Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Musik spielte gerade die letzten Töne eines Walzers, als Billy und Saxon vor der großen Eingangstür des Tanzlokals standen. Ihre Hand ruhte leicht auf seinem Arm, und sie wollten sich gerade ein paar Stühle suchen, als Charley Long, der offenbar auch gerade gekommen war, sich zu ihnen hindurchdrängte.

»Ach so, du bist es? Und du willst hier Krach machen, wie?« sagte er, und sein Gesicht war böse und rot.

»Wer? Ich?« fragte Billy ruhig. »Du irrst dich, ich mache nie Krach.«

»Ich zerschlage dir den Kopf, wenn du dich nicht verziehst und zwar ein bißchen schnell.«

»Das möchte ich sehr ungern«, sagte Billy zaudernd. »Komm, Saxon, die Nachbarschaft ist nicht gesund für uns.«

Er machte Miene, sich mit ihr zu entfernen, aber Long stellte sich ihnen in den Weg.

»Du bist doch ein bißchen zu naß hinter den Ohren, Freundchen«, knurrte er. »Du mußt ein bißchen gesalzen werden, verstanden?«

Billy kratzte sich mit einem Ausdruck übertriebenen Erstaunens den Kopf.

»Nein, ich glaube, ich verstehe dich nicht«, sagte er. »Was hast du übrigens gesagt?«

Aber der große Schmied wandte sich verächtlich von ihm ab zu Saxon.

»Komm, Mädel. Zeig mir deine Tanzkarte.«

»Willst du mit ihm tanzen?« fragte Billy.

Sie schüttelte den Kopf.

»Tut mir leid, Genosse. Aber dann ist nichts zu machen«, sagte Billy und schickte sich wieder zum Gehen an.

Zum drittenmal stellte sich der Schmied ihnen in den Weg.

»Weg mit dir«, sagte Billy. »Weg mit dir, sage ich.«

Long stand sprungbereit da. Er hatte die Fäuste geballt, der eine Arm war zum Stoß zurückgezogen und Schultern und Brustkasten vorgeschoben. Aber Billys unerschütterliche Ruhe und sein kalter Blick, in dem Wolken kamen und gingen, ließen ihn sich bedenken. Billy hatte sich nicht von der Stelle gerührt und sah vollkommen ruhig aus. Es war, als beachtete er den drohenden Angriff gar nicht. Das war etwas Neues und Unbekanntes in Longs Praxis.

»Du weißt vielleicht nicht, wer ich bin?« knurrte er.

»Doch«, warf Billy leicht hin. »Du bist ein Rekordkrachmacher.« Long machte ein ganz vergnügtes Gesicht. »Du solltest den Diamantengürtel der ›Police Gazette‹ fürs Umwerfen von Kinderwagen haben. Ich bin sicher, daß du mit jedem anbändelst.«

»Laß ihn in Ruhe, Charley«, sagte einer der jungen Leute, die sich um sie geschart hatten. »Das ist Bill Roberts, der Boxer. Du kennst ihn. Der Große Bill.«

»Mir ist es einerlei, und wenn es Jim Jeffries selbst wäre. Er soll hier keinen Krach mit mir machen.«

Nichtsdestoweniger konnten alle, auch Saxon, merken, daß seine Wut sich bedeutend abgekühlt hatte. Billys Name schien eine beruhigende Wirkung auf brüllende Männchen auszuüben.

»Kennst du ihn?« fragte Billy sie.

Sie nickte nur, obwohl sie gern tausend Anklagen gegen diesen Mann hinausgeschrien hätte, der sie so hartnäckig verfolgte. Billy wandte sich jetzt zu dem Schmied.

»Hör, Genosse, du willst dich doch nicht mit mir schlagen. Warum auch? Das Mädel hat wohl selbst auch noch ein Wörtchen dabei mitzureden.«

»Nein. Das geht nur uns beide an!«

Billy schüttelte besonnen den Kopf. »Nein, das stimmt nicht. Ich denke, daß sie auch ein Wörtchen dabei mitzureden hat.«

»Schön, dann sag' es«, knurrte Long, zu Saxon gewandt. »Mit wem willst du dich zusammentun? Mit mir oder ihm? Entscheide es.«

Statt zu antworten, legte Saxon ihre freie Hand auf die, die auf Billys Arm ruhte.

»Ja, dann ist die Sache wohl erledigt«, meinte Billy.

Long starrte zuerst Saxon, dann ihren Beschützer an.

»Ich hätte schon Lust, die Sache gelegentlich mit dir auszutragen«, knurrte er zwischen den Zähnen.

Sie wandten sich zum Gehen, und Saxon war stolz. Sie hatte nicht das Schicksal Lily Sandersons erlitten. Dieser herrliche Mann, der dabei ein Junge war, hatte, ohne auch nur mit Schlägen zu drohen, den großen Schmied mit seiner Besonnenheit und Unerschütterlichkeit besiegt.

»Er hat sich mir überall aufgedrängt«, flüsterte sie Billy zu. »Er hat sich vorgenommen, mich mürbe zu machen, und hat allen, die mir nur in die Nähe kamen, die Köpfe zerschlagen. Ich möchte ihn nie wiedersehen.«

Billy blieb sofort stehen. Long, der sich noch nicht recht entschließen konnte zu gehen, stand auch still.

»Sie sagt, daß sie nichts mehr mit dir zu tun haben will. Und was sie sagt, das gilt. Wenn ich je höre, daß du sie auch nur mit einem Mucks genierst, dann kannst du was erleben. Verstanden?«

Long warf ihm einen wütenden Blick zu, sagte aber nichts.

»Verstanden?« wiederholte Billy gebieterisch.

Der Schmied ließ ein bestätigendes Knurren hören.

»Schön. Dann vergiß es auch nicht. Und jetzt mach, daß du wegkommst, sonst trete ich dich auf die Füße.«

Long trottete unter unartikulierten Drohungen ab, und Saxon ging wie in einem Traum weiter. Charley Long hatte klein beigegeben. Er hatte Angst vor diesem blauäugigen, glatthäutigen Jungen. Der hatte sie von ihm befreit – hatte getan, was kein anderer Mann für sie versucht hatte. Und sie gefiel Billy besser als Lily Sanderson.

Zweimal machte Saxon einen Versuch, Billy die Einzelheiten ihrer Bekanntschaft mit Long zu erzählen, aber beide Male unterbrach er sie.

»Ich pfeife darauf«, sagte Billy das zweitemal. »Du bist ja hier, nicht wahr?« Aber sie beharrte bei ihrer Absicht, und als sie endlich erregt und erbittert über ihre eigene Geschichte schloß, streichelte er ihr tröstend die Hand.

»Laß es gut sein, Saxon«, sagte er. »Er ist ein richtiger Strolch. Ich habe ihn gleich, als ich ihn sah, richtig eingeschätzt. Aber er wird dich nicht mehr belästigen. Ich kenne die Sorte. Die bellt nur. Aber sich schlagen! Er könnte sich nicht einmal mit einem Milchwagen schlagen.«

»Aber wie machst du es nur?« fragte sie, und ihr Atem ging schneller. »Warum fürchten dich alle Männer? Das ist direkt wunderbar.«

Er lächelte mit leichter Verlegenheit und kam auf etwas anderes zu sprechen.

