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Ich hatte gehofft, mit der »Vérité«, einem französischen Dampfschiff, von Palma nach den Inseln Teneriffa und Gran Canaria und von da nach Europa zurückzukehren. Dieses Schiff wurde überall gerühmt, und es bot mir den großen Vortheil, auch die Städte an der marokkanischen Westküste abzustreifen. Allein nirgends war, als wir auf die Rhede von Palma eintraten, die »Vérité« vor Anker, und ich hörte: der Kapitän werde wohl gar nicht hieher kommen, er habe das Letztemal zu wenig Fahrgut gefunden. Ich mußte also in den sauern Apfel beißen und mit dem Postschiff, diesem schwimmenden Ställchen voll übler Gerüche, zurückgehen, und zwar am andern Abend schon – so sagte mir der Befehlshaber sehr ausdrücklich – müsse er absegeln. Weil ich nun gern das Innere der Insel und besonders die große Caldera gesehen hätte, so entschloß ich mich noch Nachmittags nach der Ankunft zur Fahrt, und zwar, damit sie um so rascher ginge, wollte ich auch für den Diener ein Maulthier mitnehmen. Da aber gähnte ein Palmeser nach dem andern, und meinte: das sei eine mühselige Sache, nach der Caldera zu reisen. Ob ich denn wisse, was das für ein harter weiter Weg sei? Und gar bis morgen Abend schon zurück? Das sei ganz unmöglich! Dabei war der Preis, den sie für die Maulthiere forderten, unerhört. Endlich sprach ich den englischen Konsul, der für sich allein hier eine Handelsakademie zu bilden schien, und dieser verschaffte mir sofort zwei rasche Reitthiere und gab Anweisung und Empfehlungsbriefe dazu.
Es war schon Spätnachmittag, als wir – fünf Wegstunden vor uns – die geneigte Ebene hinter der Hauptstadt der Insel hinaufritten, welche sich einem langen scharfen Bergrücken vorlegt und mit blühenden Fruchtgärten und Feldern, höher hinauf mit Kastanienbäumen besetzt ist. Der Rückblick wurde entzückend. Hier und da erhoben sich am Meer schöne Palmen, zwischen deren hohen Schäften die blaue Fluth durchschimmerte. In scharfen Zickzacken stiegen wir dann den Berghang hinauf, der mit jedem Schritt abschüssiger wurde. Die kleinen Maulesel – zum erstenmal ritt ich solche – trabten, wo es eben anging, und kletterten wie flinke Katzen, wenn das Gestein im Wege halsbrecherisch wurde. Weiter oben bezeugte hier und da ein hölzernes Kreuz Stellen, wo ein Reisender zu Tode stürzte oder im Winter mitten im eisigen Schneesturm ermüdete und erfror.
Den Hals brechen – das ist das einzige Unglück, das einem einsam Reisenden auf den canarischen Inseln begegnen könnte. Sonst aber mag er Tage lang aus einer verborgenen Schlucht in die andere steigen, überall herrscht tiefe Sicherheit. Raub und Mord um Geldes willen sind unerhört; auch der Hungernde denkt nicht ans Stehlen.
Wie ganz anders ist das in Sizilien! Als ich dort eines Morgens von Girgenti in das Innere ritt, erhielt ich ungesucht militärische Begleitung zum Schutz gegen Briganten, und andern Tages rettete mich bei dem Zusammentreffen mit dem Gesindel nur ein glücklicher Zufall. Wer mir im Innern Siziliens begegnete, zog daher bis an die Zähne bewaffnet. Das Landvolk aber schaute finster und trotzig drein, und wendete sich von dem Reisenden lieber ab, als daß es ihm ein gutes Wort gönnte. Das ist jetzt über zehn Jahre her, und seitdem ist es in Sizilien zehnfach ärger geworden: keine Anstrengung der Regierung vermag das Räuberwesen auszurotten.
