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Es war ein prächtiges starkes Maulthier, das am frühen Morgen vorgeführt wurde, und wohlgemuth ritt ich das wilde Gebirge hinan. Am frischen Morgen, wo der balsamische Duft von tausend Wildkräutern mir entgegenwehte, war es ein anregender Gedanke einen Weg zu versuchen, den noch wenige Menschen gekommen.
Einen kleinen Vorgeschmack bekam ich gleich in einer fürchterlichen Schlucht, die zwischen schwarzen zerrissenen Basaltwänden sich allmählich aufwärts zog. Auf der Pfadsteile und zwischen dem Geröll und Gesteine, welches den Boden des Barranco bedeckte, stieg mein Reitthier so flink auf und nieder, als ging es auf mäßigem Berghang und grünem Anger. Als wir aber oben herauskamen, wo Korn- und Cactusfelder sich zeigten, wollte es auf einmal links in ein Seitenthal. Denn siehe, da winkten die Orangenbäume, deren saftschäumende Frucht mir gestern Abend so sehr gemundet. Es war das Landgut des Gastfreundes, mit Gärten und Anbau eingesenkt in eine Vertiefung im Gebirge. Wir ließen es zur Seite, und als wir endlich die Höhen dahinter erreichten, da dehnte sich unabsehlich die Bergwildniß, aber schimmernd in lachenden Farben, als hätte der Frühlingsgott selbst sie angelächelt: so blühten und wogten und dufteten die Abhänge von bunten Kräutern und Gebüschen.
Eigenthümlich war jetzt der Rückblick auf das Meer. Gomera lag da unten wie ein ungeheurer Sarkophag, über welchen von oben herunter ein Teppich gebreitet ist in dunkeln Falten und unten zerrissen, – die Waldung. Ferro trat mehr und mehr aus den Nebelschleiern und lag zuletzt ziemlich klar im Silbergrau des Morgens. Palma aber blieb dunstig halbverhüllt. Doch es bestand auf dem Ozean noch eine Menge anderer Inseln, ganz deutlich zackten sich ihre Gebirge und zogen sich die Linien der Ebenen. Täuschung! Nur die Wolken und ihre Schatten bereiteten dieses Augenspiel, das sich fortwährend änderte. Ueberhaupt erscheint von solchen Inselhöhen der Ozean wie eine selbstgewaltige Macht, die ewig brauet und gestaltet und die Inseln wie zum Spiel vor sich her schwimmen läßt, jeden Augenblick bereit sie wieder einzuschlingen. Ganz anders stellt sich das Mittelmeer dar: da ist die blaue See nur die schmückende Umgürtung der Inseln und Küsten, und deren braune und violette Anhöhen sind nur die Pracht und Zierde der wogenden See.
Erhöht wurde die Gebirgsherrlichkeit durch die Waldreste, die man freilich schon stark gelichtet hatte. Hier und dort ragte noch ein riesiger Fichtenbaum in die blauen Lüfte, und von einem zum andern war der Boden dicht besetzt mit mächtigen Farrenbüscheln und leichtem Unterholz, das aber eine Höhe von 10 bis 15 Fuß hatte und über und über mit Blüthen behangen war. Da hob der Ginster sein windbewegtes Gewirr von gelben Stangen, der Escobone die zahllosen weißen Blumen, die süßer duften als rother Klee, der Codeso seine goldene Pracht, die wieder den Ginster ausstach, und schon ließen sich die blaßgrünen Leuchten der Retama blicken. Die Luft war ein einziger Wohlgeruch, wie nur in einem wohlbestellten farbenbunten Kunstgarten: jedoch im Hochgebirge hat dieser wehende Blüthenduft etwas Wildes und Erregendes, das gar köstlich anmuthet. Weithin zogen in dieser wonnigen Einsamkeit, unter dieser lichtfunkelnden Himmelsbläue Blicke und Gedanken. Es war Ostermorgen, die hehre Feier alles dessen, was da verklärt und ewig wirkt im Weltall, der unsterblichen und erlösten Seele erhabenstes Fest, zu dessen Höhe nur das Christenthum sich aufgeschwungen.