»Weißt du«, sagte er, »deine Zähne gefallen mir so gut. Sie sind so weiß und gleichmäßig und nicht groß. Aber du hast auch nicht solche winzigen Kinderzähne. Sie sind – sie sind ganz wie sie sein sollen, und sie passen großartig zu dir. Sie sind zum Fressen.«

Gegen Mitternacht brachen Billy und Saxon auf und verabschiedeten sich von Bert und Mary, den beiden Unermüdlichen, die nie genug tanzen konnten. Billy hatte vorgeschlagen, so früh zu gehen, und es drängte ihn, ihr den Grund zu erklären.

»Das habe ich von den Boxern gelernt«, sagte er. »Auf mich zu achten. Man kann nicht den ganzen Tag arbeiten und die ganze Nacht arbeiten und dabei in Form bleiben. Das ist dasselbe, wie wenn man trinkt. Nicht, daß ich ein Engel bin. Ich bin so betrunken gewesen wie nur einer, und ich liebe Bier – massenhaft. Aber ich trinke nicht so viel, wie ich gern möchte. Ich habe es versucht, aber es lohnt sich nicht. Nimm zum Beispiel den großen Strolch, der heute mit uns anbändelte. Er ist ein Hund durch und durch, aber er hat Bierblut. Darüber war ich mir klar, sobald er uns anrempelte.«

»Aber er ist so groß«, protestierte Saxon. »Ach, seine Hände sind sicher doppelt so groß wie deine.«

»Das hat nichts zu sagen. Es kommt lediglich darauf an, was hinter den Fäusten steckt. Er würde wie ein wütender Stier drauflosgehen. Vielleicht könnte ich ihn nicht gleich zu Boden schlagen. Aber ich brauchte ihn mir nur vom Leibe zu halten, ihn zu ermüden und abzuwarten. Auf einmal würde er explodieren – in Stücke gehen, verstehst du. Und dann hätte ich ihn, wo ich wollte, und das weiß er selber gut. Das ist das Geheimnis.«

»Du bist der einzige Boxer, den ich je gekannt habe«, sagte Saxon nach einer Pause.

»Ich bin es nicht mehr«, wandte er schnell ein. »Es lohnt sich nicht. Man trainiert, bis man so fein wie Seide ist – bis man die reine Seide ist, in Haut und allem, und man glaubt, hundert Jahre leben zu können. Und dann geht man eines schönen Tages mit irgendeinem zähen Kerl in den Ring, der ebenso gut ist wie man selber – zwanzig Runden – und in diesen zwanzig Runden setzt man all seine Seide zu und wirft ein Jahr seines Lebens weg. Ja, manchmal setzt man fünf Jahre seines Lebens oder die Hälfte zu, oder verbraucht alles auf einmal. Ich habe meine Augen gebraucht, ich habe Burschen, so stark wie Stiere, sterben sehen, ehe ein Jahr um war, an Schwindsucht oder Nierenkrankheit oder dergleichen. Welche Freude hat man davon? Geld kann nicht ersetzen, was man verliert. Sieh, das ist der Grund, daß ich das Boxen aufgab und mich entschloß, Kutscher zu bleiben. Ich habe meine Seide und gedenke, sie zu behalten, das ist alles.«

»Es muß ein stolzes Gefühl sein, zu wissen, daß man den andern Männern überlegen ist«, sagte sie sanft und war selbst stolz auf seine Kraft und Tüchtigkeit.

»Das ist es«, gab er freimütig zu. »Ich freue mich, daß ich damit anfing, ebenso wie ich mich jetzt freue, daß ich's wieder aufgab. Ja, ja, ich habe allerlei dabei gelernt – die Augen offen und den Kopf klar zu halten. Das Boxen lehrte mich, Dampf zu sparen und nichts zu tun, was ich hinterher bereute.«

»Ach, du bist der nettste und friedlichste Mann, den ich je gekannt habe«, warf sie ein.

»Glaub das nicht. Paß nur auf, und du wirst sehen, gelegentlich überwältigt mich das Böse, daß ich nicht weiß, was ich tue. Ach, wenn ich erst losgelassen bin, bin ich schlimmer als der schlimmste Teufel.«

Dieses stillschweigende Versprechen, ihre Bekanntschaft fortzusetzen, ließ Saxons ganze Gestalt von Freude erschauern.

»Sag«, meinte er, als sie in die Nähe ihrer Wohnung kamen. »Was machst du Sonntag?«

»Nichts. Ich habe mir noch nichts vorgenommen.«

»Schön, was meinst du dazu, mit mir eine Wagenfahrt in die Berge zu machen?«

Sie antwortete nicht gleich, denn einen Augenblick lang hatte sie eine Vision, wie einen Alpdruck, sie sah ihre letzte Ausfahrt, ihren Schrecken, ihren Sprung aus dem Wagen und den meilenweiten Heimweg, in der Dunkelheit stolpernd in ihren dünnsohligen Schuhen, die die Steine fast bei jedem Schritt durchschnitten. Aber dann ging es wie eine Freudenwoge durch ihre Seele bei dem Gedanken, daß dieser Mann neben ihr nicht so war.

»Ich liebe Pferde«, sagte sie. »Ich liebe sie fast mehr als Tanzen, aber ich verstehe nichts von ihnen. Mein Vater hatte einen großen Rotschimmel als Streitroß. Er war Rittmeister, weißt du. Ich habe ihn nie gesehen, aber mir scheint immer, ich müßte ihn auf dem großen Pferde sehen, eine Schärpe um den Leib und einen Säbel an der Seite. Mein Bruder George hat den Säbel, aber Tom – das ist der Bruder, bei dem ich wohne – Tom sagt, daß er mir gehört, weil es nicht sein Vater war. Siehst du, sie sind nur meine Halbbrüder. Ich bin das einzige Kind aus der zweiten Ehe meiner Mutter. Es war ihre richtige Ehe – ihre Liebesehe, meine ich.«

Saxon hielt plötzlich inne, verlegen über ihre eigene Redseligkeit; und doch war es so verlockend, diesem jungen Mann von sich zu erzählen, denn all diese fernen Erinnerungen waren ja ein so großer Teil von ihr selber.

»Erzähl mir mehr davon«, ermunterte Billy sie. »Ich höre so gern von alten Tagen. Meine Familie hat auch alles mitgemacht, und ich habe beinahe das Gefühl, daß es eine bessere Welt war als die, in der wir jetzt leben. Alles war einfacher und natürlicher, ich weiß nicht recht, wie ich es ausdrücken soll. Aber ich meine ungefähr so: Ich verstehe das Leben heute nicht, alle diese Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände und Streiks und die schweren Zeiten und die Jagd nach Arbeit. Alles das. So war es früher nicht. Da waren sie alle Bauern, schossen selbst ihr Wild, hatten genug zu essen und sorgten gut für die Alten. Aber jetzt ist es ein Durcheinander, das ich nicht verstehe. Vielleicht bin ich nur dumm, ja, was weiß ich? Aber das ist auch einerlei – laß mich mehr von deiner Mutter hören.«

»Ja, siehst du, als sie noch ganz jung war, gewannen sie und Kapitän Brown sich lieb. Er war damals Soldat. Es war vor dem Krieg. Und er wurde gleich nach Osten in den Krieg kommandiert, während sie für ihre Schwester Laura sorgen mußte. Und dann kam die Nachricht, daß er bei Shiloh gefallen war. Und sie heiratete einen Mann, der sie seit vielen, vielen Jahren liebte. Er war als Knabe in demselben Wagenzug wie sie über die Prärie gezogen. Sie hatte ihn gern, liebte ihn aber nicht. Und später erfuhr sie dann, daß mein Vater gar nicht gefallen war. Das machte sie sehr schwermütig, vernichtete aber nicht ihr Leben. Sie war eine gute Mutter und eine gute Gattin, aber sie war immer schwermütig, sanft und freundlich, und ich glaube, ihre Stimme war die schönste von der Welt.«

»Ja, sie muß prachtvoll gewesen sein«, gab Billy zu.

