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Vierzehntes Kapitel

»Ein langer Sommer. – – Ein trauriger Sommer!« sagte John Berg, als er Faste hoch oben an der Bachwiese begegnete. – »Da geht man nun und wartet auf Akkord mit den Gläubigern! Aber ein Tag schleppt sich nach dem anderen hin mit demselben Resultatlosen in der Luft. Was zum Teufel kehrt man sich an etwas besseres oder schlechteres Sommerwetter. Es sind die Zeiten, – die Zeiten, – worauf wir warten, – daß endlich einmal eine kleine Veränderung in diese verzweifelte Geldknappheit kommen soll. – – Man trinkt Kognak und Selterwasser bis in die Unendlichkeit unter den Markisen auf Verandas und Treppen und wartet nur. – Es ist ordentlich wohltuend, wenn einmal eine Abwechslung kommt mit einem tüchtigen Gewitter und bleischweren Wolken. – Und war es nicht sonderbar, daß die Fallissements plötzlich in der vorigen Woche unter einer ganzen himmlischen Kanonade wieder losbrachen? Ein Bankrott nach dem andern, – beinahe jede dritte Firma, die ganze Hafenstraße hinauf! – Ja, man spricht ja sogar von einem Mann wie Arne Wulff; er reist jetzt in der letzten Zeit verdammt oft in die Hauptstadt.«

Faste trug eine ungleich überwältigendere Nachricht in der Tasche, – einen Brief, in dem das Hamburger Haus, das Lieferungen für die Aussteuer des Hotels gehabt hatte, in Ermangelung sofortiger Bezahlung damit drohte, sich auf rechtlichem Wege an dem Eigentum der Aktiengesellschaft: dem Hotel mit Inventar und Baugrund, schadlos zu halten.

Dies hieß mit anderen Worten, daß die Aktiengesellschaft Bankrott machen mußte, wenn nicht ein einzelner Hauptgläubiger bevorzugt werden sollte. –

Er hörte John Berg zu, während seine Gedanken unablässig suchten, – bis sie zu dem Entschluß gelangten, zu dem er in diesen Tagen immer wieder zurückgekommen war, – bei Onkel Joel anzuklopfen! – ein schwacher Ausweg, aber der letzte! – – Und dann ein Gedanke, mit dem seine Phantasie, zuweilen spielte, wenn er müde war, – nach Amerika zu gehen, Geld zu verdienen und die ganze Sache zu ordnen. – –

Während alledem konnte er wohl von Zeit zu Zeit zusammenschaudern vor etwas Leerem, Totkaltem, Schwarzem, das wie eine Vision aufstieg. – –

Während John Berg auf der Wanderung durch die Straßen redete und erklärte, erriet sein schnelles Auge, daß die Drohungen des Hamburger Hauses schon zu zweien und dreien auf den Bürgersteigen verhandelt wurden, so daß also diese Sache sich jetzt mit ihrer ganzen Panik der Stadt bemächtigte – –

Es war ihm, als höre er das Wort Bankrott an allen Ecken und Enden – – –

Der alte Joel war bereits einen Monat in der Stadt gewesen, ohne daß sich Faste hatte überwinden können, ihn zu begrüßen. Er versuchte jetzt, sich einige Eintrittsworte als Entschuldigung einzuüben, gab es aber halb schwindelig wieder auf – –

»Ja, hier muß ich dir Adieu sagen, John,« sagte er plötzlich unten im Kirchenpfad, wo Onkel Joel wohnte.

Er sprang die Treppe in ein paar Sprüngen hinauf und wunderte sich, daß die Haustürglocke so laut klingelte, – er war sich nicht bewußt, geschellt zu haben. – –

»Ja, Onkel,« – begrüßte er ihn drinnen im Zimmer, – »ich hatte ja gehofft, dir etwas ganz anderes zeigen zu können, wenn du nach Hause kämst, als die Misere, die du jetzt vor Augen hast.«

Die eine grüne Gardine war halb herabgelassen und über dem Pult, wo der alte Joel in seine Rechnungen vertieft saß, lag ein Sonnenstreifen.

