und jetzt – bis auf drei, viertausend hinauf, – – ja, man kann nicht leugnen, daß sich die Verhältnisse einigermaßen verändert haben! – Ja, ganz unter uns. Faste, ich kann es ja gern erzählen, da ich jetzt das feste Angebot erhalten habe, – ich spekuliere nämlich auch! – Larsinenlust draußen an der Bucht, – – Umgebaut und als schöne Villa ausgestattet, kann man wohl darauf rechnen, das Haus für den Sommer an wohlhabende Badegäste zu vermieten, – das ist so sicher, wie das Amen in der Kirche! Es war zu zwanzigtausend Kronen angesetzt, und ich habe achtzehn geboten – – morgen muß ich mich entscheiden –«

»Nun dann hast du ja noch ein klein wenig Bedenkzeit, John,« entgegnete Faste zerstreut ins Blaue hinein.

Zum zweitenmal standen sie jetzt vor der Papierhandlung still.

Ob Laura Groth etwas kaufte? Oder suchte sie ein Leihbibliothekbuch da drinnen auf den Borden? –

»Und sieh einmal, Faste, – nur allein dieser Laden hier, – sofort große Spiegelscheiben,« demonstrierte John Berg. Er sah nicht ein, weshalb sie stehen bleiben sollten, und zog Faste weiter – – »Ich glaube, wir haben jetzt mindestens zwanzig Fenster von der Art in der Stadt, so groß, daß ein Bauer mit Pferd und Wagen hineinfahren kann, – und obendrein gratis, denn sie sind versichert. Wenn ich daran denke, wie unsere armen Väter sich abquälen mußten, um einen Schilling zu verdienen, und wie schwer ihnen der Weg zum Verdienst gemacht wurde, so muß man sich nur über den Nebel von Unwissenheit und Borniertheit in Bezug auf die einfachsten Handelsprinzipien wundern, in dem sie dahingelebt haben! – Ich muß lachen, du, – noch im vorigen Herbst geriet der Alte ganz außer sich vor Schrecken, als ich ihm erzählte, daß ich zehn Aktien für die Zellulose und fünf für deine Badeanstalt gezeichnet hatte. Er war kurz davor, einen Schlaganfall zu bekommen! Aber einen noch sonderbareren Anblick gewahrte er, als ich ihm erzählte, daß ich gleich darauf die Aktien zu einem höheren Kurs verkauft hätte, und ihm fünfhundert Kronen bar auf das Pult legte – – Seine Begriffe kämpften offenbar mit dem Gefühl, als ob das Geld eigentlich gestohlen sein müsse. – Alte Zeiten und neue Zeiten, du –«

»Merkwürdig,« räumte Faste ein. – »Ja, jetzt will ich dir Adieu sagen, John, – ich muß wieder umkehren,« fügte er schnell hinzu: er hatte Laura Groth aus dem Papiergeschäft kommen und die Straße hinaufeilen sehen.

»Sieht man Sie denn auch einmal wieder hier in der Stadt, stolzes Fräulein!« begrüßte er sie, – »ich hörte übrigens schon gestern, daß Sie gekommen seien.«

»Ja, Sie können mir glauben, es ist ein herrliches Gefühl, wieder hier zu sein,« entgegnete sie strahlend, – »nachdem man bei Onkel und Tante von kleinen Beschäftigungen und kleinen Gedanken umgeben war, – ich habe Tee und Kaffee gemacht, Zwieback und kleine Kuchen gebacken, Fensterkissen gehäkelt und gepflegt und gehegt: – das ist ein anderes Leben hier! Es sproßt und keimt, als läge der Frühling selber in der Luft.«

»Wie? – Romane, Fräulein Laura, – Sie? –« unterbrach Faste sie, indem er ihr ein Buch halb aus dem Muff herauszog.

»Die ersten Sprößlinge des Dichters, Herr Forland!« neckte sie.

