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Ich las weiter:
»An demselben Tage, als ich ihm meine Tochter gab, in demselben Augenblicke, als Alles zu ihrer Vereinigung bereit war, höre ich auf der Hauptstraße nach Luxemburg einen Fremden nach dem Chevalier Faublas fragen; und trotz ihrer neuen Verkappung erkenne ich diejenige, welche zuerst Ihren Sohn in der fluchwürdigen Kunst, Frauen zu verführen und Ehemänner zu betrügen, ausbildete.
»Sie eilte ohne Zweifel nach einem zwischen ihnen verabredeten Plan herbei, den Mörder ihres Gatten an seinem Verbannungsort aufzusuchen.«
»Großer Gott! . . . mein Vater, ich schwöre, dass nichts daran ist; ich wusste nicht, dass die Marquise mir nach Luxemburg folgen wollte, mir war es unbekannt.«
»Mein Sohn, ich glaube es gerne, ich weiß, wie dieses unselige Weib verblendet ist.«
»Oh! mein Vater, wie sehr müssen Sie mit mir fühlen.«
»Ich kann Dich einer so abscheulichen Handlungsweise nicht für fähig halten. Aber er ist Vater, und zwar ein unglücklicher Vater, wir müssen ihn entschuldigen, beklagen, ihn wiederzufinden und zu überzeugen suchen!«
»Weiter! lies weiter.«
»Bei dieser verderblichen Erscheinung ahne ich alles Elend, das meiner theueren Dorliska droht; ich sehe nur ein Mittel, sie der dringenden Gefahr öffentlicher Schande und Verstoßung zu entreißen; und doch gehe ich in die Kirche, noch ungewiss, ob ich einen mir selbst außerordentlich scheinenden Schritt thun soll.
»Eine verwegene, nichts als heilig achtende, nichts scheuende Nebenbuhlerin erscheint beinahe zugleich mit uns vor dem Traualtar. Vor dem Antlitz Gottes, der die Schwüre der Verlobten empfängt, fordert sie ihn auf, die seinigen alle zu brechen!
»Indessen, was hoffte er, Ihr grausamer Sohn, der würdige Zögling eines schamlosen Weibes, der elende Verführer einer wehrlosen Jungfrau? was hoffte er, als er die eine der achtungswerten Abgeschiedenheit, die durch ihre Tugenden so reizend wurde, entriss, als er von der andern die beispiellose Aufopferung einer verderbten Welt, deren Abgott sie war, verlangte? Was er hoffte! sich zum Schauspiel von ganz Europa zu machen; sich zu berauschen in dem Ruhme, an den nämlichen Triumphwagen ein verführtes Mädchen und eine ehebrecherische Gattin zu fesseln, seine beiden Geliebtinnen an gleiche Schande zu gewöhnen; Fräulein von Pontis von Ort zu Ort zu führen, und sie mit der Marquise, wie einen verbuhlten Liebhaber, so die öffentliche Schande und Verachtung theilen zu lassen!«
»Fräulein von Pontis die öffentliche Verachtung mit der Marquise von B... theilen! welche Lüge! welche Lästerung!«
»Das waren seine Pläne, denen ich zuvorgekommen bin, die ich zerstört habe. Dank meiner Wachsamkeit, Dorliska wurde gerettet! aber die Ereignisse haben alle meine Verdachtsgründe gerechtfertigt.
»Nie hat man erfahren können, was aus der Marquise während der sechs Wochen, die Ihr Sohn in der Umgegend von Luxemburg zugebracht, geworden ist; ohne Zweifel lebten sie zusammen . . .«
»Ist das wahr?« fragte mich Adelheid.
»Ja, liebe Schwester, wahr ist, dass Frau von B... mich von Zeit zu Zeit besuchte, aber ich wusste nicht, dass sie es war.«
»Wie hätten Sie das nicht gewusst, mein Bruder?«
»Das kann ich Dir nicht erklären.«
»Diese Antwort, theuerer Bruder, ist mir zu dunkel.«
»Du zürnst mir auch, liebe Schwester?«
»Wohl muss ich es.«
»Warum willst Du noch dieses zu meinem Leid fügen?«
»Was mich kränkt, ist, dass Herr von Duportail bisweilen Recht haben muss, sonst dürfte er Ihnen wohl nicht solche Vorwürfe machen.«
»Ich sehe, liebe Schwester, dass Du mich ganz verdammst.«
»Ich thue es mit schwerem Herzen.«
»Aber Du thust es dennoch!«
»Wohlan, mein Bruder, enden wir!«
»Man sah sie mit frecher Stirne wieder bei Hofe erscheinen; Ihr Liebhaber war ja in der Hauptstadt.
»Wenn alle ihre Ränke nicht zu verhindern vermochten, dass der Chevalier ins Gefängnis wanderte: so weiß doch Jeder, dass sie ihn daraus befreite, indem sie sich preisgab.«
»Davon, mein Vater, kann ich mich nicht überzeugen.«
»Unbesonnener! lies, so lies doch!«
»Es sind überspannte Beschuldigungen.«
»Kannst Du Dich nicht so weit beherrschen?«
»Wie meinen Sie das, lieber Vater?«
»Ich glaube doch, dass ein Mann ein so pflichtvergessenes Weib von sich weisen kann.«
Mein Vater, der erzürnt war, gebot mir weiter zu lesen.
Und ich musste gehorchen.
». . . Und welchen Gebrauch hat er von seiner Freiheit gemacht? Da Sophie nicht wiederkehrte, musste eine andere an ihre Stelle treten.
»Der Chevalier Faublas ist nicht der Mann, sich mit einer einzigen Eroberung zu begnügen.
»Zwei zugleich, zwei Geliebtinnen mindestens sind unentbehrlich. Nur das ist mir unbegreiflich, dass Ihr Sohn es nach der Wiederentdeckung meines Aufenthalts wagte, mit einer neuen Nebenbuhlerin, die er Sophien vorzieht, vor ihr zu erscheinen.«
»Die ich ihr vorziehe! wie konnte ich solches thun? es ersetzen mir doch alle Frauen der Welt meine geliebte, meine angebetete Sophie nicht.
»Ach, mein Vater, wenn Sie wüssten, wie sie mich liebt, wie theuer ich ihr bin.«
Der Vater fiel mir in die Rede:
»Bedenkst Du auch, mein Sohn, was Du mir da sagst?«
»Ich weiß, dass ich Unrecht habe, mein Vater, ich habe Unrecht, aber ich befinde mich in der peinlichsten Lage.
»Verzeihung, hundertmal Verzeihung!«
Ich las den Brief, der mir meine Schwächen, meinen jugendlichen Leichtsinn in ihren ganzen vernichtenden Anschuldigungen eines gequälten Vaterherzens vor die Augen hielt:
». . . Dieser unpassende Schritt, dessen Beweggründe ich nicht ahne, schließt offenbar irgend ein anderes Gewebe von Abscheulichkeit und Treulosigkeit in sich, dessen Ausgang erst die Zukunft lehren wird. Wer ist jener Mann von reifem Alter, der sie begleitete? ein unglücklicher Gatte, den er mit Hohn und Schande überhäufen, oder ein vertrauender Vater, dessen Freundschaft er verrathen wird.
»Baron, auch Sie sind Vater, aber Sie scheinen nie daran denken zu wollen. Ich werde ohne Rückhalt reden . . . Ihre Nachsicht ist nicht zu entschuldigen.
»Mein Freund, denn so darf ich Sie ja noch immer nennen. Sie standen mir bei in meinen kummervollsten Tagen, wenn mein Herz zu brechen drohte, haben Sie mich immer aufgerichtet und mich mit der Hoffnung getröstet, ich würde eines Tages meine verlorene, heißgeliebte Tochter wiederfinden.
»Ich habe sie wiedergefunden, ach! in welchen Verhältnissen! und wäre Ihr Sohn ein mit treuen und ehrlichen Grundsätzen erzogener junger Mann gewesen, dann wäre es nicht so weit gekommen. Ich werde keine bloßen Höflichkeitsformeln gegen Sie beobachten. Mein Freund, fürchten Sie bald blutige Thränen weinen zu müssen! fürchten Sie, dass der endlich seiner Schonung müde Himmel die Unthaten seines Sohnes und die übermäßige Schwäche des Vaters zugleich strafe! fürchten Sie, dass er eines Tages in seinem Zorne meiner Tochter einen Rächer und der Ihrigen einen Verführer schicke!«
»Einen Rächer seiner Tochter!«
»Duportail, ich werde ihn sehen, diesen Rächer, den Du mir ankündigst, er zögert zu lang zu kommen. Faublas wird ihn aufzusuchen gehen!«
»Beruhige Dich,« rief der Baron aus, »Du hast mir soeben versprochen . . .«
»Wie! mein Vater, nicht nur zufrieden damit, mir zu drohen, wagt er es noch, meine Schwester zu beschimpfen!
»Einen Verführer meiner theueren Adelheid!«
»Siehst Du, mein Freund, wie uns die Leidenschaften inconsequent und grausam machen können; schon der Gedanke, Adelheid könnte verführt werden, versetzt ihren Bruder in Wuth; und er verzeiht die Empörung demjenigen nicht, dessen Tochter, die so tugendhaft war, dennoch zu den strafbarsten Ausschweifungen einer sträflichen Liebe hingerissen wurde!
»Faublas spricht davon, sich gegen seinen Schwiegervater zu waffnen; und dennoch dachte Lowzinski in Luxemburg nicht daran, an einem fremden Verführer die Verirrungen seiner Dorliska zu rächen.«
»Erlauben Sie, mein Vater, dass ich endlich seine Entschlüsse erfahre.«
»Mein Beispiel sei Ihnen wenigstens eine nützliche Mahnung; ich selbst trug zu den Verirrungen des Chevaliers bei, und obwohl nur unfreiwillig darin verflochten, sah ich mich doch bald dafür gestraft. Alles Leiden, das mich niederdrückt, kam von diesem undankbaren jungen Manne und seiner verderblichen Maitresse her, deren verbrecherischen Umgang ich ruhig zusah.
»Bald in einen ungerechten Streit verwickelt, hatte ich den Kummer, das weiseste Gesetz eines Landes, das mir gastfreundlich war und mir auch meine Freunde und sogar ein Vaterland gegeben, zu verletzen.
»Ach! wie viel weniger zu bedauern als ich, ist die angebetete Gattin, deren tragisches Ende ich vor zwölf Jahren beweinte.
»Sie schläft ruhig in den Wäldern von Sula.
»Ein frühzeitiger Tod entriss sie mir, sie hatte nicht den Schmerz des traurigen Missgeschicks ihres Gatten und ihrer Tochter zu erleben.
