Bernt Lie
In Knut Arnebergs Haus
Bernt Lie

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VI.

Bergliot saß in ihrem Zimmer am Schreibtisch, über eine offene Mappe gebeugt, deren aus losen Briefen und Papieren bestehender Inhalt über den Tisch zerstreut lag.

Die Thür zu dem Atelier daneben stand offen. Auch dort waren alle Thüren geöffnet. Das Haus lag leer und still da. Und sie saß vornübergebeugt und las. Alte Briefe, Gedichte, Billets. Sie wollte die Mappe ordnen, hatte sich aber in die Lektüre jedes einzelnen Blattes vertieft.

Es war gegen Mittag. Sie hatte mehrere Stunden so gesessen.

»Bu–uh« klang es plötzlich durch die Thür. Sie fuhr heftig zusammen, zerknitterte das Papier, das sie in der Hand hielt, und wandte sich um.

Es war Karen Ragnhild, die mit feierlichem Schritt und strahlendem Antlitz eintrat.

Sie hatte ihr neues Kleid an, eine elegante Promenadentoilette und vor allem einen riesengroßen Hut, alles heute aus der Stadt geholt. »Du bist es!« sagte Bergliot, sofort beruhigt.

»Ja, niemand als ich. Das ist ja das traurige.«

»Wieso?«

»Er wollte nicht mit hereinkommen. Aber was sagst du denn?«

Sie drehte sich langsam in ihrem Staat um. Karen Ragnhild hatte ihr Haar hoch aufgesteckt, und eine Menge widerspenstiger Löckchen hingen ihr lose in den Nacken.

»Wunderhübsch, du!« sagte Bergliot, die aufgestanden war und sie von Kopf zu Fuß betrachtete. »Jetzt ist das Kleid, wie es sein soll. Ganz wunderhübsch. Nur der Hut, – der hätte noch etwas größer sein können! Er hat es doch noch nicht ganz verstanden.«

»Noch größer, Bergliot?«

»Ja, – oder die Krempe hätte einen flotteren Schwung haben müssen! Er müßte noch mehr wie – wie eine Fanfare wirken! Das paßt für dich! – –«

Nach einigem Beraten einigten sie sich dahin, daß sie noch einmal mit dem Hut zu Höst gehen wollten. Vielleicht ließe sich das Ganze machen, wenn man die Straußfeder nur ein klein wenig mehr bog. – –

Der Gegenstand ihrer tiefsinnigen Betrachtungen, – der Hut – strandete endlich auf dem Sofa, und Karen Ragnhild streckte sich daneben aus.

»Weshalb wollte er nicht mit hereinkommen?« fragte Bergliot, die nun wieder an ihrem Tische saß und langsam die Papiere in der Mappe zusammen legte.

»Er wollte weiter gehen – und arbeiten,« entgegnete Karen Ragnhild mit einer höhnischen Betonung des letzten Wortes.

»Arbeiten! Er unterrichtet hier oben doch nicht!«

»Unterrichten! Nein, er wollte in den Wald und dichten!«

»Bornemann?«

»Pah! Du glaubst, daß es Bornemann ist! Nein, das ist seit mindestens acht Tagen vorbei!«

»So?«

Karen Ragnhild legte die Hände hinter den Kopf und lehnte sich übermütig zurück, während sie die Beine von sich streckte und ihre eleganten Schuhe sehen ließ.

»Bornemann! Ach nein! Das ist ein überwundener Standpunkt. ›Fertig damit,‹ wie Knut sagt. Fertig damit!«

Plötzlich sprang sie auf und ging im Zimmer auf und nieder und fächelte mit dem weiten Kleiderrock, der sie eng umschloß, während sie sich herumdrehte, und das seidene Futter raschelte und knitterte.

»Ach, Bergliot! Wie ich mich amüsiere! Wie ich mich amüsiere!«

Bergliot lächelte.

»Ja, das thust du wohl!«

»Ich amüsiere mich so in meinem stillen Innern! Außer all dem andern wirklichen Amüsement mit Lotte und Langberg und euch hier zu Hause – in der Stadt und auf unseren Ausflügen. Nein, so im innersten Innern meines eigenen Selbst! Überlegen, weißt du! Daß ich so mit ihnen allen fertig werde, mit einem nach dem andern! Es ist mir, als sei jede Woche ein Jahr, – was für eine Entwickelung ich durchmache! Von Kadet Norgreen, den ich so himmlisch fand, bis jetzt, bis zu Nils Börge!«

»Nils Börge – der also war es?«

»Natürlich! Er war es nicht nur, er ist es. Also. Nein, das ist wahr, – ich soll ich nicht fortwährend also sagen. Das ist Langbergs Weisheit. »Das Windei der Rede«, nennt er es!«

Bergliot lachte. Sie sah sie mit strahlenden Augen an.

»Aber, wie gesagt, er ist es also. Und, weißt du was, Bergliot, diesmal bin ich ganz schrecklich sicher.«

»So?«

»Ja! Ach ja! – Mit ihm ist es was! Ich bin gar nicht sicher, daß es nur eine Woche währt. Ja, übrigens hat es schon eine Woche gedauert. Jedenfalls sechs Tage, sieben, wenn ich den ersten Abend mitrechne, – die große Gesellschaft hier, weißt du. Da fing es eigentlich an. Es war so eigentümlich, weißt du! Also – nein, nicht also, also, – aber du verstehst wohl, ich meine nicht, d.h. ich sehe sehr wohl, daß er interessant sein will. Er ist ja auch Dichter, der Ärmste. Aber dahinter steckt etwas, was wirklich interessant ist. Und ich passe auf, ob er es auch selber weiß. Ob dies Innerste, weißt du, so fein, so zufällig natürlich – aus Berechnung – herauskommt, – oder ob er es selber nicht weiß. Ich laure darauf. Jetzt z.B. geht er selbstverständlich nicht in den Wald, sondern direkt nach Hause zu den andern und verzehrt Karen Kamstrups Mittagessen; denn es ist ihre Woche. Aber ob der – trotzdem – du verstehst mich ja, Bergliot, – ob er nicht wirklich die Absicht hatte, in den Wald zu gehen, als er es sagte!«

Karen Ragnhild hielt inne und dachte nach.

»Nun?« fragte Bergliot.

»Ach, ich dachte nur, daß wenn es Berechnung ist, – so, ja, so ist es feiner, trotzdem – weißt du – als bei den anderen.«

»Und Bornemann!«

»Pah! Bornemann! So einer! Das einzige, was an ihm ist, ist, daß er hübsch ist. Denn das ist er ja mit den kleinen Locken und den blauen Veilchenaugen. All das andere, was er ist, – klug, fein, ritterlich – soigniert – das ist er nur, weil er weiß, daß es ihn kleidet! Er giebt immer acht, daß er das ist, wovon er weiß, daß man es gern sieht! Ach nein, du! Fertig damit! Sie kann ihn gern haben, – dies Fräulein Magelssen! Wie Langberg sagt.«

Sie ging wieder auf und nieder, blieb jetzt aber mitten im Zimmer stehen:

»Du, Bergliot, du! Man sollte doch nicht glauben, daß ich so direkt vom Lande käme! Von der Drostei und so direkt kopfüber in die große Stadt!«

»Das ist Vaters Verdienst!« lächelte Bergliot.

»Ja, Vater, ja! Der ist so gut wie die Großstädte der ganzen Welt! – – Mit Vater fingen wir auch an!«

»Wer?«

»Er und ich, Nils Börge also!«

Plötzlich kehrte sie sich um.

