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Abenteuer zweier alleinreisender Damen.

Nach der Natur geschildert.

Die Romantik ist bei uns trotz aller Cultur noch nicht ausgestorben. Man kämpft nicht mehr mit Raubrittern und Drachen, aber mit pechösen Umständen. Selbst auf einer kleinen Spazierfahrt von Dresden nach Pillnitz (eine wahre Liliputanerin im Vergleich zu meinen frühern Reisen) können zwei vom Mißgeschick verfolgte Damen an die unwirthlichen Steppen Ungarns und die Gebirgskämme des Apennin erinnert werden. Ich erfinde nichts, nicht einmal den Humor, der uns nicht verließ, wenn man hummor durch Feuchtigkeit übersetzt, denn Feuchtigkeit ließ uns der Himmel mit verschwenderischer Freigebigkeit zukommen.

Es war am 4. Mai dieses kriegerisch drohenden Jahres, als ich mich mit Frl. M. aus Leipzig, auf Veranlassung derselben nach Pillnitz begab, um den Friedrichsgrund und die Ruine des Pahrsbergs zu besuchen.

Auf dem Dampfschiffe ging Alles gut. Wenn man sich die Gegend nicht besieht, besieht man die Passagiere, so wenig Sehenswerthes sich meist daran entdecken läßt. Aber selbst Denjenigen, der die Gegend auswendig weiß, wie das A B C, entzückt sie im Frühjahr stets von Neuem. Dies saftige Grün, das mit zarten Schattirungen Berg und Thal in seinen faltenreichen Mantel hüllt, die glänzend ausgespannten Tücher der gelben Rapsfelder, die dunkeln Gruppen der Kiefern- und Fichtenwälder, die sich scharf gegen den blauen Himmel und die hellen Laubwälder abheben, die gethürmten Schlösser auf laubreichen Hügeln, gartenumgebene elegante Villen, Dörfer mit schlanken Kirchthürmen, Pillnitz selbst mit seinen grünen Alleen, die sich wie endlose lebendige Kuppeln dahinwölben, und durch all diese farbenreichen Bilder festlich geschlungen, wie ein verbindendes blumiges Band, die abwechselnd schneeige und rosige Baumblüthe der üppigen Obstpflanzungen.

Auf dem Schiffe war es etwas stürmisch gewesen, wir hatten gefroren, ich namentlich an den Ohren, welche von den modernen kleinen Hüten über die Gebühr blosgelegt werden. Warum man diese kleinen Hüte nicht Pilze oder Schwämme nennt? Giftpilze für die Gesundheit sind sie häufig genug; denn Reißen, Halsentzündungen und andere Leiden kommen jetzt bei den Damen hauptsächlich von jenen mangelhaften Kopfbedeckungen her. Der uns entgegenarbeitende Ostwind hatte bald im Westen (denn Widerspruch reizt) ein dunkles Wolkengespenst heraufbeschworen, welches sich immer mehr condensirte und dem Ostwinde begreiflich zu machen strebte, daß es sich um seine Gewaltmaßregeln nicht im mindesten scheere, sondern – doch das wird der Verlauf der Geschichte lehren. –