Er drehte den Rollstuhl, in dem er saß, halb herum und erhob sich einen Augenblick beinahe formell höflich.

Es fiel Faste auf, daß der Onkel merkwürdig europäisiert aussah. Er war frisch rasiert und sehr soigniert am Halse, und der Sonnenstreif fiel auf einen seinen modernen Rock, freilich von der alten Länge.

»So–o? – – du bist noch hier?« ertönte es, indem er sich wieder in den Stuhl hinabsinken ließ. – »Ich muß dir sagen, ich war auf den Gedanken gekommen, daß du vielleicht deine gemeinnützige Wirksamkeit an einen andern Ort verlegt haben könntest, – oder gar in ein anderes Land.«

»Du meinst jenseits des Ozeans, – daß ich die Schute verlassen hätte, ohne das Meine zur Rettung beizutragen?«

»Und ich sage dir, mache nur bankrott! Mache nur bankrott!«

»Das ist nun einmal nicht meine Natur, Onkel, – und auch nicht meine Absicht, – wenn nur –«

»So? – Ja, nicht wahr, – wenn du nur mehr Geld gehabt hättest! – noch einige Hunderttausende mehr, – dann hätten wir einmal sehen sollen!«

»Lieber Onkel, diese ungeheure Verantwortung, – namentlich diese armen kleinen Leute, die ins Unglück geraten,« – erklärte Faste. Er strengte sich gewaltig an, um seiner Gemütsbewegung Herr zu werden, die Tränen saßen ihm im Halse.

»Ja, ganz recht – – Verantwortung, ja! – – Ich kenne das wie ein Vomitiv! – zuerst wagt man sich in blendendstem Glanz mit den wildesten Projekten vor, und hinterher – sitzt man auf dem Scheiterhaufen und weint.«

»Ich dachte,« fuhr Faste geduldig fort, – »daß du helfen könntest, wenigstens etwas, wenn du die Sache in die Hand nähmest und zum Beispiel das Ganze für etwa die Hälfte, was es gekostet hat, an dich brächtest, denn jetzt wird es wohl auf Drängen der Hamburger Firma zur Versteigerung kommen, – und dann das Ganze in verkleinertem Maßstabe weiterführtest.«

»Du Schelm! – Retten – Ja, das sage ich ja, diese Ideologen sind schlimmer als Schurken! – Die Mehrzahl allen Unglücks in der Welt stammt von ihnen, wenn sie wie ein Unwetter in die Wirklichkeit hineingeraten und ihr ruhiges, schwerfälliges Wachstum mit ihrer verrückten Elle messen. Sie führen die Menschen mit ihren verlockenden Worten an den Rand von Abgründen, in die sie hineinstürzen. – – Es sollten wirklich Schutzmittel gegen sie angebracht werden – –

Und den Betrieb in kleinerem Maßstab fortsetzen? – heißt es jetzt. Ja, ich habe hinreichend Gelegenheit gehabt, die Sache auch von dem Gesichtspunkt aus zu betrachten. – – – Mehr als ein Fremder ist hierher gereist, hat sich nach dem Badeort erkundigt, und ist dann wieder verschwunden. – – Unten am Badestrande spaziert jetzt außer einer rotbeinigen Bekasine und ein paar Strandschnepfen ein einsames holländisches Ehepaar. Und da dort nichts zu finden ist, behelfen sie sich ganz vorzüglich mit Blankenbergs Hotel. – – Einem Hauptmangel wurde ja auch dadurch abgeholfen, daß man ihnen das gute alte Badehaus der Stadt mit privilegiertem Zutritt anweisen konnte. – Ja, ja, die Sache geht! – – «

»Es war nicht meine Schuld, Onkel, daß alles im letzten Augenblick so schreiend unfertig dastand, – es wurde nichts mehr auf die Aktien einbezahlt.«

