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Du wirst Gewalt brauchen? und ich List! ich öffnete das Fenster, es war bloß ein Erdgeschoss, ich sprang hinaus und eilte mit der Schnelligkeit eines Vogels über den Hof und kam, immer rennend, bald zu Frau von Fonrose.
»Unglücklicher!« sagte sie, »was wollen Sie hier thun? heute Früh hat mir der Kapitän seinen abscheulichen Besuch gemacht. Er hat mich in dem höflichen Tone, den Sie an ihm kennen, gefragt, was ein gewisses Fräulein von Brumont macht, deren fleißige Besuche bei Frau von Lignoll der Welt Anlass zu so vielen Witzen geben. Nicht ohne Mühe habe ich diesem schrecklichen Schwager begreiflich gemacht, dass die Aufführung seiner jungen Schwägerin mich nichts angehe, dass ich ihm, dem Herrn Kapitän, keine Rechenschaft über mein Betragen schuldig sei, und dass er mich gar sehr verbinden würde, wenn er nie mehr einen Fuß in mein Haus setzen wollte.«
»Und meine Leonore, haben Sie sie gesehen?«
»Im Gegentheil. Ich habe sofort zu ihr geschickt, um ihr mehr Vorsicht anzuempfehlen, und besonders, dass sie sich hüten solle hierher zu kommen. Ich wollte eben die traurige Pflicht erfüllen, Ihnen dies mitzutheilen. Und sehen Sie, ich halte Sie für den Augenblick nicht auf, denn ich muss Ihnen gestehen, dass ich eine neue Unhöflichkeit von diesem rohen Menschen fürchte, der uns so zur unrechten Zeit über den Hals gekommen ist. Chevalier, Sie gehen nicht sogleich nach Hause zurück?«
»Nein! warum?«
»Ich hätte Sie gebeten, einen Augenblick noch zu bleiben.«
Sie läutete einem Bedienten, dem sie geheime Befehle gab. Ich achtete damals wenig auf diesen fatalen Umstand, dessen ich mich seither oft erinnert habe.
»Ich wollte,« fuhr sie fort, »Sie bitten . . . aber Sie können dies eben so gut auf den Abend besorgen, Sie bitten, dem Herrn Baron viel Verbindliches von mir zu sagen; denn obschon wir mit einander gebrochen haben . . .«
»Ganz gebrochen?«
»Auf immer! und doch ist Ihre treulose Frau von B... an allen unsern Verdrießlichkeiten schuld.«
»Sie glauben, die Marquise wäre im Stande gewesen, diesen Brief an meinen Vater zu schreiben?«
»Ja, und auch an den Vicomte von Lignoll.«
»Unmöglich, ich kann es nicht glauben.«
»Wie Ihnen beliebt, mein Herr,« antwortete sie sehr trocken.
»Was mich anbelangt, so erlauben Sie, dass ich nicht daran zweifle, und dass ich mein Betragen darnach einrichte.«
»Adieu, Frau Baronin!«
Hatte mir die kritische Lage, in der wir Alle uns befanden, einen grundlosen Schrecken eingejagt? Als ich in der Straße du Bac ging, schien es mir, als würde ich verfolgt.
Der Vicomte ließ nicht lange auf sich warten; als ich ihn erblickte, war ich vor Freude ganz berückt.
»Schöne Mama, Sie haben das Costüm von Saint-Cloud angezogen? ich erkenne es immer mit Entzücken! es erinnert mich jedesmal . . .«
»An Sachen, deren man nicht mehr gedenken darf.«
»Die ich in meinem Leben nicht vergessen werde! aber warum haben Sie mich seit vierzehn Tagen so grausam vernachlässigt?«
»Ich wartete, bis Sie mir schrieben; ich will Ihnen durchaus nicht aufdringlich werden.«
»Wie könnten Sie es je werden, theuerste Freundin?«
»Ich weiß nicht; aber ich sehe Sie ganz für die Gräfin eingenommen! Frau von Lignoll hat so viel Geist, so viele Reize!«
»Es ist wahr, was Sie da sagen, sehr wahr.«
»Sie müssen daher die Gesellschaft aller andern Frauen sehr abgeschmackt finden!«
»Ich finde tausend Freuden in der Gesellschaft der liebenswürdigsten von Allen!«
»Ja, der liebenswürdigsten von Allen! nach Sophie, nach der Gräfin? Chevalier, folgen Sie mir, lassen wir die Complimente, erzählen Sie mir lieber, was Sie bekümmert.«
Die Marquise hörte mich unaufhörlich mit der größten Aufmerksamkeit, aber oft mit trauriger und zuweilen mit zerstreuter Miene an. Nachdem ich die lange Geschichte meiner Verlegenheiten und Besorgnisse zu Ende gebracht, konnte ich nicht umhin, zu ihr zu sagen:
»Was mich vollends zur Verzweiflung bringt, ist, dass man Sie zu beschuldigen wagt, Sie hätten diese zwei sehr abscheulichen Briefe geschrieben.«
»Wer wagt es, ich vermuthe nur, dass zwei Personen das sind; der Graf Rosambert und Frau von Fonrose, meine zwei ärgsten Feinde.«
»Und wären es auch Ihre Freunde, ich würde ihnen nicht glauben; meine schöne Mama, nun sagen Sie mir gütigst, wie werden Sie meine Reise hintertreiben?«
»Faublas, es muss Ihnen von Versailles ein Paket zukommen, dessen Inhalt Ihnen hoffentlich Vergnügen machen und auch wahrscheinlich die Pläne des Barons ändern wird.
Sollte Ihr Vater jedoch hartnäckig auf der Reise bestehen, so thun Sie es mir sogleich zu wissen. Morgen Früh werden Sie dieses Paket erhalten, bis dahin lasse ich Ihnen Ihre neugierige Ungeduld.«
»Und Sie versichern mich nicht, dass dieses Mittel, wozu Sie mir helfen wollen, unfehlbar sein müsse. Liebste Mama, Sie hören mich nicht mehr. Sie denken an etwas ganz anderes!«
»Ja,« rief sie aus ihren tiefen Träumereien erwachend. »Sie müssen die Gräfin sehr lieben?«
»Ach, sehr!«
»Mehr als Sie mich liebten!«
»Aber . . . ich weiß nicht – ich kann nicht –«
»Ihre Ungewissheit, Ihre Verlegenheit beweist es mir. Mehr!« wiederholte sie traurig.
»Es ist wahr, dass meine Leonore sich Rechte auf meine Zärtlichkeit erworben hat, wie keine andere – aber ich betrübe Sie, schöne Mama.«
»Durchaus nicht, warum sollte ich mich betrüben, dass Sie Ihre Geliebte Ihrer Freundin vorziehen? sprechen Sie! wie hat sie sich Rechte auf Ihre Zärtlichkeit erworben, wie keine andere?«
»Sie fühlt sich Mutter.«
»Grausamer!« rief sie mit äußerster Lebhaftigkeit; »ist es meine Schuld, wenn . . .«
Frau von B... sprach nicht aus. Sie hinderte, ihr zu Füßen zu fallen; und um meine Antwort nicht zu hören, legte sie ihre Hand auf meinen Mund, die ich küsste.
Endlich erhob sich die Marquise, deren Blick zärtlich und deren Teint lebhaft wurde, sie schickte sich an zu gehen.
»Sie wollen mich schon verlassen, theuerste Freundin?«
»Ich muss,« antwortete sie, sich meinen Liebkosungen entwendend und mit festem Tone hinzufügend:
»Meine Augenblicke sind gezählt; die Zeit wird mir fast zu kurz, ich habe ein Opfer gebracht, indem ich Ihnen mehr, als ich sollte, davon schenkte. Adieu, Chevalier!«
»Ich muss mich Ihrem Willen fügen, da Sie mir verbieten Sie noch weiter aufzuhalten, so sage ich mit tiefbetrübtem Herzen: leben Sie wohl, schöne Mama!«
Ich führte sie die Treppe herunter, und als sie unten ankam, sagte sie sehr traurig:
»Sieh man einmal den Undankbaren, er frägt mich nicht einmal, wann er kommen könne, um mir zu danken!«
»Ich wagte es nicht zu fragen; aber da Sie so überaus gütig sind es mir zu gestatten, so frage ich denn: wann, geliebte Mama, soll ich kommen?«
»Endlich sind Sie etwas bei der Sache.«
»Ah! verzeihen Sie, wenn ich zerstreut war, ich beschäftigte mich im Geiste . . .«
»Mit etwas ganz anderem, ohne Zweifel!«
»Wohl mit etwas anderem; aber doch mit Ihnen. An welchem Tag, schöne Mama? an welchem Tag?«
»Freitag werde ich Ihnen einen Augenblick widmen können.«
»Soll es wieder zu derselben Stunde sein?«
»Vielleicht ein wenig später! nach Einbruch der Nacht, das wird klüger sein.«
Erst eine Viertelstunde nach dem Vicomte verließ ich das Haus.
Ich glaubte, als ich auf die Straße trat, nicht weit von mir entfernt abermals den lästigen Argus zu bemerken, der mich schon vorher beunruhigt hatte. Was mich in meinem Verdacht bestärkte, war, dass der ungeschickte oder furchtsame Spion schnell eine andere Richtung einschlug, als er sah, dass ich gegen ihn zurückging. Als ich nach Hause kam, war ich fest überzeugt, dass der Kapitän mir mit nächstem seinen Besuch machen werde.
