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Viertes Kapitel
Die Geheimwissenschaften in den ersten vier Jahrhunderten

I.
Die Urchristen

Die Tatsache, daß der Christus Jesus eine kirchliche Gemeinschaft begründet hat, steht fest; im hohenpriesterlichen Gebet ringt der Erlöser um die Einheit der Kirche; sie ist eine Voraussetzung für den Sieg seines Werkes auf Erden. Das erste sichtbare Zeichen, das die urchristliche Gemeinschaft nach dem Tode des Christus Jesus gibt, ist die Pfingsterleuchtung. Im übrigen schildert die Apostelgeschichte selbst und mit sehr lebendigen Worten das Leben der Urgemeinden: »Sie blieben beständig in der Lehre der Apostel, in der Gemeinschaft, im Brotbrechen und im Gebet.« Die Lehre der Apostel ist also die Grundlage der christlichen Urgemeinschaft. Sie verkündigen das Evangelium, suchen es auszubreiten und zu befestigen. Da Christus die Apostel als seine Nachfolger auf Erden eingesetzt hat, ruhen bei ihnen, in ihre Lehre eingebettet, die Worte Christi. Freilich ist mit diesen Bemühungen, die Lehre Christi auszubreiten und zu befestigen, schon auch das Moment gegeben, das zur unvermeidlichen Scheidung eines esoterischen von einem exoterischen Christentum führt. Brotbrechen und Gebet deuten schon ganz bestimmt auf das Vorhandensein eines christlichen Kultes mit symbolisch bedeutsamen Handlungen. Der Kult der Urchristen besteht aus einem Propagandagottesdienst, zu dem auch Nichtchristen aller Bekenntnisse Zutritt haben, und aus einer nur für Christen bestimmten Weihehandlung. Öffentlich waren die Gesänge und die Predigt, geheim blieb die Eucharistie des Abendmahles, von der schon Paulus spricht. Nach der Pfingstpredigt des Petrus sind allgemeine Taufen eingeführt worden; mit dem Taufwasser verband sich die Einweihung in die christlichen Geheimnisse, die auch schon mit der Welt der Verstorbenen in Verbindung bringt. Die Taufe ist Reinigung und Erleuchtung zugleich; man schreitet in ihr vom Tod zur Auferstehung. Wird die Ehe im Epheserbrief ein Mysterion genannt, so wandelt die lateinische Übersetzung den Begriff des Mysterions in ein Sakrament um. Allerdings steckt im griechischen Worte »Mysterion« auch schon die menschliche Freiheit (die Ehe wird nur für die ein Mysterion, die sie im Geiste des Mysterions eingingen), indes sich der Begriff sacramentum alle Elemente jener Oberhoheit anmaßt, welche die katholische Kirche über das Eheleben ausübt. Es ist allerdings ein Irrtum, zu glauben, die Urchristengemeinschaft wäre etwa ein sozialer Organismus gewesen, der unseren modernen Anschauungen von einem solchen entspricht; ein Irrtum, der gern von denen wiedergekäut wird, die durchaus Vorläufer für die brutale Mechanisierung, Vermassung und Gleichmacherei unserer Zeit auch schon im Christentum suchen. Die Urgemeinschaft der Christen war weit entfernt davon, eine Art bürokratisch geregelter Lebensgemeinschaft zu sein. Niemand wurde gezwungen, sein Hab und Gut herzugeben oder zu verteilen, alle Hilfe kam und konnte nur aus dem freien Entschluß und aus der Begeisterung für die Sache selbst kommen. Die Christen waren Brüder, die sich liebhatten und einander halfen, keineswegs aber Genossen, denen man Organisationsbeiträge abpreßt. In ihrer Art gab die freie Christengemeinschaft das ideale Bild eines glücklichen Zeitalters, das einst auf der Liebe Aller zu Allen ruhen würde. Sehr schön sagt Heinrich Rittelmeyer: »die erste Gestalt der christlichen Kirche glich derjenigen eines kleinen Kindes, das auf seinem Antlitz den Glanz des Himmels trägt, daraus es herabstieg, das aber noch nicht fest auf der Erde stehen kann«.

Um aber klar zu durchschauen, wie sich dieser ideale Zustand später entwickelt hat, darf niemand vergessen, daß das Urchristentum in eine Zeit fällt, die nichts weniger als geeignet war, die Geheimnisse des Mysteriums von Golgatha zu verstehen. Die alten Mysterien starben aus, der Zusammenhang mit der übersinnlichen Welt war fast gänzlich verloren, die Denkkraft schon hauptsächlich auf Begriffe abgedrängt und irregeleitet. Der römische Rechtsgeist tat ein übriges; er eröffnete den neu gewonnenen christlichen »Begriffen« ein reichliches Diskussionsgebiet für dialektische Unterhaltungen und begriffliche Spitzfindigkeiten. Der Christ hatte ein Bekenntnis, das Schattierungen zuließ und suchte. Kirchenparteien und Konfessionen standen auf, gestützt auf »Wahrheiten«, die, glücklich oder unglücklich »formuliert«, Anlaß zu Streit, Ausschließungen und Sektenbildungen boten, so daß schließlich kein Torso dieser Art für sich in Anspruch nehmen konnte, im Besitze der allein wahren Religion zu sein. Je stärker die lebendige Christuskraft in den Urchristen abzuklingen begann, desto wichtiger schien, nach vorchristlichen Offenbarungen zu suchen, die das Christusereignis schon im Keime enthielten und voraussagten. Im alten Testament, bei den griechischen Philosophen, fand sich eine Fülle brauchbarer und ohne Zweifel beweiskräftiger Stellen, die mit Fug bezeugten, daß die ganze menschliche Vergangenheit auf das Christentum vorgerichtet war, so daß sich im Christentum nur erfüllte, was man lange schon kannte und wußte. Das Tasten nach Offenbarungen solcher Art nahm allerdings nach und nach auch die Sicherheit christlicher Erkenntnis. Wer sich ein Bild von diesen Strömungen, Unter- und Gegenimpulsen zu machen vermag, wird denn auch weit besser, als es die ersten Christen selbst vermochten, begreifen, wie die Gnosis, unmittelbar im Anschluß an das Urchristentum und dieses eine Zeitlang gleichsam repräsentierend, entstand, worin ihr Wesen wurzelte und aus welchen Quellen sich ihre Irrtümer zusammensetzen. Man muß von der Gnosis schon deshalb sprechen, weil in mystischen Kreisen unserer Zeit viel von neuer Gnosis die Rede ist, die sich für das kommende Wassermannzeitalter und die Jupiterphase der Erde sehr angelegentlich empfiehlt ...

II.
Die Gnosis als esoterisches Christentum

Unter Gnosis versteht man gewöhnlich eine Strömung, die, auf Offenbarungen verschiedener Art ruhend, Erkenntnis der Welt, des Menschen und Gottes im übersinnlichen Verstände verbindet und die, obschon sie auch ältere Mysterienquellen anspricht, in einer esoterischen Gesamtauffassung des Christentums als einer mystischen Tatsache wurzelt. Als Gnostiker bezeichneten sich zunächst die Ophiten (Schlangenbrüder), eine seit dem Anfang des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts hervortretende christliche Sekte, in deren Vorstellungswelt die paradiesische, aber auch die von Moses aufs Kreuz erhöhte Schlange eine mystische Rolle spielt. Die ältere, teilweise aber auch die neuere Forschung haben versucht, die einzelnen gnostischen Bekenntnisgruppen nach bestimmten Gesichtspunkten einzuteilen; Zusammenhänge mit dem Judentum als einer Vorstufe des Christentums betont Karpokrates aus Alexandrien (um 130), mit den vorchristlichen Religionen überhaupt Basileides (Alexandrien, ungefähr um 125) und Valentinus (Alexandrien, um 140), sowie die mit Valentinus vielfach übereinstimmende grundlegende Schrift »Pistis Sophia«; das Christentum als allein göttliche Religion betrachten Saturninos (Antiochia, um 125), Bardesanes (Edessa, um 170) und der Pontier Markion (um 150). Elemente parsischer Natur, die sich schon bei Bardesanes finden, faßt seit 240 der Parse Manes zu einem System (Manichäismus) zusammen, das noch zur Zeit des Augustinus in Blüte stand. Die Gnosis bekämpfend, entwickelt Clemens von Alexandrien Grundgedanken zu einer kirchlichen Gnosis, Origines aber ein System der christlichen Glaubenswissenschaft überhaupt. Die Gnosis ruhte ohne Zweifel auf hellseherischen Kräften, bemühte sich um tiefschürfendes Verständnis der spirituellen Hintergründe der Evangelien, den Christus als Gott gegenüber dem Jesus als Menschen betonend, indem sie zum Beispiel den am Kreuze hängenden Leib des Erlösers als einen Scheinleib erklärt oder, wie Basileides, behauptet, Simon von Kyrene sei statt des Christus am Kreuze gestorben. Leider trug der Eifer der Kirche, die alle Gnostiker als Häretiker behandelt hat, viel dazu bei, die schriftlichen Dokumente der Gnosis zu zerstören, die wohl einseitig genannt werden darf, aber doch schon, ob ihres hohen Enthusiasmus für die Mystik des Christentums, Beachtung verdient. Um die Mitte des zweiten Jahrhunderts taucht der phrygische Kybelepriester Montanus auf, in grandiosen Bußpredigten die physische Wiederkunft Christi und das »tausendjährige Reich« lehrend, ein Reich des heiligen Geistes, dessen Verkünder sich Montanus nannte. Trotz der heftigen Verfolgungen seitens der Kirche war später doch möglich, daß einer der angesehensten Kirchenlehrer, Tertullian, Montanist wurde und auf diese Weise am breiten Hineinströmen materialistischer Gesichtspunkte in die Kirche regsten Anteil nahm. So gerne man Montanus und die Gnostiker auch zusammenhält, wäre doch nichts verfehlter, als die Gegensätze zu übersehen, die gerade zwischen Montanus und den Gnostikern bestanden. Fußen die Gnostiker in entscheidenden Punkten auf der dionysischen Seelenverfassung, die ins Geisterreich erhebt, so verstrickt sich Montanus als strenger Asket völlig ins Irdische, womit er das Mönchswesen und allen späteren materialistischen Fanatismus begründet hat. Die Ursache dieses Mißverständnisses liegt vor allem darin, daß es den meisten, die auf dieses Thema eingingen, an Einsicht in das wahre Wesen der Gnosis vollkommen gebrach. Der Erste und Einzige, der das grandiose Problem der Gnosis in aller ihrer Einseitigkeit restlos erhellt und durchleuchtet hat, Rudolf Steiner, mußte bald zu seinem Erstaunen hören, die von Steiner begründete Anthroposophie wäre nichts als »aufgewärmte« und für das »moderne Bewußtsein« bearbeitete Gnosis. Anderseits hat das breite Wort- und Begriffsgerölle, das ins offizielle Christentum und namentlich in die katholische Kirche eindrang, die reinen Elemente des Urchristentums fast vollkommen verschüttet. Auch die sehr wichtige Tatsache, daß das Lukasevangelium einen Pfad von der Pistis zur Gnosis vorzeichnet, ist erst durch Steiner ans Licht gebracht worden. Das Lukasevangelium, das die Gestalt des Apostels Petrus fast ganz beiseite schiebt, enthält dennoch die eigenartige und merkwürdige Szene des Fischzuges Petri, die das Wesen des Christusimpulses sonnenklar enthüllt. Petrus erlebt hier, in einer ersten wesenhaften Begegnung mit Christus, das Wesen des Glaubens, der Pistis, als einer Angelegenheit, die vom Herzen, nicht vom Kopfe kommen darf; aus der Knospe der Pistis entfaltet sich die Blume der Gnosis. Geburt und Krise der Gnosis im Petrus sind deutlich wahrnehmbar schon in das Lukasevangelium eingezeichnet. Ist die Pistis im Herzen erwacht, so öffnet sich auch das Organ der Gnosis: die Inspiration. Zwei Schwerter glauben die Jünger zu sehen: die zweiblätterige Lotosblume öffnet sich, der »Durchbrach der Jünger zur Gnosis hat sich vollzogen«. Wundervoll präzis hat Rudolf Steiner einmal gesagt: »Die Juden bilden den Christus (bereiten ihn vor), die Griechen verstehen den Christus, die Römer werden Christen.« Die Gnostiker gehören zu der mittleren Gruppe; so einseitig sie nur das Göttliche des Erlösers ausbilden, so sehr bemühen sie sich, den Christus zu verstehen; ihre Quelle ist die griechische Urfassung der drei großen Evangelien (Markus, Lukas und Johannes), die noch den Kirchenlehrern der ersten drei Jahrhunderte maßgebend war. Clemens, Ignatius, Origines und Irenäus schrieben griechisch, erst Tertullian und nach ihm Augustinus bedienten sich der lateinischen Sprache. Ambrosius, Hieronymus und Augustinus vermählen den Geist des Christentums mit dem des römischen Staates: sie sind die wahren Begründer der römischen Kirche gewesen, indes die Gnostiker am griechischen Original festhielten, denn in ihnen lebte noch die beseligende Wärme des hellenischen Geistes.