»Dir, o ewige Vorsehung, sei Dank, deren Fügungen immer zu segnen sind! Dank sei Dir, allweise Vorsehung, selbst in Deiner Strenge! Du wolltest, dass Lowzinski Lodoiska überlebte, um eines Tages Deiner missbrauchten Tochter beizustehen.
»Ach, es ist leider zu spät; aber um wenigstens ihre vollständige Schmach und die ihr drohende Erniedrigung zu verhindern, um Dorliska vor der äußersten Demüthigung zu retten, die ihr der herzlose Verführer zugedacht.
»Ja, meine entehrte Tochter wurde nicht herabgewürdigt, meine Tochter kann noch der Trost, die Freude, der Stolz ihres Vaters werden.«
Hier unterbrach mich mein Schluchzen einen Augenblick, Adelheid weinte ebenfalls; da aber der Baron Miene machte, den unheilvollen Brief wieder an sich zu nehmen, so that ich mir Gewalt an, seinen traurigen Inhalt zu Ende zu lesen.
»– Baron, ich habe Ihnen Rechenschaft von meinen nur zu gerechten Beweggründen gegeben, es bleibt nur noch übrig, dass ich Ihnen meinen unveränderlichen Entschluss mittheile.
»Von dem unauffindbaren Verstecke, wohin ich mich flüchte, werde ich immer meine Augen offen haben auf meinen Verfolger. Meine Dorliska ist mir unendlich theuer; denn ich bete in ihr das lebende Ebenbild einer bis zu meinem Tode unvergesslichen Gattin an. Urtheilen Sie nun selbst, ob ich nicht bestrebt sein muss, ihr glühend ihr höchstes Glück zu wünschen.
»Ach! mit welcher Freude würde ich ihrem Glücke, ihren theuersten Wünschen selbst die mir angethanen Beschimpfungen aufopfern. Aber derjenige, der seine Geliebte verführt hat, wird seine Frau nur dann erhalten, bis er sie verdient haben wird; und obgleich Ihr Sohn die Jugend Sophiens missbrauchte, wird er meine Erfahrung nicht täuschen. Der Chevalier versuche also nicht, mich zu täuschen, indem er sich verstellen wollte. Ich habe ihn zu gut kennen gelernt, ich habe zu sehr seine ränkevolle Maitresse fürchten gelernt, um mich durch den Anschein betrügen zu lassen.
»Wahrlich, er würde sich nun vergebliche Mühe geben, sich anscheinend gut gesittet zu benehmen; ich werde stets und mit vollem Rechte in seinem Betragen nur Heuchelei finden, so lange die Marquise auf dieser Erde lebt; denn dieses Weib ist ein Dämon, der diesen wankelmüthigen, jungen Mann nicht freigeben wird, bis sie ihn in den Abgrund des Verderbens gestürzt haben wird. Wie, sollte ich meine theuere Tochter auch mit hineinreißen lassen, um diesem pflichtvergessenen Weibe den völligen Sieg über diese zarte unschuldige Seele genießen zu lassen? Soll ich vielleicht zusehen, wie sie hohnlachend ihren sündhaften Körper vorbeugt, um den letzten Seufzer eines sich zu Tode quälenden Herzens anzuhören?
»Baron, ich gebe Ihnen mein Ehrenwort! sollte Faublas noch so glänzend von seinen Verirrungen zurückkommen, er wird dennoch Sophien nicht wiedersehen, bis der Himmel in seiner großen Gerechtigkeit die Einsperrung oder den Tod der Frau von B... befohlen hat. Aber es ist eine Thorheit von mir, mich durch diese schmeichelhaften Voraussetzungen verblenden zu lassen.
»Die Besserung dieses jungen Mannes wird wohl nie eintreffen. Gott, der so große Fehler nicht ungestraft lassen kann, hat ohne Zweifel der Marquise eine schreckliche Katastrophe vorbehalten. Aber das Beispiel ihrer Züchtigung, und wenn dieselbe selbst noch an diesem Tage sich vollziehen würde, möchte dennoch zu spät für Ihren Sohn kommen. Er, der anfänglich verführt wurde, ist selbst zum Verführer geworden und wird in Gesellschaft von seiner würdigen Freundin sich mehr und mehr verschlechtern.
»Ich versichere Sie, Herr Baron, dass ich ohne Unterlass arbeiten werde, meine Tochter von der verderblichen Neigung zu heilen, denn leider hat sie ihr junges Herz ganz dem Manne ihrer ersten Neigung hingegeben, und nur ihre engelgleiche Sanftmuth ist es, die sich in den väterlichen Willen fügt, und mit kindlicher Liebe und Ergebung sich von ihrem treulosen Gatten durch mich fern halten lässt. Aber derselbe Gott, der die Schlechten verfolgt, wacht über die Gerechten.
»Wenn ihr Verfolger, dessen zügellose Leidenschaften ihn gewiss eines Tages in einem Zweikampfe mit einem betrogenen Ehemanne werden fallen lassen, endlich gestorben sein wird, dann wird meine Sophie, die in ihren eigenen Augen wieder erhobene Sophie, zu einem neuen Leben wieder auferstehen; meine Vatersorgfalt wird zur Heilung der Wunden ihres Herzens beitragen. Es werden wieder schöne Tage kommen auf all' die Stürme, die ihr junges Leben getrübt, und meine Dorliska wird auf mich alle ihre, wenn auch minder lebhaften, um so zärtlicheren Neigungen übertragen.
»Der glückliche Augenblick wird erscheinen, wo ihre Vernunft ihr bestätigt, was ihr vortreffliches Gemüth ihr bereits gesagt. Eine Tochter, wie sie, hat keinen Verlust zu bedauern, wenn ihr ein Vater bleibt, wie ich einer bin.
»Ich bin mit einer Achtung, an der die Vergehungen Ihres Sohnes nichts verändert haben, Herr Baron, Ihr Freund, der Graf Lowzinski.«
Erstaunen, Unruhe, ja selbst Verzweiflung hatten mich während dieser langen und grausamen Vorlesung aufrecht erhalten. Nachdem ich dieselbe beendigt hatte, nahm ich alle meine Kräfte zusammen, um den Baron zu fragen, wie weit man meiner Frau gefolgt sei; und sobald er mir gesagt, dass man ihre Spur bei La Croisière verloren habe, fiel ich in Ohnmacht.
Diese Ohnmacht dauerte nur kurze Zeit.
Ich erholte mich wieder durch die liebevollen Bemühungen meiner Schwester; und bei der Stimme meines Vaters fasste ich wieder Muth.
Mein Vater schmeichelte mir durch eine Hoffnung, die er vielleicht selbst nicht hatte. Er drang in mich, in Gemeinschaft mit ihm und meiner Schwester selbst Nachforschungen zu beginnen, die, wie er meinte, gewiss glücklicher ausfallen würden.
Während er mit mir sprach, zog ein Papier, das fast unter meine Füße fiel, meine ganze Aufmerksamkeit auf sich.
Es war der Brief meines Schwiegervaters, den der Baron, der sich ganz mit meinem Zustande beschäftigte, an sich zu nehmen vergaß.
Ich trachtete, mich seiner zu bemächtigen, ohne dass er es bemerkte.
Es gelang mir mit ziemlichem Glücke, und ich fühlte mich zufrieden, als ob ich den größten Schatz erworben hätte.
Er war schrecklich, dieser Brief; aber er war ungerecht; ich fand mich darin sehr misshandelt; man sprach darin in jeder Zeile von Sophie.
Ich hatte also wieder dieses so grausame und zugleich so theuere Schreiben.
»Ach! Faublas; ach! Unglücklicher, wo musstest Du es verlieren und widerfinden!«
Indessen drohte ein unvorhergesehenes Ereignis, uns in Montcour zurückzuhalten.
Als wir eben in den Wagen stiegen, um wenigstens bis zu dem Dorfe Croisière zu gelangen, fühlte sich Adelheid sehr krank, denn ihre zarte Gesundheit ertrug den Kummer und das Leid nicht, die ihr das Unglück ihres Bruders verursachten.
Meine theuere Adelheid konnte die Reise nicht weiter fortsetzen.
»Mein Vater,« sagte ich, »die Thürme, die Sie hier sehen, ich erkenne sie wieder, es sind die Thürme von Nemours.
»In höchstens zwanzig Minuten sind wir in dieser Stadt, wo wir jeden Beistand, dessen meine Schwester bedarf, finden werden.«
Wir stiegen daselbst in einem Gasthofe ab.
Kaum waren wir eine Viertelstunde um unsere theuere Adelheid bemüht, welche sehr erschöpft schien, als ein Kurier nach mir fragte.
Er übergab mir folgendes, von unbekannter Hand geschriebenes Bittet:
»Der Herr Chevalier wird von Seiten des Vicomte Florville benachrichtigt, dass Herr Duportail, der vorgestern in La Croisière mit der Post angekommen war, sie inzwischen zu Montargis um Mitternacht wieder genommen hat.«
»Kommen Sie, mein Vater, eilen wir! fliegen wir!«
»Ist Ihre Schwester im Stande, uns zu folgen,« sagte er, »kann ich sie, meine Tochter, krank und allein in einem Gasthause lassen? Erwäge dies, mein Sohn, es ist eine Unmöglichkeit.«
»Sie haben Recht, mein Vater! Wie leid thut es mir, dass ich sie verlassen muss, es schmerzt mich umsomehr, da ich einen großen Theil der Schuld an ihrem Leiden trage.
»Mich ruft aber ein so dringendes Interesse, mein Vater, dass ich Sie bitten muss, mich auf der Stelle abreisen zu lassen, nur mein Bedienter soll mich begleiten . . .
»Sie haben meine Pistolen und meinen Degen; geben Sie dieselben dem Jasmin und verbieten Sie ihm, mir sie anzuvertrauen. Ich will alle Ihre Befehle befolgen, mein Vater, glauben Sie übrigens, diese Vorsicht ist unnütz, ich werde mich hüten. Ihnen und meiner theueren Schwester einen neuen Kummer zu bereiten.
»Geben Sie mir meine Waffen wieder und seien Sie ruhig; ich werde mich ihrer weder gegen mich, noch gegen meinen Schwiegervater bedienen. Ich gelobe es Ihnen feierlichst.
»Fürchten Sie nichts von meiner Lebhaftigkeit, wenn ich ihm begegne. Wenn ich ihm nicht begegne, so fürchten Sie nichts von meiner Verzweiflung. Sophiens Gatte wird seine angebetete, heißgeliebte Frau von ihrem Vater nur durch eine schnelle Rechtfertigung, durch Bitten, wenn es sein muss, durch Thränen zurückerhalten . . . Ich entsage jedem anderen Mittel.