»Aber worin warst du, eigentlich so vertieft, als ich vorhin kam?«

»Ach, in nichts Besonderes. Bergliot wandte sich dem Schreibtisch wieder zu.

»Nichts? Du sahst und hörtest ja nichts, Ach, – alte Briefe! Ach, – Bergliot, laß mich ein bißchen hineingucken! Nur ein ganz klein bißchen! Alte Briefe sind das Amüsanteste auf der Welt!«

»Hm, ja, du kannst gern einige davon lesen. Sie sind nicht so gefährlich.«

»Sind sie von Knut?« »Ach nein, mein Herz, die ließe ich dich denn doch nicht lesen!«

»Aber – aber Bergliot, – das sind ja Verse, – und Verse, – und immer wieder Verse!«

»Ja. Die sind aus den Zeiten, als sie noch Verse auf mich machten, weißt du. Im Lenze meiner Jugend!«

»Und so eine Menge!«

»Ja, es war so eine Art Mode damals unter ihnen.«

»Unter wem?«

»Ach, unter meinen Freunden von damals. Während der zwei Jahre, als ich bei Tante Julie wohnte und das Seminar besuchte.«

»Ja –?«

»Es waren Thomas Hageman, Norgreen, Fritz Brun, Peter Hedels und ein paar andere.«

»Knut nicht?«

»Nein!«

Karen Ragnhild verschlang die Verse. Blatt für Blatt, so wie sie sie bekam.

»Aber sie sind ja entzückend, Bergliot! Wer hat z.B. dies geschrieben?«

»Das, – ja, das ist von Fritz Brun. Der Ärmste, du weißt, er ging dann nach Amerika. Er ist gestorben.«

»Das ist wunderschön!«

»Ja. Er war wirklich eine Art Dichter!«

»Und alle diese?«

»Die sind von Norgreen.«

»Und diese? Dies hier?«

»Das ist von Peter Hedels. Die sind auch hübsch. Viele davon.«

»Ach ja, – dies zum Beispiel. Karen Ragnhild deklamierte. Dann las sie weiter.

»Hast du keine von Hageman?«

»Ja. Aber die kann ich dir wirklich nicht zeigen.«

Karen Ragnhild sah sie fragend an.

»Ach nein,« sagte Bergliot. »Er würde es nicht gern sehen.«

»Nein, dann natürlich nicht! Ich hatte nur eine so rasende Lust, Verse – von ihm zu sehen. Weißt du, Bergliot, ich kann nichts dafür, – aber, denk nur, ich kann Thomas Hageman im Grunde nicht leiden.«

»Das ist unrecht von dir, Karen Ragnhild.«

»Ja, das ist es wohl. Aber er ist – ja, ich hätte beinahe gesagt, er ist nicht – gut. Es hört sich so dumm an, aber –«

»Er ist ein feiner, edler Mann. Aber er ist nicht glücklich.«

»Ist es, – ist es – deinetwegen, Bergliot?« fragte Karen Ragnhild leise, verschämt.

Bergliot schüttelte den Kopf mit einem ernsten Lächeln:

»Nein. So ist es nie gewesen. Er ist keine glückliche Natur.«

Sie schwiegen eine Weile. Karen Ragnhild, griff wieder nach den Versen.

»Ach Gott, welch eine herrliche Zeit für dich, Bergliot!« rief sie plötzlich aus und wandte sich strahlend der Schwester zu.

»Ja, denn sie waren ja allesamt in dich verliebt! Glühend!«

»Ja, – das waren sie wohl!« lächelte Bergliot. »Ach, wie anders ist es jetzt!«

»Ich finde, sie sind ebenso verliebt in dich, Karen Ragnhild!«

»Ach, die! Es könnte nicht einem von ihnen einfallen, Gedichte zumachen! Etwas so Schönes, Herrliches, wie du erlebt hast! Es ist kein Glanz bei den andern, keine Poesie!«

»Es ist wohl am besten so. – Ohne Poesie, Karen Ragnhild!«

»Wie du reden kannst!«

»Ich sehe ja immer nur, daß du dich amüsierst!«

»Hm, ja! Amüsieren!«

»Das ist das beste, was du in deinem Alter thun kannst, finde ich.«

»Aber für dich, – für dich war es doch auch amüsant, – nur so viel, viel edler, Bergliot. Wie du dich amüsiert haben mußt!«

»Sonderbar, ich könnte dich um dein Amüsement beneiden!«

»Aber ich begreife dich nicht, Bergliot!«

»Ach nein. Aber so ist es nun einmal. Jetzt erscheint es dir anders. Ich fand damals nicht, daß Amüsement dabei war. Ich habe mich nie amüsiert, Karen Ragnhild.«

»Woher mag das gekommen sein?«

»Ich will dir sagen, was ich glaube. Es kam gerade von all den Gedichten. Sie waren ja so schön. Wir hatten einen reizenden Verkehr miteinander. Aber es war im Grunde nicht das richtige für mich. Es war zu melancholisch. Zuviel Schwermut, zu viele Gedanken. – – Ich war nicht fröhlich, weißt du, Karen Ragnhild, ich habe ein Gefühl, als wenn ich eigentlich niemals jung gewesen wäre. So wie du jetzt!«

Karen Ragnhild saß ganz starr vor Staunen da. Sie rückte der Schwester näher, erwartungsvoll. Aber Bergliot schwieg. Karen Ragnhild dachte eine Weile nach. In der Hoffnung, das richtige gefunden zu haben, fragte sie endlich vorsichtig:

»Hat Knut dir niemals Gedichte geschrieben?«

»Ach nein, das kannst du dir doch selber sagen. Das war nichts für ihn,« erwiderte Bergliot ruhig, und Karen Ragnhild begriff, daß sie nicht das richtige gefunden hatte. Sie wurde ein wenig rot und sah warm zu Bergliot auf:

»Nein! Und doch hat ja Knut das schönste von allen Liedern für dich gedichtet! Das ganze Leben!«

»Ja.«

Wieder schwiegen beide. Dann sagte Bergliot sinnend:

»Ja, siehst du, das war eigentlich nicht das schlimmste in jener Zeit, – ich meine die Gedichte, und daß sie aus unserm Verkehr und unserm Zusammenleben entstanden. Nein, sie waren auf andere, ernstere Weise gefährlich.«

»Gefährlich?«

»Ja, wenigstens für mich. Und vielleicht für alle, – in so jungem Alter. Es war zu ästhetisch. Sie schroben unsere Vorstellung vom Leben zu einer Schönheit und Idealität hinauf, die falsch und illusorisch ist. Es waren jedenfalls verschiedene unter uns, die die Sache zu ernst, zu tief auffaßten, die Ansprüche daraus folgerten, die die Wirklichkeit des Lebens nicht einzulösen vermochte.«

Karen Ragnhild sah zu ihrem Schrecken zwei Thränen an Bergliots Wangen herabrollen. Sie ergriff ihre Hand und flüsterte beinahe ängstlich:

»Bergliot?«

Bergliot lächelte ruhig mit ihren feucht schimmernden Augen:

»Ich möchte dir gern sagen, mein süßes, liebes Kind, daß du glücklich sein sollst, glücklich, daß du dich amüsierst, so wie du es thust! Kehre dich nicht an mich, – ich war nur ein wenig sentimental infolge der Lektüre dieser alten Papierlappen. Jetzt packen wir sie zusammen und lassen sie in Frieden ruhen, – wo sie hingehören. Unten in meiner alten Kiste!«

Nach einer Weile ging Bergliot, und Karen Ragnhild blieb allein sitzen.