Wir kletterten im lieblichen Friedrichsgrunde umher, der vom Dorfe Pillnitz aus nach der sogenannten Meixmühle führt. Hier trennt sich der Weg; man steigt entweder eine Viertelstunde weit höher hinauf und erreicht den Gipfel des Pahrsbergs, (1103 pariser Fuß über dem Meere gelegen), oder man wendet sich rechts von der Mühle ab, durchschreitet den Wald oberhalb des Friedrichsgrundes und besucht die künstliche Ruine, auf der ersten Hochebene des Berges erbaut. Im Friedrichsgrunde, der seinen Namen vom verstorbenen Könige Friedrich August, dessen Lieblingsaufenthalt er war, erhalten hat, und woselbst der große Naturfreund und Botaniker tagelang umhergeschwärmt sein soll, gab es noch Bäume, welche ihre Blätterknospen kaum entfaltet hatten. Ringsum war vom himmlischen Decorationsmaler Lenz der grüne Anstrich glücklich vollendet worden, auf jene fast kahlen Ruthen mit kleinen grünen Blätterspitzen schien er seinen Pinsel im Davoneilen nur erst ausgespritzt zu haben. Immer den Krümmungen des rauschenden Gießbaches folgend, gelangten wir zur Meixmühle. Wir pflückten Oxalis, Anemon, blaublühende Ajuga oder Abiga, Ranunkeln und wilde Violen. Auch Saponaria und das sommerliche Wiesenschaumkraut, Cardamine pratensis, durften mit voreiligen Blüthen unsern Strauß vom vierten Mai schmücken, Noch schimmerte der Himmel blau durch die blühenden Apfelbäume, unter denen wir Platz nahmen. Aber urplötzlich runzelte er die Stirn. Von dürftigem Sonnengold umränderte Wolken ballten sich über der Thalschlucht. Nachdem wir die Betrachtung angestellt hatten, daß der Anblick einiger Wolken am Himmel dem Einerlei ungestörter Bläue doch unbedingt vorzuziehen sei, wenn diese Wolken sich nur anständig aufführen, d. h. sich nur sehen, nicht fühlen lassen, richteten wir die noch immer sorglose Frage an einen alten in der Nähe beschäftigten Arbeiter, ob das Gewölk über der Thalschlucht uns bedrohlich werden könne, oder nicht? Er antwortete ebenso gleichgültig:

»Ne, das bleibt drüben über der Elbe.«

Man glaubt, was man wünscht. Wir eilten getrost durch die köstlichen Buchenleiten, die mit weichen gefiederten Blättern dunkle Lauben über den Weg bauen, auf die Ruine des Pahrsbergs zu. Zu unsern Füßen liegt der Friedrichsgrund, das Wasser rauscht, schwarze Tannen ragen dies- und jenseits empor, an zottige Fichten, welche die Zweige bis zur Erde senken, schmiegen sich blonde Lockenköpfe hellgrüner Birken vertraulich an; der Wechsel in der Belaubung ergötzt unser Auge, weniger der Wechsel am Himmel. Da klopfen auch schon einige Regentropfen mit nassem Finger an unsere Stirnen. Wir beginnen zu eilen, der berühmten Aussicht von der Ruine herab gönnen wir nur wenige Blicke, aber diese wenigen sind schon zu viele, der Regen beginnt zu strömen und verhüllt mit schrägen Schraffirungsstrichen das ganze köstliche Bild. »Es trehscht«, wie man auf gut Sächsisch sagt. Ich, in den Bergen der sächsischen Schweiz erzogen, hüpfe, ohne der Richtschnur des geschlängelten Wegs zu achten, quer feldein den Abhang hinab, über Steine, Wurzeln und Sträucher, bis ich unter eine große Fichte gelange. Hier fasse ich Posto und rufe der an's Klettern nicht gewöhnten Leipzigerin zu, rasch zu folgen; sie kommt mir nachgetrippelt so schnell sie kann. Schon will ich die Fichte, die sich als nicht dicht genug erweist, verlassen und dem noch einige dreißig Schritt weit entfernten ersten Hause des Dorfes Pillnitz zuflüchten, da fällt Feuer vom Himmel, gluthroth zickzackt es über meinem durchsichtigen Paraplui von Fichte, ein furchtbarer Donnerschlag mit obligatem Sturm setzt der beklemmenden Situation die Krone auf und – o Schreck! auf das himmlische Schlagwort des Donners sehe ich meine Leipzigerin »links um kehrt« machen und den mühsam herabgekletterten Berg kerzengerade wieder in die Höhe laufen. Ich rufe ihr durch das Sturmgeheul etwas von »Unsinn« zu. Sie flüstert etwas von »Sonnenschirm« herab. Ich ahne, daß sie ihn verloren hat, aber auch für den Augenblick den bon sens, denn anstatt denselben Weg zurück zu gehen, den sie herabgeklettert, läuft sie den Berg in entgegengesetzter Richtung zur Ruine empor. Zugleich drängt sich mir die Ueberzeugung auf, daß die Stunde bald schlagen muß, wo das von Schandau zurückkehrende Elbdampfschiff in Pillnitz zu landen pflegt und Passagiere, die sich verspätet haben, rettungslos sitzen läßt. Da zickzackt es abermals über meinem Fichtendache und der Donner übernimmt die Mühe, meine Ungeduld und Verzweiflung auszubrüllen.