»Und mein Vater heiratete nie. Er liebte sie immer noch. Ich habe zu Hause ein herrliches Liebesgedicht, das er ihr gemacht hat. Es ist geradezu wundervoll, und es klingt wie Musik. Nun und dann, nach langer Zeit, starb ihr Mann, und da gingen sie und mein Vater ihre Liebesehe ein. Sie heiratete erst 1882, und da war sie nicht mehr jung.«

Sie erzählte ihm noch mehr, während sie an der Pforte standen, und nachher versuchte sie sich einzureden, daß der Gutenachtkuß ein ganz klein wenig länger gedauert hätte als sonst.

»Sagen wir also um neun?« fragte er über die Pforte hinweg. »Kümmere dich nicht um Frühstück und dergleichen. Dafür sorge ich schon. Sei nur um neun Uhr bereit.«

 

Am Sonntagmorgen war Saxon viel zu früh fertig, und als sie zum zweitenmal aus dem Fenster gesehen hatte und wieder in die Küche trat, begann Sarah einen ihrer üblichen Angriffe.

»Es ist ein Skandal, daß gewisse Leute sich immer seidene Strümpfe leisten können«, begann sie. »Sieh mich an, ich schinde mich den ganzen Tag und bekomme nie seidene Strümpfe – oder Schuhe, gleich drei Paar auf einmal. Aber es gibt einen Gott im Himmel, und gewisse Leute werden noch mächtige Überraschungen erleben, wenn am Jüngsten Tage jeder kriegt, was ihm zukommt.« Saxon machte sich daran, einem der kleinen Mädchen ein rotes Seidenband ins Haar zu flechten. Sarah rumorte in der Küche herum, wusch auf und räumte den Frühstückstisch ab. Mit einem tiefen Seufzer drehte sie sich von der Aufwäsche um und blickte Saxon zornig und kampfbereit an.

»Du sagst nichts – was? Und warum sagst du nichts? Weil du noch ein bißchen Scham im Leibe hast – he – mit einem Boxer zu laufen. O ja, ich habe schon gehört, was du und Bill Roberts machen. Ein schöner Kerl ist er. Aber wart nur, sage ich dir. Wart nur, bis Charley Long ihn erwischt.«

»Na, ich weiß nicht«, legte Tom sich dazwischen. »Bill Roberts ist, soviel ich weiß, ein braver Kerl.«

Saxon lächelte, und Sarah, die ihr Lächeln bemerkte, wurde zornig.

»Warum nimmst du Charley Long nicht? Er ist verrückt nach dir, und er ist ein netter, nüchterner Mann.«

»Ach, er trinkt wohl das Bier, das er haben will – und noch etwas dazu«, antwortete Saxon.

»Das tut er«, ergänzte ihr Bruder, »und ich weiß bestimmt, daß er immer ein Faß zu Hause liegen hat.«

»Dann hast du wohl geholfen, es auszutrinken«, fauchte Sarah.

»Vielleicht«, sagte Tom und wischte sich den Mund mit dem Handrücken.

»Aber er kann es sich wohl auch leisten, zu Hause ein Faß liegen zu haben, wenn er Lust dazu hat.« Hiermit wappnete Sarah sich zu einem neuen Angriff, der diesmal ebensosehr gegen ihren Mann gerichtet war. »Er bezahlt seine Rechnungen und verdient viel Geld – mehr als gewisse andere.«

»Ja, und er braucht nicht für Frau und Kinder zu sorgen«, sagte Tom.

»Und hat auch nicht die ewigen Abgaben an die Gewerkschaften zu zahlen, von denen man doch nichts hat.«

»Nun ja«, meinte Tom gutmütig. »Er würde verflucht wenig in seiner Werkstatt und in allen anderen Werkstätten zu tun haben, wenn er sich nicht gut mit den Schmieden stellte. Du verstehst dich nicht auf Arbeiterverhältnisse, Sarah. Die Gewerkschaften müssen erhalten werden, wenn die Arbeiter nicht vor Hunger krepieren sollen.«

»Ja – selbstverständlich«, schnüffelte Sarah. »Ich verstehe nichts, nein. Ich bin ein Idiot. Sag das nur, daß die Kinder es hören.« Sie wandte sich wütend zu dem Ältesten, der erschrocken die Flucht ergriff. »Willie, deine Mutter ist verrückt. Verstehst du? Dein Vater sagt, daß ich verrückt bin – sagt es mir und euch mit reinen Worten gerade ins Gesicht.«

Der Knabe begann, von dumpfer Angst vor irgendeiner unbestimmten und unberechenbaren Katastrophe ergriffen, lautlos, mit hängender, zitternder Unterlippe zu weinen. Saxon verlor für einen Augenblick ihre Selbstbeherrschung.

»Du lieber Gott, können wir denn nicht fünf Minuten zusammen sein, ohne uns zu streiten?«

Sarah wandte sich zur Schwägerin.

»Wer streitet sich? Darf ich nicht den Mund öffnen, ohne daß ihr gleich über mich herfallt?«

Saxon zuckte resigniert die Achseln. Und Sarah wandte sich wieder zu ihrem Mann.

»Wenn du deine Schwester so viel lieber hast als mich, warum hast du mich dann geheiratet – mich, die dir Kinder geboren und sich deinetwegen bis aufs Blut abgerackert hat ohne Dank? Aber mich beleidigen in Gegenwart der Kinder, das kannst du, und sagen, daß ich verrückt bin, während sie zuhören, und was hast du je für mich getan – das möchte ich gern wissen? Wo ich dir dein Essen gekocht und dein dreckiges Zeug gewaschen und deine Strümpfe gestopft und nachts bei deinen Gören gesessen habe, wenn sie krank waren? Hier! Willst du sehen!«

Und es erschien ein unförmiger, geschwollener Fuß in einem mächtigen, ungeputzten Schuh, dessen trockenes Leder voller Risse und Beulen war.

»Willst du sehen! Ich sage nur, willst du sehen!«

Die Stimme versagte ihr, und plötzlich ließ sie sich auf einen Stuhl am Tisch fallen, wo sie, ein Bild unsagbaren Jammers, vor sich hinstarrte. Dann stand sie, steif wie ein Stock, auf, goß sich mit den stoßweisen Bewegungen eines Automaten eine Tasse kalten Kaffees ein und setzte sich ebenso automatisch wieder. Als wäre ihr der Kaffee zu heiß, goß sie die fettige, unbestimmbare Flüssigkeit in die Untertasse und starrte dann wieder vor sich hin, während ihre Brust sich in kurzen, mechanischen Stößen hob und senkte.