Sonderbar! Sie meinte doch, daß sie erwachsen und entwickelt war und einen klugen, klaren Blick für alles hatte! Und trotzdem stieß sie zuweilen auf Dinge, die sich gar nicht zu erklären wußte. Es war, als läge außerhalb der Welt, die sie sah und verstand, eine andere, im Nebel oder hinter einem Vorhang. Als wäre es doch nicht die ganze Welt, die sie mit ihren Augen sah. Und zuweilen verzog sich der Nebel, oder der Vorhang hob sich. Und sie erhaschte einen Schimmer von einem Leben, das für gewöhnlich ihre Sinne nicht erreichte; ein verborgenes, tiefes Leben, dessen Bewegungen nicht bis an die Oberfläche gelangte, die sie sah. Es konnte vor ihren Gedanken als großes, betrübtes, fremdes Gesicht auftauchen. Es sah sie nicht an, sprach nicht mit ihr, hatte nichts mit ihr zu schaffen. Vorläufig wenigstens nicht! Es sah nur vor sich hin, – in den Raum hinein, auf etwas für sie Unsichtbares. Etwas Großes, Schweres, Fernes – – – –

Karen Ragnhild empfand eine eigentümliche Furcht vor diesem Fremden. Ungefähr wie vor Gespenstern oder Gesichten oder andern geheimnisvollen Erscheinungen. Sie entsann sich der Vorstellung von diesem Gesicht aus ihrer frühen Kindheit, und ihr ganzes Leben lang hatte es sie nicht verlassen. Ganz deutlich entsann sie sich dessen. Und jetzt, wie jedesmal, wenn diese Vorstellung in ihr wach gerufen wurde, erinnerte sie sich, wie sie einmal als Kind in des Vaters großer, griechischer Mythologie gelesen hatte, wie Hades auf seinem Wagen der Erde entstieg und die schöne Persephone von der Blumenwiese raubte und in seine dunkle Unterwelt entführte. Niemand außer Hekate, die Zauber und Mondgöttin, »der nichts verborgen ist«, hatte es gesehen. Und sie pflegte das Gesicht »Hekate« zu nennen.

Sie mußte lächeln, wenn sie jetzt daran dachte. Gleichzeitig aber marterte sie die Furcht, daß der Vater sie doch für klüger und erwachsener gehalten hatte, als sie war. Denn das, was Bergliot gesagt hatte, und was sie nicht verstand, mußte das gewesen sein, was der Vater im Sinne hatte, als er sagte, daß bei Knut und Bergliot vielleicht nicht alles so gut sei, wie es sein sollte.

Denn das war sicher, soweit sie gesehen hatte, war alles nicht nur gut, sondern ganz außerordentlich, hinreißend schön und gut. Das gedämpfte, edle Glück zwischen Knut und Bergliot!

Knut, der feinste, stolzeste und überlegenste von allen Männern, die sie hier gesehen hatte, und Bergliot! – – – Wenn sie nur jemand fragen, sich mit jemand beraten könne. Eine ältere, erfahrene Persönlichkeit!

Lotte Falck zum Beispiel? Die war sehr erfahren in diesen Sachen, das wußte sie und merkte sie ihr an. Aber es hatte seine Schwierigkeit, Lotte gerade nach so etwas zu fragen, – Lotte, die geschieden war und Verhältnisse mit Männern gehabt hatte – – das könnte fatal sein. – – Und sonst war da niemand, höchstens Langberg, der ja alles wußte! – Ja, sie konnte es sich ganz gut denken, daß man mit Langberg über alles mögliche sprechen konnte. Aber der kannte Bergliot nicht genügend, – und dann war er ja ein fremder Mann.

Ach nein, Vater hätte, selber herkommen müssen! Er hätte es sofort erkannt – –

»Nun, Jungfräulein, worüber grübelst du denn so hartnäckig nach?«

Knut stand mit dem Malkasten in der Thüröffnung.

»Ist Bergliot nicht hier? Ach, dann bist du vielleicht so gut und hilfst mir ein wenig. Ich muß Wasser in diese Krucken holen: Ich will große Pinselwäsche halten, wie du siehst. Sieh nur diese Schweinerei! Ja, ja, so geht es, wenn man schlecht malt, – dann bleibt nur der Dreck zurück!«

»Du willst doch nicht behaupten, daß du schlecht malst! Das großartige Bild!«

»Großartig – schlecht, ja! Ach nein, Jungfräulein, es ist nicht so einfach, in eine ganz andere Welt hineinzuplumpsen!«

Karen Ragnhild brachte Wasser und einen Arm voll trockner Tücher.

»Es ist, als wenn man das ganze Leben umkrämpelte, du! Neue Tuben, neue Mischungen. Und schließlich sitzt man da und glotzt die Palette an, – schau her, hast du je was ähnliches gesehen! Und Sinn bekommt man nicht hinein. Es ist sehr übel, wenn man seine eigene Palette nicht kennt. Ist dir das klar, Jungfräulein?«

»Nein, ganz und gar nicht. Ich finde, so eine beschmierte Palette sieht immer ungefähr gleich aus.«

»Ja, oberflächlich gesehen. Das kannst du wohl finden, du glückliches Jungfräulein, das weder Malerhandwerksgesell noch sonst dergleichen Abscheuliches ist. Nein, die Palette, das ist ein ganz mystischer Satan. Ein Stück umgekrämtes Inwendig. Schau hier einmal her: Zu viel Schwarz in dem Schmierakel hier, – Unreinheit im Blut! Und sieh nur diese Kleckse, Haufen von unnötiger Schweinerei, halbe Tuben liegen hier nutzlos! Das ist ein schlechter Kopf, – Unruhe im Gehirn. Die Palette, – die legt das ganze Blut- und Nervensystem klar – – Man sollte ja ökonomisch sein und schaben und die brauchbare Farbe nicht vergeuden. Aber mir hängt die ganze Sache so aus dem Halse heraus, – so, da ziehen wir den Nerven und Adern die ganze Haut ab! Fertig damit!«


Am Nachmittag begab sich Karen Ragnhild nach der Villa der Bande hinauf. Sie saß Svend Spangereid, der angefangen hatte, ihr Bild zu malen. Und heute hatte sie auch einen Korb mit allerlei Leckereien für Frau Wendelboe mit, die da oben krank lag. Es war so spät geworden, daß sie vom Kaffee hatte weglaufen müssen.

Knut saß mit seinen Pinseln und Wasserkrucken, Terpentin und Tüchern im Atelier.

Er war bei Tische forciert lustig gewesen, hatte ausgelassen mit Karen Ragnhild über sein schlechtes Bild gescherzt.

Bergliot brachte den Kaffee; sie stellte ihm eine Tasse hin und setzte sich selber in einiger Entfernung in einen niedrigen Stuhl.

Knut putzte und wusch schweigend weiter, ohne seinen Kaffee anzurühren. Bergliot saß da und starrte zu Boden. So verging eine ganze Weile.

Endlich sah sie auf und sah ihn an. Sie atmete tief auf, beugte sich im Stuhl vor und sagte:

»Du bist nicht zufrieden, Knut?«

Er sah sie schnell an.

»Ach nein, du. Nicht so sehr.«

»Sonderbar, daß du nicht mehr mit mir sprichst, Knut. Ich weiß diesmal gar nichts von deiner Arbeit.«

»Lieber Schatz, – ich finde, du hast dich diesmal nicht sonderlich bemüht, etwas davon zu sehen.«

»Du hast mich nicht darum gebeten,« entgegnete sie langsam.