Was ist nun der Grund, weshalb auf den canarischen Inseln nicht die Spur davon vorkommt? Die Zustände der Landbevölkerung sind dieselben hier wie in Sizilien. Ihr größter Theil besteht aus armen Pächtern und Taglöhnern, welche mühselig arbeiten, um die reichen Grundbesitzer, die in den Städten wohnen, zu ernähren. In Sizilien aber erfüllt die Bauern ein tiefer tückischer Haß gegen die Beamten die Landeigenthümer und andere Besitzende, die sie als ihre Dränger und Blutsauger betrachten. Wo an ihnen ein guter Fang zu machen, zieht der Bauer gleich seinen Karabiner aus dem Versteck: im nächsten Augenblick hat er wieder die Hacke zur Hand, und kein Nachbar verräth ihn. All die sizilischen Bauern bilden eine einzige große Verschwörung, deren stille Tiefen den Verbrecher bergend in sich aufnehmen. Der Untergrund des Volkes ist eben ein anderer, als auf den canarischen Inseln. Feldbauern und Sklaven aus den Römerzeiten mischten sich auf Sizilien mit Griechen und Arabern: auf den canarischen Inseln aber erhielt die alte spanische Ehrbarkeit eine noch bessere Grundlage an dem trefflichen Volkscharakter der Wandschen, und die Höflichkeit, die freundliche Genügsamkeit, die alle Geschichtschreiber ihnen nachrühmen, ist nicht ausgegangen. Aus allen meinen Fahrten habe ich, außer in Deutschland, nirgends so treue und ehrliche, so anhängliche und achtungsvolle Diener gehabt. Auch gesprächig sind sie und, wo man etwas braucht, flink bei der Hand, und stimmen gern ihr Liedchen an.
Wer im Gebirge auf Palma dem Andern begegnet, grüßt ihn mit buena Cumbre! das heißt »Gute Bergfahrt!« und wer glücklich auf der Schneide oben anlangt, läßt fröhlich einen Gesang erschallen. Das ist der Brauch so von alten Zeiten her. Mir aber that unendlich wohl der dichtgrüne Laubwald, welcher die ganze Bergseite bekleidete. War es auch nur hohes Lorbeer- und Haya-Gebüsch, die Brust that doch wieder im Waldesduft tiefe Athemzüge. Das Auge sättigte sich doch wieder an dem ruhigen frischen Grün, nachdem es so lange durch die glitzernde ewig bewegliche Meeresfluth, durch die rothbraune Erd- und Bergfeste ermüdet war. Zur Rechten winkte in der Höhe stolzer Fichtenwald. Immer herrlicher dehnte sich die Aussicht auf die begrünten scharfrippigen Berge da unten. Tiefer lagen die sonnigen Striche, wo tiefblau das Meer und hellweiß die Häuser glänzten.
In weniger als zwei Stunden hatten wir bei etwa 5000 Fuß Höhe den steilen Bergrücken erreicht, da wo im lang hinlaufenden Kamme bei der Cumbre nueva eine tiefe Einsattelung ist. Die vielgerühmte Aussicht, die man hier nach Teneriffa und den andern Inseln genießt, verhüllte Dunst und Nebel; um so belustigender war das Wolkenspiel. In einer Höhe von 3000 Fuß über dem Meere hielt ein weißes weites Wolkenheer die Flanken des Bergzuges umgürtet, blieb aber noch etwa 1000 Fuß unter uns, so daß das Gebirg in scharfer dunkler Linie darüber hinlief. Nun suchten die Wolken, fort und fort sich emporwälzend, die hohe Kante einzunehmen. Hier und dort wagten sich blanke Streifschaaren vor; sobald sie aber den dunkeln Kamm erreichten, wurden sie von der Luftströmung zurückgeworfen und, wollten sie Stand halten, vernichtet. Dann schien es, als wenn das Heer der Wolken sich erst wieder sammelte und verdichtete, und wenn sie eine kurze Weile zusammen gebrauet hatten, gingen sie tückisch auf neue Angriffe aus, die aber nicht besser abliefen als die früheren. Wendete ich mich nun nach der andern Seite, so lag Alles wie verklärt im letzten Abendstrahl. Der breite waldbedeckte Abhang zu meinen Füßen schimmerte grüngolden, und tiefer unten dehnten sich die Wolken wie ein weißgraues stilles Meer, über dessen weite Fläche glühende Blitze irren. Zur Rechten aber zeigte sich ein Eingang in eine herrliche Waldschlucht, in deren Tiefe ein bleicher See von zerrissenen Felswänden und kahlen Gebirgsstöcken umgeben schien. Dort hinein lag die große Caldera, ihren Kessel nämlich überdeckte die glatte Wolkenbank wie ein Seespiegel. Als nun die Sonne ins Meer sank, wurden die Bergspitzen mit den obersten Wolkenlagen ganz erfüllt von Gluth, und darüber hin zogen mit leichter lichtgrauer Linie Anhöhen, hinter denen das Meer leuchtete wie rother Brand.
Herunter ging's durch harzduftigen Wald, die schönsten canarischen Fichten streiften mich mit ihrem weichen Grün, und als ich auch den Wolkengürtel durchmessen hatte, meinte ich im lieben Deutschland zu sein. So lieblich grün lockte da unten ein breit ausgerundet Wiesenthal, unterbrochen von gelben Kornfeldern, und die Finken und Drosseln schlugen ihr Meistes und Bestes, den Wald noch lustiger zu machen.
