Bernt Lie
In Knut Arnebergs Haus
Bernt Lie

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VII.

Lieber Vater!

Des Abends wird es hier so unheimlich still in den Bergen. Und da überfällt mich zuweilen ein unsagbares Heimweh. Der Sonnenglanz liegt noch schimmernd auf den höchsten Gipfeln, und die entferntesten, schneebedeckten werden rosenrot. Aber hier, zwischen den nächsten, niedrigeren Bergen wird alles so farblos grau und so still, so still! Und wenn ich hier lange am offnen Fenster sitze, so recht lange und hinauslausche, da will es mir scheinen, als hörte ich über alle Berggipfel hinweg das Meer und den Fjord daheim rauschen! Aber das ist natürlich nur Sinnentäuschung.

Aber sonderbar ist es doch, wenn ich denke, daß ich hier ja im Grunde auf halbem Wege nach Hause bin, – falls man die grade Linie über die Berge nähme. Es ist so schön hier, aber immer hier bleiben möchte ich doch nicht, – ich glaube, daran ist hauptsächlich diese schreckliche Stille schuld. Und dann, daß man, um hierher zu gelangen, viele Tage steile Wege bergan mit einem Pferd fahren muß. Wenn man sich denkt, wie man daheim mit einem Segelboot leise in den Fjord hineingleitet, – hier möchte man das mit dem Flug eines Vogels vergleichen! Denk' nur, Vater, ich habe hier Möven gesehen. Mitten im Gebirge! Sie fliegen hoch und schrecklich schnell; sie sehnen sich gewiß nach der See und beeilen sich. Der Besitzer des Gehöfts hier sagt, daß hier im Sommer immer einige Möven an den Seeen ihren Aufenthalt nehmen. Vielleicht fühlen sie sich für die kurze Zeit sehr wohl hier oben, – genau so wie ich.

Vor einiger Zeit wurde beschlossen, daß wir statt am achten oder zehnten nach Hause reisen und den ganzen August hier oben bleiben wollen. Sie haben Bergliot überredet, und Thomas Hageman hat verlängerten Urlaub erhalten; Fräulein Eriksen hat ihre Zeitungsannonce über den Anfang ihrer Musikstunden verändert u.s.w. Und ich meinerseits war, wie Du Dir denken kannst, sehr glücklich. Als wir aber dann gestern abend von der Fahrt nach Trondtind zurückkehrten, – von der ich Dir gleich erzählen werde, und die ganz großartig war! – da sagte Bergliot – sie war ihres Fußes wegen, der noch immer nicht wieder ganz gut ist, hier zurückgeblieben – sie habe ihren Entschluß geändert, sie wolle am achten nach Hause reisen. Und alle Überredungen halfen nicht.

Ich fand anfangs auch, daß es schade sei – und offen gestanden von Bergliot sehr sonderbar, da doch abgemacht war, daß wir bis zum fünfundzwanzigsten bleiben wollten! Sie sagte, die anderen könnten ja ruhig bleiben, wenn sie auch fortginge, – aber ich muß ja natürlich mitgehen, und sie weiß sehr gut, daß die andern, wenn sie weg ist, auch nicht da bleiben, – Dyrings und Fräulein Eriksen reisen doch auf alle Fälle. Und wenn auch alle die andern blieben, würde, wenn sie reiste, doch alles hier oben anders werden. Sie nennen sie nicht umsonst »die Kaiserin«. Sie ist immer und überall der Mittelpunkt; es kommt ganz von selber, obwohl sie gar nichts dazu thut. Aber so ist Bergliot ja nun einmal! Und es sind nicht allein die Herren, die ihr den Hof machen und sie auszeichnen. Nein, im Gegenteil. Die Damen thun es reichlich ebenso viel.