III.
Irrtümer der Gnosis

Es liegt nicht im Rahmen dieses Buches, ein vollständigeres Bild von dem zu geben, was die Gnosis für das Urchristentum bedeutet hat, so interessant eine Untersuchung trotz vorhandener respektabler Arbeiten über das Thema auch wäre und so weitreichend die gnostischen Gedankengänge (von den lichtesten Höhen bis in die tiefsten Finsternisse des Satanismus und der Sexualität) das große Feld der Christusentwicklung beeinflußten. Sicher ist, daß die Gnostiker ein richtiges Gefühl dafür besaßen, um die kosmischen Hintergründe des Christusereignisses zu verstehen, müsse man in sehr weit zurückliegende Zeitläufte zurückblicken. Ohne Zweifel gibt es starke Berührungspunkte zwischen der Gnosis und der Theologie des Paulus. Die Welt im Blickfelde der Gnostiker hat nichts zu tun mit den Urgründen jenes Wesens, das durch Gedanken und Begriffe nicht erreicht werden kann. Dem göttlichen Urvater kann man nur durch unendliches Schweigen näherkommen, das außer Zeit und Raum bleibt. Zu des Urvaters in ewiges Schweigen gehüllter Welt blickt der Gnostiker stumm, wie diese selbst, auf. Aus der Hochzeit des Urvaters mit dem ewigen Schweigen werden die Welten und Wesen. Dreißig Stufen führen zu diesen Bereichen, die weit vor Zeit und Raum liegen, Aeonen genannt. Für die abendländische Zivilisation und für alles, was aus ihr hervorgegangen ist, umschließt der große Weltenzyklus, der mit dem Saturnzustand beginnt und mit dem Vulkanzustand die siebente Runde endet, bloß ein bestimmtes Stück Weltenentwicklung überhaupt, die mit dem mosaischen Schöpfungsbericht, das ist mit dem Eingreifen des Jahve (Jehova) einsetzt. Die Gnostiker tasten noch weit hinter diese Zeit zurück, auf einen Augenblick, da, nach griechischer Namengebung, das schöpferische Prinzip, der Demiurgos, zu wirken beginnt. Der Demiurgos selbst war den Griechen und den Gnostikern ein Wesen aus den höchsten Sphären der geistigen Welten, in denen noch nichts vom materiellen Dasein zu finden ist. Das Wesen Demiurgos setzt zunächst, selbstschöpferisches Prinzip, geistige Wesenheiten aus sich heraus, denen Schöpferkräfte mitgegeben sind, stufenweise hervorgebracht und geordnet. In ihnen hat man die Aeonen der Gnostiker zu sehen. Jahve (Jehova) selbst erscheint bloß als eines dieser dem Demiurgos untergeordneten Wesen, das sich zur Erschaffung des Menschen mit der Materie verband, eine Verbindung, daraus der Mensch eben hervorging. Man hat Jahve auf der dritten Stufe der Aeonen zu suchen, als Schöpfer einer Welt, die uns im Erdenleben sinnlich umgibt und in ihrer Gesamtheit den Namen Pleroma erhielt. Da gibt es nun wieder eine Wesenheit, in der die Erinnerung an die Herkunft aus dem Pleroma und vom Demiurgos lebendig fortlebt, Achamoth genannt, und ausgestaltet mit der Tendenz zur Rückkehr in den Demiurgos und durch ihn zum Urvater. Der Demiurgos, dem Streben Achamoths nach Rückkehr in die geistige Welt geneigt, entsendet einen sehr frühen Aeon in die Welt, Christus, der sich mit dem Jesusmenschen vereinigt. So umschwebt (worauf auch die Jakobsleiter deutet) den Christus Jesus ein hohes Geheimnis, dessen Merkmale der Demiurgos, der erste und der zweite Aeon mit dem Pleroma, Jehova als dritter Aeon, verbunden mit der Materie und rückgestrahlt durch Achamoth, und endlich der Mensch im Jesus sind. Die Vorstellung von den Aeonen, in Griechenland und Kleinasien in bestimmten Mysterien in sehr verschiedener Art gepflegt, verknüpft mit dem Pleroma das Grundgut des Gnostizismus, gewahrt und gehütet durch nahezu vier Jahrhunderte, nach deren Ablauf die Möglichkeit menschlicher Pleromaerkenntnis verschwindet und anderen Bewußtseinsentwicklungen weicht. Solange die Kenntnis des Pleroma in den Menschen der alten nachchristlichen vier Jahrhunderte vorhanden war, gab es kein Denken in unserem Sinne. Die Erkenntnis des Pleroma war nur durch Entwicklung des übersinnlichen Bewußtseins zu erlangen. Die Gedanken, die in den Menschen dieser Art und dieser Zeit lebendig waren, dürften mit vollem Recht als aus der Offenbarung empfangen bezeichnet werden. Durch viele Jahrhunderte hindurch hat die Menschheit das Bewußtsein einer geistigen und ewigen Lichtwelt gleichsam als vertrauliche Mitteilung des Pleroma empfangen. In einem späteren Zeitpunkte könnte die Rede davon sein, wie sich ein groteskes Widerspiel dieser Pleromawelten und Offenbarungen (Verwandlungen in Satyre, Faune und Bock- oder bärenartige Wesen um die Wende des vierten Jahrhunderts), als Ausklang der Gnosis hinüberflüchtet nach dem Osten, im besonderen nach den Gegenden am Ural, an der Wolga und im Kaukasus: teuflische Vorboten und Wahrzeichen des Bolschewismus, einer Ausgeburt ahrimanischer Magie, geröstet an dem Feuer luziferischer Triebe. Zurückkehrend zu den Geheimnissen der Gnosis ist nun zu zeigen, wie auf der untersten Stufe die göttliche Weisheit Sophia lebt, mit den übrigen 29 Aeonen verbunden, aber durch das Begierdenleben verschleiert und verdunkelt. Sophia, um die Erkenntnis des Pleroma rein zu bewahren und die Verbindung mit dem obersten Aeon lebendig zu erhalten, muß die Begierde abgeben, die nun in der Raumeswelt umherirrt und alle Räume durchdringt. Sieht das Menschenauge die Welt, ohne den Zusammenhang mit der geistigen Welt zu bewahren, so erblickt es die begierdenerfüllte Welt Achamoths, abgetrennt vom Vatergott, vom Sohn des Vatergottes und vom reinen heiligen Geist. Die menschliche Seele, durch Achamoth in die materielle Welt versetzt, lebt in der Sehnsucht nach der göttlichen Sophia. So sind der Demiurgos der Griechen und der Gnostiker, als Schöpfer und Erhalter dessen, was mit Achamoth lebt, vom Begierdenwesen und materiellen Neigungen erfüllt. Die Sehnsucht auf Erden stammt eben daher, daß Achamoth einen Augenblick das Gotteslicht der ewigen Weisheit und unserer Vergangenheit sah, aber bald wieder aus dem Bewußtsein verlor. Es ist überaus wichtig, diese Grundzüge der Gnosis so klar als möglich zu erfassen, weil sie dann später in neuen Brechungen und Strahlungen im Gral wiederkehren und in dem auftreten, was sich mit der Erscheinung des Rosenkreuzertums verbindet.

IV.
Licht- und Schattenseiten der Gnosis

Die christliche Gnosis hat ihre Licht- und Schattenseiten. Die Ideen (obzwar dieses Wort nicht einmal entfernt ausdrückt, was davon in der okkulten Wissenschaft als Erkenntnis lebt) der Gnostiker sind grandiose Erleuchtungen von genialer Konzeption, bewunderungswürdig durch die Art, wie der Gottessohn in das Weltbild der Gnosis eingestellt wird. Die Gnosis sieht in Gottes Sohn »eine über alles hinausgehende, in den geistigen Reichen wurzelnde Wesenheit«. Sie begreift, daß die Christuswesenheit durch drei Jahre im Leibe des Jesus von Nazareth wohnte, aber das Geheimnis des Jesusleibes selbst ging den Gnostikern nicht auf; unbekannt blieb ihnen, daß die drei Leiber des Jesus von Nazareth, in ihrer Zusammenfügung, eine Menschheitssubstanz darstellten, die vorher und auf der Erde niemals im Fleische verkörpert war. Das Mysterium der beiden Jesusknaben blieb ihnen verschlossen. So schwebte denn über ihrer Christusvorstellung ein Dunkel, namentlich in bezug auf den Durchgang durch die fleischliche Empfängnis. Die Übereinstimmungen zwischen der Mutter des Jesus von Nazareth und der Geburt des Christus bereiteten ihnen große Schwierigkeiten.