Mein Vater empfing mich mit Worten:
»Wie konnte es Dir nur einfallen zum Fenster hinauszuspringen, und dabei es riskieren, ein Bein zu brechen?«
»Ich hatte auch mein Leben riskiert, warum treiben Sie mich zu Extremitäten, die unheilvoll werden können? Mein Vater, Sie müssen es wissen, der Tod ist für mich in diesem Augenblicke wünschenswerter als Sklaverei. Ehe ich mich übrigens in Ihre Gewalt zurückbegebe, erkläre ich Ihnen auf's bestimmteste, dass ein Angriff auf meine Freiheit ein Angriff auf mein Leben ist. Eine von mir auf's zärtlichste geliebte Frau umschweben eben jetzt tausend Gefahren und ich sollte sie schutzlos allen ihren Verfolgern preisgeben und dieselben auf ihr Verderben sinnen zu sehen? Gestatten Sie mir Ihnen zu sagen, dass Sie als der grausamste ihrer Feinde ihr ihren einzigen Trost, ihre einzige Stütze rauben wollen, indem Sie mich zur gänzlichen Thatenlosigkeit zwingen. Herr Baron, wenn dies noch Ihre Absicht ist, wenn Sie noch ein Mittel haben, mich in meinem Zimmer einzuschließen und mich nöthigen, darin zu leben, so mögen Sie nur wissen, dass der Kapitän mich in Bälde hier aufsuchen wird. Ich erkläre Ihnen, dass ich dann bei Allem in der Welt, was mir theuer und heilig ist! ich schwöre, dass keine Rücksicht mich dann bestimmen wird, gegen den Kapitän ein Leben zu vertheidigen, das Ihre Hartherzigkeit von nun an für Frau von Lignoll wertlos und ihren Liebhaber verhasst gemacht hat; jetzt entscheiden Sie über mein Schicksal, es liegt in Ihren Händen.«
Meine Schwester, die mit wachsender Theilnahme zuhörte, rief:
»Er wird gewiss thun, wie er sagt; wenn es sich um eine Frau handelt, so kennt er uns nicht mehr.
»Ich glaube indes, dass er keinen größeren Fehler begehen kann, als sich umbringen zu lassen. Mein Vater,« rief sie die Hände faltend, »sperren Sie ihn nicht ein, ich bitte Sie inständigst, thuen Sie es nicht!«
Während Adelheid sprach, ließ der Baron seine Blicke voll Schmerz auf mir ruhen. Ich sah die Augen meines Vaters sich mit Thränen füllen; meine Schwester küsste bereits seine Hände. Ich aber rief von Schmerz und Kummer überwältigt:
»Ach! mein Vater! beklagen Sie Ihren Sohn; verzeihen Sie ihm wegen seines Unglückes, was er zu Ihnen gesagt hat, und den Ton, womit er es gesagt hat, haben Sie Mitleid mit meinem aufbrausenden und unglücklichen Gemüthe; bedenken Sie, dass, wenn er nicht in Verzweiflung wäre, Faublas Ihrer so theueren Autorität, Ihren immer heiligen Befehlen nie widerstreben würde.«
Mein Vater stützte seinen Kopf auf seine Hände und sann lange auf eine Antwort.
»Mein Sohn,« sagte er endlich, »versprechen Sie mir nie wieder zur Gräfin zu gehen.«
»Unmöglich, mein Vater!«
»Noch zur Baronin, noch zum Kapitän.«
»Ich gebe Ihnen mein Wort darauf, dass ich weder zur Baronin noch zum Kapitän gehen werde. Ich schwöre dies zu halten, so wahr ich Ihren Namen trage. Ich will zu keiner dieser beiden Persönlichkeiten gehen, das ist aber auch Alles, was ich versprechen kann.«
Mein Vater antwortete nichts, aber von diesem Augenblicke an erhielt ich meine Freiheit vollkommen wieder.
Gleich nach dem Souper ging ich auf mein Zimmer und rief Jasmin.
»Gib mir Deinen runden Hut, meinen Mantel, meinen Degen.«
»Wohl, mein Gebieter! ich sehe, dass Sie trotz der Meinung des Herrn Barons meiner Meinung sind. Sie glauben, dass man sich sobald als möglich dieses großen Teufels entledigen muss, Sie haben Recht; aber ich muss Sie darauf aufmerksam machen, dass er eine sehr schwere Faust hat, ich weiß davon zu erzählen, das hat jedoch auf meinen Gebieter keinen Bezug, der wird ihm wohl mit seinem Degen zu parieren wissen.«
»Beruhige Dich, Jasmin, ich gehe nicht zum Kapitän, mein Freund!«
»Mein gnädigster Herr, ohne allzu große Neugierde, wohin gedenken Sie zu gehen? könnte nicht ich eher Ihre Gänge besorgen?«
»Ich will selbst einen Versuch machen, mit Lafleur zu sprechen. Geh' nicht zu Bette, erwarte mich!«
»Wie, mein Herr, Sie nehmen mich nicht mit?«
»Höre, Jasmin, Du bist ein Hasenfuß, ich kann den großen Teufel, wie Du ihn nennst, begegnen, und Du hättest Angst.«
»In Gesellschaft meines Herrn! nie! in Ihrer Gesellschaft wollte ich mit einer ganzen Kneipe Händel anfangen; und da fällt mir ein, er hat vielleicht einen Bedienten, mein Herr, mit Ihrer Erlaubnis will ich den Bedienten recht durchprügeln, während Sie den Herrn umbringen.«
»Wohlan, diese Entschlossenheit erfreut und bestimmt mich! ich nehme Dich mit. Aber sage mir, Jasmin, was nimmst Du denn da für einen Prügel mit?«
»Der Bediente könnte zufällig auch einen Degen haben und ich weiß nicht damit umzugehen.«
»Lass diesen Stock, Jasmin, oder Du bleibst hier.«
»Lieber begleite ich Sie, gnädiger Herr, und nehme bloß meine Arme mit.«
Diese Bereitwilligkeit meines Bedienten war nicht ohne Vortheil für mich. Wir gingen aus dem Hause, und da mir sehr viel daran lag, bald anzukommen, so machte ich große Schritte, ohne um mich zu sehen. Kaum hatten wir die Straße Saint-Honoré betreten, als eine Frau des Weges kam, Jasmin anhielt und ihn um den Weg nach dem Vendômeplatz fragte.
Bei dem Klang dieser Stimme wandte ich mich plötzlich um.
»Großer Gott! ist es möglich, meine theuere Leonore, welch ein Wagnis so ganz allein des Nachts auf der Straße, wohin wolltest Du, Geliebte?«
»Welches Glück, dass ich Dich treffe, ich wollte zu Dir gehen, Faublas.«
»Auch ich war auf dem Wege zu Dir zu gehen.«
»Höre, Geliebter, befreie mich schnell!« fuhr sie fort, indem sie mir einen kleinen Handkoffer übergab, »es ist mein Schmuckkästchen. Ich wollte es Dir bringen und zu Dir gehen, damit wir auf der Stelle abreisen.«
»Abreisen, wohin?«
»Wohin Du willst.«
»Wie, wohin ich will? bedenke doch, uns halten tausend Bande zurück, die uns fesseln!«
»Oh! komm, mein Geliebter, komm ohne Zögern, nach Spanien, nach England oder in irgend eine Wüste; wohin Du willst, sage ich Dir.«
»Was denkst Du? ich habe zur Ausführung dieses kühnen Planes keine Vorbereitungen getroffen.«
»Keine Vorbereitungen? welche braucht man denn?«
»Liebe Leonore, wir können einen Gegenstand von dieser Wichtigkeit hier nicht besprechen. Du wolltest zu mir gehen? komm, mein Engel, komm, lass uns noch eine glückliche Stunde genießen.«
»Ich glaube, Du thätest besser daran, mich zu entführen, ohne eine Minute zu verlieren.«
»Jasmin, gehe schnell zu dem Schweizer, verlange von ihm den Schlüssel zu dem kleinen Gartenthore, und öffne es uns. Es darf uns niemand in das Haus treten sehen. Du gibst dem Schweizer zwei Louis für das Geheimnis.«
»Gnädiger Herr, ich bin nicht so reich.«
»So versprich sie ihm in meinem Namen.«
»Oh! dies ist so gut, wie wenn er sie schon hätte.«
»Jasmin, ich verspreche Dir ebenso viel, aber lauf!«
Die geheime Thür wurde uns bald geöffnet und wir gelangten ungesehen auf mein Appartement.
