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Sechstes Kapitel
Der Stein der Weisen

I.
Mißverständnisse und Tragödien

Die Suche nach dem Stein der Weisen und die Arbeit am Stein bind das Zentralgeheimnis aller Geheimnisse. Sie umfassen die gesamte Tatsache des Lebens, die Welt der Erscheinungen wie die der ewigen Wirklichkeit, sie stellen die Wissenschaft aller Wissenschaften, die Philosophie aller Philosophien dar, sie sind der Gegenstand aller Gegenstände, die Kategorie aller Kategorien, und ihr allein dient die erhabene Kunst der Alchimie, die jahrhundertelang den Geist aller außerordentlichen und »wahren Philosophen« beschäftigt hat. Als Kernpunkt der rosenkreuzerischen und der christlichen Einweihung bildet die Arbeit am Stein der Weisen den vierten, zentralen Grad der okkulten Entwicklung, der alle Vorbedingungen für die drei nächsten höheren Grade in sich birgt. Schon in diesen ersten Feststellungen liegt aber der Grund dafür, warum gerade die Alchimie von den Abkömmlingen und Nachzüglern der »Aufklärungsepoche« und von allen Teilnehmern an der Walpurgisnacht des Materialismus und reinen Verstandeswesens übereinstimmend für den größten Unsinn erklärt, der Stein der Weisen selbst aber für einen plumpen Schwindel abgefeimter Schwärmer gehalten wird. Leute wie Kopp, Schmieder und in neuerer Zeit Lippmann, die ihr Karma dazu trieb, mit halbem Herzen an der Sache hängend (gleich Kiesewetter, dem fleißigen Historiker des Okkultismus), der erhabenen Idee der Alchimie auf ihre Weise (als Kärrner und Materialsammler) zu dienen, selbst diese Forscher wagen, vor sich hinstammelnd, es handle sich hier um einen der »merkwürdigsten Irrtümer der gesamten menschlichen Kulturentwicklung« keineswegs, das Geheimnisvolle, Anziehende und Spannende der metachemischen Erfahrungswissenschaft in Abrede zu stellen; sie bleiben nur, um sich nicht selbst zu verlieren, fest dabei, daß dieser Wahn, einer der »phantastischesten« überhaupt, »niemals, im Verlaufe von zwanzig Jahrhunderten« auch nur zu dem »geringsten, nachweisbaren Ergebnis« geführt hat, womit sie allerdings feierlich eine Lüge aussprechen, die jederzeit durch verläßliche geschichtliche Dokumente entkräftet werden kann. Nur wer im Punkte Alchimie so absolut ahnungslos ist, wie Lippmann, kann nach altem deutschen Brauch ein so dickes zweibändiges Buch darüber schreiben, das von falschen Deutungen und unwissenschaftlichen Deduktionen geradezu strotzt. Da aber die Wissenschaft so wenig und vor allem so wenig Richtiges über Alchimie weiß, braucht der Laie und Durchschnittsgebildete durchaus nicht betrübt darüber zu sein, wenn seine Vorstellungen von Alchimie noch um einige Grade primitiver sind und wenn ihn mit jener Wissenschaft nur die Dreistigkeit verbindet, die zum Unwissen noch den Spott gesellt und aus einer ganzen Reihe der erhabensten Geister Idioten macht, die sich nicht scheuten, ihre bedauerliche »Torheit« öffentlich vorzutragen und für das Geheimnis, das sie im Herzen trugen, unter Qualen zu sterben. In der Tat weiß der Durchschnittsmensch von heute über Alchimie nicht mehr, als daß sie ein Verfahren darstelle, aus niederen Metallen, wie Kupfer, Blei oder Zink, Gold zu machen. Dem gewöhnlichen Gehirn genügt in der Regel die Annahme, die Alchimisten hätten ein geheimnisvolles rotes Pulver besessen, zu dem sie auf verschiedene Art und Weise kamen, das sie aber selbst und aus Eigenem niemals hätten darstellen können. Allerdings sind die Wissenschaft, ebenso wie der Laie, der diese anbetet, ein wenig stutzig geworden, seit die modernen Strahlen- und Atomspezialisten gewisse Erfolge in der Zertrümmerung der Atome erreicht haben, die beweisen, daß es mit der Unzerlegbarkeit der Elemente schlecht steht, und seit das Rätsel des Radiums und Heliums den Lehrstühlen arge Verlegenheiten bereitet. In der Tat wird denn auch heute zugegeben, die Überführung von Metallen in Gold und Silber sei praktisch wohl durchaus möglich, aber die Kosten eines solchen Verfahrens wären so hohe und das Quantum des erzielbaren Edelmetalls sei so gering, daß es sich absolut nicht »lohnen würde«, Gold auf künstliche Weise herzustellen. Treibt man diese klugen Nützlichkeitsschwätzer aber durch die Feststellung in Verlegenheit, daß es sich gar nicht darum handle, sondern daß die alten Alchimisten ganze Stangen Goldes mit zwei oder drei Körnchen der Tinktur, auf geschmolzenes Blei oder Kupfer geworfen, zuwege brachten, so lächeln jene Klugschwätzer sehr verbindlich, lassen aber doch merken, daß man eben »naiv« genug sein müsse, solchen Erzählungen zu glauben. Anderseits sind die zahllosen Schriften der Alchimisten so dunkel und absichtlich irreführend, daß die meisten, von einem Strohfeuer des Interesses gepackt, bald davon ablassen und sich lieber vernünftigeren Dingen zuwenden. Am ehesten sind noch Dichter für glimpflichere Behandlung der Alchimie zu haben, sofern sie sich dazu herablassen, die Geschichte der Alchimie bei Lenglet oder, meinetwegen, auch bei Schmieder zu studieren, bei dieser Gelegenheit aber zu der überraschenden Erkenntnis kommen, daß die Geschichte einzelner Alchimisten an erschütternder Tragik überaus reich ist und daß nur ganz wenige Adepten der Kunst, denen die Arbeit am Stein gelang, ihr Leben auf angenehme und natürliche Weise beschlossen, indes die meisten, die, in Verbindung mit bösen Kräften, zu Teilerfolgen auf dem Gebiete der »Goldmacherkunst« gelangten, in katastrophaler Weise zugrunde gingen. Fiel doch Lenglet, der die Geschichte der Alchimie oft wegwerfend und ironisch behandelte und sich an spöttischen Bemerkungen über die Rosenkreuzer nicht genug tun konnte, eines Tages, am Kamin seines Studierzimmers eingeschlafen, in das Feuer des Ofens und verbrannte jämmerlich ...!

II.
Die tabula smaragdina

Alchimie, oder die geheime Kunst der Verwandlung, gekrönt durch den Stein der Weisen, deutet schon durch ihren Namen auf Zusammenhänge mit ägyptischer Herkunft, womit natürlich gar nichts über ihr Alter und den Zeitpunkt ihrer Entstehung überhaupt gesagt wird. Es gibt Leute, die mit einiger Berechtigung darauf hinweisen, daß die Erschaffung der Welt durch den Demiurgos, geschildert im Mosaischen Schöpfungsbericht, einen grandiosen alchimistischen Prozeß darstellt, den der Adept im kleinen wiederholt, sich die Rolle eines Schöpfers anmaßend. Wie dem immer sei, zu einer zureichenden Einsicht in das Wesen der Alchimie kann nur gelangen, wer seine Vorurteile und sein Vorwissen, schon in der Schule gesammelt, ablegt, um sich für ein Ding von solcher Erhabenheit frei und empfänglich zu machen. Daß die Silbe AI in Alchimie den arabischen Artikel bedeutet, indes Chemie (chemet) die ursprüngliche Benennung des alten Ägypten war, als eines Landes der »schwarzen Erde«, daß Hermes, der Initiator der altägyptischen Kultur, mit seiner Tabula smaragdina, der Urkunde der Alchimie, zugleich den Stammvater der hohen und geheimnisvollen Verwandlungskunst darstellt, läßt sich selbst dem befangenen Intellekt ohne Schwierigkeiten begreif lieh machen; gewohnt, ethymologischen Spielen ein geeignetes Ohr zu schenken, findet auch der skeptischeste Beobachter okkulter Zusammenhänge ohne Mühe wohl merkwürdig, aber doch durchaus glaubhaft, daß Noahs Sohn Cham hieß, welcher Name im Worte Alchimie genügend Platz hat, schon da er dem ägyptischen Ausdruck für Erde sicherlich verwandt ist. Das Zeitalter der Tabula smaragdina läßt sich nicht bestimmen. Nach Zosimos schrieb Hermes die durch Dämonen übermittelten Grundsätze der Alchimie als Erster nieder, und zwar in einem umfangreichen Werke, das auch andere Handfertigkeiten und Kunstgriffe behandelte; Hermes schrieb auf Tafeln, die verlorengingen oder absichtlich verborgen wurden, bis sie der ägyptische König Nechepso wieder fand, dem die Götter zugleich die Gabe der Einsicht in den Sinn dieser geheimnisvollen Dokumente verliehen. Der König selbst gilt als eine mythische Erscheinung der ptolemäischen Frühzeit, das kommt aber gar nicht in Frage, denn über diesen Umstand liegen keine weiteren Berichte vor. In der Tat sind später zwei Tafeln dieser Art bekannt worden: die Tafel von Memphis und jene Tabula smaragdina, von der hier die Rede ist. Die Tafel von Memphis, angeblich an einem Felsen bei Memphis gefunden, soll in griechischer und koptischer Sprache die folgende kurze Weisung enthalten haben: »Himmel oben, Himmel unten, Sterne oben, Sterne unten; alles, was Oben ist, ist auch Unten. Nimm es hin und es bringe dir Glück.« Näheres darüber ist nicht bekannt geworden, jedenfalls liest sich der Text dieser Tafel gleichsam wie ein fragmentarisches Konzept zu jener anderen Urkunde, der »smaragdinischen Tafel«, die, nach der Sage, Alexander der Große im Grabe des Hermes fand, die den Untertitel »de operatione solis« trug und dem Abendlande gegen 1200 n. Chr. in lateinischen, übrigens nicht durchwegs gleichlautenden Texten bekannt war. Sie hat einen unverkennbar feierlichen Ton und hieratischen Offenbarungscharakter; es existiert eine ganz kurze Fassung nach Doradaeus, die, frei übersetzt, ungefähr so lautet: »Es ist wahr, sicher und das Wahrste überhaupt: das Obere trägt die Natur in ihrem Innern und steigt von der Natur wieder nach Oben; es gibt einen Weg, beides zu verbinden! Die rote Sonne ist in dieser Verbindung der Vater, die weiße Luna (der Mond) die Mutter, das dritte, als feuriger Herrscher, tritt hinzu. Das Dichte mach dünn und führe es ins Dichte zurück! So hast du den Ruhm der Welt.« Eine schöne Version gibt Graf Bernhard vom Jahre 1453: »Wahr ist, ohne Lüge und gewiß und von allem das Wahrhaftigste: was unten ist, ist auch oben, was oben auch unten, zu vollbringen die Wunder eines einigen (einzigen) Dinges, und gleichwie alle Dinge von und aus dem Einem geschaffen sind durch den Ratschluß, den Willen und das Gebot des Einigen: also entspringen und kommen alle Dinge von diesem einzigen Dinge durch sonderbare Zuneigung und Fügung (Dispositione). Die Sonne ist sein Vater, der Mond seine Mutter, der Wind hat es an seinem Bauche getragen, seine Ernährerin und Säugamme die Erde; es ist der Urheber aller Vollkommenheit in der ganzen Welt. Wenn seine Kraft in Erde verwandelt wird, ist sie vollkommen. Du mußt das Grobe (Erdige) vom Feinen scheiden, das Feine vom Groben, ganz lieblich und durch eine große Geschicklichkeit! Es steiget von der Erde in den Himmel und vom Himmel wieder zur Erde und nimmt in sich auf die Kraft des Oberen, wie des Unteren. Also hast du die Herrlichkeit der ganzen Welt in Händen und derohalben werden Dunkles, Armut und Verachtung von dir ablassen, denn dieses Eine ist aller Stärke stärkste Stärke: es überwindet alles Subtile und durchdringet doch auch alle dichten und festen Körper. Also ward die Welt erschaffen, und von ihm werden seltsame Wunder gewirket, deren dieses ein Muster und Beispiel ist. Darum bin ich Hermes Trismegistos (der dreimal Größte) genannt, weil ich habe die drei Teile der Weisheit der ganzen Welt. Also hat sich erfüllet, was ich zu sagen hatte von dem Werk und der Wirkung der Sonne (des Goldes).« Als das Interessanteste an dieser geheimnisvollen Urkunde, die der Ausgangspunkt eines »Jahrhunderte alten Wahnes« geworden ist, erschien etlichen Forschern die Frage, ob es jemals einen Smaragd von solcher Größe gegeben hat, der imstande gewesen wäre, einen verhältnismäßig so umfangreichen Text zu fassen. Die Erklärung, es habe schon in alten Zeiten etwas wie ein grünes Pflaster gegeben, beruhigte sie nur sehr unvollkommen ...