Um diesen Schwierigkeiten aus dem Wege zu gehen, durchhieben einige der Gnostiker den gordischen Knoten mit dem Schwert einer kühnen und phantastischen Annahme: daß nämlich der Leib, darin der Christus auf Erden wandelte, bloß ein Scheinleib war, ein astralisches Körperwesen, das da und dort, obgleich nicht physisch, erscheinen konnte. Die Menschen, die behaupteten, Christus in einem wirklichen Körper gesehen zu haben, hätten bloß Maya geschaut. Es ist schon angedeutet worden, daß das Zeitalter, darein die kurze Wirksamkeit des Christus Jesus auf Erden fiel, am allerwenigsten geeignet war, das Christusgeheimnis zu verstehen und zu durchdringen. Die Menschen der altindischen Kultur, von den Rishis erleuchtet, würden nicht die geringste Mühe damit gehabt haben, den Christus zu erfassen, allein diese selbst war durchaus nicht geeignet, einen Körper für die Christuswesenheit zu stellen. Die Eingeweihten der Zarathustra-Kultur wiederum hätten nur geringe Anstrengungen gebraucht, das Sonnengeisthafte des Christus zu begreifen. Im Erscheinen der drei Könige aus dem Morgenlande, drei idealen Vertretern der alten Magie und Sternenweisheit, drückt sich aus, daß auch der chaldäisch-ägyptische Kulturkreis die Fähigkeit besaß, den Christus Jesus zu verstehen. Die griechisch-lateinische Zeit aber, die durchtränkt war von ägyptischen und jüdischen Erkenntniselementen, eignete sich wohl zur Erstellung eines Leibes für die Christuswesenheit, ließ es aber im übrigen an Einsicht in das Christusgeheimnis selbst fehlen. Ist doch später, im Zeitpunkt der Heraufkunft der christlichen Theologie, das Wissen um den Christus Jesus selbst vollkommen ausgeschaltet und vom Glauben an den Christus abgetrennt worden! Um so eigenartiger berührt das Auftreten der Sibyllen im vierten nachatlantischen Zeitraum, das bis in die Zeiten des Mysteriums von Golgatha eindrang und in der Requiemstrophe »Dies irae, dies illa« mit den Worten »teste David cum Sibylla« zum Ausdrucke kommt. Hier beruft sich der Seher auf das Zeugnis Davids und der Sibylle. In der sixtinischen Kapelle, auf dem Gemälde Michelangelos sind, eingereiht unter die Propheten, die persische, die delphische, die erythräische, die lybische und die cumäische Sibylle zu schauen, in denen der Geist der Elemente und Naturgeister Gestalt gesucht zu haben scheint, Reste atavistischer Vererbung, lebendige und gespenstige Zeugen dafür, was aus der Menschheit geworden wäre, wenn in die Entwicklung der Menschen weder die griechische Philosophie noch die Christuswesenheit Eingang gefunden hätte: ein Chaos aus Elementen und Naturgeistern, das, eine wilde Jagd von Dämonen, vom Menschen restlos Besitz ergriffen haben würde. Der Christus Jesus zerstört die sibyllinischen Kräfte. In der vierten nachatlantischen, der griechisch-lateinischen, Zeit spiegelt sich ein geheimnisvoller Vorgang, dadurch hervorgerufen, daß das hohe Wesen der Hierarchie, das mit dem Christus durchsetzt war, die Planeten durchwandert und dort diese oder jene bestimmt bezeichnete Wesenheit geworden ist, auf dem Jupiter: Zeus, auf dem Mars: eben Mars, auf dem Merkur: Hermes, der von den Griechen auch wirklich Merkur genannt wird. Der Christus beseelt endlich auch jenes engelartige Wesen, das Denken, Fühlen und Wollen auf Erden in eine gewisse Ordnung gebracht hat. Von allen diesen Dingen und Erscheinungen ahnte die Gnosis nur dunkle Zusammenhänge; sie bewahrte wohl reine und scharf ausgeprägte Vorstellungen vom göttlichen Hintergrunde des Mysteriums von Golgatha, begründete aber zugleich auch die größte Gefahr: daß das Christentum die klare Erfassung seiner irdischen Aufgabe verlor. In der richtigen Empfindung, daß diese Gefahr nur abgewendet werden konnte, wenn man ihm selbst Grenzen zog, kam man dazu, einen Kanon der heiligen Schriften aufzustellen, von der vorchristlichen Zeit bloß das alte Testament mithineinzunehmen, Unter den christlichen Schriften (dem Instinkte folgend) aber bloß die als Offenbarungsbücher auftretenden auszuwählen und die Zeit der Offenbarungen damit für immer abzuschließen. Mit dieser Begrenzung des Aufgabengebietes geschieht zugleich eine Verdunkelung des Christuslichtes in den Kreisen jener, die berufen waren oder sich für berufen hielten, Nachfolger Christi auf Erden zu sein. Der Christus Jesus, das Erbe seines Erlösungswerkes den Aposteln und ihren Nachfolgern anvertrauend, hat niemals an die Begründung irgend einer irdischen Herrschaft gedacht, die, mit Machtmitteln versehen, dort Gewalt einsetzt, wo sie einzig und allein durch die Kräfte der Liebe wirken sollte. Ausdrücklich warnt der Erlöser vor der Anwendung von Gewalt: alles, was geschieht, um das Wort Gottes in der Welt zu verwirklichen, muß aus Liebe geschehen und im dienenden Geiste. Statt dessen atmen schon die Auslassungen der Kirchenväter gegen die Gnosis und gegen Montanus den Geist des Hasses, der Gewalt und des fanatischen Eifers, der so tief zu sinken vermochte, daß im Namen Christi Tod und Verderben über Unschuldige oder Übelberatene heraufbeschworen ward. Der Geist der Gnosis verhüllte vor diesem Treiben sein Haupt.

V.
Das Geheimnis der Kabbala

Es ist schon gesagt worden, daß das Mysterium von Golgatha die Ergebnisse aller vorchristlichen Mysterien in sich birgt und einschließt, so daß Leuten, denen es an tieferem Blick fehlt und die sich bloß an der Hand greifbarer Tatsachen vorwärtszubewegen imstande sind, das Christentum als ein Extrakt, eine Synthese des Judentums und der griechisch-lateinischen Kultur erscheint, die, um moderner zu sprechen, sozusagen die Spitzenleistung eines religiösen »Systems« darstellt. Eine ähnliche Verwirrung herrscht ja auch in bezug auf die sogenannten hermetischen Schriften, die, als Ereignis viel späterer Zeiten zu erweisen, viel philologischen und auch philosophischen Scharfsinn gekostet hat. In der Wissenschaftlichkeit der Neunziger jähre bis hinein ins 20. Jahrhundert tritt die geradezu fanatische Tendenz auf, das ganze Altertum, namentlich das sogenannte klassische, zu beschuldigen, es habe mit Vorliebe Verstecken gespielt, Pseudoschriften suspektester Art hervorgebracht und überhaupt seine Wonne darin gefunden, sich selbst, Gott und die Menschen zu foppen. Die Sache beginnt mit dem Pseudo-Demokritos, geht von den platonischen »Brieffälschungen« bis zu den pseudodionysischen Schriften und feiert ihren Triumph darin, die Kabbala als ein Produkt des 12. und 13. Jahrhunderts zu bezeichnen, weil der Sepher Jezirah und der Sohar erst um diese Zeit bekannt geworden sind. Der Umstand, daß sich Gedanken späterer okkulter Schriftsteller in der Kabbala finden, erscheint dieser Sorte von Wissenschaftlern als schlagender Beweis dafür, daß das hohe Alter der Kabbala keinesfalls stimmen könne. Der Fehler steckt da, handgreiflich genug, im Unvermögen, die Zeit des Auftretens gewisser Geheimüberlieferungen mit der Entstehung der Geheimlehre selbst als identisch zu setzen. Aus ebendiesem Grunde wird der Leser dieses Buches wahrscheinlich ein Haar darin finden, wenn schon an dieser Stelle, die von den ersten drei bis vier Jahrhunderten vor Christus handelt, also in unmittelbarem Zusammenhang mit der Gnosis, dem Urchristentum und der areopagitischen Engellehre, auch von der Kabbala die Rede ist, obgleich diese von der exakten Forschung in viel spätere Zeiten verlegt wird. Wohl sind zum Grundstock dessen, was das kabbalistische Wissen ausmacht, in späteren Zeiten auch spätere okkulte Bestände ohne Zweifel hinzugefügt worden, aber der Kern der Kabbala ist uralt. Daß es endlich hervorragende christliche Kabbalisten gibt, ist desgleichen nicht der geringste Beweis gegen die Annahme, neben den exoterischen Schriften des alten Testamentes habe es schon vor Beginn des Hebräervolkes eine Geheimüberlieferung gegeben, die sich von Mund zu Mund und durch geheimgehaltene Manuskripte fortpflanzte, unterirdisch durch die nachchristlichen Jahrhunderte lief und endlich, im 12. und 13. Jahrhundert, wieder zum Vorschein kam, als wunderlich gescholten, weil von mystischen »Spielereien« und »Zahlentändeleien« erfüllt, die kein Mensch auch nur einen Augenblick lang ernst nehmen dürfe. In der Tat sagt aber der Name Kabbala nichts anderes als »Überlieferung«, und man hat, ebenso wie in der Gnosis eine Geheimlehre des Christentums, so in der Kabbala eine Geheimlehre des Judentums zu erblicken, was dem modernen, durchaus bolschewisierenden und rationalisierenden Zionismus natürlich keineswegs in den Kram paßt, obgleich gerade ein richtiger, nationaler Jude auf das Wunderwerk der Kabbala mit vollem Recht stolz sein müßte. Diese flüchtige Betrachtung vorangeschickt, kann man nunmehr an eine Darstellung des Wesens der Kabbala schreiten, über die selbst unter sogenannten Okkultisten die wunderlichsten Phantastereien im Umlauf sind. Es gibt in den heiligen Schriften der Kabbala weder Träume noch Hirngespinste, so wenig man andere Wirkungen erzielt, als daß man sich lächerlich macht, wenn behauptet wird, die Pythagoräer, die der Kabbala ein starkes Element beimischten, hätten sich bedauerlicherweise in Zahlenspekulationen eingelassen, die kein vernünftiger Mensch gutzuheißen vermöge. Soviel auch in der Kabbala von Buchstaben und Zahlenwerten die Rede ist, es gibt nichts Exakteres als die Sepher Jezirah und den Sohar. Was macht denn überhaupt das Wesen der vielbelächelten und verspotteten Kabbala aus? Das Erdreich, aus dem die Kabbala hervorwächst, ist die Bibel, bis hinauf zu den Propheten, deren erhabensten Vertreter, Elias, die Kabbalisten gleichsam als einen Urgewährsmann im Offenbarungssinne verehren. Die Kabbala ist bestenfalls eine Geheimlehre für Wissenschaftler, aber sicherlich auch eine vollkommen ausgebaute und wohlfundierte Wissenschaft für Okkultisten aller Zeiten und Völker. Mit den Gnostikern hat sie die Setzung eines letzten, menschlichen und überirdischen Wesens, eines geheimnisvollen, unbegreiflichen, unaussprechlichen und in andächtigem Schweigen zu verehrenden obersten Prinzips gemeinsam, das die Griechen to on (das Eine) nennen, das jedoch, in der jüdischen Geheimüberlieferung, eine ganz bestimmte große Zahl von Namen aufweist: den En-Soph, von dem die zehn Sephirot als göttliche Urbilder ausstrahlen, den En-Soph spiegelnd und, in Stufen, die vier Welten Aziluth, Beriach, Jezirah und Asiah durchdringend, allgegenwärtig und doch determiniert, wie der schöpferische Gott selbst. Jezirah (Welt der Formen und Gestalten) heißt ja auch das Buch der Kabbala, das vorsichtigere Forscher in das neunte Jahrhundert verlegt haben, im Unterbewußtsein wohl davon unterrichtet, daß es mit dem neunten Jahrhundert in der Tat eine besondere Bewandtnis habe, wie man später sehen wird. Schon im zehnten Jahrhundert aber gibt es Stimmen, die ganz richtig behaupten, der Inhalt der Sepher Jezirah sei in Wahrheit uraltes Weisheitsgut, wenn schon nicht auf den Erzvater Abraham, so doch auf Rabbi ben Akkiba im zweiten Jahrhundert zurückführbar. In Mantua 1562 als hebräisches Original gedruckt, entwirft sie die Lehre von Gott und der Welt der Wesen, eingebettet in ein Zwischenreich, geoffenbart in den zehn reinen Sephirot und den 22 Buchstaben des hebräischen Alphabets. Die Naturgeister sind darin ebenso eingeschlossen wie die niederen Dämonen; sie alle beherrscht der ewige Herr und Gott von seiner ewigen Wohnung aus. Die Lehre von den Sephirot findet aber im Sohar ihre natürliche Fortsetzung, der »Glanz« bedeutet und, gleich Sepher Jezirah, eine Wunderwelt für sich darstellt.

