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Als ich zur Marquise kam, umgaben ein Mann und mehrere Frauen ihr Bett.
Als sie mich eintreten sah, sagte sie mit schwacher Stimme:
»Jedermann gehe hinaus. Man lasse uns allein!«
Der Arzt stellte ihr vor, dass sie nicht sprechen sollte.
»Eine letzte Unterredung mit ihm!« antwortete sie, »dann können Sie mich behandeln, wie Sie wollen.«
Er wollte etwas entgegnen; aber ein befehlendes Zeichen schloss ihm den Mund.
»Ist sie gerettet, mein Freund?«
»Sie ist bei mir.«
»So lange noch ein Athem in mir ist, fürchten Sie nichts mehr für die Gräfin.«
Sie lehnte sich mit geschlossenen Augen in ihr Kissen zurück; sie gab mir ein Zeichen, meine Hand in die ihrige zu legen, dann sagte sie mit gebrochener Stimme:
»Faublas, beklagen Sie mein trauriges Geschick, und wenn Sie je einen Funken von Liebe für mich fühlten, so weihen Sie meinem Andenken eine Thräne der Versöhnung und des Mitleids. Meine Brieftasche ist da; suchen Sie darin das unglückselige Schreiben, das meine schlimmsten Entschließungen beschleunigte. Nehmen Sie den Brief Ihres Schwiegervaters zurück; ich weiß ihn ganz, jetzt bedarf ich seiner nicht mehr.
»Ich gelobte mir in meiner Verzweiflung, dass Sophie Ihnen nicht mehr zurückgegeben werde, und dass auch Frau von Lignoll die Qualen kennen lernen sollte, die ich allzulange geduldet habe.
»Ihr Schwiegervater ist sicherlich in Paris; aber in dem sicheren Versteck, den er seit mehr als einen Monat gefunden hat, und allen meinen Nachforschungen entging.
»Ich fand in Frau von Lignoll eine gefürchtete Nebenbuhlerin. Lafleur, der sich aber an mich verkaufte, stattete mir alle Tage Berichte ab. Es schien mir dringend nothwendig, Ihrer Verbindung mit der Gräfin unüberwindliche Hindernisse in den Weg zu legen.
»Ich ließ den Kapitän kommen: er suchte schnell in Versailles einen geheimen Haftbefehl nach, den man ganz bereit hielt; Frau von Lignoll sollte eben verhaftet werden, sie sollte ihre Freiheit nur auf einige Tage verlieren, man musste ihr bald das Landgut ihrer Tante in der Franche-Comté als Gefängnis anweisen. Aber nach dem Aufsehen, das ihre Haft gemacht hätte, durften Sie sie doch nicht mehr sehen.
»Endlich wären Sie nach Nancy gereist; in der Umgebung dieser Stadt sollten wir uns begegnen; unter dem glücklichen Himmel Lothringens sollte ich meinen Geliebten und meine schönen Tage wieder finden. Welch eitle Pläne! ach, ich Unglückliche! als ich Dir mein Leben zu widmen hoffte, wartet meiner der Tod.
»Es ist um mich geschehen! ich sehe mein Grab offen, ich muss mit sechsundzwanzig Jahren hinabsteigen.«
Sie konnte nicht weiter reden, sie wurde von einer tiefen Ohnmacht befallen. Der Arzt eilte auf mein erstes Rufen herbei; er bat mich dringend mich zu entfernen, wenn ich nicht den Augenblick des Todes beschleunigen wollte.
Ich entfernte mich tief betrübt. Bei meiner Rückkehr rief Frau von Lignoll:
»Du bist sehr lange ausgeblieben! ist sie todt?«
»Nein, meine Theuere, noch nicht; aber es geht zu Ende!«
Ich hatte große Mühe, die Gräfin zu beruhigen. Sie vergoss Thränen des Mitleids über das Unglück der Frau von B... Eine glückliche Nacht war uns noch gestattet, während welcher meine Leonore, indem sie mir unaufhörlich ihre Zärtlichkeit bewies, mich beständig von ihrer Entführung unterhielt, die unumgänglich nothwendig wurde. Wir kamen dahin überein, dass ich am nächsten Tage alle nöthigen Vorbereitungen treffen werde und dass die nächste Nacht zu unserer Flucht bestimmt sei. Immer voll Zuversicht glaubte sich Leonore schon fern von ihrem Vaterlande und ich, dessen Geist durch heimliche Unentschlossenheit noch beunruhigt war, sah mit Zagen in die Zukunft und wagte es nicht, meine Blicke auf die Gegenwart zu richten.
Ich sah unaufhörlich Frau von B... auf dem Todtenbette!
O, mein Vater! o, meine Schwester! o, meine Sophie! Ich gab mir vergebliche Mühe, den quälenden Gedanken an Euch zu beseitigen.
Als der Morgen kam, drängte es mich zur Marquise zu gehen. Ein trauriges Schauspiel bot sich meinen Blicken. Es war eine schlimme Vorbedeutung, die den unglücklichsten Tag meines Lebens bezeichnen sollte.
Als ich in das Zimmer der Marquise trat, hatte sie die Augen verdreht und sagte sehr schnell:
»Ja, das ist mein Grab; aber dieses andere, für wen bestimmt Ihr es? Wo ist Faublas?« rief sie mehrere Male mich anblickend; »wo ist Faublas? eilt, benachrichtigt ihn, dass meine Feinde ihn ermorden wollen . . . dass der Marquis und der Kapitän . . . der Kapitän! er naht! er schleppt die arme Kleine! komm doch, Faublas, schnell! was hält Dich auf? komm ihr doch zu Hilfe. – Es ist nicht mehr Zeit, es ist um sie geschehen! Götter! große Götter! für sie haben sie dieses Grab neben dem meinigen gegraben.« Sie sank zurück. Ich hörte sie nur noch einige undeutliche Worte murmeln, die meinen Schmerz verdoppelten.
Der Arzt sagte zu mir:
»Mein Herr, ich darf Ihnen die Wahrheit nicht verhehlen; es ist unmöglich, dass sie bei diesem schrecklichen Fieber noch lange aushält.«
Ich ging zu Rosambert, er fing an, einige Hoffnung zu geben; doch wagte man noch nichts zu verbürgen, und ich konnte die Erlaubnis nicht erhalten, mit ihm zu sprechen.
Ich lief in ganz Paris herum, um mir die vielen zur Entführung der Frau von Lignoll nothwendigen Dinge zu verschaffen; und ich weiß nicht, welch schmerzliches Gefühl mir sagte, dass sie im Begriffe sei eine lange Reise anzutreten. Es schien mir während der Vorbereitungen zu unserer gemeinschaftlichen Reise, als sei ich von einem peinlichen Traume gequält, der bald zu Ende gehen musst; aber eine geheime Stimme sagte mir, dass das Erwachen schrecklich sein sollte.
Bei meinem Zurückkommen in das Hotel fand ich Frau von Armincour bei meinem Vater. Sie war in einem Zustand fürchterlicher Aufregung, und fragte mich, was ich mit ihrer Nichte gemacht hätte. Wir hatten uns mit Leonore auf den Besuch und die Fragen der Marquise vorgesehen, ich sollte ihr antworten:
»Madame, Ihre Nichte ist in Begleitung eines Freundes, dessen Muth und Treue ich kenne, abgereist. Sie will in der Schweiz ein Asyl suchen; sie hat die Schweiz gewählt, weil es nicht sehr entfernt von Ihrer Franche-Comté ist.«
»Lieber Chevalier, wie vielen Dank bin ich Ihnen schuldig! ich eile ihr nach, meiner theueren Nichte! Sagen Sie mir aber, wie haben Sie es gemacht, um sie ihren Feinden zu entreißen? niemand hat sie im Hotel erblickt. Niemand hat sie hinausgehen sehen! Es war kaum eine Viertelstunde, dass ich sie gesprochen hatte, als man kam, um sie zu verhaften. Sie ist gerettet! . . . aber wie! tausend Gefahren bedrohen sie noch! wenn sie auch ihren Verfolgern entgeht, was wird aus ihr werden, fern von ihrer Heimat, fern von demjenigen, den sie bis zur Anbetung liebt? Ach! junger Mann, junger Mann, Sie haben mein Kind in einen Abgrund von Elend gestürzt!«
Nach diesen Worten stand Frau von Armincour auf und entfernte sich weinend.
Ich eilte nach dem vierten Stockwerk zur Frau von Lignoll, die den ganzen Tag über in dem kleinen Zimmer meines Bedienten verborgen bleiben musste.
»Meine geliebte Leonore, ich habe Alles vorbereitet; nichts scheint unsere Flucht zu hindern; halte Dich auf die Nacht Schlag zwölf Uhr bereit.«
»Faublas, warum sprichst Du denn mit mir, ohne daran zu denken, was Du sagst? warum diese immer befangene Miene? warum dieses immer so traurige Gesicht, wenn der Augenblick naht, der uns vereinigen muss, um uns nicht mehr zu trennen, um mit einander leben und sterben zu können?«
»Soeben ist Frau von Armincour weggegangen, sie war sehr vom Schmerz niedergebeugt.«
»Ich weiß es, dass sie hier war, denn ich habe sie von diesem Fenster gesehen.«
»Meine Leonore, der Baron erwartet mich, ich muss durchaus bei Tisch erscheinen; ich werde mich so bald als möglich davon machen und wieder heraufkommen, um mit Dir zu speisen.«
»Ja, geh, Faublas, und komme bald zurück! so lange ich Dich sehe, bin ich ruhig; sobald Du nicht mehr da bist, sterbe ich vor Ungeduld.«
Sie umarmte mich, ich ging hinab.
Mein Vater sah mich alle Speisen ausschlagen; er hörte mich ihm nur einsilbig antworten, und bekümmert mich ansehend, sagte er:
»Du hast Deinen Vater und Deine Schwester nicht verlassen, um Deiner Geliebten zu folgen, wir wollen Dir auch getreu zur Seite stehen und Dich in Deinem Unglück trösten.