III.
Erläuterungen des Textes

Der unbefangene Leser der smaragdischen Tafel kann, wenn er bloß seinen natürlichen Verstand daran wendet, manches finden, was des Nachdenkens wert ist. Zunächst erscheint als ganz klar, daß der Verfasser des mystischen Textes eine Absicht damit verfolgte, Weisungen solcher Art zu hinterlassen, und es ist wenig wahrscheinlich, daß sein Text für die Öffentlichkeit bestimmt war; vermutlich sollte diese Unterweisung Adepten dienen, die einer Mysterienschule angehörten und zu denen man im übrigen durch bestimmte Symbole sprach, die in der Alchimie, wie später zu zeigen sein wird, eine so große Rolle spielen. Die Feierlichkeit des Textes gemahnt an die berühmte Stelle in Platons »Timaios«, wo, nach scherzhaftem Geplänkel in pythagoräischer Art, mit einem Glockenschlage gleichsam, der Vorhang vom Geheimnis der Atlantis gezogen wird. Zu einer der beliebtesten Beschäftigungen der exakten Philologen gehört bekanntlich das niedliche Spiel der Echtheitsriecherei, das der Erkenntnis alter Tatbestände der Geistesgeschichte manchen Schaden zufügt. So haben die platonischen Briefe lange daran glauben müssen, daß Platon sie niemals geschrieben hat, wie ja überhaupt die Vermutung, alte Denker hätten mit Vorliebe die Welt gefoppt, zu den Kennzeichen exakter Philologie gehört. Nichtsdestoweniger ist die smaragdinische Tafel vor dem Schicksal, für einen Aprilscherz oder einen antiken Grubenhund gehalten zu werden, auf den die gescheitesten Köpfe des Mittelalters und der Anfänge der Neuzeit glatt hereinfielen, bewahrt geblieben. Die hohen und ernsten Schwingungen, die von der grünen Tafel ausgingen, scheinen selbst ausgepichten Zynikern und Spöttern in die Augen gestochen zu haben, denn auch Lippmann, der emsige Erforscher der Alchimie, die er gleichwohl ausnahmslos für einen »Betrug« hielt, gibt zu, daß der hermetische Text, »bei aller Absonderlichkeit«, nichts enthalte, was »mit dem Geiste einer Zeit, die unbedenklich die bunten Elemente zu vereinigen pflegte«, weder nach der Form noch nach dem Inhalte »unverträglich« wäre. Die Formel: »es ist wahr, gewiß und über allen Zweifel erhaben« wird mit solchem Nachdruck und solchem Ernst ausgesprochen, daß sich diesem Ton wohl niemand entziehen kann. Auch scheint es, daß der Text der smaragdinischen Tafel nicht etwa ein Fragment aus einer größeren Abhandlung darstellt, sondern vielmehr, daß sie als ein Versuch zu werten ist, das hermetische Geheimnis auf die kürzeste, prägnanteste und zugleich deutlichste Formel zu bringen. Ohne Zweifel waren freilich gewichtige Gründe vorhanden, die den Schreiber bewogen, von seinem außerordentlichen Geheimnis nur in Andeutungen zu sprechen; das »eine Ding«, dessen Wunder zu schauen sind, wenn man beachtet was Oben sei, sei auch Unten und umgekehrt, beim Namen zu nennen, verbot er sich selbst, oder es war, von den Göttern verboten, davon zu sprechen. Damit ist schon ein wichtiger Gesichtspunkt für das Verständnis der Alchimie als einer im edelsten Sinne magischen Kunst gewonnen. Das Arcanum des einigen Dinges war für die profane Welt, am allerwenigsten aber für den profanen vulgus geeignet, und der Grund dafür liegt auf der Hand: war es möglich, durch gewissenhafte und wohlverstandene Ausführung des hermetischen Generalrezeptes für die Bereitung des Steines der Weisen den Ruhm der ganzen Welt zu erlangen, wandelte die Anwendung des Geheimnisses alles Dunkel in Licht, alle Armut in Reichtum und Überfluß und alle Verachtung in die grenzenloseste Hochachtung, so mußte die Jagd nach dem Geheimnis unvermittelt beginnen. Verlieh der Besitz des Arcanums die stärksten Kräfte unter den stärksten Kräften dieser Welt, dann konnte, wer sie errang, seine Macht schrankenlos nützen und mühelos eine Geißel der Menschheit werden. Man wird, und diesen Einwand habe ich aus dem Munde ernster Menschen nicht selten gehört, wohl darauf hinweisen, daß selbst der Besitz des einen Dinges keineswegs hinreiche, den Stein der Weisen selbst zu finden, daß also das Geheimnis in der Hand eines Unverständigen und Einsichtslosen wertlos wird. In der Tat könne das Geheimnis scheinbar ohne Bedenken verraten werden, da der alchimistische Prozeß selbst noch so viele Voraussetzungen, Fußangeln und geheime Tücken enthalte, daß der glückliche Finder des Schatzes nicht das geringste damit anzufangen wüßte. Dennoch: die Gefahr ist eben von anderer Art! Behauptet die Sage, die davon spricht, Hermes sei »durch Dämonen« in den Besitz des Geheimnisses gekommen, so wird damit ohne Zweifel ein Gefahrenkoeffizient angedeutet, der die Verantwortung der Verräter am Geheimnis ins Ungemessene steigert. Niemand, der um die Gesetze der okkulten Welten Bescheid weiß, Wird das Odium auf sich nehmen wollen, einen Mitmenschen Dämonen ausgeliefert zu haben. Darum bleibt, bei geheim vollzogener Todesstrafe und unter Androhung ewiger Verdammnis, dem Inhaber des Geheimnisses nichts übrig, als reinen Mund zu halten. Keine Folter darf es ihm entreißen, und der äußerste Grenzfall, den die alchimistische Justiz gelten läßt, erscheint als gegeben, wenn der Meister, sobald er den Schüler für würdig befand, dem Schüler das Geheimnis selbst in einsamer und feierlicher Stunde ins Ohr flüsterte oder ihn auf andere Weise, durch Andeutungen und Hinweis auf gewisse Symbole hinleitete. Wenn aber Gott wollte, gab er es den Seinen im Schlafe!

IV.
Voraussetzung und Dispens

Es scheint sich aber, schon beim bloßen Anblick der smaragdinischen Tafel nicht nur um ein einziges Geheimnis, sondern um eine ganze Reihe von Geheimnissen zu handeln, die von den Hermetikern hermetisch verschlossen wurden, damit sie kein Unberufener in seinen Besitz bringe. Neben dem »Einen«, das als prima materia des alchimistischen Prozesses in Betracht kam, bestanden offensichtlich Geheimnisse des Prozesses selbst und endlich solche, die mit der Anwendung des Steines der Weisen verknüpft waren. Trügt der Buchstabe nicht, so ist schon die dreifache Betonung der Wahrheit und Sicherheit dessen, was die smaragdinische Tafel feierlich enthüllt, dreifach zu deuten: das erste »wahr« auf das Prinzip, das »ohne Lüge« auf die Theorie und die neuerliche Bekräftigung der Wahrheit auf die Anwendung. Geringere Schwierigkeiten macht die Gegenüberstellung von Unten und Oben: von der sichtbaren Welt in Zeit und Raum und den höheren Welten, die ohne Zeit und Raum sind. Indem Hermes die absolute Gleichartigkeit dieser Welten in der Struktur und ihre Unterstellung unter den obersten Willen hervorhebt, will er zeigen, daß die Einzigkeit des ewigen Dinges, das Wunder wirkt, aus der Gleichartigkeit und Gegenseitigkeit des Oben und des Unten entspringt, da sonst weder die Einzigkeit jenes Dinges noch die Entfaltung seiner Wunderkraft möglich wäre. Die Dinge, sagt Hermes, sind alle aus jenem einzigen Prinzip und durch Vermittlung eines einzigen Agens entstanden und der gegenseitigen Einwirkungen von Prinzip und Agens entsprossen. Ist dem Hermetiker der Kern des Problems in Form einer Erleuchtung aufgegangen, so wird ihm nun einiges über die Anwendung dieser Erkenntnis verraten. Unschwer erkennt er, daß der Stein der Weisen unter Zuziehung dreier Substanzen zustande kommt: die Sonne ist der Vater, der Mond die Mutter, der Wind trägt es im Leibe, und von der Erde wird es genährt. An die Stelle der Sonne setzt der erfahrene, auch in der Materie arbeitende Alchimist, das Gold, an die Stelle des Mondes das Silber, in der Gebärmutter des Quecksilbers vereinigt, das ihm zum Symbol der bewegten ätherischen Atmosphäre (des Windes) wird, und alle drei Substanzen, entsprechend vereinigt, tut er in seine jungfräuliche Erde. Der Leser weiß wohl, daß in bezug auf Sonne und Mond in den verschiedenen Sprachen Gegensätze herrschen. Im Deutschen sind die Sonne und der Mond ein Beweis für die uralte, hermaphrodisische Gestalt alles Lebendigen, indes der Römer Sol und Luna, der hermetischen Formel entsprechend, an die scheinbar richtige Stelle setzt: als Vater und Mutter! Aus den beiden Substanzen Sonne und Mond zieht der Alchimist in seiner jungfräulichen Erde das Kraftwesen, das ihnen innewohnt; er sondert das Erdige vom Feuer, das Wässerige vom Luftigen (das Dichte vom Feinen) langsam und mit größter Sorgfalt, denn der Prozeß selbst erfordert eine bestimmte Zeit, und Geduld ist eine Sache, die der Alchimist reichlich vorrätig haben muß, will er zum Ziele kommen. Was erlebt nun der Hermetiker, an diesem Punkte angelangt? Aus dem Chaos, darin er sein Werk verborgen hält, steigt, nun in zurückkehrender Strömung, das Es (das Geistverwandte und Heilige) von der Erde wieder zum Himmel hinauf und noch einmal zur Erde hinunter, wodurch es die Kräfte beider Sphären (der himmlischen wie der irdischen) in sich aufnimmt. Ist der Prozeß so weit gediehen und ohne Fährlichkeit erreicht, so hält der Hermetiker den Schatz in Händen, er hat den Ruhm der ganzen Welt erlangt und alles Dunkel, das seine Wohnschaft auf Erden mit sich bringt, überwunden. Den Stein der Weisen in der Hand, hat er Macht über alle Dinge, die er nach Belieben mischen und auflösen, festmachen und verbinden, flüssig und luftig machen kann. Um dieses Geheimnisses willen und in Verbindung mit dem köstlichen Besitz dieses höchsten Gutes, ward Hermes Trismegistos der dreimal Größte genannt. Leib, Seele und Geist, leibliche, seelische und geistige Welt sind ihm Untertan, denn das hohe Werk der Sonne wird auf diese Weise vollendet. Es möchte nun zunächst scheinen, als wäre für das nähere Verständnis der Alchimie mit allen diesen Feststellungen nur ein sehr geringer und nicht gerade wesentlicher Schritt nach vorwärts getan. Nichtsdestoweniger darf der Wißbegierige diesen ersten Schritt zur Einsicht nicht unterschätzen, ohne daß er sich, selbst bei seiner Skepsis verharrend, den Weg zur Erkenntnis der übrigen des Geheimnisses verlegte. Das Wunder der Alchimie muß von allen Seiten aus betrachtet, der Kern dieses erhabenen Geheimnisses auf verschiedenen Wegen verarbeitet werden, soll, im gegebenen Augenblicke, ein Schimmer jenes seligen Lichtes aufgehen, das vom Stein der Weisen ausstrahlt. Ist schon die Inanspruchnahme und gar die Vollendung des Werkes an eine ganze Reihe von geistigen, seelischen und körperlichen Voraussetzungen geknüpft, von denen es unter keinen Umständen Dispens gibt, so kann auch der gewöhnliche, praktische und auf den oft trügerischen Sinnenschein gerichtete Verstand ohne Flügel und gewisse Erleichterungen im natürlichen Gewicht nicht zu Rande kommen. Das Instrument der Einsicht in dieses heilige Geheimnis muß fein geschliffen und durchlässig gemacht werden, soll sie nicht an Hindernissen scheitern, die eben nur für den hausbackenen Verstand vorhanden sind. Meine Darstellung kann nichts Besseres tun, als langsam, mit Sorgfalt und von allen Seiten zu hellerer Einsicht in das Wesen der Alchimie zu gelangen.