VI.
Die »Spiegel der göttlichen Wahrheit«

Einen Grundgedanken der Kabbala bildet, wie schon erwähnt, die Lehre von den zehn Sphären, denen die zehn Sephirot entsprechen; sie bilden nach dem Buch Jezirah, zusammen mit den 22 Buchstaben des hebräischen Alphabets, die zweiunddreißig geheimnisvollen Wege der Weisheit, denen Jehova seinen Namen eingegraben hat. Die Ableitung der Bezeichnung Sephirot steht nicht fest; jedenfalls erweist gerade das Studium über die Herkunft des Wortes Sephirot die nahe Verwandtschaft des Hebräischen mit dem Griechischen. Sephirot ist die Mehrzahl von Sephirah. Die Klanggemeinschaft mit Sphaira, der griechischen Sphäre, fällt ins Ohr. In der Tat werden die Sephirot als konzentrische Kreise dargestellt und weisen auf die zehn Himmelsphären des pythagoräischen Weltsystems hin. In der späteren Kabbala (Rabbi A. K. Jrira) sind die zehn Sephirot: Spiegel der Wahrheit des göttlichen Wesens, ideale Geschöpfe seiner Weisheit, Darstellungen seines Willens, Behältnisse seiner Macht, Instrumente seiner Tätigkeit, Schatzkammern seiner Seligkeit, Verteiler seiner Güte, Richter seines Reiches, Attribute seiner Majestät, unzerstörbare Namen seiner Erhabenheit und Finger seiner Hände; daneben: Ausstrahlungen, Gewänder, Gesichter, Formen, Heiligtümer, Offenbarungen, in Stufen, die von ihm herab und zu ihm hinaufführen, Felder, Grenzen, Lichter, Feuer, Arten der Herrlichkeit, geistige Erscheinungsformen, Masse, Werte und Gewichte, Probiersteine und Kategorien. Jede Sephirah hat ihren Gottesnamen, ihre Engelsordnung, ihre Himmelssphäre, ihre Beziehung zum menschlichen Leib und ihren Grundsatz der Erkenntnis, ausgedrückt durch die zehn Gebote. Sie heißen: Kether, Chochmah, Binah, Ghesed, Geburäh, Tipheret, Nezach, Hod, Jesod und Malkuth. Kether trägt den Gottesnamen Ejeheh, gehört zur Engelordnung der Chajjoth (der himmlischen Tiere), zum Feuerhimmel und entspricht dem Gebot: »Ich bin der Herr, Dein Gott!«; ferner bedeuten Chochmah: Gottesnamen Jab, Engelordnung Ophanim (Räder), Himmelssphäre der ersten Bewegung und Gebot: »Du sollst keine anderen Götter haben neben mir!« Binah: Gottesname Jahve, Engelordnung Erellim (Stärken), Himmelssphäre Tierkreis, Gebot: »Du sollst den Namen Gottes nicht eitel nennen!«; Chesed: Gottesname El, Engelsordnung Chaschmalim (Glanzwesen), Himmelssphäre Saturn, Gebot der Sabbathheiligung; Geburah: Gottesname Eloah, Engelsordnung Seraphim, Himmelssphäre Jupiter, Gebot: »Vater und Mutter zu ehren!«; Tipheret: Gottesname Elohim, Engelsordnung Schinamenim (die Vielen), Himmelssphäre Mars (Sonne), Gebot: »Du sollst nicht töten!«; Nezach: Gottesname Zebaoth, Engelsordnung Tarschischim (die Gestrengen, Harten), Himmelssphäre Sonne (Mars), Verbot des Ehebruchs; Hod: Gottesname Eloah Zebaoth, Engelsordnung B'ne Elochim (Söhne Gottes), Himmelssphäre Venus, Verbot des Diebstahls; Jesod: Gottesname Elshaj (Lebendiger Gott), Engelsordnung Ischichim (Feuerflammen), Himmelssphäre Merkur, Verbot falschen Zeugnisses; endlich Malkuth: Gottesname Adonai (Herr), Engelsordnung Cherubim, Himmelssphäre Mond, Verbot: »fremdes Gut zu begehren«. Kether ist das Gehirn, Chochmah die Lunge, Binach das Herz, Chesed der Magen, Geburah die Leber, Tipheret die Galle, Nezach die Milz, Hod die Niere, Jesod das männliche Glied und Malkuth die weibliche Scham zugeordnet. Wie man sieht, ist also die Welt der Kabbala um des Menschen willen da und auf diesen bezogen. Vor der unseren hat es nach dem Sohar Welten gegeben, die bald nach ihrer Entstehung zugrunde gingen; es waren Welten ohne Gestalt, die, gleich Funken unter dem Hammer des Schmiedes, nach allen Seiten stieben und gleich wieder verschwinden. Der Bestand dieser alten Welten war deshalb unmöglich, weil Kether noch keine Gestalt angenommen hatte, weil Mann und Weib sich noch nicht schauten, Gnade und Recht einander noch nicht anblickten und der Demiurgos noch nicht an seinem Werke war. Der Mensch war noch nicht geformt und die Welt, für ihn bestimmt, mußte vergehen, weil ihr Zweck noch fehlte. Als das nun geschehen war, als der Funke Mensch (zur Saturnzeit) im Chaos der Wärme aufleuchtete, entstanden nun die zerstörten Welten neu, aber unter anderem Namen. So schließt denn die Gestalt des Menschen alles in sich, was im Himmel und auf Erden ist, die oberen und die unteren Welten; der Mensch umschließt auch alle Formen und ist in Wahrheit die Krone der Schöpfung, aber doch nur ein Abbild des himmlischen Menschen. Vom Himmlischen hat der irdische Mensch das Geschenk der Sprache, deren Alphabet astralen Ursprunges ist. Die Verbindung der 22 Buchstaben des hebräischen Alphabets mit den sogenannten Mondstationen (obzwar es deren 28 gibt) liegt auf der Hand. Die Buchstaben sind mit dem Finger Gottes geschrieben, und als Moses die ersten Gesetzestafeln im Zorne über das Tanz um das goldene Kalb zerbrach, flogen die Buchstaben der Schrift wieder zum Himmel zurück. Bedeutet in der Zahlenlehre der Kabbala die Eins den Geist des lebendigen Gottes, die Zwei den Geist aus dem Geist, die Drei das Wasser aus dem Geist, die Vier das Feuer aus dem Wasser, die Fünf die Höhe, die Sechs die Tiefe, die Sieben den Osten, die Acht den Westen, die Neun den Süden und die Zehn den Norden, so enthalten die 22 Grundbuchstaben (gleich den Zahlen mystische Wirklichkeiten von wesenhaftem Charakter) drei Mütter, sieben doppelte und zwölf einfache; er »grub und meißelte sie ein«, setzte sie in Beziehung, legte sie auf die Waage, maß ihnen Zahlen bei und versetzte sie, die im Munde an fünf Stellen angeheftet sind, an die Kehle, an den Gaumen, an die Zunge, an die Zähne und an die Lippen. Im Kreise sich drehend, verband er alle mit A und A mit allen, B mit allen und alle mit B, G mit allen und alle mit G, indem sie wieder an die alte Stelle zurückkehren. In den drei Müttern (A, M, Sch), der Waagschale des Verdienstes und der der Schuld, mit der Zunge, als vermittelnder Norm, steckt ein tiefes (»großes, verborgenes, verhülltes, mit sechs Siegeln verschlossenes«) Geheimnis. Es gibt drei Mütter in der Welt (Himmel, Erde und Wind), drei im Jahre (Kälte, Wärme und Hauch), drei im Körper (Kopf, Unterleib und Brust). Das A wurde König über die Luft, das M König über das Wasser, das Sch aber König über das Feuer. Mit den sieben doppelten Buchstaben (B, G, D, K, P, R und Th), die Leben, Friede, Weisheit, Reichtum, Anmut, Fruchtbarkeit und Herrschaft anzeigen, wird zugleich deren Gegenteil gesetzt: Tod, Bosheit, Torheit, Armut, Häßlichkeit, Unfruchtbarkeit und Knechtschaft. Auch die sieben Doppelten grub und meißelte Er ein, verband sie und bildete durch sie die Planeten, die Tage im Jahr, die Dimensionen, die Pforten im Körper, die sieben Himmel und Erden und Wochen, denn er liebte, in ihnen, die Siebenzahl!