»Ich habe von Dir erfahren, mein Sohn, dass Herr von Rosambert vorgestern im Duell mit Herrn von B... erlegen ist; aber weiter hörte ich erzählen, dass der Marquis bei einem andern Rencontre an einem theueren Feinde eine fürchterliche Rache geübt hat. Mein Sohn, früh oder spät müssen alle Gegenstände unserer unerlaubten Neigung zu Grunde gehen; aber kannst Du nicht ein dauerndes Glück hoffen, Du, dem der Himmel vielleicht Deine anbetungswürdige Gattin wieder schenkt, deren Götze Du bist, und gute Angehörige, die Dich lieben?«
Der Baron sprach noch, als man ihm einen Brief zustellte.
»Gütiger Gott!« rief er ihn lesend, »Du hast bereits Erbarmen mit ihm! hier, mein Freund, lies selbst.«
»Endlich hat die Marquise die Strafe für ihre Verbrechen empfangen, und die unglückliche Gräfin ist nunmehr für Ihren Sohn verloren. Ihr Sohn ist jetzt, ich will es glauben, unglücklicher, als er jemals strafbar war; und die Schule des Lebens muss ihn auf immer gebessert haben. Sagen Sie ihm, dass ich ihm in zwei Stunden seine Gattin zurückbringe, und dass, wenn er ganz würdig ist, sie zu besitzen, der Tag der Wiedervereinigung unserer Kinder beständig unter meine schönsten Tage gezahlt werden soll.
Graf Lowzinski.«
Freudiges Entzücken war meine erste Bewegung; ich rief:
»Welches Glück, welches unverhofftes Glück.«
Als ich einen Augenblick nachdachte, da fühlte ich die Gefahren meiner neuen Lage, und in Verzweiflung über dieselbe rief ich:
»Mein Gott! welchen Ausweg aus diesem Bedrängnis.«
»Was hast Du denn, mein Bruder? was fehlt Dir?«
»Nichts, meine Schwester!«
»Woher kommt die außerordentliche Aufregung, in der ich Dich sehe, mein Sohn, erkläre Dich.«
»Sie fragen mich, mein Vater! Frau von B... liegt in den letzten Zügen! tausend Gefahren umschweben Frau von Lignoll, und Sie können noch fragen! Allerdings bete ich meine Gemahlin an, aber in welchem Augenblick wird sie mir wieder geschenkt! Sie wissen nur den geringsten Theil meines Kummers, der auf meinem Herzen lastet! . . . Mein Vater, ich bedarf sehr gänzlicher Ruhe, auch Du, meine theuere Adelheid, erlaube, dass ich mich frei meinen Träumereien überlasse, und deshalb bitte ich Euch, lasst mich allein, ganz allein bis zur Ankunft meiner Sophie.«
»Wohin eilst Du, mein Bruder?«
»Auf mein Zimmer, um Jasmin zu rufen; dann will ich in den Garten gehen. Folgt mir nicht, ich beschwöre Euch!«
In zwei Stunden soll Sophie zurückkehren, und ich soll heute Nacht mit Frau von Lignoll abreisen, in demselben Augenblick, wo mir die Liebe in den Armen meiner Gattin das Glück vorbereitet. Ich Undankbarer, welchen Wunsch wage ich für Sophie zu hegen. Wohl weiß ich es, welche von diesen zwei bezaubernden Frauen ich vorziehe; aber wer wird mir sagen, von welcher ich am meisten geliebt werde?
Dennoch muss ich heute, um das Glück der Einen zu sichern, die andere in Verzweiflung stürzen! möge hundertmal lieber Frau von Lignoll zu Grunde gehen!
Wenn ich aber Leonore nicht entführe, so ist sie verloren, entehrt, von ihrer eigenen Familie, so wie von der Familie ihres Gemahls. Auf mich hat sie ihre Hoffnung gesetzt; wenn ich sie verrathe, wie soll das enden!
Sollte ich am Tage, wo meine Sophie mir wiedergegeben wird, die Flucht mit ihrer Nebenbuhlerin ergreifen, und so meine Frau im Stich lassen? wenn ich mit Leonore entfliehe, so stirbt meine arme verrathene Gattin vor Kummer.
Was soll ich Unglücklicher also thun? soll ich mich durch einen raschen Tod meinen schrecklichen Verlegenheiten entziehen, und so durch ein Verbrechen ein Leben beendigen? Wenn ich mich opfere, so überlebt mich keine von beiden. Ich muss mich meinem Schicksal unterwerfen; das Gesetz selbst legt mir die Pflicht zu leben auf. Ich muss unter zwei beinahe gleich theueren und heiligen Gegenständen ein Opfer auswählen.
Große Götter! Ihr habt mir das liebendste Herz und die leidenschaftlichsten Sinne gegeben; Ihr habt gewollt, dass ich mehrere Frauen, die ausdrücklich geschaffen sind, um dem Auge zu gefallen und die Seele zu entzücken, zugleich begegnen sollte; ich habe sie alle zusammen angebetet. Dies ist Alles; wenn ich je gefehlt habe, so liegt die Schuld an Euch!
Wenn ich meine Leonore nicht entführe, so ist sie verloren; meine Sophie, wenn ich sie verlasse, stirbt vor Kummer.
Welcher Mensch wäre an meiner Stelle nach den heftigsten Kämpfen stark oder vielmehr grausam genug, um sich entscheiden zu können? Wenn mir wenigstens jemand mit hilfreichem Rathe zur Seite stehen wollte!
Mein Bedienter, der unbemerkt herbeikam, riss mich aus meinen Betrachtungen.
»Gnädiger Herr! Madame, die Sie von diesem Fenster aus bemerkt, wundert sich, dass Sie allein in diesem Garten spazieren gehen und sie allein in meinem Zimmer lassen, und bittet Sie sogleich hinaufzukommen.«
»Nun denn, so sage ihr, ich werde sogleich kommen, geh!«
»Nehmen Sie sich in Acht, gnädiger Herr; dort unten kommt der Herr Baron und Fräulein Adelheid.«
»Kehre zu Frau von Lignoll zurück, ich folge Dir.«
Ich ging gerade auf meinen Vater zu.
»Oh, ich bitte Sie inständig, lassen Sie mich frei nachdenken und weinen, lassen Sie mich allein mit meinem Schmerz. Ich werde das Hotel nicht verlassen, seien Sie ruhig! und Sie werden mich wieder sehen, sobald Sophie erscheinen wird.«
Als mein Vater und meine Schwester den Garten verlassen hatten, versank ich auf's Neue in meine schrecklichen Träumereien.
Jasmin riss mich zum zweiten Male heraus:
»Gehen Sie schnell hinauf, gnädiger Herr.«
Als ich eintrat, rief Leonore:
»Ich muss also wiederholt nach Dir schicken?«
»Meine Geliebte, glaubst Du, Deine Tante sei schon abgereist?«
»Warum diese Frage?«
»Ich dachte, dass Frau von Armincour Dich hätte mitnehmen können.«
»Mich mitnehmen! mit Dir?«
»Mit mir, das hätte sie wohl nicht gewollt, ich wäre Euch nachgefolgt.«
»Wie! dann wären wir nicht mit einander abgereist?«
»Meine Freundin, wenn dies unmöglich wäre?«
»Wer könnte es hindern? Du selbst sagtest mir vor einer Stunde, es wäre Alles bereit.«
»Vor einer Stunde wusste ich noch nicht, und konnte auch nicht ahnen . . .«
»Was konntest Du nicht ahnen?«
»Nichts, meine Leonore! – Schlag zwölf Uhr werden wir Paris verlassen.«
Ich konnte mich nicht fassen, und als sie meine Verzweiflung sah, und nach deren Ursache fragte, wiederholte ich die Frage:
»Glaubst Du, Deine Tante sei schon abgereist?«
»Was liegt mir an meiner Tante?« rief sie. »Habe ich deshalb mein Glück und meinen Ruf aufgeopfert, um mit Frau von Armincour davon zu gehen? habe ich mich ihr zu Lieb allen Arten von Unglück ausgesetzt? Faublas, je näher der entscheidende Augenblick heran kommt, um so unschlüssiger sehe ich Dich werden. Nicht Dein Vater allein ist daran schuld! nicht der Tod der Frau von B... presst Dir Thränen aus. Undankbarer! Du zitterst Dich in eine Einsamkeit zu begraben, wohin Sophie nicht dringen könnte! Mein Herr, erinnern Sie sich, dass ich meine Flucht beschlossen hatte, ehe sie nothwendig war; überzeugen Sie sich wohl, dass nicht das Verzweifelte meiner gegenwärtigen Lage es ist, was mich nöthigt im Auslande eine Zufluchtsstätte zu suchen. Wenn Sie aber keinen andern Grund haben, mit mir zu kommen, als den, mich dem Zorn meiner Familie zu entziehen, so können Sie bleiben.«
Die letzten Worte der Frau von Lignoll steigerten meine Verwirrung auf den höchsten Grad. Je näher der Abend heranrückte, um so stärker fühlte ich meine schmerzliche Ungeduld und meine heimlichen Kämpfe. Ich ging und kam unaufhörlich von dem Zimmer meines Vaters in die Kammer meines Bedienten, Alle, die ich begegnete, nach der Zeit fragend und fortwährend auf meine Uhr sehend, bald fand ich die Zeit zu kurz, bald klagte ich sie einer unerträglichen Langsamkeit an.
Endlich, als der Tag sich neigte, fuhr ein Wagen in den Hof des Hotels.
»Verzeihe, meine Leonore, da ist ein Besuch, den ich empfangen muss, ich bin im Augenblick wieder bei Dir.«
»Ein Besuch!« rief sie. Mehr hörte ich nicht; ich stürzte mich in den Corridor; Jasmin erwartete hier meine Befehle.