Lange hielt ich Umschau in der weitlichten Bergwildniß und über den Ozean, der sie umringte. Dann ging es höher hinauf zwischen kahle Berge, deren Gipfel und Hörner hoch in die Lüfte ragen und an deren Seiten lange Geröllfelder niedergehen, roth und braun, grün und gelb. Leider kamen wir jetzt auch in die Wolken, der Himmel wurde grau, und der Wind peitschte mir die wässerige Luft ins Gesicht. Drei Stunden waren im raschen Aufsteigen von Guia her vergangen, da hatten wir die Kante der Cumbre erreicht.
Cumbre nennen die Canarier das Gebirge, das tief gefurcht an ihren Ansiedlungen empor und über dem bebauten Land immer höher steigt, bis seine Zacken und Riffe sich hoch am Himmel abzeichnen, gleichsam die Dachfirsten der Inseln. Die Ortschaften liegen gewöhnlich vor der Mündung der Schluchten oder Barrancos, wo die Berglehnen sich meistens weniger steil niedersenken. Die Barrancos aber gleichen Erdspalten, und zwischen den schwarzen Basaltwänden sind sie gefüllt mit Wald und Grün und Grotten und Bachgeriesel. Das Gewässer, das silberhell und rauschend durch das dunkle Gestein bricht, und die angenehme Kühlung, welche sie durchweht, machen diese Schluchten zu einem wonnigen Aufenthalt, und man müßte sehr ermüdet hineinkommen, wenn man in dem Geklüfte nicht nach neuen und immer seltsameren Pflanzenformen umherblicken sollte. Fächerartig zerreißen die Barrancos das überall ansteigende Gebirge und scheinen bis in sein Eingeweide vorzudringen.
Ich befand mich nun auf der Höhe des Kirchendachs von Teneriffa. Es wurde nämlich schon in alter Zeit die Insel mit einem hohen langfortlaufenden Kirchendach verglichen, an dessen westlicher Ecke der Kirchthurm des Pico de Teyde emporragt. Unten an den Säumen des Daches, wo es ins Meer niedergeht, liegen die Ortschaften. An der nördlichen Seite sind sie dichter gesäet und gehen auch viel höher herauf. Dort verbreiten sich Grün und Saaten über Hänge und Ebenen. Wie arm ist dagegen die südliche Seite! Braun und trocken streckt sie sich von den Firsten des Daches hinunter, überall von vulkanischem Gerölle bedeckt: nur wo es Schluchten und Vertiefungen gibt, gedeiht eine Pflanzung.
Ich begriff jetzt vollständig jenen seltsamen und keineswegs schönen Charakterzug der Canarier, von welchem ich Tags vorher ein paar Beispiele gehabt. Jede Insel, jede Landschaft, jede Gemeinde hat ein so hohes Selbstgefühl, ist so sehr von ihrer Vortrefflichkeit überzeugt, daß sie Jedermann, der laut eine andere Gegend vorzieht, gleich einen Verleumdungsproceß anhängen möchten. Nichts macht sie unbilliger und ungerechter, nichts erfüllt die Herzen mit solcher Bitterkeit, als wenn sie das Lob einer andern Insel Landschaft Gemeinde anhören müssen. Sie sind wie unglückliche Eheleute, die beständig in gereizter Stimmung leben. Diese Eifersucht erklärt sich nicht allein aus der Abgeschlossenheit der Inseln Landschaften und Gemeinden; denn in jedem Hause lebt ein ganz ähnliches peinliches Selbstgefühl, und ich möchte den Canarier sehen, der mit seinen Nachbarn nicht einen Proceß hätte oder nicht danach verlangte. Diese Eigenschaft harmonirt gar wenig mit der Herzlichkeit Höflichkeit Friedfertigkeit Verständigkeit Genügsamkeit und wie die andere schöne Hälfte der -keiten ferner heißt: ich glaube man muß den Grund tiefer suchen.
Sollte nicht auch darin noch die Natur der Vorfahren der Canarier zum Vorschein kommen? Man liest nirgends, daß bei der Eroberung auch die Weiber todtgeschlagen worden, oder daß die fremden Soldaten Handwerker und Ansiedler sich Frauen mitgebracht hätten, und wo sich die Wandschen zum Christenthum bekehrten, fanden auch die Männer Gnade vor den Siegern. Aus solcher Vermischung ist, namentlich auf den Hauptinseln Teneriffa Palma und Canaria, das jetzige gemeine Volk hervorgegangen, und seine Gewohnheit und Gemüthsart mußte sich offenbar auch den bessern Ständen mittheilen.