V.
Die Ahnengalerie der Meister

Lenglet, Kiesewetter, Kopp, Schmieder und Lippmann haben sich, jeder auf seine Art und nach seinen Möglichkeiten, gewisse Verdienste um die Erkenntnis dieses höchst dunklen Gegenstandes erworben. Man verdankt ihnen zunächst eine Sammlung wichtiger historischer Umstände, die, zusammen, die Geschichte der Alchimie ausmachen, und, ohne daß sie es wollen, oft sogar unter ihrem lebhaften Protest, zeigt sich ihnen, von ungefähr und leichthin, ein Zipfel der heiligen Geheimnisse; sie sprechen Worte und Zusammenhänge aus, die, ihnen selbst unklar, für den Wahrheitssucher doch von großem Werte sind und, oft genug, wenn man ihrem harmlosen und ein wenig indignierten Geplauder zuhört, hat man das Gefühl eines Kindes, das, am Versteckenspiel beteiligt, im Augenblicke, da der Sucher dem versteckten Gegenstande schon sehr nahe ist, lebhaft ausruft: es brennt! Ich kenne eine bloß handschriftlich verbreitete Einführungs- und Schlüsselschrift in das alchimistische Geheimnis, die, statt einzuführen, die Sache scheinbar überflüssigerweise kompliziert, aber doch plötzlich innehält, um die Bemerkung fallen zu lassen: im Worte uni-ver-sal sei das ganze Geheimnis enthalten. Kopfschüttelnd bleibt der Leser solcher Schlüsselschriften vor dem Tore des Tempels stehen, das ihm vor der Nase zugeschlagen wird. Sondert man aus der schier unübersehbaren Reihe der Alchimisten, deren Namen bekannt geworden sind (noch höher ist ja die Zahl der ungenannten und verborgen gebliebenen), so bleiben, von den Alten abgesehen, aus dem XIII. Jahrhundert: Albertus Magnus, Thomas von Aquin, Scotus, Roger Baco, Peter von Abano, Arnoldus von Villanova und John Duns; aus dem XIV: Raimundus Lullus, Johannes Rupescissa und Nikolaus Flamel; aus der ersten Hälfte des XV.: Basilius Valentinus und Nikolaus Cusanus; aus der zweiten Hälfte des XV.: Trevisanus, Ficinus, Trithemius und Georg Ripley; aus dem XVI.: Picus von Mirandola, Agrippa von Nettesheim, Parazelsus, Georg Agricola, Kaiser Rudolf II., Eduard Kelley und John Dee; mit dem XVII., dem Jahrhundert der Rosenkreuzer in der Geschichte der Alchimie aber: Michael Mayer, Robertus Fludd, Michael Sendivogius, van Helmont, Irenaeus Philaletha, Starkey, Schröder und Kunkel von Löwenstein; aus dem XVIII.: Laskaris, Bötticher, Geoffroy, Danninger, Kurt Sehfeld, Reussing Figduld, Lenglet (in gewissem Sinne), Philander, James Price und Semler, als Alchimisten hervorzuheben, die teils selbst und mit Erfolg am Stein gearbeitet, teils in sein Wesen eindrangen oder auf äußerliche Weise in den Besitz der roten Tinktur gelangten. Vom XVIII. Jahrhundert ab verschwindet die Alchimie, wie der Mond in einer finsteren und stürmischen Wetternacht hinter schweren und unheilgefüllten Wolken verschwindet. Das XIX. Jahrhundert, der Gipfelpunkt des materialistischen und rationalistischen Karnevals, hat nur mehr Spott und Hohn für die Geheimnisse überhaupt und die der Alchimie im besonderen übrig. Es vollendet, als Höhepunkt des finsteren Zeitalters, den Taumel des Unglaubens, des Lebensdurstes und der Abgetrenntheit vom Göttlichen, stellt aber doch, gegen seinen Willen, selbst nur ein Chaos dar, aus dem sich, noch im XIX. Jahrhundert selbst, aber vollends mit dem Beginn des XX., auch die anderen Geheimnisse und damit das der »Königlichen Kunst« gleich dem Vogel Phönix aus seiner Asche erheben. Der Okkultismus, angeregt durch den neu auflebenden Spiritismus und Mediumismus, taucht zu jener Zeit in den verschiedensten Formen und Gestalten auf und stellt dem Schwall des irdischen Philosophen- und Religionsgezänkes den uralten Besitz seiner Mysterien entgegen, schicksalmäßig dazu bestimmt, seinen Platz an Steiner abzutreten, der mit vollem Bewußtsein und ganzem Akkord, das Thema der Geisteswissenschaft anschlägt und als wahrhafter Weltenlehrer auch den Vorhang hebt, so die heiligen Geheimnisse des Christentums als der erhabensten, ordnungsgemäßesten Alchimie verdeckt. Inzwischen ist ja die sogenannte exakte Wissenschaft auf ihren Wegen und nach unsäglichen inneren Schwierigkeiten in die Nähe der Geheimnisse und der Alchimie im besonderen gelangt: ihre Atomerforschung, die Entdeckung der strahlenden Materie, der Hormone und Vitamine führen immer weiter und weiter, und es ist ein tragisches Schauspiel, zu sehen, wie ihr Erstaunen und ihre Überraschung doch keineswegs die Kraft haben und groß genug sind, um die Ahnung göttlicher Geheimnisse in ihr aufkommen zu lassen. Die vielgehöhnte Alchimie ist eben dabei, ihren Triumphzug, im Triumphwagen des Antimonii, anzutreten, und im Troß ihrer Auffahrt ist auch die Wissenschaft zu sehen, die sich niemals hätte träumen lassen, daß es ihr einmal gelingen würde, sich aus den mörderischen Klammern des Darwinismus und des Maschinengedankens zu befreien. Um so stärker gemahnt die Stunde alle geistigen Menschen, an der großen Erneuerung und am Wandel des menschlichen Bewußtseins mit größter Sauberkeit, Demut und innerlicher Hartnäckigkeit zu arbeiten, sich, anders ausgedrückt, wiederum an das große Werk zu begeben, das ihnen der Christus Jesus für alle Zeiten weist. Nichts kann ihnen dabei bessere Dienste leisten als das Verständnis für Alchimie im weitesten und erhabensten Sinne des Wortes, als eine Erkenntnis der Stoffwelt, empfangen aus dem Geiste!

VI.
Die Pfuscher in Gottes Handwerk

Es wäre sicherlich eine ebenso lohnende und verlockende Aufgabe, hier fürs erste von den merkwürdigen, fast immer eigentümlichen, zumeist aber recht traurigen Schicksalen der einzelnen Alchimisten zu sprechen, aber weder der Umfang des Buches noch sein Ziel, einen Überblick über den Stand der Geheimwissenschaften in der Gegenwart des zwanzigsten Jahrhunderts zu geben, gestatten solche Umschweife. In den Büchern und bei den Autoren, die ich schon genannt habe, findet man spannende Lektüre dieser Art genug, die es getrost mit jedem aufregenden Roman unserer Zeit aufnehmen könnte. Diese Erzählungen, oft in Wahrheit bloß nüchterne Berichte, aber vielleicht gerade darum doppelt erschütternd, sind keineswegs deshalb tragisch, weil sie den Helden etwa im Kampf mit äußeren Verhältnissen zeigen, in den er zwangsweise durch die Lage der Dinge getrieben ward, sondern: das bittere Los der meisten Alchimisten fiel ihnen bloß deshalb zu, weil die unselige Leidenschaft von ihnen Besitz nahm, es dem lieben Gott, dem Demiurgos, gleichzutun und als Schöpfer aufzutreten, eine gigantische Anmaßung, die von Seite der höheren geistigen Gewalten nicht unwidersprochen bleiben konnte. Ein uraltes okkultes Gesetz sagt (davon war schon die Rede), daß niemand die Himmelstüre aufmacht, ohne daß im selben Augenblick die Pforten der Hölle aufgehen; heißt es doch selbst vom Christus Jesus im apostolischen Glaubensbekenntnis: »abgestiegen zu der Hölle«, und kopfschüttelnd nimmt der Uneingeweihte zur Kenntnis, daß der Erlöser der Welt, Christus Jesus, in der Wüste mit zwei Versuchern rang. Alchimie ist im wahrsten und richtigsten Worte Magie, und alle Magie hat ihre Entsprechungen im Guten wie im Bösen. Alchimist sein, setzt immer ein Schicksal voraus; wo Alchimie als Beruf und Erwerb betrieben wird, führt sie zur Sudelküche, darin groteske und komische Gerichte zubereitet werden. Wer von seinem reinen und selbstlosen Herzen aus dazukommt, läßt das Werk oft im kritischen Augenblicke (dort, wo ein Eingreifen der Dämonen zu erwarten ist) im Stich, er wittert die Gefahr und kehrt schaudernd um. Wer aber aus satanischen Gründen an den Athanor, den geheimnisvollen Ofen, darin das große Werk bereitet wird, herantritt, der muß sich auf die romantischesten und ausgesucht bösartigsten Abenteuer gefaßt machen; dem einen wie dem anderen bleibt der Weg zu den Naturgeistern und zu den höheren Wesenheiten nicht erspart, aber wehe dem, der die Kunst nicht meistert, in einem Falle ihr Herr zu bleiben, im anderen aber nach ihrem Sinne zu verfahren. Gesetzt den Fall, zwei Adepten der hermetischen Kunst begännen zur selben Zeit, äußerlich an Temperament und im Grade der Entwicklung gar nicht sonderlich verschieden, das opus magnum; verläuft ihre Arbeit am Stein auch noch so gleichartig, erreichen sie auch zur selben Zeit ein und dasselbe Zwischenstadium, so sind damit noch lange keine Sicherheiten dafür gegeben, daß sie überhaupt und ob sie gleichzeitig ans Ziel kommen. Der geringste Diätfehler (um es vulgär medizinisch auszudrücken) kann alles Errungene aufs Spiel setzen. Die Dämonen, gefühllos als Zustand, sind in den Händen des Adepten »rohe Kräfte«, die »sinnlos« walten; wie Glut und Wasser, Sturm und Erderschütterung, so warten sie nur auf den Mißgriff dessen, dem sie widerwillig genug gehorchen. Von dem Ernst, der Tragweite, den Wirkungen Und Folgen solchen Tuns, als so erhaben es auch bezeichnet werden mag, macht sich der Laie, der über den ganzen »Alchimistenspuk« nur kopfschüttelnd urteilt, keinen Begriff. Annähernde Vorstellungen von den Gewalten, die hier entbunden und losgelassen werden, kann man sich aber ungefähr verschaffen, denkt man, zum Exempel, im Zusammenhang mit der Atomzertrümmerung daran, daß das Gewicht und die zusammenhaltenden Kräfte eines ungeheuren Felsengebirges plötzlich auf geheimnisvolle Art aufgehoben und frei würden. In Zeit und Raum, mit den Hilfsmitteln der dreidimensionalen Anschauung gesehen, müßte eine solche Katastrophe von gigantischen, fast unvorstellbaren Dimensionen die fürchterlichsten Ereignisse heraufbeschwören. Im Reiche der vierten Dimension sind sie, wie sich bei spiritistischen Unternehmungen mit großen Medien zeigt, eine niedliche Spielerei: eine goldene Dose wandert durch feste Tische und verschlossene Türen bei vollem Licht. Im Augenblick ist der Bann, der die Materie zusammenhält und festmacht, aufgehoben, im nächsten Moment aber restlos wieder hergestellt, so daß die naive Vorstellungsart der »Exakten« hartnäckig daran festhält, hier müsse ein »Betrug« obwalten. Was aber in der Sphäre des Spiritismus die Kraft des Mediums, das bewirkt gleichsam (auf dem Worte gleichsam ruht hier der Ton) die seelische und geistige Entwicklung des Adepten im Verlaufe des »großen Werkes«; er erhält die Gewalt, zu binden und zu lösen, er verbindet die Gesetze und Gültigkeiten der dreidimensionalen Welt mit dem Zwischenreich und dessen Normen. Er pfuscht in Gottes Handwerk!