»Na na, Sarah, nur ruhig«, sagte Tom furchtsam.

Langsam und mit einer Überlegung, als hinge die Wohlfahrt von ganzen Völkern davon ab, mit welcher Sicherheit sie es täte, setzte sie die Untertasse umgekehrt auf den Tisch. Langsam hob sie die Hand und ließ sie in einem breiten Bogen auf der Backe des verblüfften Tom mit lautem Klatschen landen. Und fast im selben Augenblick erhob sie ihre Stimme, stieß gellende, heisere, monotone Schreie in wildester Hysterie aus und setzte sich dann plötzlich auf den Fußboden, wo sie, hin- und herwankend, in einem Abgrund von Kummer und Jammer sitzen blieb.

Das leise Weinen Willies wurde laut, und die beiden kleinen Mädchen mit den neuen Bändern im Haar stimmten ein. Toms Gesicht war blaß und erschrocken, wenn auch die übel mitgenommene Backe noch flammend rot war, und Saxon wäre am liebsten zu ihm hingetreten, hätte ihm den Arm um den Hals gelegt und ihn getröstet. Aber sie wagte es nicht. Er beugte sich über seine Frau.

»Sarah, du bist nicht wohl. Darf ich dich ins Bett legen? Dann werde ich schon für alles sorgen.«

»Rühr mich nicht an! Rühr mich nicht an!« kreischte sie wie besessen.

»Nimm die Kinder mit auf den Hof hinaus, Tom, mach einen Spaziergang mit ihnen oder was du willst – schaff sie nur fort!« sagte Saxon. Sie war ganz krank und blaß und zitterte am ganzen Körper. »Geh jetzt, hörst du. Da ist dein Hut. Ich werde mich ihrer schon annehmen.«

Sobald Saxon allein war, machte sie sich mit rasendem Eifer an die Arbeit, wobei sie mit Rücksicht auf die schreiende Tollhäuslerin auf dem Boden eine Ruhe vortäuschte, die sie keineswegs besaß. Das schreckliche war, daß der Lärm wie ein Zugwind durch das dünne Holzhaus ging; Saxon wußte, daß man es nebenan, ja, auf der Straße und in den Häusern auf der andern Seite der Straße hören konnte. Sie fürchtete nur, daß Billy unterdessen käme. Außerdem war sie empört und verletzt. Jede Fiber in ihr ekelte sich, so daß ihr fast übel wurde, und dennoch bewahrte sie ihre Selbstbeherrschung und strich Sarah leise und beruhigend über Stirn und Haar. Und wie sie, die Arme um die Schwägerin geschlungen, dasaß, glückte es ihr bald, das gräßliche, schrille, unaufhörliche Schreien zu beschwichtigen. Wenige Minuten später lag Sarah laut schluchzend in ihrem Bett. Über ihrer Stirn und ihren Augen lag ein nasses Handtuch – gegen die Kopfschmerzen, die sie und Saxon stillschweigend als eine hübschere Bezeichnung für den hysterischen Anfall gelten ließen.

Als man kurz darauf Pferdehufe auf der Straße hörte, war Saxon so weit, daß sie sich an die Haustür schleichen und Bill zuwinken konnte. In der Küche fand sie Tom, der entmutigt und besorgt wartete.

»Es ist vorüber«, sagte sie. »Billy Roberts ist da, und ich muß gehen. Bleib ein bißchen bei ihr sitzen, dann schläft sie vielleicht ein. Aber reize sie nicht. Laß sie sagen, was sie will. Versuch es jedenfalls. Aber vor allem mußt du als Einleitung und wie das Natürlichste von der Welt das Handtuch, das über ihren Augen liegt, nehmen und in Wasser tauchen.«

Er war ein freundlicher, umgänglicher Mann, aber wie so vielen aus dem Westen wurde es ihm nicht leicht, seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Er nickte, wandte sich zur Tür und blieb dann unentschlossen stehen. Der Blick, den er Saxon sandte, erinnerte fast an den eines Hundes. So rührend dankbar war er, aber gleichzeitig tief brüderlich in seiner Liebe. Sie fühlte es, und ihr Herz flog ihm sofort entgegen.

»Es ist ja gut – es ist ja alles gut«, sagte sie schnell.

Tom schüttelte den Kopf.

»Nein, das ist es nicht. Es ist eine Schande, eine verfluchte Schande!« Er zuckte die Achseln. »Ach, meinetwegen ist es mir gleich. Aber deinetwegen. Du hast das Leben vor dir, Schwesterchen. Du wirst noch früh genug alt. Aber das ist eine ekelhafte Art, einen Feiertag zu beginnen. Jetzt mach, daß du es vergißt, fahr mit deinem Freund aus und amüsiere dich gut.«

In der offenen Tür blieb er noch einmal, die Hand auf der Klinke, stehen, und sein Gesicht zuckte. »Zum Teufel! Es gab eine Zeit, da auch Sarah und ich zusammen ausfuhren. Und ich glaube fast, daß sie damals auch ihre drei Paar Schuhe hatte. Verstehst du das?«

In ihrer Kammer machte Saxon sich schnell fertig und stieg auf einen Stuhl, so daß sie in dem kleinen Wandspiegel einen letzten kritischen Überblick über den Sitz ihres fertig gekauften Leinenrockes bekommen konnte. Sowohl ihn wie die Jacke hatte sie selbst passend gemacht, sie hatte die Nähte mit doppelten Stichen umgenäht, um dem Kleid das gewünschte Tailormade-Gepräge zu geben. Was sie sah, gefiel ihr. Sie unterschätzte keineswegs die schlanken Fesseln über dem Ausschnitt des braunen Schuhs, ebensowenig die feine und doch kräftige Rundung der Wade, die in den neuen hellbraunen Florstrümpfen so schön zum Ausdruck kam. Dann sprang sie wieder auf den Fußboden, rieb sich schnell die Backen, um ihnen die Farbe wiederzugeben, die Sarah daraus vertrieben hatte, und brauchte dann noch einen Augenblick, um sich ihre braunen Zwirnhandschuhe anzuziehen.

Sie eilte durch das Wohnzimmer und an Sarahs Tür vorbei, aus der tiefe Seufzer und gedämpftes Schluchzen durch die Holzwand an ihr Ohr drangen, aber sie nahm sich zusammen und es glückte ihr, die Farbe in ihren Wangen und den Glanz in ihren Augen zu bewahren. Und Billy ahnte nicht, daß das strahlend frische junge Geschöpf, welches so leichtfüßig die Treppe herabtrippelte, soeben von einem aufreibenden Kampf mit Wahnsinn und Hysterie kam.

In dem hellen Sonnenschein machte Billys Blondheit einen fast verblüffenden Eindruck auf sie. Seine Wangen, die so rund wie die eines Mädchens waren, hatten eine leichte Röte angenommen. Es waren mehr Wolken in den blauen Augen als je, und das krause, weißliche Haar hatte einen stärkeren Anstrich von dem blaßgoldenen Ton, den sie zuvor bemerkt hatte. Noch nie hatte sie ihn so strahlend jung gesehen. Als er sie mit einem ruhigen Lächeln begrüßte, das von weißen Zähnen und roten Lippen leuchtete, war ihr das wie eine Verheißung von Frieden und Ruhe. Nach dem irrsinnigen Benehmen der Schwägerin wirkte Billys Ruhe doppelt so wohltuend, und Saxon lachte im stillen bei dem Gedanken an das gefürchtete »schreckliche Temperament«, dessen er sich selbst bezichtigt hatte.

