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Erstes Kapitel
Genesis

I.
Die Erde: ein spukhaft Ding

Der Durchschnittsmensch unserer Tage hört ohne besondere Teilnahme von der Erde reden; er weiß herzlich wenig darüber, trotzdem er sie schon so lange bewohnt, und es schickt sich kaum, nach ihrem Ursprung und Wesen zu fragen, eine Frage, auf die sie selbst offenkundig die Antwort verweigert. Die Erde? Nun: sie scheint ziemlich rund zu sein, wie auch die anderen Weltenkörper; wahrscheinlich ist sie sogar eine mehr oder weniger vollkommene Kugel mit schief gestellter Achse. Wohl verlautet mancherlei über ihr Zustandekommen im Rahmen der Welt, aber die Verbreiter solcher Gerüchte sind ehrlich genug, einzugestehen, daß ihre Mutmaßungen über den Wert verschiedener Theorien und Hypothesen nicht hinausgehen. Als feststehend gilt noch heute, daß der Mensch ein »Abkömmling« affenartiger Wesen ist. Auch Herr H. G. Wells, der sich zu einer Art Wortführer für dürftige und unselbständige Intellekte aufgeworfen hat, indem er streng vermeidet, vom »absolut Geistigen« oder »Göttlichen« oder gar von »genialen Individuen« zu sprechen, auch Herr H. G. Wells hat über Welt und Mensch nicht mehr zu sagen als andere kongeniale wissenschaftliche Durchschnittsphilister vor ihm; in Handbüchern kleineren und größeren Formats, in denen sein »Wissen« um diese Dinge niedergelegt ist, beschuldigt er die Erde, einer »Apfelsine« ähnlich zu sehen; »anscheinend« sei aber der übrige Raum »grenzenlos, leer und tot«. Aus solcher Weisheit ergibt sich dann das alte Affenmärchen natürlich ganz von selbst; unsere Vorfahren, die anderer Meinung waren, wußten es in ihrer kindlichen Naivität einfach nicht besser; ihre »Offenbarungen« aber sind lediglich auf Rechnung höchst primitiver geistiger Zustände zu setzen. Wie man bald bemerkt, hat H. G. Wells, indem er eine »neue« Geschichte unserer Welt (fast möchte man sie Wells-Geschichte nennen) zu schreiben unternahm, nicht Zeit gehabt, sich besser umzusehen. Es würde ihm sonst kaum entgangen sein, daß die exakte Wissenschaft, von der er einen ziemlich ungenauen und primitiven Auszug gibt, ihrer Sache inzwischen recht unsicher geworden ist; zwar spricht auch sie noch von der Erde als von einem Rotationsellipsoid, für das inzwischen der Spitzname »Geoid« erfunden ward, zwar verbreitet auch sie noch die gewohnten gigantischen Ziffern über das »Weltall«, aber alles das geschieht heute doch nicht mehr so leichtfertig und ganz ohne Gewissensbisse wie einst. Vor allem scheint die exakte Wissenschaft, mit Dacqué an der Spitze, doch endlich einzusehen, daß ihre bisherigen Aussagen über Welt, Erde und Mensch bloß für jene Bewußtseinslage zutreffen, aus der diese Aussagen selbst geholt wurden, und daß seither ganz merkwürdige Dinge vorgegangen sind, die eine gründliche Umwälzung in jenen veralteten Anschauungen anzukündigen scheinen, indem sie gleichzeitig beweisen, um wie vieles tiefer just unsere verachteten primitiven Voreltern in das Geheimnis der Welt, der Erde und des Menschen eindrangen, als wir! Allerdings ist unsere alte Erde, des Menschen Wiege, Wohnort, Tätigkeitsgebiet und Grabstatt, auch vom Tagesbewußtsein des Augenblicks aus gesehen, in der Tat ein hinreichend seltsames und spukhaftes Ding. Sie schwebt seit unzählbaren Jahrmillionen, fünftausendsechshundertneunzig Trillionen Tonnen schwer, frei im Raum um ihre Sonne, von einem melancholischen und bleichen Trabanten begleitet, mit dem offenbar einst intimere Beziehungen bestanden. Selbst ein Planet, bildet sie mit drei größeren und drei kleineren Weltkörpern ihrer Art, desgleichen mit neunhundertfünfzig Asteroiden und Myriaden von Meilen weit entfernterer Sterne ein »System«, das übervoll an Geheimnissen ist. Schon seit den Zeiten des Philolaos und Ekphantos weiß man übrigens, daß sie den merkwürdigen Eigensinn besitzt, sich um ihre eigene Achse zu drehen, aber die neuere Wissenschaft möchte als beinahe sicher erklären, daß das ganze Sonnensystem mit allem, was dazu gehört, bei einer phantastischen Geschwindigkeit von 18 Kilometern in der Sekunde in einer fast geraden Linie dem Sternbild des Herkules zueilt, eine gigantische und atemraubende Reise, die dem menschlichen Bewußtsein glücklicherweise entrückt bleibt, und schon Jahrmillionen andauert, ohne ans Ziel zu kommen. Also spricht der Gelehrte unserer Zeit, dessen wachsamen Augen und unheimlich fixer Rechenkunst nichts entgeht ...

II.
Allerhand Offenbarer gegen die Offenbarung

Allen Berichten darüber, wie Welt und Menschen entstanden sind, mögen sie nun als Mythos oder als wissenschaftliche Hypothese auftreten, liegt offen oder verborgen der Begriff einer Schöpfung zugrunde. Mythos und Wissenschaft unterscheiden sich in diesem Punkte bloß dadurch voneinander, daß jener einen Schöpfer annimmt, schon weil er sich eine Uhr ohne Uhrmacher nicht vorstellen kann, indes diese von »Kräften« redet (womit sie sich allerdings unbewußt religiösen Vorstellungen anpaßt) oder überhaupt ganz unbestimmten Vermutungen über den Hergang der Dinge Raum gibt. Zwischen diesen beiden Hauptgruppen lebt eine breite Masse indifferenter Elemente, die äußerlich wohl religiösen Bekenntnissen zugehören, aber der Weisheit höchsten Gipfel doch darin erblicken, die Frage nach Ursprung, Sinn und Ende der Erde und der Welt ganz beiseite zu schieben, das »Gegebene« einfach hinzunehmen und sich einzig und allein, rein im Erlebnis ruhend, auf den »Kampf ums Dasein« zu beschränken, der mit großer Schärfe und Rücksichtslosigkeit geführt werden »muß«. Jedenfalls sind Mythos, Sage, Märchen und Fabel unter allen Umständen als älteste Erkenntnisweise anzusehen, auf die seitens der sogenannten Aufgeklärten allerdings mit Geringschätzung und ärgerlicher Geduld herabgeblickt wird. In Anbetracht eines so »kindlichen« Gegenstandes, wie ihn die Weltentstehungssagen darstellen, nimmt man sich gar nicht erst die Mühe, Natur und Wesen dieser seltsamen Bilder-, Symbol- und Analogiensprache zu ergründen. Das Äußerste, was die moderne Vorstellungsart einräumt, wäre ungefähr darin zu erblicken, daß man zugibt, im Mythos berge sich allerhand Lebensweisheit und Lebenswahrheit, die zum Teile für alle Zeiten zutreffe. Diese milde Auffassung schlägt indes sofort in groben Eifer und brutalen Widerstand um, wenn von »Offenbarung« gesprochen wird. Das haßverfolgte Wort, das alle tiefen Geheimnisse in sich schließt, entfesselte die Wut der Freidenker aller Zeiten im höchsten Maße; selbst der alte Freud, der seine Faust geradezu fanatisch gegen Gott schüttelt, kann sich nicht enthalten, seine eigenen erhabenen jüdischen Vorfahren als Betrüger und kindliche Narren anzuspeien, da sie sich unterfingen, von Offenbarung zu sprechen. Er gehört zu jenen unglücklichen Sklaven der materialistischen und rationalistischen Denkweise, die gar nicht ahnen, daß Welt und Menschheit längst nicht mehr bestünden, wenn es keine Offenbarung gegeben hätte, wenn das alte Geheimnis der Mythen, Sagen und Märchen ganz verlorengegangen wäre und wenn nicht zu allen Zeiten Männer und Frauen die Flamme göttlicher Erkenntnis sorgsam gehütet und vor profanen Händen bewahrt haben würden, ihre hohe Einsicht in die übersinnlichen Welten bis zum heutigen Tage als rein seelisch-geistiges Gut verwaltend und späteren Eingeweihten vererbend. Von Geheimnissen, von Einweihung und übersinnlicher Erkenntnis wird, wie der Leser dieses Buches merkt, hier als wie von einer mystischen Tatsache gesprochen, als von einer Wirklichkeit und Wahrheit, die, aus sich selbst gewonnen, für alle Zeiten und kommenden Welten auch in sich selbst ruht, von einer Wahrheit des Unbeweisbaren, von der Wirklichkeit des Unerfahrbaren, geschöpft aus dem Erlebnis der Liebe, die als Quelle exakter Erkenntnis ohnegleichen erprobt ist.