»Ihr Sohn, ob er auch seinen Schwiegervater nicht auffinden könnte, sei es, dass er ihn ungerecht und stets unbeugsam finde, und sollte er auch für immer unglücklich bleiben, er wird dennoch für seine Schwester und für Sie, mein Vater, leben.
»Faublas verspricht dies seinem Vater! Der Chevalier schwört es auf Ritterwort.«
Herr von Belcourt, der große Besorgnisse zu bekämpfen hatte, konnte nicht so schnell, als ich es wünschte, einen Entschluss fassen.
Vielleicht fürchtete er die Gefahr, einen jungen, ungestümen Mann neuen Missgeschicken, die ihm drohten, zu überlassen.
Ohne Zweifel war er endlich durch die Furcht unüberlegter Schritte, wozu mich meine schmerzliche Ungeduld treiben könnte, wenn er mich eigensinnig bei sich zurückhielte, bewogen, mich reisen zu lassen.
Er bewilligte mir dennoch die so dringend nachgesuchte Erlaubnis.
Ich musste ihm mehreremale das Versprechen erneuern, dass, wenn ich glücklicherweise irgend eine Entdeckung gemacht hätte, ich ihn sogleich benachrichtigen solle, im entgegengesetzten Falle sofort zurückzukehren, sobald weitere Nachforschungen vergeblich waren, was auch sehr wahrscheinlich eintreffen würde. Auf alle Fälle müsse ich ihm jeden Tag Nachrichten von mir zukommen lassen.
»Lebe wohl, meine Schwester, meine theuere Adelheid, lebe wohl, o, wie bin ich trostlos. Dich in diesem Zustande, in dem Du Dich befindest, verlassen zu müssen.
»Mein Vater, Sie werden die Güte haben, mir jeden Tag einen Bericht über ihr Befinden zu senden, . . . nicht wahr?«
Während ich derart um die Gesundheit Adelheid's sorgte, war die meinige nicht besser.
Zwei Tage ausgefüllt durch peinliche Reiseermüdungen, wenigstens achtzig Meilen, die ich in weniger als sechsunddreißig Stunden zurücklegte, mehrere Nächte unter Liebesspielen durchmacht, alles das musste meine Kräfte erschöpft haben. Ich fand nur noch Hoffnung in meinem Muthe.
Als wir am Abend um sieben Uhr, trotz der Mühe, die wir uns gaben, in Montgaris ankamen, fanden wir kein einziges Pferd in den Postställen. Dasselbe Unglück war mir im Puy-la-Lande begegnet; aber ich hatte den Postillon von Fontenay zum Weiterfahren genöthigt.
Der Schlingel weigerte sich aber, trotz meinen Anerbietungen, meinen Bitten, meinen Drohungen fortzufahren, er bewies mir, die Verordnung in der Hand, dass ich ihn unter keinen Umständen nöthigen könne, zwei aufeinanderfolgende Station zu überspringen.
Mein Bedienter rief während dessen alle Teufel zu unserem Beistand. Ich zog Erkundigungen ein.
Der Postmeister sagte mir, dass in der That ein Herr von reiferem Alter, ein sehr junges Fräulein und zwei ausländische Frauen ankamen, um Mitternacht Pferde von ihm verlangten; er fügte hinzu, sie hätten sich nur auf eine halbe Stunde von da seitwärts fahren lassen, und seien dann ausgestiegen.
Ich fragte den Postillon, der sie gefahren hatte.
Da mir dieser Mensch nicht sagen konnte, was aus ihnen geworden war, so erbot er sich wenigstens, mich gerade an den Ort zu führen, wo er sie verlassen hatte.
Ich war genöthigt, zu Fuß dahin zu gehen; welcher Überwindung bedurfte es meinerseits; obgleich todesmatt, entschloss ich mich doch dazu . . . ach, und es war vergebliche Mühe, Niemand hatte meine Sophie gesehen.
Traurig, trostlos, aber unmöglich meiner letzten Hoffnung zu entsagen, stellte ich mir vor, dass Herr Duportail aus Furcht, verfolgt zu werden, und mittels eigens dazu bestimmten Vorspanns einen langen Umweg machen konnte, um dann wieder die Post aufzunehmen und derselben Straße wieder zu folgen.
Ich schickte Jasmin, um auf der nächsten Post Pferde zu holen, und befahl ihm, sie so schnell als möglich in den Gasthof von Montgaris zu bringen, den ihm der Postillon bezeichnete.
Als ich ankam, fragte mich die Kellnerin:
»Wünschen Sie ein Nachtessen, mein Herr?«
»Ich hätte es sehr nöthig, aber ich habe nicht die geringste Lust darnach. Ich will ein Zimmer, Licht und man lasse mich in Ruhe!«
Als ich allein gelassen war, quälten mich meine unruhigen Gedanken.
Wohin soll ich gehen, um sie zu suchen?
Der Augenblick naht, der meine letzte Hoffnung zerstören soll.
Duportail hat sechsunddreißig Stunden Vorsprung vor mir.
Es scheint, als habe er nichts versäumt, um meinen Verfolgungen zu entgehen.
Ich werde sie nicht wiederfinden.
Sie müssen sich Alle verschworen haben, um mich zu verderben.
Dieser unverschämte Postmeister, der nicht einmal ein Pferd in seinen Ställen hatte, dieser Schurke von einem Stallknecht, der mich um keinen Preis weiterfahren will.
Aber Jasmin bringt mich noch mehr als sie Alle in Verzweiflung! Er kommt nicht zurück . . . die kostbaren Augenblicke verstreichen. . . Ich werde sie nicht mehr treffen.
Auch der Zufall kämpft mir entgegen.
Frau von B... muss sich einem verdrießlichen Geschäfte, diesem Duell, dem ich unbewusst beiwohnen musste, unterziehen, wo ich ihrer so mächtigen Hilfe bedarf.
Meine Schwester muss krank werden in dem Augenblicke, wo der Baron meine einzige Stütze blieb.
Mein Glücksstern, der über meinen Unternehmungen aufging, hat mir seinen Einfluss entzogen.
Die Zeit der glücklichen Erfolge ist auf immer entschwunden. Sonst kam Fortuna meinen geringsten Wünschen entgegen; jetzt gefällt es ihr meinen wichtigsten Vorhaben zu widerstreben.
Ich, dessen Schicksal noch vor einem Jahre Jeder beneidete, ich soll der Gegenstand des allgemeinen Mitleides werden? Ja, ich bin wahrlich der unglücklichste der Männer . . .
Ich werde sie nicht wiedersehen! –
Nicht nur damit zufrieden, sie mir zu entführen, bemüht er sich wie er selbst sagt, um ihre Heilung. Er legt mir tausend Abscheulichkeiten bei. Kann sie auch nur einen Augenblick glauben, dass ich deren fähig wäre? Sollte sie mich verachten oder gar hassen?
Sophiens Hass und ihre Verachtung würden mich vernichten! Gibt es wohl Jemand, der jemals unglücklicher in der Liebe war? Kaum hat eine Frau mich bevorzugt und meine Theilnahme erregt, so erklären ihr alle Menschen zugleich einen grausamen Krieg.
Was hat Frau von B..., die Alle anklagen und verfolgen, denn so tadelnswertes gethan? – – Sie hat mich zu sehr geliebt; und dieses Verbrechen werden sie ihr nie verzeihen.
Man fordert von mir, sie nicht mehr zu sehen, ja sogar sie zu verabscheuen.
Ein allzu früher Tod wird ihr gewünscht! welche Grausamkeit! Ich fürchte, man wird in blinder eifersüchtiger Wuth auch die Gräfin angreifen . . . Die schöne Eleonore, sie betet mich an, und ich liebe sie innig . . . Die Gräfin! sie fühlt sich Mutter! o, mein Kind, mein Kind! Ha! nie, nie, wird ihn mein Vater seinen Sohn nennen, meine Sophie wird ihm nicht verzeihen, Adelheid ihm ihre Liebkosungen versagen, er wird nicht den Namen von Faublas fühlen . . . und seine Geburt kostet vielleicht seiner Mutter Ehre und auch Leben! . . . So wird mir also die Liebe, die mir Vergnügungen und Glück versprach, nur bittere Reue zurücklassen.
Ich Unglücklicher! ich werde Allen, die mich geliebt haben, das Leben kosten. Doch nein, ich will diesem traurigen Schicksal zuvorkommen, indem ich meinem Leben durch Selbstmord ein Ende mache. Ja, das wird das Schicksals Verbrechen sein. So will ich meine drei Geliebten retten, durch die Trennung meines Schicksals von dem ihrigen.
Sie werden mich vergessen und weiter leben können. Es wird für die Welt das Andenken an meine Aufopferung bleiben. Ach! möchten ein Mal, ein einziges Mal, zwei Liebende, würdig es zu sein, zwei wahr Liebende, einen Augenblick an meinem Grabe weilend, sich dessen erinnern, dass ich meine Irrthümer durch einen selbstgewählten Tod gesühnt habe; dann werden sie mir wohl eine Thräne weihen, mir ihr Mitleid nicht versagen, und denken:
Dieser hochherzige junge Mann starb für Viele! hätte er nicht verdient, nur Eine lieben, und für ihr Glück leben zu können? möchten zwei Liebende es sagen, Leonore und Sophie es wiederholen, und meine Manen werden getröstet sein.
Aber mein Vater, wer wird ihn trösten?
Mein Vater! warum überlässt er mich mir selbst in diesen fürchterlichen Augenblicken . . . Warum duldet er, dass man mir Sophie entreisst? . . . Duportail, Du wirst sie mir wiedergeben . . . Du wirst sie mir wiedergeben, oder Dein Blut! – Wahnsinniger, Du sprichst davon, ihn zu zwingen, und Du kannst ihn nicht einmal wiederfinden in seinem Versteck, das er unauffindbar nennt, Lowzinski trotzt Deinen ohnmächtigen Drohungen, wie Deinen Nachforschungen!
Du musst sterben.
Bittere Reue über ein unwiderruflich verlorenes Gut, grausamer Wunsch nach einer unmöglichen Rache, wie unerträglich seid Ihr mir! wie zerreißt Ihr mein Herz, das für sanfte Leidenschaften gemacht ist.
Vergeblich trachte ich, mich Euerer Wuth zu entziehen, von schrecklichen Gedanken verfolgt, von Furien umgeben. Sind das Gewissensbisse?
Welche Aufregung bewegt mich? ich fühle außerordentliche Kräfte in mir! Ich fühle eine meinen Kräften gleiche Wuth in mir. Diese Hölle, wie sie die Welt nennt, ich kann sie vernichten. Ich kann mich unter ihre Trümmer begraben, ich kann es! ich will es!