Sie war früher schon ausgefahren, aber immer im Einspänner mit einem Mietspferd, und es war eine der schmutzigen, schweren Kaleschen gewesen, die man wegen ihrer Festigkeit und Haltbarkeit zum Vermieten gebrauchte. Aber jetzt standen hier zwei feurige, am Gebiß zerrende Pferde, die mit jedem blitzenden Reflex auf ihrer seidenblanken Haut verkündeten, daß sie noch nie in ihrem jungen Leben vermietet worden waren. Zwischen ihnen befand sich eine unbegreiflich dünne Deichsel, und ihr Geschirr war so fein und zart wie Zwirnsfäden. Billy hielt die Zügel in einer Hand, schien aber die nervösen jungen Tiere durch eine Art Willensübertragung zu lenken.

Es war keine lange Zeit zum Überlegen. Mit ihrem schnellen, wissenden Frauenblick sah Saxon nicht nur die neugierigen Kinder der Straße, sondern auch die Erwachsenen, deren Gesichter in offenen Türen und Fenstern und hinter beiseitegezogenen Gardinen hervorguckten. Mit der freien Hand hob Billy das Schutzleder und half ihr auf den Sitz neben sich. Der bequem gepolsterte Ledersitz mit der hohen Rückenlehne verlieh ihr ein Gefühl unsagbaren Wohlbehagens. Aber noch größeres Wohlbehagen fühlte sie an dem Manne selbst, an seiner Nähe, seinem Körper.

»Wie gefallen sie dir?« fragte er, indem er die Zügel mit beiden Händen ergriff und die Pferde antrieb, die sich sofort mit einer Schnelligkeit, die ihr etwas ganz Neues war, in Bewegung setzten. »Sie gehören meinem Chef. Solche Tiere kann man nicht mieten. Er läßt mich zuweilen mit ihnen fahren, damit sie Bewegung bekommen. Sieh nur King, das kann man Feuer nennen, nicht wahr? Ja, der andere ist auch fein. Prince heißt er. Aber man muß ihn fest im Zügel halten. He! Hast du gesehen, Saxon? Das ist ein Pferd, nicht wahr? Ja, das ist ein Pferd!«

Hinter ihnen ertönte das bewundernde Hurrageschrei der Kinder. Mit einem zufriedenen Seufzer setzte Saxon sich zurecht, sich bewußt, daß der glückliche Tag endlich begonnen hatte.

 

»Ich verstehe nichts von Pferden«, sagte Saxon. »Ich habe nie auf einem Pferd gesessen, und bin ich einmal ausgefahren, dann immer nur mit einem Einspänner, der meistens lahmte oder dergleichen. Aber ich habe keine Angst vor Pferden. Ich liebe sie. Das ist mir angeboren, glaube ich.«

Billy warf ihr einen bewundernden Blick zu.

»Das ist es eben«, sagte er. »Das hab' ich gern an einem Mädel – Mut! Einige von den Mädchen, mit denen ich früher zu tun hatte – nun ja, du kannst mir auf mein Wort glauben, daß sie mich wirklich krank machten. Nein, das ist nichts für mich. Nervös, bebend, schreiend und zitternd. Wenn sie mitfuhren, taten sie es eher um meinetwillen als der Pferde wegen. Da lob' ich mir ein tüchtiges Mädel, das Pferde liebt. Du bist vom rechten Schlage, Saxon, das ist sicher. Siehst du, mit dir kann ich von der Leber weg reden. Alle andern machen mich krank. Ich werde stumm wie ein Fisch. Sie verstehen nichts und fürchten sich andauernd, aber du verstehst mich doch, nicht wahr?«

»Das ist einem sicher angeboren«, antwortete sie. »Vielleicht kommt meine Liebe zu Pferden daher, daß ich immer an meinen Vater und seinen Rotschimmel denke. Denk dir, Billy, manchmal träumt mir, daß ich wirklich ein Pferd hätte, das mir gehörte. Und oft, oft hat mir geträumt, ich ritte auf einem Pferde oder führe mit ihm.«

»Du darfst sie gern fahren, aber warte, bis sie sich ausgetobt haben. Im Anfang gehen sie zu sehr ins Geschirr. Faß hier gerade vor meinen Händen – ja, nur fest. Merkst du was? Natürlich! Und dabei merkst du lange nicht alles. Ich wage sie nicht loszulassen, denn du bist ja nur so ein kleines Ding.«

Ihre Augen strahlten, als sie fühlte, wie die schönen starken Tiere am Zügel zerrten. Und er sah sie an und strahlte um die Wette mit ihr.

»Ich will dir etwas sagen, Saxon. Ich habe manchen guten Kampf im Ring ausgefochten und mir das Fell verprügeln lassen von einem whiskytrinkenden, tabakstinkenden Publikum, das mich anekelte. Und die Burschen, die selbst nicht einen ordentlichen Schlag aufs Kinn oder in den Magen vertragen konnten, die brüllten Hurra und heulten nach Blut. Nach Blut, verstehst du. Aber offen gestanden, ich möchte lieber für einen Menschen allein kämpfen – für dich zum Beispiel – oder für sonst jemand, aus dem ich mir etwas mache. Darauf würde ich stolz sein. Aber der elende schwachköpfige Pöbel, mit dem Mut eines Kaninchens und der Haut eines räudigen Schakals! Nein! Kannst du es mir verdenken, daß ich den dreckigen Beruf aufgab? Bei Gott, ich möchte lieber vor einem Publikum von alten, lahmen Arbeitspferden kämpfen, die gerade noch gut genug sind, um Gulasch aus ihnen zu machen, als vor der faulen Bande, die in den Adern nichts als Wasser hat.«

»Ich – ich wußte nicht, daß der Boxerberuf so ist«, stotterte sie, während sie die Zügel losließ und sich auf den Sitz neben ihm sinken ließ.

»Es ist nicht der Kampf selbst, es ist das Publikum«, erklärte er schnell. »Selbstverständlich nimmt ein junger Bursche keinen Schaden dabei, wenn er boxt und wenn ihm das Fell verprügelt wird. Aber es sind die Brüllaffen um einen her, die mich anekeln. Alle Freundlichkeiten, die sie mir sagen, ihr Lob und so weiter, das beleidigt mich. Verstehst du das nicht? Es macht mich verlegen. Denk dir – whiskysaufende Banditen, die mit keiner kranken Katze anbinden würden und nicht wert sind, einem ehrlichen Mann den Rock zu halten – – denk dir den Anblick, wenn sie heulen und Hurra schreien – für mich – für mich! –«

»Haha! Was hältst du nun von ihm? Ist er nicht ein Teufel?«

Eine große Bulldogge, die sich still und ohne den Wagen zu beachten über die Straße geschlichen hatte, war so nahe gekommen, daß Prince einen Versuch machte, sie zu packen, indem er trotz den straffen Zügeln den Kopf beugte und die Zähne fletschte.