VII.
»Alles Wissen aller Zeiten« in der Kabbala

Das B unter den sieben Doppelten machte er zum König der Weisheit, verband beide, den Saturn formend und den Sonntag im Jahr und das rechte Auge im Kopfe; G wurde zum König des Reichtums (Jupiter, Montag, linkes Auge); D zum König über die Fruchtbarkeit (Mars, Dienstag, rechtes Ohr); K zum König des Lebens (Sonne, Mittwoch, linkes Ohr); P zum König über die Herrschaft (Venus, Donnerstag, rechte Nasenöffnung); R zum König des Friedens (Merkur, Freitag, linke Nasenöffnung); Th aber zum König der Anmut (Mond, Sabbath und Mund). Die zwölf einfachen Buchstaben sind H, W, S, Ch, T, J, L, N, Sz, die anderen, A, Z, O, darstellend Sehkraft, Gehör, Geruch, Sprache, Geschmack, Beischlaf, Wirken (Arbeit), Gang, Zorn, Lachen, Denken und Schlafen, entsprechend den zwölf Sternbildern des Tierkreises, den zwölf Monaten des Jahres und den zwölf leitenden Organen des Körpers. Von den zwölf Organen des Körpers sind die beiden Hände zum Fassen (»Rauben«), die beiden Füße zum Jagen, zwei sind Ratgeber (die Nieren), zwei sind fröhlich (Magen und Milz), zwei grollen (Leber und Galle), zwei aber werden beraten (Speiseröhre und Därme), obgleich angeordnet, im Widerstreit miteinander zu stehen, Eines gegen das Andere, wie im Kriege. Das H wird zum König der Sprache (Widder, März-April, rechte Hand); W zum König über das Denken (Stier, April-Mai, linke Hand); S zum König über den Gang (Zwillinge, Mai-Juni, rechter Fuß); Ch zum König über die Sehkraft (Krebs, Juni-Juli, linker Fuß); T zum König über das Gehör (Löwe, Juli-August, rechte Niere); J zum König über die Werktätigkeit (Jungfrau, August-September, linke Niere); L zum König des Beischlafs (Waage, September-Oktober, Leber); N zum König des Geruches (Skorpion, Oktober-November, Milz); Sz (S) zum König des Schlafes (Schütze, November-Dezember, Gott); das andere A zum König über den Zorn (Steinbock, Dezember-Jänner, Speiseröhre); Z zum König über den Geschmack (Wassermann, Jänner-Februar, Magen); O zum König über das Lachen (Fische, Februar- März, Darm). Es gibt also also drei Mütter (A, M, Sch), die zugleich Väter sind (als aus ihnen gebildete Elemente Luft, Wasser und Feuer), sieben doppelte und zwölf einfache Buchstaben. Diese sonderbaren Zuordnungen und Andeutungen sind ohne Zweifel der Grund dafür gewesen, die Kabbala für ein Kompendium von Obstrusitäten, Monstrositäten, sinnlosen Spielereien und Tüfteleien zu erklären, das keinen vernünftigen Menschen beschäftigen dürfe, ohne daß er sich damit dem allgemeinen Gelächter preisgäbe. Nichtsdestoweniger steckt im Sohar wie in der Jezirah, eine Fülle von Wissen um die Welt, um das Göttliche und um den Menschen. Wir sehen Mütter, die einfachen und die doppelten Buchstaben, nur mehr als Zeichen unseres Alphabets, das bloß ein Gerippe und Skelett alter Sprachherrlichkeit darstellt, und nehmen uns kaum die Mühe, nachzuforschen, wie die einzelnen hebräischen Buchstaben zu ihren Zuordnungen gekommen sein mögen. Unser B hat gewiß nichts mit Weisheit und Sonntag zu tun, aber im hebräischen Worte Be-reschith, das »im Anfang« bedeutet, ist es offenkundig der Schöpfungsbuchstabe; unser G und der Reichtum sind gewiß weit voneinander entfernt, aber das hebräische Gimel, das zutragen, hinzufügen, häufen, werfen, vermehren und sammeln bedeutet, kann sich schon im Zusammenhange mit Fülle und Reichtum sehen lassen. Im D des Daleth, was Tür heißt, ist der Zusammenhang mit weiblicher Scheide und Fruchtbarkeit gegeben. Hinter allen diesen Zuordnungen birgt sich uraltes mystisches Gedanken- und Anschauungsgut des Orients. Die Kabbala, ein köstliches Ergebnis alter orientalischer Mystik, gemischt mit den Elementen des Christentums, das sich schon in der göttlichen Dreiheit und in der erhabenen Prophetenvision des Menschensohnes offenbart, ist erfüllt mit erhabenen Gedanken und tiefster Einsicht in die ersten und letzten Dinge. Sie enthält wahrhafte Geheimnisse, die »den Kindern der Welt« unverständlich bleiben. »Als der Verborgene«, so ist in einem Gespräch des Rabbi Simeon mit dem Propheten Elias zu lesen, »als der Verborgene der Verborgenen sich offenbarte, machte er zunächst einen Punkt (das J im Hebräischen hat die Gestalt eines dicken Punktes, der überhaupt das Grundelement der hebräischen Schrift darstellt), der zur Idee ward (zum M in Machshabah); in dieser schuf er alle Formen, bildete alle Figuren und gestaltete dann im verborgenen heiligen Lichte das Bild eines verborgenen, allerheiligsten Wesens, den Grundstein Kether, der, aus der Idee hervortretend, Anfang zum Bau der Schöpfung genannt wird. Er selbst, der Verborgene aber, ist vorhanden und nicht vorhanden und heißt: »Wer?«. Da er sich nun zu offenbaren wünschte, hieß er dann nicht mehr so, warf ein herrliches Lichtgewand über und schuf El(e)h, genannt »Dieses«. Aus El(e)h und dem Mi des »Wer?« ward Elohim, und wie sich Mi und El(e)h verbinden und mit den tieferen Stufen vereinigen, auf diesem Geheimnis ruht das ganze Weltall«. Man kann den tiefen Ernst und die hohe Schönheit solcher Gedankengänge kaum verkennen, ohne zugleich das Exakte der kabbalistischen Ontologie bis ins kleinste zu bewundern. Zu alledem behandelt die Kabbala in ziemlich ausführlicher Weise das Grundgeheimnis alles individuellen Seins in der Materie: die Wiedergeburt, in der Sprache der Kabbala ungenau Seelenwanderung genannt. »Der Mensch muß so lange auf die Erde kommen, bis sein Ichkern (alle Teile seiner Seele) von den Mängeln früherer Daseinsperioden vollkommen gereinigt ist.« In den Zusätzen zu dieser Lehre führt die Kabbala sogar Beispiele von Wiederverkörperungen an; so wird Rabbi Hammuna als eine »von den wiederholten Verkörperungen Mose« bezeichnet, und, weil der König Salomo die Tochter des Pharao zum Weibe nahm, die ihn in der Hochzeitsnacht zu Irrtum verführte, so daß er des Morgens nicht aufstand und die Juden dank seiner Abwesenheit im Tempel am Morgengottesdienst verhindert wurden, mußte er sich im Propheten Jeremias wiederverkörpern, zu dessen Zeiten der Tempel zerstört ward. Mordechai war ein wiederverkörperter Jakob, Haman aber Esau!

VIII.
Zauber und Spuk der Kabbala

Die Kabbala hat aber auch eine praktische Seite. In die Tat umgesetzt, stellt sie ein ungeheures System der Magie dar, das bis auf den heutigen Tag geübt wird, mit scheinbar harmlosen Zahlenkombinationen und Buchstabenversetzungen beginnend und von da vorwärtsschreitend zum gespenstigen Golem, der, eine besondere kabbalistische Gestalt, in der Volkssage auf den heutigen Tag weiterlebt. Die Kabbala ist ein riesiges, weit abgezweigtes Labyrinth von okkulten Erkenntnissen. Aus den Elementen der Jahvekultur, aus babylonisch-assyrisch-ägptischen Geheimlehren gemischt, stellt sie zugleich eine Zusammenfassung pythagoräischer Lehren, platonisch-aristotelischer Philosophie und neupythagoräisch-neuplatonischer Mystik dar, umschließt aber doch auch den Kern des Christus Jesus, der in ihr als lebendiger Urkeim ruht. Uridee und Urwille sind ihre Ausgangspunkte, ihr Rahmen ist der göttliche Weltenplan, der sich von Schöpfungszyklus zu Schöpfungszyklus ändert, so daß die Pläne und Entwürfe zur nächsten Runde immer schon im vorhergehenden Zyklus entworfen werden, der, in unserem Falle, mit der Vulkanwelt seinen Abschluß findet. Wer in Berührung mit ihren letzten und höchsten Geheimnissen tritt, wirkt auch schon auf höherer Ebene, und seine Machtsphäre wächst mit seiner Erkenntnis. Durch Meditation dringt der Kabbalist zum Mysterium des göttlichen Wortes vor, durch sein Gebet ruft er höhere Mächte, durch sein irdisches Begehren, sofern es ihn noch bewegt, die niedere Dämonenwelt zuhilfe, durch Selbstbeherrschung gelangt er in den Besitz übersinnlicher, wenn auch keineswegs übernatürlicher Kräfte (für den Kabbalisten erweitert sich die Sphäre der Natur zu unerforschten Möglichkeiten und Unendlichkeiten). Es gibt in gewissem Sinne weiße und schwarze Magie, auch in der Kabbala. Die weiße setzt Befolgung der göttlichen Gebote, Enthaltsamkeit, Keuschheit, Pflege und Läuterung der Rede, Schweigen und Einsamkeit voraus. Die dunkle Färbung, bei den Chassiden des 18. Jahrhunderts schärfer ausgeprägt, obgleich sicherlich schon zur Zeit des Apollonius von Thyana und der Gnostiker vorhanden, steht dem irdischen Leben und Treiben weit näher; sie birgt einen Fonds frischer und natürlicher Lebensbejahung, erfreut sich an den Reizen der Erscheinungswelt und zieht ihre Kreise bis ins Reich des Bösen, das aus der Notwendigkeit des Guten seine Satzung empfängt. Die Freude, sagt Rabbi Beer, fließt aus der göttlichen Wonne. Gleich dem Propheten Elias bückt sich der Kabbalist zur Erde und senkt sein Haupt zwischen die Knie, gleich den Mönchen auf dem Berge Athos; Psalmen und Hymnen bringen sein Ewiges in Harmonie mit dem All, sein Atem beginnt sich zu verwandeln und sein Gebet steigert sich zu höchster Brünstigkeit; er wird zum Baal Schem, dem Übermenschen der Kabbala, beherrscht die heiligen Zahlen, Buchstaben und Gottesnamen, erlangt Macht über die Menschen, sieht alles Kommende, ist Freund und Genosse der Engel, Bändiger und Befehlshaber der Dämonen, und die belebte wie die unbelebte Natur gehorchen seinem Wink; die Schlüssel Salomonis sind ihm zur Obhut übergeben, sechsunddreißig Talismane offenbaren ihm ihren höheren Sinn und auf seinen Siegeln, Charakteren und Amuletten erblüht schon die mystische Rose des Rosenkreuzes. Wer den Talisman Damabiach anzufertigen weiß, hat das Rätsel der Sphinx gelöst. Die heiligen Buchstaben, im Tarot lebendig, offenbaren bestimmte Kräfte, in den drei ersten, heiligen Zahlen sind Kether, Chochmah und Binah (Michael, Gabriel und Anaël) vereinigt, vier, fünf und sechs fassen Chesed, Geburah und Tipheret (Zadkiel, Samaël und Kassiel) zusammen, sieben, acht und neun Nezah, Hod und Jesod zusammenfassend, ergeben für Gabriel, Adonisam und Samathiel ein gemeinsames Feld, die Zehn aber kehrt zur Einheit zurück. Als große magische Zahl bleibt neun, die Zahl der Eingeweihten, ein hohes Symbol der Alchimie, an der Pforte zur Zehn als deren Vorläufer und Wegbereiter. In der Zahl einundzwanzig liegt der Schlüssel zum Tarot und die Zusammenfassung des ganzen universellen Wissens. Nach Henoch hat Moses, nach Moses Elias regiert, nach Elias der Christus Jesus. In diesem Bereiche spielt sich das Schicksal der Welt ab. Jeder Talisman, jedes Siegel, jeder Charakter und jedes Zeichen sind Symbole und Gefäße magischer Kräfte. Das Vollkommenste seiner Leistung ist dem Kabbalisten das schöpferische Prinzip in seiner Handhabung durch den mit Gott vereinten Weisen, der das Geheimnis der Schem Ha Mephorasch kennt und hütet. Bedeutet das geheimnisvolle Schem soviel wie Namen, so ergibt Schem Ha Mephorasch den alleinstehenden, heiligen Namen (den erklärten, ausgelegten und umschriebenen Gottesnamen). Das Tetragrammaton, die alte Formel JHVH, wird im Tempel für die Profanen durch Adonai ersetzt. (»Nicht wie ich geschrieben werde, werde ich gelesen, geschrieben werde ich Jahve [JHVH], gelesen aber Adonai.«) Die Kabbala kennt vier-, zwölf-, zweiundvierzig- und zweiundsiebzigbuchstabige Namen Gottes. In der gewöhnlichen Praxis der älteren Kabbalisten spielt der Schem I, IH, IHV, IHVH, pyramidenförmig mit IHVH als Grundlage und J als Spitze aufgebaut, eine große Rolle. Der »Zauberer« auf kabbalistischer Grundlage übt seine Kraft zu bestimmten Zeiten, die er astrologisch genau berechnet und denen eine längere Vorbereitung vorangeht. Von den sieben Tagen der Woche eignet sich jeder, unter einem bestimmten Planeten und unter dem Einfluß bestimmter Intelligenzen stehend, zu besonderen hohen Operationen, die zur Zeit des Wiedererwachens des Okkultismus (Papus, Ochorowicz, Stanislas de Guaita, Eliphas Levy) zu neuen Ehren und oft sehr mißbräuchlichen Anwendungen gelangt sind. Von kabbalistischem Geiste war auch Sar Peladan beseelt, dessen hochstehende Romane von kabbalistischer Magie aller Art erfüllt sind. Das Zeitalter der Entwicklung der Bewußtseinsseele weiß mit diesem Wunderbasar von Zeichen, Symbolen, Geräten und Handlungen nichts mehr anzufangen. Die »neue Gnosis«, die durchaus vorgibt, dem »kommenden Wassermannzeitalter« als der angeblichen Epoche der »mitleidlosen Liebe« zu dienen, dreht das Rad der Entwicklung in eine sehr unfruchtbare Vergangenheit zurück, indem sie sich von der Erneuerung der alten kabbalistischen Praxis besondere Wirkungen auf die menschliche Entwicklung verspricht.