VII.
Das Geheimnis der Materie

Im vorangehenden Abschnitt war auffallenderweise, wie der aufmerksame und geneigte Leser wohl beachtet haben wird, von Materie die Rede. Das Mysterium der Materie ist denn auch in der Tat das Grundgeheimnis der hohen Verwandlungskunst, genannt Alchimie. Das Mysterium der Stofflichkeit überhaupt wird hier berührt. Schon sieben Jahrhunderte v. Chr. beginnt die vorsokratische Philosophie mit der Frage nach dem Urstoff, den Thales im »Wasser«, Anaximandros im Apeiron (dem Unbegrenzten), Anaximenes in der Luft und Heraklit im Feuer erblickt habe, was an der Hand unserer landläufigen und bei größter Gelehrsamkeit überaus naiven Philosophiegeschichten ungefähr darauf hinausläuft, die alten jonischen Naturphilosophen hätten eben ihr Steckenpferd gehabt, das sie nach Art unserer gegenwärtigen Universitätsphilosophie ritten. Spricht Anaxagoras noch von Ur-Teil-Wesen, die lebendigen Keimen gleichen, so erstarren diese Vorläufer der Monade bei Demokrit schon zu toten und unteilbaren Stoffteilchen, von denen alle Dinge der Außenwelt durch verschiedene Mischungen und Kombinationen gebildet werden. Ordnet bei Anaxagoras das Voneinander, Zueinander und Durcheinander dieser Teilchen noch die (göttliche) Vernunft, der Weltverstand, Nus benamset, so stapft Demokritos, einer der ersten Vorläufer des modernen exakten Materialismus, scheinbar schon vollends im Fahrwasser einer toten Naturwissenschaft, indem er die Dinge durch bewußtlose, zufällige Naturgesetzmäßigkeit und -notwendigkeit geschehen läßt: Ananke ordnet die Welt; eine entseelte Natur bleibt in des Demokritos Philosophenhänden. Diese Gesamtsituation hat sich in ihrer heutigen Grundgestalt, trotz des großartigsten Aufschwunges, den die Materienforschung seither genommen hat, wenig geändert. Die alten Griechen verstanden unter Äther zunächst den Sohn des Erebos und der Nyx, ein dunkles Elternpaar, das die Schauer des Hades (der Unterwelt) mit den Geheimnissen der Nacht verband. Aus dem Dunkel und der Nacht entstand Aither, der zur oberen, reinen Himmelsluft, dem Wohnsitz der Götter wurde. In der griechischen Philosophie trat er wie eine Art fünftes Element auf, das den Himmelsraum mit seinem göttlichen Feuer erfüllt und daraus alles Sein und Leben hervorgeht. Eine feine, den ganzen Weltraum erfüllende Substanz, die als Lichtträger gilt, spielte der Äther lange Zeit auch in der Physik eine führende Rolle. Einstein hat ihm die Türe der Physik wohl vor der Nase zugeschlagen, aber das Vorhandensein von Molekeln, das Einstein, Smoluchowsky und Soedberg als erwiesen annahmen, macht den Leuten, die den Äther aus der Physik hinauswarfen, wenigstens, soweit ihr logisches Denken in Frage kommt, wenig Ehre. Am Grabe des Äthers pflanzen sie die Fahne des Moleküls und des Atoms auf, die unter der Führung einer geheimnisvollen Kommandantin, der Energie, stehen; sind die Molekel »kleinste Mengen eines Elementes oder einer chemischen Verbindung, die entweder in freiem Zustand auftreten oder an chemischen Prozessen teilnehmen, so verstehen jene unter »Atomen« die »kleinste unsichtbare Menge eines einfachen Stoffes, die in eine chemische Verbindung eintritt oder gar zur Bildung eines Molekels beiträgt«. Die moderne Materienforschung ist auf ihren langen Irr- und Wanderfahrten einer ganzen Reihe von Wundern begegnet, die es mit jedem noch so romantischen Märchen getrost aufnehmen können. Als Brown, ein englischer Botaniker, der also gar nicht zur physikalischen Gilde zählte, 1827 die merkwürdigen, sehr lebhaften und völlig ungeordneten Bewegungen kleiner in Wasser gebrachter Teilchen beobachtete, wodurch er zum Vater der »Brownschen Bewegung« wurde, eröffnete er damit den Reigen der spannendsten Abenteuer, welche die Welt jemals gesehen hat. Die Brownsche Bewegung kommt niemals zum Stillstand, hört niemals auf; noch in den Flüssigkeitseinschüssen beim Quarz ist sie, sicherlich, seit vielen Jahrtausenden tätig, ein veritables Perpetuum mobile. Das andere große Abenteuer war die Entdeckung der strahlenden Materie und des Atomzerfalles. Die Atome altern nicht, sie besitzen das Geheimnis der ewigen Jugend; dabei sind sie keineswegs etwa die ewigen und unteilbaren Elemente, für die man sie hielt; sie lassen vielmehr ein unendliches Gewimmel von Welten ahnen. Ein drittes Abenteuer endlich war die Entdeckung der Quantentheorie. Mit dem periodischen System der Elemente schloß die erste Phase in der Entwicklung der Atomistik glänzend ab. Die zweite, aus den Überlegungen von Niels Bohr entstanden, krönt das Stadium der Erkenntnis vom Bau der Atome. Die Atomzertrümmerung endlich schien, so war allgemein auch in den eingefleischtesten materialistischen Zeitungen zu lesen, ein Mirakel zu werden, das den »Traum der Alchimisten« wahrmachte und einen Vorgeschmack jener Blamage gab, die das jahrzehntelange, dröhnende Gelächter der hohen Wissenschaft über die Schwärmer und Schwindler der Goldmacherkunst jäh verstummen ließ; wohl wagt es sich auch noch heute, dort und da, hervor, aber es wird doch kaum mehr beachtet und ernst genommen. Das Gesamtbild der Entwicklungsgeschichte kulminiert ungefähr darin, daß in der Stofflichkeit, in der Welt der Materie, tatsächlich etwas wie ein »einiges Ding« vorhanden sein muß, aus dem alles geworden ist, daß also die scheinbar so dunklen, mythischen und auf Irreführung berechneten Angaben der smaragdinischen Tafel, nichts Geringeres als einen ganz exakten, wissenschaftlichen Bericht darstellen ...

VIII.
Das allmächtige Gold

In der Tat wurzelt Alchimie oder Arbeit am Stein im Aspekt der göttlichen Schöpfungsgeschichte. Der Adept wird Demiurgos; er wiederholt die Schöpfung der sichtbaren und unsichtbaren Welten aus dem Chaos; er vermißt sich, den Schöpfer zu spielen. Gleich dem Schöpfer der Welten, der, aus seinem Urschlaf erwachend, die »Erde« schafft, treibt den Adepten sein Karma zum »großen Werk«. Der im Geist entworfene Plan birgt in sich zugleich die Urmaterie, das große Geheimnis aller Schöpfungs- und Verwandlungskunst. Ohne das göttliche Vorbild sinkt die Alchimie der »Schwärmer und Schwindler« zur Sudelkunst auf magischer Grundlage herab, von vornherein zum Mißlingen bestimmt, indem sie, scheinbar außerhalb der ewigen Gesetze des Karmas, sich selbst in den Bereich dunkler Verirrung begibt. Kein echter Alchimist kann sein Werk ohne genaue Einsicht in das eigene Horoskop in Angriff nehmen. Die Stunde, an die Bereitung des Steines der Weisen zu schreiten, muß für ihn geschlagen haben; sie steht buchstäblich in den Sternen geschrieben. Seine Lebensuhr zeigt an, ob die Zeit dafür gekommen ist. Gewisse Planetenstellungen innerhalb seines Grundhoroskops weisen ihn mit klaren Zeigern auf das Werk, das nur ein Mensch, gesund an Körper, Seele und Geist, beginnen darf. Wer ohne Rücksicht auf solche Bedingungen, einfach eine Schürze vornimmt und sich in die Küche verfügt, um das philosophische Ei garzukochen, weckt mit Recht das Gelächter und die Verachtung aller Wesen, in deren Sphäre das magnum opus reift. Es gibt nicht einen alchimistischen Prozeß, sondern gleichzeitig zwei, die miteinander parallel gehen, und zwar so, daß sich die Bereitung des Steines im Geistigen abspielt, vom Prozeß in der Materie begleitet. Auch darüber, ob das Werk nur im Geistigen bleibt oder gleichzeitig auf dem physischen Plan einherschreitet, entscheidet der Blick auf die Lebensuhr des Adepten. So durchdringen sich die beiden Arbeiten zu einer. Als ein grandioses, nur einmal in der Entwicklung auftretendes Beispiel entrollt sich das Leben, Sterben und Auferstehen des Gottessohnes auf Erden. Darum hat die Alchimie, vom Sternengeheimnis des Ägypters empfangen und tatsächlich in Hermes wurzelnd, ihren wahren Sinn für die Erde und den Erdenweisen durch den Christus Jesus bekommen und erst vom Augenblick auf Golgatha an beginnt die wahre Alchimie mit ihrem Passionsweg, ihren Leidenstationen und mit der Krönung des Werkes im Vater, der das Wort des Sohnes hört: »es ist vollbracht«! Der Mensch, in seiner Rückverwandlung zum Gott, ist selbst der Stein der Weisen; sein Erdenleib ist der chemische Ofen, Athanor genannt, das Chaos der Unstimmigkeiten zwischen Leib, Seele und Geist die prima materia des Werkes, seine Verklärung des Endglied der Entwicklung. Die große Neun, die in der Arbeit am Stein eine so wichtige Rolle spielt, steht in inniger Verbindung mit dem neungliedrigen Menschenwesen, das im Ich des Menschen, als dessen ewigem Kern, wurzelt und, von hier aus, den Astralleib durch die Arbeit zur Manasstufe, den Ätherleib durch die Arbeit zur Buddhistufe und endlich den physischen Leib durch die Arbeit zur Atmanstufe verwandelt. Das wären allerdings, vom Ich aus betrachtet, erst sechs Phasen, aber der Leser erinnert sich vielleicht daran, daß im Ich die drei Seelenglieder des Menschen verbunden sind: die Empfindungs-, die Verstandes- und die Bewußtseinsseele. Daraus ergibt sich auch ganz von selbst, daß ein Ich, das nicht zugleich auch schon das Dritte, die Bewußtseinsseele, entwickelt hat, zum Prozesse selbst nicht vordringen kann. Darum blieb die Arbeit am Stein bei Adepten aus dem Zeitalter der Empfindungs- und der Verstandesseele gewissermaßen Stückwerk, wie die Geschichte der Alchimie sinnfällig erweist, und sie beginnt mit der Vollendung der Bewußtseinsseele, die eine Aufgabe unseres Zeitalters ist, ihre eigentliche, große und befreiende Sendung. Gelang das Werk nur jenen Eingeweihten, die, »die Entwicklung vorausnehmend«, die volle Stufe der Bewußtseinsseele erreichten, was allerdings erst in der nachchristlichen Epoche geschehen konnte, so versteht man, aus einer meditativen Betrachtung des alchimistischen Sachverhaltes heraus, einerseits, warum gerade die Rosenkreuzer als die wahren Vollender der Arbeit am Stein erschienen, anderseits aber warum gerade in unsere Tage die Wiederbelebung der alchimistischen Geheimnisse fällt. Die erwachende, wenn man es vulgär so aussprechen darf, die rumorende Bewußtseinsseele hat den Stein (der Weisen) buchstäblich wieder ins Rollen gebracht. Im Räderwerk der großen Geheimnisse greift ein Rad ins andere, und nicht die geringste und unscheinbarste Arbeit kann etwa außerhalb oder gar gegen das Gesetz der Entwicklung geschehen. Nur die geistige Entfaltung, nur die geistige Alchimie darf reinen Herzens an die Materie heran, um ihre hohen Erlebnisse gleichsam auch in dieser auszudrücken und sinnfällig zu machen. Warum sie, in der Materie, just auf die Bereitung des Goldes geht, das in der Sphäre des Sündenfalles ein luziferisches Mineral geworden ist, wird dem Leser denn auch sehr bald hinreichend klar werden; in diesem Stadium der Darstellung mag genügen, festzustellen, daß das Gold der Alchimisten und das Gold der physischen Sphäre, wie es die Erde in ihrem Schoße bereitet, keineswegs ein und dieselbe Sache sind, daß vielmehr zwischen dem Aurum der Alchimisten und dem Münzgold dieser Erde, das als Gradmesser der Währung dient und zum allmächtigen Symbol des Reichtums und der Macht geworden ist, tiefgehende, mystische Unterschiede bestehen, Unterschiede, deren Bedeutung sehr wohl erahnen kann, wer sich an das Rheingold, als den Tand und das Spielzeug der Töchter des Rheines, erinnert und es mit jenem Nibelungenschatze vergleicht, den Alberich mit Hilfe Mimes aus ihm gemacht hat ...