III.
Genesis und Wesen des Menschen

Die »exakte« Erdwissenschaft, die annimmt, daß einst ein einziger großer Ozean den Menschenplaneten bedeckte, kann heute, wenn es sich darum handelt, von den Zeiträumen zu sprechen, die vergangen sein mögen, bis der gegenwärtige Zustand erreicht war, schon mit ebenso phantastischen Ziffern aufwarten wie die indische Geheimlehre. Unsere Geologen und Kosmologen stehen auf dem Boden der Aktualitätstheorie, das heißt: sie behaupten, alle umwandelnden Prozesse in den verschiedenen Perioden der Erdgeschichte hätten sich in den großen Zeiträumen »langsam, aber stetig« vollzogen, und niemals wären dabei andere Kräfte und Ursachen am Werke gewesen als die, die noch heute wirksam sind. Es hat wenig Sinn, diese Paradezahlen mit ihren unübersehbaren Ziffernstellen anzuführen, denn sie geben weder ein Bild der wahren Erdgeschichte selbst, noch sind sie vollständig, da es bei den Schöpfungstagen sicherlich auch Schöpfungsnächte gegeben hat, das heißt Zustände der Ruhe, in denen alles Geschaffene, wieder zurückgenommen, ins Chaos zurückfiel, um zu neuen Gestaltungen zu erwachen. Immerhin läßt sich mit den »Erdperioden« vom Azoikum bis zum Diluvium und Alluvium einiges anfangen; sie kennzeichnen wichtige Augenblicke in der Geschichte der Erde, als da sind: Bildung der festen Substanz innerhalb des Erdkörpers, Entstehung der Pflanzenwelt und der ersten Tierformen, fortschreitende Erstarrung des Erdenleibes und Vervollkommnung des Menschenwesens, das gleichsam durch zwei sich schneidende Linien gegeben wird, eine Linie, die von oben herabkommt und eine andere, die von unten heraufsteigt. Wie viele Hunderte von Jahrmillionen dazu notwendig gewesen sind, und wo die Geschichte dieser ungeheuren Entwicklung etwa geschrieben zu finden ist, ob nun im Tierkreis, ob nun vielleicht gar im Menschen selbst, das bleibt für den Menschengeist ein gewaltiges Ding, das mehr Beachtung verdient, als ihm heute zukommt. Ein Wissen um blindwaltende Ursachen und Kräfte, deren Spiel immerhin »Gesetzmäßigkeiten« verrät, könnte freilich niemandem auf dieser Erde von Nutzen sein. Da erscheint doch wohl als weit klüger, das Leben einfach hinzunehmen und zu leben. Indes: der Mensch ist eben mehr, als er sich einbildet: sein Vermögen, sich zu erinnern, seine Fähigkeit, Träume zu haben, tragen ihn über dieses Ohngefähr von scheinbar sinnlosen Zufällen, darein er sich gestellt sieht, hoch empor. Der Mensch birgt ein köstliches Geheimnis in sich: die Ahnung anderer Welten und seiner höheren Abkunft. Die moderne Anthropologie und Biologie, soweit sie in die Geheimnisse des Lebens auf Erden eingedrungen zu sein glaubt, hat im Grunde doch nur eine übertrieben primitive Vorstellung vom menschlichen Leben im Kopfe; sie sieht bloß den Körper, dessen prachtvollen Zweckbau auch sie allerdings restlos bewundert. In dieser Bewunderung liegt zugleich die äußerste Grenze, die letzte Ausschweifung, die sich der nüchterne Beobachter verstattet, sofern er bloß auf »allgemein gültige« Erkenntnis pirscht. Die Biologen unserer Zeit ziehen sich befriedigt auf die einfache Formel »schöpferisches Streben« zurück und schließen in unbewachten Augenblicken das Seelische und Geistige zur Not gerade noch als eine »Parallelfunktion des Gehirnes« in ihr Glaubensbekenntnis ein. Überhaupt gibt es kaum etwas Merkwürdigeres als die abgöttische Verehrung, die das physische Gehirn des Menschen als ein mit solchen »Funktionen« ausgestattetes Instrument just bei denen genießt, die am allerwenigsten damit anzufangen wissen; ihre Anbetung alles Körperlichen geht so weit, daß sie seelische und geistige Dinge unter keinen Umständen selbständig und unabhängig von Form und Gestalt zu denken oder gar begrifflich zu fassen imstande sind. Legt man aber alle Bücher beiseite, in denen diese seltsame, nichtssagende und dürftige Menschenkunde vorgetragen wird, und versucht nun, das Problem selbst wieder an den Ausgangspunkt zurückzuführen, so erweist sich das Wesen Mensch dem unbefangenen geistigen Auge bald als ein siebenfaches Erlebnis. In dieser Unterscheidung liegt gar nichts Metaphysisches; sie zwingt vorläufig nicht einmal dazu, von einer Seele zu sprechen, was schon den Forschern der naturwissenschaftlichen Glanzzeit die größten Übelkeiten bereitete. Die siebenfache Gliederung des Menschen kennt die Geheimlehre fast aller Völker. An dieser Stelle soll indes, aus bestimmten Gründen, keineswegs von Dingen gesprochen werden, die nicht auch die hohe materielle Wissenschaft anerkennen dürfte. Es ist selbst für diese schon sehr wahrscheinlich, daß der Körper schon vor dem individuellen Seelischen und Geistigen, dessen vorübergehende Wohnung er ist, dagewesen sein muß. Der Körper des Menschen stellt in der Tat heute den ältesten und vollkommensten Wesensbestandteil der menschlichen Wesenheit dar. Sein Präzisionsmechanismus und die bewunderungswürdig feine Struktur seiner Organe lassen auf eine Entwicklung schließen, die ungezählte Jahrmillionen in Anspruch genommen hat. Anders steht es um Seele und Geist, die des Menschen ewige Bestandteile sind. Wie sollte überhaupt möglich sein, sich Seele und Geist gedanklich anders denn als etwas Unbegrenztes und Dahinflutendes vorzustellen? Es ist aber trotzdem an sich gar nicht so schwer, die seelische und geistige Welt als etwas Selbständiges, mit der Körperwelt nur zeitweise Verbundenes zu erkennen. Wie die Luft außerhalb eines begrenzten Raumes und in diesem selbst vorhanden ist, so erfüllt auch das Seelische und Geistige die unermeßlichen Weltenweiten. Im Zusammenhange mit den Körpern gehen die auch für sich und unabhängig vom Menschen bestehenden geistigen und seelischen Strömungen offenbar bloß vorübergehende Verbindungen ein, die eben gelöst werden, wenn der Körper aufgehört hat, ihnen als Träger und Instrument zu dienen. Selbst der verbissenste Anbeter der Materie, der Mechanik und der reinen Vernunft läßt sich gelegentlich dazu überreden, daß Seele und Geist, die er bloß als Zustandsbegriffe gelten läßt, im Verein mit dem Körperlichen eine entscheidende Rolle spielen, daß aber seelische und geistige Erlebnisse wohl mit dem Körperlichen gemeinsam, aber unter Umständen auch durchaus von diesem unabhängig auftreten können. Das Seelische hat bei Denkern dieser Art eben eine wechselnde Bedeutung und »endet« mit dem Körper, der zu fühlen aufgehört hat, indes die geistigen Betätigungen nicht unbedingt an den Körper anknüpfen, sondern ihn, gleich wie das Seelische, überdauern. Auf den ersten Blick erscheint die große alte Dreiteilung von Körper, Seele und Geist als etwas Schematisches und in diesem Sinne Bedeutungsloses. Es wird sich jedoch später zeigen, wie gerade dieser Dreigliederung Grundlegendes und für die Erkenntnis überaus Bedeutsames innewohnt. Auch davon wird die Rede sein müssen, welche Tragweite dem Beschluß der katholischen Kirche zukam, von dieser großen Dreiheit abzulassen und bloß Leib und Seele anzuerkennen. Wie dem immer wäre: Leib, Seele und Geist, durch Erlebnis immer wieder bekräftigt, bilden die Grundpfeiler des menschlichen Wesens, und es ist klar, daß sie nur durch das Ich zusammengehalten und zu einem Ganzen gemacht werden, mag man nun das Ich bloß als einen »Komplex von zusammenhängenden Empfindungen« betrachten oder ihm eine ganz entscheidende Rolle in der Tatsache Mensch zuweisen. Der Ton liegt eben auf dem Zusammenhang, auf jener synthetischen Kraft, die Körperliches, Seelisches und Geistiges wie in einem Brennpunkt vereinigt. Aus dieser Vereinigung ergeben sich dann auch ohne viele Mühe drei das Wesen des Menschen abschließende Erlebnisse, deren Vorhandensein niemand bestreiten kann, die drei großen Erlebnistatsachen: Denken, Fühlen und Wollen. Sie stehen als Gesamtheit zur Gesamtheit von Leib, Seele und Geist in Verbindung, treten in sehr verschiedenen Mischungen in Erscheinung, können aber ebensowenig wie die drei Bestandteile Leib, Seele und Geist eines ohne das andere bestehen oder bestehend gedacht werden. Dieses rätselhafte Erdenwesen Mensch denkt, fühlt und will, und seine drei Erlebnisbestandteile sind im Ich ebenso vereinigt wie Leib, Seele und Geist. Es ist auch klar, daß das Ich den jüngsten Bestandteil der menschlichen Wesenheit umfaßt, da es doch eigentlich erst einziehen konnte, als die äußeren Bedingungen für seinen Einzug gegeben waren. Der menschliche Entwicklungsprozeß hat offenbar vorläufig beim Ich haltgemacht. Wie diese Entwicklung des Menschen zum Ich vor sich ging und was sie notwendigerweise mit sich bringen mußte, gehört in ein anderes Kapitel. Leib, Seele und Geist lassen sich wohl gedanklich voneinander trennen, aber sie durchdringen einander und werden von Denken, Fühlen und Wollen durchflossen, die begrifflich wohl unterscheidbar sind, aber doch ein Ganzes im Ganzen darstellen. Wohin sich das Ich weiter entwickelt, wie diese Entwicklung mit Veränderungen der Welt zusammenhängt, ob und wie das Eine das Andere voraussetzt, darüber lehrt das Geheimwissen über Ende und Zukunft der Erde ganz Bestimmtes.

IV.
Das finstere Jahrhundert

Als Höhepunkt der materialistischen und rein verstandesmäßigen Weltauffassung kann wohl das XIX. Jahrhundert angesehen werden. Es ist hier leider nicht Raum genug, ein wenn auch noch so gedrängtes Bild dieser in ihrer Art einzig dastehenden Epoche zu entwerfen; sie würde in einem Gesamtgemälde der Menschheitsentwicklung ein grandioses, aber dunkles und gewitterschwangeres Bild darstellen, dessen Grundcharakter trotz einzelner erhabener und lichter Stellen müde, welk, dürr und schwunglos anmutet. Das alte Hellsehen war um diese Zeit fast vollkommen erloschen, das Wissen der Mysterien blieb nur bei Wenigen aufbewahrt, die es eifersüchtig vor profanen Blicken verbargen, überzeugt davon, daß sie nur Hohn und Spott ernten würden, wenn ihnen beifiele, sich öffentlich zu ihm zu bekennen. Die Naturwissenschaft des XVII. und XVIII. Jahrhunderts arbeitet noch mit den Regeln jener Inspirationen und Intuitionen, die in den geheimnisvollen Hantierungen der Alchimisten aufleuchten. Die erste Hälfte des XIX. Jahrhunderts ist selbst für profane Augen in völliger Finsternis befangen, die Mitte dieses Säkulums aber stellt seine dunkelste Partie dar. Die Seher sterben freilich darob nicht aus, sondern verschwinden von der Bildfläche, doch gab es auch Eingeweihte genug, die, ohne Seher zu sein, den Hort hüteten. Sie schieden sich in zwei Gruppen, deren eine jede Lüftung des Schleiers, so die Geheimnisse verbirgt, verwarf und für schädlich hielt, indes die andere, stutzig und unruhig gemacht durch den düsteren und trostlosen Aspekt der Zeit, für teilweise Eröffnung der geheimen Wissenssphäre eintrat. Aus dem Kompromiß beider Richtungen ist ohne Zweifel das Wiederaufleben des Okkultismus hervorgegangen, das fälschlich als eine Wirkung des Weltkrieges ausgegeben wird. Der Spiritismus trat 1848 mit bemerkenswerter Vehemenz auf, Medienschaft lenkte die Blicke der ganzen Welt auf sich. Der Spuk von Hydesville (Herbst 1847) ward zum Geburtstag des abendländischen Spiritismus. In seiner »Hamburgischen Dramaturgie« verbindet Lessing das »Dittelsdorfer Kloppedink« mit merkwürdigen Fragen, die seine volle Unbefangenheit gegenüber dem sogenannten »Aberglauben« glänzend dartun. Von den Folgen der Spukphänomene in Hydesville und von der weiteren Entwicklung des Spiritismus ist an anderer Stelle die Rede. Vulgär gesprochen, bedeutete er: erste Nachricht von den Toten in erstaunlichen Kundgebungen aus dem Zwischenreich. Jede andere »Hypothese« war von vornherein lächerlich und in sich selbst hinfällig. Gezwungen, mit dem materialistischen Geist zu rechnen, der das Jahrhundert seiner Wiedergeburt beherrschte (daher sind wohl auch die ziemlich primitiven Anfänge der sogenannten spiritistischen Bewegung zu erklären), konnte der Spiritismus vorerst keine andere Sendung erfüllen, als daß er einen eigenartigen, auffälligen und merkwürdigen Beweis des Bestandes übersinnlicher Welten erbrachte, für Jene wenigstens, die ihr inneres Auge nicht mit törichten Vorurteilen verschlossen hielten. Es versteht sich auch ganz von selbst, daß die Fragen nach der Entstehung der Welt und des Menschen nun erst recht eine ganz andere, weitaus materiellere und verstandesgemäße Lösung fanden, die jede Spur von Metaphysik verlor und im rein Zufälligen, auf das Walten blinder Kräfte Gestellten, den Sinn, richtiger die Sinnlosigkeit alles Geschehens zu erweisen schien. Die Wissenschaft, gegen den Spiritismus durch maßlosen Dünkel und allgemeine Unfähigkeit geschützt, blickte nun auf Kant und Laplace mit Verachtung zurück, ganz verliebt in die natürliche Schöpfungsgeschichte, die allem »Wahn« auf Erden ein striktes Ende zu bereiten hoffte. Daß niemand auch nur Zeit und Lust hatte (von Theologen und anderen Spezialisten abgesehen), die ungeheure, tiefsinnige und eigentlich vollkommen klare Schöpfungsgeschichte aller Rassen und Nationen, die mosaische voran, auf ihren wissenschaftlichen Kern zu untersuchen, liegt auf der Hand. Die Spiritisten hatten gut reden. Niemand hörte sie, und so seltsam das Merkwürdige der spiritistischen Erscheinungen auftrat: die Ohren der »Weisen« dieser Welt blieben mit Wachs und Stroh verstopft, ihr Sinn war zu, ihr Herz war tot! Die Geisterwelt fand verschlossene Türen ...

V.
Die Blavatsky und das geheimnisvolle Buch Dzyan

Der Kampf der Weltanschauungen, entfesselt durch das Auftreten des Spiritismus, bekam gegen Ende des XIX. Jahrhunderts eine bedeutsame Wendung; die Spiritisten erhielten Sukkurs durch die Veröffentlichung der Hauptschriften, die H. P. Blavatsky, 1891 in London gestorben, ihren Anhängern hinterließ. Von dieser seltsamen, genialen und ohne Zweifel inspirierten Frau soll noch an anderer Stelle die Rede sein, dort, wo das Kapitel Theosophie auftaucht. An diesem Orte interessiert hauptsächlich die »Geheimlehre«, ein zweibändiges Werk (einen dritten, aber sehr problematischen Band gab Annie Besant heraus), das nicht weniger unternahm, als ein grandioses Gemälde von der Entstehung der Welt und des Menschen, zum Teil aus Inspiration, zum Teil als Frucht einer Berührung mit alten, bisher unbekannten Schriften zu entwerfen. Die Blavatsky berief sich auf ein mystisches »Buch Dzyan«, mit dem es in der Tat eine ganz eigene Bewandtnis hat. Die erste Schrift der Blavatsky (»Entschleierte Isis«) erschien 1879, die »Geheimlehre«, in London, 1888, zehn Jahre später (in recht mangelhafter Übersetzung von Froebe) auch in deutscher Sprache. Zwischen beiden Hauptschriften klafft ein Abgrund, entstanden dadurch, daß einer der Angelpunkte des Geheimnisses, die Lehre von der Wiederverkörperung und den wiederholten Erdenleben des Menschen, der Schöpferin der »entschleierten Isis« verborgen blieb, während er in der »Geheimlehre« den notwendigen zentralen Raum einnimmt. Das »Buch Dzyan«, überaus alten Ursprungs, macht den Philologen wenig Freude, obgleich es, wenn sie es schon nicht als Quelle eines Wissens ansehen wollen, doch als Dichtung ihre Aufmerksamkeit und Achtung wohl verdienen würde. Sie beginnt ihre Schilderung von der Entstehung der Welt mit einer Zeit, da »die ewige Natur in ihrem stets unsichtbaren Gewande während sieben Ewigkeiten wieder in Schlummer gehüllt war«; es gab damals noch keine Zeit, »die vielmehr im Schoße der Ewigkeit verborgen lag«; Denken, Fühlen und Wollen existierten noch nicht, denn es waren noch keine Wesenheiten da, die diese »Fähigkeiten enthielten«; es gab auch kein Leiden, da die allgemeinen Voraussetzungen dazu nicht vorlagen und niemand da war, der »das Leid hätte hervorbringen können oder der ihm unterworfen gewesen wäre«; das »All«, mit Dunkel erfüllt, denn die Stunde hatte noch nicht geschlagen, das All ruhte noch im Gottesgedanken und im göttlichen Herzen. Da durchdringt, eines Tages, die »letzte Schwingung der siebenten Ewigkeit das Unendliche, die Mutter schwillt und breitet sich aus, von innen nach außen, wie die Blüte des Lotus«. Der Atem durchfliegt das All und erfüllt den Keim in der Dunkelheit, die über den schlummernden Wassern des Lebens liegt; aus der Dunkelheit aber fällt ein Strahl in die Gewässer der mütterlichen Tiefe und durchdringt das jungfräuliche Ei, das er erzittern macht und dem der nichtewige Keim entfällt, durch dessen Verdichtung das Weltenei entsteht; die Dreiheit ward zur Vierheit! Nicht minder grandios und schön sind die anderen Strophen des Buches Dzyan, die von der Entstehung des Menschen, vom »Anfang des fühlenden Lebens« handeln. Der Engel der vierten Welt (des Erdenzustandes) gibt den sieben Engeln das Leben. Das große Schöpfungsrad rollt nun durch dreißig Räume (ungefähr 300 Millionen Jahre) und bringt Formen hervor, Gesteine, Pflanzen und Tiere, bis endlich der »Herr aller Meister« kommt, um den Menschen zu schaffen. Nicht weniger interessant sind die Erläuterungen der Blavatsky zu diesem Weltbild, das, so offene Anklänge an die mosaische Genesis darin vorhanden sein mögen, in dieser Art und Exaktheit, den Menschen ganz neue Einsichten eröffnete, die, wenn die Menschheit jene Impulse besser verstanden hätte, sicherlich geeignet gewesen wären, die Geister mächtig zu erschüttern.