»Geh schnell hinauf und lass sie nicht aus Deinem Zimmer.«
Ich stieg schneller als der Blitz die Treppe hinab, und fand im Vorhofe die schönste der Frauen seit sieben Monaten noch schöner geworden. Sie warf sich in meine Arme.
»O, mein Geliebter! wäre mir dieser glückliche Tag nicht fortwährend versprochen worden, nie, nie hätte ich den Qualen der Abwesenheit widerstehen können!«
Mein Schwiegervater umarmte mich.
»Warum wurde mir nicht vergönnt, Euer beider Glück früher zu gründen?« sagte er zu mir.
Adelheid, entzückt vor Freude, theilte sich mit mir in die Liebkosungen ihrer lieben Freundin, und mein Vater drückte in glückseliger Wonne seinen Freund Herrn Duportail an seine Brust. Wir gingen Alle zusammen in die Wohnung des Barons. Die Glückseligkeit meiner Sophie, das Glück unserer Väter zu schildern wäre unmöglich. Eine ganze Stunde verstrich wie ein Augenblick; während dieser Zeit war die unglückliche Frau von Lignoll fast gänzlich vergessen.
»Ich täusche mich nicht! Ich höre schreien,« sagte der Baron. Ich sprang auf, denn ich erkannte die Stimme Leonerens.
»Verzeihung, ich verlasse Sie auf eine Minute.«
Ich traf die Gräfin in einem schrecklichen Zorn.
»Endlich sind Sie da! mein Herr, bin ich Ihre Gefangene? Ihr unverschämter Bediente wagt es, mich mit Gewalt zurückzuhalten! Sie haben Zeit genug gehabt, Ihren Besuch zu empfangen!« fuhr Frau von Lignoll fort; »ich hoffe, dass Sie mich jetzt nicht mehr verlassen.«
»Man erwartet mich zum Souper.«
»Es ist zu früh! überdies brauchen Sie heut nicht zu Nacht zu speisen. Wann reisen mir ab?«
»Leonore, ich bitte Dich um einen Tag, nur einen Tag.«
»Einen Tag! der Treulose!«
Sie stürzte sich gegen die Thüre, ich hielt sie zurück.
»Lass mich,« rief sie, »ich will hinaus.«
»Hinaus, um Dich zu Grunde zu richten!«
»Ich will hinab! ich will mit ihm sprechen! ich will ihm sagen, dass ich Deine Frau bin!«
»Ich beschwöre Dich, geliebte Freundin, bedenke, was Du über uns Alle für ein schreckliches Unglück durch diese unüberlegte und zugleich wahnsinnig leidenschaftliche Handlung heraufbeschwören würdest.«
»Treuloser! Sophie ist hier! ich habe sie aus dem Wagen steigen sehen. Ich habe sie an ihrer Taille, an ihren Haaren erkannt! wie schön sie ist; wie unglücklich ich bin! so nahe schon wähnte ich mich am Ziele meiner sehnlichsten Wünsche, und nun sehe ich alle meine beglückenden Träume in Trümmer zusammenstürzen.
»Der Grausame verlangt von mir einen Tag, ich soll da bleiben verborgen vor aller Welt, während er in den Armen einer Nebenbuhlerin . . . Einen Tag, nicht einmal eine Stunde! Höre, Faublas,« fuhr sie mit der größten Heftigkeit fort; »liebst Du mich?«
»Mehr als mein Leben, ich schwöre es Dir.«
»So rette mich! ich sage Dir, es ist kein Augenblick zu verlieren, wir müssen sogleich abreisen.«
»Sogleich! bist Du von Sinnen?«
»Es ist bereits finstere Nacht; gewinnen wir die nächste Station und das erste Gasthaus; dorthin kann uns Jasmin unsere Postchaise bringen.«
»Meine Leonore!«
»Ja oder nein!«
»Aber theuerste Freundin!«
»Ja oder nein!« wiederholte sie.
»Bedenke, dass es für den Augenblick unmöglich ist.«
»Unmöglich! Du Treuloser; erinnere Dich, dass Du mir den Tod gegeben hast!«
Sie hielt in der rechten Hand einen Dolch verborgen, den sie sich in die Brust stieß. Obschon ich ihren Arm etwas spät aufgehalten hatte, so wurde doch die Gewalt des Stoßes sehr dadurch geschwächt. Jedoch das Blut floss bald reichlich, und die Gräfin fiel in Ohnmacht! o, Himmel! o, Himmel! dies fehlte zu meinem Unglück.
»Geh, Jasmin, hole schnell den ersten Wundarzt! führe ihn zu der kleinen Gartenthür herein. Eile Dich, mein Freund!«
Ich suchte der Frau von Lignoll Hilfe zu leisten. Welche Freude folgte auf meine Todesangst, als ich mich überzeugte, dass ich durch das Aufhalten des Armes der Gräfin den Stoß glücklich abgewendet hatte; das Eisen hatte, statt in die Brust zu dringen, nur eine kleine Wunde verursacht; nichts destoweniger konnte ich die Wunde nicht verbinden. Plötzlich rief der Baron:
»Faublas, werden Sie nicht herabkommen?«
»Sogleich, mein Vater!«
Wie konnte ich meine Leonore verlassen, bevor sie den Gebrauch ihrer Sinne wieder erhalten hatte? ich blieb bei ihr und rief sie hundertmal vergebens.
Endlich fing sie jedoch an, einige Lebenszeichen von sich zu geben, als der Baron im Tone der höchsten Ungeduld zum zweitenmale rief:
»Kommen Sie nicht herab?«
»Einen Augenblick! mein Vater, einen Augenblick!«
Ich war zu Tode erschrocken, als ich den Baron, statt in sein Appartement zurückzukehren, gegen Jasmins Zimmer heraufkommen hörte. Ich hatte kaum Zeit mich des unseligen Dolches zu bemächtigen, die Thüre zuzuschlagen und mich dem Baron entgegenzustürzen. Um eine wahrscheinliche Entschuldigung zu haben, stellte ich ihm sogleich vor, dass ich trotz der Rückkehr Sophiens dennoch das Bedürfnis habe allein zu sein.
Wir gingen zur Gesellschaft zurück.
»Er hat geweint!« rief meine Frau.
»Ich weiß, mein Gemahl, das Andenken an Frau von B... kostet Ihnen diese Thränen! Ich verzeihe Ihnen, und gewiss es schmerzt mich wahrlich, dass sie so unglücklich geendet. O, mein Vielgeliebter, ich werde mich bemühen. Dir Alles zu ersetzen, was Du verloren hast, und ich werde Dich so lieben, dass Du von nun an keine andere mehr lieben kannst.« Alle meine Lieben trösteten mich und verschwendeten ihre Liebkosungen an mich; aber dieselben waren mir unerträglich. Endlich nachdem eine Viertelstunde unter den heftigsten Kämpfen verstrichen war, siegte meine Aufregung über alle Rücksichten; ich stürzte mich nach der Thüre mit dem Rufe:
»Lassen Sie mich, lassen Sie mich allein!«
Ich stieg hinauf und traf in dem Gange des vierten Stockes einen Wundarzt, der mich mit meinem Bedienten erwartete.
Ich steckte den Schlüssel in das Schloss, die Thüre öffnete sich von selbst. Ich erinnerte mich die Thüre verschlossen zu haben.
»Es ist wahr,« sagte Jasmin, »das Schloss taugt nichts.«
Ich trat in das Zimmer, Frau von Lignoll war nicht mehr darin.
Guter Gott! was war aus ihr geworden? wohin kann sie gegangen sein?
Ich stürze mich hinaus, ich begegne auf der Treppe meiner Schwester, meiner Frau, ihrem Vater und dein meinigen, ich dringe mich durch sie hindurch.
»Wohin eilst Du, mein theuerer Gemahl?« ruft Sophie in großer Bestürzung.
»Sie wiederzufinden, sie zu retten, oder mit ihr zu sterben!«
Ich befragte den Schweizer; er antwortete mir:
»Es ist vielleicht zehn Minuten, dass sie hinausgegangen ist, ich habe geglaubt, es sei eine Frau, die Madame mit sich gebracht habe.« Eine Frau, die Schutz gegen den Regen unter dem Hofthor suchte, sagte: »Ich habe soeben mit dem armen Kinde gesprochen! sie sah fürchterlich aufgeregt aus, sie schlug den Weg nach den Tuilerien ein, die arme Kleine wird recht durchnässt sein.«
Was meine Angst wirklich verdoppelte, war dieses furchtbare Unwetter, das sich eben entlud. Donnerschläge und Blitze kamen aus den schwarzen Wolken. Alles flüchtete einem sichern Asyle zu. Ich stürze mich auf den Weg und erfahre, dass sie die Richtung gegen den Pont-tournant eingeschlagen; ich eile dahin, ich finde dort einen Invaliden auf der Wacht; er sagt:
»Sie ist zweimal um das Wasser herumgegangen, dann ist sie auf die große Terasse gestiegen.«
Ich eile auf die Schildwache der Brücke zu. In diesem Augenblick, ich glaube es noch zu hören, schlug es auf dem Theatinerthurme neun Uhr. Ich rief:
»Schildwache! eine junge hübsche, weißgekleidete Frau, den Kopf mit einem Tuche umwickelt, haben Sie dieselbe gesehen?«
»Sie ist da,« antwortete er mir kalt, und streckte den Arm aus, um nach dem Fluss zu zeigen.
»Wie da?«
»Allerdings! sie hat sich soeben hinabgestürzt; man sucht sie bereits.«
Und ohne nur einen Augenblick zu zögern, stürze ich mich der Unglücklichen nach.