»Wie vergnügt bin ich!« rief die Gräfin, Besitz von meinem Zimmer nehmend; »wie glücklich bin ich! von heute an bin ich wirklich seine Frau. Wie gut wir hier aufgehoben wären, aber in der Hütte werden wir noch besser sein. Faublas, Du musst mich entführen, es muss durchaus sein; lass Dir einmal die Begebenheiten des heutigen Tages erzählen. Der Kapitän ist in aller Früh gekommen und hat einen schrecklichen Auftritt mit mir angefangen. Er hat nichts eiligeres zu thun gehabt, als Herrn von Lignoll aufzuklären, dass ich mich in Wahrheit in einem anderen Zustande befände, und dass Fräulein von Brumont gewiss ein verkleideter Mann sein müsse. Er hat geschworen, dass er ihm in Bälde auf die Spur kommen werde, und dann den Unverschämten, der es wage seine Schwägerin zu lieben, zu den Schatten schicken wolle.«
»Und was hat Dein Gemahl dazu gesagt?«
»Mein Gemahl! warum nennst Du ihn meinen Gemahl? Du weißt es wohl, dass er es nicht ist; also was Herr von Lignoll dazu sagte? Er schien ganz und gar nicht zufrieden.«
»Und was hast Du geantwortet?«
»Ich habe geantwortet, dass wenn Fräulein von Brumont möglicherweise ein Mann sein könnte, ich es dann nur meinem glücklichen Sterne zu danken hätte, und dass, wenn jemals ein Freund zu mir gekommen wäre, mein angeblicher Gemahl dies wohl verdiente. Meine Tante hat gerufen, ich hätte Recht; sie hat meine Partie ergriffen.«
»Ich glaube es wohl.«
»Als die beiden Brüder weg waren, hat die Marquise sehr geweint; sie wollte mich durchaus wieder in ihre Franche-Comté mitnehmen. Sieh, wie theuer Du mir bist, mein Geliebter, ich habe ihren Vorschlag hartnäckig verworfen. Faublas, ich will lieber, dass Du mich entführst. Ich weiß, dass der Garstige sich in einem Café aufgestellt.«
»Ich weiß es.«
»Ich wollte nicht zu Dir schicken, denn ich will nicht, dass Du Dich mit diesem Kapitän schlägst; ich verzeihe ihm seine Beleidigungen; ich vergesse sie, ich vergesse die ganze Welt; wenn Du mich nur entführst, wenn Du mir nur bleibst, und ich das Bewusstsein habe, Dir angehören zu dürfen. Ich wollte wenigstens der Frau von Fonrose ein Wort schreiben, als sie mir sagen ließ . . .«
»Ich weiß es, und Alles, was diese Frau betrifft, ist sehr geeignet, über dieselbe ein kurzes Urtheil zu fällen.«
»Siehst Du, dies ist auch eine garstige Frau, die Baronin! sie hat uns so lange gedient, als unsere Liebe, die für sie bloß eine etwas lustigere Intrigue war, als eine andere, ihr einigen Spass machen konnte; jetzt, da sich Gefahren zeigen, verlässt sie uns. Aber was liegt daran! wenn Du mir nur bleibst.«
»Für immer, meine Leonore.«
»Endlich ist die Nacht gekommen. Ich habe schnell gespeist und meine Tante auf ihr Zimmer geschafft. Meine Frauen haben mich wie gewöhnlich ausgekleidet; aber sobald sie mein Schlafzimmer verlassen hatten, bin ich schnell in dieses Kleid geschlüpft, und habe über eine kleine Treppe den Hof und das Hofthor erreicht. Lafleur, wie wenn ich ihm einen Auftrag ertheilte, verlangte, man solle öffnen, ich bin unbehindert hinausgekommen und bin Dir begegnet; nun hindert Dich nichts, dass Du mich entführst.«
»Du irrst, meine Theuere! im Gegentheil, es stellt sich Alles in den Weg. Wir brauchen einen Wagen, eine Verkleidung, Waffen, einen Pass.«
»Ah! mein Gott! so soll ich diese Nacht nicht entführt werden. Nun denn, Faublas, so höre! wir bleiben hier bis zu Tagesanbruch bei einander, dann verbirgst Du mich in irgend einem Winkel dieses Hotels; den Tag über kannst Du die nothwendigen Vorkehrungen treffen, und in der Mitte der nächsten Nacht reisen wir ab.«
»Unmöglich, meine Freundin.«
»Warum sollte es unmöglich sein?«
»Du bedenkst nicht, dass bei einer so schwierigen Unternehmung allzu große Eile immer schadet.«
»Während ich die Mittel finde, siehst Du nur Hindernisse.«
»Höre, meine Freundin, Du kannst Deinen Zustand noch wenigstens drei Monate lang verleugnen und verbergen.«
»Der Undankbare will mich nicht eher entführen, als bis er dazu gezwungen ist.«
»Die Sache ist nicht so dringend, sollen wir uns deshalb ins Unglück stürzen?«
»Sage mir, mein Geliebter, wozu sollen wir unser Glück um drei Monate aufschieben?«
»Du, meine Leonore, die Du ein so gutes Herz hast, könntest Du, wenn es nicht die äußerste Noth erfordert, könntest Du ein Glück wünschen, das die zärtlichste Schwester und den besten der Väter zur Verzweiflung bringen würde?«
»Ich bin wahrlich sehr unglücklich, denn er will mich nicht entführen.«
»Meine Freundin, ich schwöre Dir, dass alle diese mächtigen Rücksichten mich nicht mehr aufhalten werden, sobald der Augenblick gekommen sein wird, sie Dir aufzuopfern. Ich schwöre Dir, dass ich dann, und müsste ich selbst zu Grunde gehen, weder mein Kind verlassen werde, noch seine Mutter, die ich anbete.
»Aber erlaube, dass ich mich so spät als möglich von denjenigen trenne, die am würdigsten sind, meine Liebe mit Dir zu theilen, erlaube, dass ich, wenn ich sie verlasse, um Dir zu folgen, wenigstens das tröstende Bewusstsein mitnehme, ihnen ihren schweren Kummer nicht freiwillig verursacht zu haben.«
Die Gräfin, die abermals ihrer süßesten Hoffnung entsagen musste, vergoss bittere Thränen; ihr Schmerz war so heftig, dass ich im Anfang an der Möglichkeit sie zu beruhigen verzweifelte; aber was vermögen nicht bei einer so leidenschaftlich liebenden Frau die zärtlichen Liebkosungen ihres Geliebten?
Diese Nacht, welche die Liebe uns schenkte, schien uns nur einen Augenblick zu dauern.
»Der Tag ist schon im Beginne,« sagte Frau von Lignoll, »und ich frage Dich nun, wie ich es anfangen soll, um wieder nach Hause zu kommen.«
Ich musste einen Augenblick nachdenken, denn die Frage brachte mich wahrlich in Verlegenheit; endlich sagte ich:
»Kleiden wir uns schnell an! ich will Dich vor das Hotel der Frau von Fonrose begleiten, werde mich aber hüten mit Dir hineinzugehen. Die Baronin wird glauben, Du seiest bloß deswegen so früh gekommen, um mit ihr über mich zu sprechen. Du wirst sie von Deinem Geliebten unterhalten, und sie mag sagen, was sie will. Du leistest ihr getreulich Gesellschaft, bis Dein Kabriolet ankommt.«
»Mein Kabriolet, wer wird es mir bringen?«
»Lafleur, den ich benachrichtigen werde.«
»Und wenn der Kapitän schon auf seinem Posten ist?«
»Beeilen wir uns! er ist kaum so zeitlich früh auf demselben.
»Wenn er übrigens da ist, so habe ich meinen Degen; ich will mir den Herrn Kapitän schon vom Leibe halten; was willst Du, meine reizende Freundin, es gibt kein anderes Mittel. Aber wann und wie werde ich Dich wiedersehen? Leonore, ich will nicht, dass Du abermals bei Nacht allein und zu Fuß auf die Straße gehst! ich will das nicht! meine Freundin, ist es nicht hundertmal passender und ungefährlicher, wenn ich Dich aufsuche? kann ich nicht bisweilen gegen Mitternacht zu Dir dringen?«
»Ja,« antwortete Leonore mich umarmend; »aber ich kann es auf diese Art einrichten; warte, komm nicht in der nächsten Nacht, meine Maßregeln möchten noch nicht getroffen sein.«
»Möchtest Du mich nicht mit Deinem Plane bekannt machen, meine geliebte Leonore?«
»Du sollst Alles erfahren, komm am Freitag zwischen elf und zwölf Uhr.«
Der Tag begann zu grauen. Wir gingen ohne Geräusch hinab, und zur kleinen Gartenthür hinaus. Alles ging über alle Erwartung gut von statten. Ich sah die Gräfin das Hotel der Baronin betreten und eilte, um Lafleur aufzuwecken, in das Hotel des Herrn von Lignoll; dort befahl ich Lafleur, in einer Viertelstunde längstens um seine Gebieterin zu fahren.
Ich kam nach Hause zurück, ohne dass mir im mindesten etwas Unangenehmes begegnet wäre.
Um acht Uhr morgens erhielt ich folgenden Brief:
»Schon lange, Herr Chevalier, suche ich eine Gelegenheit, um meine Unrecht gegen Sie und den Baron wieder gut zu machen; mit Entzücken habe ich die erste ergriffen, die sich darbot; ich bitte Sie es Ihrem Herrn Vater zu versichern. Ich glaube übrigens, dass der König für das Regiment *** keine bessere Acquisition machen konnte, als einen jungen Mann, wie Sie, da es ausgemacht ist, dass Sie die vielversprechendste Physiognomie von der Welt besitzen.
Ich habe die Ehre u. s. w.
Der Marquis von B...«
Einen Augenblick nachher trat mein Vater in mein Zimmer; er hielt mehrere Papiere in der Hand, und ich sah die größte Freude sich auf seinem Gesichte spiegeln.
»Ich erhalte es eben von Versailles!« rief er, mich umarmend. »Man hat gewollt, dass es mir zugeschickt werde, und dass ich Dir, mein Sohn, zuerst Glück wünschen solle; ich bin für diese zarte Aufmerksamkeit unendlich verbunden.
»Ja,« fügte er hinzu, als er sah, dass ich näher trat, um zu lesen, »das ist Dein Patent als Kapitän bei dem Dragonerregiment ***, das gegenwärtig zu Nancy in Garnison liegt, und hier der Befehl, auf den ersten Mai, also in vierzehn Tagen bei demselben einzutreffen.
»Faublas! ich habe Ihnen mehr als einmal den unentschuldigten Müßiggang vorgeworfen, der Ihre Talente nutzlos machte, und ich hatte im Sinn, endlich selbst die nöthigen Schritte zu thun, um Sie in den Stand zu versetzen, der Ihnen allein zusagt; ich bin entzückt, dass es Ihnen so schön gelungen ist, mir zuvorzukommen. Dein glücklicher Stern, mein Sohn, schenkt Dir zum voraus, was meine lebhaften Bemühungen sicherlich nicht sogleich erlangt hätten, einen höheren Grad und die Hoffnung eines gewissen Avancements. Leider muss ich fürchten, dass Du bei dieser Gunstbezeugung einen andern Grund zur Freude findest: unser gemeinschaftlicher Reiseplan ist nun vereitelt, Dein Aufenthalt in der Hauptstadt um eine ganze Woche verlängert. Aber wenn es wahr ist, dass Du Dich darüber freuest, so bedenke, mein Sohn, wenigstens, dass nichts Dich vom Gehorsam gegen die Befehle des Ministers entbinden kann, und dass Du in vierzehn Tagen bei dem Regiment einzutreffen hast; dann werde ich meinerseits Paris verlassen und allein dahin gehen, wohin wir zusammen gehen sollten!«
»Welche Güte! mein Vater, und welche Erkenntlichkeit.«
»Ich verspreche Dir, Sophie mit demselben Eifer und mit derselben Gewissenhaftigkeit zu suchen, wie Du selbst gethan hättest.«
»Und Sie werden sie finden, mein Vater, Sie werden sie finden.«
»Ich wage es wenigstens in Folge dieses Ereignisses zu hoffen. Ich zweifle nicht daran, dass Faublas in Bälde die Gunst des Fürsten rechtfertigen wird.