IX.
Die vier Elemente und ihre Zustände

Aus dem Chaos, aus dem Tohuwabohu, aus dem Nichts, schuf Gott die Welt; an ein Chaos tritt auch der alchimistische Magier heran, wenn seine Nacht um ist und der Augenblick der Schöpfung gekommen. Das Chaos bedeutet auch für ihn, wie für den Demiurgos, die »ungeordnete Urstofflichkeit«, die alle Möglichkeiten in sich birgt. Die Materie, das sind die »kosmischen Mutterkräfte«, in die der schöpferische Strahl eindringt, Sternenwesen, von Sternenkräften befruchtet. In den Figuren der Rosenkreuzer begegnet man dem Chaos und den Gestirnen auf Schritt und Tritt; immer wieder wird hier das Symbol gezeigt, wie die Natur an einem Punkte aufgehört hat, tätig zu sein, indem sie, bildlich gesprochen, die Hände in den Schoß legt. Chaos! Ist das nicht aber zugleich der Zustand der Verwesung und Auflösung und ist nicht in den zahllosen alchimistischen Schriften von dem »köstlichen Ding die Rede, das so unscheinbar und gering aussieht, so übel riecht und so schmutzig auftritt, daß es die Kinder achtlos von sich werfen, die Knechte und Mägde von den Stiefelsohlen abstreifen? Vom Strahl des Sternengeheimnisses getroffen (über jeder Geburt, über jedem »auf die Welt kommen« schwebt ein Stern), setzt sich diese materia, prima genannt, weil sie der Anfang ist und alles in sich schließt, in Bewegung. Das Grobe scheidet sich vom Feinen, das Dicke vom Dünnen, und die Elemente beginnen darin zu »wirken«. Das Chaos ist also der Punkt, wo der Geist in die Materie einzieht, wo sich die mystische Hochzeit von Geist, Seele und Materienleib vollzieht. In der Retorte, im Ofen ist nichts, es wäre denn, der Alchimist hätte sie vorher im Geist geschaut: eine Materie, die das ganze Werk schon in sich birgt und aus »eigener Kraft« differenziert. Die Wissenschaft war, zur Zeit der Herzschen Versuche, ganz nahe am Geheimnis, aber ihr Karma erlaubte ihr nicht, in das Innere des Tempels einzudringen; sie bog plötzlich ab, schloß aus den Wirkungen in einem bewegten Medium zu voreilig auf die Natur dieses Etwas und rannte sich schließlich an dem. Universalirrtum fest, der einem einzigen Äther alle Wirkungen zuschrieb. Die Alchimisten wußten und wissen es besser. Sie kannten sieben ätherische Urkräfte, vier davon, die in Raum und Zeit schwingen, drei aber, die künftigen Bewußtseinszustände und Erdentwicklungen eigentümlich sind. Die Geisteswissenschaft gibt ihnen einfache und schlichte Namen: Wärmeäther, Lichtäther, chemischer Äther (Klangäther) und Lebensäther, deren jeder eine höhere Entwicklungsstufe des vorhergehenden darstellt. Der Wärmeäther ging aus rein geistigen, unzeitlichen Zuständen hervor, er gab der ersten Form unserer Erde die Signatur: dem Saturn; aus dem Wärmeäther ward der Lichtäther, so daß die alte Sonne zwei Ätherarten vereinigte; aus dem Lichtäther auf dem alten Mond in Vereinigung mit dem Wärmeäther: der chemische oder Klangäther; aus dem Klangäther, vermischt mit Wärme- und Lichtäther auf unserer Erde, der Lebensäther. In ihrer Mischung wirkt jede Ätherart mit der unteren zusammen, doch auch jede in ihrer ganz besonderen Eigenschaft. Haben die ersten beiden Ätherarten (Wärme und Lichtäther) das Bestreben, in den Raum hinaus (zentrifugal) zu wirken, so kennzeichnet Zusammenziehung und Saugwirkung (zentripetal) den Klang- und den Lebensäther. Jede der vier irdischen Ätherarten weist außerdem, neben der raumbildenden Tätigkeit auch eine formbildende Tendenz auf, die, alle zusammen, besondere Wirkungen und Zustände hervorrufen. So ist der Wärmeäther: ausdehnend, in der Grundform kreisförmig (sphärisch) und erzeugt Wärme; der Lichtäther: zentrifugal, in der Form dreieckig, und erzeugt die Welt der Gase; der chemische oder Klangäther in der raumbildenden Tendenz saugend und zusammenziehend, in der Form halbmondförmig und erzeugt das Flüssige; der Lebensäther aber, endlich, ist zentripetal, in der Form viereckig, und bewirkt das Feste. An dieser Aufstellung gemessen, erscheint nun auch die Weltentwicklung in einem bedeutend schärferen Lichte. Nennt man den gasförmigen, den flüssigen und den festen Zustand Aggregatzustände, so ergibt sich dem Geistesforscher ein sehr eigenartiges Bild; keiner dieser Aggregatzustände geht ohne weiteres in den anderen über; beim Wechsel des einen Zustandes in den anderen treten vielmehr zunächst alle vorhergehenden Zustandsarten noch einmal als Begleiterscheinungen auf, und beim Wechsel selbst zeigen sich (nicht wörtlich gesprochen, denn sie sind ja nicht sichtbar) Kräfte aus dem nichträumlichen Zustand, die im raumzeitlichen Prozeß mitaufgehen und in diesen verschwinden. So ergibt sich das folgende Bild: Entstehung der Welt aus einem reingeistig wesenhaften nichträumlichen Zustand: erster Zustand (Saturnzeit) wärmeätherisch; im Übergang ein nichträumlicher Zustand, dem eine Wiederholung des Wärmeätherzustandes folgt; sodann: der Lichtätherzustand (alte Sonne), dann wieder ein nichträumlicher Zustand, worauf Lichtätherzustand und Wärmeätherzustand wiederholt werden; sodann: der Klangätherzustand (oder chemischer Äther), Mondenzeit (alter Mond); darauf, wiederum nach einem nichträumlichen Zustand, Wiederholung des chemischen, Licht- und Wärmeätherzustandes; endlich der Lebensätherzustand unserer heutigen Erde, in dem die heutige Menschheit lebt. Auf ihn folgt eine nichträumliche Epoche der Wärmetod der Erde, aber im anderen Sinne, als es sich die exakte Wissenschaft vorstellt), eine Wiederholung der vier Ätherarten und Übergang zum nächsten Zustand, der als Jupiterzeit bezeichnet wird. Diese Prozesse umfassen und umfaßten Jahrmillionen, aber sie sind ein makrokosmisches Vorbild der Wandlungen, die sich im Werke des Alchimisten vollziehen. Er arbeitet mit den vier Elementen, als den durch den Äther bewirkten Zuständen.

X.
Raum und Zeit in der Alchimie

Zum Parallelismus der geistigen und materiellen Alchimie zurückkehrend, die, zusammen und gleichzeitig geübt, die Bereitung des Steines der Weisen zum Ziel haben, soll nun, ehe die näheren Umstände des Prozesses zur Erörterung gelangen, doch noch ein Wort über den Ausdruck »nichträumlicher Zustand« verloren werden, der in der Genesis (wie in ihrem Abbild, der Alchimie) eine entscheidende Rolle spielt. Ein nicht räumlicher und daher auch zeitloser Zustand ist natürlich ein geistiger Zustand. Es wird überhaupt bald klar, daß Raum und Zeit erst unter dem Eintreten der ätherischen Bildekräfte in die Entwicklung und durch diese zustande kommen, woraus sich wiederum die Frage ergibt, wie das Unräumliche zum Auftreten des Räumlichen führen kann, mit anderen Worten, wie die räumliche Welt aus dem Geistigen überhaupt entstehen konnte, oder, um es noch anders und philosophisch deutlicher zu sagen: wie sich der Übergang vom Wesen zur Erscheinung vollzieht. So abstrakt diese Formulierung klingen mag, so rasch leuchtet sie ein, vergegenwärtigt man sich zum Exempel den Übergang des Wesens Rose (wenn man den nicht ungefährlichen Ausdruck gebrauchen will, der Idee der Rose) in die Erscheinung Rose, Das Wesen Rose, im Rosensamen verborgen, ist räumlich nirgends, es tritt aber im Augenblick der Erscheinung Rose in den Raum. Erscheinung setzt den Raum voraus und bringt sich ihn gleichzeitig mit. Der exakte Wissenschafter, der über solche Dinge lächelt, weil er sie für Verstiegenheiten metaphysischer Gemüter ansieht, würde aber wahrscheinlich erbleichen, wenn man ihm sagte, daß auch der exakteste Forscher sehr oft, ohne es zu wissen und ohne sich Rechenschaft davon abzulegen, genau so verwegene Metaphysik treibt, zum Exempel, wenn er von latenter Wärme und vom Freiwerden latenter (verborgener) Wärme spricht. Geht nicht auch das Wesen Wärme hier einfach in die Erscheinung Wärme über, teilt anderen Worten: ein nicht räumlicher Zustand in einen räumlichen? Was bewirkt nun aber den Übergang selbst? Es ist einleuchtend, daß die ätherische »Bildekraft« den Übergang vom Nichträumlichen ins Räumliche, vom Geistigen ins Dreidimensionale, vollzieht, daß sie aus dem Chaos als dem Wesentlichen in die Erscheinung des Differenzierten übergeht, und in diesem Augenblick gehen nun auch Wesen und Erscheinung, die geistige Alchimie des Mystikers und die »praktische« Alchimie des Adepten der Goldmacherkunst, ineinander über. Der Prozeß der geistigen Alchimie ist nicht räumlich, der der praktischen dreidimensional aber räumlich, und, als hätte er eine vorüberhuschende Ahnung vom metaphysischen Stand dieser Dinge, sagt Einstein, gegen die Objektivierung des Raumes durch Newton polemisierend, der den »absoluten Raum« wie ein wirkliches und reales Ding behandle, bemerkt also Einstein, oder läßt sich nun die Bemerkung entschlüpfen, mit demselben Rechte hätte Newton seinen absoluten Raum ebensogut ruhig Äther nennen können. Wo es Raum gibt, sind Dinge, die nebeneinander und nacheinander bestehen, vorhanden. Nun geschieht aber etwas ganz Merkwürdiges: der Raum sondert die Dinge, stellt sie aus dem Zusammenhang heraus; der Verstand, der menschliche Geist faßt, in seinem Denken, die gesonderten Dinge wieder in eine Einheit zusammen. Das Denken hebt somit die Tätigkeit der ätherischen Bildekräfte auf, führt die Erscheinung wieder in das Wesen zurück, tauscht das Räumliche gegen das Unräumliche um. In ganz ähnlicher Weise hat Rudolf Steiner schlagend die Irrtümer gezeigt, die mit dem Begriff der Zeit verknüpft worden sind. Einer verfehlten Auffassung des Zeitbegriffes ist, wie er nachweist, die Entstehung des Begriffes Materie überhaupt zu verdanken. Die Zeit ist nichts anderes als der sinnenfällige Ausdruck für die Abhängigkeit der Tatsachen vom Inhalt. Auch Zeit ist nur dort, wo Wesen in Erscheinung tritt; hat sie mit dem Wesen selbst auch nichts zu tun, so gehört sie doch zur Erscheinungswelt. Wer nun den Rückgang der Erscheinung in das Wesen in seinem Denken nicht vollziehen kann, sieht die Zeit als etwas den Tatsachen Vorangehendes an; er meint, die Zeit müsse von Ewigkeit an »dagewesen« sein. Um nun ein Dasein zu finden, das die Veränderungen überdauert, stellt er die »unzerstörbare Materie« als ein wirkliches Ding hin, dem die Zeit nichts anzuhaben vermochte. Vom Wesen einer Sache kann niemand aussagen, daß es entsteht oder vergeht. Das Wesen ist ewig Und raumlos. Hat man diesen Gedankengang in sich aufgenommen, so ändert sich auch sofort die Formel des Einwandes, den Einstein gegen Newton erhebt. Newton hätte, statt seinen absoluten Raum gleich Äther zu nennen, anschauen können, wie der Raum entsteht und vergeht, gleichwie ätherische Bildekräfte aus der ruhenden Lage in Wirksamkeit oder aus der Wirksamkeit wieder in die ruhende Lage übergehen. Zurücknahme in den nichträumlichen Zustand ist also Rückgang von der Erscheinung ins Wesen, vollzogen im Denken des erhabenen schöpferischen Wesens. Der Alchimist und der Mystiker oder der praktische Adept und seine geistige Entsprechung, der Mystiker, sind nahe Verwandte; gemeinsam ist ihnen das Streben nach Erkenntnis, die nicht auf das gewöhnliche Erkennen gerichtet ist, aber ihre Methoden weichen voneinander ab. Der echte Alchimist, der den wahren Mystiker und den Adepten der »königlichen Kunst« in sich vereinigt, sucht, indem er in die hehren Geheimnisse des Spieles zwischen Wesen und Erscheinung eindringt, ein Licht, darin das Gold wohnt, ein reines Licht, dessen räumlicher Niederschlag nur unser gewöhnliches Tageslicht ist. In diesem Lichte schaut er, sobald er sich dazu entwickelt hat, das Geheimnis des großen Werkes selbst und die Aufeinanderfolge der spagyrischen Prozesse.