»Nein, natürlich, – die Schuld lag nur an diesem – unbedeutenden Geld! – – Wäre das nur dagewesen, so – – heisa! – – erkläre dich nur bankrott, erkläre dich nur bankrott, rate ich dir, und laß dich nicht in der Stadt blicken. Herr Konsul Lüders hatte die Liebenswürdigkeit, von mir in deinem Namen achtzehntausend Kronen zu fordern. Falls ich das Geld nicht bezahlte, wollte er nachweisen, daß du von den Mitteln der Kasse unterschlagen hattest, – dich verklagen. – Ja, meinetwegen! – – «

»Das kann er auch, Onkel!« entgegnete Faste tonlos, – »ich leugne es nicht. Ich nahm damals elftausend Kronen aus der Kasse zu einer Zeit, wo man die Aktien noch für Geld hielt, und konnte sie erst drei bis vier Wochen später wieder zurückzahlen, und zwar, indem ich mir das Gold von allen möglichen Seiten zusammenlieh.«

»So. So – – Ich biete dir hiermit fünfhundert Kronen an, wenn du dich damit bis nach Amerika durchschlagen willst, – um deiner armen Mutter willen, – und um deine Familie einigermaßen rein zu halten – –

Ha ha ha! – mich mit dir auf Geschäfte einlassen! – Wenn ich daran denke, was meine seligen dreitausendfünfhundert schon ausgerichtet haben, dann könnte man ja freilich in Versuchung kommen, fortzufahren – – mir das ganze Badehotel aufzuhalsen!

Wie gesagt, die fünfhundert Kronen –« Onkel Joel öffnete die Pultklappe.

»Danke, Onkel, danke, – den Weg gehe ich nicht. – Adieu. Leb wohl – – « In der Tür blieb er einen Augenblick stehen. »Ich wünsche dir, daß du deine Bronchitis los wirst. Du bist ein tüchtiger Mann gewesen – – «

Faste kehrte langsam nach Hause zurück; ganz mechanisch grüßte er bald diesen, bald jenen.

Die Stadt lag gleichsam in einer ganz veränderten, wunderlich kirchhofstillen Beleuchtung vor ihm. Die Menschen, das Treiben und die Geschäftigkeit gingen ihn nicht mehr an. Er fühlte sich noch mehr außerhalb des Ganzen, als wenn er sich in einem seinen, fremden Land befunden hätte.

Andere konnten trauern und sich aussprechen. Sie hatten ein Recht dazu. Das gehörte mit zum Leben – –

Aber ich? – schrie es in ihm, – wenn Mutter stirbt, wenn Sölvi ihren Jungen verliert? – Mein Gemüt muß sich verschließen. Ich muß mich vor mir selber verstecken, – muß aufhören zu fühlen! – –

Wird einem Hause ein Kind geboren, so nehmen sie es in ihr Gefühlsleben auf und sind fröhlich und können ein Fest feiern und sprechen darüber, wie das Kind heißen soll und all dergleichen. – Und stirbt es, so weinen sie aus ihres Herzens Grund und Fülle – –

Aber ich? – ich habe so manch eine Mutter, so manche alte und so manche kleine an den Rand des Untergangs geführt, so daß sie nun vielleicht ein ganzes Leben in Armut hinschleppen müssen.

– – Ob ich im Zuchthaus spinnen muß, oder ob ich ins Ausland entkomme, das ist einerlei.

Ich bin ausgeschlossen. Die dem Leben innewohnende Nemesis hat das Urteil vollzogen; eines Lüders bedarf es nicht. – Ich habe keinen Anteil an den Leiden und Freuden dieser Welt, – kann nur wie ein Verstorbener einhergehen und durch ihre Fensterscheiben gucken.

Das ist die Strafe, weil du so viele um die Freude gebracht hast! – –

Er beschleunigte seine Schritte, erfüllt von dem erstarrenden Bestreben, seinen Gedanken zu entweichen.

Zu Hause angelangt, nickte er Ditlev zu, klopfte ihn auf die Schulter und strich ihm mit der Hand durch das Haar, verließ ihn aber plötzlich wieder, als er sah, daß er ihn mit Ausdruck wie von aufsteigender Angst anstarrte.