Der Regelt trommelt auf meinen Sonnenschirm so höhnisch herab, als wollte er mit diesem Staccato sagen: »Warum tragt Ihr in Deutschland nur noch immer die dummen Dinger, die Sonnenschirme? Wie viel ich nun deren schon eingeweicht, wie viel ich zu Schanden getrommelt habe!« Diese trockene Bemerkung, lieber nasser Regen, entgegnete ich, ist auf uns Deutsche sammt und sonders anwendbar. Unsere schwachen, wenn auch noch so geistreich ausgesprochenen Gegendemonstrationen, wenn man uns auf der Nase herumtrommelt, (thut's Niemand von Außen, besorgen wir selbst untereinander das Geschäft) sind der Sonnenschirm, den Du bespöttelst. Es wär' gleich besser, wir spannten ihn gar nicht auf und ließen uns auf unserm – Fell herumtrommeln. Musikalisch, wie wir Deutsche bis zum Exceß sind, hätten wir dann noch das Hochgefühl, uns Pauke zu dünken. Kommst Du aber etwa von Frankreich, lieber Regen, frage ich zweideutig, dann ersuche ich Dich mäßiger aufzutreten, denn dann hast Du bei uns erst das Recht erlangt, sanft zu tröpfeln. – Mit den letzten Worten, welche in's Umgekehrte zu übersetzen es die höchste Zeit wäre, stürze ich, ohne auf meine Begleiterin länger zu harren, auf das nächste Häuslein zu, finde die Thür offen und trete, triefend vom göttlichen Naß, ein. Endlich kommt auch meine Leipzigerin sehr ruinirt von der Ruine herab. Zwei Elemente streiten sich um ihren Besitz. Das innere irdische Feuer der Erhitzung, welches in lichten Flammen auf ihren Wangen brennt und das äußere himmlische des Regens, welcher ihre Toilette derart zugerichtet hat, als hätte die Trägerin Noah's Arche voreilig verlassen und sich der Sündfluth ausgesetzt. Im Suchen nach dem Sonnenschirm verliert sie das Saloppentuch, in welches sie den Hut gewickelt hat. Bei der Blitze Fackel sucht sie beides, wie Ceres ihre Proserpiua. Ein Mädchen kommt des Wegs, wird von der armen Wiedergetauften gebeten, gegen einen guten Finderlohn das Verlorene zu suchen, und entledigt sich des Auftrags zur Zufriedenheit.

An einen langen Aufenthalt in dem dumpfigen kühlen Zimmer des kleinen Hauses, worin ein junges Mädchen mit ihrer uralten Großmutter ganz allein wohnte, war nicht zu denken. Das Mädchen konnte uns keinen Schirm leihen, denn sie besaß keinen, sie vermochte uns kein Tuch zu borgen, denn sie besaß nur eins und das brauchte sie selbst. Noch immer rumorte es am Himmel und die Alte, welche sich sehr vor dem Gewitter fürchtete, zeigte sich bebend an der Thür des nahen Kämmerleins, um sich der Gegenwart der Enkelin zu versichern.

An den Pforten des Todes noch Furcht vor dem Erschlagenwerden durch den Blitz! Wie stark ist doch der Lebenstrieb im Menschen! Auf dem Tische lagen alte abgegriffene Gebetbücher, zum Theil ohne Einband. Sie hatten wohl die arme Alte durch's ganze karge Leben geleitet. Schauerlich, in dem unbehaglichen dumpfigen Kämmerlein des düstern Erdgeschosses auf den Tod zu warten! Und in diesem gruftähnlichen Aufenthalt noch Furcht vor einem schnellvernichtenden Blitz!