»Man muss glauben, dass Herr Duportail in seiner Zurückgezogenheit die Nachricht von dieser glücklichen Änderung erhält, die ihm viele andere verkündigen wird, und dass er dann seine Tochter dem ihrer würdig gewordenen Gatten nicht länger vorenthält.«
»Ah! mein Vater, welche Ermuthigung geben Sie mir!«
»Adelheid ist bereits aufgestanden, Faublas, sie will in meinem Zimmer frühstücken; ich war im Begriff, Dich rufen zu lassen. Ich habe nicht die Indiskretion gehabt, diese Papiere Deiner Schwester zu zeigen; Du sollst ihr die fröhliche Nachricht selbst mittheilen.«
Ich empfing die Glückwünsche Adelheids, als mein Bedienter mit verstörtem Gesichte hereinkam und mir sagte, es frage jemand nach mir.
»Wer ist es, Jasmin?«
»Gnädiger Herr, er ist es.«
»Erkläre Dich deutlicher, wer er?«
»Der große Teufel.«
»Was bedeutet diese Benennung, Faublas? von wem will er sprechen?«
»Mein Vater, ich will ihn empfangen.«
»Wozu dies Geheimnis, sollte es vielleicht der Kapitän sein, nein, mein Sohn, bleibe! er mag eintreten.«
Sobald Jasmin uns verlassen hatte, rief der Baron:
»Dies ist also der entscheidende Augenblick! O, mein Freund! erinnere Dich der Bitten, die ein Vater an Dich gerichtet hat und die er Dir jetzt wiederholt; denke an Deinen Vater, der freudig sein Leben für Dich hingibt!«
Adelheid lief erschreckt hinzu:
»Umarme Deine Schwester und vergiss sie nicht.«
Ich umarmte sie, als der Kapitän eintrat.
»Ich sehe ihrer zwei!« rief er höhnisch; »welche ist das Fräulein von Brumont?«
Auf meine Schwester zeigend, erwiderte ich:
»Kapitän, diese hier. Hatten sie vorgestern nicht auf dem Balkon der Gräfin gesessen?«
Mein Vater sagte zu Adelheid, die mit Erstaunen dem ganzen Vorgang zuschaute:
»Verlasse uns, meine Tochter, ergehe Dich im Garten.«
Als meine Schwester fort war, ergriff der Kapitän, der mich die ganze Zeit über mit vieler Frechheit angesehen hatte, aufs neue das Wort:
»Das ist also der Chevalier von Faublas, von dem man so viel spricht! wie kann sich das einen Namen in den Waffen erworben zu haben? Das scheint ja kaum zu athmen; wenn das etwas mehr ist als ein Weibchen, so ist es höchstens ein halber Mann!«
»Kapitän, setzen Sie sich doch, so können Sie mich mit mehr Muße betrachten.«
»Donnerwetter! Du willst spotten, glaube ich! kennst Du mich nicht? weißt Du nicht, dass der Vicomte von Lignoll niemals die dumme Verhöhnung von Deinesgleichen, noch ihre unverschämten Gesichter duldete? weißt Du nicht, dass die stolzesten vor ihm ihre Kühnheit verloren haben; dass er ohne Mühe tüchtigere Leute, als Du bist, geopfert hat?«
»Kapitän, ist es die Art der Tapfern Ihres Schlags, dass sie den Feind, den Sie nicht überwinden zu können fürchten, einzuschüchtern suchen? es ist mir sehr angenehm Ihnen sagen zu können, dass dieses vortreffliche Mittel Ihnen bei mir nicht viel helfen dürfte.«
»Gift und Tod!« rief der Vicomte außer sich vor Zorn.
Doch fasste er sich und sagte mich bei der Hand nehmend:
»Es ist fast nicht möglich, dass sich unter dem Himmel ein junger Thor fand, verwegen genug, einen Bruder, den ich liebe, zu entehren und sich zu erfrechen, die Hand an mich zu legen und mich ins Gesicht zu beleidigen, es ist mir lieber, dass Du es bist, als irgend ein Anderer. Zu oft sprach man in meiner Gegenwart von Deiner Gewandtheit und Deiner Unerschrockenheit. Ich werde aber nie zugeben, dass sich ein anderer Name neben dem meinigen erhebe; ich hatte im Sinn, einmal ausdrücklich deswegen nach Paris zu reisen, um es Dir zu sagen.«
»So danken Sie dem Zufall, der mich zu Ihrem Beleidiger gemacht hat, und Ihnen die Ehrlosigkeit eines Duells erspart, dessen einziger Grund Ihre maßlose Sucht nach falschem Ruhm gewesen wäre.«
»Donnerwetter! ich bin sehr ungeduldig zu erfahren, wie Du es machen wirst, um die Kühnheit Deiner Worte durchzuführen; je mehr ich Dich ansehe, je weniger kann ich mich überreden, dass Du Dein Renommé verdienst.«
»Zur Sache also, Kapitän! Sie verlangen Beweise, nicht wahr?«
»Gewiss! aber solltest Du Dich vielleicht nicht rühmen wollen, den Vicomte von Lignoll gefordert zu haben?«
»Warum sollte ich mich dessen rühmen? welche Ehre könnte mir daraus erwachsen? habe ich mir jemals ein Geschäft daraus gemacht, jemand zu fordern?«
»Ich sage Dir, dass ich geschworen habe, bei jedem Rencontre den Kampf anzubieten.«
»Ich habe keine andere Eide gethan, als ihn niemals auszuschlagen.«
»Nun denn, so wähle die Waffen.«
»Also den Degen! ich sehe meinen Gegner gerne in der Nähe.«
»Ich werde mich bemühen, Ihnen nahe genug zu sein, Kapitän.«
»Wir werden sehen, mein kleines Herrchen. Der Ort?«
»Ist mir ziemlich gleichgiltig: das Thor Maillot, wenn Sie wollen?«
»Das Thor Maillot, meinetwegen! aber diesmal wirst Du dort nicht den Marquis von B... vor Dir haben.«
»Vielleicht!«
»Tag und Stunde?«
»Heute und sogleich.«
»Das hast Du gut gesagt!« rief er mich auf die Schulter klopfend; »gehen wir!«
»Kapitän, Sie haben Ihren Wagen?«
»Nein, ich gehe immer zu Fuß.«
»Doch werden Sie sich entschließen müssen, in dem Wagen des Barons einen Platz anzunehmen.«
»Warum das?«
»Weil wir einen Ihrer Freunde suchen werden.«
»Und wozu einen meiner Freunde?«
»Ich meinerseits nehme einen Zeugen mit.«
»Einen Zeugen, wo ist er?«
»Hier, der Baron von Faublas.«
»Dein Vater? er komme, wenn er es räthlich findet; aber er rechne nicht auf mein Mitleid.«
»Herr Vicomte,« erwiderte der Baron mit großer Kaltblütigkeit, »je mehr ich Sie höre, umsomehr überzeuge ich mich, dass Sie das meinige nicht verdienen.«
»Haben Sie das gehört, Kapitän?« sagte ich ihn fest anblickend.
»Ja, doch!« antwortete er mit verächtlicher Miene.
»Gehen wir,« sagte mein Vater; »und ich hoffe, dass wir bald zurückkommen werden.«
Wir suchten Herrn von Saint-Leon auf, einen Freund des Kapitäns, ebenfalls Marinenoffizier. Er war das Gegentheil des Vicomte von Lignoll, ebenso höflich, als sein Freund es nicht war; er begegnete meinem Vater und mir mit der ausgesuchtesten Artigkeit, und versuchte es sogar mit einigen Worten der Versöhnung begütigend einzulenken, ging aber von diesem Vorhaben ab, als er sah, dass jede Vermittlung zwischen dem Vicomte und mir nutzlos wäre; denn mir beide waren fest entschlossen, eher zu Grunde zu gehen, als zurückzuweichen.
Wir kamen vor dem Thore Maillot an und waren soeben ausgestiegen; mein Gegner hatte die Hand an seinen Degen gelegt, schon war der meinige gezogen; auf einmal stürzten sich mehrere Reiter, die uns seit einigen Secunden im stärksten Galopp gefolgt waren, auf den Kapitän, umringten ihn mit dem Rufe:
»Im Namen des Königs und der Herren Marschälle von Frankreich befehle ich Ihnen, mir Ihren Degen zu übergeben,« sagte der eine von ihnen. »Ich muss Sie bis auf neue Ordre überall begleiten.«
Der Kapitän wurde wüthend, dennoch wagte er keinen Widerstand zu leisten.
»Du hast sehr behutsame Freunde,« sagte er sich gegen mich wendend, »danke ihrer großen Wachsamkeit! sie wird Dich einige Tage länger am Leben erhalten, aber bloß einige Tage.«
Ich ging mit meinem Vater zurück, und als wir vor Rosamberts Hotel vorbeikamen, da fiel es mir ein, dass dieser Tag für meinen glücklichen Freund der zweite nach seiner Hochzeit sei, und dass ich mit der neuen Gräfin frühstücken sollte. Ich verabschiedete mich von meinem Vater und ließ mich bei dem Herrn Grafen anmelden. Er empfing mich in seinem Salon.
»Rosambert, ich komme Ihnen Glück zu wünschen, und ich stelle mich auf Ihre Einladung ein.«
»Verzeihen Sie,« antwortete er, »Sie werden bloß mit mir frühstücken; die Gräfin ist müde, sie ruht aus.«
»Ich verstehe. Sie sind zufrieden mit Ihrer Brautnacht!«
»Ja, sehr zufrieden!«
»Mein Freund, dieses Lächeln ist nicht ganz natürlich, Ihre Heiterkeit scheint mir etwas erzwungen zu sein; was haben Sie, was stört wohl?«
»Ein garstiger Streich, lieber Faublas, den mir Ihre Marquise gespielt hat, gewiss es kommt von ihr, ich wollte es wetten!«
»Was ist es denn?«
»Ich erhalte soeben den Befehl einzutreffen.«
»Bei Ihrem Regiment, und ich auch.«
»Wie, Sie auch?«
»Mein Freund, ich bin Dragoner-Kapitän.«
»Kapitän! ah! empfangen Sie mein Kompliment. Umarmen wir uns! Ihr Regiment wird keinen jüngeren, braveren und hübscheren Offizier haben. Also entschließt sich die Marquise endlich, etwas für Sie zu thun?«
»Ich bewundere Sie, lieber Rosambert, wer hat Ihnen gesagt, dass Frau von B...«
»Ich gestehe, dass es noch lustiger wäre, wenn ihr Gemahl es gethan hätte.«
Ich antwortete nichts. Ich hatte es nicht gerathen gefunden, den Brief des Marquis Rosambert zu zeigen.