Im Anfang widerstehe ich kaum dem wüthenden Wasser, das sich öffnet, braust und mich fortreißt. Endlich habe ich meine Kräfte gesammelt, und in den Wogen, die mich umdrängen, suche ich auf gut Glück, was die Schiffer auch suchen. Auf einmal zuckt ein Blitz über dem Wasser. Bei der Helle, die er verbreitet, bemerke ich einen lichten Gegenstand, der aber sogleich wieder verschwindet.
Schnell tauche ich unter, erfasse die Gestalt und bringe sie ans Ufer zurück. Ewige Götter! wen bringe ich zurück! Ist dies meine Geliebte! Ich sinke neben ihr nieder, die Verzweiflung und die Erschöpfung haben mich überwältigt; ich verliere das Bewusstsein.
Die Grausamen haben mich soeben ins Leben zurückgerufen; sie fragen mich, wohin man diese Frau bringen solle; sie fragen mich nach ihrer Wohnung, nach ihrem Namen.
»Was liegt Euch daran?«
Man antwortet mir, man müsse sie untersuchen, es sei vielleicht noch möglich sie zu retten.
»Sie zu retten! mein ganzes Vermögen würde nicht hinreichen, einen so großen Dienst zu bezahlen! Schnell! Vendômeplatz. Doch nein! welches Schauspiel, welcher tödtlicher Schrecken für die Meinen! Straße Du Bac, es ist näher, Straße du Bac.«
Frau von Lignoll wurde in das Schlafzimmer neben demjenigen getragen, in welchem Frau von B... noch athmete. Die Marquise war sogar wieder vollständig zu sich gekommen. Sie erkannte meine Stimme, sie winkte mich zu sich heran.
»Was ist das für ein Lärm?« fragte sie mich mit fast erloschener Stimme. Ich wollte antworten, als ich den Grafen von Lignoll in Begleitung zweier Unbekannten eintreten sah.
»Da ist er!« rief er ihnen zu, auf mich zeigend; und einer dieser Herren näherte sich mir sogleich mit den Worten: »Ich verhafte Sie im Namen des Königs.«
Die Marquise hörte diese Worte und rief:
»Ach! Faublas, mein Untergang wird auch den Deinigen nach sich gezogen haben!«
»Ja, Unglückselige!« rief ich in einem Anfall von schrecklicher Verzweiflung, »durch Deine schreckliche Leidenschaft liegt dort ein Opfer. Leonore ist todt. Ach, warum bin ich nicht selbst am Tage gestorben, da ich Dich kennen lernte! oder vielmehr warum hat Dich nicht damals der gerechte Himmel niedergedrückt unter der Last . . .« Sie unterbrach mich.
»Unbarmherzige Götter, Ihr müsst zufrieden gestellt sein! Euere grausamste Rache ist in Erfüllung gegangen! ich sinke mit den Flüchen Faublas beladen ins Grab!«
Sie sank auf ihr Bett zurück und starb.
Und als ich wieder ins andere Zimmer kam, wo die Ärzte Frau von Lignoll umgaben, sagte einer von ihnen:
»Warum sie vor aller Welt entkleiden. Es ist kein Mittel mehr, sie ist todt.«
Zu gleicher Zeit verlor ich das Bewusstsein. Damals besonders war es eine große Unmenschlichkeit, mich ins Leben zurückzurufen.
Ja, meine Sophie, wenn ich jetzt bei Strafe, durch einen schnellen Tod von Dir getrennt zu werden, nur auf eine Stunde in denselben Zustand versinken müsste wie zu jener Zeit. Urtheile, meine geliebte Sophie, was ich gelitten habe! Ich wollte lieber Dich verlassen und sterben!
Der Baron von Faublas an den Grafen Lowzinski.
3. Mai 1785.
Ich bin entzückt, mein Freund, dass Ihr König, gerecht in seiner Güte, Sie in Ihr Vaterland zurückgerufen hat, und Ihnen neben seinem Schutz Ihre Ehrenstellen und Güter zurückgeben will. In welchem Augenblick aber haben Sie mich verlassen, wären mir nicht Ihre und meine Tochter geblieben, ich wäre unter meinem Kummer erlegen.
Ich habe Ihnen gemeldet, dass sie ihn zehn Tage im Schlosse von Vincennes behalten und dann auf meine Bitte in ein Irrenhaus nach Picpus geschafft hatten. Endlich haben sie sich des unglücklichsten der Väter erbarmt und mir erlaubt, meinen Sohn zurückzunehmen und zu Hause zu pflegen. Als ich ihn aufsuchte, erlag ich fast meinem Schmerz, denn er hat weder seinen Vater, noch meine Adelheid, noch auch Ihre Sophie erkannt. Sein Wahnsinn ist vollständig, er ist schrecklich er hat nichts als schauderhafte Bilder vor den Augen; er spricht von nichts als von Mördern und von Gräbern.
Dies ist also die Folge meiner strafbaren Schwäche.
Von einem Augenblick zum andern erwarte ich aus London einen für Krankheiten dieser Art berühmten Arzt.
Man sagt, dass niemand meinen Sohn kurieren werde, wenn es der Doktor Willis nicht kann. Er komme denn, er schenke mir meinen Sohn wieder und nehme dafür mein ganzes Vermögen.
Mein Sohn wird wenigstens nicht mehr an sein Lager gefesselt werden. Ich habe ein Zimmer auspolstern lassen, wo seine Wärter Tag und Nacht ihn hüten müssen; ich habe ihn seine erstaunten Wächter in den vier Winkeln seines Zimmers herumschleppen sehen. Wenn dieser schreckliche Wahnsinn noch einige Tage dauert, so ist es um meinen Sohn und um mich geschehen.
Erst vorgestern sind Ihre liebenswürdigen Schwestern von Briar zurückgekommen, und haben in meinem Hotel eine Wohnung neben der ihrer Nichte bezogen. Ihrer Nichte, der armen unglücklichen Frau von Faublas! was soll ich Ihnen von ihrem Schmerz sagen? er gleicht dem meinigen.
Leben Sie wohl, mein Freund. Bringen Sie Ihre Geschäfte zu Ende und kehren Sie bald zurück.
Derselbe an denselben.
4. Mai 1785, um Mitternacht.
Willis ist in der letzten Nacht angekommen; er hat den ganzen Morgen mit den Wächtern bei seinem Kranken zugebracht. Um zwei Uhr hat er zu mir gesagt, dass meinem Sohne eine Ader geöffnet werden solle, dass er ihn aber dann, um seine erste Probe zu machen, nothwendig fesseln lassen müsse. Der Unglückliche ist also aufs neue gefesselt; und in seiner äußersten Vorsicht, deren ganze Zweckmäßigkeit der Erfolg bewiesen hat, verlangte Willis, dass die Wächter des Kranken in einiger Entfernung von ihm in seinem Zimmer blieben. Um sechs Uhr abends, als alles bereit war, ist Sophie zuerst eingetreten. Er sah sie mehrere Minuten lang starr an, ohne ein Wort zu sagen; aber sein Gesicht wurde allmählig ruhiger und sein Auge nach und nach sanfter. »Endlich sind Sie da,« sagte er, »ich sehe Sie wieder! Sie sind mir wieder geschenkt, meine allzu großmüthige Freundin, nähern Sie sich, nähern Sie sich doch!«
Entzückt vor Freude ging Sophie mit offenen Armen auf ihn zu. »Hüten Sie sich!« rief der Doktor; und mein Sohn wiederholte sogleich: »Hüten Sie sich wohl! . . . ja, meine schöne Mama, hüten Sie sich wohl. Der grausame Marquis erwartet nur diesen Augenblick, um Sie zu tödten. Indes Sie sind da, welches Glück! ich glaubte Sie todt.
»Die tiefe Wunde war in der linken Brust neben dem Herzen.«
Dann trat Adelheid zitternd auf ihre Freundin zu; sie unterstützten sich gegenseitig.
»Sieh da, die Kleine!« rief er mit sehr sanftem Tone aus. »Du besuchst mich mit Deiner Gebieterin! . . . sprich, Justine! sage, warum Du, die ich immer so fröhlich sah, mir jetzt so traurig erscheinst? – Aber das ist, glaube ich, Fräulein von Brumont? Ja, es ist ein Schatten, der mich zu erschrecken kommt!« – Sogleich befahl Willis meiner Tochter, sich zurückzuziehen. Der Kranke, aufmerksam gemacht, wiederholte: »Ganz recht, ziehen Sie sich zurück – und Sie auch, Frau Marquise, die Unglücksstunde naht. Die Baronin weiß, dass Sie hier sind; Ihr grausamer Gemahl . . . ich bin unbewaffnet, er könnte Sie meuchelmorden! allzu edelmüthige Freundin, ziehen Sie sich zurück – Halt, noch einen Augenblick! gib mir erst meine Leonore wieder! gib sie mir wieder! wo nicht, so zerreiße ich Dich mit eigenen Händen.«
Sophie ergriff die Flucht; ich zeigte mich allzu schnell. Sobald er mich sah, schrie er mit entsetzter Stimme: »Der Kapitän! Du kommst hierher, mir Deine Schwester zu entreißen und zu erwürgen! warte!« bei diesen Worten nahm er einen so gewaltigen Schwung, dass seine Bande zerrissen. Hätte ich mich nicht sogleich seiner Raserei entzogen, hätten seine Wärter ihn nicht in meiner Verfolgung aufgehalten, so wäre der Vater von Sohnes Hand gefallen.
Sophie, Adelheid und ich hörten im benachbarten Zimmer zu. Er schien wieder ruhiger zu werden; aber gegen die Neige des Tages gab er Zeichen einer heftigen Bewegung, die sich mit dem Hereinbrechen der Nacht immer mehr steigerten.
Endlich sprach er in einem Tone, der uns vor Furcht und Entsetzen beben machte, deutlich die Worte: »Die Winde sind entfesselt! der Himmel steht in Feuer! die Woge brüllt! welcher Donnerschlag! neun Uhr! – sie ist da!«
Er wollte hinausstürzen, seine Wärter hielten ihn. »Warum mich aufhalten? seht Ihr sie nicht über die Fluten hervortauchen?