»Ach ja, Fräulein Laura, wie mancher hat nicht sein Gefühlsleben in die Leihbibliothek hineingeflüchtet oder – es dort zu Grunde gerichtet. Wenn die Wirklichkeit zu trocken und die Phantasie zu ausgehungert wird!«

»Ja, aber ich hoffe, auf mich paßt das beides nicht.«

»Nein, Sie haben Ihre Leihbibliothek in sich. Ich fühle das immer, sobald ich Sie treffe. Sie stellten immer irgend jemand vor. Wer zum Teufel auch könnte wohl so auf der Ladentreppe stehen wie Sie heute und in die weite Ferne hinausschauen, bis Sie dann wieder in sich gingen und ganz einfach auf den Bürgersteig hinabschritten?«

»Könnten Sie nicht noch galanter den Ausdruck ›mit langen Schritten ausholen‹ gebrauchen?« wies sie ihn mit verletzter Würde ab.

»Wollen Sie eingestehen, welche Rolle Sie da spielten – Asta, die Königsmutter? –«

»Ach nein, ein so frommes und fruchtbares und biederes Gesicht steht mir nicht zur Verfügung. Meine Züge müssen immer ein klein wenig schief und krumm sein, wenn Charakter darin sein soll.«

»Dann etwa Sigrid Storrade?«

»Wie sie den König in das Faß steckt? – Dann wäre doch wenigstens noch Sinn! Aber im übrigen möchte ich von all diesen langweiligen Persönlichkeiten am liebsten Königin Gunhilds Gespenst draußen im Moor darstellen, – am allerliebsten aber die alte Hexe, die in der Asche wühlt und gräbt. – – Können Sie mir nicht eine solche Rolle auch für das Theater da unten geben?«

Faste stutzte. Eine eigenartige tiefe Bitterkeit, wie er sie noch nie an ihr bemerkt hatte, zitterte in ihrer Stimme, und die Augen blinzelten feucht.

Es ward ihm auf einmal klar, daß sie sich in der Tiefe ihres Herzens trotz dieser ihrer »Maske« unglücklich fühlen könne. Ihr in allen Zügen so ausgeprägtes Gesicht war vielleicht nicht mädchenhaft genug. – –

Faste überkam plötzlich das Gefühl, als habe er ein Weib vor sich, das hinter diesem lachend lustigen Gesicht, das sie zeigen mußte, um ihren Platz in der Welt zu behaupten, trauerte und unglücklich war. Hier im alltäglichen Leben, – im kleinen, – eine Tragödin, die groß genug war! –

»– – Soll ich es denn aber durchaus sagen, was mich vorhin veranlaßte, auf der Treppe stehen zu bleiben,« fuhr in derselben Stimmung Laura fort, – »so war es weder eine Königin Asta, noch eine Sigrid Storrade, sondern Ihr Badehotel, über das ich mich in Sinnen verlor. Es streckt seinen Turm an diesem Wintertage so festlich in die Luft empor. Ich mußte auf einmal an das Gebäude denken, so wie es dastand, als ich zum erstenmal da oben war und es nur aus nackten Mauern und Fensterhöhlen bestand, – ich sah die beiden obersten unfertigen Stufen der Treppe, über die Sie mich mit einem solchen Schwung hinaufzogen, so deutlich vor mir. – – Und dann die Aussicht, die mich wie mit Zaubermacht fesselte, so daß ich mich nicht davon losreißen konnte, – bis ich mehr und mehr in den Bann einer so eigenartigen, ungewöhnlichen Männerstimme geriet, die so von oben herabplauderte oder abbrach, ganz wie es ihr beliebte. – – Es lag ein so merkwürdiges Selbstgefühl, eine solche Kraft und Sicherheit in jedem Wort, das sie äußerte, als ob alle Einwände nur einfach wegzublasen seien! – Das war Ihre Einführung bei mir, Herr Forland, ich hatte Sie noch nie gesehen.«

»Ja,« sagte Faste, – »jetzt plaudere ich im Grunde fast jeden Tag mit Ihnen, Fräulein Groth! – Ich habe eine Rolle eigens für Sie, – sehe Sie jeden Satz sagen. – In drei bis vier Wochen versammeln wir die Truppe zur Probe, – – Sie werden natürlich der Haupteckstein.« »Ach, Herr Forland! – wenn Sie wüßten, wie bange mir wird!«