»Gleich als Kapitän in ein Kavallerieregiment einzutreten, dies ist kein schlechter Anfang, ich hoffe. Sie werden weit kommen, lieber Faublas, die Marquise wird schon weiter für Ihre Avancements sorgen. Wo liegt Ihr Regiment, Chevalier?«
»In Nancy.«
»In Nancy! warten Sie doch, sollte ich mich täuschen? nein, nein ah! ich wundere mich jetzt nicht mehr.«
»Ich begreife Sie nicht, was denn, ich kann es mir nicht denken.«
»Faublas, das sind ungeschickte Geheimnisse, die mehr schaden als nützen. Wie können Sie glauben, dass ich nicht wissen soll?«
»Aber was, lieber Graf?«
»Dass Frau von B... ganz in der Nähe von der Hauptstadt Lothringens ein sehr schönes Landgut besitzt, das sie schon lange nicht gesehen hat. Sie gedenken ohne Zweifel die ganze schöne Jahreszeit dort zuzubringen; und so oft es Ihnen belieben wird, werden Sie von Ihrem Oberst einen kleinen Urlaub von vierundzwanzig Stunden erhalten, so dass die Marquise Sie ganz nach Herzenslust haben kann, und keine Concurrenz mehr zu fürchten braucht. Sie hat wirklich das beste Mittel gefunden, dass Sie weder Sophie aufsuchen, noch Frau von Lignoll beistehen können.«
»Ich soll meiner Leonore nicht beistehen können?«
»Wohl, mein Freund, dem ist so, haben Sie nicht Befehl alsbald einzutreffen?«
»Es ist auf den ersten Mai!«
»Also in vierzehn Tagen.«
»Dabei gewinne ich eine ganze Woche, indem mich mein Vater mit sich auf die festgesetzte Reise mitgenommen hätte.«
»Was soll Ihnen das für einen Vortheil bringen, welche große Änderung kann wohl eine Woche bringen?«
»Die Erfahrung lehrt uns, dass noch in kürzerer Zeit sich so manches ereignen kann, das Keiner vorausgesehen hätte.«
»Faublas, das heiße ich einmal sich über seine Lage blenden. Sie müssen doch wissen, dass hier Sachen vorliegen, gegen welche sich nicht ankämpfen lässt. Außer, Sie führen einen sogenannten Hauptstreich durch, und sehen Sie sich um, mein junger Heißsporn, gäbe es nicht doppelte Bande zu sprengen, und wer von Ihrer Familie würde dann auf Ihre Seite treten? – ich glaube Keiner.«
»Schweigen Sie, mein Freund, schweigen Sie! rauben Sie mir nicht diese Täuschung, die mich aufrecht erhält.«
»Sagen Sie mir, wird Frau von Lignoll weniger unglücklich sein, wenn Sie dieselbe um acht Tage später verlassen?«
»Rosambert, wie grausam Sie sind, darf man mir den Abgrund zeigen, wenn ich schon an seinem Rande stehe?«
»Wird die Gräfin der Rache ihrer Feinde weniger ausgesetzt?«
»Sie sind streng in Ihrem Urtheil, und dennoch muss ich Ihnen Recht geben, sie wird zu hart verfolgt, und welcher Tyrann dieser Kapitän, der sich unerlaubte Gewalt erlaubt. Er ist diesen Morgen gekommen, wir waren im Begriff, uns zu schlagen, mein Vater diente mir als Zeuge, ihm der Kapitän Saint-Leon, als plötzlich eine Wache vom Marschallgericht kam.«
»Eine Wache! für ihn? und Sie haben keine?«
»Nein, mein Freund!«
»Ich glaube, das würde Sie bei Ihren Ausgängen geniert haben; es wäre Ihnen nicht mehr möglich gewesen, die Marquise incognito zu besuchen.«
»Wenn man Sie hört, Rosambert, so sollte man glauben, es geschehe Alles in der Welt nur durch die Marquise.«
»Mein Freund, der Löwe, der seit einigen Wochen tief eingeschlafen schien, ist wieder erwacht; ich sehe Frau von B... jetzt Alles um sich her in Bewegung setzen, seit acht Tagen sind sehr bösartige Gerüchte über das Fräulein von Brumont in Umlauf gekommen.«
»Woher dies Alles, ich kann es mir nicht erklären.«
»Wissen Sie nicht, Faublas, dass auch ungefähr zu derselben Zeit dem Kapitän ein unheilvoller Brief zukam?«
»Gestern erfahre ich von sicherer Seite den Bruch Ihres Vaters und der Baronin von Fonrose. Heute erhalten Sie das Patent; und ich muss abreisen, ohne wie Sie eine Gnadenfrist von vierzehn Tagen zu haben! ich muss am 21. dieses Monats beim Regiment sein, und muss übermorgen meine Abschiedsbesuche machen; aber welchen Zweck hat sie dabei? denn sie thut nichts ohne Absicht, die kunstreiche Marquise. Wenn ich nicht Alles errathen darf, so begreife ich wenigstens, dass sie bereit ist, große Schläge zu führen, aber weil sie unsere Versöhnung weiß und sich nicht verbergen kann, dass der Mann, der sie am besten kennt, am geeignetesten sein muss. Ihnen gegen sie mit seiner Börse, seinen Ratschlägen, und wenn es durchaus nothwendig wäre, seinem Arm zu dienen, dass die Frau Marquise denjenigen ihrer Feinde, den sie für den gefährlichsten hielt, weil er der beste Ihrer Freunde ist, nicht schnell genug beseitigen zu können glaubte, deshalb diese ganze Machination mit dem Militär. Oh! diese Weiber, welche Geschicklichkeit besitzen sie, wenn es heißt eine ihrer boshaften Launen durchzuführen. Ihre Geschmeidigkeit im Schmeicheleien und Gunstbezeugungen aller Art wissen sie dann anzuwenden, und wehe dem Manne, der schwach genug ist, sich durch diese geschickt gelegten Fallen irreführen zu lassen. Frau von B... ist im vollsten Sinne des Wortes Weib, nachdem sie den Feind zu Boden geworfen, behält sie ihren Groll noch bei, und –« fuhr er fort sich mit der Hand über die Stirne streichend, »ganz neuerdings habe ich zu bemerken geglaubt, dass der Pistolenschuss, womit sie mich beehrte, sie nicht hindern würde, von Zeit zu Zeit einige Bosheiten anderer Art gegen mich zu verüben. Sie gehen, mein Freund? ich gebe mir keine Mühe, Sie zurückzuhalten, denn, ich gestehe es, ich bedarf einen Augenblick der Einsamkeit.«
»Sie sind schlecht aufgelegt, lieber Graf!«
»Ein wenig.«
»Vermuthlich dieser Befehl, abzureisen!«
»Die ich nicht wissen kann?«
»Oder die zu wissen nicht der Mühe weit ist; eine Kleinigkeit, nichts, weniger als nichts. Indes hat man mir hundertmal gesagt, und ich habe es nicht glauben wollen, auch die beste Laune kann auf einen Augenblick getrübt werden. Was wollen Sie? es ist eine kleine Wolke, die man vorüberziehen lassen muss.«
»Rosambert, Sie sprechen wie ein Orakel! ich will wiederkommen, wann Sie verständiger sind. Leben Sie wohl!«
»Adieu, Faublas!«
»Sie werden der Neuvermählten wenigstens meine Empfehlungen melden und mein Bedauern, dass ich nicht das Glück haben konnte, ihr meine Glückwunsche darzubringen.«
»Auf den Abend werden Sie die junge Gräfin sehen, auf den Abend bringe ich sie Ihnen.«
»Beinahe wäre ich gegangen, ohne nach ihrem Namen zu fragen; wie ist der Familienname Ihrer Gemahlin?«
»Von Mesanges,« antwortete er.
»Von Mesanges!« rief ich.
»Wohlan, lieber Faublas! was hat Sie denn so in Staunen gesetzt?«
»Nichts, der Name hat mich frappiert, ich habe in der Provinz einen Bruder von diesem Fräulein kennen gelernt.«
»Sie hat keinen Bruder.«
»Also war es ein Vetter. Leben Sie wohl, mein Freund!«
»Nein, nein, Chevalier! hören Sie doch! wenn Sie den Vetter gekannt haben, haben Sie zufällig auch die Cousine gekannt?«
»O, nein; warum?«
»Ach! wegen nichts. Sehen Sie, Faublas, Sie müssen Nachsicht haben, ich bin heute bitter dumm!«
Ich ging schnell von dannen, damit Rosambert nicht auf meinem Gesichte die allzu große Heiterkeit sah, die dem Staunen Platz machte.
Mein Vater erwartete mich mit Ungeduld. Als ich in sein Zimmer trat, hörte ich ihn zu meiner lieben Adelheid sagen:
»Aber liebstes Kind, wenn dem so wäre, würdest Du mich dann so ruhig sehen? Komm doch, mein Sohn,« rief er mir zu, als er mich bemerkte, »Deine Schwester ist trostlos. Sie behauptet, es sei Dir ein Unglück zugestoßen, das ich ihr nicht gestehe.«
»Oh, mein Bruder!« rief sie, »ich wäre gestorben, wenn Du nicht zurückgekommen wärst.«
»Es fällt mir eben ein,« sagte der Baron, »Dich zu fragen, was aus dem Briefe des Herrn Duportail geworden ist?«
»Ich hatte ihn aufbewahrt; aber in Montargis habe ich ihn verloren, am Abende, wo ich unwohl wurde. Ohne Zweifel hat ihn Frau von Lignoll gefunden; ich wagte es nicht mit ihr davon zu sprechen; ich wundere mich nur, dass sie mir nie davon gesagt hat.«
Noch an demselben Abend brachte uns Rosambert seine Frau. Kaum war sie zur Thür eingetreten, so blieb die Frau Gräfin ganz überrascht stehen, als sie meine Schwester erblickte, welche sie früher nie gesehen hatte.