»Wundert dich das wirklich?«

»Ja, Knut.«

»Du warst von Anfang an so gegen das Bild, daß ich damit anfing, meine ich.«

Nach einer Pause fügte er hinzu:

»Du hast überhaupt in der letzten Zeit kein besonderes Interesse für mich und meine Angelegenheiten gezeigt.«

Er wandte sich nach ihr um. Als er ihrem ernsten, angestrengten Blick begegnete, lächelte er plötzlich warm und sagte freundlich:

»Ich warte ja nur auf dich, Bergliot!«

Sie lächelte nicht, sah nur starr vor sich hin und schüttelte endlich den Kopf:

»Seit wir heimkamen, bin ich die Letzte gewesen, auf die du gewartet hast, Knut.«

Sein Blick verfinsterte sich, während er sie halb forschend, halb zornig ansah. Dann wandte er sich hastig seiner Beschäftigung wieder zu und sagte kurz, abschneidend:

»Jetzt wirst du sicher, Bergliot.«

»Hierin bin ich unfehlbar. Ich bin nicht gewohnt, die letzte zu sein.«

»Unfehl–bar,« sagte er langsam, während er an einem Pinsel zog, – unfehlbar ist wohl niemand von uns. Wenn du dich mir gegenüber als Letzte fühlst, so irrst du. Ich finde es nicht amüsant, dir das sagen zu müssen. Bergliot.« »Nein, das finde ich auch nicht.«

»Und wenn du trotzdem das Gefühl hast,« fügte er mit einem Anflug von bitterm Spott hinzu, – »so kommt es wohl daher, daß du deinen Rang und deinen ersten Platz wo anders, – nicht bei mir suchst.«

Bergliot sah auf.

»Ich? Ich bin wohl nicht diejenige, die anderswohin strebt!«

Er antwortete nicht. Lange war alles still; er beschäftigte sich mit seinen Pinseln, war mehrere Mal im Begriff zu sprechen, sagte aber nichts. Endlich wandte er sich um und sah sie ruhig an:

»Du scheinst mir auch nicht zufrieden, Bergliot.«

»Nein!« »Und daran bin – nur ich schuld? weil ich dich nicht gebeten habe?«

Bergliot erwiderte nichts.

»Ach nein, Bergliot, mit deiner Unfehlbarkeit ist es wohl nicht weit her, wenn du das behaupten kannst.«

Sie stand sinnend da, als suchte sie nach Worten.

»Du bist nicht zufrieden gewesen von dem Tage an, als wir nach Hause kamen, Bergliot.«

»Darin hast du recht. Ich habe mich nicht glücklich gefühlt. Und ich bin auch nicht glücklich. Nein, Knut, ich bin nicht glücklich!« Sie bedeckte das Gesicht mit beiden Händen.

»Ja, das weiß ich. Aber ich weiß auch, woher es kommt.«

Sie sah auf:

»Ja, wenn du das wüßtest, Knut –.«

»Ja,« sagte er und stellte sich groß und aufrecht vor sie hin, und seine Stimme bebte vor Zorn, – »ich weiß es! Du kamst gleich aus dem Schritt mit mir, als alles, was ein Übergang war und was sich nicht vermeiden ließ, dir nicht zusagte. Alles das, in das ich mich einleben mußte, wenn ich hier arbeiten und gedeihen wollte. Du meinst, ich bin anderweits hinabgeschweift, weil du selber mir nicht gefolgt bist. Ich ging, wohin ich gehen mußte, sowohl unter den Menschen hier in der Heimat als auch in den Verhältnissen überhaupt. Du folgtest mir nicht, Bergliot. Das ist das Geheimnis. Wenigstens, was mich anbetrifft.«

Er wandte sich ab, um zu gehen, drehte sich aber plötzlich wieder herum und sagte leise und verbissen:

»Was für Geheimnisse im übrigen für deine Person noch vorhanden sein mögen, – kann ich nicht sagen. Das mußt du mit dir selber abmachen.«

Er warf den Pinsel, den er in der Hand hielt, hin und verließ das Zimmer.

Bergliot war im Begriff, von ihrem Stuhl aufzuspringen – überrumpelt, starr; sie wollte ihm nachrufen, – sie war ja gar nicht zu Wort gekommen, – – allmählich aber sank sie wieder in den Stuhl zurück und blieb sitzen. Sie hatte ein Gefühl, als beschleiche sie eine eisige Kälte. Je mehr sie nachdachte, um so heftiger wallte ein bitterer Zorn in ihr auf.

Das also war die Erklärung! die Auseinandersetzung, nach der sie sich so lange gesehnt hatte, – obgleich sie alle Auseinandersetzungen haßte, – die aber schließlich kommen mußte, um alle die bösen, nagenden Gedanken aufzulösen, ihrem Gemüt den frieden wiederzugeben, sonnige Klarheit über die monatelangen Nebel und drückenden Wolken zu verbreiten! Wenn sie sich nur einmal gründlich aussprechen könnte – –!

Nein, er konnte ihr nicht helfen! Wenn er kein besseres, feineres Verständnis für sie hatte, als daß sie ihm nur »nicht gefolgt« war. Wenn er nicht ahnte, daß sie alle diese tausend zarten, schwierigen, feinen Dinge hatte überwinden, daß sie sich Verständnis und Aussöhnung dafür hatte erringen müssen. Gefühle, mit denen sie gewohnt war, sicher und ruhig zu ihm zu kommen, – die er aber diese ganze Zeit hindurch nur plump übersehen und deren Regelung er ihr selber überlassen hatte. Ohne einen Schimmer von dem alten, liebevollen Interesse für das, was ihr Schwierigkeit bereitete, und was in der Regel vielleicht das feinste in ihr und für ihn in sich trug! Ein Verrat gegen alle die schönsten und tiefsten Voraussetzungen ihres Zusammenlebens! Er hatte das ganze Wesen ihres Verhältnisses zu einander verändert, hatte es zu »Mann und Frau« gemacht, mit der Pflicht für »die Frau«, selbstverständlich und ohne Fragen oder Zweifel »Schritt zu halten.«

Und nun stand er hier kühl und männlich-plump vor ihr und machte ihr Vorwürfe, daß sie das nicht hatte anerkennen wollen!

Sie ging erregt im Zimmer auf und nieder, die Arme unter der Brust gekreuzt.

Als wenn ihre Ehe ein Schritthalten geworden sei: Eins – zwei, eins – zwei! Er hatte sich nicht nach ihr umgesehen, hatte seine Hand nicht ausgestreckt, wenn er merkte, daß sie aus dem Schritt kam. War nur seinen selbstgerechten Weg weitergegangen und hatte sich nicht dafür interessiert, ob sie unschlüssig mitkam oder stehen blieb, weil sie möglicherweise staunte und sich verletzt fühlte durch all das Neue, Äußere, das so plötzlich Wert für ihn erhielt und sie in den Hintergrund drängte: Freunde, Kollegen, allerlei Öffentlichkeit, was seine Zeit und seine Gedanken in so ungewohnter Weise in Anspruch nahm. Und wenn sie zuweilen ihre Zweifel und Fragen geäußert und ihrer Besorgnis Ausdruck verliehen hatte, daß ihr Zusammenleben hier in der Heimat sich verändere, – so hatte er es so zu drehen gewußt, als klage und jammere sie, als belästige sie ihn mit ihren kleinen Leiden, so wie andere quängelnde Bürgerfrauen.

Sie klagte ja nicht darüber, daß er sich mit seinen Angelegenheiten beschäftigte, daß all das Neue hier in der Heimat ihn mit Beschlag belegte. Im Gegenteil, sie hatte sich in seinem Interesse über das meiste gefreut. Aber daß er so ganz und ohne Entbehren mit dem abschloß, was ihr und sein intimstes Eigenleben gewesen war! Sie von allem ausschloß wie eine beliebige, lästige Frau!