IX.
Die Kabbala und das Zwischenreich

Um die praktische Anwendung kabbalistischer Erkenntnis auf magischem Wege zu verstehen und um zu wissen, worum es sich dabei handelt, muß man auf die Lehre von den verschiedenen Welten, die in Wahrheit nur Bewußtseinszustände (mathematisch ausgedrückt: Dimensionen) sind, zurückgreifen, eine Lehre, die von altersher allen Religionen und Mysterien bekannt ist. Es gibt drei räumlich voneinander nicht getrennte Welten: neben der physisch-materiellen, die Schauplatz und Tätigkeitsfeld aller Menschen ist, eine astralische (seelische) und eine devachanische (geistige) Welt. Der Mensch selbst ist ein Bürger dieser drei Welten; in der physischen lebt er sein körperliches Leben, und die Stoffe, aus denen sie gebildet ist, setzen auch seinen Leib zusammen; in die astralische tritt er mit seinem Tode, der sich als ein radikaler Wechsel des Bewußtseins darstellt, oder er lebt in ihr und ist mit ihr in Verbindung, als Eingeweihter und Adept der astralischen Bewußtseinsstufe. So wie die physisch-materielle Welt hat auch die astralische ihre Eigentümlichkeiten und Bedingungen; die Dinge erscheinen hier wie ein Spiegel, auch die moralischen, Zeit und Kausalität, ergeben ihre Umkehrungen; das Ende steht vor dem Anfang, die Wirkung vor der Ursache, und die Gedanken werden zu Wirklichkeit; aus Farben und Formen bestehend, wird sie von Farben und Formen durchflutet, nicht mit Gegenständen, wohl aber mit Wesenheiten verbunden. Die devachanische oder geistige Welt endlich ist eine Welt der Töne, die zu den Farben und Formen hinzutreten; hier lebt die Weltharmonie, hier erklingt die Sphärenmusik; sie birgt zugleich das Negativ aller Dinge, sie ist eine Welt von Entsprechungen oder Polaritäten und in Festländer, Meere und Luftkreis gegliedert. Die devachanischen Kontinente entstehen durch die Negative der physischen und irdischwesenhaften Dinge, die devachanischen Meere fluten als Leben und Seelisches durch diese Dimensionen, im Luftkreis des Devachans waltet die Welt der Empfindungen. So bilden die Dinge der irdischen Welt die Kontinente, die lebenerfüllten Bereiche die Meere und Lust und Leid den Luftkreis des Devachans.

Über dem Luftkreis gibt es eine (vierte) devachanische Welt, gleichsam als Übergang zur Grenze der geistigen; hier ist der originelle, der schöpferische und der impulsive Gedanke zu Hause, hier ist das »Neue« zu finden, das stets in die Weltentwicklung eintritt. Die Grenze der geistigen Welt aber wird vom Akasha gebildet, vom Erinnerungsäther, vom Weltengedächtnis, für das es weder Vergangenheit noch Zukunft, sondern bloß ewige Gegenwart gibt. Der Zwischen- und Übergangszone vom devachanischen Luftkreis zur Grenze der geistigen Welten entspricht aber auch eine Zwischen- und Übergangszone von der physischmateriellen zur astralischen Welt, ein Zwischenreich (Kamaloka), das von den Geistern der Abgeschiedenen und von Wesen, die auf gleicher Stufe stehen, erfüllt ist. Dieses Zwischenreich gibt die eigentliche Sphäre und Zone aller Magie und alles Spukes ab, als ein Ort der Begierden, aber auch der Läuterung, des alle Schlacken hinwegfegenden Feuers. Dort durchlebt der Mensch, nachdem er seine physische Gestalt abgelegt hat, die Zeit von der Todesstunde an bis zur Geburt. Vom Zwischenreich steigt er, je nach seinem Karma, zur astralischen Region und zu den Kontinenten, Meeren und Luftbereichen und zur vierten Region, zur Region der geistigen Urbilder auf, denn im Devachan bereitet er, vom getrübten Bewußtsein des Zwischenreiches befreit, seine nächste Erdenwanderschaft und seinen nächsten Körper vor; hier wirkt er, ein schöpferisches Wesen, an seiner und der anderen Seligkeit. Alle diese Welten sind von Myriaden von Wesenheiten und belebten Monaden erfüllt, vor allem die Bereiche, die über der physischmateriellen Welt liegen. Hier sind die Elementargeister der vier Naturreiche zu finden, an denen kein Adept, kein Magier vorbeikann, ebenso wenig wie der Mensch das Zwischenreich betritt, ohne dem großen und dem kleinen Hüter der Schwelle begegnet zu sein. Der Kabbalist ruft diese Wesenheiten, er beschwört sie, macht sie sich »dienstbar«, denn er kennt ihr Wesen, ihre Gestalt im Astralen, ihre Charaktere und Sigel, ihre Zeichen, Zahlen und Buchstaben, und es hängt nur von seiner Entwicklung ab, ob er im Zwischenreich und in der Sphäre der Elementargeister stecken bleibt oder zu den Engeln und Urbeginnen (Archei) aufsteigt, die die menschliche Stufe, von unten aus nach oben, zu den beiden höheren Hierarchien, fortsetzen. Darum spielt in der praktischen Kabbala das Dämonenwesen eine so große Rolle, die Welt der Dämonen, jener »wohlbekannten Schar, die strömend sich im Dunstkreis überbreitet, dem Menschen tausendfältige Gefahr von allen Enden her bereitet«; die Dämonen bewohnen eben jenes Zwischenreich, jenes Intermundium, jene sublunarische Welt, wie sie auch heißt, weil, wenn es Zeit und Ort für sie gäbe, die Zone zwischen Erde und Mond von ihnen bewohnt erschiene. Im Intermundium, im Zwischenreich, herrschen die Schedim (Dämonen im engeren Sinne), Massikim (Poltergeister und Kobolde im Spuksinne) und Ruchim (böse Geister) in ihrer eigentlichen Bedeutung. Unter den Schedim versteht der Kabbalist gefallene Engel, geflügelt, vergänglich und fortpflanzungsfähig, mit Phantomkörpern behaftet, die keine Schatten werfen, eine Zwischenstufe zwischen Tier und Mensch, untertänig dem Aschmedaj (Asmodäus, Asmodi), den sie als König erkennen; einer der Gottesnamen und Kenntnis der Eigentümlichkeiten eines solchen Dämons sind die besten Mittel im Kampfe mit ihnen. Die Massikim sind in erster Reihe Krankheitsdämonen, aufruf- und bannbar durch die magische Medizin. Die Ruchim endlich sind die herumirrenden Astralleichname Verstorbener, die bei den spiritistischen Sitzungen materialisiert werden können. Diese ungeheure Armee setzt sich in alle Teile des schier unendlichen Raumes fort; ihre Wesen haben teils die Natur der Tierkreiszeichen und Planetengeister, das heißt sie entsprechen ihnen und sind mit ihnen verwandt. Zu ihnen gehören bestimmte Metalle und Steine, Pflanzen und Blumen, Tiere und Zwischenwesenheiten aller Art; sie »beherrschen« Stunden, Schwingungen, Wochentage, Monate und Jahre. Sie umfassen, wenn man will, das Geistigseelische der niederen Welten.

X.
Das große Werk und die Helfer

Der Kabbalist beginnt sein Werk mit persönlichen Vorbereitungen; er kennt bestimmte Gebote, besitzt ein magisches Laboratorium, hat seine Steine, Essenzen, Kräuter, Öle, sein Zauberzimmer mit einem Altar, seine Formeln zur Beschwörung der Undinen und des Wassers, des Salzes und der Asche, der Gnomen, Sylphen und Salamander; er weiht seine Geräte, seinen Zauberstab, sein Zauberbuch, das alle Formeln und Geniennamen enthält, seinen magischen Spiegel, seine Talismane, seinen Stichel, sein Federmesser, seinen Kompaß, seine Tabelle der Mondstationen und der Planetenstunden, seine Anrufungen für jeden Tag der Woche, seine Zeremonien und Gebräuche, seine Gehilfin, seinen magischen Kreis, den er nach genauen Vorschriften zieht, und seine magischen Zahlenquadrate. Sieben magische Operationen, den sieben Planeten und ihnen entsprechenden Wochentagen Rechnung tragend, stehen in seinem Belieben; Gott, Macht, sexuelle Liebe, geistige Erkenntnis, Politik und Nation, Wetter und Katastrophe: es gibt nichts, was sich seiner Macht entziehen könnte. Die Geister beherrschend, wird er freilich oft ihr schreckliches Opfer, denn sie lauern nur auf den Augenblick, da er einen Fehler begeht oder einer Schwäche verfällt. Dann stürzen sich die Dämonen auf ihn und üben Rache an ihrem Meister. Noch heute gibt es Vereinigungen von Menschen, die mehr oder weniger, je nach Maßgabe der Macht und ihrer inneren Bosheit, auf kabbalistische und magische Weise Ziele verfolgen und Wirkungen anstreben, die öffentlich nicht verfolgt und angestrebt werden dürfen. Will man bei den ersten vier Jahrhunderten nach Christus bleiben, so gibt die kabbalistische Anrufungsweise, die Apollonius von Thyana zugeschrieben wird, interessante Aufschlüsse über die Sphäre und über die Seltsamkeiten, die einer Beschwörung im kabbalistischen Sinne eigentümlich sind. Das 19. Jahrhundert, das zugleich die Wiedererweckung des Okkultismus gebracht hat, vermaß sich sogar, den Geist des Apollonius von Thyana selbst heraufzubeschwören, damit er über eine Angelegenheit, die Eliphas Lévi und eine diesem nahestehende Dame interessierte, Auskunft gebe. Eliphas Lévi beschreibt den Gang der Beschwörung genau; es erscheint nach einiger Zeit Apollonius von Thyana, sieht aber anders aus, da ihn Eliphas Levy zwingen will, sich zu äußern, und die Operation nimmt keineswegs den gewünschten Verlauf. Eliphas Levi gibt in der »Geschichte der Magie« sogar das Bild des Apollonius wieder. Im übrigen überliefert der »Nyktemeron«, der dem Apollonius von Thyana zugeschrieben wird, ein genaues Verzeichnis der Genien und Dämonen und ihrer Entsprechungen. Nyktemeron bedeutet die »vom Tag erhellte Nacht (»taghell ist die Nacht gelichtet«, sagt Schiller in seiner »Glocke«) oder, angeblich, das Licht, das von der Finsternis begriffen wird, um mit dem Evangelisten Johannes zu sprechen. Die zwölf symbolischen Stunden, die den Zeichen des Tierkreises und den Arbeiten des Herkules entsprechen, sind Stufen der Einweihung. So lobsingen die Dämonen in der ersten Stunde, in der Einheit, die Herrlichkeit Gottes, indem sie ihre Arglist und ihren Zorn verlieren, durch die Zweiheit preisen die Fische des Zodiakus den Schöpfer, und die Feuerschlangen umwinden den Stab des Merkur; in der dritten Stunde singt das Feuer das Lob des Herrn, in der vierten, der Stunde der Beschwörungen und der goëtischen Praktiken, kehrt die Seele vom Besuch der Gräber zurück, in der fünften lobt das Wasser den Schöpfer der himmlischen Sphären, in der sechsten beweist der Geist seine Standhaftigkeit im Kampfe gegen die höllischen Ungetüme, in der siebenten wird das Licht des Lebens vom Willen reiner Menschen geleitet, in der achten offenbart sich die Übereinstimmung aller Wesen der Natur, in der neunten darf nichts geoffenbart werden (es ist die Stunde des Schweigens), in der zehnten liegt der Schlüssel zum Weltenzyklus, in der elften tragen die Engel Gottes Botschaft von Welt zu Welt, in der zwölften endlich erfüllen sich die Werke des ewigen Lichtes. Die Genien der ersten Stunde sowie alle weiteren sind, je sieben, mit Namen bezeichnet, die dem assyrisch-babylonischen Kulturkreise entstammen und die sich auch in der Mischna finden. Auch hier gibt es zwölf Stunden, die dem Geheimnis der Zahlen entsprechen. Nicht minder wichtig als diese Stundengenien sind die Intelligenzen, die den 28 Mondstationen zukommen, und die Namen der astrologischen Häuser, in denen sie wirken; Papus zählt sie schematisch auf, gibt genau an, zu welchen Operationen sie zu gebrauchen sind und wie die Talismane aussehen müssen, die mit ihnen in Verbindung stehen. Das ungeheure Reich der planetarischen Geister, zusammen mit den Genien und den Dämonen, das Reich der drei Engelshierarchien, eröffnen dem Kabbalisten tiefen Einblick in die Struktur der Gotteswelt. Den reinsten Ausdruck der Erkenntnis der Hierarchien aber findet man bei Dionysios, dem Aeropagiten, den die Apostelgeschichte erwähnt, von dem aber allgemein behauptet wird, daß er erst um 485 bis 515 gelebt habe. Hierarchien sind nach dem Aeropagiten eine heilige Stufenordnung, Erkenntnis und Wirksamkeit, begründet darin, daß sie den Weg zur Gottheit zurückweisen. Vom Menschen herauf steigend umfassen sie je drei Chöre von Wesenheiten: Engel, Erzengel und Urbeginne; Mächte, Gewalten und Herrschaften; Throne, Cherubime und Seraphine. Das Wissen um die neun geistigen Hierarchien ist ein wesenhafter Bestandteil des Christentums als einer mystischen Tatsache. Von ihnen muß, ehe das Bild der ersten vier nachchristlichen Jahrhunderte abgeschlossen wird, hier noch gehandelt werden.