VI.
Das Standardwerk des jungen Okkultismus

Wer die Geduld aufbringt, die etwas langatmigen, aber durchaus originellen Auseinandersetzungen der »Geheimlehre« bis an ihr Ende zu verfolgen, kehrt nicht ohne reiche Beute heim. So wirr dieses Monumentalwerk auch erscheinen mag, übt es doch überaus starke Wirkungen und bestärkt den Gesamteindruck, daß die H. P. Blavatsky, wie sich Rudolf Steiner in seiner Selbstbiographie vernehmen läßt, »mit dem, was sie (von irgend einer Seite aus den Lehren der alten Mysterienschulen) erhielt, Offenbarungen verband, die in ihrem eigenen Innern aufgingen«; die Blavatsky war eine menschliche Individualität, in der das Geistige durch einen merkwürdigen Atavismus wirkte, wie es einst bei den Mysterienleibern gewirkt hat, in einem Bewußtseinszustand, der gegenüber dem modernen, von der Bewußtseinsseele durchleuchteten, ein »ins Traumhafte herabgestimmter« war. So erneuerte sich in dem Menschen Blavatsky etwas, was zu uralter Zeit in den Mysterien heimisch war. Mit der Geheimlehre der Blavatsky konnte sich in der Tat keine andere Schrift solcher Art früherer Zeiten messen. Die Geheimlehre blieb eine Zeitlang das Standardwerk des neugeborenen Okkultismus, obschon im ganzen und großen ziemlich unbeachtet von einer Generation, die im Dunkel der naturwissenschaftlichen »natürlichen Schöpfungsgeschichte« das eigene Menschenantlitz kaum mehr zu erkennen vermochte. Freilich hat die »Geheimlehre« eine Reihe von Grundeinstellungen aufzuweisen, die wohl beachtet werden müssen, soll ihr wahrer Wert und ihre wichtige, aber vorübergehende Bedeutung scharf und grenzklar hervortreten. Die Welt der »Geheimlehre« steigt aus dem Atem des Urwesens. Gott atmet die Wesen aus und ein; so entsteht (im Ausatmen) die Natur und (im Einatmen) der Geist. Ihr Schöpfer sagt Ja zu der Welt, einige der Geschöpfe verneinen sie; so gibt es gleich zu Beginn Kampf zwischen Ja und Nein, zwischen Licht und Finsternis, im Himmel wie auf Erden zwischen den Göttern der Liebe und jenen der Vernichtung, zwischen den irdischen Wesen, die den Pfad der Sonne und jenen, die den des Mondes wandeln. Verkörpert die Sonne das Geistige, so ist der Mond der Planet der Materie. In einem Punkte der Entwicklung aber, den die Mosaische »Genesis« den »Sündenfall« nennt, geschieht etwas Großes: Sonne und Mond in ihren Wirkungen und Aspekten verbinden sich, treffen sich, durchdringen sich, was die »Geheimlehre« als ein großes Mysterium in den Brennpunkt ihrer ganzen Betrachtungsweise stellt. Vorangegangen ist diesem großen Augenblick natürlich die Verkörperung überhaupt; der Körper mußte da sein, noch mehr: er war nur da, weil sich in der Mitte der sogenannten lemurischen Epoche, die Geschlechter schieden; Sonne und Mond finden sich in der Vereinigung der Geschlechter. Dem gebenden Teile, dem Manne, erwächst aus diesem Mysterium die Gabe der Einsicht und des Verstandes, dem Weibe der Fluch des Geschlechtlichen, eine Deutung, die ja auch in den Schriften der Alchimisten immer wiederkehrt: die Sonne ist der Vater, der Mond die Mutter. Auf dieser grandiosen, tragischen und erschütternden Tatsache der Zweigeschlechtlichkeit ruht nun zugleich das Geheimnis der Zukunft. Das Mondhafte ist zugunsten des Sonnenhaften zu bekämpfen und abzulegen, das Geschlechtliche hat aus der Welt zu verschwinden und dem Sonnenhaften zu weichen, das allein im Atem Gottes ruht. So birgt denn auch die Weisheit des Ostens den Sinn, die Menschheit auf den Pfad des Sonnenhaften zu führen und die Mondenkräfte des Westens zu überwinden. Die Menschheit wird von Luzifer geleitet, der die Sonnenkräfte in sich vereinigt und das Gute darstellt, indes Jahve, der Mondgott, das Böse darstellend, als Ahriman die niedrigen Fortpflanzungsinstinkte, finsterer Macht kundig, bemüht, um die Menschheit zu verderben und der Materie auszuliefern. In diesem bipolaren System, das die H. P. Blavatsky zu allerhand falschen Deutungen verleitete, war natürlich für ein so hohes und entscheidendes Ereignis wie das Mysterium von Golgatha kein richtiger Platz. In der Christusfrage blieb die H. P. Blavatsky durchwegs blind und einseitig. Vor der Magie des Christentums versagte ihre Einsicht.

VII.
Weltenlehrer gegen Meister. – Das Ende der Blavatskyschen »Geheimlehre«

Die durch die Geheimlehre der H. P. Blavatsky geschaffene Situation auf dem Gebiete der Berichte über Weltentstehung und Menschwerdung ändert sich aber grundlegend mit dem ersten Erscheinen der »Geheimwissenschaft im Umriß« von Rudolf Steiner, die einen Markstein in der Geschichte der okkulten Entwicklung bedeutet. Die achte Auflage der »Geheimwissenschaft« erschien schon 1909. Sie blieb, zunächst, ziemlich unbeachtet, ward für eine Schrift von der Art der »Geheimlehre« gehalten, da man Steiner bloß für einen deutschen Exponenten indischer Theosophie ansah und nun, nach Analogie der Blavatskyschen Offenbarungsweise, vergeblich nach einem Meister (Mahatma) Umschau hielt, von dem Steiner seine Mitteilungen über Welt und Mensch empfangen haben könnte. Deutete man doch auch, obgleich schon ein sehr flüchtiger Blick eines Besseren belehren mußte, Steiners »Theosophie« törichterweise als ein Buch, das »vermutlich« der Popularisierung Besantscher Theosophie in Deutschland dienen wollte! Die Unterschiede, die zwischen der theosophischen Literatur und Steiners Büchern klaffen, sind aber in Wahrheit ganz fundamentale, sowohl was die Quelle betrifft, als auch in Hinsicht auf Wesen, Gesamterscheinung und Ziel. Steiner durchschritt die Theosophie, wie die Erde durch Kometenschwärme hindurchzieht. Sein Wissen und Schauen wuchs von Buch zu Buch, von Vortrag zu Vortrag, ins Ungemessene und landete zuletzt in ganz einsamen Gebieten, die kein anderer Seher erreichte. Steiners »Geheimwissenschaft im Umriß« und »Theosophie« sind die einzigen wirklich grundlegenden Schriften des europäischen Okkultismus, die einzige brauchbare und tragfähige Brücke zwischen Ost und West, sie sind wahre Zukunftsbücher der Menschheit, Grundpfeiler einer wahrhaften, allgemeinen »Reformation der ganzen Welt«, um im rosenkreuzerischen Vorstellungskreis zu bleiben, dem ja Steiners ganzes Wirken und Schaffen auf Erden zugehört, obschon es weit über die überlieferten Grenzen hinausragt. Der rosenkreuzerische Weg ist ein Weg der Verwandlung durch den Christusimpuls, ohne den alles okkulte Streben und Suchen auf Grund alter und heiliger Betrachtungsweisen Stückwerk und unfruchtbares Plätschern in übersinnlichen Gewässern bald reinerer, bald trüberer Art bleibt. Gibt die Blavatsky geheimwissenschaftliche Mitteilungen, aufgebaut auf den Gegensätzen zwischen Gut und Böse, zwischen Licht und Finsternis, so läßt sie über den Pfad zur Erkenntnis kein Wort verlauten, indes Steiner in einem dritten und praktisch vielleicht wichtigsten Werk den Weg weist, wie man »zur Erkenntnis höherer Welten« gelangt. Diese drei Schriften ergänzen und durchdringen einander, sie stellen den vollkommensten »Ersatz der Religion« dar, sind eine ideale Vereinigung von Wissenschaft und Philosophie und entsenden ihr Licht in die entlegensten Ausläufer menschlicher Kultur, alles belebend, erwärmend und erleuchtend, was in ihren Strahlenbereich gerät. Um so wichtiger wird, von ihnen zu sprechen, wenn man sich die Aufgabe gesetzt hat, die Geheimwissenschaften im Lichte unserer Zeit zu zeigen und ihre lebendigen Werte festzustellen. Steiner war ein Kind seiner Epoche, die unter ungeheuren Anstrengungen die Fesseln der agnostischen Gefangenschaft abstreift, aber die Frucht seiner Saat zielt auf kommende Läufte, gesehen, zunächst, vom Übergang einer alten in eine neue Kultur.

Die »Meister« wichen dem Weltenlehrer!