Unglücklicher! was willst Du thun? . . . halt ein!
Leonore, die Du opfern willst! . . . und Sophie! Sophie! Deine Geliebte, Dein Kind. Dein Weib, die Marquise auch; sie bitten Dich, sie zu schonen . . . Dein Vater und Deine Schwester umfassen Deine Kniee.
Meine Hand zittert, meine Kräfte verlassen mich! – Da ist dieser Brief, worin mein ungerechter Schwiegervater mir mein tragisches Ende vorhersagt!
Abermals verfalle ich auf die Unglück weissagende Stelle:
»Er muss, wenn er nicht selbst seinem Leben ein Ende macht, durch Feindeshand fallen! er muss vor der Zeit sterben!«
Barbar! Deine Vorhersagungen sind Befehle, Befehle, denen ich eben nachkommen will! aber Du selbst, Tyrann, wirst mir nicht einiges Mitleid versagen, wenn Du sehen wirst, dass ich den verhängnisvollen Befehl ausführe, und ihn durch meine Thränen ausgelöscht habe.
Wie traurig ist die Stille, die mich umgibt! wie schrecklich dieses tiefe Schweigen. Das Bild der Verzweiflung und des Todes!
Warum bin ich hier allein?
Wo ist denn meine Schwester?
Was kann meinen Vater zurückhalten?
Was macht die Marquise?
Meine Leonore, was ist aus ihr geworden?
Wie kommt es, dass sie sich nicht vereint haben, um zu verhindern, dass Lowzinski mir Sophien entreiße, oder ihn zu zwingen, sie mir wiederzugeben? . . .
Alle verlassen mich zu gleicher Zeit, alle Tröstungen fehlen mir auf einmal.
Ich habe keine Eltern mehr, keine Geliebte, keinen Freund! Wohlan, mir bleibt nur der Tod!
Der Tod, er ist weniger schrecklich, als die Lage, in der ich mich befinde.
O, mein Vater! so vergaß ich meine Versprechungen, dass eine der Pistolen, die Du mir zurückgegeben hattest, auf dem Tische neben Duportail's Brief lag.
Ich empfand ein eigenthümliches Vergnügen, abwechselnd das Urtheil und das Werkzeug des Todes anzusehen.
Ganz in den letzten Anfall von Verzweiflung gestürzt, empfand ich keinen Kampf, keine Gewissensvorwürfe und keinen Schrecken mehr; meine Stunde hatte vielleicht geschlagen!
Plötzlich geht die Thüre auf, ich traue meinen Sinnen nicht, sehe ich recht, wer ist's, der auf mich zustürzt und mich umarmt, wen drücke ich an meine Brust und überhäufe sie mit Liebkosungen und Danksagungen.
»Sieh,« sagte sie, »Du machst mir mit Willen den größten Kummer, ich eile herbei, um Deine Leiden zu trösten; Du entfliehst mir, so oft Du kannst, und ich werde nicht müde, immer die Erste wieder zu Dir zu kommen.«
Einen Augenblick habe ich gehofft, die Theuerste von den dreien zu umarmen, denn meine Sinne waren bereits verwirrt.
Bald gewahrte ich aber, dass es nicht meine Sophie war, die zu mir sprach und die höchsten Zärtlichkeiten an mich verschwendete.
Es war die Frau, die fast ebenso jung, hübsch, gefühlvoll und unglücklich wie die meine war.
Ich fand Frau von Lignoll.
Ich vergaß, dass ich mir vor einem Augenblicke noch das Leben nehmen wollte; ich vergaß meine Verzweiflung, meinen Kummer, meine Sehnsucht nach meiner geliebten Sophie.
In meinem Ungestüm hielt ich sie zärtlich in meinem Arme geschlossen, und trank der Liebe höchste Wonne aus ihren schönen Augen.
Konnte ich noch daran denken, mich in einen ewigen Schlaf einzuschläfern?
Eine andere Luft, als die der Vernichtung, machte schon mein Blut sieden, und das Fieber der Verzweiflung wandte sich ganz zum Vortheile der Liebe.
Jeder weiß, in welchem schlechten Zustande sich das Meuble befindet, welches gewöhnlich den Hauptbestandtheil eines Gasthauses für Reisende bildet.
Wer aber könnte wohl die Gräfin oder den Chevalier nicht entschuldigen, dass ein und dasselbe Verlangen sie trieb, sich auf dem einzigen und genug einfachen Lager, das sich in dem Gasthauszimmer befand, von den überstandenen Aufregungen und Müdigkeiten der Reise auszuruhen?
Ich könnte hier zur allgemeinen Rechtfertigung bemerken, dass die Ruhebetten, die dem Gotte Morpheus immer die angenehmsten sind, es nicht für Venus sein müssen. Ich würde diese delikate Sache mit Stillschweigen übergehen, wenn die Reihenfolge der Ereignisse mich nicht nöthigte, dieselbe zu erzählen. Ich muss sagen, dass hier von Seite der beiden Liebenden eine wahrlich unverzeihliche Unaufmerksamkeit, verblendeter Leichtsinn vorkam, denn es befanden sich in diesem Kabinete nicht einmal Vorhänge, und Faublas hätte zum mindesten die Thüre für Unberufene verschließen sollen.
Wir gaben uns ganz dem Feuer der Liebe und ihrem Opfer hin, welche wir der Göttin darbrachten, in deren Schutz wir uns begaben, als die Thüre unvermuthet aufging und Jemand rasch eintrat. Eine Stimme, die zugleich den Ton des Erstaunens und des Schmerzes zu haben schien, eine Stimme, die ich zu erkennen glaubte, ließ anfangs diesen ganz einfachen Ausruf ertönen:
»Mein Gott! was sehe ich?«
Ach! ich hatte nicht einmal die Kraft, eine Bewegung zu machen, um diejenige anzublicken, welche zwei Liebende so störte.
Ich sah nichts mehr.
Sei es, dass diese mir theuere Stimme eine schnelle Verwandlung in meinem ganzen Wesen hervorrief, oder sei es vielmehr, dass die Natur endlich durch so viele außerordentliche Anstrengungen, die in so wenig Tagen zu rasch und heftig aufeinanderfolgten, zu schwach blieb, um den letzten Kraftaufwand der Liebe zu überstehen; ich fiel bewusstlos in die Arme der Gräfin, die selbst in demselben Augenblicke in eine Art wünschenswerter Ohnmacht verfiel, und sich so auch außer Stand befand, mir beizustehen.
Das Geräusch einer rumpelnden Berline brachte mich wieder zur Besinnung. Ein günstiger Mondschein gestattete mir, in allen ihren Einzelnheiten die neue Lage, in der ich mich befand, zu übersehen; ich fand sie in der That erträglicher, als meine plötzliche Krankheit.
Man hatte mir die Kleider meines Geschlechts genommen, mir Frauenkleider gegeben; ich war in dem Wagen auf dem Rücksitz gebettet. Madame Lignoll, die an meiner Seite in der Ecke zusammengedrückt war, trug den größten Theil meines Körpers, der für sie eine wahre Last war. Mein Kopf ruhte auf ihrem Busen; mit ihren beiden Händen bedeckte sie meine eiskalte Stirne; sie erwärmte mein Gesicht durch Thränen und Küsse; der belebende Hauch einer Liebenden erfrischte meinen fast kaum fühlbar gewordenen Lebenshauch.
Ihr gegenüber saß auf dem Vordersitze ein junger Mann, dessen reizendes Gesicht die untrüglichen Zeichen einer großen Aufregung trugen, und stützte meine Beine, indem er sie auf seinen Knieen ruhen hatte; er war leicht über mich gebeugt und versuchte die sanfte Wärme seiner Hände den meinen mitzutheilen.
Die ermüdendste Stellung schien seinem Muthe ein Leichtes zu sein. Er erwartete mit Unruhe, aber ohne Ungeduld, dass sein Freund endlich die Augen öffnen, und alle Pflege, die er ihm angedeihen ließ, mit einem Blicke belohnen sollte.
Ich sagte mit schwacher, aber vernehmbarer Stimme:
»Guten Abend, meine Leonore! . . . und Sie, meine . . . (ich nahm mich zusammen) theuerer Freund, lieber, großmüthiger Florville, guten Abend.«
Beide antworteten mir durch ihre Liebkosungen, durch ihre Thränen, durch den rührenden Ausdruck ihres Kummers und ihrer Hoffnungen.
»Vicomte, ich hatte mich also nicht getäuscht? Sie waren es, der uns überraschte?«
»Ich war es,« unterbrach er mich mit einem tiefen Seufzer.
»Wahrlich, ich bin noch ganz beschämt. Glücklicherweise wusste der Herr beinahe schon –«
»Frau Gräfin, übergehen wir es mit Stillschweigen, und trösten Sie sich, es ist nun einmal geschehen, obzwar Ihre Sorglosigkeit eine große war; nehmen mir an, Ihr Gemahl, oder sonst Jemand anderer wäre anstatt meiner so unvermuthet eingetreten und hätte Sie in dieser höchst gefährlichen Lage getroffen.
»Zum Glück hat das Schicksal mich, den besten Freund des Chevaliers, herbeigeführt, und somit laufen Sie keine weitere Gefahr, vor der Welt in ein böses Licht gestellt zu werden.«
»Mein Herr,« sagte Frau von Lignoll, »ich beschwöre Sie noch einmal, das tiefste Schweigen darüber zu beobachten, vor Allem bei der Marquise von B..., ich beschwöre Sie, denn ich müsste sonst Kummers sterben.«
Der Vicomte antwortete mit herbem Tone:
»Die Frau Gräfin kann auf die unverletzlichste Diskretion rechnen.«
Die Gräfin wandte sich an Faublas, sagend:
»Dieser Herr kam Ihnen zuerst zu Hilfe; er erbot sich auch bereitwilligst, sich die Mühe zu geben, um Sie anzukleiden, denn die Schicklichkeit erlaubte mir doch nicht –«
Da der Chevalier zu lachen anfing, sagte der Vicomte:
»Jetzt fangt er auch noch zu lachen an.«
»O, umso besser!« rief die Gräfin mit einem Freudenschrei; »ohne Zweifel leidet er weniger.«
»Gewiss, ich bewundere ihn, seine Heiterkeit verlässt ihn nie! Faublas lacht immer! aber zuweilen weint er auch.«
»Mein Geliebter kann weinen!«
Der Vicomte sagte: »Ich kenne meinen theueren Freund, er ist zwar von leichter, aber dennoch tieffühlender Denkungsart stets bereit, dem Glücke Anderer sein eigenes zu opfern.«
Frau von Lignoll schien sehr gerührt, dann umarmte sie mich zärtlich und sagte:
»Mein Freund, Sie lachen, dass ich in Ihren Armen überrascht noch von Anstand spreche; aber trotzdem habe ich Recht; konnte eine Frau, die übrigens noch ganz verwirrt war, Sie in einem Gasthause, vor einer Menge auf Ihren Unfall herbeigelaufenen Leute ankleiden? Der Vicomte hatte mir den größten Gefallen erwiesen, indem er diese Dienstleistung übernahm, er ist uns beiden zu gleicher Zeit zu Hilfe gekommen. Dank Ihrem Freunde, haben die Fremden meinen unordentlichen Zustand nicht bemerkt, die Lästigen haben sich schnell zurückgezogen, in einem Augenblicke waren Sie vom Kopf bis zu Füßen umgekleidet. Man konnte keinen sorgsameren mitleidigen Freund, keine aufmerksamere und geschicktere Kammerfrau finden. Wahrlich, Herr Vicomte, Sie besitzen im höchsten Grade das Talent, sehr rasch Frauen zu bedienen und anzukleiden.«
Ich hörte mit geheimem Vergnügen, wie die Gräfin sich in Lobeserhebungen über die Marquise ergeht, immer denkend, sie habe es mit dem Vicomte zu thun.