»Und auch Sie, mein Vater! meine Schwester, Sophie, auch Du! die ganze Welt verschwört sich gegen sie; wohlan, trotz der ganzen Welt werde ich sie retten!«
Die Männer vermochten kaum ihn zurückzuhalten; eine starke Viertelstunde kämpfte er unter ihren Händen und als ihn die Fieberhitze, welche ihm die wunderbaren Kräfte verlieh, plötzlich verließ, fiel er bewusstlos hin. Er schläft fest, aber welch ein Schlaf! nur zu gut sieht man, dass grässliche Traumbilder ihn quälen!
O, mein Sohn! mein theuerer Sohn! – strenger Gott, sei gerecht! ist er nicht allzu hart gestraft?
Soeben habe ich eine lange Unterredung mit Willis gehabt. Ich bin unendlich mit der Behandlung zufrieden, die er meinem Sohn angedeihen lässt.
Erwarten Sie die Genesung des Kranken von der Geschicklichkeit des Arztes, auf ihr beruht alle unsere Hoffnung.
Adieu, mein Freund!
Derselbe an denselben.
6. Mai 1785, 10 Uhr abends.
Im Dorfs Dugny, nahe bei Bourget, drei Stunden von Paris, habe ich ein Haus gefunden, das für die Zwecke von Willis passend schien. Es ist von einem weitläufigen englischen Garten umgeben, durch den ein ziemlich breiter, aber untiefer und ruhig fließender Bach läuft. Seine Ufer sind mit Pappeln, Trauerweiden und Cypressen bepflanzt. Am diesem Orte scheint anfangs Alles zur Erweckung freudiger Erinnerungen beizutragen, jedoch muss die Schönheit des Aufenthaltes, sein stilles Ansehen und die reine Luft, die man dort athmet, in kurzem die heftigen Leidenschaften besänftigen und die Seele zu zarter Melancholie stimmen; hier haben wir Alle uns diesen Morgen eingewohnt.
Des Abends glaubt mein Sohn, wie gewöhnlich bei Sonnenuntergang, den schrecklichen Sturm zu sehen, und die Unglücksglocke schlagen zu hören. Wie gewöhnlich wiederholt er die grässlichen Worte: »Neun Uhr! sie ist da!« Schon warf sich in Fieberanfällen der Unglückliche den Tod dieser Frau vor, welcher zu Hilfe zu eilen wir ihn hinderten, als Sophie, in einem benachbarten Zimmer verborgen, dem Rath des Arztes gehorsam aus allen Kräften rief: »Warum ihn aufhalten? man öffne alle Thüren! er sei frei!«
Sogleich schwingt er sich hinaus; eilt schneller als der Blitz hinab, und plötzlich den Bach bemerkend, wirft er sich hinein. Wir folgten ihm in einiger Entfernung, und ich selbst hielt mich zur Hilfe bereit, im Fall uns ein neues Unglück bedrohen sollte. Er schwamm gegen zwanzig Minuten, immer in der Nähe der Brücke, von der er sich hinabgestürzt hatte. Endlich kehrte er seufzend ans Ufer zurück. Er vertiefte sich ins dichteste Gebüsch, und beobachtete lange ein dumpfes Stillschweigen. Dann sprach er plötzlich: »Wenn Du nicht mehr zurückkehrst, so will ich Dir hier ein Grab graben.« Dann schien er zu lauschen, und da er nichts hörte, als die Worte, die jemand auszusprechen wagte: »Sie ist todt,« so rief er aus: »Ach! warum es mir gleich verkünden?« Er fiel in Ohnmacht, wir trugen ihn in sein Schlafzimmer.
Leben Sie wohl, mein Freund! wann kehren Sie zurück, um unsere Leiden mitzutragen?
Beinahe hätte ich vergessen, Ihnen eine Neuigkeit mitzutheilen. Ehe ich Paris verließ, erfuhr ich, dass Frau von Montdesir nach Saint-Martin geführt worden ist. Ich vermuthe, und nicht ohne Grund, dass dieses eine Wirkung des gerechten Grolls des Herrn von B... ist.
Derselbe an denselben.
7. Mai 1785, Mitternacht.
Während des Tages fand weniger Aufregung statt: man hörte ihn nicht so oft von der Marquise und dem Kapitän reden, aber diesen Abend um die fatale Stunde kehrte das schreckliche Traumbild zurück. Jetzt rief Sophie, wie abends zuvor: »Warum ihn aufhalten? man öffne alle Thüren! er sei frei!« Wie abends zuvor stürzte er sich in den Bach; aber ans Ufer zurückgekehrt, fand er in dem dunklen Gebüsch einen schwarzen Marmorstein, den Willis hatte dahin bringen lassen. Anfänglich stöhnte er; dann sahen wir ihn langsam und zitternd sich nähern. Endlich las er beim Schein einer an die Cypresse angebrachten Lampe sehr deutlich diese Inschrift: Hier liegt die Gräfin von Lignoll.
Sogleich warf er sich auf das Grabmal, er stieß einen langen Seufzer aus, aber fiel nicht in Ohnmacht. Man hatte in der Nähe des Steins mehrere Polster hingelegt, auf welche er sich nach einer leidenvollen Stunde ausstreckte und einschlief. Dann breitete man sanft mehrere Decken über ihn. Sein Schlaf schien nicht so qualvoll, wie gewöhnlich.
Ich habe zwei Cartele für ihn erhalten; eines von dem Vicomte von Lignoll, das andere von dem Marquis von B... Ach! wann wird mein Sohn im Stande sein, seinen Gegnern Genugthuung zu geben? Adieu, mein Freund!
Derselbe an denselben.
9. Mai 1785, sechs Uhr morgens.
Hoffen wir, mein Freund, schon sind einige glückliche Veränderungen eingetreten! morgens bei Tagesanbruch kehrte er selbst in sein Schlafzimmer zurück. Untertags schlief er einige Stunden. Abends bei Sonnenuntergang sah er den Sturm nicht; aber mit tiefer Bewegung sprach er: »O, mitleidige Gottheit, wirst Du mich also heute vergessen? Der Augenblick naht, eile mir zu Hilfe, befreie mich von meinen Feinden.« Sophie rief sogleich: »Er sei frei!« Er äußerte einige Zeichen von Freude, stieg ohne allzugroße Hast hinab und nahm den Weg zum Bache; aber mitten auf der Brücke hielt er inne und ließ einen traurigen Blick über die Wasser gleiten. »So ruhig und so grausam!« sprach er mit einem tiefen Seufzer. »Ach! wehe mir!«
Als er in das Gebüsch trat, stöhnte er, seufzte zum wiederholten Malen und küsste das Grabmal; dann sahen wir ihn sich wieder erheben und etwas suchen. Endlich brach er einen Cypressenzweig ab und schrieb auf den Sand rings um den Stein: Hier liegt auch die Marquise von B... Die Nacht brachte er in dem Gebüsche zu; und als ob er das Licht fliehen wollte, kehrte er mit Tagesanbruch in sein Schlafzimmer zurück.
Derselbe an denselben.
15. Mai 1785.
Willis scheint nun den dringendsten Theil seiner Kur glücklich vollendet zu haben; seit sechs Tagen kehrte das grässliche Trauerbild nicht wieder zurück. Völlige Geistesabwesenheit ist noch immer vorhanden, aber die Raserei ist ganz vorüber; und wenn ich mir nicht schmeicheln darf, dass mein Sohn je wieder zur Vernunft kommt, so bin ich wenigstens schon gewiss, dass wir seinen Tod nicht zu beweinen haben werden.
Das Andenken an den Marquis und den Kapitän quält ihn selten; und wenn er von ihnen spricht, so thut er es nicht mehr mit derselben Wuth. Er bedroht Willis nicht mehr, er schlägt seine Wärter nicht mehr, die natürliche Sanftmuth seines Charakters hat wieder die Oberhand. Auch sein Gedächtnis beginnt zurückzukehren, aber einzig für Gegenstände, die sich unmittelbar auf die Marquise und besonders auf die Gräfin beziehen. Der Undankbare unterhält sich niemals weder von seinem Vater, noch von seiner Schwester; indes geht der Name Sophie bisweilen über seine Lippen. Sollte er uns wieder erkennen? ich wage nicht es zu hoffen, und Willis erklärt, es sei noch nicht Zeit, uns vor dem Unglücklichen zu zeigen.
Alle Abende geht er auf die Stimme seiner Frau in den Park zu seufzen; aber weinen kann er nicht, auch in tiefe Traurigkeit verloren, ist er noch weit entfernt von sanfter Melancholie. In der letzten Nacht jedoch hat er mehrmals das Grabmal verlassen und in den benachbarten Alleen sich ergangen. Nicht ohne lebhaften Kummer mussten wir bemerken, dass er die düstersten wählte, mit großen Schritten lief und so oft er die Dorfglocke schlagen hörte, mit plötzlichem Schauder an den Rand des Wassers eilte und höchst beunruhigt hinabblickte, ob sich nichts auf der Oberfläche des Wassers zeige.
Willis, immer bereit, den Vorstellungen seines Kranken zu schmeicheln, wenn er darin keine Gefahr fand, hatte neben das Grabmal der Gräfin das der Marquise setzen lassen. Ich weiß nicht, warum ihr unglücklicher Geliebter nicht beide Denkmäler im demselben Gebüsch haben wollte; aber immer hat er den zuletzt gesetzten Marmorstein mit Erde bedeckt; immer hat er neben den der Frau von Lignoll auf den Sand geschrieben: Hier liegt auch die Marquise von B...