»Kommen Sie doch,« sagte ihr Gemahl zu ihr, »was hält Sie denn zurück?«
»Wahrlich!« antwortete sie ihm, immer meine Schwester ansehend, »ich glaube, sie ist da.«
»Wer, meine geliebte Agnes, wer?«
»Ein Fräulein, die ich für meine liebe Freundin hielt.«
»Sie kennen das Fräulein?«
Während dieses kurzen Zweigesprächs fragte ich mich, was ich zu thun hätte, damit die junge Frau sich nicht ganz verrieth.
Mich einen Augenblick entfernen, hieße meine Schwester den gefährlichsten Fragen, den peinlichsten Vorwürfen der Gräfin auszusetzen, der ich ohnehin bald einen neuen Grund zur Verwunderung geben würde, indem ich nicht umhin konnte, bald im Salon zu erscheinen. Ich ging der jungen Gräfin entgegen und begrüßte sie ehrerbietig; sie stieß einen Schrei aus, verlor alle Haltung und wäre beinahe in Ohnmacht gefallen, als sie mich erblickte, und ließ ihre Blicke unaufhörlich bald auf meiner Schwester bald auf mir ruhen; ich sah deutlich, dass der Zweifel, welches von uns beiden ihre liebe Freundin sei, sie beunruhigte.
Rosambert rief:
»Das nenne ich eine wahre Wiedererkennung, merkwürdig, ganz auffallend! aber es scheint mir, dass ich bei dieser sonst sehr ergötzlichen Scene nicht die schönste Rolle spiele.«
Mein Vater wandte sich zu mir und fügte mit halblauter Stimme:
»Abermals Verwechslungen! abermals ein galantes Abenteuer!«
»Sie kennen also das Fräulein?« versetzte der Graf, meine Schwester seiner Frau zeigend.
Diese antwortete:
»Oh, mein Gott, nein; ich kenne das Fräulein von Brumont gar nicht!«
»Von Brumont!« wiederholte Rosambert. »Also,« fuhr er fort, sich vor die Stirne schlagend, »kein Zweifel mehr! ich bin bereits, was man einen Ehemann nennt, ein wahrer Ehemann! ich bin es! ich war es sogar schon vor der Hochzeit. Das Wie werde ich vielleicht eines Tages erfahren.«
Mein Vater führte den Grafen abseits und machte ihn auf die Gegenwart seiner Tochter aufmerksam.
Der Graf sagte:
»Ich sollte nicht so viel Aufsehen machen, aber sehen Sie, Herr Baron, so gut man auch vorbereitet sein mag, eine solche Wahrnehmung versetzt einem dennoch einen sehr empfindlichen Schlag. Dieser junge Mann kann sich rühmen, dass nicht einer seiner Freunde ihm entkommt.«
Rosambert fragte mit boshaftem Lächeln die arme junge Frau:
»Madame, Sie haben also das Fräulein nirgends gesehen?«
»Nirgends, mein Gemahl! nicht einmal bei meiner Cousine von Lignoll.«
»Weshalb frage ich auch. Sehr gut! Frau Gräfin, sehr gut! es ist genug! Der Chevalier wird mir das übrige selbst erzählen.«
Nach diesen Worten des Grafen setzte sich die Gesellschaft, und die Unterhaltung drehte sich um gleichgiltige Gegenstände.
Rosambert that sich während dieser Zeit die größte Gewalt an, um seine Unruhe über die fortgesetzte Aufmerksamkeit zu verbergen, womit sie mich betrachtete. Endlich fing sie zu lachen an. Ihr Gemahl fragte sie um die Ursache.
»Ich lache, weil er lacht, ich kann es Ihnen nicht sagen, ich weiß nicht, warum er lacht.«
Umsonst wollte der Graf den kleinen Kummer, den sein Missgeschick ihm bereitet hatte, nicht merken lassen, und er hielt es für das beste, aufzubrechen.
»Adieu!« sagte er zu mir und ohne Groll; »wird man Sie morgen sehen, kann man Sie Abend zu Hause treffen?«
»Ja, mein Freund!«
»Sie können demnach auf meinen Besuch zählen.«
Die Gräfin sagte beim Weggehen:
»Ich bin Ihnen recht böse! Sie haben mich brav angeführt.«
»Bst! bst!« rief Rosambert; »Madame, man sagt solche Sachen nicht in Gesellschaft, namentlich wenn der Gemahl zugegen ist.«
Am andern Tage um 6 Uhr kam der Graf zu mir, die Gräfin aber brachte er nicht mit. Er trat mit schallendem Gelächter in mein Zimmer und rief:
»Was mir meine kleine Frau erzählte, ist unendlich lustig, sage ich Ihnen; und vor ihr habe ich des Anstandes wegen eine ernsthafte Miene beibehalten; jetzt, da ich bei Ihnen bin, erlaube ich mir zu lachen. Sie sind für komische Abenteuer geboren.«
»Rosambert, wenn Sie eine Antwort wünschen, so erklären Sie sich nur.«
»Dieses Mal bin ich klar; wenn Sie mich aber nöthigen, so werde ich es noch mehr sein!«
»Wie Ihnen beliebt.«
»Nun denn, so hören Sie: meine Frau hat mir gesagt, dass sie, ehe sie meine Frau wurde, Ihre Frau gewesen sei.«
»Rosambert, ein Wort, wenn ich bitten darf, wenn die Geschichte sich so verhält, so bin ich nicht so dumm indiscret, sie ihrem Gemahl zu erzählen.«
»Aber, lieber Faublas, ich ersuche Sie bloß zu hören. Frau von Rosambert hat mir erzählt, dass Sie das Glück gehabt haben, bei der alten Witwe von Armincour zu schlafen; dass Sie in eben derselben Nacht das Bett der Marquise verlassen haben, um in dem des Fräuleins von Mesanges zu plaudern. Chevalier, gestehen Sie doch, dass wenn die junge Frau mir eine Geschichte aufgebunden hat, sie sehr hübsch zu erfinden weiß, und erlauben Sie, dass ich lache.«
»Mein Freund, weit entfernt das zu vermehren, will ich mit Ihnen lachen.«
»Beantworten Sie mir diese ernste Frage, lieber Faubias, haben Sie vielleicht dieses Abenteuer der Frau von B... anvertraut?«
»Wie kommt Ihnen diese Idee, lieber Rosambert, kennen Sie mich nicht hinlänglich, um zu wissen, dass ich in diesem Punkte nie eine Frau bloßstellen würde?«
Der Graf sagte mit nachdenkender Miene:
»Ich muss anerkennen, dass die Marquise in ihrer Rache wirklich großmüthig ist. Jetzt, da sie mich mit einer angehenden Frau statt einem Mädchen beschenkt hat, so hat sie die Sache wieder gut gemacht, und eine Rente von zwanzig tausend Thalern dazu gegeben. Chevalier, wenn Sie meine edelherzige Freundin sehen, so danken Sie ihr in meinem Namen, ich bitte Sie. Sagen Sie ihr, dass ich im Anfang nicht ganz unempfindlich gegen das kleine Unglück gewesen sei, mich durch eine dumme Heirat der Masse beigesellt zu sehen; aber fügen Sie hinzu, dass meine Schwachheit nicht lange gedauert habe, und dass ich mich jetzt recht gut in die Sache füge.
»Besonders vergessen Sie nicht, sie zu versichern, dass ich trotz meines eigenen Unglücks mich mehr als je in der Stimmung fühle, der unglücklichen Ehemänner zu spotten. Faublas, gehen Sie mit mir?«
»Wohin? Machen Sie Hochzeitsbesuche?«
»Nein, Abschiedsbesuche, weil ich morgen abreisen muss.«
»Und Sie wünschen, dass ich Sie begleite?«
»Ich speise in der Vorstadt Saint-Honoré zu Nacht; wir steigen auf den Elysäischen Feldern aus; aber glauben Sie ja nicht, dass ich Sie deswegen mitnehme, um Sie zu hindern, dahin zu gehen, wohin die Liebe Sie rufen könnte.
»Sagen Sie mir, lieber Freund, glauben Sie, dass der unglücklichen Gräfin kein anderes Mittel übrig bleibt, als sich in den Schoß ihrer Familie zurückzuziehen und auf Trennung zu klagen, wenn Herr von Lignoll sie quält?«
Als Rosambert noch sprach, war es beinahe Nacht geworden und wir befanden uns auf den Elysäischen Feldern, gegenüber dem Hause des Herrn von Beaujon. Herr von B... kam aus dem benachbarten Hause. Sobald er mich sah, ging er auf mich zu, als er aber Rosambert erblickte, kehrte er wieder um. Dieser sagte zu mir:
»Er weicht uns aus; gehen wir zu ihm und lassen wir einen so schönen und günstigen Augenblick nicht unbenutzt.«
Umsonst bemühte ich mich, Rosambert zurückzuhalten; sein unglückliches Geschick riss ihn hin.
»Herr Marquis, Sie fliehen uns?«
»Es ist wahr, dass ich Sie wenigstens nicht suche,« antwortete er sehr trocken.
»Schon viele Leute haben mich versichert, dass Sie sehr erbittert auf mich seien; ich möchte doch sehr gerne die Gründe erfahren, weshalb.«
»Glauben Sie, ich werde mich genieren, sie Ihnen zu sagen? Guten Tag, Herr Chevalier,« fuhr er fort mir die Hand reichend; »gestern erhielten Sie ohne Zweifel von Versailles ein Paket zugesandt.«
»Ja, sein Patent,« fiel Rosambert ein; »er hat es erhalten.«
»Ich habe es erhalten, Herr Marquis, und bin Ihnen sehr verbunden für diesen Beweis Ihrer Freundschaft.«
»Sollte die Frau Marquise ihrerseits die Sache nicht auch ein wenig betrieben haben?« bemerkte der Graf.