»Er ist auch ein Kämpfer, unser lieber Prince. Und er tut es nicht, damit so ein Brüllaffe ihm zuheult. Er tut es einfach, wenn ihm etwas in die Quere kommt. So muß es sein. Das ist Natur. Aber diese Sportidioten, bei Gott, Saxon –«

Während sie durch die Straßen mit dem lebhaften Sonntagmorgenverkehr fuhren, war seine Aufmerksamkeit beständig den Pferden zugewandt, und mit einem plötzlichen Ruck warf er sie seitwärts, um zwei kleinen Knaben auszuweichen, die mit einem kleinen Wagen über die Straße fuhren. Saxon sah ihn von der Seite an. Es war, als offenbarte sich ihr die Tiefe seiner Seele, als sähe sie ihre intensive Kraft sich entladen, sähe Funken seiner ruhenden Gewalttätigkeiten, Boten aus dunklen Gegenden, kalt und fern wie Sterne, Wildheit, reißend wie die eines Wolfes und rein wie die eines Hengstes, Zorn, unversöhnlich wie der des Todesengels, und Jugend, die Feuer und Leben war und sich weder vor Zeit noch Raum beugte. So saß sie entrückt und bezaubert da, während ihr weibliches Sehnen Abgründe überbrückte, bereit, ihn mit ihrem ganzen Wesen zu lieben. »Du Lieber, du Lieber!« murmelte jede geheime Fiber ihrer Seele.

»Bei Gott, Saxon«, nahm er den Faden wieder auf. »Es gab Augenblicke, da ich sie haßte, da ich Lust gehabt hätte, über das Seil zu springen – den ganzen Haufen zusammenzuschlagen, sie herauszuzerren und ihnen zu zeigen, was kämpfen heißt. Wie zum Beispiel an dem Abend mit Billy Murphy. Billy Murphy! – Ich weiß nicht, ob du ihn kennst. Mein Freund. Ein so aufrechter, prächtiger Bursche, wie er nur je im Ring gestanden hat. Billy Murphy und ich waren zusammen zur Schule gegangen. Wir wuchsen miteinander auf und waren immer gute Kameraden. Sein Kampf war mein Kampf. War ich in der Klemme, so stand er mir zur Seite. Wir wurden beide Boxer. Ein Match wurde zwischen uns arrangiert. Es war nicht das erstemal. Zweimal hatten wir unentschieden gekämpft. Einmal siegte ich und einmal er. Es war unser fünfter Kampf. Zwei Männer, die Freunde waren, ja eben Freunde. Er ist drei Jahre älter als ich. Er hat eine Frau und zwei oder drei Kinder, die ich auch kenne. Und er ist mein Freund. Verstehst du?

Ich wiege zehn Pfund mehr als er, aber beim Schwergewicht hat das nichts zu sagen. In Zeit und Abstand ist er nicht so gut wie ich, und ich bin ausdauernder als er, aber er ist gewandter und schneller als ich. Ich kenne seine Schläge und er meine, und wir haben ehrlichen Respekt voreinander. Und wir standen gleich. Zweimal unentschieden und jeder einen Sieg. Aber nun der Kampf – du kannst es wohl ertragen, davon zu hören?«

»Ja, ja«, rief sie. »Ich möchte es gern hören. Du bist so prachtvoll.«

Er beantwortete das Kompliment mit einem offenen, festen Blick. Darüber hinaus aber verriet er nicht, daß es ihm Freude machte.

»Wir kämpfen sechs Runden – sieben Runden – acht Runden. Wir stehen gleich. Ich hatte mir das Tempo in seinen Angriffen gemerkt und ihn mit der Linken bearbeitet und seine Parade mit einem kleinen niedrigen Schlag durchstoßen, und er hatte mir einen Kinnhaken gegeben, daß es mir vor den Ohren sauste. Und das alles als zwei gute Freunde. Alles deutete auf einen unentschiedenen Kampf. Zwanzig Runden sind das höchste, weißt du.

Aber da hat er Pech. Wir rangen gerade miteinander. Es war das erstemal, und er zielt kurz auf mein Kinn – mit der Linken – eine Schlafpille von der rechten Art, wenn er trifft. Ich duckte mich, aber nicht schnell genug. Und er trifft mich, bums, gerade an den Kopf. Ich will nicht leugnen, daß ich Sterne sah. Aber es tat nicht weh und hatte nichts zu bedeuten, denn es war hier oben, wo der Knochen dick ist. Und gerade dabei bekommt er selber eins ab; denn sein schlechter Daumen, den ich kannte, seit er ihn kriegte, als wir uns als kleine Jungen im Sand bei Watts Tract schlugen – den Daumen verstaucht er sich an meiner harten Birne. Ich hatte es mir gar nicht so gedacht! Ein dreckiger Trick, einen Mann sich die Hand am Kopf zerschlagen zu lassen, wenn es auch im Ring an sich ganz fair ist. Aber nicht unter Freunden – ich würde es nicht für eine Million Dollar mit Bill Murphy so gemacht haben. Es war Pech, weil ich so langsam bin, weil ich langsam geboren bin.

Ob es weh tut? Ich will dir etwas sagen, Saxon. Du weißt erst, was weh tut, wenn du dir einen solchen alten Schaden wieder aufgefrischt hast. Was kann Billy Murphy tun als aufgeben? Er ist fertig; er hat nur noch die eine Hand zum Kämpfen. Er weiß es, ich weiß es, der Richter weiß es, aber sonst keiner. Er schwingt weiter seinen armen linken Arm, als wäre alles in schönster Ordnung. Aber das ist es nicht. Es tut so weh, als stäche man ihn mit Messern. Er wagt nicht ein einziges Mal, mit seiner Linken richtig zuzustoßen. Aber weh tut es doch. Ob er nun stößt oder nicht, es tut weh. Und jeder kleine Schlag, den ich nicht einmal pariere, weil ich weiß, daß keine Wucht dahinter ist, jeder kleine Schlag mit dem Daumen geht ihm direkt ans Herz und schmerzt schlimmer als tausend Beulen und tausend Hiebe.

Er muß vorsichtig kämpfen, und ich forciere es auch nicht. Ich habe ganz den Kopf verloren. Ich weiß nicht, was tun. So lasse ich denn nach, und die Idioten beginnen zu brüllen. ›Warum schlägst du nicht?‹ heulen sie. ›Schiebung!‹ ›Schiebung!‹ ›Ihr solltet euch lieber küssen!‹ ›Ist er deine Liebste, Bill Roberts?‹ Und solchen Unsinn mehr.

›Kämpfe!‹ sagt der Richter leise und wütend zu mir. ›Kämpfe, oder ich disqualifiziere dich. Dich, Bill. Du bist es, den ich meine.‹ Das sagt er zu mir und berührt meine Schulter, so daß ein Irrtum unmöglich ist.

So etwas ist nicht schön. Es ist nicht recht. Um was, meinst du, kämpfen wir? Um hundert blanke Dollar. Denk dir! Und unsere Pflicht war, unser Äußerstes zu tun, um den andern Knockout zu schlagen, weil die Teufel auf uns gewettet haben. Es war mein letzter Kampf. Nie wieder, sage ich dir.

›Gib auf‹, sage ich zu Billy Murphy in einem Clinch. ›Um Gotteswillen, Bill, gib auf.‹ Und er flüstert zurück: ›Ich kann nicht Bill, das weißt du ja gut.‹

Der Richter reißt uns auseinander, und die Teufel heulen und brüllen.