VIII.
Der »gottlose« Steiner

Die anthroposophische Kosmogonie, gegründet auf Rudolf Steiners »Geheimwissenschaft im Umriß«, entwirft das grandiose Bild der Erdentwicklung aus einem Urplaneten, der seinen Namen »alter Saturn« keineswegs dem Saturn der Astronomen verdankt und aus dem die »alte Sonne«, wie der »alte Mond« nach ungeheuren Zeiträumen, eingeteilt in Zustände der Ruhe (Vergeistigung) und der Aktivität, als Wiederverkörperungen hervorgingen. Man spricht am besten von Zuständen, wenn vom Geheimnis der Genesis die Rede ist: vom Saturn-, vom Sonnen- und vom Mondenzustand, dem der Erdenzustand folgt; auch der Erdenzustand ist aber keineswegs ein Endzustand, sondern nur ein Übergang zu drei weiteren Phasen, die im anthroposophischen System Venus, Jupiter und Vulkan genannt werden, wiederum, ohne mit vorhandenen Planeten etwas anderes als den Namen gemeinsam zu haben. Schon aus diesem kurzen Überblick ergeben sich sieben Zustände, die, zusammengefaßt, einen Weltenschöpfungszyklus darstellen und in deren viertem, dem Erdezustand, die Menschheit von heute steht. Über den Augenblick, der dem ersten Zustand, dem alten Saturn, voranging, äußert sich Steiner nur andeutungsweise und an verschiedenen Stellen; er spricht nicht von Gott im vulgären Sinne, wohl aber von einer göttlich geistigen Welt, die ein göttliches Urwesen, einen Anfang aller Dinge, voraussetzt. Diesem Umstände mag wohl zuzuschreiben sein, daß Steiners Gegner schon bei seinen Lebzeiten vom Atheismus oder Pantheismus oder gar Pan-En-theismus der Anthroposophie sprechen und, als besonderes Kompliment für den Buddhismus, die törichte Behauptung aufstellen, der Buddhismus verdiene als »gottfreie Religion« den Vorzug vor allen anderen. Ein Hauptmerkmal der Steinerschen Denk- und Lehrweise darf in ihrem absoluten Mangel an Spekulation erblickt werden, mag sie nun allgemein mystischer oder theologischer Natur sein. Was Steiner lehrt und als geschaut darstellt, ist höchste und reinste Naturwissenschaft, exakt, mag das Wort selbst im strengsten Sinne gebraucht werden, und gegenständlich in der vollkommensten Bedeutung des Ausdruckes. Damit erübrigt sich ganz von selbst das Vorhandensein einer theologischen Betrachtung über das Wesen Gottes, eines Gottsuchertums im mystischen Sinne, einer Philosophie des Unendlichen und Ewigen, das sich von Zeit zu Zeit manifestiert und betätigt. Die Menschheit unserer Zeit, auf der Bewußtseinsstufe, die sie heute einnimmt, hat nicht viel Lust, noch weniger aber Möglichkeit, sich ein Wesen vorzustellen, das, ohne Anfang und Ende, alle anderen Wesen in sich schließt, eine alles umfassende Intelligenz, die den Keim der gesamten Möglichkeiten birgt und »nach außen stülpt«, ein »Agnostizismus«, der genau weiß, daß der Frage nach Ursache und Wirkung auf Erden bestimmte Grenzen gesetzt sind, daß also in gewissen Regionen Frage und Antwort aufhören müssen, weil sie keinen Sinn mehr haben, sondern der Ahnung anheimgegeben bleiben, die, mit einem etwas zu geräumigen und verfrühten Ausdruck, Bewußtsein des Göttlichen genannt wird. Aus der Erhabenheit solcher von der Ahnung des Göttlichen erfüllten Geister baut sich die göttlich geistige Welt auf, die Steiner die hierarchischen Stufen hinauf bis zu den mit menschlicher Fassungskraft nicht mehr erreichbaren, aber noch benannten Wesenheiten verfolgt. Die alten Geheimlehren und ihr majestätischer Niederschlag in der Kabbala nehmen reichlich Gelegenheit, von dem Einen zu handeln, dessen Name nur in heiligster Stunde und ohne Laut und Gebärde ausgesprochen werden darf; Sein Atem hat die ganze Welt geschaffen, die verschwinden muß, wenn Gottes Atem wieder in das Eine zurückkehrt. Endlich geht vom Wort und Begriff Gott, selbst in seiner vulgärsten und ins alltägliche Leben gemischten Deutung, eine Kraft aus, mit der sich keine andere Kraft vergleichen läßt. Es ist, als sammelte sich darin die Grundessenz aller Mannighaftigkeit und Vielfältigkeit der Erscheinungswelt, in einer Art Vaterbewußtseins, das dem Geschöpf für alle Zeiten als Ahnung eines Schöpfers eingepflanzt ist. Ein so sinnreiches und unerhört kunstvoll gearbeitetes Kunstwerk wie der Mensch, ein Werk von solcher Präzision und einsichtsvoller Weisheit, schließt die Existenz eines Künstlers, der es schuf, eines Uhrmachers, der es in Gang setzt, von selbst ein. Immerhin bleibt das große Drama dieses Wesens, das Geheimnis, warum es in unerhörten Zeiträumen schafft und gestaltet, außerhalb jeder Betrachtung. Es gibt sozusagen ein göttliches Karma, das der Zusammenhang zwischen Ebenbild und Schöpfer nur bloßgelegt hat, das aber niemals gedeutet werden kann. Ein Gott, der Wesen schuf, die einer Bestimmung unterliegen, sich selbst eine Bestimmung setzend, thront in Regionen, in die keine Ahnung mehr einzudringen vermag. Selbst in dieser Nacht der Notwendigkeit (Ananke) scheint freilich noch ein Licht auf, das sich als Führer und Leiter erweist, weil es von der Substanz der Liebe lebt: das Licht der Freiheit, der vollen Beherrschung der Entschlüsse, durch den einzelnen Menschen gegeben und reguliert von der »moralischen Phantasie«. Dieses Licht führt denn auch mit magischem Zwang zum Erlebnis der göttlichen Dreifaltigkeit, die in ihren fernsten Ausläufern, als Leib, Seele und Geist, als Denken, Fühlen und Wollen auftritt und deren erhabene Symbole über die ganze Erscheinungswelt hin verstreut sind, nur denen erkennbar, die den Schlüssel gefunden haben.

IX.
Welt und Mensch als Weggefährten

Jeder Mensch, der die Gabe hat, sich leerzumachen von allen Vorurteilen und vorgefaßten »Einstellungen« zu den Problemen des Lebens, kann an der Hand seines eigenen Wesens bis zu jenen Anfängen vordringen, die in der Kosmogonie der Anthroposophen der »alte Saturn« genannt werden und die den Ausgangspunkt eines sieben große Zeitläufte umfassenden Schöpfungszyklus bilden. Eine leichte Anstrengung der intuitiven Kraft schon muß ihm sagen, daß er niemals außerhalb der Welt gewesen sein kann, sondern, vom ersten Tage an, in irgend einer Gestalt und Form bei dem ungeheuren Schauspiel der Weltentwicklung dabeigewesen sein muß. Dieser erste Grad okkulter Erkenntnis, wie man den Augenblick solcher Einsicht am liebsten nennen möchte, ist in der Formel der alten griechischen Zeit enthalten, die zum Menschen spricht: »Erkenne dich selbst!« Gewohnt, alles zu vernützlichen, zu vernüchtern und auf praktische Vernunft umzudeuten, sind im Jargon der Schulphilosophie diese Mahnworte, die mancherlei Geheimnis bergen, rasch zu einer banalen Verhaltungsmaßregel geworden, die wohl religiösen Geruch hat, aber weiter keine besonderen Verhaltungsweisen auferlegt. Es würde auch wenig nützen, wollte der unglückliche Adept solcher Schulphilosophie und Kathederweisheit, ahnend, daß das »Gnothi s'auton« doch mehr bedeuten muß als eine Bestimmung aus der Hausordnung für Sanatorien, nunmehr frisch und fröhlich in sich hineinbrüten, um Näheres über die Welt und sich selbst zu erfahren. Er würde schließlich wohl einschlafen, aber beim Erwachen doch feststellen müssen, daß die gepriesene und von allen Weisen empfohlene Selbsterkenntnis keinerlei Fortschritte gemacht hat. Die Formel »Erkenne dich selbst« steht sichtbar oder unsichtbar über allen Einweihungsschulen; sie faßt die Gesamtheit der Wege zusammen, die zur Einsicht und vollen, klaren Erkenntnis der göttlich geistigen Welt führen, und als eine der ersten Stationen darin wäre der Augenblick anzusehen, da der Adept der Geheimwissenschaft zu dem sicheren und untrüglichen Schluß gelangt, daß der Mensch und die Welt vom Anfang ab beisammen waren und sich voneinander bis zur letzten Epoche, zur Vulkanzeit, nicht mehr trennen können. So wichtig dieser erste Schritt zur Selbsterkenntnis ist, so wenig fruchtbar wäre er, wenn dabei nicht auf die Behelfe geachtet würde, die notwendig waren, ihn zu tun. Das Wort Bewußtseinszustände spielt, wie schon an anderer Stelle zu lesen war, in der Geheimwissenschaft eine große, eine entscheidende Rolle. Die Geschichte der Welt ist zugleich Geschichte des Bewußtseins, der Rückblick auf verflossene Zustände nichts anderes als eine Generalschau auf den Gesamtstand der Fähigkeiten, sich und damit die Welt zu erleben. Es ist klar, daß in einem Zeitpunkt, den man, ziemlich ungenau, den Anfang nennen möchte, nur ein ganz dunkles, fast bewußtloses Bewußtsein in den Keimen schlummerte, die den Kern des künftigen Menschenwesens bargen. Die Frage, wie ein solches dumpfes und schweres, fast bewußtloses Bewußtsein ausgesehen habe und woher die Berechtigung abgeleitet werden mag, sein Vorhandensein als gesichert anzunehmen, ist viel leichter zu beantworten, als man glaubt; wir haben alle diese Bewußtseinsgrade, die sich hinter den Ausdrücken Saturn, Sonnen-, Monden- und Erdenzeit verbergen, noch heute in uns: das Saturnbewußtsein ist nichts anderes als unser tiefer, schwerer, fester, an die Natur des Gesteines anknüpfender, traumloser Schlaf, der Tieftrance unserer Medien. Er kennzeichnet die Bewußtseinslage jener Keime, die den Kern zum physischen Leibe des Menschen bargen, ein Ruhen im Sein (nichts weiter) und doch schon mit Bewußtseinsspuren ausgestattet, weil fähig, den eigenen und die anderen Weltkörper unmittelbar mitzuempfinden, ungefähr wie der Mensch von heute das Funktionieren seiner eigenen, inneren Organe miterlebt. Der alte Saturn und das alte Saturnbewußtsein sind, vom Menschen aus gesehen, identisch: sie sind Aspekte eines und desselben Zustandes. Es wäre aber natürlich gänzlich verfehlt, zu denken, daß auf dem alten Saturn dieses dumpfe, aber doch schon empfindungsfähige Bewußtsein allein und einsam vorhanden gewesen wäre. Die Geheimwissenschaft Steiners spricht von zwölf Bewußtseinszuständen, die durch ihren Helligkeitsgrad gegeneinander abgestuft und von denen bis heute bloß vier entwickelt sind, indes von den weiteren Zuständen drei in den nächsten (Venus, Jupiter, Vulkan genannten) Zeiten und fünf darüber hinaus zu entwickeln sind, die nicht mehr in Erscheinungswelten spielen. Der Mathematiker kann sich gleichsam ein graphisches Bild von diesen Dingen machen, indem er von Dimensionen spricht, da viele weit lieber von einer vierten Dimension als von einem neuen Bewußtseinszustand wissen wollen. Alle diese Bewußtseinsgrade waren auch schon auf dem alten Saturn als selbständige Wesenheiten vorhanden, die man sich nun unschwer auch gestuft und hierarchisch gegliedert vorzustellen vermag.

X.
Der alte Saturn

Ein anderes ist es nun freilich, sich nunmehr eine Art Gesamtbild vom ersten Entwicklungszustande, dem alten Saturn, zu machen. Steiner bezeichnet die Situation des alten Saturn in seiner »Geheimwissenschaft« als einen Wärmezustand, als wesenhafte Wärme; dieser Zustand unterscheidet sich von den anderen Welten durch seine Wärme, die den Grundton abgibt, obschon sich auch schon kältere Stellen von diesem Grundton abdifferenzieren. Es handelt sich da um eine Art strahlender Wärme, die nach bestimmten Richtungen und Linien geht und sogar bestimmte Formen von unregelmäßiger Art bildet. Zusammenfassend nennt Steiner diesen alten Saturn ein »in sich gegliedertes, in wechselnden Zuständen erscheinendes Weltenwesen, das nur in Wärme besteht«. Dieser Begriff Wärme, der, im Erscheinungsjahr der Geheimwissenschaft, bei den Physikern noch Befremden erregte, weil sie unter Wärme etwas ganz anderes verstanden, begegnet heute, wo die Erscheinung der Strahlungen im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Bemühungen steht, keinen großen Schwierigkeiten mehr. Allerdings liefert die Wärme des alten Saturn noch keineswegs die Bedingungen für mineralisches, pflanzliches und tierisches Leben. Die Wesenheiten, die ihm seinen Sinn in der Entwicklung und seine Stelle darin anweisen, haben bloß eine durch die physischen, sich in Wärmewirkungen äußernden Gesetze bedingte Körperlichkeit, einen »feinen, dünnen, ätherischen Wärmekörper«; neben und über ihnen aber wirken noch andere, leibfreie Wesen, die durch andere Wesensglieder ausgezeichnet sind. Den alten Saturn, diese Gesamtheit von feinen, dünnen, ätherischen Wärmekörpern, umgibt ein Luftkreis geistiger Art; das Ganze wird ein wechselndes Spiegelbild der Wesenheiten mit Lichtsignalen und sonderbaren Vorfällen in der späteren Saturnentwicklung. Wie sich dieses Spiel vollzieht, wie es seine Phasen durchläuft, wie es langsam zu einem »da und dort aufflackernden und wieder abdunkelnden, zitternden und zuckenden Flimmern und Blitzen« kommt, darin sich die ersten Anlagen des Menschenkeimes entwickeln, wie hier die Grundlagen für die menschlichen Sinne gelegt werden, wie die geistigen Wesenheiten ihre Wirksamkeit daran entfalten, wie nach und nach alle Möglichkeiten aller künftigen Entwicklungen geschaffen werden, wie reine innere Wärme, reines geistiges Licht und reines Innenwesen einander umströmen, wie sich unter diesen Verhältnissen der Menschenkeim aufschließt und eine gewisse Stufe erreicht, indes sich die wirkenden Geister, mit der Weisheit früherer Zyklen erfüllt, an der Entwicklung arbeitend, selbst entwickeln und der Mensch selbst schließlich als ein Willenswesen aus der Finsternis hervorgeht: das alles rollt sich in der Geheimwissenschaft, in Steiners Akashachronik und in den einzelnen Vortragszyklen als ein Gemälde von gewaltiger dramatischer Kraft und plastischer Lebendigkeit ab. In der Akashachronik führt Steiner aus, wie die Geister des Willens, die Geister der Weisheit, die Geister der Bewegung, die Geister der Form, die Geister der Persönlichkeit, die Söhne des Feuers und des Zwielichtes in sieben Kreisläufen wirken, wie sich im vierten Kreislauf die Geister der Persönlichkeit zur Stufe der Menschheit erheben, im fünften auch die Seraphime, vom sechsten Kreislauf an die eigentlichen »Schöpfer des Menschen«, die »Throne«, offenbaren und wie im siebenten, dank dieser Offenbarung, die Anlage zum Atman, zum »Geistmenschen« geschaffen wird. In einem wundervollen Vortragszyklus vom Herbst 1911 aber, betitelt: »Die Evolution vom Gesichtspunkte des Wahrhaftigen«, spricht Steiner vom »inneren Aspekt der Saturnverkörperung der Erde«, der ohne Zeit und Raum verläuft, vor dem der Gedanke stillestehen muß, und die ein Ergebnis der Opfer ist, dargebracht von den Thronen vor dem Angesichte der Cherubime. Es gibt sicherlich Menschen, die da nicht mitkönnen, weil die Stunde der Erkenntnis für sie noch nicht geschlagen hat, weil es ihnen große Schwierigkeiten macht, zu »glauben«, daß es jemals solche Wesenheiten höherer Natur gegeben habe und heute noch gibt. Für sie weiß indes der Steiner-Schüler Guenther-Wachsmuth heute eine andere Möglichkeit, die ihnen, da in des letzteren Buche »Die ätherischen Bildekräfte in Kosmos, Erde und Mensch« die ungeheuer wichtige Wissenschaft vom Äther (einem anderen Äther als dem, den Einstein leugnet) entwickelt wird, ein farbiges Bild vom Saturnzustand gibt: den aus Wärmeäther bestehenden, von einem schmalen Ring des früheren Äthers umwandeten alten Saturn-Weltkörper. Lichtäther, chemischer Äther und Lebensäther umgeben ihn in verschiedenem Ausmaß, gelb, blau und rosarot in der Farbe, als eine Atmosphäre geistiger Art, die den Saturn einhüllt und von der Steiner in der Geheimwissenschaft andeutungsweise spricht. Das Eine ordnet sich in der zusammenfassenden Phantasie zum anderen auf Grund einer ganz neuen Art wissenschaftlicher Erkenntnis, die vom Schauen und Erleben ausgeht und alle exakten Schöpfungsphantasien weit hinter sich läßt. Freilich ruht sie denn auch auf ganz anderen Voraussetzungen: auf dem Menschen selbst, der bisher von der wissenschaftlichen und philosophischen Betrachtungsweise ganz ausgeschaltet war. Die Quelle dieser Schauungen ist das Weltengedächtnis, die Weltenerinnerung, niedergelegt und aufgespeichert im Erinnerungs- und Gedächtnisäther: in der Akashachronik. Das Lächeln über diese scheinbar so phantastische »Annahme« erstirbt aber sofort, wenn ein wahrhaft wissenschaftlicher Mensch das Problem der Erinnerung und des Gedächtnisses vor seinen seelischen Blick stellend, zu der Erkenntnis vordringt, daß es kein menschliches Gedächtnis und keine menschliche Erinnerung gäbe, wenn diese Möglichkeiten nicht auch im Weltenall vorhanden wären. Nur wer das »praktische Denken« in sich zu entwickeln weiß, kann zu den Mysterien der Welt vordringen.