Ich bin in Furcht, ich härme mich ab, ich finde die Zeit lang. Willis sucht mich zu beruhigen; er versichert mir, dass Alles auf's beste gehe, dass man nichts übereilen dürfe. Wohlan denn! ich muss mich fügen; aber Ihre Tochter, sowie die meinige, bedürfen mit mir ihres ganzen Muthes. Man hat mir wissen lassen, Herr von Rosambert wird von seiner Wunde genesen; aber bei dem Tode der Frau von B... müssen sich sehr schwere Anklagen gegen ihren ersten Liebhaber erhoben haben.
Er hat alle seine Hofämter verloren, und man versichert, dass die Offiziere seines Corps ihm schreiben lassen mussten, sie wollen nicht länger mit ihm dienen.
Adieu, mein lieber Freund!
Derselbe an denselben.
16. Mai 1785, 9 Uhr abends.
O, mein Freund, wünschen Sie uns Glück! Ihre Tochter, Ihre anbetungswürdige Tochter hat uns Alle gerettet! Diesen Abend ruft sie: »Er sei frei!« und plötzlich stürzt sie fort, gelangt vor ihrem Gemahl in das Gebüsch und verwehrt ihm den Eintritt. »Was suchen Sie?« fragt sie ihn.
Ohne sie anzublicken erwidert er: »Ein Grab.« Und Sophie entgegnet ihm: »Warum ein Grab suchen, mein Geliebter? Deine Sophie ist nicht gestorben.« Er ruft aus: »Das ist die hilfreiche Stimme!« und seine Augen zu ihr aufschlagend: »Sophie! Götter! meine Sophie!« Besinnungslos fällt er in ihre Arme, sie hält ihn. Wir wollen ihn wegtragen.
Willis eilt herbei: »O, nein! die glückliche Kühnheit der Liebe hat seine Heilung begonnen; die Liebe vollende dieselbe, und die Natur sei hilfreich dabei! lassen wir bei diesem schon mächtig gerührten Jüngling alle Minen auf einmal sprengen! Sie, sein Vater, bleiben hier; Sie, seine Schwester, treten hinzu! er soll bei seinem Erwachen Alles, was seinem Herzen theuer ist, um sich versammelt finden.«
Faublas öffnet die Augen. »Meine Sophie!« . . . ruft er aus. »Mein Vater! – meine Adelheid! Sagt, woher kommt Ihr denn? – wo sind wir? Ich habe einen schrecklichen Traum gehabt, der mir unendlich lang zu dauern schien. Einen Traum! ach, meine Leonore! ach, Frau von B...!« Seine Gattin drückt ihn an ihre Brust, bedeckt ihn mit Küssen und wiederholt: »Mein Geliebtester, Deine Sophie ist nicht gestorben.« »Sophie!« sagt er, »Sophie wird mir mehr wieder geben, als ich verloren habe. Sophie! oh! wie strafbar bin ich! . . . Und auch Ihr Alle, verzeiht mir meine Undankbarkeit und den Kummer, den ich Euch gemacht habe.«
Er fällt uns zu Füßen, er will sprechen, er kann nicht. Endlich brechen Thränen hervor. Schluchzen erstickt seine Stimme. Willis thut einen Freudenschrei »Es ist geschehen! er ist gerettet, er ist unser! ich schwöre, dass er unser ist.«
Indessen hat er sich wieder erhoben, er fühlt sich sehr schwach. Auf die Arme seiner Frau und Schwester gestützt, geht er langsam nach dem Hause zurück. Er überschreitet die Brücke, ohne in den Bach zu sehen; dann aber wendet er das Haupt, wirft einen Blick auf das Gebüsch, von dem wir ihn entfernen. »Erbarmen,« sprach er zu uns, »habt Erbarmen mit einem Rest von Schwäche; zerstört dieses Grabmal nicht.«
Soeben haben wir ihn zu Bett gebracht; gleich darauf ist er tief eingeschlafen. Ihre anbetungswürdige Tochter hat uns Alle gerettet.
Derselbe an denselben.
18. Mai 1787, nachts 11 Uhr.
Er hat achtunddreißig Stunden ununterbrochen geschlafen, und seit er wieder erwacht ist, spricht und thut er nichts, das nicht voll Besinnung und Gefühl wäre. Zwar überlässt er sich von Zeit zu Zeit grausamen Erinnerungen; aber ein Wort von seinem Vater, eine Liebkosung von seiner Schwester, ein Blick von seiner Frau verscheuchen seinen Trübsinn. Kurz, Willis verlangt sogar, dass man sich bemühe den Genesenden zu zerstreuen, aber er verbietet, dass man seine nächtlichen Spaziergänge störe. Nur Sophie ist es gestattet in den Park zu gehen.
Diesen Abend ist er in dem kritischen Augenblick hinabgegangen und ohne den Bach zu betrachten, langsam allenthalben umhergewandelt. Am Ende jedoch hat er sich in das Gebüsch begeben. Sophie erwartete ihn dort. »Komm, mein Geliebter, wir wollen zusammen weinen.« »Es ist wahr,« sprach er, »dass dieses Denkmal meinem Schmerz gefällt; aber es muss eine Inschrift haben.« –
»Machen wir sie, mein Freund. Ich habe meinen Bleistift bei mir, diktiere, ich will schreiben; wir werden sie dann einsticheln lassen.«
»Hier liegt die Gräfin von Lignoll.
Sie starb im 17. Jahre ihres Lebens.
Hier liegt auch die Marquise von B...
Sie starb im 26. Jahre, im höchsten Glanz ihrer Schönheit.
Beklaget die Marquise von B...
Beweinet Frau von Lignoll.
Beweinet am meisten ihren Geliebten, der sie überlebt hat.«
»Mein Geliebter, Deine Sophie ist nicht gestorben.« – »Ich Unsinniger!« rief er aus; »streiche diese letzten Worte.«
Die lieben Kinder sind zusammen zurückgekehrt. Jetzt ist Faublas ebenso tief eingeschlafen, als ob er die letzte Nacht gewacht hätte. Leben Sie wohl, mein Freund! kehren Sie doch zurück, kehren Sie zurück, um unsere Freude zu theilen.
N. S. Die Baronin von Fonrose ist, sagt man, ganz unkenntlich. Man versichert, dass sie trostlos über die Entstellung ihres Gesichts sich auf immer in ein altes Schloss in Vivarais einschließen will. Diese Frau hat mir viel übles gethan.
Derselbe an denselben.
18. Juni 1785, 10 Uhr morgens.
Er hat seine Kräfte, seine Fülle, seine Frische wieder erlangt; aber immer ist er gedankenvoll und melancholisch. Alle Abende geht er in den Park, um bei dem Denkmal zu weinen.
Jetzt, da der bedenkliche Anfall ohne Zweifel keine gefährliche Folgen hat, darf ich Ihnen nicht länger eine schreckliche Angst verschweigen, die uns an einem Tage der letzten Woche mein Sohn verursacht hat. Der Tag war sehr heiß geworden; bei Sonnenuntergang gab es ein Gewitter. Als Faublas das Sausen des Windes hörte, schien er sehr bewegt; er konnte nicht ohne Zittern die Sturmwolken sehen; beim ersten Donnerschlag stürzte er sich in das Wasser; aber sogleich gewann er das Ufer wieder und rief uns Alle herbei; er weinte viel. Die folgende Nacht verlief ruhig, und wenn Sie Tags darauf meinen Sohn gesehen hätten, so wäre es Ihnen unglaublich gewesen, dass er abends zuvor einen so heftigen Anfall gehabt habe.
Willis hat mir keine trügerischen Hoffnungen gemacht; er hat mir erklärt, dass Faublas vielleicht in seinem ganzen Leben keinen Donnerschlag hören könne.
Besonders hat er mir aufgetragen, meinen Sohn niemals nach Paris zurückkehren zu lassen, weil es möglich wäre, dass er beim Anblick des Pont-Royal in den schrecklichen Zustand wieder zurückfiele, dem wir ihn mit so großer Mühe entrissen haben.
Ihm die Rückkehr nach Paris nicht zu gestatten! wo werden wir denn wohnen? auf meinem Landsitz? oder vielleicht in Warschau? Der Vorschlag, den Sie mir in Ihrem letzten Briefe gemacht haben, mein Freund, verdient reifliche Erwägung.
Mein Vaterland, das Land meiner Väter verlassen, um in dem Ihrigen mit meinen Kindern mich festzusetzen! ich verlange Bedenkzeit von Ihnen. Inzwischen übrigens, bis ich einen Entschluss fasse, empfangen Sie, mein theuerer Lowzinski, meine besten Glückwünsche, dass Ihnen endlich Ihr Name, Ihre Güter, Ihre Ämter, Ihre Würden auf einmal zurückgegeben sind. Boleslaw und Ihre Schwestern schwimmen in Freude; er spricht von nichts, als Sie aufzusuchen. Ich fühle wohl, dass, wenn ich mit meiner Adelheid in Frankreich bleiben will, ich auf meinen Sohn verzichten muss, denn niemals könnten Sie sich entschließen, von Lodoiska's Tochter getrennt zu leben.
Ich weiß es wohl, dass mit ihrem Geist, ihrem Vermögen und ihrer Schönheit meine Adelheid überall eine vortheilhafte Verbindung finden wird; aber einen alten Namen in Frankreich zurücklassen! mich von dem Grabmal meiner Väter entfernen! ich verlange von Ihnen Bedenkzeit dazu.