›Zum Teufel, schlag zu, Bill Roberts, tu ihn ab‹, sagt der Richter zu mir, und ich ersuche ihn, sich zur Hölle zu scheren, und Bill und ich gehen wieder in Clinch, und keiner von uns schlägt, und Bill stößt sich wieder den Daumen, und ich sehe, wie sein Gesicht sich vor Schmerz verzerrt. Sport? Bill ist so mutig wie nur einer. Aber einem mutigen Mann ins Auge zu sehen, wenn er vor Schmerzen krank ist – ihn lieb zu haben und in seinen Augen zu sehen, daß er einen lieb hat, und ihm dann weiter Schmerzen bereiten – ist das Sport? Ich kann es nicht sehen. Aber das Publikum hat sein Geld auf uns gesetzt. Wir hatten nichts zu sagen. Wir hatten uns für hundert blanke Dollar verkauft, und wir hatten nur zu parieren.

Ich sage dir, Saxon, bei Gott, es war einer der Augenblicke, da ich Lust gehabt hätte, über das Seil zu springen, auf die Teufel loszuschlagen, die nach Blut brüllten, und ihnen zu zeigen, was Blut ist.

›Um Gotteswillen, mach ein Ende, Bill‹, sagt Bill zu mir und sieht mir brüderlich in die Augen, als der Richter uns endlich auseinander gebracht hat.

Und die Wölfe und Teufel heulen: ›Schiebung! Schiebung! Schiebung!‹ Immerfort.

Schön, ich tat es. Es gab keine andere Möglichkeit. Ich tat es. Ich tat es. Ich mußte es tun. Ich mache eine Finte, daß er mit der Linken auslangt, ducke mich ruhig, so daß er mir über die Schulter fährt, und dann hat er meine Rechte auf seinem Kinn. Und er kennt den Trick. Tausendmal hat er mich angeführt, indem er den Stoß mit der Schulter empfing. Diesmal aber tut er es nicht.

Absichtlich gibt er sich eine Blöße. Bums! Es trifft. Er ist sofort erledigt und fällt seitwärts um, das Gesicht zu Boden und bleibt ganz still liegen, den Kopf nach unten, so daß es aussieht, als hätte er sich den Hals gebrochen. Das tat ich für hundert Dollar und um eine ganze Pöbelbande zu amüsieren, die ich nicht mit der Feuerzange anrühren möchte. Und dann hob ich Bill in meine Arme, trug ihn in seine Ecke und half, ihn wieder zum Bewußtsein zu bringen. Schön, sie sind zufrieden. Sie bezahlten ihr Geld und kriegen das Blut, das sie haben wollen, und einen entschiedenen Kampf. Und auf der Matte liegt ein besserer Mann als jeder von ihnen – ein Mann, den ich liebe, liegt da wie tot mit zerschundenem Gesicht.«

Eine Weile sah er schweigend über die Pferde hinweg, mit einem harten und zornigen Gesichtsausdruck. Dann seufzte er, sah Saxon an und lächelte.

»Ich boxte nicht wieder. Und Billy Murphy lachte mich deshalb aus. Er blieb dabei – so als Nebengeschäft, weißt du, denn er hat eine gute Stellung. Aber hin und wieder einmal, wenn das Haus gestrichen und die Doktorrechnung bezahlt werden soll oder das älteste von den Kindern ein Fahrrad haben will, dann geht er für fünfzig oder hundert Dollar in einem Klub in den Ring. Ich möchte, du lerntest ihn einmal kennen. Ein ganzer Mann, versichere ich dir. Aber an dem Abend war mir scheußlich elend zumute.«

Sein Gesicht war wieder finster und zornig geworden, und Saxon ertappte sich dabei, daß sie unwillkürlich etwas tun wollte, was Frauen, die höher auf der sozialen Rangleiter stehen, zuweilen offen und bewußt tun. Mit einer impulsiven Bewegung streckte sie die Hand aus, legte sie auf die seine, die die Zügel hielt und ließ sie dort einen Augenblick mit einem schnellen, festen Druck ruhen. Ihr Lohn war ein Lächeln mit Lippen und Augen, und er wandte ihr das Gesicht zu.

»Komisch«, sagte er. »Ich habe nie mit einem andern über so etwas gesprochen. Ich pflege sonst meine Gedanken für mich zu behalten. Aber was auch der Grund sein mag, so habe ich jedenfalls das Gefühl, daß wir gute Freunde werden müssen – ja, ist das nicht komisch? Und deshalb erzähle ich dir meine Gedanken. Tanzen kann jeder.«

Der Weg ging aufwärts, am Rathaus und an den Wolkenkratzern der vierzehnten Straße vorbei, den Broadway entlang, in der Richtung der Berge. Am Kirchhof bogen sie rechts ab, fuhren über die Piedmont-Berge nach dem Blair-Park und tauchten in den grünen kühlen Jack-Heyes-Canyon. Saxon vermochte ihre Überraschung und Freude über die Schnelligkeit, mit der sie vorwärts kamen, nicht zu verbergen.

»Wie schön sie sind!« sagte sie. »Ich habe mir nie träumen lassen, daß ich je mit solchen Pferden fahren würde. Ich fürchte, gleich aufzuwachen und zu merken, daß es ein Traum ist. Weißt du, daß ich immer von Pferden träume! Ich weiß nicht, was ich tun würde, um einmal eines zu besitzen.«

»Das ist auch komisch«, antwortete Billy. »Aber ich liebe Pferde genau wie du. Mein Chef sagt, ich sei Pferdekenner. Und ich weiß, daß er selbst ein Esel ist. Er versteht nichts davon. Und dabei hat er doch zweihundert große, schwere Arbeitspferde außer den zwei leichten Kutschpferden, und ich habe nicht ein einziges. Ist das nicht zum Tollwerden?«

»Ja, das ist es«, lachte Saxon verständnisvoll. »Wenn es etwas gibt, das ich liebe, so sind es feine Blusen, und ich verbringe meine Tage damit, die schönsten Blusen von der Welt zu plätten. Das ist schwer, und es ist nicht, wie es sein sollte.«

Billy knirschte in einem neuen Wutanfall mit den Zähnen.

»Es macht mich krank, wenn ich daran denke, daß du sie plättest. Es wäre eine verfluchte Welt, wenn Männer und Frauen nicht hin und wieder einmal darüber reden könnten.« Es klang wie eine halbe Entschuldigung, und doch war ein gewisser selbstsicherer Trotz darin zu hören. »Ich rede nicht mit andern Mädchen darüber. Die würden nur glauben, daß ich Hintergedanken dabei hätte. Ihre Angst, daß man immer Hintergedanken hat, kann einen krank machen. Aber du bist nicht so. Mit dir kann ich reden. Du bist wie Billy Murphy oder sonst irgendein Mann, mit dem man reden kann.«

Sie seufzte glückselig und sah ihn, ohne es zu wissen, mit Augen an, die vor Verliebtheit strahlten.