XI.
Die alte Sonne

Nach einem Prozesse, der wohl nur mit Jahrmillionen angegeben werden kann, geht der Zustand, den die Geheimwissenschaft Saturndasein nennt, in einen Zustand der Ruhe ein; der Saturn, bestimmt, die als Saturnbewußtsein bezeichnete Stufe zu entwickeln, vergeistigt sich, schläft ein, und das, was als menschliches Wesen vorhanden ist, mit ihm, um, wieder mit ihm, zu einem neuen, nächsten Zustand zu erwachen, zum Sonnenzustand, zur alten Sonne, die mit dem, was heute Sonne genannt wird, nichts zu tun hat. Der Übergang geschieht freilich nur ganz allmählich. Das im Saturnzustand Erworbene taucht aus der kosmischen Nacht wieder auf; es ist keim- und sonnenhaft vorhanden und entwickelt sich zum Sonnenbewußtsein, einem Zustand, der unserem traumlosen Schlafe gleicht. Der Schlaf des Erdenmenschen von heute ist sozusagen eine Erinnerung an jene dumpfe Rechenschaft, die sich der Menschenkeim zur Sonnenzeit von seiner Existenz gibt und mit der sich vergleichen läßt, was die Forscher noch heute »Seelenleben« der Pflanzen nennen. An das Ruhen im Sein (Saturn) reiht sich das Wirken im Sein (Sonne), wie es sich in der Pflanze offenbart. Der Stein ruht im Sein, die Pflanze wirkt im Sein. Das Wirken im alten Sonnensein hat allerdings einen bestimmten Charakter. Das alte Sonnenbewußtsein schafft sich seine Formen. Der Saturnleib, das physische körperartige Gebilde der Saturnzeit, noch automatisch und leblos, durchdringt sich, nach Abschluß der Saturnwiederholung, dank der Arbeit der Geister der Weisheit, mit einem feineren, strömenden Wesensglied, das der heutige Mensch in seinem Ätherleib wiedererkennt, jener Zusammenfassung und ausfüllenden Aktivität, die das Körperlich-physische zum Leben aufruft, es zum lebendigen Wesen macht. Leben ist Bewegung. Alles, was sich bewegt, lebt und ist ein lebendes Wesen. In der alten Sonnenzeit, anschließend an die Anfänge des menschlichen Ätherleibes, treten die Geister der Bewegung ihr schöpferisches Amt an und rufen damit die Geister der Form hinzu. Bewegung führt zur Form, zur Gestalt. Die Form, also, nimmt in der alten Sonnenzeit ihren Anfang. Indem sich die Formen aus der Bewegung auslösen und gestalten, tritt der Kern des Differenzierten, des Abgegrenzten, des »Individuellen« in Erscheinung, ein Ergebnis der Geister der Persönlichkeit. Alle diese Tätigkeiten vollziehen sich an dem in der Saturnzeit entstandenen physischen Leib. Von diesem Prozeß empfangen die Geister des Feuers wiederum die Kraft, sich auf die Stufe des Menschentums Zu erheben; die durch die Menschensphäre geschrittenen Geister des Feuers übernehmen nun, empfangend und gleich wieder gebend, die weitere Arbeit am Ätherleib, indes zur selben Zeit die »Söhne des Zwielichts« am physischen Leib wirken. Der Name »Söhne des Zwielichts« mag auf den Leser dieser Beschreibung einigermaßen befremdend wirken. Es genügt aber zu bemerken, daß die »Söhne des Zwielichts« die Engel der christlichen Geheimlehre, die sogenannten Pitris der indischen Theosophie sind, und daß ihre Zwischenstellung zwischen Himmel und Erde den Namen wenigstens äußerlich zu erklären vermag. In einem späteren Augenblick, um die Mitte des sechsten Kreislaufes der Sonnenepoche, überlassen die Söhne des Zwielichts die Arbeit am physischen Körper der Menschenwesenheit selbst, indem sie einen bestimmten Grad Vollendung am Ätherleib bewirken. So entsteht, ungefähr um die Mitte des siebenten Kreislaufes das, was mit den Mitteln moderner Sprache ungefähr die Entstehung der belebten »Monade« genannt werden könnte. Es erübrigt nun noch, ein Wort über das Bewußtsein der Sonnenzeit, über die Vorgänge zwischen den Hierarchien und über die »physikalische« Seite dieser Dinge zu verlieren. Das alte Sonnenbewußtsein der Menschenwesenheit steht bildlich um einen Grad, eine Stufe, höher als das des Saturnzustandes. Es rückt vom Tiefschlaf zum festen, traumlosen Schlaf vor. Die Dinge und Wesen, die dem alten Sonnenbewußtsein entsprechen, kann nur der Hellseher oder eine medial veranlagte Person wahrnehmen. Das alte Sonnenbewußtsein erstreckte sich bloß auf die alte Sonne selbst und die mit ihr zunächst zusammenhängenden Weltkörper; das Menschenwesen der Sonnenzeit kann nur diese und deren Gleichnisse etwa so miterleben, wie der heutige Mensch seine Herztätigkeit erlebt. Will man nun aber einen Blick auf das Spiel der Wesenheiten werfen, die an der Entwicklung des Menschenwesens und an den aufeinanderfolgenden, der Erde vorangehenden, kosmischen Epochen beteiligt sind, so läßt sich der Vorgang, der vom alten Saturn zur alten Sonne führt, ungefähr als ein durch ungeheure Zeiträume hindurchgehender Umwandlungsprozeß verstehen, der die Wärme des Saturn zur Luft und zum Licht der alten Sonne umschuf. Luft und Licht sind dabei nicht so sehr dinglich als seelisch und geistig zu verstehen. Die Umwandlung des alten Saturn zur alten Sonne ist gleichfalls als eine Opfertat anzusehen. Opferten die Throne in der Saturnzeit einen Teil ihres Idealwesens den Cherubimen, so ist damit die Wiege jenes wundersamen Wortes berührt, das da »Gnade« und »Zustand der Gnade« heißt. Auf der alten Sonne treten zu den Wesen, die in der Saturnzeit wirkten, die Geister der Weisheit hinzu, deren Kennzeichen die »schenkende, gnadenwirkende« Tugend ausmacht. Die Geister der Weisheit schenken zur Sonnenzeit ihr eigenes Wesen an die Umgehung. Ein Wesen, das die alte Sonnenzeit von außen gesehen haben würde, hätte ungefähr die Illusion eines Luft- und Lichtkörpers gehabt, der, näher betrachtet, nichts anderes war als die »schenkende Tugend« der Geister der Weisheit. Aus dieser Gnadentat der Hingabe stammt die »Luft«, die das Wesen der Sonnenzeit gegenüber der Saturnzeit (diese aus »Wärme« bestehend) ausmacht. Allerdings taucht nun, da von Opfer, Schenken, Hingeben und Gnadeströmen die Rede ist, auch ganz von selbst die Frage nach den Wesenheiten auf, die bestimmt waren, aufzunehmen, was die Geister der Weisheit zur Sonnenzeit gaben; auch diese Wesen kennt die Geheimlehre unter einem bestimmten Namen: unter dem Namen der Erzengel (Archangeloi). Zwischen dem Akt des Gebens und dem des Nehmens (aus den Opfern der Throne an die Cherubime der Saturnepoche, entstanden die Geister der Zeit) liegt nun eine Zeit, die ungefähr ein Spiegel braucht, um ein Bild (die Gabe und die Weihe der Hinnahme) zu spiegeln. Die Luft der Geister der Weisheit ist die Lichtantwort der Engel, die damit zugleich als die Schöpfer des Lichtes anzusehen sind. In diesem kosmischen Augenblick gibt es also ein Geben und Spiegeln, ein Innen und Außen, so, wie es, dank der Geister der Zeit, ein Früher oder Später gibt, ein »Inneres« und »Äußeres«, schon auf dem Saturn keimhaft vorhanden. Es entsteht damit: der Raum. Steiner entwirft in seinem schon erwähnten Herbstzyklus von 1911 ein grandioses Bild dieser Vorgänge: aus dem Opfer der Throne an die Cherubime werden in der Saturnzeit die Zeitgeister geboren; in einem kugelartigen Innenraum schaut das innere Auge die Throne, vor den Cherubimen kniend, Geister vor geflügelten Wesen, ihr eigenes Wesen opfernd; die Geister der Weisheit, in der Sonnenzeit hinzutretend, verharren beim seligen Anblick dieses Opfers in einer Glut, aus der Opferrauch aufsteigt: die »Luft«, aus deren Wolken, in unbeschreiblichem Glanz, die Erzengel strahlend geboren werden, das Geschenk der Geister der Weisheit rückgebend und die Sphäre der Sonne in dieser Weise schaffend. Die Schöpfer des Lichtes halten an der äußeren Peripherie; sie bewahren, indem sie für Luft Licht geben, das Frühere: die Erinnerung an die Gabe, und sie stellen in einem späteren Zeitpunkt gleichsam dar, was im Anfang war; sie sind damit die Geister, die Boten des Anfangs: Archangeloi, Engel des Beginns. Aus diesem erhabenen Bild empfängt die ehrfurchtschauernde Seele eine Vorahnung dessen, was die Christuswesenheit der Erde bedeutet; sie schaut, erinnernd, Leonardo da Vincis Abendmahl als einen erhebenden Widerschein jener seligen und beseligenden Vorgänge. In die etwas nüchterne Sprache der geheimwissenschaftlichen Geophysik und Ätherlehre übertragen, hat der Verstandesmensch immerhin noch die Möglichkeit, diese erhabenen und schier unbegreiflichen Geschehnisse der Erdentwicklung auf seine Art zu verstehen; er darf von einem vor der Saturnzeit liegenden, rein geistig wesenhaften und unräumlichen Zustand sprechen, der während der Saturnzeit in einen Wärmeätherzustand übergeht, einem neuerlichen, nicht räumlichen Zustand Platz macht, den Wärmeätherzustand wiederholt und dann, während der Sonnenzeit, in den Lichtätherzustand übergeht, und er wird sich ohne Zweifel beruhigt fühlen, wenn er dazu erfährt, daß das Wesen des Weltenäthers expansiv (ausdehnend) wirkt, sphärisch, der Form nach, ist und den Zustand der Wärme bewirkt, indes der Lichtäther, in der Raumbildung zentrifugal, in der Form dreieckig auftritt und den gasförmigen Zustand herbeiführt. Was wir Zeit, Wärme und Licht nennen, ist eine Wirkung der ätherischen Bildekräfte, die hier den Namen Wärme- und Lichtäther tragen, ihn gegen jene hohe Wesenheiten eintauschend.