Vorgestern habe ich meinem unglücklichen Sohne wahrlich unabsichtlich einen großen Kummer bereitet. Sie erinnern sich vielleicht jenes reichen Kästchens, das uns Jasmin am Tage der fürchterlichen Katastrophe in Faublas Zimmer zugestellt hat. Der ebenso verschwiegene als treue Bediente wollte mir nie sagen, woher diese Diamanten kamen; vorgestern habe ich sie meinem Sohne gezeigt; er brach sogleich in Thränen aus. Dieses Schmuckkästchen war das seiner Leonore. Ah! wie bedauere ich, es nicht errathen zu haben. Er küsste jedes Stück in dem Kästchen eines nach dem andern; dann rief er in großer Aufregung: »Jasmin, bringe dies sogleich dem Herrn Grafen von Lignoll; sage ihm, dass ich das mindest reiche, aber kostbarste Stück für mich behalten habe; sage ihm in meinem Namen, dass der Kapitän eine Memme sei, wenn er nicht komme, den Ehering seiner Schwägerin von mir zurückzuverlangen.«
Vielleicht war dies der Augenblick, meinem Sohne das Cartel des Vicomte zu zeigen; aber ich fürchtete, der junge Mann, dessen schreckliche Leidenschaft ich kenne, möchte dadurch allzu sehr angegriffen werden.
Soeben erfahre ich, dass die Marquise von Armincour in der Franche-Comté von einer gefährlichen Krankheit befallen ist; ich fürchte, ihr Kummer möchte sie tödten. Die arme Frau! sie betete ihre Nichte an, und die Kleine war wirklich sehr schön und verdiente es. Ich werde mich wohl hüten, meinem Sohn etwas von den Gefahren der Tante zu sagen; er wirft sich das Unglück der Nichte bitter genug vor.
Willis hat eingesehen, dass dieser feurige und unglückliche junge Mann einer Beschäftigung bedürfe, und dass er einen würdigen Gegenstand brauche, um seine Melancholie vorerst zu fixiren und dann zu zerstreuen; er rieth ihm, die Geschichte seines Lebens niederzuschreiben. Ihre Tochter ist damit einverstanden, ebenso auch ich.
Gestern ist Willis nach London abgereist; er wollte nichts annehmen; ich habe ihn genöthigt, mir seine Brieftasche anzuvertrauen, in die ich meine Einkünfte von vier Jahren in Bankscheinen gelegt habe. Dies ist eine der Gelegenheiten, wo man bedauert, nicht zehnmal reicher zu sein. Ich begleitete ihn eine Strecke Wegs. Gehen Sie, Willis! nehmen Sie die Segnungen einer ganzen Familie mit, und verdienen Sie einstens die Segnungen eines ganzen Volkes.
Auch Ihre Tochter ist wieder glücklich; ihr Geliebter und ihr Gatte sind ihr heute Nacht wieder geschenkt worden. Unsere glücklichen Kinder sind nun für immer vereint.
Leben Sie wohl, mein Freund!
Derselbe an denselben.
26. Juni 1785, abends vier Uhr.
Ich nehme Ihre Vorschläge an, mein Freund, ich bin beinahe genöthigt dazu. Heute wurde in aller Frühe meinem Sohne ein Kabinetsbefehl zugestellt, der ihm gebietet, seine Reisen ins Ausland binnen vierundzwanzig Stunden zu beginnen.
Ich komme von Versailles; ich habe meine Freunde gesehen, ich habe die Minister gesehen; es scheint, dass Faublas Verbannung auf eine lange unbestimmte Zeit beschlossen ist. Wie Schade! wenn mich nicht die Vaterliebe blendet, so war dieser junge Mann bestimmt, in seinem Vaterlande etwas zu werden.
Ich habe vierzehn Tage für die nöthigen Vorbereitungen zu unserer Reise verlangt; sie wurden mir nur unter der Bedingung bewilligt, dass der Chevalier diese ganze Zeit über das Haus in Dugny nicht verlasse.
Noch vierzehn Tage, mein Freund, dann reisen wir Alle zusammen ab, und sind sobald als möglich bei Ihnen.
Adieu! Ich sage Ihnen nichts von der Ungeduld Ihrer Tochter; Dorliska schreibt Ihnen mit jedem Courier.
Der Chevalier von Faublas an den Vicomte von Lignoll.
6. Juli 1785.
Der Herr Baron hat mir soeben erst Ihr Billet mitgetheilt, das ich schon lange wünschte. Kapitän, Frau von Lignoll, die Ihre Wuth zu Grunde gerichtet hat, ist noch nicht gerächt; die Zeit scheint mir lang!
Wenn übrigens Ihre Ausforderung nichts als plumpe Injurien und unverschämte Prahlereien enthielte, so würde ich nicht darüber staunen! aber ich kann Ihre raffinierte Grausamkeit nicht genug bewundern. – Sie verlangen, dass Vater und Sohn sich an demselben Tage und in derselben Stunde gegen die beiden Brüder schlagen! Sie verlangen es? seien Sie zufrieden. Der Baron und der Chevalier von Faublas werden sich am 15. d. M. in Kehl einfinden, wo sie bis zum 16. den Grafen und den Vicomte von Lignoll erwarten werden.
Derselbe an den Marquis von B...
6. Juli 1785.
Herr Marquis!
Der Herr Baron hat mir soeben Ihr Billet zugestellt, das ich nur mit sehr schwerem Herzen beantworte. Wenn Sie es durchaus verlangen, so werde ich am 17. d. M. in Kehl sein, wo ich mich bis zum 20. aufhalten werde; aber meine feurigsten Wünsche gehen dahin, dass Sie, zufrieden die Versicherungen meines lebhaften Bedauerns hiermit zu vernehmen, Paris nicht verlassen möchten.
Ich habe die Ehre u. s. w.
Der Chevalier von Faublas an den Grafen Lowzinski.
Kehl, 14. Juli, morgens zehn Uhr.
Mein theuerer Schwiegervater!
Bin ich nicht sehr zu beklagen? Alle, die ich liebe, wollen aus übel verstandener Großmuth ihr Leben aufopfern, um das meinige zu retten; gleich als ob von zwei Liebenden oder zwei Freunden der Unglücklichste nicht derjenige wäre, der den andern überlebt.
Diesen Morgen kommen die beiden Brüder an.
Der Graf von Lignoll gibt bei meinem Anblick einigen Zorn zu erkennen; allein er erblasst, seine Stimme zittert, und an seiner Haltung sehe ich unschwer, dass der Herr Graf von seinem Bruder genöthigt, ein Zeichen der Kraft von sich zu geben, lieber keine Erklärung mit mir zu haben wünschte.
Der Kapitän wirft mir einen wilden Blick zu und sagt in einem ebenso drohenden als ironischen Tone: »Ich bin der, der die Ehre haben will, Dich zu den Schatten zu schicken.«
Übrigens erkläre ich allen Beiden, dass unser Kampf ein Kampf auf Leben und Tod ist. »Deshalb,« fuhr er mit einem Blick auf meinen Vater fort, »wehe dem, der bloß einen Weichling oder einen Gecken zum Sekundanten hat.
»Chevalier, ich erkläre Dir, dass ich, sobald ich Dich getödtet habe, meinem Bruder helfen werde, diesem Herrn den Garaus zu machen« (er zeigt auf meinen Vater). Ich ergreife die Hand des Barbaren, ich drücke sie ihm kräftig. »Abscheulicher! und ich sollte Dir nicht Dein verruchtes Leben entreißen?«
Mein Vater und ich lassen Ihre Schwestern, die meinige und Sophie unter der Aufsicht Boleslaws und entfernen uns mit unsern zwei Gegnern. Kaum außerhalb der Wälle steigen wir aus.
Ich ziehe meinen Degen; oh, meine Leonore, Deine Manen schreien nach Rache, empfange das Blut, das fließen wird!
Der Kapitän ruft: »Warum verlangst Du nicht auch, das man Euch in dasselbe Grab werfe?«
Er kommt auf mich zu; wir beginnen einen wüthenden Kampf, der lange vollkommen gleich ist.
Indes hatte mein Vater seit mehren Minuten einen leichten Sieg über den Grafen von Lignoll erhalten; aber zu ehrenhaft, um gegen den Kapitän die schrecklichen Bedingungen zu erfüllen, die der Kapitän indes selbst vorgeschrieben hatte, bleibt mein Vater ein ruhiger Zuschauer meiner immer größeren Anstrengungen. Endlich wird der Vicomte getroffen; aber mein Degen stößt auf eine Rippe und zerbricht.
Mein Gegner, der mich beinahe entwaffnet sieht, glaubt ein leichtes Spiel zu haben; glücklicherweise ist sein Arm geschwächt, und ich kann seine Stöße noch mit dem Stumpf, der mir geblieben, parieren.
Erschreckt durch die Ungleichheit des Kampfes stürzt sich mein Vater, mein allzugroßmüthiger Vater zwischen uns. »Halt!« ruft er mir seinen Degen gebend, »Du wirst Dich seiner besser bedienen, als ich.« Während er spricht, bietet er dem Vicomte seine Seite bloß.
Der Vicomte stößt zu! er wollte zum zweiten Male stoßen, als ich ihn mit dem schon von seines Bruders Blut gerötheten Degen bedrohe und nöthige, einzig an seine Vertheidigung zu denken . . .
Der Unmensch, ich habe ihn gestraft! er hat sich im Staube gewälzt, während der Baron, die Augen gegen Himmel erhoben, sich noch mit seiner rechten Hand und seinen Knieen hielt.
Der Wütherich, er ist todt; aber vor seinem letzten Seufzer hat er den Sohn ohne Wunde die schleunigste Hilfe dem Vater zuwenden sehen.
Herr Gott im Himmel, stehe mir bei, mein theuerer Vater ist in Gefahr; beklagen Sie mich!
Liebe, unglückselige Liebe, wie viel Unheil hast Du über uns Alle gebracht! Der Courier reist ab.
Ach, beklagen Sie Ihre Kinder; sie lieben Sie alle, sie sind Alle in tiefer Trauer.
Ich bin mit aller Hochachtung u. s. w.
Derselbe an denselben.
17. Juli 1785, morgens zehn Uhr.
Mein theuerer Schwiegervater!