Der Idiot war imstande zu erraten –

Er ging langsam im Wohnzimmer auf und nieder und setzte sich zu der Mutter, die auf dem Sofa lag.

Er nahm eine ihrer geschwollenen Hände und fing an, mit ihr über ihren Rheumatismus zu sprechen – – und erwachte aus seiner tiefen Geistesabwesenheit und Zerstreutheit, als sie ihn an sich zog und ihn auf die naßkalte Stirn küßte.

Er hatte eine dumpfe, lahme, zitternde Empfindung, als könne er ihren Kuß nur als etwas Fernes, Äußeres empfinden, – eine stille, grauenhafte Panik: – er war ausgeschlossen!

Es lag ein bleicher Ton über dem Zimmer, der besagte, daß er ausgelebt hatte; er konnte in Zukunft nur noch als sein eigener Geist hier weilen.

Er ging auf seine Kammer hinauf, – sah sich einen Augenblick um, kramte zerstreut unter seinen Sachen und legte bald dies, bald das vor sich hin, wie jemand, der im Begriff ist, zu verreisen; plötzlich begann er, eifrig und sorgfältig die beschriebenen Bogen seiner Schauspiele zusammen zu packen, und sie mit einer Schnur zu umwinden.

Auf eine kleine Karte, die er hineinlegte, schrieb er:

»Liebe Vera! – Lies und bewahre mir auch dieses zusammen mit dem andern auf. – Vielen Dank! – Stets Dein Faste.«

Unten in der Küche beauftragte er das Mädchen, das Paket zu Gyllings zu bringen.

Er schloß die Tür des Zimmers und sah sich einen Augenblick darin um, bevor er sich auf den Weg machte.

Ehe er sich plötzlich umwandte und den Weg an den Felsblöcken entlang nach den Schären zu einschlug, hatte er eine Weile ganz vertieft vor Büchsenmacher Dunhagens Fenster gestanden. – –

Er dachte auch nicht einen Augenblick daran, einen Revolver zu kaufen; – der Kopf schmerzte ihn nur schließlich so sehr, – tief drinnen im Gehirn von diesem langen Stehen und Starren; – seine Gedanken weilten weitab – – –

Drinnen bei Breders saßen Dina und die Schwester und weinten. Ihre kleine Mitgift war mit draufgegangen. – Lüders aber raste und schwur Rache. Der Zollinspektor und der alte Klüver schrien, er müsse arretiert und ins Zuchthaus gesteckt werden. – – Sölvi ging daheim still umher und sagte nichts. Einige faßten die Sache ironisch auf, und der alte Tryggesen posaunte seine Witze aus. – – –

Faste hätte um nichts in der Welt jetzt durch die Straßen gehen mögen. Er sah die Stadt durchsichtig wie eine Vision und eilte dahin, gleichsam verfolgt von all ihrer Not und ihren Rufen und ihrer Verzweiflung, die zögernd und klagend hinter ihm dreinschallten. – – –

– – Und von der Landzunge her kamen sie, Männer und Frauen mit Kindern auf dem Arm, – alle kleinen Leute, – es war ein ganzer Zug, – und fragten nach ihrem Recht, und wo er, der sie um ihre armseligen Sparpfennige betrogen hatte, zu finden sei? – –

Er fühlte sich unsagbar erleichtert, geradezu befreit, als der letzte Felsblock ihm die Aussicht auf die Stadt versperrte.

Endlich war er allein!

Dort unten zwischen den Klippen brauste eine wilde See, und die Wolken zogen schwarz vorüber mit hellen Durchblicken.

Es hatte gar manch ein Wrack dort zwischen den Schären gehangen, – da konnte heute noch eins hängen –

Denn sein Lebensgebäude war total zerschellt. – –

Das hast du schnell besorgt, Faste! – Siebenundzwanzig Jahre – –

Und dann stehst du schon hier und willst vor Gottes Antlitz treten!