»Lieber Vicomte, Sie sind in der That der edelmüthigste, der zartfühlendste Freund. Wie soll ich Ihnen meinen Dank ausdrücken?«
»Schonen Sie sich,« sagte der Vicomte, »vermeiden Sie jede Art von Aufregung.«
»Ist mein Diener zu Ihnen gekommen, fand er Sie in diesem Gasthause?«
»Nein, mein Freund.«
»Wie, mein Vater und meine Schwester werden mich, unvorbereitet auf meinen Unfall, ankommen sehen?«
»Schweigen Sie; ich weiß, dass sie in Nemours sind; wir werden sie morgen früh benachrichtigen lassen.«
»Morgen! . . . Wo führen Sie mich hin?«
Ich weiß nicht, was mir geantwortet wurde, denn ich verfiel abermals in meine Lethargie.
Ich erkannte das Schloss Gatinais wieder. Das Gemach der Frau von Lignoll, ihr Bett, das glückliche Bett, wo Leonoren's Geliebter erst unlängst zwei glückliche Nächte mit ihr zugebracht hatte. Da war es, wo jetzt Fräulein von Brumont gequält von Herzenskummer und physischen Schmerzen unsäglich litt.
Florville jammerte zur Rechten meines Lagers.
Ich sah zu meiner Linken einen nicht minder Mitleids werten Gegenstand; es war meine Leonore mit aufgelösten Haaren, blassem Antlitze, die Augen verzweiflungsvoll gegen den Himmel gerichtet; es war meine Leonore, die auf dem Bettrande mehr hingestreckt als sitzend, mit Schluchzen rief:
»Der Grausame! wenn er zum mindesten nicht von seiner Frau spräche! aber er sehnt sich nach meiner verhassten Nebenbuhlerin; und beständig nennt er diese Frau von B..., deren Namen ich nicht hören kann! er nennt sie fast ebenso oft als mich, seine Leonore! Ich glaubte nur gegen die Liebe zu Sophien ankämpfen zu dürfen, und ließ mir nicht träumen, dass er für die Marquise eine so tiefe und wahre Neigung empfände! aber wie ist es möglich, dass er so vielseitig liebe? ich kann nur einen Mann anbeten! ich kann nur ihn vergöttern, den Undankbaren, der mir Alles ist, ohne ihn ist die Welt mir so öde und traurig wie das Grab! welche Frau würde ich zu fürchten haben, wenn er mir gleiche Liebe erwiederte?«
»Ach, Madame,« fiel der Vicomte ein, »er ist in Ihrem Hause! Sie haben schon über die, welche Sie Rivalinnen nennen, den Vortheil, dass Sie Mutter sind, bald werden Sie den noch größeren Vorzug haben, dass Sie sein Leben retteten. Er ist bei Ihnen, sind Sie nicht überglücklich?«
»Ja,« rief sie mit Entzücken aus, »sein Leben, welches seine Frau in Gefahr brachte, welches die Marquise verkürzt hatte, ich werde das Glück haben, dieses Leben zu verlängern, und vielleicht sogar es zu verschönern. Ich will sein Leben retten!
»Aber werde ich es vermögen? wenn das Übel so fortschreitet, wenn sich dieses Fieber verdoppelt, wenn er, wie eben vorher in einem Anfall sein Bett verlassen, aus diesem Zimmer hinaus will, zu Sophien, die er zu sehen, Frau von B..., die er zu hören glaubt, eilen will, wo finde ich die Mittel, ihn zurückzuhalten, ich, die ich so schwach bin! . . . ein so trauriger Abend, eine so ängstlich durchwachte Nacht, ich fühle mich gänzlich erschöpft. Sie, Herr Vicomte, Sie haben mehr Kraft und mehr Geistesgegenwart als ich; dennoch scheinen Sie auch sehr ermattet und niedergeschlagen.
»Ach! sollte sein Freund, wie seine Geliebte keinen Muth mehr haben? Oh, mein Gott! gib uns Kraft, sieh mein Herz und dann richte! richte! habe Mitleid mit einer schwachen Sterblichen.
»Wenn jedoch meine Bitte nicht erhört werden sollte, wenn Faublas unterliegt?
»Wenn er unterliegt, werde ich mir wenigstens nicht seinen Tod vorzuwerfen haben, vielmehr wird es seine Frau und seine unwürdige Geliebte sein, die Marquise von B...
»Die Erinnerungen an Sophie verursachen ihm in der That heftige Unruhe; aber die Erinnerung an Frau von B... verfolgt, quält, entflammt, ja, sie tödtet ihn!
»Ich will hingehen und dieses schändliche Weib aufsuchen und sie tödten, dann werde ich auf das Grab meines Geliebten gehen, ich werde nicht mehr weinen, ich werde mich erdolchen!«
So theilte mir Madame Lignoll in ihrem Schmerze mit, in welcher Gefahr ich schwebe.
Jedoch ich war außergewöhnlich müde, und um mir einige Erleichterung zu verschaffen, suchte ich mich in meinem Bette etwas aufzurichten.
Meine beiden Pflegerinnen warfen sich sofort über mich, als sie mich diese Bewegung machen sahen. Sie vereinten ihre Kräfte, um mich zurückzuhalten.
»Warum wollen Sie Ihre Freundin verlassen?« sagte die Marquise. »Bleiben Sie da,« rief die Gräfin, »bleiben Sie! hören Sie!«
»Eleonore, meine theuere Geliebte, ich will nicht fortgehen; sei ruhig.«
»Ach!« sagte sie, mich umarmend, »Du erkennst mich also wieder? bleibe da, ich werde Sorge tragen, damit Du Alles, was Du begehrst, bekommst, es soll Dir an nichts fehlen!«
Ich wandte mich an Frau von B...
»Und auch Sie, fassen Sie Muth, meine edelmüthige Freundin.«
»Er ist noch im Delirium,« unterbrach Frau von Lignoll.
»Im Gegentheil,« antwortete die Marquise, »ich glaube, er ist wieder ganz zu sich gekommen!«
»Mein theuerer Florville,« fragte der Chevalier, »wie viel Uhr ist es nun?«
»Mittag!«
»Wie, Mittag? . . . Gräfin, haben Sie meinen Vater benachrichtigen lassen? haben Sie jemand ausgesandt, um sich nach dem Befinden meiner Schwester zu erkundigen?«
»Ja, mein Freund, und man sollte schon wieder da sein,« antwortete sie.
In demselben Augenblicke hörte man Geräusch auf dem Gange; es war Lafleur, der aus Nemours zurückkam.
Die Gräfin ging rasch, um ihm die Thüre zu öffnen, die sie sogleich wieder schloss, nachdem der Bediente eingetreten war. Er hatte meinen Vater gesehen; meine Schwester befand sich bei weitem besser.
Der Baron wollte am Abend der Frau Gräfin einen Besuch abstatten.
»Sehr gut, Lafleur,« sagte sie. »Julien, dem ich befohlen, nach Paris zu reiten und Herrn von Lignoll von unserer Ankunft hier zu unterrichten, ist Julien sogleich abgereist?«
»Vor zwei Uhr, morgens, gnädige Gräfin.«
»Gut, mein Lieber, verlass uns; nimm dieses Geld und sei verschwiegen.«
Frau von B... schien seit einigen Minuten in ernsten Gedanken versunken. Endlich brach sie das Schweigen, um Frau von Lignoll einen nicht ganz uneigennützigen Rath zu geben.
»Glücklicherweise,« sagte sie, »ist es nicht mehr nöthig, dass wir alle beide bei ihm bleiben. Wird es die Frau Gräfin nicht gut finden, sich ganz angekleidet auf das in das Kabinet gestellte Feldbett zu legen?«
»Aber Sie, mein Herr . . .«
»Was mich anbelangt, so hat es keine Eile,« fiel der Vicomte ein; »ich bin sichtlich weniger ermattet als Sie; übrigens werde ich diesen ganzen Nachmittag Zeit dazu haben.
»Sie, Madame, müssen den Besuch des Barons empfangen.«
Die Gräfin erklärte, dass sie mich nicht verlassen wolle, und ich glaube, dass die gewandtesten Vorstellungen und Bitten der Marquise nichts genützt hätten, wenn ich dieselben nicht mit meinen lebhaften Zureden unterstützt hatte.
Frau von Lignoll gehorchte uns nicht eher, bis wir ihr versprochen hatten, sie nicht über zwei Stunden schlafen zu lassen.
Es trat einen Augenblick Schweigen und Ruhe ein, worauf sich der Vicomte geräuschlos erhob und einige Gänge durch das Gemach mit leichtem Schritte machte.
Er schaute, ich weiß nicht unter welchem Vorwande, durch das Glasfenster des Kabinets, wo die Gräfin ruhte; dann kam er zurück, um seinen vorigen Platz auf dem Bettrande wieder einzunehmen, und sagt mit halblauter Stimme:
»Sie schläft.«
Mit unruhiger Stimme fügte er hinzu:
»Chevalier, ich habe Ihnen tausend Dinge zu sagen; aber hüten Sie sich, mich zu unterbrechen, verhalten Sie sich ruhig und hören Sie mir bloß zu.«
Nachdem Madame B... sich einen Augenblick bedacht und gesammelt, nahm sie eine meiner Hände, die sie in den ihrigen festhielt, und blickte mich zärtlich an.