XII.
Der alte Mond

Dem Sonnenzustand folgt, nach Jahrmillionen, das alte Mondendasein, in der Geheimwissenschaft kurz der alte Mond genannt. Auch diesem Zustand geht wieder ein Zustand der Vernichtung, der scheinbaren Ruhe voran. Die Ergebnisse der Sonnenentwicklung tauchen in ein Sein unter, das dem einer Pflanze gleicht, deren Wachstumskräfte im Samen ruhen. Aus dem Weltenschoße steigt nun die Totalität der Sonnenzeit zu einem neuen planetarischen Dasein auf, dem Mondendasein, das mit unserem heutigen Erdentrabanten, Mond, nicht verwechselt werden darf. Das physische Menschenwesen durchläuft, wiederholend, Saturn- und Sonnenentwicklung. War der physische Leib des Menschen auf dem alten Saturn ein Wärmeleib, so ist er zur alten Sonnenzelt ein Luftleib geworden, der, gashaft, einen weiteren Zustand der Verdichtung darstellt. Die Mondenzeit bricht an: sie trägt das astralische Element in die Entwicklung und schafft damit die flüssige Daseinsform, einen »Wasserkörper«, durchzogen von Luftströmungen und mit diesen auf Wärmewirkungen aufgebaut. Allerdings ist in diesem Augenblicke sehr wichtig, festzustellen, daß das Ziel der Entwicklung nicht von allen Wesen erreicht wird, die an ihr teilnehmen. Die einen bleiben auf der Saturn-, andere auf der Sonnenstufe zurück, so daß neben den sich Systematisch entwickelnden Menschenwesen nun zwei andere Reiche entstehen, die von Saturn- beziehungsweise Sonnennaturen repräsentiert werden. Diesen Zwiespalt, fühlbar erst in der Mondenentwicklung, setzt sich bis in die Menschenwesenheit fort und führt zu einer Spaltung im alten Mondenweltkörper selbst: auf dem Einen wohnen höhere Wesenheiten und bilden mit ihm eine Art verfeinerter Sonne, auf den anderen niedere Wesen, Menschenwesen niederer Art und gewisse höhere Wesenheiten, die den Anschluß an den ersten der beiden Weltkörper verpaßten, und die nun den eigentlichen alten Mond, als dritte planetarische Vorstufe unserer Erde, bilden. Der Mondkörper sondert sich vom Sonnenkörper ab. Auf dem Sonnenkörper: geistige Wesenheiten, das Wärme- und Luftelement erlebend, auf dem Mondenkörper: niedere Wesen, sich im Wärme-, Luft- und Wasserelement erfühlend. Die Wesenheiten des Mondenkörpers, erfüllt mit dem von den Thronen empfangenen Willen, entwickeln ein vom Sonnenleben unabhängiges Wunsch- und Begierdendasein, das eben im astralen Wesensglied enthalten ist. Das Menschenwesen, in diesen Gegensatz hineingezogen, hat nun Mondenerlebnisse, die unter dem Sonnenimpulse geschehen, und daneben seine selbständigen Monderlebnisse, die zur ersten Gattung im Empörungs- und Aufstandsverhältnisse stehen; der Abfall der niederen Engel, von dem die Bibel spricht, vollzieht sich. Der Gesamtzustand des alten Mondes bietet sonach etwa das folgende, von Steiner in der »Geheimwissenschaft« meisterhaft skizzierte Bild: die Grundmasse des Mondes besteht aus einer lebenhaften Grundsubstanz, die bald in träger, bald in lebhafter Bewegung ist. Geisterhafte Pflanzen, pflanzenhafte Tiere, tierhafte Menschen, Anfänge von Lebensleib und Astralleib, unter der Einwirkung jener höheren Wesenheiten, die auf der ausgeschiedenen Sonne Wohnsitz nehmen! Diese Wesenheiten bewirken Mondenwesen mit Sonnenbewußtsein, genauer ausgedrückt Menschenwesen, die zwischen hellerem und dumpferem. Bewußtsein schwanken und in frevelhafter Mannigfaltigkeit leben, die Gebilde der Saturnzeit, der Sonnen- und Mondenzeit bis zur jüngsten Mondenphase umfassend. Ähnliche Differenzierungen treten auch in den Hierarchien der geistigen Wesenheiten auf. Mit der Sonne zugleich, im Zuge der großen Spaltung der Mondenzeit, spalten sich zahlreiche andere Weltkörper ab, von denen hier nicht die Rede sein kann, um den großen Grundriß, den zu erfassen ohnehin seine Schwierigkeiten hat, nicht überflüssigerweise durch neue Linien zu verwischen. Der Mensch, in dieses grandiose Tableau von flutendem Leben und vielseitigster Mannigfaltigkeit gestellt, fährt auch in der Mondenzeit, unter Leitung geistiger Wesenheiten, fort, an seinem physischen Leibe zu arbeiten. Die Geister der Persönlichkeit wirken am Astralleib, dem sie eine Vorahnung des Ichs einhauchen, die Feuergeister auf den Ätherleib. Das Menschenwesen fühlt sich in seinem Dasein von diesen Wesenheiten gleichsam getragen. Säftebewegung, Drüsenbildung, Wachstum setzen ein, Gase verdichten zu Flüssigkeit, eine Art Ernährung greift Platz, eine Art Atem tritt auf und mit ihm werden Gefühle der Lust und Unlust geweckt; in dampfartiger Umgebung, tauchen Bilder empor, das sogenannte Bilderbewußtsein begründend, und als ätherisch-seelische Gebilde erscheinen in diesen Bildern die »Söhne des Lebens«: Sympathie und Antipathie eröffnen ihr Spiel und tragen dazu bei, das Phänomen der »Entsprechungen« hervorzurufen. Die Mondenzeit ist die Epoche der Wandlungen: Geburt und Tod halten ihren Einzug, getragen von einer dunklen Sicherheit in Hinsicht auf die Unzerstörbarkeit des kommenden Ichs, das auszubilden der Erdentwicklung vorbehalten blieb. Versucht man, diese schwierige Partie der Geheimwissenschaft, vielleicht eine der schwierigsten, von anderen Gesichtspunkten aus zu ordnen, so wird die alte Mondenzeit zunächst durch die Fähigkeit des Bewußtseins charakterisiert, Bilder zu haben, den Traumbildern gleichend, die heute unseren leichteren Schlafzustand begleiten, sich aber von den Bildern der alten Mondenzeit durch Verschwommenheit und Willkürlichkeit unterscheiden. Im Weltenzeitalter des alten Mondes entwickelt der Mensch den dritten seiner sieben (zwölf) Bewußtseinsgrade. Das Mondenbewußtsein sieht (nicht etwa wie im Schlaftraum von heute) Sinnbilder (nicht Abbilder) der Dinge. Daß dieses Bilderbewußtsein zustande kam, war eine Wirkung des Astralleibes, als des dritten Wesensgliedes der menschlichen Wesenheit, das sich zur Mondenzeit, ungefähr um die dritte Mondenrunde, entwickelte. Der Astralleib ist ein Geschenk der Geister der Bewegung aus der eigenen Natur; sie entfalten auf dem alten Mond: die Begierde, den Trieb, den Wunsch. Der Astralleib konnte erst dann eingegliedert werden, als, innerhalb der ersten Mondenrunde, der physische Leib von den Geistern der Bewegung, in der zweiten von denen der Form, in der dritten von denen der Persönlichkeit, in der vierten von denen des Feuers und in der fünften von jenen des Zwielichts zur Reife gebracht worden war. Zur Zeit, da die Geister des Zwielichts am physischen Leib tätig sind, arbeiten die Geister der Persönlichkeit am Astralleib und die Geister des Zwielichts am physischen Leib. Die Entwicklung des Ätherleibs vollzieht sich in anderer Weise: er empfängt seine Notwendigkeiten in der ersten Runde von den Geistern der Weisheit, in der zweiten von denen der Bewegung, in der dritten von denen der Form, in der vierten von denen der Persönlichkeit und in der fünften von denen des Feuers. Aus der Arbeit der Geister des Zwielichts am Ätherleib, aus der Verbindung ihres Bewußtseinszustandes mit dem Bewußtseinswillen des Ätherleibes, entstehen Lust und Schmerz für den Menschen, ein Geschenk der alten Mondenzeit! Zur selben Zeit und auf ähnliche Weise wecken die Feuergeister im Astralleib Gefühl und Empfindung, Affekte, Liebe und Haß, Leidenschaften und Instinkte aller Art und von triebhaftem Charakter. Die Mondenzeit hat den Tiermenschen zum Grundtyp; das Mondenmineral hat pflanzlichen, die Mondenpflanze tierischen Charakter. Dem Tiermenschen der alten Mondenzeit fehlen die Knochen; er hat nur Knorpeln; er springt und schwebt, statt zu gehen; aus dem dickflüssigen Element, das ihn umgibt, holt er seine mineralische und tierische Nahrung, aus ihr zieht er auch die Kraft der Befruchtung; eingeschlechtlich, ein Wesen aus Wasserluft, entwickelt er doch schon die Ansätze der Zweigeschlechtlichkeit. Bei der Betrachtung der Impulse, den geistige Wesenheiten in die Weltenwicklung einfließen lassen, war aber auch von Opfern, von Hingabe und Hinnahme die Rede. Ein Teil der Schritte, die für die Entwicklung der Welt geschehen sind, hängt mit einem Verzicht zusammen, den solche Wesenheiten auf Kosten der eigenen Weiterentwicklung leisten, um der Erdentwicklung dienlich zu sein. Unter diesen geistigen Wesenheiten, die durch Verzicht gewisse leitende Gesichtspunkte der Schöpfung verwirklichen helfen, nehmen die (von Steiner so benannten) luziferischen Wesenheiten einen großen Raum ein, die auf dem Monde zurückblieben, damit der Mensch zur Möglichkeit freier Entschließung komme. Sie sind im Lichte dieser Betrachtung wohl gewissermaßen Schädlinge, aber doch auch gerade dadurch nützlich und notwendig. Wohl verdankt die Menschenwesenheit den luziferischen Wesenheiten ihre Begierden- und Triebhaftigkeit, die bewußt in die Tiefe ziehen, doch würde ihr die Wohltat des freien Entschlusses gänzlich fehlen, wenn dieser Zustand nicht eingetreten wäre. Die menschliche Willensfreiheit ist Luzifers, des »Lichtbringers«, Geschenk. Die Gedankengänge, die sich auf diesen Teil der Akashaschauungen beziehen und dem Auge des Hellsehers darbieten, sind überaus kompliziert. Als Ergebnis kommt hier bloß in Betracht, daß der Verzicht der Götter zur alten Sonnenzeit den Verzichtenden Göttern die Palme der Unsterblichkeit errang. Das Wässerige der alten Mondzeit erscheint im Geistigen als Verzicht und Entsagung. (Ein Zusammenhang, der in Lenaus wundervollem Gedicht »Blick in den Strom« mit hellseherischer Sicherheit berührt wird.) Die zurückgeworfene, gleichsam übrigbleibende Opfersubstanz wird von zurückgebliebenen Wesenheiten aufgenommen, so daß diese nun sozusagen als selbständige Wesenheiten neben die Opfernden treten. Das Böse, entstanden durch diesen Mißbrauch, stammt also eigentlich aus guter Quelle: aus der Gabe des Verzichtes und der Resignation. Wesen, die nicht opfern können, können aber nur in sich selbst leben, in ihrer Egoität. Treten auf dem Saturn Willens-, auf der Sonne Weisheitswesen auf, so sind es die Geister der Bewegung auf dem alten Monde, die im weitesten Sinne auch die Bewegung der Gedanken, die Denkbewegung einleiten; ihnen verdanken die Wesenheiten, die nicht zu opfern imstande sind und daher in ihrer Egoität leben, ihre Errettung aus der Gefahr der Vereinsamung und der Einseitigkeit. Sache der Geister der Bewegung ist, die Beziehungen zwischen den Geistwesen zu veranlassen und zu befördern. Sie sind damit Besieger der Langeweile und zugleich Schöpfer der Sehnsucht. Indem diese Geister der Bewegung Veränderung und Beziehungswechsel hervorbringen, lassen sie Sehnsucht und Wille zusammenfließen und erzeugen statt der Gedanken Bilder. Das Aufsteigen des Bilderbewußtseins auf dem alten Mond erscheint als ein Geschenk der Geister der Bewegung. Im geisteswissenschaftlichen Sinne ist der alte Mondenzustand, dem ein nicht räumlicher Zustand voranging, zunächst eine Wiederholung des Saturn- (Wärme-) und des Sonnen- (Licht-) Zustandes, wozu nun die Phase des chemischen Ätherzustandes hinzutritt, der die Substanz des alten Mondes ausmacht, die chemischen Prozesse, die Differenzierung, das Trennen und Zusammenfügen der Stoffe bewirkt und den Ton ergibt; seine Raumbildung ist saugend und zusammenziehend, seine Form halbmondförmig, sein Zustand flüssig: der naturwissenschaftlich gebildete Leser wird unschwer erkennen, daß hier eine Wiederkehr des ontogenetischen und phylogenetischen Gesetzes vorliegt, wenn auch in anderer Art.