Es war dies eine Kränkung, – eine große, unerträgliche Kränkung. Und nun heute mehr denn je. Jetzt, wo er gefühlt hatte, daß sie so sehr nach einer gründlichen, friedlichen Erklärung verlangte, nach der sie sich so lange gesehnt hatte. Nach einer endgültigen Erklärung, daß dies ein Mißverständnis sei, das nur eines Wortes seinerseits bedurfte. – –

Und dann war er hochmütig und selbstgerecht mit seinen plumpen, oberflächlichen Ansichten aufgebraust und hatte ihr jede Erwiderung abgeschnitten, ihr jedes Recht der Verteidigung mit seiner grenzenlosen Selbstgerechtigkeit abgeschnitten! Klar und unwiderruflich hatte er festgestellt, daß er es so haben wollte! Schritthalten: »Eins, zwei, eins, zwei!«

Aber so wollte sie es nicht haben. Sie wollte nicht in einem Verhältnis leben, das immer, so lange sie sich der Stimme und der Worte ihres Vaters entsinnen konnte, ihr größter Abscheu gewesen war.

»Mann und Frau!«

Es war ja entsetzlich! Sollte sie dahin gekommen sein, wohin nach Aussage der »klugen« Frauen mit dem widerlichen, halb mitleidsvollen, halb schadenfrohen Lächeln alle Frauen einmal kommen mußten!

Ach nein! So billig war ihre Liebe nicht zu kaufen. Gab es keine besseren Bedingungen, so wollte sie lieber ihre Liebe verleugnen. Sie liebte einen Mann nicht, der ihr so etwas bieten konnte. Sie liebte Knut nicht, das war ganz klar. So war ihre Liebe nun einmal beschaffen. Sie ließ sich nicht wie ein willenloses Faktum behandeln, das sich immer gleich blieb, mochte um sie her vorgehen, was da wolle.

Sie hatte vielleicht kein Talent für das große Gefühl, das »alles duldet«. Sie legte gar nicht einmal Wert darauf. Es war ihrer unwürdig. Und sie fand auch, daß es unschön war und unschön machte. Alle diese Frauen, die mit hungrigen Bettleraugen umhergingen und Schritt hielten und die Brosamen hüteten, die von dem Tisch ihres gnädigen Herrn fielen. Und die häßlich wurden und schadenfroh.


»Pfui!«

Sie blieb vor ihrem großen Gemälde stehen.

»Pfui!« sagte sie laut in Gedanken an jene anderen.

Es klopfte an die Thür, und Bergliot wandte sich hastig, erwartungsvoll um.

Es war Stipendiat Langberg. In seiner gewöhnlichen Positur stand er in der Thüröffnung, – die Schultern in die Höhe gezogen.

»Guten Tag, Frau Arneberg! Nein, ich danke, hereinkommen will ich nicht! Meine Besuche haben auch ihre Grenzen. Ich wollte nur fragen, ob unsere Freundin, Frau Lotte Falck, wohl hier ist?«

»Nein, heute habe ich sie noch nicht gesehen.«

»Ich auch nicht. Und das ist sehr bedenklich. Namentlich da sie von anderen gesehen worden ist, – in Begleitung eines Mannes.«

»Ich hätte beinah gesagt, – würde es nicht fast noch bedenklicher sein, wenn Lotte ohne die Begleitung eines Mannes gesehen worden wäre?«

»Ja, – ach ja, – ich danke, nur einen kleinen Augenblick, gnädige Frau. Ja, darin haben Sie gewissermaßen recht. Da es aber sehr wahrscheinlich ist, daß der betreffende Mann der junge Doktor Prytz gewesen ist, so werden Sie meine Besorgnis vielleicht verstehen!«

»Sind Sie um den Doktor besorgt,– oder um Lotte?«

»Sie sind boshaft, meine Gnädige! Ich habe es mir, wie Sie wissen, zur beschwerlichen Pflicht gemacht, unsere gemeinsame Freundin zu überwachen. – – – Aber – es riecht hier unverkennbar nach dem Gatten! Ist Knut zu Hause?«

»Ja. Er hat Pinselwäsche gehalten.«

»A–h! Daher der Duft!«

»Er kommt gewiß gleich. Er ist nur hinaufgegangen, um sich zu waschen. Aber, – Langberg, – ich wollte Ihnen doch sagen, – Sie dürfen Karen Ragnhild nichts Häßliches in den Kopf setzen.«

Er fuhr auf, dunkelrot, und Bergliot mußte laut über sein komisches Entsetzen lachen.

»Ja, – Sie haben schlecht über Raphael gesprochen. Und ich liebe Raphael.«

Langberg fühlte sich so erleichtert, daß er keine Worte zu finden vermochte.

»Und dabei haben Sie mir gesagt, ich hätte Sie überzeugt, – entsinnen Sie sich noch des Tages in den Stanzen?«

»Ach wie genau ich mich dessen entsinne!«

»Und trotzdem wiederholen Sie alle Ihre Schändlichkeiten über den herrlichen Raphael diesem Kinde gegenüber!«

»Ja, so bin ich nun einmal, Frau Bergliot! Ist es nicht traurig, wenn man zu der Erkenntnis gelangt, daß man ein reiner Windbeutel ist, – ein Ball gegenüber der Macht weiblicher Schönheit!

»Nein, ich finde gar nicht, daß das so schlimm ist.«

»Aber Raphaels weibliche Schönheiten haben nun einmal keinen Eindruck auf mich gemacht!«

Knut kam die Treppe von der Galerie herunter. Er hatte einen Hut auf, legte ihn aber schon oben hin, als er Langbergs ansichtig wurde. »Ja, was sagen Sie denn, Knut? Halten Sie es auch für eine Todsünde, wenn man Raphael keinen Geschmack abgewinnen kann?«

»Sie wissen, ich bin so langweilig gerecht. Ja, lieber Freund, es ist eine Todsünde.«

»Dann will ich mich schleunigst bekehren. Man kann ja nur an die Disputa und die Scuola di Athene denken und die Madonna della Sedia und alle anderen vergessen.«

»Wollen Sie aber die Güte haben, Karen Ragnhild damit zu verschonen!«

»Ja, gern! Ist das Fräulein zu Hause?«

»Nein, sie sitzt ja Svend Spangereid!«

»Jeden Tag?«

»Ja! Er muß sehen, daß er fertig wird,« entgegnete Knut.

»Das ist wirklich ein Opfer,« sagte Langberg ziemlich verdrießlich.

»Aber das Bild wird gut!«

»Ach was, der brave Svend Spangereid sollte sich lieber an die brave Landbevölkerung halten. Das ist sein Feld. – – – Haben Sie denn schon von Herman Abels großen Plänen gehört?«

»Ja, er sprach gestern davon, als ich ihn traf.«

»Was für Pläne sind denn das?« fragte Bergliot.

»Ja, sehen Sie, er will zum Sommer eine Herde Künstler beiderlei Geschlechts sammeln und sie auf die Alm treiben. Er selber will der Senne sein. Frau Engel soll mitkommen, – als Sennerin natürlich. Gehen Sie mit, Knut?«

»Kann leider nicht, Ich bin den ganzen Sommer in Anspruch genommen.«

»Und dann kommen die Damen auch wohl nicht mit?« fragte Langberg in nachlässigem Ton.