»Ach!« fuhr sie endlich fort, »urtheilen Sie selbst, ob ich nicht Grund habe, das Schicksal anzuklagen! seit sechs Monaten, ja für immer wohl, zur Reue verurtheilt, zu Leiden und Gleichgiltigkeit, sah ich nur noch einen möglichen Trost, den, wenigstens in etwas zu Ihrem Wohlergehen beizutragen.
»Ich würde gern mein Theuerstes für meinen Freund opfern, denn durch mich hat er auch sein Liebstes auf Erden verloren!
»Bin ich nicht unglücklich genug? Seit langer Zeit dürfen Sie mich nicht mehr lieben, Faublas; künftig werden Sie mich hassen.«
»Ich, Sie nicht mehr lieben?«
»Sprechen Sie doch nicht so laut.«
»Weshalb beschuldigen Sie mich einer solchen Lieblosigkeit?«
»Sprechen Sie nicht, mein Freund, es regt Sie auf. Faublas. Sie werden mich hassen,« wiederholte sie mit zitternder Stimme; als sie sah, dass ich im Begriffe war, sie zu unterbrechen, fügte sie rasch hinzu:
»Doch, nein, nein! Sie würden zu ungerecht sein, weil Sie mich nicht mehr strafbar finden wollen, wiederholen Sie sich zu meiner Rechtfertigung, was ich Ihnen im Walde von Compiègne gesagt habe.
»Es liegt mir daran, dass Sie keinen Groll gegen mich hegen.«
»O, geliebte Freundin, die Sie mir immer theuer waren, glauben Sie mir, ich bewahre nur die Erinnerung einer unvergleichlichen Großmuth und Zartheit, und soll ich es sagen? einer Lie . . .«
Ich wollte das Wort aussprechen, aber die Marquise hinderte mich daran, indem sie mir ungestüm in's Wort fiel:
»Einer Freundschaft, welche nur mit dem Leben enden wird. Ich verstehe, aber sprechen Sie nicht, Faublas! hüten Sie sich, ich wiederhole es noch einmal, vor jeder Aufregung. Lassen Sie mich allein reden. Lassen Sie mir das Glück, Ihnen zu zeigen, wie sehr ich mich seit unserer Trennung im Walde mit Ihnen beschäftige. Von der Angst gequält, dass ich das grausame Ereignis, das ich befürchtete, nicht mehr zu verhindern im Stande sein werde, beeilte ich mich wenigstens früh genug anzukommen, Ihnen meine Sorgfalt und Freundschaft anzubieten.«
Sie fügte mit traurigem Tone hinzu:
»Es ist wahr, dass ich mich vergebens bemühte, denn Sie tröstete ja schon die Liebe: ein geliebtes Weib . . .«
»Oh, sagen Sie das nicht, denn wahrhaftig, ich weiß selbst nicht, was ich denken soll!«
»Was? Sie lieben Frau von Lignoll nicht eben so sehr als Sophie?«
»Eben so sehr als Sophie? nein, gewiss nicht. Weder Frau von Lignoll, noch –«
Ich glaube, ich wollte sagen, weder Frau von B...; sie hinderte mich daran.
»Aber mein Herr, schreien Sie doch nicht so sehr: muss ich es Ihnen denn hundertmal wiederholen? Faublas, Sie werden die Gräfin aufwecken.
»Ich weiß nicht mehr, was ich Ihnen gesagt habe.«
»Dass Sie sich überstürzt haben, um herbeizueilen, mich zu trösten.«
»Nicht Sie zu trösten, sondern Ihnen zu helfen, Chevalier. In der That, seit Frau von Lignoll Sie mit sich genommen hat, seit Rosambert . . .«
»Ei! was ist denn aus dem geworden?«
»Ich habe ihn noch in Compiègne, in dem Hause eines Freundes, den ich dort habe, untergebracht.«
»Eines von Ihren Freunden, von Ihren?«
»Von meinen! der Wundarzt sprach von der Gefahr eines Transports nach Paris; ich wünschte nicht, dass man ihn die Beschwerden einer Reise ertragen lasse; ich habe es nicht geduldet, dass man ihn in ein Gasthaus bringe; er hätte da vielleicht nicht alle nöthige Hilfe gefunden; und in seinem Zustande würde ihm der Mangel an Pflege den Tod verursacht haben.
»Der Elende hat ihn verdient; aber von meiner Hand hätte er ihn empfangen sollen; das Schicksal hat anders entschieden, noch ist meine Rache nicht gestillt, ich weiß zu gut, dass er mich noch weiter verfolgen wird, um mich zu demüthigen und mir zu beweisen suchen wird, dass er mir nie verzeiht. Sie ihm vorgezogen zu haben, ihm, der aller Frauen Liebling und von ihnen verzogen, es nie begreifen kann, dass es auf der Welt eine gäbe, die seine Huldigungen verschmäht.
»Ich aber will dem Zufall nicht seine Züchtigung anvertrauen, denn diese steht nur mir allein zu!«
»Aber hören Sie, theuere Freundin, fürchten Sie die Folgen dieses sonderbaren Duells nicht? sind Sie der Verschwiegenheit dieser Leute, die Sie gebrauchten, auch sicher?«
»Ich habe mich gewöhnlicher Mittel bedient, die nicht schlecht sind, mein Freund, ich habe das Geheimnis sehr theuer gekauft! ich habe nebst dem Golde weder Versprechen noch Drohungen gespart.«
»Diese Vorsichtsmaßregeln reichen nicht immer aus.«
»Still doch, lieber Freund.
»Ich musste in die Hauptstadt zurück, wo ich einige Stunden verlor; aber sobald ich mich frei sah, eilte ich nach Fromonville, wo ich vor Ihnen anzukommen glaubte, weil Sie die Nacht bei der Gräfin zubringen sollten. – Auf halbem Wege begegnete ich einem meiner Emissäre, der mir den Bericht über das, was seine Kollegen in Montour entdeckt hatten, nach Paris bringen wollte. Er hatte auf seinem Wege die Reisenden genau beobachtet. Aus seinen verschiedenen Berichten, die er mir machte, ersah ich nicht ohne Erstaunen, dass Sie einen großen Vorsprung vor mir hatten, und auch dass Frau von Lignoll einige Stationen vor mir voraus war.
»Bei dieser Nachricht verdoppelte ich die Eile, und wenn ich im Puy-la-Lande Pferde gehabt hätte, war ich noch vor der Gräfin zu Montargis.«
»Oh! ja, aber sie kam zuerst an; und gerade dafür bin ich Ihnen vielen Dank schuldig, vor Allem viel Verzeihung . . .
»Denn Sie haben uns in dem Augenblicke überrascht, als . . .«
»Chevalier, ich muss Sie hier ernstlich verwarnen, in der Zukunft mehr auf Ihrer Hut zu sein. Bedenken Sie, welch' namenlose Schmach für die Gräfin, wenn ein Fremder so unvermuthet eingetreten wäre; wie haben Sie es vernachlässigen können, diese Thüre zu schließen?«
»Wie es kam, weiß ich selbst nicht, die Ursache davon aber ist, weil . . .«
»Chevalier, verschonen Sie mich mit Einzelnheiten und halten Sie ein, ich bitte darum, es sei nie zwischen uns wieder die Rede von dieser Begegnung.«
»Erlauben Sie, Frau Marquise . . .«
»Ich erlaube nichts. Sie werden von diesem Abenteuer nicht mehr sprechen, wenn Sie für mich noch einige . . .«
Die Marquise hielt einen Augenblick ein, um den treffenden Ausdruck zu suchen. Anfangs sprach sie das Wort Achtung aus; das Wort Rücksicht sprach sie nur mit zagender Stimme aus.
»Ja, theuere Freundin, ich hege für Sie viel Achtung, viel Rücksicht, viel Lie . .«
»Freundschaft; ich verstehe Sie, vollenden Sie nicht! Faublas, ich bin jetzt vollständig entschädigt, es fehlt zu meiner Ruhe nur noch die Gewissheit Ihrer vollständigen Genesung. Und jetzt werden Sie nach meinem Willen handeln; ruhen Sie, suchen Sie zu schlafen, nur eine Viertelstunde . . . ich bitte darum, ich will es.«
Sie legte mich sanft zurück in meine Kissen und indem sie einen Kuss auf meine Stirne hauchte, ließ sie mir ihre Hand, die ich zärtlich an mein Herz drückte, indem ich sagte:
»Hätten Sie mir nicht den Befehl dazu gegeben, ich würde mich bald genöthigt gesehen haben, Sie um Erlaubnis zum Schlafen zu bitten.«
Der peinliche Schlaf, in den ich verfiel, dauerte nicht lange. Ich erwachte aus meinem Schlummer mit einer solchen Heftigkeit, dass die Marquise darüber betroffen war; ich überraschte sie in Thränen über einem Schreiben, das sie meinen Blicken zu entziehen trachtete.
»Was beginnen Sie da?« wagte ich zu fragen, »was ist das für ein trauriges Schreiben, das Ihre Thränen fließen macht?«
»Warum fragen Sie, mein Freund, warum soll ich es Ihnen sagen?« antwortete sie seufzend.
»Ich sehe genau, dass die Zeit vorbei ist, wo Sie Ihrem Freunde alle Geheimnisse anvertrauten, wo ihm keines verborgen blieb.«
»Geheimnisse für Sie!« sagte sie. »Wenn ich eines habe, so kann es nur eines sein, und dieses, Faublas, würden Sie leicht errathen; aber dann müssen Sie mit eben so viel Rücksicht als Zartheit es mir bewahren helfen.«
»Nennen Sie mir Ihren Kummer, ich werde mich bestreben, ihn zu lindern.«
»Und wenn dieser Kummer jetzt unheilbarer ist als je?«
»Oh, meine theuere Freundin, was muss ich thun?«
»Beruhigen Sie sich, mein Freund! ich beschwöre Sie, fragen Sie mich nicht, verlangen Sie nichts von mir zu wissen, überlassen Sie mich allein und ganz meinem Schmerze; lassen Sie mich weinen. Klagen und Thränen! das ist meine letzte Hilfe! und dennoch habe ich mich fähig geglaubt, geduldig die harten Prüfungen auszuhalten, die unglücklicher Frauen wartet! ich war so stolz, mich für immer gegen die Ungerechtigkeiten der Menschen und die Verfolgungen des Schicksals gewaffnet zu halten.
»Unsinnige, die ich war! heute bin ich wenigstens von der Wahrheit überzeugt, dass es leicht ist, für die Rache oder den Ruhm einen Augenblick sein Leben einzusetzen; aber es ist nicht leicht mit gleicher Standhaftigkeit wiederholtes unerwartetes Unglück zu ertragen.«
Ich wollte reden, aber sie legte, um mich daran zu hindern, ihre Hand auf meinen Mund. Ich nahm diese immer sanfte und schöne Hand und küsste sie.