Als das Wetter sich verzogen und Frl. M. sich zur Noth abgekühlt hatte, eilten wir auf überschwemmten Pfaden zum Elbestrande, um zu erfahren, was wir schon wußten: daß nämlich das Dampfschiff längst fort sei. Nun begannen unsere Odysseusfahrten ohne gastfreundliche Phäaken. Wir frugen, ob ein solcher Elbschwan nicht noch später nach Dresden segele? Nein, lautete die nicht mißzuverstehende Antwort. Ich schlug vor, in Pillnitz im Gasthofe zum Löwen, in dessen unmittelbarer Nähe wir uns befanden, zu übernachten, denn es war bereits halb acht Uhr. Frl. M. opponirte wegen eines Besuchs, den sie in Dresden zum Thee zu erwarten hatte. Doch wir sollten dieses »Löwen« noch gedenken. Er rächte sich, wie reißende Thiere zu thun pflegen; denn bekanntlich ist die Großmuth des Löwen eine Fabel und muß durch momentane Faulheit oder Uebersättigung erklärt werden. Frl. M. frug also nach dem von Bodenbach und Schandau kommenden Eisenbahnzuge, welcher Abends gegen 9 Uhr in Dresden zu sein pflegt. Freilich, um die böhmische Bahnlinie zu erreichen, mußte man über die Elbe setzen, jenseits einen kleinen Kiefernwald und dann die Dörfer Klein- und Großzschachwitz durchschreiten.

Ich kannte die Straße nur zur Hälfte, nämlich von der Eisenbahnstation bis nach Kleinzschachwitz, wo das reizende Besitzthum meines Collegen Davison liegt, den ich früher besucht hatte. Ich rieth von der nächtlichen Promenade ab, zumal uns Niemand genau sagen konnte, wann der Zug drüben bei Zschachwitz ankomme, und die Wege bei dem strömenden Gewitterregen, der sich über die ganze Gegend verbreitet hatte, grundlos geworden sein mußten.