XI.
Die Engelschöre

Die Engelchöre haben, nach Dionysios, in höherem Sinne als alle übrigen Wesenheiten unmittelbar teil am göttlichen Sein; sie sind als solche die ersten Instrumente und Organe der göttlichen Offenbarung; Engel (Botschafter) im wahren Sinne des Wortes. Sie schließen die himmlischen Ordnungen nach unten zu, gegen den Menschen hin, ab und bilden anderseits die höheren Wesensstufen über dem Menschen. Zwischen ihnen und den Fürstentümern stehen die Erzengel als Mittelstufe; gegen die Fürstentümer zu sind die Erzengel dem Urquell der Herrschaft nahe, gegen die Engel zu sind sie, mit diesen, erdennäher, aber in wohlgeordneter Leitung verbunden. Die Fürstentümer (archai, Urbeginne, Zeitgeister) endlich empfangen ihre Namen vom Fürsten der Himmel und alles Geschaffenen. Über den Fürstentümern stehen als unterste Stufe der zweiten Ordnung die Engelchöre der Gewalten (Exusiai); sie bilden eine »unverwirrbare Ordnung« zur Aufnahme der göttlichen Impulse und wirken auf die niederen Chöre im Sinne des göttlichen Prinzips; über ihnen besitzen die Engelschöre (Mächte, Dynamis) eine unvergleichliche Ausdauer und unerschöpfliche Aufnahmsfähigkeit für göttliche Erleuchtungen, indes die diesen übergeordneten »Herrschaften« (Kyriotetes) sich einer Herrschaft erfreuen, die keine Knechte kennt, sondern teilhat am Urquell der Macht. Die oberste Hierarchie endlich, die Triade der Reinigung, Erleuchtung und Vollendung, weht und lebt unmittelbar in den Sphären des schöpferischen Gottes und umfaßt, wiederum von unten nach oben, Throne, Cherubim und Seraphim; in unablässigem Reigen bewegen sie sich um Gott, den sie in herrlichen Lobgesängen preisen. Die Seraphine sind die Entflammer oder Erglüher, die Cherubime aber deuten, schon ihrem Namen nach, auf Fülle der Erkenntnis und Ergießung der »Weisheit«. Im Nachwort zu seiner Engellehre läßt Dionysios durchblicken, daß er nicht alles gesagt habe, »um die über uns hinausliegende Verborgenheit durch Schweigen zu ehren«. Man könnte nun meinen, daß die gesamte Dämonologie sowie die Lehre von den geistigen Hierarchien zu jenem mystischen Erkenntnisgute gehören, das einer früheren Erkenntnis- und Bewußtseinsstufe entsprach, daß aber »unsere Zeit« gerade dieses »wunderlichste und unglaubwürdigste« Kapitel des Okkultismus wahrscheinlich radikal fallen gelassen habe. Das gerade Gegenteil dieser Annahme trifft zu. Die Lehre von den geistigen Hierarchien spielt im Rosenkreuzertum und in der heutigen Anthroposophie eine zentrale Rolle. Der Ätherleib der Natur (das, was die Kräfte der Natur zum Leben aufruft) stellt eine unendliche Mannigfaltigkeit und Vielheit dar und birgt eine unübersehbare Legion differenzierter Wesenheiten. Zum Reiche der elementarischen Geister (Naturgeister) aufsteigend, kommt das forschende Bewußtsein mit einer Klasse von Wesen in Berührung, die noch Form und Gestalt aufweisen und als begrenztes Bild erscheinen, dann aber auch mit solchen Wesenheiten, die sich ohne Unterlaß wandeln. Wer in das Innere der Erde geistforschend eindringt, stößt auf die Geister der Erde, des elementarisch Irdischen; im Element der Wolke, des Wasserfalles, des Nebels und Regens auf die Naturgeister des Wasserartigen im Reiche der Pflanzen; im Elemente der Luft auf blitzartig aufleuchtende Wesenheiten, die meteor- und irrlichtartig über unsere Erde huschen, endlich auf die Feuergeister auch in Same und Keim die Bewahrer alles Samens und Keimens. Wer die Kunst versteht, die Zeit vom Einschlafen bis zum Aufwachen bewußt zu erleben, dem verschwindet zunächst die physische Welt und auch die Sphäre der Naturreiche; der spirituellen Welt genähert, schaut er die Befehlshaber der Naturgeister, die den Gang der Jahreszeiten regeln und zugleich das darstellen, was man Astralleib der Erde nennen möchte; sie sind über alles, was Zeit und Raum betrifft, gesetzt, als Geister der Umlaufszeiten. Wer bis zu ihnen vorgedrungen ist, ohne daß er sein Ich (seine Erinnerung und die Stärke seines Gewissens) verlor, steigt zu den Planetengeistern auf; mit der Sonne verbunden, leuchtet sie ihm, auch wenn sie selbst untergegangen ist; der Geist der Erde endlich wird ihm offenbar! Die gesteigerte Wahrnehmung des Leibes führt in die Sinneswelt, in das Reich der Naturkräfte, die Imaginationen des Ätherleibes führen in das Reich der Naturgesetze, die Inspirationen des Astralleibes zum Sinn der Natur, zu den Geistern der Umlaufszeiten und die Intuition des Ichs zu den Planetengeistern und dem Geist der Erde. Der moderne, aufgeklärte, neusachliche Mensch läßt es mit unverhohlener Befriedigung geschehen, daß die Kräfte und Tatsachen des Lichtes, der Wärme, des Magnetismus, der Elektrizität, der Anziehung und Abstoßung, des Atomzerfalles und der Schwerkraft mit Namen bezeichnet werden, obzwar damit für das Wesen dieser Erscheinungen nicht das geringste erklärt ist, aber er sträubt sofort sein Kopfhaar und wird widerborstig, wenn man ihm sagt, daß es sich in der Geisterwelt nur um Namen für jene »Wesenheiten handelt, denen er unbewußt seine gelehrten Termini beilegt. Die Quelle zu den Lehren von den geistigen Wesenheiten und Hierarchien ist allerdings im Innenleben des Menschen selbst zu suchen. So erscheinen der Steinerschen Geisteswissenschaft die Hierarchien als Naturgeister, Geisterfüllung und Offenbarung (Engel, Erzengel und Archai oder Zeitgeister); das Erlebnis der Gruppenseelen, der Lebenserweckung ins Schöpferische als die Geister der Form, der Weisheit und der Bewegung und endlich, als Geister der Umlaufszeiten, die wesensschaffende Geistkraft und das weltschöpferische Geheimnis: als Throne, Cherubime und Seraphime. Der Mensch hat die »Gabe«, die Möglichkeit zur Lüge, er kann den Wahrheiten der übersinnlichen Welten seine Unwahrheiten als Widerspruchsgeist entgegensetzen. Diese Möglichkeit haben die Engel nicht; würden sie zu lügen versuchen, so wäre ihr wesenhaftes Bewußtsein auch schon verloren. Der Augenblick, da Wesenheiten der dritten Hierarchie das Gelüste verspürten, ihre Natur zu verleugnen und ihr Wesen an einer Art Außenwelt zu erleben, gekennzeichnet durch den Aufruhr der Engel und die große Schlacht im Himmel, ist in der Bibel für das Gedächtnis der Menschen auf immer bewahrt. Er brachte die Entstehung der luziferischen und der ahrimanischen Geister, zusammengefaßt in die beiden Hauptimpulse der Menschheit: Luzifer und Ahriman!