»Ihnen? – mit Ihrer schnellen Auffassung, – Ihnen wird bange?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Nein, vor den andern, – dem Publikum – fürchte ich mich nicht,« kam es zögernd heraus. »Sondern vor Ihnen!«

»Vor mir?«

»So ganz auf einmal sagen Sie etwas über das Stück, was ich nicht verstanden habe. Und dann denke ich, ich muß schrecklich dumm sein, und es überkommt mich eine bebende Angst, daß Sie merken könnten, wie unbedeutend ich bin.«

»Wenn Sie wüßten, Fräulein Groth, wie ich Sie im Geiste dem Geizhals die töchterlichen Worte zurufen höre:

»Wenn dich das nicht zu rühren vermag, dann ist dein Herz tot, – du bist eine eiskalte, wandelnde Leiche.«

»Die Worte nehme ich mit und übe sie mir ein,« lief Laura aus. »Ich betrachte mich jetzt angestellt als Tochter des Geizhalses. Es durchzittert mich förmlich, – ich habe Teil daran, ich habe Teil daran!« –

»Das haben Sie schlecht gesagt. Die Stimme kam nicht zu ihrer vollen Geltung. – – Noch einmal: Ich habe Teil daran – –«

»Ich habe Teil daran!« rief sie begeistert und schwenkte die Muffe.

»Machen Sie die Schlittenfahrt morgen nachmittag nach Frederikslund mit?« fragte sie nach einer Weile leise.

»Vielleicht. – –Ich hatte eigentlich nicht daran gedacht, mich nicht darauf eingerichtet, – ich habe keine Zeit zu all der Geselligkeit hier in der Stadt. –« »Es geht von Konsul Ristings aus,« erklärte Laura, – »und Kaffee und kaltes Abendbrot wird mitgenommen, – zuletzt gibt es natürlich Champagner. – Und Mondschein auf der Heimfahrt – –«

»Und ich darf Sie fahren?«

– – »Ja, dann komme ich! Dann komme ich! –« winkte er ihr voll Feuer und Flamme zu, indem er den Hut schwenkte.

– – Verteufeltes Frauenzimmer, diese Laura Groth! Wie sie ihn verstand und welch offenes Auge sie für alles hatte, was ihn betraf –

*

»Ach ja, – ich hab' es jetzt satt, Mutter, den lieben langen Tag die Mühle für die Philister zu drehen!« rief Faste aus, als er am Abend nach Hause kam. – – »Der Makler kauft und verkauft. Die Stadt ist in Bewegung. Die Aktien steigen. Es geht wie die Speichen im Rade! – Und nun kann ich dir erzählen, daß Schwager Doktor endlich auch seinen Vorteil erkannt und seine zwei Tausend in Aktien angelegt hat. Er braucht jetzt nur am Sonnabend unten beim Makler vorzufragen, dann hat er schon einen hübschen Haufen verdient, ohne daß er es nötig gehabt hätte, dafür zu doktern.–

Aber, weißt du, Mutter, wenn jemand, so wie ich, den ganzen Tag mit dem Mammon zu tun hat und sich mit Gewinn und Vorteil vollstopft wie eine Wurst, da lernt man den Dämon auch gründlich kennen – – Es ist ganz sonderbar, du! Man wird nie müde, ihn in allen seinen Drehungen und Wendungen zu studieren, – so verschieden wie er bei den Verschiedenen das Wort führt. – – Und das lächerlich Tragikomische bei der Geschichte ist, daß schließlich der Mammon mit dem Manne abgeht und nicht der Mann mit dem Mammon. Sag doch selber, ob so ein Geizkragen von Mensch nicht verdient, daß man ihn totlacht! – –

Und unter uns, Mutter, du wirst doch begreifen können, daß dein Sohn Faste nicht um neun Uhr des Abends aus geschäftlichen Gründen hierher kommt und um eine Lampe bittet und sich damit amüsiert, bis zwei, drei Uhr des Morgens auf seiner alten Bude zu schreiben. Ich mache mir ganz einfach das Vergnügen, den Teufel in ein Transparent hineinzubringen. Er ist so verzweifelt komisch, und ich finde keine Ruhe, bis ich den Burschen einmal gründlich beleuchtet habe, so in einem kleinen Schauspiel für das Sommertheater da unten. Ich hab' ihn in Reden und Gebärden schon am Finger, – den reichen Mann, den Geldprotzen, dessen Familie in der feinsten Treibhausluft von edlen Gefühlen idyllisch groß gezogen ist, wählend er selber die erste moralische Autorität der Stadt ist.