Ja, wer so wäre wie die Mutter – – die mit dem einen Auge glaubt und mit dem andern räsoniert, – und es doch zum Stimmen bringt! Ich möchte mir im übrigen erlauben, mir eine Erklärung für allerlei Kleinigkeiten auszubieten. Zum Beispiel, was das für eine Gerechtigkeit ist, nach der Mutter so gebeugt einhergeht, während Ditlev als Idiot zur Welt gekommen ist? – – Überhaupt möchte ich auch einige Fragen stellen, – im Namen aller dieser Elenden, die mit allerhand Gebrechen umhergehen, – im Namen der Lahmen und Blinden und Geistesschwachen und Unfertigen, – – die könnten sich, weiß Gott, auch über Bankrott beklagen!

Oder die, bei denen es umgekehrt ist, – denen ein Überfluß von Gaben zuerteilt wurde, der nicht für das Leben paßt, sondern zu der entsetzlichsten Verantwortung führt.

Wie zum Beispiel ich! – – dem außer allem anderen dazu gehörigen auch eine Überredungsgabe zuerteilt ist, die in erster Linie mich selber täuscht und betrügt und dann meine Mitmenschen ins Unglück bringt.

Ich könnte mich versucht fühlen zu fragen, ja! – ein wenig in der Grundsprache zu reden!

Der arme Bettler, der vor den Richter tritt, beladen mit der Verantwortung für die vielen, vielen Schafe. – – Was soll der antworten? – außer dem einen, daß er die Krallen zeigt und sagt: die hast du mir gegeben, Herr, – geschah das nicht, damit ich sie brauchen sollte? – Oder ist es ein Überfluß, den du mir in der Zerstreuung deines gewaltigen Schaffens versehentlich zuerteilt hast?

Jetzt, wo ich vor dem Kalten, Nackten stehe, möchte ich wohl fragen, warum du mich von einem steinigen Abgrund zum anderen hast über die Erde kriechen lassen gleich einem Wurm mit irreführenden Flügeln, – so daß ich ein gutes Recht besaß zu glauben, daß mein Wesen zum Fliegen geschaffen sei? – –

Frage, frage nur, Faste! – Niemand wird dir antworten. –

Er schlug den Weg ein, der zwischen den Schluchten der Strandhügel entlang führte.

Ebenso gut kannst du den Gischt fragen, der den Svaberg hinanstürmt. – – Der schäumt und donnert und brüllt und weicht zurück gleich einem Spitzenschleier. – – Er ist schön. Aber häßlich, nüchtern und salziggrau, wenn er sich am Felsen zerschellt; – und hat nichts mit Spitzen oder Regenbogen im Wasserstaub zu schaffen!

Willst du wissen, was ein Gewaltiger ist? Da kommt jetzt einer herangerollt, so nüchtern wie die ewige Wahrheit, während der Schaum an seinem Kamme emporleckt, – eine große Glaswelle mit weißem Helm und flatterndem Helmbusch! – Sie zerschlägt sich an der zerrissenen Klippe, von der sie herabfließt und tropft, – unaufhörlich, unaufhörlich, – das ist ihr Lebenswerk. – –

Ein Priester in hoher, spitzer Mütze steht da und predigt in das Meeresgebrause hinein, bald unter, bald über dem Wasser, bald frei und hoch im langen Talar, bald ganz begraben, so daß die Worte zu Schaum und Dunst werden. – –

Und dort, weiter hin, kämpft die Brandung einen harten Kampf mit einem seichten Grund voller Tang, wo es die ganze Zeit zischelt und tischelt – »St! – St! –

Und die Welle zieht sich kreischend, heulend, hohnlachend zurück, – in die Arme einer gewaltig heranbrausenden neuen!