In der Tiefe, wo das Nadelholz spärlicher wurde und nackte Gerölle begannen, auch ein dunkler Lavastrom sich einmischte, stand ein uralter prachtvoller Fichtenbaum, dessen Stamm keine fünf Mann umspannen könnten. Weil ein Madonnen-Altärchen in seinen Zweigen steht, so heißt er der Pino santo. Als ich hier ein wenig rastete, kam, als es längst Nacht geworden, noch eine Schaar Dorfmädchen den Berg herunter, die fröhlich sangen, aber schreiend und lachend auseinander stoben, als der Fremdling auf einmal zwischen sie trat. Reisende sieht man auf dieser Insel selten: daß Deutsche bis hieher gekommen, wußte sich der englische Konsul, zwei Naturforscher ausgenommen, nicht zu erinnern.
Es war vom Pino santo nur noch ein Stündchen bis zur Ortschaft Pazo, wo ich bei dem reichsten Bauer Nachtquartier finden sollte. Herr Joseph Michael Fichte, so lautete sein Name ins Deutsche übersetzt, war nicht daheim, und die alte Haushälterin ging eilig, ihn zu rufen und mir Brod und Kaffee zu holen. Eier und Wein aber gab es im Hause. Als der Hausherr kam, hörte ich ihn zanken, warum sich die Alte von mir für den Einkauf hatte Geld geben lassen, und als ich ihm meinen Empfehlungsbrief, denn er selbst war der Lesekunst nicht mächtig, vortrug, freuete er sich höchlich. Während des Essens fragte ich nach Farrenbrod; da sagte der Alte: »Gott sei Dank, wir haben noch ächten Gofio genug.« Aus den Wurzeln des Adlerfarren nämlich wird in Noth- und Hungerszeiten Brod gebacken: es ist ganz schwarz und soll etwas besser als Baumrinde schmecken. Der Gofio aber, einst die Hauptnahrung der Wandschen, besteht aus Gerste, die auf einer Handmühle in kleine Körnchen zermahlen und dann leicht geröstet wird: mit Milch angemacht mundet Gofio gar nicht übel. Ein junger Mensch kam herein und küßte allen die Hand. Diese Grußweise, die mir schon öfter aufgefallen, steht also auf den canarischen Inseln nicht bloß auf den Briefen, wie es in ganz Spanien einmal üblich ist.
Meine Lagerstätte bekam ich unter einer Bergeslast von Betten, und in einer Kammer, die mit allem möglichen Pferde-, Haus- und Feldgeräthe behängt war. Der alte Bauer lag daneben, und war so erregt, daß ich ihm noch lange von Paris und Berlin und dem großen Krieg erzählen mußte.
Bei Tagesgrauen waren wir auf, und der Hausherr ließ mich seine ganze Einrichtung sehen. Vier kleine dunkle Gemächer lagen in einer Reihe neben einander und ein paar andere davor. Jedes war eine Art Steinkasten, ziemlich roh von Feldsteinen aufgeführt, und Fenster hatte nicht ein einziges. Nur das größte, der Speisesaal, zeigte wenigstens zwei Löcher statt der Fenster, in seinem Innern aber zählte ich zwölf schwere Kisten, worin Getreide Feigen Rosinen Eier Kleider und Hausrath aufbewahrt wurden. Zwei dieser Gemächer dienten zum Schlafen, eines zur Küche, eines war Pferde- und ein anderes Ziegenstall. Was bei uns in einem großen Bauernhaus in- und übereinander gebaut ist, das steht hier auf dem Erdboden nebeneinander. Freilich sind's alle zusammen nur aufgemauerte Löcher, um gegen Nachtthau und Tageshitze Schutz zu haben.
Mit Stolz aber zeigte mir der Eigenthümer erst seine schöne Aussicht, dann seinen weiten gemauerten Wasserbehälter, endlich seine Ländereien. Den größten Werth legte er offenbar auf den mittleren Besitz, die Cisterne. Ich könne, sagte er, die Insel auf und ab gehen: eine größere finde ich nicht. Dieser Besitz schützte ihn vor der schlimmsten Geißel, welche die glücklichen Inseln bedroht, die entsetzliche Dürre, welche ihnen der afrikanische heiße Wüstenwind bringt. Schon die alten Wandschen baueten sich solche Cisternen, und sorgten bereits für Kanäle, die ihnen und den Feldern regelmäßig Wasser zuführten.