»Nein, von uns wird wohl kaum die Rede sein, wir sind ja keine Künstler.«

»Wenn ich die Gesellschaft recht kenne, so wird schon die Rede von Ihnen sein! Und zwar in sehr nachdrücklicher Weise! Abel hat mit mir ja auch davon gesprochen, und ich bin doch, Gott sei Dank, kein Künstler. Aber ich bin auch für den Sommer in Anspruch genommen.«

Mit einem: schnellen Pochen trat Thomas Hageman durch die offenstehende Thür. Nachdem er die Anwesenden begrüßt und Platz genommen hatte, befand er sich wie gewöhnlich gleich wieder mit Langberg im Handgemenge.

Er hatte eben mit Herman Abel gesprochen und war ganz darauf erpicht, Bergliot zur Teilnahme an der Partie zu überreden. Daß Knut nicht könne, begriff er ja leider. – –

»Wollen Sie sich Abels Herde wirklich anschließen?«

»Ja natürlich. Es ist ia eine brillante Idee!«

»Wie komisch!«

»Was meinen Sie damit?«

»Ich meine, die Idee ist komisch und namentlich für Sie.«

»Wie so, wenn ich fragen darf, Herr Stipendiat?«

»Sie und Herman Abel zusammen auf der Alm! Lamm und Löwe – Katze und Hund! Ja, das wird idyllisch!«

»Der Herr Stipendiat kommt offenbar nicht mit?«

»Nein. Ich trage wohl höheres Verlangen!«

»Wenn nun Frau Bergliot und ihre Schwester von der Gesellschaft sind?«

»Sie werden nicht von der Gesellschaft sein, nicht wahr, Frau Bergliot?«

Bergliot saß nachdenklich da und fragte:

»Wie beliebt?«

»Sie nehmen doch nicht teil an dem Abelschen Hirtengedicht?«

»Das solltest du doch thun, Bergliot,« meinte Knut. Er war aufgestanden und hatte seinen Hut ergriffen. Er entschuldigte sich, er sei eigentlich auf dem Wege zu Norgreens, – es handele sich um Geschäfte. –

Auch Langberg erhob sich. Er wollte Knut begleiten. Vielleicht fand er seine verschwundene Frau Falck unterwegs. Er ging, nachdem er sehr bereitwillig seine Zusage erteilt hatte, zum Abendbrot mit Knut zurückzukehren.

Bergliot ging wieder mit gekreuzten Armen im Zimmer auf und nieder. Thomas Hageman hatte seine Zigarette angezündet und blieb in seiner Sofaecke sitzen, während er sie betrachtete.

»Ich habe mich so über Abels Plan gefreut, Bergliot, um deinetwillen.«

Er wartete, ob sie nicht etwas sagen würde. Sie aber wanderte schweigend weiter. Dann fuhr er langsam und gedämpft fort, mit kurzen Pausen von Zeit zu Zeit. Sie aber erwiderte nichts, ging nur in einiger Entfernung von ihm unaufhörlich auf und nieder, – ohne ihn anzusehen.

»Es würde dir gut thun, Bergliot, einmal ganz fort zu kommen. In Ruhe. Die anderen werden dich ja nicht mehr stören, als dir selber recht ist. Ich bin nur schon lange darüber klar gewesen, daß du eine Weile weg müßtest. Du hast es nötig, dich zu sammeln, dich auf dich zu besinnen.

»Du hast in Unruhe mit dir selber gelebt, Bergliot. Das habe ich lange, und mit jedem Tage deutlicher gesehen. Du hast es dir selber nicht eingestehen wollen; und meine Mitwisserschaft und die Hilfe, die ich dir habe erweisen wollen, – die hast du von dir gewiesen. Was ja auch ganz erklärlich war.

»Aber dies kommt so natürlich zu dir. Und ich bin bange, daß du auch dieses blind von dir stoßen könntest. Du mußt in die Berge, Bergliot! In die reine, hohe Luft. In die ungestörte Stille, wo du Ruhe und Stärkung für deine Nerven findest, Und du bedarfst der Stärkung. Dann wirst du wieder klar und mutig und stolz ins Leben sehen. In alten Zeiten konntest du das besser als irgend jemand sonst!

»Ich habe das, was mir von Anfang an unerklärlich war, allmählich besser verstanden. Daß du wirklich, seit deiner Heimkehr, eine schwere Zeit durchzumachen hattest. Seit du das große, lange Märchen abschloßest, – deine fünf Jahre in Italien. Du hast etwas an Wirklichkeitssinn da unten eingebüßt.«– –

Er hielt inne, weil Bergliot sich jetzt plötzlich nach ihm umwandte und ihn mit staunender Spannung betrachtete. Aber sie sagte nichts.

»Ich meine,« fuhr er dann fort, – »ich meine, du hast die vielen häßlichen Härten der heimatlichen Wirklichkeit vergessen. Und infolgedessen einen Teil deiner Waffen dagegen niedergelegt. Das ist gefährlich, Bergliot! Wenn man gleichzeitig alle seine Ansprüche ebenso stolz bewahrt hat. Man entblößt sich und wird verwundet. Und du hast dich so stolz bewahrt. Es war ein Irrtum meinerseits, daß ich eine Zeit lang daran zweifelte. Ich verwechselte deine natürliche Verwirrung, plötzlich aus dem Märchen heraus versetzt zu sein, dein natürliches Bedürfnis, deine Illusionen zu bewahren, – mit einem wirklichen Aufgeben deiner Ideale.

Du hattest das Bedürfnis, in der Märchenwelt zu bleiben. Aber du erkaufst sie dir nie, indem du die eigenen Ansprüche heruntersetzt.

Das weiß ich jetzt. Und das weißt du jetzt selber.

»Ja, Bergliot, ich kann in deinen Zügen nicht lesen, was du bei meinen Worten denkst.« –

Sie wandte sich wieder nach ihm um und wollte reden; aber ihr traten Thränen in die Augen, und sie vermochte kein Wort hervorzubringen.

»Ich meine nur, daß du der Ruhe und der Einsamkeit bedarfst. Du bedarfst der klaren stärkenden Gebirgsluft für dein Auge und für deine Lungen. Ich will mit aller Macht auf dich eindringen, Bergliot. Denn es thut mir zu weh, dich krank und friedlos werden zu sehen. Dich, die du stark und klug, stolz und ruhig sein sollst. Es schmerzt mich zu tief, das mit anzusehen.

Ich will dich nicht belästigen, wenn ich auch gern bei dir sein möchte. Es könnte ja sein, daß du das Bedürfnis empfändest, mit mir zu reden, – wenn einige Zeit darüber hingegangen wäre. Und dann, – ja, dann würde ich ungern fern von dir sein. Aber selbst wenn du das nicht willst – ich werde mich dann sicher fern halten, – so sage ich dir doch mit ganzem Nachdruck: du mußt mit in die Berge gehen!«

Bergliot stand mitten im Zimmer, plötzlich öffnete sie die Arme weit und rief leidenschaftlich mit Trotz und Thränen in der Stimme:

»Natürlich gehe ich mit! Mit! Mit!«

Er sprang strahlenden Blickes auf.

»Du willst, Bergliot?«

»Ja, ich will! Ich will, ich will!«

Sie ging wieder ein paar Male auf und nieder. Dann blieb sie stehen und sah vor sich hin:

»Er hat selber gesagt, ich sollte mitgehen,« rief sie höhnisch aus.

Thomas Hagemans Blick verdunkelte sich leicht. Nach kurzem Schweigen fragte er:

»Und du zürnst mir nicht, weil ich dir dies alles gesagt habe?«

Sie wandte sich zu ihm um und lächelte warm:

»Thomas! Du bist mein bester Freund! Du bist der beste und feinste und liebevollste von allen!«

»Hab Dank, Bergliot!«

Er saß eine Weile erwartungsvoll da. Sie aber fing wieder an, auf und nieder zu gehen. Auf ihren Zügen lag wieder derselbe Ausdruck von Finsternis und Trotz.