Aber Frl. M. sah sich schon über alle Hindernisse hinweg am Theetisch sitzen. Also vorwärts, dem Theetisch entgegen! Längs der Elbe, am königlichen Schlosse mit Freitreppe vorüber, führt der Weg zur königlichen Fähre. Von oben herab stürzende Gießbäche, die übersprungen werden mußten, kreuzten ihn. Uebrigens war der Abend schön. Rothe Wolken spiegelten sich in den grauen Elbfluthen, starke Düfte stiegen, durch den Regen kräftiger entwickelt, aus dem Schloßgarten empor und die dem Schlosse gegenüberliegende Elbinsel hob sich mit ihren saftiggrünen Baumgruppen gar stattlich vom Wasserspiegel ab. Rings herrschte tiefe ländliche Ruhe. An der Fähre angelangt drängte sich eine alte Frau an uns, begierig eine Neuigkeit, die sie auf dem Herzen hatte, los zu werden. Nach kurzer Einleitung entdeckte sie uns, daß sie »Davisons Scheuerfrau« sei und daß sich dessen Gärtner im gegenüberliegenden Parke der Villa des großen Tragödienspielers so eben erhängt habe. Mord und Selbstmord gruppiren sich in thatendurstigen, tragischbewegten Gärtnern um diesen Mimen, aus dessen Munde, wenn er Rollen studirt, sie die blutigen Gräuel eines Richard III. vielleicht allzuoft vernommen haben, um vor so »schlimmen Thaten«, wie Hamlet sagt, noch den eingebornen Schauder der integren Menschenseele mit aller Frische zu empfinden. Jene Hauptscheuerfrau nun, welche mit Wichtigkeit einschaltete, daß sie morgen auch die königliche Ruine auf dem Pahrsberge waschen werde, war mit dem beklagenswerthen Gärtner noch vor Kurzem im Davison'schen Garten zusammengewesen. Sie hatte den Brief gesehen, den der Arme mit vielen Seufzern an seine Eltern geschrieben, ohne eine Ahnung zu haben, welch' Entsetzen er enthielt. Zum Vesperbrod hatte sie einen großen Käse bekommen, und denselben, als sie genug davon gehabt, dem Gärtner hingetragen. Aber er hatte nicht davon nehmen mögen, sondern geantwortet: »Ich werde nicht mehr essen«. Sie entgegnet: »Nun, Sie werden doch wieder essen, wenn Sie hungrig sind?« worauf er sie verläßt, in den Park geht und sich vermittelst eines Riemens an einer Kiefer erhängt. Der Unglückliche, ein beurlaubter Soldat, hatte ein Mädchen geliebt, sie sollte Mutter werden und um ihr Unterstützung zu gewähren, hatte er all' sein Eigenthum, sogar seine Montirungsstücke verkauft, da kommt die Mobilisirung, die unerwartete Einberufung und aus Furcht vor Schande und Strafe giebt er sich den Tod. In dem Briefe an seine Eltern hatte er denselben das Mädchen dringend anempfohlen und gebeten, sie nicht zu verstoßen, wenn sie zu ihnen käme. Es ist eine alte Geschichte, allein sie klang schauerlich wie Unkenruf, dort am einsamen stillen Elbestrande, zu unsern Füßen die grauen schlammigen Fluthen, rings die hereinbrechende Dunkelheit, die sich auch drüben schon auf dem Parke, der Stätte des Selbstmordes, lagerte. Nachdem der Pontonier uns jenseits an's Land gesetzt hatte, wandten wir uns unter Führung eines Herrn und einer Dame aus Zschachwitz, die glücklicherweise denselben Weg zurückzulegen hatten, dem Kiefernwalde zu. Hinter ihnen her trabten wir auf einem tiefen Sandwege, den der Regen in einen mürben Teig zusammengeknetet hatte, nach Zschachwitz, wo sich ein anderer Pfad, durch seinen Pfützenreichthum mehr für Gänse und Enten, als Menschen geeignet, anschloß. Bald verschwanden der Herr und die Dame in einem Landhause des Dorfes und wünschten uns »glückliche Reise«, die aber sehr unglücklich ausfiel. Schon mußten wir durch die Dörfer hindurch an den Bemerkungen Spitzruthen laufen: »Herr Jeses, die wollen noch zur Eisenbahn hin! Na, die können laufen, wie sie wollen –« etc. etc. Und horch! Ein geller Pfiff, ein fernes Donnern, einige rothe Laternenblitze in dunkler Nacht – ein Keuchen nur noch, aber das Stationshaus ist nahe, es gilt ein letztes Aufgebot aller Kräfte – hui! da rast der Zug vorbei, daß die morastige Erde unter unsern Füßen zittert, und wir hätten ihm nachschreien mögen, wie jener sächsische Bauernjunge: »Halten Sie doch nur ä bissel an!« Bebend vor Aerger und Erschöpfung treten wir in's Stationshaus, das wir nach etlichen fünfzig Schritten erreichen. Die dort Versammelten sehen uns halb mitleidig, halb lächelnd an. Wenn es eine Erbsünde im Menschen giebt, so ist es die der Schadenfreude. Ist das Unglück, welches den Nächsten betroffen hat, noch allenfalls zu übersehen, so regt sich selbst im gutgearteten Gemüthe vorübergehend ein kleines Teufelchen, welches nicht unterlassen kann, ein wenig zu kichern und so lange am menschlichen Mundwinkel zu zupfen, bis er lächelt. Unser Unglück war allerdings von dieser Art und wir mußten also die Bestätigung unserer Vermuthung, daß kein späterer Zug an der Station hielt, sammt jenem halben unwillkürlichen Teufelslächeln der Anwesenden entgegennehmen.

Was thun? Nach Dresden zu Fuß gehen? Männer schilderten den Weg mehrere Stunden weit. Wie sollten wir erschöpften Frauen die Stadt vor Mitternacht erreichen? Dazu war Neumond, nur einige Sternlein blinkten am Himmel.

Also umkehren! Man rieth uns im Gasthause zu Großzschachwitz das Fuhrwerk des Wirths zu miethen. Auf einem Pfade, den Frösche für eine liebliche Heimath erklärt haben würden, zurück nach Großzschachwitz. Sehr bewegtes Leben, viel Verkehr im Gasthof. In der Küche entdecken wir die Wirthin, welche mit einem großen Rührlöffel Mehlsuppe aus einem brodelnden Kessel schöpft. Wir klagen ihr unsere Leiden, sie zuckt schon verrätherisch die Achseln. Der Wirth tritt herzu, wir wiederholen unser Anliegen, er erklärt rund heraus, seine Pferde seien von der Feldarbeit zu müde. Aber da sei einer im Dorf, der habe einen Einspänner und thue Lohnfuhren. Hin zu ihm, dem rettenden Einspänner! Ein kleiner mißmüthiger Junge, dem man von einer angenehmen Beschäftigung abrief, (er scharrte sein Abendbrod aus einem Topfe zusammen) wurde uns als Führer mitgegeben.