Das Geheimnis besteht nur darin, daß er sein Vermögen im Ausland in einer Aktiengesellschaft für giftige Tapeten angelegt hat. Und während die Familie an der Spitze von Stiftungen, Wohltätigkeitsveranstaltungen, Bazaren steht und ein gutes Beispiel gibt, liegen auf des Vaters Rechnung tausend arme Seelen rings umher in der Welt und leiden an Arsenikvergiftung durch die Tapeten.– – Ja, ich könnte ihn auch Anteil an einem Aktienunternehmen für verfälschte Weine haben lassen. – Und dann – laß einen so erzogenen, moralisch verfeinerten Sohn plötzlich den Zusammenhang entdecken und vor die Wahl gestellt sein, auf das schändlich erworbene Vermögen zu verzichten und die ganze an Luxus gewöhnte Familie arm und hilflos zu machen – mit allen daraus entstehenden Folgen – –

Das kann zu gewaltig ergreifenden Wirkungen führen.« –

Ein starkes klingelndes Geräusch von Schlittenschellen, das vor der Tür verstummte, unterbrach sie. Und herein trat Agnete, die aus der Gesellschaft bei Lüders in des Konsuls eigenem Schlitten nach Hause gefahren war.– –

»Ein wahres Glück, daß mein neues grauseidenes Kleid noch fertig geworden ist, Mutter, denn wahrhaftig, da waren Toiletten! Es geht heutzutage wirklich nicht mehr an, sich häufiger in demselben Kleid zu zeigen,– – Die jungen Frauen Lauritzen und Mo mit echten Blonden und Spitzen– –«

»Solch neugebackener Reichtum, du, der sich gleich zeigen muß,« entgegnete Frau Forland.

»Und ein Tisch! – Mutter – – die Weine gingen ja freilich über meinen Horizont. Aber Gemüse und Spargel und Früchte aus Algier in endloser Reihenfolge! Mich führte Hauptmann Döscher – –«

»Ja, Gute Nacht! Gute Nacht!« rief Faste und sprang die Treppe hinauf.

»Und alle die Grüße, die ich dir bringen sollte, Mutter! – – Morgen bekommst du Blumen aus Lüders' Treibhaus mit einer Sendung von allerlei Leckereien vom Dessert.– – Mina wird es selber herbringen; ich glaube, sie würde viel darum geben, wenn Faste dann zu Hause wäre; es ist ja in letzter Zeit eine solche Kameradschaft zwischen ihnen entstanden. – Aber Faste ist ganz sonderbar, du, er schwebt ihnen gegenüber immer gleichsam in der Luft; es ist, als wenn sie ihn nie so recht gefaßt kriegen könnten; sie stehen immer nur mit einer interessanten Idee in der Hand da.– – Faste sieht nie etwas anderes als das, woran er gerade denkt, – antwortet auch auf nichts anderes.«

»Nein, er schwebt am liebsten in höheren Sphären,« lachte Frau Forland.

»Und sowohl Lüders als auch Ristings lassen dir ihren Schlitten anbieten, Mutter; jetzt bei der herrlichen Schlittenbahn müßtest du wirklich ausfahren.«

»Ich weiß ja recht gut, daß das alles nur um meines Sohnes willen geschieht; aber es ist trotzdem so wohltuend, du,« sagte Frau Forland.

»Und schließlich haben Hauptmann Döscher und ich noch Vielliebchen gespielt,« – erzählte Agnete lächelnd. »Er verkehrt jetzt überall, wo ich eingeladen worden, und wir unterhalten uns und stimmen so gut überein –«


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