Mit dem Mondenzustand schließt die vorirdische Entwicklung. In der kosmischen Nacht nach der Mondenzeit wird die Erde geboren, des Menschen nächster, vierter Aufenthalt im Rade der Schöpfung!

XIII.
Die Geburt der Erde

Jahrmillionen sind vergangen. Der Zustand der Ruhe nach der dritten Phase, der Mondenzeit, ist zu Ende. Alles, was ihr zugehört und ihr Wesen ausmacht, erwacht, vergeistigt, zu neuer Tätigkeit und weiterer Entwicklung. Drei andere Formen sind dem Zustand, der Erde genannt wird, vorangegangen: Saturn, Sonne und Mond; diese drei planetenhaften Epochen sind also als frühere Zustände der Erde anzusehen, die in drei weiteren Planetenformen (Jupiter, Venus und Vulkan) überzugehen bestimmt ist. Die Erde ist sonach das mittlere Glied eines siebenfachen Schöpfungszyklus. In sieben Stufen vollendet der Mensch seine Entwicklung von den niederen zu den höchsten Bewußtseinszuständen, vom dumpfen Saturn- durch das Sonnen- und Mondenbewußtsein zum gegenständlichen Bewußtsein der Erde, getragen von den »Sinnen«. An die Stelle des Bilderbewußtseins der Mondenzeit rücken Vorstellungen und Gedanken, Gedächtnis und Selbstbewußtsein treten in Erscheinung, zugleich als Keime für die kommenden Bewußtseinszustände. Der letzte dieser Zustände als Ziel der Entwicklung, Vulkan genannt, führt zum spirituellen Bewußtsein, der Gottseligkeit. Es kann keinem Leser, der sich über den gegenwärtigen Stand der Geheimwissenschaft informieren will, erspart werden, in Steiners Geheimwissenschaft die Vorgänge, die zur Erdentwicklung im heutigen Sinne führten, immer wieder nachzulesen. Vermag er dem hohen Fluge dieser gigantischen Schilderungen nicht recht zu folgen, so gibt es Mittel genug, einen annähernden Begriff von der Genesis auch mit Ausdrücken der modernen Naturwissenschaft zu erlangen. Den Erdenzuständen und Bewußtseinsformen entsprechen die vier Ätherarten der Geheimwissenschaft: Wärme-, Licht-, chemischer (Klang-) und Lebensäther, deren erster, ausdehnend im Raum, sphärisch in der Form, den Wärme-, deren zweiter, zentrifugal im Raum, dreieckig in der Form, den gasförmigen, deren dritter, saugend und zusammenziehend im Raum, halbmondförmig in der Form, den flüssigen und deren vierter endlich, zentripetal im Räume, viereckig in der Form, den festen Zustand bewirkt, als in dem wir unseren Erdenplaneten erkennen. Das Spiel dieser Ätherkräfte setzt nach einem aller Entwicklung vorausgegangenen, rein geistig wesenhaften, nicht räumlichen Zustand mit der Wärmeätherepoche (Saturn) ein, bringt den Lichtätherzustand (Sonne) und den chemischen Ätherzustand (Mond) hervor und führt nach Wiederholungen der drei früheren Zustände zum Lebensätherzustande unserer Erde. Über die Ätherarten und Bewußtseinszustände der kommenden drei Entwicklungen (Jupiter, Venus, Vulkan) kann heute noch nicht gesprochen werden, ohne Mißverständnisse hervorzurufen. Für den Adepten der Geheimwissenschaft bleibt, da die exakte und esoterische Naturforschung das Fiasko des Urnebels erlebt hat, aus dem die Welt geworden sein sollte, allemal und als Hauptweisheit wichtig, daß unsere Erde aus rein geistigen Zuständen hervorgegangen ist; durch die schöpferische Kraft der ätherischen Bildekräfte, die ihre Impulse von geistigen Wesenheiten empfingen und empfangen, sind alle Substanzen entstanden, die unseres Erdenplaneten Dasein garantierten und noch heute garantieren. Freilich hat die Erde wiederum sieben Zustände durchzumachen, ehe sie zur kosmischen Nacht übergeht, die einst zum nächsten, zum Jupiterzustand führt; von den sieben Zuständen sind vier vorbei; wir halten im fünften, der der sogenannten nachatlantischen Epoche folgte. Die Namen der abgelaufenen vier Epochen sind nach Steiner: die polarische, die hyperboräische, die lemurische und die atlantische, so daß wir gegenwärtig in der fünften, der nachatlantischen Zeit stehen. Der in der Atmosphäre der exakten Naturwissenschaft aufgewachsene Denker, der mit diesen Bezeichnungen wahrscheinlich wenig anzufangen weiß, wird sie wesentlich befriedigter zur Kenntnis nehmen, wenn man ihm unter vier Augen sagt, daß das, was er als physische Entwicklung der Erde ansieht, ungefähr beim Übergang von der hyperboräischen zur lemurischen Epoche einsetzt, daß diesem die sogenannte archaische, paläozoische, mesozoische und känozoische Zeit bis zur »Eiszeit« folgen, welch letztere ungefähr in den Übergang von der atlantischen zu unserer nachatlantischen Epoche fällt. Die archaische und paläozoische Periode würden die mehr ätherischen Vorgänge der polaren und hyperboräischen Epoche gleichsam im Physischen widerspiegeln, indes die mesozoische etwa den Höhepunkt der lemurischen Epoche darstellen könnte. Der berühmte Kant-Laplacesche Urnebel, das heißt das Auftreten des gasförmigen Zustandes, durch Wärmedifferenzierungen hervorgerufen, hätte ungefähr im Übergang von der polarischen zur hyperboräischen Epoche Platz. Was aber nun die geologischen Perioden der Erdengenesis vom Gesichtspunkte des Ätherischen betrifft, so beginnt während der polarischen Epoche der Wärmeäther von außen nach innen zu strömen; aus der rein geistigen Welt bilden sich die ätherischen Sphären; während der hyperboräischen Epoche strömt das lichtätherische Element nach innen, indes die übrigen Bildekräfte (Feuer und Licht) von außen einwirken (Urnebel; Sonnentrennung); während der lemurischen Epoche strömt das Chemisch-Ätherische nach innen, indem es Licht- und Wärmeäther im Rahmen großer Feuerkatastrophen verdrängt (Mondentrennung); während der atlantischen Epoche aber strömt der Lebensäther nach innen und verdrängt das chemisch-ätherische Element im Rahmen großer Wasserkatastrophen (Sintflut). Unsere heutige Erdenstruktur (die der nachatlantischen Epoche) ist dadurch entstanden, daß die verdrängten Bildekräfte wieder nach außen wandern und die Umstülpung der Sphären damit vollzogen ist.

XIV.
Die ersten drei Wurzelrassen

Wenn man von den beiden ersten irdischen Epochen, der polarischen und der hyperboräischen spricht, so sind damit zugleich auch die beiden ersten Wurzelrassen der Menschheit in das Bild der Sphärenwissenschaft eingeführt: die polarische und die hyperboräische, beide zunächst eingeschlechtliche Formen, deren Hauptmerkmal ausmacht, daß der physische Leib der unmittelbaren Einwirkung durch die Seele entzogen blieb. Leib und Seele gehen ihren eigenen Weg: sie trennen sich, da der Leib, der physischen und chemischen Stoffwelt gänzlich ausgeliefert, vom Seelischen aus nicht mehr beherrscht werden kann, im Tode, der nunmehr zum obersten Gesetz alles Lebendigen wird. Der eingeschlechtliche Mensch teilt sich: das Muttergebilde lebt restlos im Tochtergebilde fort. Diesem Zustande folgt die Fortpflanzung und die Wiederverkörperung des Seelenlebens im neuerstandenen Tochterorganismus. Tod und beginnende Zweigeschlechtlichkeit werden die Hauptpfeiler der beiden ersten menschlichen Wurzelrassen. Mit dem Tode greift Ahriman, mit der Zweigeschlechtlichkeit Luzifer in die menschliche Entwicklung ein, zwei Wesenheiten, die von größter Bedeutung und mit der Erdentwicklung eng verbunden sind. Solange die Seele das Stoffliche beherrschte, war sie männlich und weiblich zugleich, ihr männliches Element dem Wollen und ihr weibliches dem Vorstellungsvermögen verwandt. Die Trennung der Geschlechter fällt in einen bestimmten Zeitpunkt des Verdichtungsprozesses der Erde; sie ist zugleich die Geburtszeit des Denkens auf Erden, das mit dem Opfer der Eingeschlechtlichkeit bezahlt werden mußte. Für das Äußere wird der Mensch fortab von außen befruchtet, für das Innere aber von innen, wodurch von selbst erhellt, daß im männlichen Leibe eine weibliche, im weiblichen aber eine männliche Seele wohnt; zweigeschlechtlich werden sie erst wieder durch Befruchtung mit dem Geist. Man sieht, sagt Steiner an einer wichtigen Stelle seiner Akashachronik, daß das Höhere im Menschen mit Mann und Weib nichts zu tun hat. Die innere Ausgleichung kommt bei der Frau aus einer männlichen, beim Manne aus einer weiblichen Seele; sie wird durch Vereinigung mit dem Geiste bewirkt. »Daß aber vor dem Zustandekommen dieser Gleichheit Verschiedenheit vorhanden ist, dies schließt ein Geheimnis der Menschennatur ein, dessen Erkenntnis für alle Geheimwissenschaften von großer Bedeutung ist.« Jedenfalls gibt es den »Schlüssel« zu den »Lebensrätseln« und es ist, sagt Steiner, »vorläufig nicht erlaubt, den Schleier, der über dieses Geheimnis gebreitet ist, fortzuziehen«. Durch die Zweigeschlechtlichkeit ist der Mensch ein geistiges Wesen geworden. Der doppelgeschlechtliche Mensch der ersten lemurischen Zeit war ein ganz anderes Wesen als der Mensch von heute; ihm fehlte die Möglichkeit, sinnliche Wahrnehmungen mit Gedanken zu verbinden, er konnte nicht denken in unserem Sinne, sein Leben verlief zunächst ganz triebartig, war von Instinkten und Begierden und Wünschen aufgestachelt, in einer Art traumhaften Bewußtseins dumpf dahinlebend. Allerdings gilt diese Zustandsschilderung bloß von dem Durchschnitt des Menschen und seinem primitiven Typus. Neben und über diesem Durchschnittstypus gab es Wesen, die, höher entwickelt, trotz ihrer Zweigeschlechtlichkeit Erkenntnis und Wissen zu erwerben imstande waren. Der Durchschnittsmensch denkt auf dem Umweg über sein Gehirn; seine Seele wäre ohne diesen Umweg geistlos geblieben. Bei jenen anderen menschlichen Wesenheiten aber war die Fähigkeit vorhanden, Weisheit und Erkenntnis auf übersinnliche Weise zu erwerben; den Umweg des Geistes über die sinnliche Stofflichkeit, diesen Herabstieg der Seele in die Materie nennt die exoterische Esoterik populär »Sündenfall«. Jene höher entwickelten Wesen waren Hellseher und Träger uralter, nämlich höherer und göttlicher Weisheit. Die Weisheit der Anderen mußte erst erworben werden: ein Verlangen nach Wissen entstand erst als Folge der Zweigeschlechtlichkeit. Von diesem Punkte aus lohnt es sich wohl, einen Blick auf jenen tragischen Komplex zu werfen, dessen Träger die lemurische Rasse war. Sie bewohnte den lemurischen Kontinent, den die Geheimwissenschaft in den Süden Asiens, von Ceylon bis Madagaskar, in das heutige südliche Asien und Teile von Afrika verlegt. Es gab zu dieser Zeit weder Gedächtnis noch Sprache; die Lemurier waren indes geborene Magier; der bloße Wille hob die schwersten Lasten; in den Knaben erzogen sie den Willen, in den Mädchen die Phantasie. Die Umwelt Lemurias bestand aus dichter Luft und dünnem Wasser, die Erdkruste war weicher und lockerer, es gab bloß Palmen- und palmenähnliche Gewächse, hohe baumartige Farne und Farnwälder, dazu eine Fauna aus Amphibien, niederen Vögeln und Säugetieren, endlich Menschen, die noch tierartig lebten. Im Bewußtsein der höheren Menschen lag das göttliche Geheimnis, streng gehütet; sie standen im Umgang mit den Göttern, einem Umgang, der die Grundlage aller späteren Einweihungsschulen und Mysterienkulte, ausgeübt auf Mysterienstätten, geworden ist. In den Frauen, als Trägerinnen des höheren Vorstellungslebens, bildeten sich die ersten Keime des Gedächtnisses und mit dem Gedächtnis die Keime des moralischen Bewußtseins; der Unterschied zwischen Gut und Böse kam auf, geschaut vom Manne, gedeutet von der Frau. Von großer Schönheit ist die Schilderung der Ausklänge der lemurischen Zeit in Steiners Akashachronik, als da sind: Auswahl einer feinen und von hohen geistigen Wesenheiten zusammengestellten lemurischen Rasse zum Keim der künftigen atlantischen Zeit, Entstehung der Religion und der Sprache, fortentwickelt und weitergestaltet auf einem von vulkanischen Erschütterungen heimgesuchten Boden, fern, an einem ruhigeren Orte, der, als besondere Kolonie, die richtige Menschengestalt schaffen hilft. Eine Feuerkatastrophe von ungeheuren Dimensionen macht dieser tragischen und doch großartigen Epoche ein Ende.