»Warum nicht? die Marquise ist eine vortreffliche Frau, geneigt, jedermann Dienste zu erweisen, jedermann, nur Sie ausgenommen!«
»Ich möchte die Gründe wissen!«
»Herr Graf, wenn man sich für so liebenswürdig hält, dass keine Frau ihm widerstehen kann, und wenn man einer tugendhaften begegnet, voll Liebe für ihren Gemahl . . .«
»Verzeihen Sie, ich kenne deren so viele, dass ich nicht weiß, von welcher Sie sprechen.«
»Von der meinigen, mein Herr!«
»Von der Ihrigen! ja! wenn man dieser begegnet, so scheitert man. Sie haben gut reden, Herr Marquis, Sie, der niemals scheiterte.«
»Keine schlechten Witze, Herr Graf: ich weiß wohl, dass Sie glücklicher waren bei einem Fräulein Duportail. Ich weiß auch, dass am Tage nach der Nacht, die das Fräulein von Faublas im Bette der Marquise zugebracht hat, Sie am andern Tage, um sich zu rächen, den Bruder in den Kleidern der Schwester zu meiner Frau gebracht.«
»Wahrlich, ich bin sehr boshaft!« rief der Graf laut auflachend, »welche Spitzbüberei habe ich mir gegen die Frau Marquise zu Schulden kommen lassen! ja, das sind meine Streiche! das . . .«
»Ich glaube,« unterbrach ihn Herr von B..., der immer mehr aufgeregt wurde, mit vieler Heftigkeit, »ich glaube, er wagt es noch, meiner zu spotten! nicht zufrieden mit dieser ersten Perfidie, Herr Graf, haben Sie noch die Niederträchtigkeit gehabt –«
»Zum Teufel! das wird ernsthaft.«
»Wer zuletzt lacht, lacht am besten, Herr von Rosambert, denn ich liebe die spöttischen Geberden nicht, das sage ich Ihnen.«
»Und ich liebe die drohenden nicht, Herr Marquis.«
»Sie benützten die Gegenwart des verkleideten jungen Menschen, um mit meiner Frau vor mir den unverschämtesten Auftritt anzufangen; erfahren Sie denn, was ich von Ihrem Betragen gegen die Marquise denke: es ist nach meiner Überzeugung eines Mannes unwürdig und verträgt sich nicht mit seiner Ehre, und folglich,« fügte er, die Hand an seinen Degen legend, hinzu, »folglich sollen Sie mir Rede dafür stehen.«
»Wahrlich, das ist noch das Spasshafteste, doch ich gestehe Ihnen, dass ich es erwartete.«
»Meine Herren!« rief ich, »was wollen sie machen? Ich kann diesen Kampf nicht zugeben.«
»Immer habe ich in seiner Physiognomie gelesen, dass er ein schlechter Witzmacher ist, aber ich hätte nicht geglaubt, dass er ein so schändlicher Mensch ist.«
»So, es kommt immer schöner. Sie sind ja ganz außer sich, Herr Marquis, ich erkenne Sie nicht mehr. Ich habe Sie für den besten, den sanftmüthigsten aller Menschen gehalten.«
Bei diesen Worten, die im spöttischesten Tone ausgesprochen wurden, nahm Herr von B... den Degen in die Hand. Ich konnte mich eines traurigen Vorgefühls nicht erwehren beim Anblick dieses Stahles, der sich bald mit Rosamberts und bald darauf mit noch theuererm Blute färben sollte.
Ich drängte Rosambert zurück; mich zum Marquis wendend rief ich:
»Herr Marquis, ich bitte, beruhigen Sie sich!«
»Lieber Graf, Sie werden sich nicht schlagen.«
»Lassen Sie doch, Faublas,« antwortete mir dieser; »es thut mir leid, dass ich dazu genöthigt bin, aber die Sache war doch unvermeidlich. Wenigstens ist es kein Duell, sondern nur ein Rencontre, und ich habe von dem Marquis unendlich viel sehr lustige Sachen erfahren.«
»Wenn Du nicht sogleich vom Leder ziehst,« schrie Herr von B...« der sich vor Wuth nicht mehr kannte, »so erkläre ich Dich überall für einen Feigen, und inzwischen zerhaue ich Dir das Gesicht.«
Rosambert fing an zu lachen:
»Es wäre Schade! man könnte dann in meinen Zügen die garstigen Streiche nicht mehr sehen, die ich gegen eine sittsame und tugendhafte Frau, voll Liebe für ihren Gemahl, mir zu spielen erlaubte; ist es nicht so, Herr Marquis?«
Jetzt that Rosambert, um sich aus meinen Armen loszumachen, fortwährend lachend einige Schritte rückwärts, und ging sogleich mit dem Degen in der Hand auf Herrn von B... los.
Sie schlugen sich kräftig mehrere Minuten lang; allein der Graf unterlag.
»Der Himmel ist gerecht!« rief Herr von B...; »so müssen Alle zu Grunde gehen, die mich beschimpfen, ich will so schnell als möglich die nöthige Hilfe herbeischicken, bleiben Sie bei ihm.«
Der Graf lag auf dem Boden ausgestreckt, er winkte mir mich zu bücken und ihn zu hören. Mit schwacher Stimme sagte er zu mir:
»Mein Freund, ich bin schwer verwundet: ich glaube nicht, dass ich diesmal davonkomme. Faublas, es ist nur zu wahr, dass . . .« Rosambert konnte nicht ausreden; er verlor das Bewusstsein.
Ich suchte mit mehreren durch den Lärm des Kampfes herbeigezogenen Personen das Blut meines unglücklichen Freundes zu stillen, als die Chirurgen ankamen. Man schaffte ihn eilends in seine Wohnung. Welcher Anblick für seine junge Frau! Die Wunde wurde untersucht; wir erhielten von den Chirurgen nur die beunruhigende Antwort:
»Man kann Nichts sagen, ehe der dritte Verband abgenommen ist.«
Als ich nach Hause kam, sagte ich schmerzerfüllt zu meinem Vater:
»Er ist am Sterben.«
»Wer, mein Sohn, von wem sprichst Du?«
»Der Graf von Rosambert; der Marquis hat ihm soeben einen tödlichen Degenstoß versetzt.«
Mein Vater war sehr erschüttert bei dieser Nachricht, er versetzte: »Möge er wenigstens niemand mehr weiter verfolgen!«
»Ich hoffe, mit diesem traurigen Ereignis ist die Sache beigelegt.«
»Dieses Unglück wird die Aufmerksamkeit des Publikums wieder auf Dich, mein Sohn, lenken.«
»O, mein Bruder!« sagte Adelheid, »ich weiß nicht genau, wie Ihre Aufführung ist; aber seit einiger Zeit sehe ich, dass Ihnen nur Unglück zustößt.«
Die Nacht, die auf diesen verdrießlichen Tag folgte, war für mich sehr unruhig; ich hatte nur schreckliche Träume, die meinen Schlummer störten, ich erwachte mit beklemmtem Herzen, und um die traurigen Bilder zu verscheuchen, suchte ich alle meine Gedanken auf den glücklichen Tag zu richten, der für mich heranbrach, der mir in der Gesellschaft des Vicomte von Florville einige süße Augenblicke und in den Armen meiner geliebten Leonore das ersehnte Verlangen bringen sollte. Umsonst jedoch bemühte ich mich meine trüben Ahnungen zu bannen; meine Seele war von tiefer Betrübnis erfüllt.
Ach, er kam in der That zu früh, dieser Freitag, der mir nur Glück zu verheißen schien! er kam zu früh dieser schreckliche Tag, auf den noch schrecklicheres Unglück folgte.
Am nächsten Morgen ging ich sehr zeitlich zu dem Grafen; er hatte eine sehr schlechte Nacht, die ununterbrochen vom glühenden Fieber und Bewusstlosigkeit langsam dahinschlich. Man nahm sicher an, dass die Wunde tödlich sei.
Nach Tisch besuchte ich ihn wieder; aber leider mit der festen Überzeugung, ihn nicht mehr genesen zu sehen.
Um sieben Uhr Abends verließ ich sein Hotel, um in die Straße du Bac zu eilen. Ich sah dort nicht den Vicomte von Florville; Frau von B... war es, die ich antraf, Frau von B..., wie in den Tagen von Longchamps, in der ganzen Pracht ihrer Schönheit.
Wie bezaubernd war sie!
Die erste Bewegung überwältigte mich derart, dass ich ihr zu Füßen fiel. Die Marquise neigte sich über mich mit unendlich viel Zärtlichkeit und Liebe, sie schloss mich aufhebend leidenschaftlich in ihre Arme.
»Meine schöne, angebetete Mama, erlauben Sie mir, Sie meiner vollkommenen Erkenntlichkeit zu versichern. Die Papiere, die Sie mir versprochen hatten, habe ich erhalten.«
»Haben sie die gewünschte Wirkung hervorgebracht . . .?«
»Ja, mein Vater denkt nicht mehr daran, mit mir zu reisen; indes gestehe ich Ihnen, Eines beunruhigt mich, dass ich Paris so schnell verlassen muss. Wäre es nicht möglich die Sache noch einige Tage aufzuschieben?«
»Im Gegentheil,« rief sie; »ich fürchte sehr, Sie könnten unverzüglich Befehl erhalten, noch früher abzureisen. Man spricht stark von Krieg, die meisten Offiziere sind bereits wieder eingerückt.«
»Mein Gott, was soll ich thun?«
Sie unterbrach mich lebhaft:
»Sie sagen mir nichts von dem unglücklichen Ereignis von gestern Abend?«
»Scheint es Ihnen wirklich unglücklich, Frau Marquise?«
»Können Sie mich fragen? musste Rosambert von der Hand des Herrn von B... fallen? Also hat das Schicksal noch einmal meinen Muth und meine Hoffnungen verrathen!«
»Klagen Sie das Schicksal nicht an.«
»Lieber Faublas, Sie können das tief verletzte Gefühl einer gedemüthigten Frau nicht begreifen.«
»Ihr Muth, theuere Freundin, wurde durch den Erfolg des Kampfes bei Compiègne belohnt, und durch das gestrige Rencontre sind alle Ihre Hoffnungen in Erfüllung gegangen. Des Grafen letzten Worte, ehe er das Bewusstsein verlor, waren:
»Faublas, versichern Sie Frau von B... wenigstens, dass ich nicht gestorben sei, ohne die aufrichtigste Reue wegen meines abscheulichen Verfahrens gegen sie . . .«
»Der beklagenswerte Rosambert hatte nicht mehr die Kraft weiter zu sprechen.«
»Und doch, Faublas, um wie viel größer wäre mein Glück gewesen, wenn ich selbst mit dem Blute meines Feindes die erlittene Beleidigung hätte tilgen können! Was sagte ich?« fügte sie hinzu, ihre brennende Lippen auf die meinigen drückend: »Was liegt an meiner Rache? bin ich jetzt nicht vollkommen gerechtfertigt? bist Du mir nicht Deine ganze Achtung und sogar gleiche Zärtlichkeit schuldig . . .«
Ich war entzückt und berauscht von ihren Liebkosungen und verschwendete an ihr die meinigen.