Nun aber wissen wir von den alten Wandschen, daß sie in einer Menge kleiner Staatswesen zertheilt lebten, die beständig mit einander in Krieg und Fehde lagen. Die Streitigkeiten über die Weidegränzen hörten niemals auf, und Rechthaberei und Eigensinn war bei Häuptlingen und Stämmen so groß, daß sie lieber augenscheinlicher Gefahr entgegen gingen, als sich zur Abwehr zu verbünden.
Diese nationale Eigenschaft wurde durch die Natur des Landes außerordentlich begünstigt. Gomera ausgenommen liegt jede Insel ziemlich weit von der andern, die Landung ist fast überall durch Brandung erschwert, und bei schlechtem Winde, wie er oft Wochen lang anhält, müssen Segelschiffe ebenso lange umher kreuzen, ehe sie aus einem Hafen zum andern gelangen. Als die Eroberer im fünfzehnten Jahrhundert von Europa heransegelten, bestand durchaus kein Verkehr der canarischen Inseln unter einander. Jede dieser Inseln zerfällt außerdem von selbst in scharf getrennte Gebiete. Ein Hauptbergrücken scheidet sie in zwei Theile, wie die Nord- und Südseite von Teneriffa. Vom Hauptrücken laufen Aeste nach dem Meere aus und trennen die eine wie die andere Seite wieder in verschiedene Gebiete, deren Bewohner sich hier von der Brandung, dort von Schluchten und Bergketten umgeben sehen.
So hat sich die Abgeschlossenheit und gegenseitige Abneigung auf den canarischen Inseln verewigt, und darin, nicht bloß in der spanischen Gewöhnung an Plaudern Bedenken und Nichtsthun wurzelt auch der Mangel an Gemeinsinn, und die allgemeine Schlaffheit, wo es sich darum handelt, durch vereinigte Anstrengung etwas durchzusetzen. Sollte man es für möglich halten? Seit mehr als dreißig Jahren spricht alle Welt von einer Insel zur andern von einem Dampfschiff, das sie in die längst gewünschte rasche und regelmäßige Verbindung setzen müsse, und noch heute fehlt es.
Doch ich wende mich zur Landschaft zurück. Die Naturgestaltung ist auf den canarischen Inseln stets so machtvoll, so herausfordernd, daß man in ihrem Anschauen die Menschen und ihren Kram gleich wieder vergißt. Der Vergleich Teneriffas mit einem Kirchendach und Kirchthurm gibt keine unrichtige Vorstellung, nur entspricht er nicht einer der größten und seltsamsten Erscheinungen auf der Insel und dem ganzen Erdrunde, dem alten Erhebungskrater. Man müßte nämlich hinzusetzen, daß der Kirchthurm an der Westecke nicht unmittelbar aus dem Dache aufsteht, sondern daß er aus der Tiefe eines ungeheuren Mauerrings emporragt.
Man denke sich einen Rundberg, der an seinem Fuß einen Durchmesser hat von sechs deutschen geographischen Meilen und ringsum gleichförmig aufsteigt. Auf seiner Höhe von etwa 8000 Fuß trägt dieser Berg eine Rundebene, die noch zehn Wegstunden im Umkreise mißt. Diese Hochebene ist plötzlich in ihrem ganzen Umkreis eingebrochen und tiefer als tausend Fuß ins Innere des Berges zurückgesunken. Die Wände des Einbruchs stehen steil ringsumher, sie bilden am Rande der Rundebene ein fortlaufendes Riff, einen ausgezackten Ringwall, hier von 1000, dort von 1500, ja 1800 Fuß Höhe. Man sieht, alle Maße gehen hier ins Gigantische. Die eingesenkte Rundebene ist der Erhebungskrater, die Theile des ausgezackten Ringwalls, der auf einigen Stellen zerrissen und unterbrochen, jedoch überall in seiner langhinziehenden ungeheuren finstern Zackenlinie wohl zu erkennen ist, heißen die Cañadas.