Thomas Hageman zündete eine neue Zigarette an, lehnte sich in die Sofaecke zurück und betrachtete sie schweigend, während sie ihre Wanderung fortsetzte. – – – –

Die tiefe Stille, die eine ganze Weile währte, wurde von vielen Stimmen von draußen her unterbrochen. Die ganze Schar aus der Villa mit Doktor Prytz, Lotte Falck und Karen Ragnhild kamen über den Hofplatz.

Thomas Hageman erhob sich und folgte widerstrebend Bergliot, die hinausgegangen war.

Auf einem improvisierten Tragstuhl wurde die kranke Frau Wendelboe zwischen Svend Spangereid und Nils Börge getragen. Sie hatten zwei Stangen unter einen Gartenstuhl aus Segeltuch gesteckt. So ward sie hineingetragen und im Atelier niedergesetzt.

»Da sehen Sie, Herr Doktor! Sie ist mitgekommen!« sagte Nils Börge. – »Wenn nur die Beine krank sind –«

»Wir kommen aus verschiedenen Gründen, Frau Bergliot,« begann Svend Spangereid feierlich. – »Vor allen Dingen, weil Karen Kamstrup« – – –

»Es ist nicht meine Schuld!« rief Karen Kamstrup.

»Weil Karen Kamstrup uns aushungern will. Es ist ihre Woche. Es wird auch ihre letzte. Sie hat ganz einfach kein Essen für uns – – –«

»Butter und Brot und Käse und – –« »Da wir Gäste im Hause haben, kann man so etwas nicht Essen nennen. Sie hat auch keinen Kaffee. Geschweige denn Schnaps!«

»Ich habe wunderschönen Thee!«

»Ja, das ist wahr. Der Thee ist wunderschön! Zweitens kommen wir, weil wir, wie gesagt, Besuch haben. Er zeigte auf Lotte Falck und Doktor Prytz. – Und die möchten wir gern bewirten, wie es sich geziemt. Drittens, weil Fräulein Anne uns gesagt hat, daß wir kommen könnten, sintemal heute ein größerer Schinken in diesem Hause gekocht sei. Viertens, weil wir wissen, daß Knut den Schnaps nie ausgehen läßt.« – –

»Vor allen Dingen aber,« fiel ihm Nils Börge in die Rede, »weil wir große Pläne haben! – Und weil Fräulein Finne sagt, Sie seien zu alt, um mit dabei zu sein.«

»Warten Sie mal, das habe ich nicht gesagt!«

»Ja, – ja!« wurde von allen Seiten gerufen.

Und dann erzählten sie von Herman Abels Plänen und schrieen alle durcheinander.

Bergliot stand lächelnd in der Schar und konnte nicht zu Worte kommen.

»Und dann möchten wir Sie und Fräulein Finne und Knut gern mit dabei haben,« schloß Nils Börge.

»Knut kann nicht!«

»Nein! Das haben wir uns schon gedacht. Aber Sie selber und Fräulein Ragnhild? – die will!«

»Willst du, Karen Ragnhild?«

»Natürlich, wenn du mitkommst.«

»Wir ernennen Sie zur Kaiserin des ganzen Gehöftes.«

»Und tragen Sie nach Valders hinauf.«

»Danke, ich kann sehr gut gehen.«

»Willst du, Bergliot?« Karen Ragnhild stand mit blitzenden Augen da.

»Ja natürlich! Das wird ja furchtbar amüsant!«

Der Jubel wurde ausgelassen, und selbst Bergliot stimmte fröhlich mit ein. Sie war so ungewohnt lustig, daß Karen Ragnhild sich nicht satt daran sehen konnte.

»Und nun finde ich, du solltest dich auch entschließen, Lotte!« sagte Karen Ragnhild und hängte sich an Lotte Falcks Arm.

»Nein, nein! Ach nein, ich kann leider nicht. Du weißt, Mama geht es deswegen nicht besser, weil Bergliot ins Gebirge will.«

»Kann Doktor Prytz nicht versprechen, daß er Lottes Mutter inzwischen pflegen will?«

»Das kann ich sehr gut, Fräulein Finne, ich thue ja jetzt schon mein Bestes. Aber ich muß ja auch in die Stadt. Ich habe ja Patienten!«

Nach schwerem Kampf riß Lotte Falck sich los. Sie war in Doktor Prytzs' Wagen gekommen, – und wollte wieder mit ihm zurückfahren. Was sie versprochen hatte, das hielt sie auch!

Nach ihrem Abschied herrschte eine gewisse Verstimmtheit.

»Ich kann diesen Menschen nicht ausstehen,« sagte Nils Börge.

»Doktor Prytz? Das ist doch ein so netter Mann,« meinte Bergliot. – »Ich wundere mich gar nicht, daß Lotte sich in ihn verliebt hat.«

»Sie kennen ihn nicht, gnädige Frau,« sagte Börge. »Aber da oben bei uns, – er hat seine besondere Art und Weise. Ich habe immer die größte Lust, ihn oben im Walde einmal beiseite zu nehmen und ihm eine gehörige Tracht Prügel zu verabreichen.«

»Er hat mir, weiß Gott, ein Bild abgekauft,« sagte Svend Spangereid lachend.

»Ja, und wenn du nicht so ein Waschlappen wärest, wie du bist, hättest du ihn gebeten, sich zum Teufel zu scheren!«

»Ich hätt' es auch gern gethan. Aber dann reichte das Geld ja gerade für diesen Ausflug.«

»Ich weiß wirklich nicht, was Sie gegen Doktor Prytz haben,« sagte Bergliot. »Mir ist er sehr sympathisch.«

»Wissen Sie, Frau Bergliot, er hat etwas so Herablassendes. In seinem innersten Innern. Nicht so gerade zu. Wenn es das nur noch wäre. Nein, inwendig! Es liegt in seinem Lächeln. Jedesmal, wenn er sich zeigt, – und Lotte hat ihn ja Frau Wendelboe mit ihrem Fuß aufgedrängt, – so geschieht es mit einer Miene, als käme er aus viel feineren Kreisen. Sowohl in christlich-moralischer als auch in sozialer Beziehung. Und den Ton schlägt er auch Lotte gegenüber an. Wenn sie heute abend hier geblieben wäre, hätte ich es ihr endlich einmal sagen können!« Nils Börge stand wütend und erregt vor Bergliot. – »Ich bin ganz erstaunt, daß sie es nicht merkt, – oder wenigstens es sich gefallen läßt. Sie ist ja tausendmal zu gut für diese Topfpflanze! In seinem Wesen liegt – hol' mich der Teufel – etwas geradezu Unanständiges.«

»Aber Nils! Bist du verrückt?« sagte Karen Kamstrup.

»Bei allem Anständigkeit natürlich! Wenn das nicht der Fall wäre, ja dann – dann hätten Karen und Lotte es wohl selber gemerkt.«

»Der Dichter hat recht!« sagte Thomas Hageman. Es war das erste Mal, daß er von seiner Sofaecke aus redete.

»Ja, – nicht wahr! Ich habe recht! Apropos, Herr Assessor, kommen Sie eigentlich mit nach Valders?«

»Ich weiß nicht recht. Am Ende geniere ich die Jugend!«

»Thomas kommt mit,« erklärte Bergliot mit heiterer Feierlichkeit. – »Die Kaiserin befiehlt es!«

Er sah zu ihr auf, und sie nickte lächelnd.