In diesem Augenblicke trat Frau von Lignoll aus ihrem Kabinet, wo ich sie eingeschlafen wähnte. Meine erste Bewegung war die Marquise zurückzudrängen. Diese in kritischen Fällen immer sehr gefasste Frau behielt mehr Geistesgegenwart als ich. Überzeugt, dass es zu spät war, wollte sie weder ihre Hand zurückziehen, noch ihre Haltung verändern; sondern schien aufs Höchste um mich besorgt zu sein.
»Sie würden mich bis Morgen haben schlafen lassen,« sagte die Gräfin.
Dann den Vicomte ansehend, fügte sie hinzu:
»Was geht hier vor, was fehlt Ihnen?«
»Herzklopfen,« antwortete er kalt.
»Herzklopfen! . . . aber Sie weinen, sind Sie wirklich leidend, ist es gefährlich?«
»Für den Augenblick nicht, es wird wohl vorübergehen.«
Nun wandte sich die Gräfin zu mir:
»Wie fühlen Sie sich, mein Freund?«
»Ich fühle mich bedeutend besser, Dank Euerer sorgsamen Pflege.«
»Weil Du mich siehst?«
»Weil ich die wieder sehe, die mir theuer ist, die, der ich zu viel Kummer verursacht, die, deren zärtliche Sorgfalt über meinem Leben wacht . . .«
»Genug!« fiel Frau von B... ein, mir die Hand drückend, »sie versteht Sie, ihre Sorgfalt ist belohnt.«
»Gewiss! ich verstehe ihn,« rief Frau von Lignoll und umarmte mich.
Obzwar die Gräfin den Wunsch äußerte, mich reden zu lassen, schwieg ich dennoch still. Was hätte ich noch sagen können? ich hatte mich so ausgesprochen, dass Jeder zufrieden sein musste.
Das Unangenehme war, dass Herr von Lignoll viel früher kam, als man ihn erwartete. Julian, der abgesandt war, um ihn von unserem Aufenthalt hier zu benachrichtigen, war ihm auf dem Wege begegnet.
Er erkundigte sich nach mir und meinem Befinden mit vielem Interesse, aber die Miene, mit der er die Marquise anblickte, machte mich unruhig und bestürzt.
»Der Herr ist ein Freund von Fräulein von Brumont,« sagte ihm die Gräfin, die wie ich seine Unruhe und sein Erstaunen bemerkte.
»Ein Freund?« wiederholte er.
Die Marquise nahm schnell das Wort:
»Ein Jugendfreund.«
»Der Herr ist von Adel?«
»Ich bin Vicomte.«
»Vicomte von . . .«
»Von Florville.«
»Dieser Name ist mir ganz neu.«
»Kann man alle Namen wissen und Jeden kennen?«
»Ohne mir zu schmeicheln, es gibt wenige, die ich nicht kenne.«
Er nahm einen Stuhl und betrachtete die Marquise mit verächtlicher Miene, indem er sagte:
»Aber es scheint, dass Ihre Familie nicht von altem Adel ist.«
»Der Ahnherr meines Großvaters fuhr in des Königs Kutschen.«
»Mein Herr, ich bin ihr unterthänigster Diener,« hier war Herr von Lignoll aufgestanden und machte der Marquise eine tiefe Verbeugung. »Sie scheinen noch sehr jung zu sein,« sagte er zu ihr.
»Ich bin noch nicht volljährig.«
»Auch nicht nahe daran, es zu werden.«
»Ich werde meine Großjährigkeit bald erreicht haben.«
»Welchem Zufalle verdanken wir das Glück, den Herrn bei uns zu empfangen?« fragte er die Gräfin.
»Welchem Zufall? aber weil, weil –«
Der Vicomte, der die Verlegenheit der Gräfin sah, beeilte sich zu erwidern, die Sache verhalt sich nähmlich so: »Schon lange macht mir Fräulein von Brumont Hoffnung, mir die Ehre zu erweisen, bei mir ein Mittagessen anzunehmen.
»Bis nun hatte sie gezögert Wort zu halten, weil es so zu sagen eine Reise erfordert, zu mir zu kommen . . .«
»Wo wohnen Sie denn, Herr Vicomte?«
»In Fontainebleau. Ich verlebe dort acht Monate im Jahre. Ich habe ein Gemach im Schlosse.«
Herr von Lignoll verbeugte sich.
Ich hörte die Marquise mit einem Vergnügen, das mit Staunen vermischt war, sprechen; diese Frau, die kaum noch, ich weiß nicht welches neue Unglück beweinte, und ihrer Verzweiflung zu widerstehen suchte! ist es wohl dieselbe, die ich einen Augenblick später mit bewunderungswürdiger Kaltblütigkeit die Gräfin täuschen sah? Jetzt sehe ich sie mit fester Stimme, ruhiger Stirne und mit dem Tone der Wahrheit sich zu Herrn von Lignoll wenden und ihm eine wahrscheinliche und geistreiche Fabel erzählen.
Sie wusste ihr Gesicht nach Umständen zu verändern, ihrer Haltung eine Festigkeit zu geben, die imponierte und worunter sie ihre Leidenschaften verbarg, sich endlich zur Herrin ihrer selbst zu machen. Diese Frau rechtfertigte die hohe Meinung, die ich von ihren Talenten und ihrer seelischen Kraft hatte.
Sie fuhr fort, indem sie Herrn von Lignoll betrachtete:
»Gestern endlich ist das Fräulein gekommen . . .«
»Ah, sieh da!« rief der Graf aus, indem er sich an mich wandte. »Das ist also die unaufschiebbare Sache, die Sie zwang auf vierundzwanzig Stunden zu verreisen! Sie verließen die Gräfin, um eine Vergnügungsreise zu machen, und sie musste das Bett hüten, ein ziemlich bedeutendes Unwohlsein verurtheilte sie dazu; wenn ich an der Stelle der Frau von Lignoll gewesen, so würde ich Ihnen nicht verzeihen.«
»Das Fräulein kam, und um mein Glück vollkommen zu machen, brachte sie auch die Frau Gräfin mit.«
»Wie,« sagte Herr von Lignoll, »Sie haben bei einem jungen Manne, den Sie nicht einmal kennen, und der Sie nicht eingeladen hatte, zu Mittag gespeist?«
»Lassen Sie das Moralisieren,« sagte die Gräfin, »mein Herr, und hören Sie lieber die Geschichte zu Ende.«
»Sie können gar nicht glauben, wie sehr mich die Gesellschaft dieser Damen gefreut hat,« sagte der Vicomte; »aber meine Freude dauerte nicht lange. Nachmittags fühlte sich das Fräulein auf einmal sehr unwohl; wir dachten, dass es nicht von Bedeutung sein wird, aber abends nahm das Übel zu. Sie können sich wohl denken, dass wir zuerst in große Verlegenheit geriethen, denn es ist beinahe unmöglich, dass ein junges Fräulein, noch dazu wenn sie krank ist, bei einem Junggesellen bleibe.
»Glücklicherweise schlug die Frau Gräfin, die sehr viel Geistesgegenwart hat, vor, das Fräulein hierher bringen zu lassen, und sie war so gütig, mich zum Begleiter anzunehmen . . .«
»Aber bitte, sagen Sie mir gütigst, warum denn lieber hierher als nach Paris?« sagte der Graf zu Frau von Lignoll.
»Warum? – fragen Sie den Herrn Vicomte!«
Dieser fiel sogleich in die Rede und sagte:
»Weil es dorthin vierzehn tödtliche Meilen zu machen gewesen wären und von Fontainebleau bis hierher nur sieben sind.«
Der Graf, der diesen Grund nicht schlecht fand, schwieg einige Zeit still; er schien Herrn von Florville und Fräulein von Brumont zu beobachten.
»Da Sie ein Freund des Fräuleins sind,« sagte er, »so müssen Sie auch Charaden lösen können!«
»Ja, mein Herr,« versetzte die Marquise, »aber ich muss mich erst etwas sammeln, denn es ist bekannt, dass der Herr Graf von Lignoll sehr geistreiche und oft sehr schwierige Charaden aufzulösen gibt; ich muss daher bitten, mich für jetzt zu entschuldigen, wenn es beliebt.«
Herr von Lignoll machte eine sehr verständnisvolle Miene und nahm die Gräfin bei Seite und sprach sehr eifrig mit ihr.
Da wir neugierig waren, zu erfahren, was er ihr sagte, so horchten wir aufmerksam.
»Madame,« sagte er, »dieser junge Mann da ist nicht der Freund Ihrer Gesellschaftsdame.«
»Wer sollte er denn sein?«
»Er ist ihr Geliebter, Madame.«
»Wahrlich! eine herrliche Idee, die Sie da haben!«
»Lachen Sie nicht, Madame, Sie wissen, dass ich mich darauf verstehe.«
»Ich weiß, dass Sie es behaupten.«
»Und ich glaube, dass man über Fräulein von Brumont wachen muss.«
»Wirklich, mein Herr?«
»Man muss sie streng bewachen.«
»Das ist meine Absicht.«
»Dieser Vicomte ist jung, hat ein hübsches Gesicht, scheint Geist zu haben und Lebensart . . . ich finde an ihm, ich weiß nicht was sehr ausgezeichnetes. Ich habe ihn irgendwo gesehen, er hat ganz die Miene eines Verführers, Madame.«
»Mein Herr, ich bewundere den Scharfsinn, womit Sie in einer Viertelstunde die Leute durchschauen.«
»Das ist die Kenntnis des menschlichen Herzens, Gräfin.«
»Man muss wahrlich Ihren Geist bewundern, mein Herr!«
»Ich fürchte,« sagte der Graf, »die kleine Brumont ist schon die Beute dieses jungen Mannes da!«
»Gut, dann müssen mir auf der Hut sein.«
»Was war es vorgestern mit ihr?«
»Sie ist des Tags über bei ihrem Vater gewesen.«
»Sind Sie dessen gewiss?«
»Ja, ich glaube wenigstens auf ihr Wort bauen zu dürfen.«
»Aber, gestern dieses Mittagmahl auf dem Lande? das gleicht doch genau einem abgekarteten Streich, zum mindesten.«
»Ich weiß nicht, was Sie damit meinen, Herr Graf?«
»Madame, ein abgekarteter Streich ist so viel als eine voraus besprochene Sache, begreifen Sie nun?«
»Noch nicht genau.«
»Wenn sich zwei Liebende verständigen, sich irgendwo zu treffen.«
»Wir waren aber zu drei.«
»Daher bin ich auch überzeugt, dass Sie sie viel gestört haben, als Sie dorthin reisten.«
»Habe ich übel daran gethan?«
»Gewiss, denn Sie hätten mich vorher um Rath fragen sollen.«
»Weiter, mein Herr!«
»Madame! ich habe schon mehrere Proben der Neigung, die dieser junge Mann für das junge Mädchen hat.«
»Ich bitte, theilen Sie mir Ihre Beobachtungen mit.«
»Ich sehe es seinen Augen an, dass sie geweint haben, seine Seele ist angegriffen, weil sein Liebchen krank geworden ist; also liebt er Fräulein von Brumont.«
»Ihre Logik ist kräftig, mein Herr.«
»Seine Seele muss sehr angegriffen sein, weil er meine Charaden nicht lösen wollte. Lachen Sie nicht, Madame! . . . dies ist ernsthaft; betrachten sie näher die Aufführung Ihrer Gesellschaftsdame; geben Sie ihr für immer ihren Abschied, oder wenn Sie nicht wollen, dann verlassen Sie sie keine Minute.«
»Mein Entschluss ist gefasst, ich will sie lieber nicht verlassen.«
»Diesen jungen Mann,« sagte der Graf, ernsthaft die Gräfin ansehend, »will ich höflich bitten, sich nach Hause zurückzubegeben.«
»Nein, mein Herr.«
»Aber Madame.«
»Kein aber! ich will es nicht.«
»Desto schlimmer für Sie, Madame! Sie lassen sich fangen, diese jungen Leute werden Ihnen eine bedeutende Nase drehen, ich sage es Ihnen voraus.«
Etwas unzufrieden über seine Frau, aber sehr zufrieden mit sich selbst, verließ Herr von Lignoll das Zimmer.