»Mir geht es ebenso«, sagte sie. »Mit den jungen Leuten, mit denen ich spazierenging, wagte ich nie, über so etwas zu reden aus lauter Angst, daß sie es mißbrauchen würden. Ja, eigentlich habe ich immer, wenn ich mit ihnen zusammen war, das Gefühl gehabt, daß wir uns narrten und anlogen und Komödie spielten, als wäre man auf einem Maskenball.« Sie schwieg, wie um sich zu bedenken, und fuhr dann mit seltsam leiser Stimme fort: »Ich bin nicht schlafend durch die Welt gegangen – ich habe gesehen und gehört. Ich habe meine Chancen gehabt, und ich bin des Plättens so müde gewesen, daß ich alles hätte tun können. Ich hätte die feinen Blusen haben können – und alles andere – und Pferd und Wagen dazu, wer weiß? Da war ein Bankkassierer – ein verheirateter Mann noch dazu, warum nicht? Er redete ganz offen mit mir. Mit mir wurde nicht gerechnet, verstehst du? Ich war kein junges Mädchen mit den Gefühlen eines jungen Mädchens. Ich war eine Null. Es war eine reine Geschäftssache. Er –«

Ihre Stimme senkte sich wie in Kummer, und in dem eingetretenen Schweigen konnte sie hören, wie Billy mit den Zähnen knirschte.

»Du brauchst mir nichts weiter zu erzählen«, rief er. »Ich kenne das. Es ist eine dreckige Welt, eine gemeine, lausige Welt. Ich verstehe sie nicht. Es gibt keine Gerechtigkeit in ihr. Die Frau wird wie ein Pferd gekauft und verkauft, mit dem Besten, das in ihr ist. Ich verstehe die Frauen nicht. Ich verstehe die Männer nicht. Meiner Ansicht nach muß ein Mann betrogen werden, wenn er so kauft. Wie zum Beispiel mein Chef und seine Pferde. Er hat auch Frauen. Er hätte dich mithaben können, nur weil er reich ist. Und du, Saxon, du bist für feine Blusen und dergleichen geschaffen. Aber bei Gott, ich würde es nicht ertragen, daß du den Preis dafür bezahltest. Das wäre ein Verbrechen –«

Er schwieg plötzlich und straffte die Zügel. Bei einer scharfen Biegung kam ihnen ein Automobil gerade entgegengesaust. Es bremste kreischend und hielt an, während die Gesichter der Insassen sich plötzlich beim Anblick der beiden jungen Menschen in dem leichten Fuhrwerk, das ihnen den Weg versperrte, belebten. Billy hob die Hand.

»Fahren Sie an den Wegrand«, sagte er zum Chauffeur.

»Nicht zu machen, Freundchen«, antwortete der Chauffeur und maß mit sachverständigem Blick den lockeren Rand des Weges und die Tiefe des Abgrunds. »Dann halten wir«, erklärte Billy freundlich. »Ich kenne die Regeln der Straße. Diese Tiere sind ein bißchen automobilscheu. Wenn Sie glauben, daß ich sie hier auf dem Hügel ängstlich gemacht haben will, dann irren Sie sich.«

Ein wirres Summen gekränkter protestierender Stimmen erklang aus dem Wagen.

»Sie brauchen nicht gleich als Landstraßenräuber aufzutreten, weil Sie ein Bauernlümmel sind«, sagte der Chauffeur. »Wir wollen Ihren Pferden nichts tun. Weichen Sie aus, daß wir vorbeikommen. Wenn nicht – –«

»Weichen Sie selber aus«, ertönte Billys Antwort. »So können Sie nicht mit mir reden. Ich kenne Sie. Machen Sie, daß Sie wegkommen. Fahren Sie rückwärts den Hang hinauf und halten Sie sich bei der ersten Stelle, wo Platz genug zum Ausweichen ist, ganz rechts.«

Nach einer furchtsamen Beratung mit den andern Insassen des Automobils gehorchte der Chauffeur. Das Automobil fuhr rückwärts die Anhöhe hinauf und verschwand hinter der Wegbiegung.

»So ein Pack«, sagte Billy ärgerlich zu Saxon. »Wenn sie ein paar Liter Benzin haben und sich einen Wagen leisten können, glauben sie gleich, daß die Wege, die deine und meine Eltern gemacht haben, ihnen allein gehören.«

»Sollen wir hier die ganze Nacht warten?« ertönte die Stimme des Chauffeurs hinter der Wegbiegung. »Machen Sie, daß Sie weiterkommen. Die Passage ist frei.«

»Halten Sie den Mund«, antwortete Billy verächtlich. »Ich komme, wann ich komme, und wenn Sie nicht Platz genug machen, fahre ich glatt über Sie und Ihre Ladung Hühner hinweg.«

Er ließ den unruhigen Tieren ein ganz klein wenig die Zügel, und ohne daß er die Peitsche gebrauchen mußte, zogen sie den leichten Wagen bergan und passierten ängstlich und scheu die lärmende Maschine.

»Wo waren wir stehen geblieben?« fragte Billy, als sie wieder freie Bahn hatten. »Ja, bei meinem Chef. Warum soll er zweihundert Pferde und Frauen und alles Mögliche haben und du und ich nichts?«

»Du hast deine Seide, Billy«, sagte sie sanft.

»Und du deine. Aber wir verkaufen sie an andere, wie man Stoffe an der Theke für so und so viel die Elle verkauft. Du weißt selbst am besten, was ein paar Jahre in der Plätterei für dich bedeuten. Und ich selber! Ich verkaufe meine Seide jeden Tag, wenn ich arbeite. Sieh den kleinen Finger hier.« Er nahm die Zügel in die eine Hand und hob die andere, die jetzt frei war, hoch, so daß sie sie sehen konnte. »Ich kann ihn nicht wie die andern ausstrecken, und das wird immer schlimmer. Das kommt vom Fahren. Hast du je die Hände eines alten Kutschers gesehen? Sie gleichen Krallen, so krumm und verkrüppelt sind sie.«

»In den Tagen, als unsere Väter über die Prärie gingen, sah das Leben anders aus«, antwortete sie. »Sie bekamen auch krumme Finger, aber was es an Pferden und dergleichen gab, gehörte ihnen.«

»Eben. Sie arbeiteten für sich. Sie machten sich die Finger für sich selber krumm. Aber ich mache mir die Finger für meinen Chef krumm. Kannst du dir denken, Saxon, daß seine Hände so weich sind wie die einer Frau, die nie etwas getan hat. Und doch gehören Pferde und Ställe ihm, obwohl er nie ein ehrliches Stück Arbeit verrichtet hat, während ich mich abschinde, um Essen und Kleider zu verdienen. Alles geht den falschen Weg. Und wer hat Schuld daran? Sieh, das möchte ich gern wissen. Die Zeiten sind anders geworden. Wer hat sie verändert?«

»Nicht Gott.«

»Nein, darauf kannst du deinen Kopf setzen, nicht er. Und das ist auch eine der Fragen, die ich stelle. Wer ist alles in allem Gott? Falls er die Dinge ordnet – und wenn er es nicht tut, wozu ist er dann da? – warum läßt er dann meinen Chef und Männer wie den Bankkassierer, von dem du sprachst, warum läßt er die dann Pferde besitzen und Frauen, anständige kleine Mädchen kaufen, die gern ihre eigenen Männer lieben und Kinder, deren sie sich nicht zu schämen brauchten, bekommen und auf ihre Art glücklich sein möchten?«

* * *

 


 << zurück weiter >>