Als Knut und Langberg kamen, war die ganze Gesellschaft in einer jubelnden Diskussion über die Tour nach Valders begriffen.

»Nein, Langberg! Denken Sie nur, Lotte Falck ist mit Doktor Prytz hier gewesen! Und sie fuhr wieder mit ihm in die Stadt, obgleich ich ihr sagte, daß Sie kämen!«

»Ich bin einen Posttag zu spät gekommen,« sagte Langberg. »Wie steht es denn mit Abels Plänen?«

»Ja, wir werden eine ganze Menge,« sagte Bergliot.

»Wir?«

»Karen Ragnhild und ich gehen mit.«

»So–o?« sagte Langberg lächelnd.

Aber er zog sich gleich darauf zurück und setzte sich in eine Ecke für sich. Dort suchte er auch nach Tische, als man sich im Atelier versammelte, wieder Zuflucht.

Auch Karen Ragnhild wurde still, als sie hörte, daß Langberg dagewesen sei, um sich nach Lotte Falck zu erkundigen. Und als sich alle eifrig um Knuts große Karte von Valders scharten, setzte sie sich zu Langberg in die Ecke.

»Können Sie denn wirklich nicht mitkommen, Langberg?« fragte sie.

»Nein, es geht nicht, – ich habe in der Stadt zu thun.«

Karen Ragnhild saß eine Weile grübelnd da. Dann wandte sie sich nach ihm um:

»Ich kann nicht aus ihr klug werden!« sagte sie ernst und bekümmert.

»Aus wem, Fräulein Finne?« fragte er.

»Aus Lotte natürlich, Ich bin ganz verliebt in sie!«

»Das ist recht von Ihnen, Fräulein Finne! Ich bin es auch!«

»Ja, das weiß ich! Können Sie denn aus ihr klug werden?«

»Was meinen Sie? Ich verstehe Sie wirklich nicht!«

»Daß sie – so mit dem Doktor herumrennt? Sie hätten nur hören sollen, was Nils Börge darüber sagt.«

»Nils Börge? Was sagt der denn?«

»Er sagt, – ja es ist beinahe abscheulich, es zu wiederholen, – aber er sagt, er fände, es läge etwas Unanständiges darin.«

»Nils Börge ist ein Schafskopf, Fräulein Finne!«

»Nein, da sind Sie sehr im Irrtum. Nils Börge ist ganz schrecklich begabt!« –

»Begabt! Ach ja!«

»Nein, gerade in Bezug auf das Verständnis für Frauen und – und was in ihnen steckt.«

»Haben Sie das erfahren?«

»Ja, das habe ich wirklich. Er sagt so ausgezeichnete Sachen. Macht so treffend wahre Bemerkungen! Und dann hat er hohe Ideale in der Beziehung.«

»So? Und er sagt, es läge etwas Unanständiges in dem Verhältnis zwischen –«

»Nein, nicht so geradezu. Aber daß von seiner, von Dr. Prytz' Seite so was vorliege. Zum Beispiel in seinem Ton.«

»Sie können den Dichter Herrn Börge von mir grüßen und ihm sagen, daß Lotte Falck niemals Dr. Prytz oder irgend einem andern dergleichen erlauben würde.« Stipendiat Langberg sprach ernsthaft, beinahe zornig. Er nahm, wie das seine Gewohnheit war, die Brille ab, und seine dunkelgrauen, eigentlich schönen Augen blitzten.

»Ja, ich glaube selbstverständlich so etwas von Lotte nicht! Aber trotzdem, selbst wenn nichts derartiges vorliegt, – können Sie sie begreifen?«

Langberg setzte die Brille wieder auf, beugte sich ein wenig zu ihr vor und sagte verschmitzt:

»Ja, ich glaube, ich kann sie begreifen. Und es ist eigentlich gar nicht so schwer!«

Karen Ragnhild sah ihn fragend an, – mit einer eigenen, besorgten Spannung.

»Wollen Sie ein diskretes Mädchen, pardon – eine diskrete junge Dame sein?«

»Mädchen, können Sie gern sagen! Nur kleines Mädchen mag ich nicht!«

»Ja, dann will ich Ihnen anvertrauen, wie ich über die Sache denke: Lotte Falck ist in Doktor Prytz verliebt!«

Karen Ragnhild lächelte ein wenig unsicher:

»Ja, aber das ist, – das ist ja gerade das traurige, finde ich!« – –

»Es würde das Glücklichste sein, was Lotte Falck passieren könnte, wenn sie sich verliebte. Es ist ein Jammer, wenn es nicht der Fall ist. Ihr Beruf im Leben ist – wie für den Vogel das Fliegen und für den Fisch das Schwimmen – verliebt zu sein. Und wenn sie verliebt ist, ja, da ist sie es im großen Stil! So ziemlich jenseits von des begabten Herrn Börges Anständigkeit oder Unanständigkeit – –«

»Ja–a, – das begreife ich so gut.« Aber – aber in den! In diesen Doktor! Ich finde, das ist so ein Verrat!«

»Verrat? Gegen wen?«

Langbergs Verwunderung war ungekünstelt. Und Karen Ragnhild wurde dunkelrot und erwiderte nichts.

Da lachte Langberg laut, plötzlich aber blieb er stehen und sah sie mit einem heitern und doch halb wehmütigen Blick an:

»Sie glaubten, ich, – ich grämte mich um Lotte Falck? Und das that Ihnen so leid?«

Karen Ragnhild erwiderte nichts. Sie beugte den Kopf nur noch tiefer.

»Nein, Fräulein Karen Ragnhild, ich bin gewiß ein sehr schlechter Geschäftsmann, aber so schlimm steht es denn doch nicht mit mir, daß ich meine Valuta in eine so verfehlte Spekulation stecken und mich verlieben sollte!«

»Spekulation,« fuhr Karen Ragnhild empört auf.

»Ja,« sagte er und zog die rechte Schulter mit seiner gewöhnlichen komischen Bewegung in die Höhe, »so ganz ohne Spekulation geht doch eine Verliebtheit nie von statten!«

»Sie sagen aber doch immer, daß Sie verliebt sind! In alle möglichen Damen!« entgegnete Karen Ragnhild ganz beleidigt.

»Ja, ich habe eine gute Portion Galgenhumor,« sagte er leichthin und erhob sich schnell.

Karen Ragnhild errötete von neuem! Sie wußte selber nicht, warum! – – –


Als Karen Ragnhild am Abend in ihrem Bett lag, – die Gesellschaft unten hatte sich, weil Frau Wendelboe nach Hause getragen werden mußte, verhältnismäßig früh aufgelöst – grübelte sie noch lange über Stipendiat Langberg nach.

Wie sie sich geirrt hatte. Das heißt, wenn es sich wirklich so verhielt, daß er nicht in Lotte verliebt war. Er war so mannigfaltig in dienen und Worten, – so schwer gründlich zu verstehen. Freilich, – wie er heute abend geredet hatte – –

Sie hatte eine Weile die Empfindung gehabt, daß es wohl möglich sei, sich ihm in Bezug auf Knut und Bergliot anzuvertrauen.

Und dann wieder, – als er plötzlich das von dem Galgenhumor gesagt hatte! Es kam so sonderbar beherrscht heraus, so gar nicht, wie er sonst war. – – Es war, als wenn ihrem Vertrauen zu ihm dadurch Abbruch geschähe! Eigentlich nicht dem richtigen Vertrauen, aber doch einer Art Vertrauen!

So wie sie es für den Vater empfand. Und gerade so eine Art Vertrauen hatte sie zu Stipendiat Langberg gehabt.


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