Die Gräfin wandte sich gegen den Vicomte und sagte ihm den herzlichsten Dank; sie sagte zu ihm:
»Sie haben mich sehr geschickt aus der äußersten Verlegenheit gezogen. Sie sind nach Faublas der geistreichste, liebenswürdigste Mann von der Welt.«
»Glauben Sie mir, Madame,« sagte er zu ihr, »verlieren Sie nicht die Zeit, mir Komplimente zu machen. Sie sind noch von einer nahen Gefahr bedroht, wo Sie bedacht sein müssen, sich derselben zu entziehen. Der Graf ist hier, der Baron wird herkommen, wenn sie einander begegnen, können sie gegenseitig eine Erklärung haben, deren Folgen Sie fürchten müssen.«
»Sie haben Recht, lieber Vicomte, aber welches Mittel ergreifen?«
»Herrn Faublas sagen, dass er nicht kommen möge.«
»Ich bin sehr geneigt, ihn zu sehen, mit ihm zu sprechen.«
»Finden Sie ein Mittel, Herrn von Lignoll zu entfernen.«
Sie ließ ihn rufen und sagte ihm, dass sie einige Stücke Wildpret wünsche. Erfreut über die Bitte, aß der Graf schnell zu Mittag und ging auf die Jagd.
Die Marquise, nunmehr ganz ruhig, nahm auf dem Feldbett des Kabinets den Platz ein, den Frau von Lignoll eine Viertelstunde vorher eingenommen hatte.
Kaum hatten wir eine Viertelstunde die Annehmlichkeiten des Zusammenseins unter vier Augen genossen, als wir beide, die Gräfin und ich, sehr heftig erschraken, denn es wurde ungestüm an die Thüre gepocht. Wir waren nicht wenig erstaunt, denn Herr von Lignoll kehrte schon von der Jagd zurück! er schrie:
»Öffnet! öffnet schnell! ich bringe Euch Madame Fonrose, welche uns eben besuchen wollte, als ich aus dem Park heraustrat; welches Glück!«
Die Gräfin eilte zur Thüre.
»Einen Augenblick, meine theuere Eleonore, ich will Dir nur sagen, dass Du mit Frau von Fonrose nicht von dem Vicomte sprichst?«
»Warum?«
»Sieh, theuere Freundin, ich hätte Dich darauf vorbereiten sollen; aber Du weißt ja, ich war so krank, dass ich nicht daran dachte. Der Vicomte und die Baronin sind geschworene Feinde. Es scheint, dass Florville, der ihr den Hof machte, dabei nicht übel behandelt wurde, aber sie sind sehr schlecht von einander geschieden, sie verabscheuen sich.
»Öffne jetzt, denn man klopft noch immer. Vor Allem habe Acht auf das, was Du sagen wirst. Sprich nicht vom Vicomte.«
»Nein, nein, sei ruhig.«
Indem der Graf eintritt und sich rasch umsieht, sagt er:
»Wo ist denn der Vicomte?«
»Still, mein Freund, ich bitte!«
Herr von Lignoll betrachtet die Gräfin mit Erstaunen.
»Habe ich Sie gestört, Madame?«
»Durchaus nicht.«
Die Baronin tritt zu Faublas.
»Ei, dieses liebe Kind, wie geht es, mein Fräulein?«
»Es ist nichts, Frau Baronin sind sehr gütig, ein wenig Fieber.«
»Um so besser für uns Alle, besonders für Ihren Vater.«
»Ich hoffte, dass mein Vater kommen würde.«
Der Graf fiel ihm in die Rede, sagend:
»Ihr Herr Vater ist ein sehr sonderbarer Mann, mein Fräulein.«
»Sie kennen meinen Vater nicht, mein Herr!«
»Was wollen Sie dazu sagen? Er bemerkt mich von weitem; springt plötzlich aus seinem Wagen und flieht feldeinwärts, als hätte er den Teufel gesehen. Wir sind doch keine Wilden, dass wir uns derartig geberden sollten.«
»Wir hatten Ihnen schon hundertmal gesagt, dass Herr von Brumont geheime Geschäfte hatte.«
»Was, auf meinem Gute?«
»Nein, aber in der Umgegend.«
»Ah, ich verstehe, meine Liebe, bei Herrn von Florville vielleicht?«
»Still doch!«
Faublas wendet sich lebhaft zur Baronin, welche Frau von Lignoll erstaunt anblickt:
»Durch welchen Zufall ist die Frau Baronin auf diesem Landgut?«
»Die vergangene Nacht kam ein Bote, der mir die Nachricht brachte, dass Ihr Herr Vater meine Dienste dringend nöthig habe.«
»Ach, ja, ich erinnere mich nun, ist meine theuere Adelheid besser?«
»Bei weitem besser!«
Die Gräfin, die zu Faublas getreten ist, sieht ihn bedeutungsvoll an:
»Sprechen Sie nicht so viel, schonen Sie sich.«
»Wie eine Nacht sie verändert hat, finden Sie nicht Herr Graf?«
»Eine Nacht? sagen Sie mehrere, Madame! Denn täuschen Sie sich nicht, die Krankheit kommt von länger her. Diese beiden Damen haben sich während ihrer ersten Reise hierher zu sehr den Vergnügungen hingegeben, den ganzen Tag über sind sie in dem Park herumgelaufen und Gott weiß welchen Ermüdungen sie sich ausgesetzt haben; des Nachts . . . ach, es war viel ärger bei Nacht.«
Die Gräfin unterbricht ihn lachend:
»Mein Herr, glauben Sie der Frau Baronin etwas neues zu sagen?«
Der Graf scheint sie nicht zu beachten und fährt fort:
»Des Nachts schlafen sie in einem Kabinete . . . und werden Sie es glauben, statt zu schlafen, thun sie nichts als flüstern. Sie thun nur das. Ich hörte sie sehr gut, denn sehen Sie, wir sind nur durch diese Tapete getrennt. Es wird doch jeder einsehen, dass wenn man sich des Tags über so abmühet und sich bei Nacht nicht ausruht, man das sichere Mittel gefunden hat, um sich zu tödten; auch hat sich die Gräfin, als sie wieder nach Paris zurückkam, sehr leidend gefühlt. Sie klagte über häufiges Herzklopfen.«
Die Baronin wendet sich rasch zu Madame Lignoll und sagt:
»Nehmen Sie sich in Acht, Frau Gräfin.«
Der Graf, welcher diese Ermahnung entzückt anhörte, stimmt der Baronin bei:
»Auch ich meine, sie sollte sich in Acht nehmen, und vielleicht, wenn sie bei uns geblieben wäre, statt zu diesem Herrn von Florville zu gehen.«
»Aber ich bitte Sie, mein Gemahl, schweigen Sie doch!«
Faublas neigt sich zur Baronin, die sehr erstaunt scheint, und sagt ganz leise zu ihr:
»Sie sind durch Nemours gekommen?«
»Ei nun, lieber Faublas! Ein Geheimnis.«
Der Graf fährt fort, seine Behauptung aufrecht zu halten:
»Ja, wenn sie nicht beim Vicomte gespeist hätte.«
Gräfin: »Ob er nicht schweigen kann!«
Baronin: »Ich höre, diese Damen wollen mich nicht ins Geheimnis einweihen, ich muss ihnen also sagen, dass ich schon darin eingeweiht bin. Ich weiß, das Sie gestern in Fontainebleau speisten, der Herr Graf hat es mir gesagt.«
»Frau Baronin kennt den Vicomte?« fragte Faublas.
»Ob ich ihn kenne, er ist ein hübscher Junge, der Anstand und Geist hat, trotzdem hat er doch einen schrecklichen Fehler; der Herr Graf hat mir gesagt, der arme junge Mann ist nicht stark im Artikel der Charaden!«
Die Gräfin, die aus allen Kräften lacht, sagt zu ihrem Gemahl:
»Deswegen vielleicht sind Sie ihm böse.«
»Aber wo ist der Vicomte,« sagte Madame Fonrose, »kann ich ihn denn nicht sehen?«
»Gewiss, Madame, wenn Sie ihn sehen wollen, so treten Sie ein.«
»Ich möchte wissen, ob er sich viel verändert hat, seit ich ihn nicht sah.«
Der Vicomte lag auf dem Ruhebette im Kabinet und schlief. Als die Baronin eingetreten war, hörte ich folgende Worte:
»Ja, dieses Gesicht ist hübsch genug, aber es ist gerade das, welches ich kenne. Nun, ich wagte kaum, es zu vermuthen. Das Abenteuer schien mir zu unglaublich.«
»Erwachen Sie, schöner junger Mann, kommen Sie, Herr Vicomte, sehen Sie die Gesellschaft ein wenig . . . Wohlan, ich will Ihnen die Hand geben.«
Sie gab ihm den Arm; denn Frau von B... noch im Stehen schlafend, hielt sich kaum aufrecht.
Frau von B... erschien, von der Baronin von Fonrose unterstützt, oder vielmehr gezogen, in dem Zimmer, wo wir uns befanden.