XI.
Die drei Prinzipien der »königlichen Kunst«

Die geistige Alchimie ist ein geistig seelischer Umwandlungsprozeß an der prima materia Mensch, entzündet und erlebt an der Beobachtung der Natur, wie sie die Rosenkreuzer des Mittelalters unternahmen. Sie schauten auf diesem Wege drei Prinzipien: Sulphur, Sal und Merkur. Unter Sulphur, dem Prinzip der Verbrennung, erschien ihnen alles, was in der Flamme aufgeht (das Schwefelartige), als ein Prozeß der allmählichen Läuterung durch das Feuer, als eine Form des Opfers; unter Sal, dem Prinzip der Salzbildung, alles, was sich aus einer Lösung als fester Stoff niedersetzt, zurückbleibt und aus dem Prozeß herausfällt. Der wahre Alchimist schaute die Salzbildung; die menschliche Natur vernichtet sich ohne Unterlaß durch ihre Triebe und Leidenschaften; gäbe sie sich nur ihren Trieben hin, würde das Dasein zum fortlaufenden Fäulnisprozeß; Überwindung der verwesenden Kräfte durch spirituelles Denken, das war die mikrokosmische Salzbildung der alten Rosenkreuzer, in die göttliche Sphäre gehoben. Im Merkur, dem Prinzip der Auflösung endlich, sah der wahre geistige Alchimist alles, was als Substanz die Kraft hat, andere Substanzen aufzulösen, nach Art des Quecksilbers, das als flüssiges Metall eine ganz eigenartige Rolle unter den Erdenstoffen spielt; es gibt eine Seelengemeinschaft, die so wirkt, wie Merkur draußen im Reiche der Natur; seelisch erlebte er in diesen Prinzipien alle Formen und Gestalten der Liebe, als einer radikalen Tinktur, die alles Harte, Feste, Grobe, allzu Materielle auflöst, und alle niederen wie höheren Auflösungsprozesse einleitet. So dienten die wahren Adepten der Gottheit in dreifacher Weise: mit reinen Gedanken, mit dem Geiste der Liebe und der Gesinnung des Opfers. Ihre Aura verwandelte sich dabei; anfangs gemischt und verunreinigt, nahm sie später drei Farben an: die des Kupfers, des Silbers und endlich die des Goldes. Hellsehend erfaßten sie in dieser Weise das Gesetz der Entwicklung und des Verfalles, und was sie dabei erlebten, drückten sie in imaginierten Bildern aus, wie die berühmten und überaus aufschlußreichen zwölf Schlüssel des Basilius Valentinus zeigen. Über diese Geheimnisse gibt es schlankweg so gut wie nichts Gedrucktes; dieses Weisheitsgut ist fast ausschließlich in Bildern und Symbolen erhalten, deren Sinn aufgeht, wenn die innere Kraft dazu entwickelt ist. Die Mehrzahl der alchimistischen Bücher ist so gehalten, daß ihre Darstellungen den Anschein erwecken, als genügte es, sich eine Küche einzurichten und die vermeintlich richtigen oder falschen Prozesse zu versuchen. Wohl kamen auch die wahren Alchimisten mit dem Stofflichen in Berührung, aber entscheidend war ihnen ganz allein das seelisch-geistige Erlebnis, das in einem geheimnisvollen Punkte gipfelte; in dem Seelendrama bei der Herstellung des sogenannten wahren Antimon. So kamen auch sie zu einer hohen Deutung der prima materia: sie erlebten die Leiblichkeit der Throne, durchsetzt und durchwirkt mit der Tätigkeit der Geister der Form, mit anderen Worten: die Geister, die das formende Element des Daseins sind, in ihrer Wärmetätigkeit; sie erlebten den ungeheuren Prozeß des Gestaltlosen (Amorphen), hervorgerufen dadurch, daß alles Dasein nach Form drängt und wieder zersprengt und zermalmt wird; aller Staub dieser Erde war für ihr inneres Auge zermürbtes Dasein. In den Wolken schauten sie die Cherubime, in Blitz und Donner die Seraphime; sie schauten die Äonen als Wesenheiten, die einander ablösen; im Jom den ersten der Zeitgeister (Archai); hinter allem Festen die Geister des Willens (Throne), im Wässerigen die Geister der Weisheit (Kyriotetes), im Luftigen die Geister der Bewegung (Mächte, Dynameis), im Warmen die Geister der Form (Elohim, Exusiai); die Finsternis, einen Zustand, den die Elohim vorfanden, sahen sie als den Ausdruck der auf der alten Saturnstufe zurückgebliebenen Wesenheiten, im webenden Licht den Ausdruck jener Wesen, welche die alte Sonne in irregulärer Weise erreichten, ersonnen von denen, die die Finsternis vorgefunden hatten; in Jom die fortgeschrittenen, in Liith die zurückgebliebenen Archai. Dazu kommen feste astrologische Zuordnungen: der Wärme zum Saturn, des Lichtes (der Wärme und Luft) zur Sonne, des Schalles (Licht, Wärme, Luft und Wasser) zum Monde, des Lebens (Schall, Licht, Wärme, Luft, Wasser und Erde), zum Prinzip des Lebens, das ihnen gleichsam wie ein viertes, mit der Erde verbundenes Element erschien. Ihren Ausgang nahmen sie mit dem Eindringen in den Ätherleib der Erde, einem Übergang von der gröberen zur feineren Substanz; hier begegneten sie der Urmaterie (wie ich schon oben angedeutet habe und wie es sich als Analogen im Übergang von Radium zu Helium ausdrückt), die in Allem enthalten ist, so daß ihnen alle anderen Substanzen bloß als Modifikation der einen erschienen, welche die Essenz von Allen darstellt; diese Substanz zu erfassen, darauf war zunächst das ganze Streben der rosenkreuzerischen Alchimisten gerichtet; so erschien ihnen darin, was die Mönche des Ostens das Athoslicht nennen, und die Kraft, diese Substanz zu erfassen, schöpften sie aus der Entwicklung ihrer geistigen Seelenkraft; sie fanden sie draußen in der Natur wie im Menschen selbst: im Makrokosmos als Einheitskleid der Natur, im Menschen aber in der Wechselwirkung zwischen Denken, Fühlen und Wollen; das Wollen: als Donner und Blitz, das Denken: im Regenbogen und die Morgenröte, das Fühlen: in der großen, feierlichen Stille der erhabenen Natur. Der Ätherleib des Christian Rosenkreuz enthielt diese Kraft. Alle diese Entdeckungen sollten durch hundert Jahre nach dem Erscheinen des Christian Rosenkreuz verborgen und geheim bleiben, doch konnte, als die Zeit um war, unter dem Drucke des hereinbrechenden Materialismus das Wissen um das magnum opus bloß gebrochen und verschleiert gegeben werden.

XII.
Die Geisterwelt der Alchimie

Der Ätherleib der Natur ist eine Vielheit, eine unendliche Mannigfaltigkeit mit einer unübersehbaren Heerschar von Wesenheiten. Die alchimistischen Rosenkreuzer sahen im Blau des Himmels die Farbe der vollständigen Hingabe, mit der sie in den Himmel eintauchten; ganz in derselben Weise wirkte das Grün der Natur, das Weiße der Schneedecke, alles gleichsam als Erlebnis des Zusammenklingens von Gedanke und Begierde, Wunsch und Erfüllung. Sie erlebten auf ihrem Wege Wesenheiten, die in Form und Gestalt, in Bild und Grenze gebannt, sich scheinbar gleichbleiben, dann wieder Wesenheiten, die sich beständig wandeln. In das Innere der Erde hellseherisch eindringend, begegneten sie den Wesenheiten des Gesteins und der Metalle, dem Gestein der Erde, dem Element Erde, in den Raum sich erhebend den Wesen des Wässerigen, der Wolkenbildung, des Wasserfalls, des Nebels und Regens; den Geistern des Blühens und Sprießens der Pflanzen im Element der Luft; den Geistern des Feuers in allen Keimen und Samen. Sie erlebten den Wechsel der Jahreszeiten in den Wesenheiten, die damit zu tun haben, die mit dem Blühen und Früchtetragen, mit dem Welken und Absterben beschäftigt bind, blitzartig dahinhuschenden Wesen. Nach und nach, bei beendigter Wanderschaft durch diese Naturreiche mit ihren Wesenheiten, verschwindet das Reich des Ätherleibes der Erde. Die Wanderschaft geht nun durch den Astralleib der Erde in die spirituelle Welt. Da kommt nun eine ganz neue und andere Art von Wesenheiten zum Vorschein: Geister: die sozusagen Befehlshaber, Übergeordnete, Vorgesetzte der Naturgeister sind; zu ihnen, als dem Zugehör zum Astralleib, kann nur der Astralleib des Menschen (zur Nachtzeit, im Schlafe) vordringen; es sind, mit Zeit und Raum als Idee verbunden: die Geister der Umlaufszeiten, der Tag- und Nachtgleiche, der Drehung der Erde. Zwei Schleier also hat der Alchimist zu heben: den des Reiches der Elemente (des Ätherleibes) und den des Reiches der Umlaufszeitgeister (des Astralleibes der Erde). Da taucht nun allerdings die Frage auf, was mit dem Ichkern des Alchimisten werden mag. Das Ich des esoterischen Menschen, der als richtiger Alchimist anzusehen ist, läuft im Augenblicke dieser zweiten Wanderschaft in Gefahr, einzuschlafen und sich zu verlieren. Da der Ätherleib des Menschen eine Einheit, der Ätherleib der Natur aber eine Vielheit ist, ein Verhältnis, das auch für den Astralleib des Menschen und den Astralleib der Erde besteht, so wächst hier die Gefahr der Zerstückelung (eines okkulten Erlebnisses, das im zerstückelten Osiris, im zerstückelten Dionysos sein erhabenes Vorbild hat); darum gibt der Meister dem Adepten für diesen Punkt der Reise genaue Weisungen, die verhüten helfen, daß das Ich, um es so vulgär als möglich auszudrücken, bei sich bleibe, sich nicht verliere, nicht der Welt abhanden komme; zwei Dinge dürfen dem Ichbewußtsein nicht verlorengehen: die Erinnerung an alle Erlebnisse der gegenwärtigen Inkarnation und die Stärke des moralischen Gewissens. Geht nun die Wanderschaft auf diese Weise in Ordnung vor sich, so steigt der Adept zu dem einheitlichen Geiste der Planeten selbst auf; er bleibt mit der Sonne verbunden, wenn diese selbst auch untergegangen ist, denn die geistige Sonne leuchtet ihm. Der Planetengeist, der Geist der Erde, regelt die Wechselbeziehungen zwischen der Erde und den anderen Planeten. Ist der physische Leib durch die Wahrnehmung mit der Sinnenwelt (den Naturkräften) verbunden, so steigt der Ätherleib durch die Imagination zum Reiche der Naturgesetze, der Welt der Naturgeister auf, der Astralleib aber, durch die Inspiration, zum Sinn der Natur, den Geistern der Umlaufszeiten, und das Ich, durch die Intuition, zu den Planetengeistern. Die Naturkräfte, von denen das gewöhnliche Bewußtsein der Menschen spricht, als da sind: Licht, Wärme, Magnetismus, Elektrizität, Anziehung, Abstoßung, Schwerkraft, Gravitation usw., sind nichts anderes als Wesenheiten der Maya (der Erscheinung), denen in Wirklichkeit die Welt der Naturgeister entspricht, so den Ätherleib der Seele ausmachen. Die Naturgesetze wiederum sind Maya, hinter der die Welt der Geister der Umlaufszeiten liegt; zum Planetengeist aber vermag die Mayawissenschaft überhaupt nicht vorzudringen; nur die Künstler, die Dichter, die Musiker, die Maler und die esoterischen (metaphysischen) Denker sind das imstande, indem sie den Sinn hinter den Dingen, die wahre Wirklichkeit, den Ewigkeitszug der Dinge wittern und suchen. Die Quelle aller dieser Erkenntnis ruht im Innern, im Innenleben des Menschen, in ihr liegt auch das große Geheimnis der Bewußtseinszustände und ihrer Entwicklung, Durch ihr Innenleben sind die Menschen, ohne daß sie sich Rechenschaft darüber ablegen, mit den höheren Welten verbunden; sie sind mit ihrem Innenleben entweder im Einklang oder im Widerspruch zu den höheren Welten: durch die Pflege wahrer Gedanken und richtiger Wirklichkeitserkenntnis gelangt der Adept zum Tor, das in die geistigen Welten führt; mit dem Gefühl einer starken, opfermutigen und selbstlosen Liebe kommt man den Engeln nahe, der nächst höheren Wesenstufe, vom Menschen aus gesehen und gefühlt. Auf diesem Wege gelangt der Mensch auch zu jenen Wesen der dritten Hierarchie, die, in der Sprache der Dichter, der Engel, der jedem Menschen zur Seite ist, der Schutzengel des Menschen genannt wird. Über den Engeln stehen die Erzengel (Archangeloi), die Engel der Menschengruppen und Völker, über den Erzengeln aber die Zeitgeister, die Leiter des Zeitgeistes und der Zeitalter (Archai). Die Zeitgeister endlich bringen unausgesetzt neue Geister aus sich hervor!