XII.
Ein Blick auf die äußere Welt dieser Zeit

Den Blick zurückwendend auf Urchristentum, Gnosis, kabbalistische Strömung und dionysische Engellehre, sie als Erscheinungen zusammenfassend in das Blickfeld der ersten vier Jahrhunderte nach Christus, mag nicht ohne Nutzen sein, auch das Äußerliche dieser Epoche ins Auge zu fassen. Im Räume des letzten vorchristlichen Jahrhunderts erlischt langsam die Philosophie der Stoiker (mit Poseidonios und Arios Didymos), der Epikuräer (mit Lukretios und Philodemos), der Skeptiker (mit Anesidemos), der Eklektiker (mit Potamon von Alexandrien), aber das Licht der Neupythagoräer (Nigidius Figulus) scheint auf, das auch im Apollonius von Thyana brennt, und noch Philo von Alexandrien, der hebräisierende Platoniker, schöpft aus den alten Mysterienquellen. Die ersten zwei Jahrhunderte nach Christus umfassen mit Seneca, Epiktet und Marc Aurel die leisen Übergänge zum Neuplatonismus, die Ausläufer des Skeptizismus (mit Sextus Empirius), die Neupythagoräer und Neuplatoniker (Nikomachos von Gerasa) und Philostrates, Plutarch von Chaeronea, Numenios, Apulejus, Galenus und Celsus (die man mit einiger Berechtigung eklektische Platoniker nennt) und die alexandrisch-römische Neuplatonikerschule mit Ammonias Sakkas, aber schon vom ersten ins zweite Jahrhundert gibt es etwas ganz Neues im Geistesleben und parallel mit den Neuplatonikern laufend: die Kirchenlehrer (Flavius Justinus, Irenäus, Tertullian, Clemens von Alexandrien und Origines). Bis gegen den Anfang des sechsten Jahrhunderts, bis zum staatlichen Schluß der neuplatonischen Schule (529), wirken die großen Geister des Neuplatonismus (Plotin, Porphyrios, Jamblichos, Theodoros von Asine, Plutarch von Athen, Syrianos, Proklos, Simplikios und Damaskios) noch neben den Philosophen der Kirche, Augustinus, Synesios, Nemesios, Marc. Capeila u. Cl. Mamertinus, Aeneas von Gaza, Cassiodor, Johannes Philoponos und Boethius. Im 6. Jahrhundert aber schließt der Neuplatonismus seinen erhabenen Mund; die Kirche als Verdrängerin des Geheimwissens behauptet das Feld, in den Raum des Geistes Isidor von Sevilla, Maximus Confessor und Beda Venerabilis entsendend. Die kirchliche Wissenschaft, die Kirchenlehrer mit Alcuin und Hrabanus Maurus, mit Johannes Scotus Eriugena, Heiricus von Auxerre bis zu Sylvester II. (Gerbert) und Berengar von Tours fortsetzend, mündet über das schicksalsreiche neunte Jahrhundert in die Hauptscholastik, die gleich einer geistigen Sintflut hereinbricht. Der Aufstieg der kirchlichen Wissenschaft vor den Scholastikern wird nur von spärlich auftretenden griechischen und arabischen Koryphäen begleitet, wie Johannes Damaskenos, Photios, Arethas und Psellos, von Alkindi, Alfarabi, den »lauteren Brüdern«, von Alhazen und Avicenna, von Algazel, Ibn Bajda, Ibn Tophail und Averrhoës, aber auch von gewaltigen Juden, wie Sandja Pajjumi, Avicebron und Moses Maimonides, im Anfang des XII. Jahrhunderts. Man muß in die Fülle des Unbeachteten in den Evangelien zurückgreifen, um die Entwicklung des petrinischen Christentums und der kirchlichen Wissenschaft zu verstehen und richtig zu werten. Ich habe schon darauf hingedeutet, daß es zwei charakteristische Merkmale des Petrus gibt: seine Johannesnähe und seine Judasnähe. Auf dem Thema Petrus und Johannes einerseits und Petrus-Judas anderseits ruht ein Geheimnis tiefster Art. Die Johannesnähe des Petrus bleibt bis Ostern und Pfingsten verborgen, wo sie sich zu entfalten beginnt: die Peripetie des Petrusdramas, der Absturz aus der Johanneshöhe in die Judastiefe geschieht vor Cäsarea Philippi. Durch das Erlebnis der Blindgeborenen-Heilung zur sechsten Stufe der Einweihung gelangt, zerschellt er an der siebenten, an dem tieferen Verständnis für den Opfertod Christi. Lazarus, der bis zur siebenten Stufe gelangte, ist der Träger der christlichen Einweihung, Petrus, der bloß die sechste erreichte, der Träger des Priestertums. Das kirchliche Christentum, seine »Realität« bisher nur zu den drei ersten sakramentalen Stufen erhebend, besitzt wohl auch die Kenntnis der vier anderen Mysterien, die über das Persönliche ins Kosmische hinausführen (Abendmahl, Trauung, Priesterweihe und Sterbesakrament), aber in der Art des Erlebens blieb selbst diese Erkenntnis nur auf der dritten Stufe. Auch vom Mysterium der fünften Stufe sinkt das kirchliche Christentum hanghaft auf die dritte Stufe zurück. Nur so erklärt sich die irdische Einmischung und die vormundartige Stellung der Kirche in Sachen der Ehe, nicht minder, wie die Übertragung des Begriffes »Sünde« auf alles Geschlechtliche. Steht die Kirche den Gefahren der fünften Stufe hilflos gegenüber, so hat sie wiederum das Mysterium der sechsten Stufe (der Priesterweihe) nicht christusmäßig zu entwickeln vermocht. Die Schlüsselgewalt des Petrus wird von ihr als Vollmacht zu persönlicher Absolution gedeutet. Vor Cäsarea Philippi offenbart sich die Größe und zugleich die Grenze der Petrusgestalt; man gewahrt seine Relativität und damit zugleich die Relativität des petrinischen Christentums überhaupt. Es ergibt sich die große Schicksalsfrage, warum nicht Johannes, sondern Petrus den Auftrag des Erlösers empfing, warum, schon im ersten Stadium des kirchlichen Christentums, Priester und Eingeweihte zwei verschiedene Gestalten sind. Im Auftrag des Christus Jesus ist von den »Pforten der Hölle« die Rede, welche die Kirche, auf den Petrusfelsen gegründet, » nicht überwältigen werden. Den Pforten des Himmels, zu denen der goldene Schlüssel paßt, stehen die Pforten der Hölle gegenüber, die, nach altem Geistgesetz, zugleich aufgehen, wenn das Tor des Himmels geöffnet wird. Wem sich der Himmel öffnet, der muß mit den Dämonen des Abgrundes ringen (»abgestiegen zu der Hölle«, heißt es im christkatholischen Glaubensbekenntnis). Petrus ist der Erdenfels, er hat den Schlüssel, aber er ist nicht der Mann der offenen Himmelstüre. Sein Christusschauen lebt als Glaube fort, nicht als Christerkenntnis. Solange Petrus die Kirche führt, hat das Christentum Zeit, seine Kräfte für die große Dämonenschlacht, den Kampf aller gegen alle, zu sammeln. Das tausendjährige Reich geht zu Ende, Satan wird entfesselt, seine Dämonen werden frei, Petrus übergibt Johannes die Führung, die sechste und siebente Stufe reichen sich die Hand, christliches Priestertum und christliche Einweihung vereinigen sich in dieser großen Stunde. Die Kirchenlehrer von heute stehen fast ohne Ausnahme zum Priester, nicht zum Eingeweihten!

XIII.
Die Kirche und ihre Sprache

Auf dem Kreuze, daran der Erlöser hing, war eine Tafel in drei Sprachen angebracht: hebräisch, griechisch und lateinisch, zugleich symbolisch die Wege weisend, die das Christentum ging: vom Judentum zum Griechentum und Römertum. Die hebräische Kultur war die Geburtsstätte des Christentums, dem Urchristentum gab die griechische Kultur Sprache, Form und Ausdruck, und durch das Römertum, durch die lateinische Sprache, schlug das Christentum als Weltreligion seine Wurzeln in die Kultur aller Völker. Sind die Spuren der hebräischen Herkunft und des Durchganges durch den römischen Geist auch heute noch vorhanden, so hat sich der griechische Anteil am Christentum leider zur Gänze verloren. Mit Ausnahme des Matthäusevangeliums war die Urschrift der Evangelien, über die Paulusbriefe bis hinauf zur Apokalypse, in griechischer Sprache verfaßt. Zur Zeit des Urchristentums, in der das Neue Testament entstand, hat man auch das alte Testament nur in griechischer Sprache gekannt. Tatsächlich sind die Septuaginta und die alte hebräische Bibel zwei sehr verschiedene Dinge. Die Vertreibung des Griechischen und die Wahl des Lateinischen als Sprache der Kirche gehört zu den tragischen Kapiteln, an denen die äußerliche Geschichte des Christentums wahrhaftig nicht arm ist. Aus der griechischen Sprache und dem griechischen Geist zog das Urchristentum seine magische Kraft und Schönheit. Am Beginne des vierten Jahrhunderts aber war das Christentum schon römische Staatsreligion; ohne den Christus in sich zu erleben, wird der Römer gezwungen, Christ zu werden, sich äußerlich taufen zu lassen. Die die Taufe vollzogen, waren oft ebenso weit entfernt vom Christus wie der Täufling in diesem Augenblick. Dem römischen Christentum zuliebe ward die griechische Form und Schale zerbrochen. Mit der griechischen Sprache verschwand aber auch der geistige Anteil am Christentum als einer mystischen Tatsache. Die Kirchenlehrer der ersten drei Jahrhunderte sprachen, lehrten und schrieben griechisch, erst Tertullian schrieb und sprach lateinisch; er ist der wahre Urheber des Kirchenlatein geworden, das nun Ambrosius, Hieronymus und Augustinus vollendet beherrschten und schrieben. An die Stelle lebendiger Einsicht in das Mysterium von Golgatha, trat das Dogma, eine Formel, die, starr und unbeweglich, den Geist vorzeitig entweichen ließ. Das Licht der Offenbarung dunkelte ab, es war fast gar nicht mehr vorhanden, als Luther seine Bibelübersetzung unternahm, sprachlich ein Meisterwerk, als Übertragung im exoterischen Sinne aber eine Quelle von Irrtümern und Fehlern, die, aus dem lateinischen Geist hervorgegangen, durch ihn sanktioniert worden sind. Tertullian, der den Kampf gegen Montanus damit schloß, daß er selbst Montanist wurde, öffnete durch die Annahme der lateinischen Sprache dem montanistisch-materialistischen Kirchengeiste Tür und Tor. Schritt für Schritt ging der griechische Anteil am Christentum unter; mit dem römischen Geiste verquickt und durch die Vulgata Staatsdokument geworden, ward das Christentum der Kirche zu einer Angelegenheit dieser Welt, interessiert an Machtfragen und Politik. Zwischen Corpus juris und der lateinischen Bibel, zwischen diesen beiden Säulen innerer Verderbnis, trat die Kirche Petri ihren Triumphzug in die Welt an. Noch Clemens von Alexandrien, Lehrer des Origines, schöpfte aus dem klaren griechischen Quell, auf seinen Reisen ohne Zweifel mit alten Mysterienstätten in Berührung. In den Schriften des Clemens »waltet noch zwischen den Zeilen ein heiliges Schweigen, das Abgründe ahnen läßt«, Origines aber, der, noch immer, mehr weiß, als er sagt, bemüht sich schon, so klar und deutlich und volkstümlich zu schreiben, wie nur möglich. Mit Recht verweist ein Kapitel in den Bibelbetrachtungen der »freien Christengemeinschaft« darauf, daß mit Origines, dem ersten Philologen in der menschlichen Geschichte, auch der Geist des Kommentars auftaucht, als ein deutliches Zeichen dafür, daß das lebendige Verständnis des Originals längst verlorengegangen ist. Ohne Schonung seiner selbst, bemerkt Origines im Anfange seiner Schrift über das Hohe Lied: »Apostel und Evangelisten konnten ohne Schaden apokryphe Schriften verwenden, denn der heilige Geist lehrte sie noch, was auszuwählen und was zu verwerfen war. Mit großer Ehrfurcht und heiliger Scheu steht Origines den Evangelientexten gegenüber. Er klagt aber über das abnehmende Verständnis des göttlichen Sinnes bei denen, die sich der heiligen Schrift bedienen; immer größer wird die Sucht, sich an den Buchstaben zu halten, immer geringer das Bedürfnis, zu allem, was in der Bibel steht, die geistigen Gegenbilder zu finden. Von Origines stammt die tiefsinnige Lehre über den dreifachen Schriftsinn: der Einfältige mag sich am Fleische der Schrift ergötzen, der Fortgeschrittene an ihrer Seele, der Vollkommene an ihrem Geiste, denn so wie der Mensch aus Leib, Seele und Geist besteht, so auch die dem Menschen zum Heil verliehene heilige Schrift. Viele Stellen der Bibel haben überhaupt gar nichts Körperliches mehr, so daß man bloß nach der Seele und dem Geist der Schrift suchen muß. Das alles stirbt mit dem Einzug des römischen Geistes in das Christentum dahin, der die römisch-katholische Universalmonarchie des Mittelalters vorbereitet. Der Zeitgeist der vierten Epoche erreicht in Thomas von Aquino den Höhepunkt. Schon zu Christi Zeiten aber sind die Germanen daran, in die Weltgeschichte einzutreten. Der Strom der Völkerwanderung ergießt sich durch ganz Europa, und im Vordergrunde der Entwicklung stehen die fränkischen Germanenstämme, vom Christusimpulse ergriffen, obschon ursprünglich ein rohes und hartes Volk. Im 9. Jahrhundert übernimmt es die Führung, im rauhen Schicksal geglüht und geläutert, und aus seinem Geiste heraus wird der Parsifal geboren, das Geheimnis des Grals gelüftet und der Same zu dem gelegt, was als rosenkreuzerischer und johanneischer Impuls bis auf den heutigen Tag in der Welt wirksam ist.


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