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Sechzehntes Kapitel

Frau Forland lag in ihrem Schlafzimmer, die großen, sanften Augen auf das Fenster gerichtet, und sah zu den letzten gelben Blättern hinaus, die von Zeit zu Zeit von dem Lindenbaum herabschwebten. – – Einer der letzten Zugvögel spielte dann, – oder vielleicht konnte er nicht weiter – wollte hier oben überwintern, – sich einen letzten Federmantel im Schnee suchen? – –

Es war so schön, – so getragen leicht, hier zu liegen und an alles das mit Faste und Vera zu denken – –

Sie gingen jetzt dort im Hause – in ihrem ersten kleinen Nest – umher, ehe auch sie den Flug nach dem Süden antraten, und er seine Schwingen erprobte. – – Er hatte sich gleichsam auf einem anderen Fels abgegoren. In dieser Zeit der Erfindungen konnten begabte Naturen sich wohl leicht auf diesen Weg verirren.

Er vermochte es immer noch nicht zu glauben, daß das Ganze anfing sich aufzuklären, – er ging so ungewohnt still einher, konnte in Gedanken versinken, während seine Augen einen so schmerzlichen Ausdruck annahmen; – sie konnte in ihnen, wie auf einem Bilde, all das Schmerzliche lesen, das in ihm aufstieg. – – Es gehörte Zeit dazu, ehe sich das alles beruhigt hatte und geheilt war – –

Sobald Vera sich blicken ließ, war alles wie von ihm genommen. Durch ihren unerschütterlichen Glauben an ihn rief sie seinen früher so unbändigen Mut und das Bewußtsein seines Könnens wieder wach und zauberte ihm eine Zukunft vor, die all das Geschehene wieder gut machte. Und wie gelang es ihr nicht, seine Stimmung zu heben und ihm zu folgen, wenn die Gedanken die Schwingen zu seiner neuen Tätigkeit regten.

Und nun diese letzte große, erfreuliche Neuigkeit, daß sein Schauspiel gleich zur Aufführung am Theater der Hauptstadt angenommen war! – Das war ja wie eine neue Schwelle, von der man ausgehen konnte.

Frau Forland lag da und dachte an den Kirschbaum und an Faste, als er rief: »Mutter, ich blühe!« Sie empfand eine wunderlich frohe Gewißheit, daß mit ihm ein Baum des Geistes gepflanzt war.

Und auch über ihrer Agnete fing die Sonne wieder an zu scheinen – – Es war nicht schwer, vorauszusehen, was daraus werden würde. Hauptmann Döscher fand jetzt, wo er vom Manöver heimgekehrt war, täglich Veranlassung, sie zu treffen.

Es war sonderbar, wie sich schließlich doch alles fügte, – es tat so gut, daran zu denken. – – Ditlev bekam sein Teil freilich erst in der anderen Welt – –

*

Doktor Falkenberg und Sölvi sahen sich in dieser Zeit oft nach Frau Forland um. Man fürchtete, daß sich die Gicht auf das Herz schlagen würde. Alle die starken Eindrücke waren wohl mehr gewesen, als ihre Nerven und Kräfte ertragen konnten, so scheinbar ruhig sie auch alles hinnahm.

An einem Tag im Spätherbst lag sie wieder da mit Augen, aus denen ihre Gedankenwelt stille hervorstrahlte und einem schwachen Lächeln, als schaue sie etwas.

Frau Forland kämpfte nicht, sie sah vielmehr mild verklärt auf den alten Kampf herab, aus dem sie sich so unzählige Male wieder und wieder gerettet hatte – –

Es lag eine höhere Bedeutung in allem, – den Gedanken durfte man nicht aufgeben! – sowohl in der schweren Prüfung, die sie selber betroffen hatte, daß sie, die einst eine stolze, schlanke Frau gewesen, so gebückt und krumm gebeugt einhergehen mußte, daß sie den Kopf nicht erheben und zur Decke aufsehen konnte, – wie in der immer von neuem auftauchenden bittern Frage in bezug auf Ditlev.

Eine Zeitlang hatte sie hart gekämpft. – – Sie durfte den Gedanken nicht aufgeben, daß ihr Schicksal ein Einsatz für ein höheres Leben war.

Sie durfte ihn nicht aufgeben – –

Entweder das, – oder gar nichts, – nichts als ein unter dem Absatz zertretener Schrei,– und damit konnte man nicht leben!

Oft hatte sie gekämpft, – jetzt kämpfte sie nicht mehr: Warum ist mir dies auferlegt? Ich will wieder zur Erde zurück. – Aber das Wasser ist zu kalt, das Feuer zu heiß. Gottes Zorn wohnt darin.

Sie hatte sich mit ihrer Pflanzenlehre ausgesöhnt, – konnte jetzt ganz still daliegen und das Wachstum mit den unsichtbaren Schüssen und Blättern betrachten – –

Über Nacht hatte sie abermals den alten, schönen Traum gehabt, – sie war wieder in der Kirche, und ihre Stimme füllte sie wieder aus, so wunderbar klar und groß und befreit klang sie bis zu dem Gewölbe empor, wahrend Ditles mit dem Taktstock in der Hand dastand und den Chor von der Orgel herab dirigierte.

Jetzt schlief sie.

Die Herbstsonne rückte ganz leise dem Bettschirm näher. Hin und wieder pickte ein Vogel mit ein paar kurzen Stößen gegen das Fenster.

Falkenberg schlich herein – –

Die Atemzüge wurden so wunderbar leise, hin und wieder unterbrach sie ein Seufzer – –

Dann auf einmal – während eines starken Ausatmens, das fast wie ein Triumphruf klang, – erhob sie sich mit ausgebreiteten Armen von ihrem Kissen. Mit einem »Ach – ach, – nun gehe ich –« richtete sie sich auf. Es war, als ob die Steifheit nachließe, – die Augen verklärte ein leises Lächeln und rank und gerade fiel sie auf ihr Lager zurück.


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