»Nun denn! es sei!« rief sie sich gänzlich hingebend; »möge endlich die Liebe siegen! seit zwei Monaten setze ich ihr allen Widerstand entgegen, dessen eine Sterbliche fähig ist.
»Möge die Liebe nun auch über meine Vorsätze triumphieren; möge sie mir wieder einige Augenblicke übergroßen Glücks bei dem angebeteten Geliebten schenken, und müsste ich den Undankbaren sogar in meinen Armen nach Sophie rufen und nach Frau von Lignoll sich sehnen hören! müsste ich endlich dieses Glück eines Tages mit meinem Leben bezahlen!«
Mehr sagte sie nicht; unsere Seelen floßen zusammen. Plötzlich trat eine unerwartete Katastrophe ein.
Die Thüre des Zimmers, in welchem wir uns befanden, öffnete sich schnell.
»Glauben Sie es jetzt?« sagte Frau von Fonrose zu Herrn von B...
Dieser, der nicht länger an seinem Unglück zweifeln konnte, wurde wüthend. Er stürzte sich mit dem Degen in der Hand auf einen Unbewaffneten, der noch überdies, da man ihn in der größten Unordnung überraschte, außer Stand war sich zu vertheidigen.
Die Marquise, meine allzu großherzige Geliebte, warf sich zu rasch der drohenden Waffe entgegen; der Marquis stieß zu . . . große Götter! Frau von B... widerstand anfangs der Gewalt des Stoßes, und in demselben Augenblicke zog sie zwei geladene Pistolen aus ihrer Tasche und streckte die Baronin zu ihren Füßen nieder. Sie sagte zu ihrem Gemahl:
»Sie haben soeben mein Leben bedroht, das Ihrige steht in meiner Hand! ich will meinen Tod, der ohne Zweifel nahe ist, nicht rächen; aber,« fügte sie, sich auf mich stützend, hinzu, »ich erkläre Ihnen, dass ich entschlossen bin, ihn gegen Alle zu schützen.«
Trotz meiner angestrengten Bemühungen, sie aufrecht zu erhalten, sank sie in ihre Kniee, stützte sich auf ihre rechte Hand und überreichte mir die Pistole, die sie in der linken hielt:
»Hier, Faublas . . .! Und Sie, Herr von B..., wenn Sie einen Schritt gegen ihn thun, so möge er Sie abhalten.« Kaum hatte sie das gesagt, als sie in meine Arme sank, wo sie das Bewusstsein verlor.
Der Marquis dachte nicht mehr daran, mein Leben zu bedrohen; der unglückliche Degen war bereits seinen Händen entsunken.
»Ich Unglücklicher,« rief er mit allen Zeichen der höchsten Verzweiflung, »was habe ich gethan, wohin fliehen? wo mich gegen mich selbst zu vertheidigen; wo mich vor mir selbst verbergen? Ich flehe Euch an, Ihr andern, verlasst sie nicht, wendet ihr Euere Sorgfalt und Hilfe zu . . . Mein Gott! wie da hinauskommen?«
Nur mit Mühe fand er die Thüre, so verstört und verzweifelt war er.
Frau von Fonrose, deren untere Kinnlade ganz zerschmettert war, lag in todesähnlicher Ohnmacht. Eine große Menge Menschen, die ich nicht kannte, kamen herbei; ebenso mehrere Wundärzte.
Die Baronin wurde nach Hause getragen; aber den Transport der unglücklichen Marquise wagte man nicht zu unternehmen.
Wir nahmen sie zu vier und trugen sie sterbend auf dasselbe Bett, wo einige Minuten zuvor ein Opfer der Göttin der Liebe gebracht wurde. O, Götter! rächende Götter, wenn dies Gerechtigkeit heißt, so ist sie sehr grausam.
Die tiefe Wunde war in der linken Brust, neben dem Herzen. Frau von B... überlebt vielleicht die Nacht nicht mehr.
Man legte ihr den ersten Verband auf; da erwachte sie aus ihrer langen Ohnmacht.
»Faublas!« stöhnte sie; »wo ist Faublas?«
»Hier bin ich,« sagte ich verzweifelnd.
»Madame,« gebot der erste Wundarzt, »sprechen Sie nicht.«
»Und müsste ich auf der Stelle sterben,« antwortete sie, »so muss ich jetzt mit ihm sprechen,« und mit ersterbender Stimme brachte sie die unterbrochenen Worte hervor:
»Mein Freund, Sie werden wieder kommen; Sie werden mir nicht durch gleichgiltige Leute die Augen zudrücken lassen; Sie werden meine letzten Seufzer empfangen. Aber verlassen Sie mich auf einige Augenblicke, eilen Sie! der geheime Verhaftsbefehl wird ohne Zweifel demnächst nach Versailles kommen; retten Sie schnell die unglückliche Gräfin, wenn es noch Zeit ist.«
Ich stürze sogleich fort, ich fliege durch die Straßen.
Meine Leonore, sie wollten sie einsperren! zuvor müssen sie mir das Leben nehmen! aber wenn der schreckliche Befehl bereits vollzogen ist, dann ist keine Hoffnung mehr! Die unglückliche Gräfin wird darüber zu Grunde gehen! und ich wäre also genöthigt, sie zu überleben? ich! wer könnte mich hindern, ihnen ins Grab zu folgen?
Von diesen traurigen Gedanken niedergedrückt gelange ich in das Hotel der Frau von Lignoll. Ich rufe Lafleur, eile über den Hof, steige die geheime Treppe empor und klopfe an der Thüre des Fräulein von Brumont an. Man öffnet. Welches Glück! es ist die Gräfin! ein Freudenschrei ertönt; sie ruft: »Schon so früh, mein Freund?«
»Meine Leonore, ich zitterte, es möchte zu spät sein. Komm!«
»Wohin? was ist geschehen?«
»Komm mit mir! Deine Freiheit ist bedroht.«
»Was sagst Du, meine Freiheit? ich sollte Dich, mein Geliebter, nicht mehr sehen?«
»Was suchst Du?«
»Meine Diamanten.«
»Sie sind bei mir; Du hast sie nicht wieder nach Hause genommen.«
»Meine Tante ist im Salon, ich will ihr schnell Lebewohl sagen.«
»Nein, Leonore! Frau von Armincour würde Dich mit sich nehmen wollen, und Du musst mit mir gehen. Die Angst der Marquise könnte uns verrathen, es ist besser, wenn sie eine Zeit lang nicht weiß, was aus Dir geworden ist. Beeilen wir uns, es ist kein Augenblick zu verlieren.« Wir steigen ohne Geräusch die Treppe hinab. Unter dem Schutze der Nacht schlüpft die Gräfin bis unter das Hofthor. Hier klopfe ich, nachdem ich vorsichtig meinen Hut über die Augen gedrückt, an das Fenster des Schweizers; ich bin derjenige, der soeben mit Lafleur gesprochen hat, er öffnet mir das Thor. Frau von Lignoll ist auf der Straße, ich stürze mich ihr nach, sie ergreift meinen Arm, wir eilen so schnell als möglich. Alles, was um uns hervorgeht, setzt uns in eine wahre Todesangst; wir erreichen endlich den Vendômeplatz. Da wir durch die Gartenthüre ins Hotel gingen und uns sogleich auf die kleine Treppe begaben, so konnte uns niemand bemerken außer Jasmin.
Mein Diener brachte Kerzen.
»Guter Gott!« sagte Frau von Lignoll, »ich habe Blut an den Händen! . . . Faublas, die Ihrigen sind voll davon!«
Ich konnte einen Schrei des Entsetzens nicht zurückhalten und brach plötzlich in Thränen aus:
»Leonore, meine theuere Leonore; dieses Blut, es ist das Blut einer Liebenden! Sei auf Deiner Hut, der Tod um mich trifft oder bedroht die Gegenstände, die meinem Herzen am theuersten sind. Wache über Dich!«
»Faublas, welche Reden! und welche Verzweiflung!«
»Meine Freundin, die Marquise hat sich ihrem Gemahl entgegengeworfen, der mich tödten wollte, und so den unglücklichen Stoß selbst empfangen.«
»Ah! der Grausame!«
»Sterbend hat sie ihre letzten Kräfte zusammengenommen, um mich von der Gefahr zu unterrichten, der Du ausgesetzt bliebst.«
»Wie danke ich ihr!«
»Sie bat mich bald zurückzukommen, um ihren letzten Seufzer zu empfangen.«
»Arme, beklagenswerte Frau! Du musst schnell hingehen, ich gehe mit Dir.«
»Unmöglich! es sind so viele Leute um sie herum!«
»Gut denn! so gehe allein, geh, tröste ihre letzten Augenblicke; sage ihr, dass mein Hass erloschen ist, dass ich über ihr Unglück tief betrübt bin . . .«
»Meine theuere Leonore, Du hast das Herz eines Engels. Ich will trachten, so bald als möglich zurückzukommen. Jasmin, ich vertraue Dir die Frau Gräfin an, ich empfehle sie Dir, Du bürgst mir für sie.«
Ich brauchte kaum einige Augenblicke, um von dem Vendômeplatze bis an die Straße du Bac zu gelangen.