Ja, Faste, – jetzt kommt die Antwort. – – Das Meer breitet sich zu einem weißen, viereckigen, schäumend schwindeligen Leichentuch aus, – dort auf dem sandigen Boden mit wogenden, entzückenden Schönheitslinien mit verbrämter Kante geschmückt, – dort zwischen den kleinen Steinen prasselnd. –

Plumps – – plumps – –

Da war er wieder dieser dumpfe Laut des saugenden Wassers an der steilen Felsklippe. Er kam regelmäßig mit langen Zwischenräumen, wenn die Brandung sich bei ihrem Anprall hoch über die Steinwand hinauf gewagt hatte und nun wieder versank.

Er vermied es, dahin zu sehen, hatte das Schauspiel am liebsten im Rücken.

Dorthin wollte er. – – –

Es war noch hell, – noch nicht dämmerig genug. Am liebsten von Dunkelheit umhüllt, wollte er sich in die Dunkelheit hinabfallen lassen. – –

Da lag etwas, was auftauchte und hervorragte, dort am Rande, wo die Felswand eine Biegung machte. –

Er mußte sich unwillkürlich damit beschäftigen, es untersuchen, näher und näher Herangehen.

Es nahm einen Augenblick fast die Form eines menschlichen Kopfes an. – –

Jetzt tauchte es wieder auf, – war das nicht auch eine Schulter? –

Bleich vor Angst blieb er stehen. – Sollte da schon eine Leiche vor der seinen liegen und sich wiegen – –, würde er dort im Meeresstrudel mit einem Bruder zusammenliegen?

War er denn wahnsinnig geworden? – Sah er sich selber dort, – bleich, häßlich, zerfressen. – –

Mit einem eisig kalten Schaudern starrte er in das Land des Todes hinein.

Jetzt tauchte es da hinten völlig auf. –

Ein Wrackstumpf – die zerbrochene Planke eines Bootes.

– Ein Schiffbruch wie mein eigener. – – – Und die Welt geht ruhig weiter! – – –

Er vermochte keinen Gedanken mehr zu fassen, – legte sich müde und schwer und leer in eine Schlucht, wo der Skjelberg ihn gegen den Wind schützte. Er saß mit dem Nacken an einen Felsblock gelehnt – die Dämmerung breitete sich wie eine Decke aus. – –

Wenn die Sterne kamen, dann –

Der Wind sauste leise mit unverständlichen Worten. – – –

– – Er saß ja daheim auf der alten, moosbewachsenen Steinbank in der Laube.

Und da summte auch die Hummel, – schwarz und gelb am Wams, dick und haarig. – –

Jetzt kletterte sie auf ein fettes, kleberiges Pappelblatt. – – Schwerfällig und übersättigt, war sie bemüht, sich fest zu halten; mußte den Versuch aber aufgeben. – – Sie summte tönend auf ihn zu. –

Wo war sie nur auf einmal geblieben? – – Er fühlte einen Stich im Fuß.– – –

Jetzt saß er plötzlich auf einer grüngestrichenen Bank auf dem Platz am Kirchenpfad. – –

Da gingen sie alle und sahen ihn nicht, sowohl die, die Aktien hatten, als auch andere. –

Sonderbar, daß hier so viele gingen? – –

Es mußte irgendein Fest gefeiert werden, – in der Kirche oder –

Sie gingen alle so stille.

Beinahe die ganze Stadt war auf den Beinen, – Alte und Junge, alle geputzt, – die jungen Mädchen mit Schleifen, – in Gruppen oder zu zweien. –

Er selber hatte einen so merkwürdig großen Fuß, und er glaubte zu bemerken, daß, wenn er den Absatz auf den Hügel niedersetzte, es schien, als habe das eine eigene Wirkung auf sie.

Es fiel ihm ein, daß er sie müsse verhindern können, in die Straßen hinein zu verschwinden, wenn er mit dem Fuß gegen die Erde drückte.

Er versuchte es ganz leise zwei-, dreimal. –

Und wandten nicht Kristine und Mina und Tona sich um, gerade als sie in die Hauptstraße einbiegen wollten?