Auf der einen Seite, und zwar im Ringwalle selbst, erhebt sich der Teyde, ihm gegenüber läuft auf der andern Seite der langgestreckte Rücken der Insel fort und trägt bloß den Namen der Cumbre. Der Teyde ist wie ein Monarch von einem Hofe großer und kleiner Berge umgeben, bald sind sie rundgewölbt, bald spitzrund. Ihren höchsten, den Pico Vieto oder Quebrado, könnte man wohl des Fürsten Großwessier nennen. Er steht ihm dicht zur Seite, und zwar bis auf eine Höhe von mehr als 9000 Fuß, und trägt auf seinem Gipfel ebenfalls einen gewaltigen Krater, aus welchem hauptsächlich die furchtbaren Lavaströme oder, sagen wir besser, diese Ketten von Lavabergen sich ergossen, welche jetzt den Erhebungskrater durchziehen und an einigen Stellen seinen weiten Klippenring durchbrechen. Man hat hier also drei Krater übereinander: 6000 Fuß hoch den alten Krater, 3000 Fuß höher den Krater des Pico Quebrado, und noch einmal 3000 bis 4000 Fuß darüber den Dampf- und Schwefelkrater des Teyde.
Von den Lavamassen aber, die sich im Innern des alten Kraters mehrere Stunden weit ausbreiten, macht man sich eine Vorstellung, wenn man liest, was vor 168 Jahren geschah, als sie einmal nach der andern Seite hin hervorbrachen, nämlich dort, wo der Teyde schlank aus dem Ozean aufsteigt. Dort kauerte ihm zu Füßen die alte Haupt- und Handelsstadt der Insel, deren Reichthum das Sprichwort Garachico – puerto rico bezeichnete. Sie stand auf dem Uferfelsen unmittelbar über dem Meer: die Schiffe konnten an die Güterhallen heranfahren, um Ladung einzunehmen. Auf der andern Seite umgab sie der herrlichste Wald, und stieg nieder bis zu den Wellen, und man konnte in der schönen Bucht von Garachico zugleich baden fischen und Wild schießen. »Am 5. Mai 1706,« so erzählt Viera in seinen »Denkwürdigkeiten,« Noticias III 355. »brach in zwei Armen ein schauerlicher Strom geschmolzener Felsen und glühender Massen aus dem Gipfel des hohen Risco hervor, und stürzte sich urplötzlich, alles vor sich her zerstörend und in Asche verwandelnd, über die Stadt. Ein Arm verschüttete den Hafen, indem er das Meer zurückdrängte und nichts als einen selbst für kleine Boote beschwerlichen Felsstrand zurückließ. Der andere steckte die Kathedrale, die Klöster des heiligen Franciscus und der heiligen Clara und die ganze obere Straße in Brand, wo die schönsten Gebäude standen, von denen noch stattliche Ueberreste vorhanden. Kaum hatten die Bewohner Zeit und Kraft, aus dieser neuen Pentapolis zu entfliehen. Weiber und Kinder Greise Nonnen Kranke, die einen zu Pferd, die andern zu Fuß, noch andere an der Hand nachgeschleppt oder kriechend, entwichen, beladen mit dem Kostbarsten was sie hatten, schaarenweise nach Ycod. Der Schaden war unermeßlich und die Veränderung des Terrains schrecklich. Die »smaragdene Mauer« schien wie mit einem versengten Tuch behangen zu sein. Verschwunden waren die Weingärten, die Quellen, die Vögel, der Hafen, der Handel und die Bevölkerung.«
Ich wartete in einer Ruine der Cañadas eine Zeit lang, ob sich die Wolken verzögen, welche tief unten das weite Kraterrund überdeckten. Zu Zeiten fuhr eine Windsbraut unter ihr bleichgraues Gewühle, dann traten da unten dunkle Lavaketten und weißliche Tuff- und Aschenberge hervor, und in weitem Bogen zog sich der düstere Zinnenkranz in die Wolken hinein.
Mein alter Ziegenhirt aber hielt es endlich an der Zeit und stieg hinab. Seine lange Lanza in der Hand schlüpfte er mit unglaublicher Behendigkeit um die Felskanten. Ueber die Schulter fiel ihm sein zottiges Ziegenfell, und darüber hing der Brodbeutel, den er ebenfalls aus dem rauhhaarigen Fell eines weißen Böckleins hergestellt hatte, indem er Kopf und Beine an der Haut abschnitt und die Enden zuband. Der Mann war in seiner Gebirgseinsamkeit ein so prächtiger alter Wandsche geblieben, als noch irgend einer auf den sieben Inseln lebte. Mein tapferes Maulthier aber kletterte und rutschte ihm unverdrossen nach, bis wir unten auf dem Boden des alten Kraters ankamen. Hier wandte sich der Führer sogleich zur Rechten unter die steil aufstarrenden Riffe und Klippen, und schritt eilig an ihrem Fuß über Geröll und Steinblöcke dahin.