Ich flehte das Sternbild des »großen Wagens« an, sich doch in's Mittel zu schlagen und uns mit der Schnelligkeit der Lichtfortpflanzung vermittelst eines Strahls auf die Kreuzstraße in Dresden zu schleudern. Am Hause des berühmten Einspänners angekommen, ergab es sich, daß der Besitzer zu Bett sei, seine Hausthür verschlossen und seine Ohren mit Schlaf verstopft. Ich konnte nicht umhin, bei dieser Häufung widerwärtiger Schicksale laut aufzulachen. »Vielleicht ist es doch ein Glück, daß wir den Einspänner nicht kriegen können, sagte ich zu Frl. M., denn wenn der Mann schon so müde ist, wie erst das Pferd

Uebrigens hat das Wort: Einspänner! ohnehin schon etwas Demüthiges, Weltschmerzlich-Mattes im Klange. Bei der Vorstellung von Einspänner höre ich nachlässige Hufschläge klipp, klapp, auf einer Gasse oder Landstraße ertönen. Der Wagen kommt eigentlich mehr aus Gefälligkeit hinten nach, als weil er gezogen wird. Das Pferd ist auffallend mager und streckt den Hals weit vor; es fehlt nichts, als daß ihm die Zunge, wie ein welkes Blatt, zum Halse heraus schlenkert. Der Wagen hat auch etwas Erbarmungswürdiges. Die kleinen Räder drehen sich lebensüberdrüssig um ihre Axen, und man findet es bei ihrem Anblicke ganz unmöglich, daß Fortuna auf einem Rade abgebildet werden kann. – Zurück in den Gasthof, wo wir zu übernachten begehren, so wenig Einladendes er für uns hat.

»Unmöglich«, lautet die Antwort, »alle Zimmer sind besetzt.«

Ein leichtes Grauen schüttelte unsere Glieder. Welch ein Unstern waltete über uns und unseren besten Entschlüssen? Nach einem bedeutungsvollen Schweigen sagte ich:

»Der Löwe wird uns doch noch verschlingen. Zurück nach Pillnitz, ich weiß keinen andern Ausweg.«

– Dunkele Nacht rings umher. Nur gastlich erleuchtete Fenster in den Häusern unserer Nebenmenschen winkten höhnend wie Irrlichter einzutreten. Doch wenn wir angeklopft hätten, würden wir wohl im moralischen Morast des Vorurtheils versunken sein, welches unbekannte nächtliche Wanderinnen mit den menschenfreundlichen Worten von der Thür weist: »Hier ist kein Gasthof.« Wir waren sonach mitten im hochcivilisirten Vaterlande, in unmittelbarster Nähe der lieben, trauten Heimath, ausgesetzt, obdachlos, wie in der Wüste. Der dunkle Kiefernwald nahm uns zum zweiten Male auf. Hatten wir vorher im Gespräch Humor (Feuchtigkeit) mit Humor (guter Laune) zu parallelisiren gesucht, so wurden unsere Geister und Zungen jetzt doch ein wenig gelähmt. Ein gewisses ehrfurchtsvolles Gefühl gebietet einsamen Wanderern, im nachtdunkelen Walde zu schweigen, gleich als könnten sie durch lautes Gespräch erst die Aufmerksamkeit eines lauernden Unglücks auf ihre Personen ziehen, während sie schweigend unbemerkt hindurch zu huschen glauben. In Zschachwitz hatten wir erfahren, daß die königliche Fähre und die damit verbundenen Kähne die ganze Nacht überfahren müssen. Wir kamen glücklich bei dem palastähnlichen Fährhause an. Auf hohem Damme steht es königlich stolz da, Eisgänge und Wasserfluthen herausfordernd. Thürmchen und Erker sind nicht gespart. Eine Freitreppe führt empor; das Ganze ist in gothischem Style gehalten. Wie demüthig stand noch vor wenigen Jahren das kleine Fährhäuslein am selben Platze. Der Pontonier, der uns früher herüber gefahren hatte, wartete treulich seines Amtes und war bereit zum Nachtdienste. Der Kahn war noch immer so naß, wie vorhin, wo man das Wasser aus seinem Bauche schöpfen mußte, ehe wir einsteigen konnten. An dieser lang andauernden Schöpfung war auch unsere Anstrengung gescheitert, die Bahnlinie rechtzeitig zu erreichen. Nun gondelten wir wieder durch die »italienische Nacht«, die man in Deutschland ja häufig in nassen Strümpfen und Schuhen zu begehen pflegt, nach Pillnitz hinüber.