Und da hinten an der anderen Ecke drehten auch zwei oder drei sich um. –

Er mußte es noch einmal versuchen. – Und sie drehten sich hier und dort um. Selbst der Zollinspektor und Risting machten eine halbe Wendung. –

Je mehr er auftrat, um so starker zeigte sich die Wirkung.

Er fing an, mit dem dicken Fußblatt auf die Erde zu stampfen und immer schneller drehten sie sich, – eine Gruppe nach der anderen wie Abteilungen in einem Tanz. –

Er fuhr fort, hart aufzustampfen, regelmäßig im Takt nach einer wunderlich aufregenden Melodie. –

Und schneller und schneller drehte das Ganze sich herum.

Er stampfte und stampfte, trampelte und klopfte, so daß das Fußblatt knallte, – schneller und immer schneller.

Jetzt drehte er das Ganze, als trete er einen Spinnrocken, – schlug wieder und wieder mit dem gewaltigen Fußblatt gegen den Boden, so daß das Ganze in der Luft herumsauste wie ein wilder Wirbel.

Er fühlte seine Macht mit einer jubelnden Siegesfreude, – er stampfte und stampfte mit dem Fußblatt, das immer mehr wuchs und gewaltiger wurde.

Er erwachte mit einem Angstschrei. –

Ich bin doch nicht der leibhaftige Satan geworden! – – –

Er stand einen Augenblick da und besann sich auf die Umgebungen, um sich darüber klar zu werden, wo er war, – und sah dann auf seinen Fuß nieder. –

Es fehlte nur, daß der schwarz war und – einen Pferdehuf hatte!

Eigentlich nur das alte – – das alte Talent, mit dem er alle Aktienbesitzer herumgedreht, den ganzen Schwindel aufgewirbelt hatte. –

Eine Kraft, ja! – und sich dann vom Wahlplatz des Lebens zurückzuziehen, ohne sie ausgenutzt zu haben?

Es leuchtete vor ihm auf, wie ein Blitz, daß er leben könne.

Das Blut strömte ihm aus der Tiefe des Herzens in das Gesicht. – – – –

Waren doch vielleicht noch Pfeile auf der Bogensehne? – –

Schnell, als wolle er sich gegen einen neuen Einwand schützen, eilte er über die Felsblöcke zurück. – –

Ohne im geringsten seine Hast zu vermindern, warf er von Zeit zu Zeit einen Blick auf die Brandung zurück, die aus der Dunkelheit zu ihm emporschimmerte. – –

Die gewaltsam aufgestaute Lebenskraft durchzitterte seine Nerven. – – –

Nach Hause und den Kampf von neuem aufnehmen, – – klang und tönte es gleich Sporenhieben, die er einem Pferde in die Flanken drückte.

Er hielt erst an, als er einzelne Lichter der Stadt erblickte. –

Hier steht man wieder vor einer Tatsache: – Von jedem Menschen, den du kennst und nicht kennst, in kleine Fetzen zerrissen werden, – auf Straßen und in Kontoren Standrecht über sich ergehen lassen!

Wolltest du nicht das Ganze mit deinem Fußblatt in Bewegung setzen und herumdrehen?

Nein, nein, über die Lage der Dinge kann ich mich nicht hinwegtäuschen. – – Die ganze Stadt ist natürlich wieder klüger als ich. Jetzt haben sie es alle von Anfang an gewußt, daß Faste ein Verrückter ist, – ein Idiot, wie der Bruder, nur auf andere Weise! – –

Ein paar bleiche Sterne kamen zwischen den zerklüfteten Wolken zum Vorschein, und als das Haus der Mutter auftauchte, spähte er wiederholt aufmerksam, ob er in einem der Fenster Licht entdecken könne.

Nicht im Wohnzimmer und auch nicht im Schlafzimmer der Mutter. – – sie hatte ihn also nicht entbehrt oder gemerkt, daß er weg war. –

Als er in die Gartenpforte einbog, gewahrte er plötzlich gegenüber auf dem Wege eine Gestalt. – – Es schien fast, als wolle sie sich scheu entfernen.

Bera? – Bera? – Ja, das mußte wohl Bera sein –!