XIII.
Die Planetengeister

Die Wanderschaft des geistigen Alchimisten geht nun folgerichtig weiter zu den Höhen der geistigen Hierarchien zweiten und ersten Grades. Nicht alle kommen freilich so weit, denn die Sphäre der Zeitgeister, Erzengel und Engel ist so vielgestaltig und wundersam, daß es den Adepten mit ungefestigtem Ichkern schwer wird, sich von ihnen loszumachen; erscheint ihnen doch schon alles, was sie auf diesem Punkt ihrer Entwicklung erleben, schauen und gleichzeitig in der Materie auszudrücken vermögen (und gerade das lockt ja am stärksten), als so viel und so wertvoll, daß es sie nach weiterer Wanderschaft nicht gelüstet! Den Wesenheiten der dritten Hierarchie stehen die Naturdämonen zu Diensten: die Geister der Erde, des Wassers, der Luft und zuletzt auch des Feuers. Es sind Dämonen und sie üben auf das Menschenwesen einen unbeschreiblichen Zauber aus. Die Geschichte der Alchimie ist reich an Adepten, die den Dämonen verfielen und mit Hilfe unlauterer, ungeordneter und zu Mißbrauch stets einladender Kräfte und Wesenheiten, denen sie selbst Gestalt gaben, indem sie ihnen ihre Wunsch- und Begierdensubstanz zur Verfügung stellten, zum großen Werke zu gelangen hofften. Der wahre Adept bleibt bei dieser Zauber- und Dämonenwelt nicht stehen; er steigt in seiner Bewußtseinsentwicklung zu den Wesenheiten der zweiten Hierarchie auf; sie schauen, sie erleben, heißt, sich selbst in einer bestimmten Art und bis zu einem gewissen Grade von Bildhaftigkeit objektivieren; die zweite Hierarchie ist die Hierarchie der Töne, der Sphärenmusik; hier leben und weben, im geistigen Sinne, die Geister der Form (Exusiai), der Bewegung (der Veränderung und des Werdens, Dynameis) und die der Weisheit, gesetzt über die Gesamtphysiognomie, den Gesamtgestus, die führende Weisheit der Welt, die die Gruppenseelen der Tiere und Pflanzen birgt. Von den Geistern der Form erhält der Planet seine Gestalt, von denen der Bewegung seine innere Wandelbarkeit, von den Geistern der Weisheit das Bewußtsein des astralischen Leibes. Die dritte, die höchste Hierarchie, in. der allbeseligenden Nähe Gottes verharrend, umfaßt die Geister des Willens oder Trone (von denen die Impulse zur Bewegung der Planeten im Baume ausgehen) oder Geister des Willens; die Cherubime (die die Einzelbewegung des Planeten im Verhältnis zu den anderen Planeten regeln) und endlich die Seraphime (denen das seelische Leben eines Planeten in Verbindung mit der Sprache anvertraut ist). Mit ihnen, den höchsten Wesenheiten, ist auch das große Geheimnis des Falles der Engel verknüpft, das im Komplex der Alchimisten eine besondere Rolle spielt. Die Wahrheiten der obersten, höchsten Hierarchie, bekommen in einem bestimmten Augenblicke der Weltentwicklung das »Gelüste«, ihre Natur zu verleugnen; als oberste Hierarchien Gottes können sie von Natur aus keine Selbständigkeit, keine Individualität, wenn man es so nennen will, haben, wie sie etwa der Erdenmensch entwickelte; eine Gruppe dieser Wesenheiten empfand nun den brennenden Wunsch, ihr Wesen im Spiegel einer Art Außenwelt zu erleben; damit verleugneten sie zugleich ihr eigenes, von Gott unmittelbar verliehenes Wesen, womit die Unwahrheit, der Geist der Lüge, in ihre Reihen drang. Diese Geister nennt Rudolf Steiner in seinem wundervollen Vortragszyklus »über die geistigen Wesenheiten in den Himmelskörpern und Naturreichen« luziferische Geister, Wesenheiten, die ein selbständiges, inneres Leben entwickeln wollen, indem sie die höhere Substanz der dritten Hierarchien wie deren Auftriebskraft für sich abzuspalten suchen. (Etwas Ähnliches spielte ja auch bei anderen höheren Wesenheiten in die Entwicklung hinein, denn und nur so läßt sich das Eigenleben der Planeten erklären. Die Substanz der Planeten Saturn, Jupiter und Mars, die vom okkulten Gesichtspunkte aus, raumerfüllend ist, stammt von den Geistern der Form; diese besitzen aber in der Sonne einen gemeinsamen Mittelpunkt. Von den abgespaltenen Geistern der Form stammen die zersplitterten Weltformen, die den Namen Planeten tragen, die Erde miteingeschlossen; es ist auch grundfalsch, daß die Planeten ihr Licht von der Sonne borgen müssen: jeder Planet hat sein eigenes Licht, das er in sich verborgen hält; es gibt in Wahrheit keine materielle Welt, denn diese ist, in Wahrheit, nichts anderes als ein Zusammenspiel geistiger Kräfte, und unsere gewöhnliche Astronomie beschreibt nichts als die Maya, dahinter die Wahrheit der geistigen Welt liegt. Jeder Planet hat seine eigenen Geister der Bewegung und der Form, und aus dieser Einsicht bezieht die Astrologie ihre genauen Beschreibungen der Grundtendenzen, die jedem Planeten eigen sind. Ganz anders steht es um die Fixsterne, vor allem um die Sonne, für die nur die dritte Hierarchie Bedeutung hat. Die Einflußsphäre der Fixsterne reicht hinaus bis zu den Geistern der Weisheit, die der Planeten bis zu den Geistern der Form. Die Sphäre des Mondes aber reicht bis in das Gebiet der Erzengel hinab, denn der Mond (wo es weder Menschen noch Tiere, gibt es auch keine Engel) ist weder ein Planet noch ein Fixstern. Alle Monde eines Planetensystems sind bloß Leichname verstorbener Welten, Leichname des Planetensystems; in der Zusammenfassung der Fixsterne aber ist der ätherische Leib des Planetensystems zu suchen; die Kometen und Meteore endlich sammeln alles, was an schädlichen Substanzen vom Planetensystem ausgestrahlt wird, an sich und reinigen damit das System selbst. Die Kometen sind die reinigenden Gewitter im Planetensystems; ihre Sphäre reicht bis zu den Cherubimen. Das Gold aber ist ein luziferisches Mineral!

XIV.
Die Arbeit am Stein und das Karma

Das Gold ist ein luziferisches Mineral. Hier liegt die Tragödie der Alchimie als einer Kunst, die Materie verwandelt. Man kann sie mit Gott, seinen Heerscharen und in Gemeinschaft mit den Heiligen aller Zeiten, man kann sie aber auch mit Hilfe der Dämonen betreiben und mit den Kräften der Hölle. Betrachtet man die zwölf seltsamen Bilder zu den zwölf Schlüsseln des Basilius Valentinus, ordinis Benedicti, so stellen sie, symbolisch, göttliche und erhabene Vorgänge dar, denen die beigegebenen Beschreibungen offenkundig auch die zugehörige materielle Deutung geben. Der Stein der Weisen ist ein herrliches Produkt, das Krankheit heilt, Jugend wiedergibt und alle Macht der Erde in die Hände gibt, denn er ist von »subtiler, spiritualischer und durchdringender Eigenschaft«. Der niedere Alchimist aber, ganz auf das Irdische und Begehrliche gerichtet, denkt nur an die Stangen Goldes, die sich aus geringfügigem Samen mittels des roten Pulvers gewinnen lassen und die ihm Macht über Menschen verschaffen und den Schlüssel zu aller vergänglichen Lust liefern. Gold ist zugleich Schöpfung des Lichtes. Die Natur erzeugt es mit den Kräften der Sonne in gelindem Feuer und nicht weit von der Oberfläche der Erde. Der Alchimist behauptet, daß überall, wo Gold gefunden wird, auch eine bescheidene Pflanze wachse, die Homer Moly nennt, ein rätselhaftes Ding, das die Jugend wiedergibt. Margrave in Bulwers »Seltsamer Geschichte« sucht nach dem Kraut und kommt dabei durch Präriebrand um, nur in der Retorte des Alchimisten wächst dieses Kraut, das den bekannten Spruch, gegen den Tod sei kein Kraut gewachsen, ad absurdum zu führen scheint, nicht. Sein rotes Pulver, zu trinkbarem Gold bereitet, enthält in sich selbst das Geschenk der ewigen Jugend. Es ist nun aber an der Zeit, einen Blick in das Laboratorium des in der Materie arbeitenden Adepten selbst zu werfen. Stehen die Gestirne günstig, ist der Aszedent mit guten Aspekten beglückt, der Hyleg in Ordnung und das Medium coeli klar, so geht der Adept zunächst daran, die erste Materie, die jungfräuliche Erde, zu suchen, die des großen Werkes Grundlage bildet. Sie muß im Frühjahr gesucht werden, denn da ist sie am wärmsten und frischesten zu finden, da ist sie vom Himmel selbst mit Kräften der Verwandlung gesegnet. Die Adepten verbreiten über diesen Punkt mehr oder weniger vollkommenes Dunkel; just, wo sie am deutlichsten zu sprechen scheinen, sind sie am zweideutigsten, indes, wenn man ihnen nicht auf die Finger sieht, ihrem Mund, unbeachtet, wie ein Mäuslein, plötzlich ein Wort entschlüpft, das des Geheimnisses ganzen Sinn enthüllt. »Weißt du jetzt noch immer nicht«, sagt auch Basilius Valentinus, »worum es sich handelt, so ist dir nicht zu helfen, aber der Grund dafür liegt an dir, nicht an mir, da ich aufrichtig, offen und ohne Hinterhalt rede«. Kein Wunder, daß bei solchem Stande der Dinge Alchimisten, denen es an der wahren Erleuchtung fehlt, im Kreise gehen, bald nach dieser, bald nach jener Materie greifen und Schiffbruch leiden. Am traurigsten ergeht es den Sterkowisten, die bald Guanit, bald Struwit nach Hause bringen, in jahrhundertealten aufgelassenen Kloaken gesammelt, als schmiegsames, goldgelbes Steingebilde, das die Natur verwandelt hat, das aber seine übelriechende Wesenheit sofort wieder offenbart, wenn der Prozeß im Athanor, im Ofen des Alchimisten, beginnt. Wohl verwendet man bei späteren Arbeiten in der Tat Pferdemist, der einen besonderen Grad von Wärme darstellt, aber als prima materia selbst kommt er ebensowenig in Betracht, wie jedes andere Exkrement. Weit näher schienen jene Adepten dem Zentrum der Arbeit, die das Geheimnis der ersten Materie im Atem des Menschen, im Tau, Schnee und Regen des Himmels vermuteten, besonders in solchem Wasser, das aus Frühlingsgewittern stammt, obgleich ihnen nicht klar war, wie diese Dinge zu Erde werden sollten. Sie gingen im Frühjahr, vor Sonnenaufgang, ins Freie und atmeten in ein Gefäß so lange, bis der Niederschlag sich sammelte; das blieb dann an wohlverwahrtem Orte stehen und schlug, so wird berichtet, eine Form Erde ab, die dem gesuchten köstlichen Ding sehr nahekam. Gewisse Experimente werden beschrieben, die zunächst zu beweisen scheinen, daß die Natur in ihrer Werkstatt die Mischung ihrer Gebilde nach den Gradunterschieden der Subtilität vollzieht; eine feine, sorgfältig ausgewählte Erde wird in Wasser getan und zerrieben, worauf Erde und Wasser durch eine bestimmte Zeit auf einander wirken, ein Prozeß, der, wechselnd in der Einwirkung, immer wiederholt wird, bis ein bestimmter Grad erreicht ist. Andere wieder lassen Tau, Reif, Schnee oder Eis einen vollen Monat lang an geschütztem Orte filtriert stehen; es wird behauptet, daß bei diesem Experiment nicht weniger zustande kommt als ein feines, durch die Strahlen der Sonne bereitetes Pulver, das die vier Elemente in sich enthält. Endlich wieder werden Versuche beschrieben, eine sichtbare Form der Weltseele darzustellen, soweit sie auf der physischen Ebene auftritt.