Und jetzt, heute abend, bin ich im Grunde ganz froh, daß wir in sechs Tagen von hier fortgehen. Je mehr ich darüber nachdenke, desto natürlicher erscheint es mir ja, daß Bergliot jetzt wieder zu Knut zurück will, namentlich da er ihr neulich geschrieben hat, daß es ihm ganz unmöglich sei, hierher zu kommen. Wenn man es nicht gesehen hat, Vater, kann man es sich gar nicht vorstellen, wie viele und große Schwierigkeiten mit dem Malen eines Bildes verknüpft sind, selbst wenn man so tüchtig ist wie Knut! Aber von diesen Sachen lerne ich hier oben ja sehr viel, wo sie Tag aus, Tag ein alle sitzen und malen, – jeder in seiner Himmelsgegend. Herman Abel thut eigentlich nichts weiter als Vorträge halten, wenn er nur jemand hat, der ihm zuhören will. Aber er ist ja nicht halb so amüsant als die Maler. Sehr interessant ist auch Nils Börge, der hier oben an einem großen Buch arbeitet und mir jeden Tag vorliest, was er geschrieben hat. Das ist nun allerdings tiefstes Geheimnis zwischen ihm und mir, aber Dir kann ich es ja erzählen! Es ist wirklich zu amüsant! Oder vielmehr interessant. Er ist furchtbar begabt, und ich bin ganz stolz, daß er mir sein künstlerisches Vertrauen schenkt. Er sagt auch, ich hülfe ihm bei vielerlei. Und das kann ich selber auch merken, – ohne daß ich unbescheiden sein will! Aber schon allein, daß er mich, als Frau, nach so vielem fragen kann, was er selber nicht gut wissen kann. Aber wie gesagt, hiervon darfst Du zu niemand sprechen, Vater! Schreibe auch nicht davon, denn Bergliot soll es nicht wissen, Nils Börge will es nicht.

Ich will diesmal aber wirklich daran denken, Dir zu schreiben, was ich schon lange habe schreiben wollen, nämlich, daß mir Thomas Hageman ungleich besser gefällt, seit ich ihn hier oben gesehen habe. Du weißt wohl, ich mochte ihn anfangs gar nicht leiden. Aber hier habe ich viel mehr mit ihm gesprochen. Und er spricht so reizend von Dir, Vater, und Du weißt, das hilft gleich! Aber namentlich ist er ganz einzig lieb gegen Bergliot. Er geht ganz darin auf, ihr gefällig zu sein, – ganz als habe sie Knut hier. Und jetzt, wo wir andern alle den Ausflug nach Trondtinden machten, – zwei Tage fortblieben, ich erzähle gleich davon! – und ich bei Bergliot zurückbleiben wollte, da zwang er mich förmlich mitzugehen, weil er selber gern bei ihr bleiben wollte. Ich bin überzeugt, daß es nur ein Vorwand war, was er sagte, daß er keine Lust habe, sich so »abzustrapzieren.« Denn wenn wir vorher von dem Ausflug sprachen, hatte er nichts davon gesagt. Er ist ein feiner, nobler Mann. Ein wenig eingebildet ist er ja freilich, namentlich Nils Börge gegenüber, der übrigens seinerseits sagt, daß er große Stücke auf Thomas Hagemans Urteil über Kunst und Dichtung hält. Bergliot mag ihn so ungeheuer gern leiden. Und sie sagt selber, Thomas Hagemans Verdienst sei es, daß sie mit hierher gekommen ist. Und da hat er ein gutes Werk gethan. Denn der Aufenthalt hier oben ist Bergliot vorzüglich bekommen.

Jetzt kann ich es Dir ganz gut sagen, Vater, denn jetzt bin ich nur selber klar darüber, früher konnte ich es nicht, hauptsächlich, weil ich fürchtete, Du könntest es verkehrt auffassen, wenn ich es selber nicht so recht zu erklären vermochte! Bergliot war vorher eigentlich nicht so recht glücklich. Ich fing an, die Bemerkung zu machen, kurz ehe wir hierher reisten; aber wenn ich nun sehe, wie ihr eigentliches Wesen ist, – gar nicht so still und in sich gekehrt, wie ich es für ihre Natur hielt, sondern im Gegenteil munter und lustig, und bei allem Amüsement mit dabei, – ja, da bin ich mir ganz klar darüber geworden. Aber schwierig zu erklären ist es darum doch. Ich glaube also, daß Bergliot hinter ihrem ruhigen Äußern im Grunde eine sehr starke und lebensfrohe Natur verbirgt. Ich glaube nicht, daß im Grunde ein so großer Unterschied zwischen uns beiden besteht, wie ich anfangs vermutete. Nicht daß ich mich mit Bergliot vergleichen wollte! Sie ist ja so tief und so bedeutend! Aber ich meine nur in Bezug auf das Naturell, ich glaube, sie ist ebenso empfänglich und heftig, ja leidenschaftlich, wie Du oft sagst, daß ich bin. Aber sie hat das alles in sich gedämpft, wohl schon lange, ehe sie sich mit Knut verheiratete; vielleicht für immer, aber darüber weiß ich ja natürlich nichts. Während der Jahre, die sie in Kristiania verlebte, weiß ich, hat sie vielen ernsten Verkehr gehabt. Und jetzt, in Italien, ist dies Gedämpfte, Stille ihr zur Natur geworden, denn da hat sie ja nur mit Knut gelebt. Aber seit sie in die Heimat zurückkehrte und in dies ganze muntere, schrecklich amüsante Leben hineingeriet, glaube ich, hat sie sich ein wenig unbehaglich gefühlt, weil ihr die Form gefehlt hat, unter der sie daran teilnehmen konnte. Sie ist so unendlich glücklich mit Knut, aber sie fühlt sich doch so zu diesem munteren Leben hingezogen, das in ihrem innersten Innern ihr wahres Element ist! Ja, Vater, ich weiß es nicht, aber ich glaube diese Annahme von mir ist gar nicht so dumm. Sie und Knut leben ja so glücklich miteinander. Aber Knut ist ja sehr ernsthaft und viel älter als sie und nicht gerade sehr lustig, weißt Du! Ich glaube, bis dahin hat Bergliot geglaubt, sie sei alt und dergleichen geworden.