Es durchzuckte ihn, daß sie wohl infolge seines Billetts Verdacht geschöpft haben müsse und nun auf ihn gewartet und ihm aufgepaßt hatte!

Mit einem Satz war er neben ihr.

»Du hier, Bera – – «

»Ach, – ich habe mich so geängstigt, – ich bin hier auf und nieder gegangen und habe nach dir ausgespäht, ob du nicht kämest, – ob du denn nimmer kämest!« Sie rang krampfhaft die Hände.

180 »Ich verstehe.– – Ich verstehe. – – Ich fühle mich wie ein auf frischer Tat ertappter Dieb! – – Nein, ich kann dich beruhigen, dieser dein geschlagener ehemaliger Freund will leben, – will den Kampf noch einmal aufnehmen.«

»Scherze nicht, Faste! – Du bist noch keineswegs fertig mit der Welt, – du hast noch gar nicht einmal angefangen. – – Ich habe es ja immer gewußt, daß dies nichts für dich sei. – Was kann ich dir sagen! – Aber du hast ja genug ungebrauchte Fähigkeiten und Kräfte. – Weshalb nicht über all das schreiben, was du denkst? – Ich fing an, das Schauspiel zu lesen, das du mir geschickt hast, und es war mir, als erlebte ich es alles. – – Aber plötzlich überkam mich eine solche Angst, – weshalb hattest du es mir geschickt?

Ich stürzte geradeswegs zu deiner Mutter; aber sie und Agnete dachten an nichts Schlimmes, und ich hütete mich wohl, sie zu erschrecken. Aber von dem Mädchen erfuhr ich, daß du ausgegangen, – daß du nicht auf deinem Zimmer seiest. – –

Und dann bin ich hier in Todesangst auf und nieder gegangen und habe gespäht und gespäht und gelauscht –«

»Großer Gott, Bera, – wäre es nun nicht im Grunde für alle besser gewesen, wenn dieser lästige, beschwerliche Bursche verschwunden, unterlegen, aus der Welt gegangen wäre mit der Bemerkung: – Verstehe keine Spur von dem Ganzen!«

»Nein, Faste, das wäre nicht besser gewesen, – für mich nicht.«

»Sagst du das, Bera? – Kann so eine verunglückte, schiffbrüchige Person dich noch interessieren?«

»Wie du redest, Faste! – Du mit allen deinen –«

Er packte sie plötzlich bei beiden Armen und sah ihr scharf ins Gesicht. – – –

»Nein, jetzt sollst du es mir sagen, – jetzt will ich es wissen. – Ich habe schon einmal Schiffbruch gelitten und muß es zum zweitenmal ertragen können. – – Verhält es sich wirklich so? Ist es denn möglich, daß du dich mir und meinen Interessen anschließen kannst, – jetzt, wo ich so tief unten auf der Leiter stehe. – – Kannst du, die du so klar und klug und korrekt bist, mich lieb haben? – Ja, so richtig, wirklich, meine ich!«

»Du bist meine Welt geworden, Faste! – Ohne dich gibt es für mich nichts, nichts, – das weiß ich jetzt nur zu gut.«

»Aber das ist ja, als wolltest du dich vom Felsen herabstürzen, Bera! – Gott behüte dich, Kind!«

»Du bist bitter geworden, du Ärmster«, sagte sie und lehnte den Kopf an ihn an. – – »Aber du sollst sehen, es wird noch alles wieder gut. – – – Wir wollen es schon zwingen, wir beide. – – Wie, Faste?«

Er schlang die Arme um sie. –

»Rede, sprich weiter. – – Es hört sich an wie etwas Herrliches, aus weiter Ferne, – wie Meerfrauensang! – Es ist mir als stünde ich hier und hielte dich mitten in der Brandung fest.«

»Sie wird ihr Schäumen schon einstellen, wenn wir beide –«

»Bera! Bera!« flüsterte er, – »sag' es immer, immer wieder, daß du mich liebst, so daß ich es fassen, – es begreifen kann.«


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