XV.
Die Quintessenz

Nimmt man nun an, dem Adepten wäre gelungen, durch die Scylla und Charybdis solcher Experimente durchzukommen, so beginnt für ihn eine sehr schwierige Arbeit, darin bestehend, die sogenannte Quintessenz des Goldes, Silbers und Quecksilbers zu bereiten. Der durchschnittlich mit chemischen Manipulationen vertraute Leser hat wohl eine Ahnung davon, wie Drogisten die Essenz, das Parfüm, den Esprit einer Substanz herstellen. Jede Drogenhandlung ist bis zu einem gewissen Grade eine Stätte, wo man Ergebnisse alchimistischer Prozesse bekommen kann. Ähnlich, wenngleich ungeheuer gesteigert, sind die Versuche zu werten, die zur Darstellung der Quintessenzen des Goldes, des Silbers und des Quecksilbers dienen. Aus dem Golde gewannen die Adepten auf ihre Weise das Prinzip Sulfur, aus dem Silber den Merkur, aus dem Quecksilber das Sal. In einer Beschreibung dieser Arbeit wird darüber von alten und neueren Alchimisten gesprochen. Man findet Rezepte dazu bei Parazelsus so gut wie bei anderen, als verläßlich und erfolgreich bezeichneten Alchimisten. Am besten scheint mir Philalethes, der wahre Philalethes genannt, beschlagen zu sein; nicht mit Unrecht nennt ihn Lenglet einen Adepten des 17. Jahrhunderts, der »keine Märchen« erzählt und der in seinen Mitteilungen am weitesten gegangen sei. Es ist falsch, anzunehmen, daß die Arbeit der Alchimisten ein Vergnügen darstellt (Goethes Faustwort »zwar ist es leicht, doch ist das Leichte schwer« scheint hier eine höchst passende Anwendung zu finden); seine Arbeit ist kein Spiel, und just die Vorbereitungen gehören zu den schwierigsten Kapiteln des ganzen Werkes; so langweilig sie auch aussehen, sie müssen mit Geduld in Angriff genommen werden. Darum, so fügt Philalethes schalkhaft hinzu, sei eine Frau ungeeignet, das magnum opus anzugehen; sie würde ein Amüsement erwarten, wo nur Arbeit zu finden ist. Worin besteht diese nun? In einer Reihe von Prozessen, die bestimmte Zeiten in Anspruch nehmen. Waren die Quintessenzen der drei Metalle, Gold, Silber und Quecksilber, im Athanor und in die präparierte Erde eingenistet, so dauerte die erste Arbeit vierzig, die Kochung aber neunzig Tage und Nächte. Der eine Weg, den Philalethes beschreibt, nimmt sieben Monate, der andere anderthalb Jahre in Anspruch; drei Stadien müssen durchschritten werden, die durch Farben gekennzeichnet sind: die schwarze, die weiße und die rote, woraus sich ergibt, daß die heiligen Farben des ersten deutschen Reiches Schwarz-Weiß-Rot auf Grund höherer Eingebung entstanden sind. Die Arbeit durchschreitet sieben Planetensphären und die zwölf Tierkreiszeichen, die Planeten in der nachstehenden Ordnung: Merkur, Saturn, Jupiter, Mond, Venus, Mars und Sonne. Philalethes gibt, wenn das siebente Regime, das der Sonne, erreicht ist, weitere Aufschlüsse über die Fermentation, Imbibition und Multiplikation des Steines, drei sehr wichtige Schlußarbeiten, die, oft schlecht verrichtet, die Vernichtung der Früchte der ganzen Arbeit herbeiführen. Nichtsdestoweniger ist das Problem damit, noch lange nicht erschöpft: die Art der Anwendung des Steines, seine verschiedenen Verwendungen überhaupt, geben manche harte Nuß aufzuknacken. Als sicher nimmt Philalethes an, daß das Aurum potabile ein tausendjähriges, unerschöpflich reiches Leben verbürgt, daß man alle Edelsteine der Welt, schöner und edler damit herstellen kann, als die Natur sie hervorzubringen vermag, und daß es endlich eine Art Universalmedizin für alle Leiden dieser Erde darstellt. Die Verwandlung der niederen Metalle in Gold geschieht vorläufig in derselben Weise. Der Adept läßt auf die Masse aus Blei, Kupfer oder Zink ein Körnchen seines roten Pulvers fallen, das eine erstaunliche Multiplikation Goldes als Resultat ergibt. Kam er auf unrechtmäßige Weise in den Besitz des Pulvers, so war seine Herrlichkeit zu Ende, wußte er das Geheimnis der Tinktur, so war er so hochentwickelt, daß ihn nach der Herstellung des luziferischen Minerals nicht mehr verlangte. Die Macht haben und sie gerade deshalb nicht gebrauchen, darin lag wohl der tiefste Sinn alchimistischer Erfüllung. In der Anwendung des Steines bei tödlichen Krankheiten ergab sich übrigens, worüber zahlreiche übereinstimmende Berichte vorliegen, eine merkwürdige Erfahrung. Nicht immer wirkte der Lapis in dem Sinn, den man erwartete; es gab sogar Fälle, in denen der Kranke nach Behandlung mit dem trinkbaren Gold in schweren Krämpfen zusammenbrach und starb, indes andere, in gleicher Lage, durch das Elixir sofort gesund wurden, wie durch ein leibhaftiges Wunder. Die Ursachen solcher verschiedener Wirkungen ist nicht schwer zu erraten: sie liegt im Gesetz des Karma! Das Karma, insbesonders das Karma des Todes, ist kein starres Muß, sondern dehnbar in gewissem Umfang, zeitlich wie räumlich. Oft scheint die Uhr eines Lebens abgelaufen, in der Buchführung Ahrimans, der das Sterben regelt, beschlossen und besiegelt, und dennoch, in letzter Stunde, geschieht, wie durch ein Wunder, eine Wendung zum Besseren, oder: ein Mensch, in unmittelbarer Todesgefahr, wird gerettet, obzwar ihn jedermann für verloren hielt. Es scheint, daß der Engel, der den Menschen begleitet, in kritischen Augenblicken die Macht hat, dem Sensenmann in den Arm zu fallen und gleichsam von den Mächten, die Leben und Sterben verwalten, einen Aufschub, wenn man will, eine Begnadigung zu erwirken. In solchen Fällen ist das Elixir der Weisen ein sicheres und unfehlbares Mittel. In anderen hilft es, Karma zu vollziehen und die Stunde des Todes zu erleichtern.

XVI.
Die Alchimie und unsere Zeit

Man kann das große Kapitel über die Alchimie und die Arbeit am Stein kaum schließen, ohne an dieser Stelle noch einmal daran zu erinnern, daß die Rosenkreuzer jahrhundertelang zugleich die einzigen wahren Alchimisten gewesen sind. In diesem Zusammenhang mag denn auch ein Wort über die Freimaurerei gesagt werden, die heute, allerdings streng genommen, in einer Darstellung der alchimistischen Geheimnisse keinen Platz mehr hat. Sowenig von der Erkenntnis der Geheimschulen in der Freimaurerei von heute auch lebt, ihre unterirdische Verbindung mit den Rosenkreuzern, deren Sitten und Gebräuche die alte Maurerei zum Teile übernahm, obschon sie an die Bauhütten und Symbole der Baumeisterinnungen anknüpft, ist unbestreitbar. Es liegt nicht im Rahmen dieser Schrift, die Geschichte der Freimaurerei auch nur in kurzen Zügen zu entwerfen, die Hieramlegende und ihre höchst sonderbar und wunderlich verschnörkelten Gedankengänge zu deuten und zu kritisieren, noch sich mit der gar nicht so wichtigen Frage zu befassen, ob die zahllosen Angriffe auf das Wesen und Wirken der Freimaurerei und bis zu welchem Grade sie auf Tatsachen und einwandfreien Grundlagen ruhen. Als sicher gilt, daß der Grundgedanke der Freimaurerschaft (Dienst an der Menschheit) ein edler ist und daß eine ganze Schar einwandfreier und erleuchteter Geister Freimaurer waren und noch heute sind. Indes liegt wohl in der Natur der Sache, anzunehmen, unlautere Elemente hätten sich, im Interesse dieser oder jener Ziele, zu allen Zeiten bis auf den heutigen Tag, ihres Einflusses und der stets reichen freimaurerischen Mittel skrupellos bedient, um im Trüben zu fischen und die Angelegenheiten der seßhaften Nationen von Grund auf zu verwirren. Drei Mächte dieser Welt haben zur Zeit des Weltkrieges vollkommen versagt: die Kirche, die Freimaurer und der Sozialismus, der vergeblich mit der Solidarität der »Proletarier aller Länder« flunkerte, in Deutschland das nationale Bewußtsein systematisch untergrub und mit den Feinden der Mittelmächte unter einer Decke steckte. Kein Schuß wäre abgegeben worden und das furchtbare Elend des allgemeinen Menschenschlachtens erspart geblieben, wenn die Kirche die Macht gehabt hätte, Christen davon abzuhalten, Christen zu töten, wenn die Freimaurer den festen Willen aufgebracht haben würden, ihren Einfluß und ihr Geld für die Sache der ganzen Menschheit einzusetzen und ihr Hauptinstrument, den Sozialismus, von seinem törichten Beginnen abzuhalten, das Heil der Menschheit im Umsturz der materiellen Grundlagen zugunsten irgend einer Klasse zu erblicken. Wohl weiß ich, daß der Ausgang eines so finsteren Zeitalters, wie des Jahrhunderts der »Aufklärung«, der materialistischen Geschichtslüge und der entseelten und entgeisteten Naturwissenschaften, unmöglich eine andere Wirkung als die einer großen Katastrophe mit sich bringen konnte. Die niedrigen, elenden und auf die gemeinsten Instinkte gegründeten Gedanken der Menschen, beschützt, begünstigt und auf alle Weise gefördert durch eine auf den Aberglauben an den Affenursprung basierte Afterwissenschaft, die Flammen des Hasses, der Habgier und des Neides, zusammen mit allen zerstörenden Kräften in den Weltraum entsendet, konnten unmöglich eine andere Antwort aus dem All erwarten. Die ganze Magie der Hölle konnte ihren Apparat nur deshalb so schamlos und verhängnisvoll entfalten, weil die Gegenmagie der Kirche ihre Kraft ebenso eingebüßt hat wie die der Freimaurerei, die, der Kirche gleich, in die Händel dieser Welt verstrickt, das Bewußtsein ihrer Sendung außerhalb der religiösen Impulse verlor und, bei aller Einsicht in die hohen Dinge, gegen die alten Alchimistenfarben Schwarz-weiß-rot Front machte, obgleich sie die alchimistische Deutung dieser erhabenen Dreifaltigkeit wohl kennen sollte. Der Verlust der alten, heiligen Geheimnisse hat die Kirche ebenso sicher ihrer magischen Gewalt beraubt, wie die Freimaurerei, die das »sozialistische Freidenkertum« auf alle Weise nährt und durch positivitische »Philosophie«, Psychoanalyse, Charakteriologie und ähnliche von der Presse systematisch aufzüchtete und beweihrauchte Geschäftigkeiten und Humbugweistümer in achtbare Betätigungen umfälscht. Wen wundert es noch, daß, als letzte Blüte auf dem Giftbaum einer bis ins Innere vergifteten amusischen Kultur, das Hakenkreuz, einst ein geheimnisvolles, feierliches und überaus bedeutsames okkultes Wahrzeichen, nun als Geschäftsmarke der neuesten Teufelei aufscheint, die das edle Schwarzweißrot, die hohe Trias der wahren Weisen und Philosophen, mit dem Sozialismus verbindet.

Der Hexensabbath ist in vollem Gang und Satan lebt herrlich in der Welt!


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