Fräulein M. hatte noch Poesie genug, die Sterne anzulallen, die aber die Fluthen der Elbe zu schmutzig finden mochten, um ihrer Verehrerin den Gefallen zu thun und sich darin zu spiegeln. Der Pontonier rieth uns nicht »Zum Löwen«. Er sagte, der Hosterwitzer Gasthof »zum Kronprinzen« sei näher. Die Dörfer Hosterwitz und Pillnitz grenzen nämlich dicht aneinander, späterhin reichen sich wieder Lösch- und Wachwitz die Hände, und so geht es Witz auf Witz fort, bis Dresden, wo aller Witz ein Ende hat. – Ich stimmte innerlich nicht für Hosterwitz.

Die suppenweichen Hosterwitzer Pfade, unter großen Bäumen hinführend, welche letztere sich vom Nachtwinde die Regentropfen aus den grünen Haaren schütteln ließen, bewiesen wiederum, daß ein trockener Witz doch stets der beste ist. Der Pontonier deutete rechts hinauf und sagte, wir möchten uns dann wieder links wenden, so würden wir den Kronprinzen finden. Die Nachtwächter von Hosterwitz und Pillnitz pfiffen die zehnte Stunde ab. Seit 7 Uhr trabten wir in nassen Kleidern auf nassen Pfaden umher. Frl. M. versicherte, es sei so gut, als gehe sie barfuß. Plötzlich stand meine Leidensgefährtin still und blickte starr auf ein großes Schild an einem kleinen Hause. Ich freute mich ihres Talents, wie die Kakerlaken im Finstern sehen zu können, denn sie rief entzückt aus: » Enfin, hier steht's, Gasthof zum Kronprinzen!« Das Haus kam mir für den Kronprinzen zu bescheiden vor, es war nicht einmal Ausspannung dabei. Indessen, ich konnte nicht im Finstern lesen und wünschte sehnlichst Ausspannung von unsern Drangsalen herbei, ich glaubte also. Wir öffnen die Gartenthür, die Hausthür, wir dringen in eine kleine Küche ein, stöbern ein schläfriges Dienstmädchen auf, schildern ihr unsere Lage, sie reißt die Augen weit auf, schüttelt den Kopf und spricht die ominösen Worte: »Hier ist kein Gasthof.« – Ich rufe indignirt: »Aber, Frl. M., was haben Sie denn gelesen?« Sie ebenso zum Dienstmädchen: »Aber was habt Ihr denn draußen auf Euer Schild gemalt?« Das Mädchen antwortete ruhig: »Klempnermeister so und so.« – Ich pruste vor Lachen. »Welche demokratische Gesinnungen offenbaren Sie da!« sag' ich, »ein Kronprinz und ein Klempnermeister wird von Ihnen für ein und dasselbe gehalten, Frl. M.«

Das Dienstmädchen zeigt uns den Gasthof. »Endlich!« sag' ich. » Enfin!« sagt Frl. M., weil sie in Paris war.

Furchtsam treten wir wie gewöhnlich zuerst in die Küche, wo wir auf zartfühlende Frauengemüther zu stoßen hoffen. So ist's auch. Wir stammeln vor der Wirthin am gastlichen Heerde das alte Lied. Frl. M. legt die zärtlichsten Töne in ihre von Erkältung bereits angeheiserte Stimme, indem sie fleht: »O stoßen Sie uns nicht auch in die Nacht hinaus, wir irren schon so lange –«. Man läßt sie nicht einmal ausreden, das Donnerwort: »Es ist Alles besetzt«, fällt wieder vernichtend auf unsere Häupter. Nach einigen Augenblicken Sprachlosigkeit ruf' ich aus: »Sind wir in der Pusta?« Frl. M. bombardirt auf's Neue den Wirth, der das übliche gestickte Sammetmützchen der Gastwirthe auf dem Kopfe hin und her rückt und endlich ausruft: »Aber, meine Damen, ich kann Ihnen doch nicht zumuthen, sich in dem Tanzsaal auf die Stühle zu betten?« – Und wieder hinaus in die Nacht.