Und nun hier oben ist gleichsam etwas von ihr abgefallen, oder vielmehr, es ist, als wenn eine starke innere Quelle freien Lauf bekommen hat und aus ihr herausströmt. Du solltest sie nur mit uns andern spielen und laufen und lachen sehen! Das ist mir etwas ganz Neues! Ganz als sei sie viele Jahre jünger geworden, – oder so jung, wie sie in Wirklichkeit ist! Dabei bleibt sie sich doch immer gleich, auf ihre Weise ruhig. Aber es strahlt so viel Glück und Freude aus ihren Augen. Diese schönen Augen! Und zuweilen ist sie geradezu ausgelassen gewesen, beinahe mehr als wir andern alle. Aber denk' nur, – das kleidet sie eigentlich nicht! Und manchmal hat es mir so wehe gethan, daß mir förmlich Thränen in die Augen getreten sind, – natürlich nur, weil es mir leid thut, daß sie nicht immer so fröhlich gewesen ist. Ja, denn dann würde es sie immer gekleidet haben. Und hin und wieder ist sie dann auch einmal melancholisch gewesen. Anders wäre es ja gar nicht möglich! So zum Beispiel heute, wo es gar nicht angenehm für sie war, weil die andern sie alle überreden wollten. Ich denke mir, sie freut sich, zu Knut nach Hause zu kommen. Der Ärmste! Ich selber freue mich auch ganz schrecklich darauf. Hier sind ja so viele Künstler und begabte Männer, die ich gesehen und getroffen habe. Aber ich finde doch immer, daß Knut sie alle um Haupteslänge überragt! – –

Weiter bin ich gestern abend nicht gekommen, und nun kommt der Postbote gleich. Und ich wollte Dir noch so viel von unserm Ausflug erzählen! Du kannst mir glauben, es war amüsant! Wir schliefen in einer Sennhütte, und während der letzten Stunden des Abends hatten wir einen Platzregen gehabt und waren klatschnaß geworden. Du hättest uns um das Herdfeuer sitzen sehen sollen, alle beinahe ohne Kleider unter Guirlanden von allen den Sachen, die zum trocknen aufgehängt waren. Aber so ein Jubel und eine Stimmung! Und in der Nacht lagen wir alle bunt durcheinander. Jegliche Prüderie mußte man sich verkneifen! Und das thaten wir auch! Und dann der Sonnenaufgang! Wir krochen alle dazu hinaus an den Abhang, ohne viel von den noch nassen Kleidern angezogen zu haben. Es war ein sehr feierlicher Augenblick! Und wir ahnten nicht, wie komisch wir aussahen, bis Nils Börge sagte, wir glichen einer Beduinenherde bei der Morgenandacht! – Ach ja, – wir haben uns amüsiert! – – Aber davon das nächste Mal mehr. Tausend Grüße von Bergliot und mir! Auch Thomas Hageman bittet mich, Dich zu grüßen.

Da war noch so vieles, wovon ich Dir erzählen wollte – – –!

Deine Dich liebende

Karen Ragnhild.


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