XV.
Die vierte Rasse: unsere atlantischen Vorfahren

Ein anderes Bild bietet die der lemurischen folgende, vierte, atlantische Wurzelrasse, die Vorläuferin unserer nachatlantischen, arischen Menschheit. Auch hier ist das Bild der Durchschnittsentwicklung von dem der Führer wohl zu unterscheiden und sorgfältig abzugrenzen. Die Führer der atlantischen Menschheit waren im richtigen Sinne Boten der Götter, Angeloi, Engel, wohlbekannt in den sorgfältig verborgenen Mysterien und Kultstätten. Ihnen stand die große Masse der Atlantier gegenüber, dumpf in ihren Denkanfängen, doch mit Naturfähigkeiten ausgestattet, die heute verlorengegangen sind. Endlich gab es noch eine dritte Gruppe, dazu bestimmt, die Botschaften der Angeloi im Denken zu erfassen. Eine aus dieser dritten Gruppe hervorgegangene Wesenheit war Manu, der die Erlesenen der atlantischen Rasse in Innerasien versammelte und sie lehrte, den Befehlen Gottes zu gehorchen, ohne sich ein Götzenbild der Gottheit anzufertigen. Im Zeichen Manus stand die Ordnung des gesamten, atlantischen Lebens nach höheren, göttlichen Gesichtspunkten. Mit der atlantischen Epoche und der atlantischen Rasse hat es seine besondere Bewandtnis; ihr Geheimnis liegt schon in der Existenz des atlantischen Erdteils, der zwischen Amerika und Europa gesucht werden muß. Der Atlantische Ozean bedeckt heute den Boden dieses seltsamen und wunderlichen Kontinents, doch beschränkt sich das, was atlantische Kultur genannt werden kann, auch auf die jenem Kontinent benachbarten Gebiete des heutigen Asien, Afrika, Europa und Amerika. In den ersten Zeiten der atlantischen Menschheit war das Gedächtnis hoch entwickelt. Der Atlantier dachte in Bildern, ein Denken, das der heutige Mensch mit seinen ausgeprägten Begriffen kaum zu erfassen vermag. Einen Fortschritt in unserem Sinne konnte es nicht geben, da nichts zu erdenken und nur die Erinnerung tätig war. Die Atlantier beherrschten die Lebenskraft, besaßen Flugzeuge und lebten in Ansiedlungen. Sie, ihre Vorfahren, die Lemurier, und ihre Erben, die Arier, bilden die drei eigentlichen Wurzelrassen der doppelgeschlechtlichen Menschheit. Jede dieser Wurzelrassen hat bestimmte physische und geistige Eigenschaften und schreitet durch sieben Unterrassen ihrem Ziele in der Entwicklung der Menschheit zu. Die Namen der sieben Unterrassen der Atlantier aber sind folgende: die Rmoahals, aus den Resten der lemurischen Rasse gebildet, noch gedächtnislos, aber schon des Gefühls fähig, in der Sprache entwickelt und des Zaubers des Wortes kundig; die Tlavatli, ehrgeizig, gedächtnisstärker, dem Ahnenkult ergeben, zur Bildung von Gruppen mit gleichen Erinnerungen neigend; die Tolteken, sozial empfindend, mit den Anfängen zu persönlicher Erfahrung behaftet, mit einem Gefühl für die Macht der Persönlichkeit ausgestattet und in die Geheimnisse der geistigen Entwicklung eingeweiht; die Urturanier, selbstsüchtig, begierdenhaft, eigensinnig, aber in den Anfängen logischen Denkens bewandert, gleich der nächsten Unterrasse, den Ursemiten, vergleichender Urteilskraft schon einigermaßen mächtig, daher schon Rechner, Kombinatoren, Hörer der inneren Stimme, in ihrer Art dazu bestimmt, in einer Auswahl die Grundlage zur arischen Wurzelrasse zu legen; die Akkadier, als sechste Unterrasse: gewandte Denker, klug, neuerungssüchtig und stets veränderungsbedürftig, zur Ausbildung von Rechtsbegriffen und zur Bildung von Gefühlen neigend, unternehmungslustig, und endlich, als siebente Unterrasse, die Mongolen, Wiederholer der vierten Unterrasse, der Erinnerung treu, glaubensfroh, ihren Nachbarvölkern ein Rätsel und als geheimer Kräfte kundig bekannt. Das Ende der Atlantis durch eine Wasserkatastrophe bildet die Grundlage zu den Sintflutberichten fast aller Völker. Die exakte Wissenschaft neigte lange Zeit dazu, die Atlantis für ein Märchen zu halten; sie nahm die berühmte Erzählung des Platonischen »Timaios« für einen Mythos, den der große griechische Denker jenem pythagoräischen Buche entliehen hatte, das ihm in die Hand fiel und dem die Welt den »Timaios« verdankt. Die Wandlungen dieser »Legende« kann man in Henri Martins französischer Übersetzung und Monographie an der Hand der älteren Literatur verfolgen und von hier aus bis zu den heutigen genaueren Feststellungen über den atlantischen Erdteil, seine Schicksale und seine Geheimnisse vordringen. Der atlantischen Kultur verdanken wir, als ihre arischen Erben und als Träger der nachatlantischen, unseren heutigen Menschengrad, der als eine Mischung aller vorangegangenen Epochen erscheint. Die atlantische Zeit ist ein außerordentlich wichtiger Punkt der Erdentwicklung; sie stellt sozusagen die Mitte des Gesamtprozesses dar, der mit Saturn, Sonne, Mond und Erde einsetzt und mit Jupiter, Venus und Vulkan schließt. Die Tätigkeit des Luzifer im Laufe dieser Entwicklungsgeschichte, schon in der lemurischen Epoche begonnen, birgt ein tiefes Geheimnis: die Geburt des Icheinschlages, des Ichimpulses im Menschen! In der atlantischen Epoche wirft das große Ereignis des Ichs seine Schatten voraus. Die Entwicklung im Gebiete der Atlantis brachte die wichtige Sonderung von Saturn-, Sonnen-, Jupiter- und Marsmenschen. Die Venus- und Merkurrassen (Malaien und Neger) kamen vom alten lemurischen Kontinent nach Asien und Afrika, die Saturn-, Sonnen-, Jupiter- und Marsrassen aber brachten ihre Anlagen auf dem atlantischen Kontinent zur Entfaltung. Vom atlantischen Kontinent beginnen dann die großen Wanderungen der Unterrassen. Im Zeichen der in der Sintflut versunkenen Atlantis steht unsere Kultur und unser weiteres gemeinsames Menschenschicksal, von dem nun, an der Hand der alten Kulturen, die Rede sein muß ...

XVI.
Die Erde ein lebendiges Wesen

Das Geoid, das wir Erde nennen, kann seine Jahrmillionen alte Vorgeschichte nicht verleugnen. Seit der atlantischen Epoche zu scheinbarer Ruhe gekommen, trägt es die Menschheit bis zum Tage, da es seine Rolle ausgespielt haben wird, um in die nächsthöhere Zustandsform überzugehen, der die Geheimwissenschaft den Namen »Jupiter« gibt. Als Träger alles Lebens ist unsere Erde selbst ein lebender Organismus, in einem beständigen Kampf gegen die von außen chaotisch einwirkenden Einflüsse, der Sonne, voran, begriffen, die allerdings anderseits auch das Leben auf der Erde garantieren. Der gegenwärtige Erdenzustand vereinigt in der Hauptsache den Lebens- und den chemischen Äther (beide mit saugender und zusammenziehender Wirkung), um die erreichte Kräfteanordnung zu erhalten, indes die auseinanderstrebenden das Zentrum fliehenden Kräfte des Licht- und des Wärmeäthers die gasförmige Atmosphäre rings um die Erde erfüllen und diese mit einem Wärmemantel gegen den übrigen Kosmos abschließen. Aus dem »erhabenen Wechselspiel« von Tag und Nacht, Chaos und Ordnung, Sommer und Winter, Sonnennähe und Sonnenferne gehen alle atmosphärischen und meteorologischen Erscheinungen hervor. Die Erde beginnt bei Sonnenaufgang auszuatmen; sie führt ihren Atmungsprozeß mittags und nachmittags durch, fängt gegen Sonnenuntergang einzuatmen an und führt den Einatmungsprozeß bis gegen drei und vier Uhr morgens zu Ende. Die Beobachtung des lebendigen Erdorganismus und der dabei auftretenden rhythmischen Vorgänge eröffnen denn auch Einblick in das Geheimnis der Erdumdrehung; sie erklärt sich durchaus aus Tätigkeiten innerhalb der Erde selbst und ist keineswegs etwa bloße mechanische Umdrehung eines toten Körpers durch »unbekannte und noch unerforschte« Kräfte, sondern eine Folge der rhythmischen Vorgänge innerhalb der ätherischen Bildekräfte des Erdorganismus. Die drei lebendigen Naturreiche sind nach dem geistigen Gesetz der Polarität in Kreuzesform angeordnet: der Mensch, aufrecht, mit dem Haupt nach oben, das Tier, waagrecht und die Pflanze mit dem Haupt (Wurzel) nach unten, bilden das erhabene Symbol der an das Kreuz des Weltenleibes geschlagenen Weltseele (Plato). Auch Schwerkraft und Erdmagnetismus finden an der Hand der Erkenntnis von der ätherischen Struktur des Erdorganismus ihre zureichende und einleuchtende Begründung. Allerdings eröffnet die Geheimwissenschaft, eben auf dem Wege, das Geheimnis des »Magnetismus« zu erhellen, den Ausblick auf eine ganz neue Auffassung von der Natur der Sonne. Der Magnetismus hängt einzig und allein von der Wirksamkeit des Lebensäthers ab; die Sonne, keineswegs der glühende Gasball, als der sie von der exakten Naturwissenschaft aufgefaßt wird, ist von Lebensäther erfüllt und stellt einen substanzlosen Hohlraum dar, ein Loch, dahinein alle substantiellen und nichtsubstantiellen Inhalte des Weltenraumes strömen, ein Zustand, der an die geheimnisvolle Tatsache des Brennpunktes einer Linse erinnert, darin sich die Glut des Sonnenstrahls ansammelt und aufspeichert. Nicht weniger erstaunlich als dieser von der Geheimwissenschaft erschlossene Komplex von Tatsachen wirkt endlich ein Blick in das Innere der Erde. Im festen Erdkörper wirkt der Lebensäther, die anderen ätherischen Kräfte kommen bloß in abgetönten Veränderungen zur Wirkung. Der Kern der Erde gehört dem Wärmeäther an und besteht, nach neuesten Angaben (Nippoldt), aus glühenden Gasen von Eisen, Nickel und Kobalt und das Erdinnere stellt in bezug auf die Verteilung der ätherischen Kräfte eine genaue Umstülpung der außerhalb der Erdrinde herrschenden ätherischen Struktur des Erdorganismus dar, ein Vorgang, der sich auch bei anderen makrokosmischen und mikrokosmischen Organismen wiederholt. Die Sphären des Erdorganismus verlaufen folgendermaßen: Wärmeäther wirkt in der äußeren (atmosphärischen) Erde und im Erdinnern, beidemal an den äußersten Punkten, des weiteren der Lichtäther und der chemische Äther; die Erdfeste, vom Lebensäther beherrscht, stellt die mittlere Zone zwischen den je drei Sphären der äußeren und der inneren Erde dar. Das Wärmegebiet bildet eine Art Brücke zwischen den verschiedenen Welten, der Mensch ist als ein allen diesen verschiedenen Gebieten gemeinsam zugehöriges Wesen in das Ganze eingeordnet. In den Ätherarten verbergen sich zugleich die menschlichen Bewußtseinszustände. Raum und Zeit treten erst mit dem Wirken der ätherischen Bildekräfte auf. Im Räume liegt der geheimnisvolle Übergang vom Wesen zur Erscheinung. Jedenfalls ist der Wärmeäther das erste Agens (das erste Wirkende) der Welt gewesen. Die Zeit gehört schon der Erscheinungswelt an. Die Entwicklung der Welt verläuft also nicht nur zwischen »Urnebel« und »Wärmetod«, sondern zwischen Raumbejahung und Raumverneinung. Aus dem abstrakten Begriffsspiel des Kantianismus und Neukantianismus wird das Raum- und Zeitproblem durch die anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft ein Gegenstand »wirklichkeitsgemäßer und lebensvoller« Forschung. Von hier aus führt die Anthroposophie auch zu neuen Anschauungen über das Licht und die Farben. Der Kreis des Spektrums der Natur und des Lichtes umschließt zwei Welten. Die sogenannte »voraussetzungslose Wissenschaft« ist nur ein Aftergebilde, eine Wissenschaft um den Weltenleichnam; auch sie hat freilich eine und noch dazu eigenartige Voraussetzung: den Dünkel derer, die sie betreiben. Wäre sie imstande, die Menschheitsgeschichte bis zu dem Augenblick zu verfolgen, da der Mensch ohne sein »Zutun« sein Wissen aus den geistigen Welten empfing, so würde sie sich bald außerstande sehen, atheistische Allüren anzunehmen: denn sie hätte damit den wahren Gottesbeweis in Händen ...


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