»Der Löwe will sein Opfer haben«, sag' ich. »Hätten wir doch gleich Anfangs seinen Appetit gestillt.«

Wir ersuchen bescheidentlich (denn wir sind sehr demüthig geworden) einen Hausknecht, der zwei Pferde – ach, die Glücklichen! – in den Stall führt, uns nach dem Löwen zu begleiten. Er kommt uns nach und giebt uns zugleich Aufschluß, warum der ansehnliche Gasthof »zum Kronprinzen« uns nicht hat aufnehmen können: Weil der Wirth nur drei Gastbetten besitzt und diese bereits für die nächste Nacht bestellt sind. Der Gasthof solle nämlich subhastirt werden, der jetzige Wirth wisse nicht, ob er ihn werde erstehen können und wolle sich nicht im Voraus viel Meubles und überflüssiges Hausgeräth anschaffen. Unterwegs bemühte sich der Hausknecht noch für uns, indem er in eine Mühle mit Weinschank eintrat, um nach einem Nachtquartier zu fragen. In einem Weinschank? Das klang ja recht lieblich. Bacchus auch nahm sich einst der verlassenen Ariadne an, die endlich doch den Faden verloren hatte. Wir waren zwei Ariadnes. Und dort oben am Himmel stand sie ja, die corona septentrionalis. Ariadne's Krone, zu der ihr noch obenein der Gott verholfen. Aber unser Hermes kam zurück mit der betrübenden Botschaft: »Sie derfen nicht Gäste über Nacht behalten«. O diese mitleidigen, hochcultivirten Karawanserei'n Europa's! –

Aber siehe da, der Löwe, für den mein richtiger Instinct zuerst entschieden hatte, der Löwe nahm uns auf. Was wir halb 8 Uhr bequem und ohne Mühen hätten erreichen können, errangen wir halb 11 Uhr nach unendlichen Drangsalen und Mühen. Wie Henoch im Bauche des Wallfisches eine ganz gute chambre garnie gefunden haben kann und mit seiner Wiederausspeiung durchaus nicht zufrieden gewesen zu sein braucht, so wohl befanden wir uns im reißenden Thier, dem Löwen. Obdach, Thee, Arrak, Butterbrod richteten unsern gesunkenen Muth wieder auf.

Der Hausknecht des Löwen avancirte zu Fräul. M.'s Kammerdiener. Geschäftig trug er Strümpfe und Schuhe hinab an den Küchenofen und brachte sie des Morgens als »Getrocknetes« wieder. Sand wurde aus unseren Kleidern geschüttelt, genug, um ganze Streusandbüchsen damit zu füllen; die Bürste ging einen tapferen Kampf mit den farbigen Andenken an unsere Strapazen ein – da – Entsetzen! noch kein Ende unserer Calamitäten – da machten wir die Entdeckung, die wohl heitere Studenten zu ergötzen pflegt, aber Damen nicht jovial stimmen kann, welche schon bei dem Worte »Pump« – zu erröthen haben. Ja, wir mußten noch schließlich einen Pump anlegen, einen Bären bei'm Löwen anbinden. Der Zuschnitt unserer Kassen war auf eine kleine Landparthie berechnet worden, aber welche Ausdehnung hatte die »kleine« genommen!

Fräulein M. opferte stoischen Muthes ihre Uhr. Der Löwe nahm sie lächelnd an, gab sie später aber nur gegen zahlreiche Fürstenhäupter wieder heraus.

Als wir uns wieder in Dresdens Mauern sicher fühlten, sagte Fräulein M. zu mir: »Schreiben Sie unser Abenteuer allein reisenden Damen zum abschreckenden Beispiel nieder.«

Ich darauf: »Schreiben will ich's, aber ob man es lesen wird?«


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