Sophie schreibt Ihnen regelmäßig jeden Morgen; Sie wissen, dass die Wunde des Barons nicht gefährlich ist, wie man anfangs sie dafür hielt; Sie wissen gewiss auch schon, dass wir uns in vierzehn oder zwanzig Tagen wieder auf den Weg werden begeben können, glücklich genug, mit dem grausamen Verdruss, uns einige Wochen später mit Ihnen zu vereinigen, davon zu kommen.
Vernehmen Sie jedoch das günstige Ereignis von heute.
Sophie, Adelheid und ich hatten die Nacht bei dem Baron zugebracht; meine Schwester und meine Frau waren beide gleich erschöpft, soeben schlafen gegangen.
Ich wartete, um Sophie zu folgen, bis eine der Tanten meinen Platz an dem Bette des geliebten Kranken einnähme, den wir durchaus keinen Augenblick fremder Pflege überlassen wollten; es war höchstens sieben Uhr morgens.
Auf einmal setzt mich mein Bedienter mit der Nachricht in Erstaunen, dass jemand unter vier Augen mich zu sprechen wünsche. Mit Recht unruhig sagt der Baron zu mir:
»Befehlen Sie ihm, mir die Wahrheit zu sagen. Es ist der Marquis?«
»Jasmin, ich verbiete Dir zu lügen. Ist es der Marquis?«
»Gnädiger Herr, nicht er selbst fragt nach Ihnen, aber er lässt Ihnen sagen, dass er Sie hinter dem Walle erwartet.«
»Mein Sohn,« ruft mein Vater, »Du hast Herrn von B... schwer beleidigt, aber ich brauche Dir nur ein Wort zu sagen; wenn Du nicht in einer Viertelstunde zurück bist, so sterbe ich vor Ende dieses Tages.«
»In einer Viertelstunde werden Sie mich wiedersehen, mein Vater!« Ich umarme ihn und entferne mich.
Bald habe ich meinen Gegner gefunden. »Herr Marquis, ich schmeichelte mir mit der Hoffnung, dass Sie nicht kommen würden.« Er blickte mich mit düsterer Miene an, und ohne mich einer Antwort zu würdigen, legte er sich aus.
Ich stoße einen Schrei aus: »Dieser Degen! es ist derselbe?« . . . »Ja,« sagte er, »und zittere!« Sogleich ziehe ich den meinigen und stürze mich auf ihn, in der Absicht, ihn bloß zu entwaffnen.
Nach einigen Minuten habe ich das Glück, den unheilvollen Degen zehn Schritte weit wegzuschleudern. Ich stürze mich fort, ergreife ihn, komme zum Marquis zurück und setze ein Kniee auf die Erde mit den Worten:
»Erlauben Sie mir, diesen Degen zu behalten, nehmen Sie den meinigen mit nebst der Versicherung, die ich Ihnen erneuere . . .«
Er unterbrach mich: »Ah! muss ich ihm abermals das Leben verdanken?«
Mit diesen Worten stieg er zu Pferd und verschwand.
Ich bin mit Hochachtung u. s. w.
Der Vicomte von Valbrun an den Chevalier von Faublas.
Paris, 15. Oktober 1786.
Schon allzulange haben Sie uns verlassen, mein lieber Chevalier; aber müssen wir außer Ihrem Verlust auch Ihre Gleichgiltigkeit beklagen? Haben Sie denn bei Ihrem Abschied aus Frankreich alle Ihre Freunde vergessen? warum beobachten Sie auch das tiefste Stillschweigen gegen einen Mann, der Ihnen nie den geringsten Anlass zur Klage gegeben hat? machen Sie Ihr Unrecht gegen mich wieder gut; und wenn Sie nicht wollen, dass ich Sie des Undankes beschuldige, so geben Sie mir mit dem nächsten Courier recht ausführliche Nachrichten von sich und Ihrer Familie.
Die öffentliche Stimme hat mir gesagt, dass Sie im Begriff seien, die Memoiren Ihrer Jugend zu vollenden.
Ich habe geglaubt, dass Sie mit Vergnügen die jetzigen Verhältnisse einiger Personen erfahren würden, deren Sie in der Geschichte Ihrer Liebesabenteuer oft gedenken müssen.
Die Marquise von Armincour lebt, von untröstlichem Gram verzehrt zurückgezogener als je auf ihrem Landgut bei Franche-Comté. Die Baronin von Fonrose, die entsetzlich geworden ist, geht nicht mehr aus ihrem alten Schlosse zu Vivarais. Der Graf von Rosambert hat sich ebenfalls genöthigt gesehen, die große Welt zu verlassen; die Gräfin ist zu Ende des achten Monats ihrer Ehe niedergekommen.
Herr von Rosambert, den bei allem seinen Unglück seine Heiterkeit nicht verlässt, behauptet scherzhaft gegen jeden, der es hören will, der kleine Junge seiner Frau habe große Ähnlichkeit mit Fräulein von Brumont; er würde, fügt er hinzu, alles in der Welt darum geben, wenn Herr von Lignoll, dem keine Affection der Seele entgehe, der Frau von Rosambert den Puls fühlen könnte, wenn man es wage, vor ihr von dem Chevalier von Faublas zu sprechen; oder wenn Herr von B..., der sich so gut auf Physiognomien versteht, das Gesicht dieses Kindes prüfen könnte.
Der Lafleur, der in den Diensten der Unglücklichen stand, deren Namen ich Ihnen nicht schreiben werde, war Kammerdiener des Witwers geworden; allein er ließ sich beikommen, seinen Herrn zu bestehlen, der aber die Diebe nicht liebt und ihn deshalb in die Hände der Gerechtigkeit lieferte.
Justine hat seit vier Monaten ein öffentliches Haus verlassen, wo die etwas strenge Behandlungsweise sie nicht eben schöner gemacht hat; das arme Kind wusste nichts Besseres zu thun, als die Köchin und das Faktotum einer Madame Leblanc zu werden, die Frau eines Arztes in Faubourg Saint-Marceau.
Man versichert in diesem Stadtviertel, dass Gebieterin und Dienerin öfters ausgehen, die halbe Stadt zu magnetisieren.
Der Graf von Lignoll, den Ihr Herr Vater nicht sehr gefährlich verwundet hatte, lebt strotzend von Genie mehr als von Gesundheit.
Nichtsdestoweniger haben Spötter das Gerücht verbreitet, der Herr Graf habe sich im letzten Frühjahr einfallen lassen die Wunderarzenei des Doktors Rosambert zu trinken, und habe dann vierundzwanzig Stunden lang einige Lust verspürt, sich wieder zu verheiraten; allein er habe in dieser kurzen Zeit keine Frau finden können, die unglücklich genug gewesen wäre, ihn zu wollen.
Übrigens müssen Sie wissen, dass seine Charaden fortwährend Europa entzücken.
Der Marquis von B... befindet sich gut; er ist noch immer, wie er selbst sagt, ein sehr guter Teufel; doch er geräth in Wuth, so oft er eine Physiognomie trifft, die der Ihrigen gleicht; übrigens ist er mit der seinigen immer noch zufrieden und bedauert sogar zuweilen die seiner Frau.
Leben Sie wohl, lieber Chevalier! ich erwarte Ihre Antwort mit Ungeduld, u. s. w.
Der Chevalier von Faublas an den Vicomte von Valbrun.
Warschau, 28. Oktober 1786.
Ich bin, mein lieber Vicomte, außerordentlich erfreut, dass Sie mir Nachrichten geschickt, die ich wünschte, und da Sie den verbindlichen Wunsch aussprechen, zu erfahren, was aus uns geworden ist, so beeile ich mich, es Ihnen mitzutheilen.
Seit fünfzehn Monaten bewohnt unsere Familie in Warschau den Palast des Grafen Lowzinski; fünfzehn Monate sind wie ein Tag verstrichen.
Mein Schwiegervater steht bei dem Monarchen in der höchsten Gunst.
Mein Vater, der beste der Väter, lebt glücklicher durch das Glück seiner Kinder, als durch sein eigenes Glück.
Unsere Adelheid hat sich dieser Tage den Woywoden von *** zum Gatten ausersehen, einen jungen Mann, dessen glänzendstes Lob in den zwei Worten ausgesprochen ist: Er scheint mir ihrer würdig zu sein.
Ich selbst bin Vater, vor nicht ganz vier Monaten hat mich Sophie mit dem hübschesten Jungen von der Welt beschenkt.
Meine Sophie, die erste Zierde des Warschauer Hofes, wird mit jedem Tage anbetungswürdiger.
Ich genieße im Schoße des Familienlebens ein Glück, von dem ich während meiner Verirrungen keine Ahnung hatte.
Indes beklagen Sie mich, ich habe mein Vaterland verloren und kann bei der Armee der Republik keine Stelle annehmen; ich muss vielleicht auf mein ganzes Leben dem Stande entsagen, zu dem ich geboren schien.
Alle Bemühungen der Kunst, alle Bemühungen meiner Vernunft vermögen nichts gegen ein geliebtes Fantom, das mich verfolgt und dessen häufige Erscheinungen mich quälen.
O, Frau von B...! Sind Sie nur deshalb für Ihren Geliebten ins Grab gestiegen, um sich ohne Unterlass an seine Fersen zu heften?
Wenn nur ihr Schatten allein mich verfolgte! aber die rächenden Götter haben Faublas zu noch theuereren und traurigeren Erinnerungen verurtheilt.
Wenn in einer Sommernacht der Südwind sich erhebt, wenn der Donner sie zerreißt, dann höre ich eine unglückselige Glocke ertönen, ich höre einen fast unmenschlichen Soldaten zu mir sagen: »Da ist sie!« Plötzlich von einem unüberwindlichen Entsetzen ergriffen, von einer thörichten Hoffnung getäuscht, renne ich zu der brausenden Woge; ich sehe mitten in den Wellen eine Frau sich abkämpfen . . . ach, eine Frau, die ich weder vergessen, noch erreichen darf. Oh, beklagen Sie mich!
Doch nein. Sophie bleibt mir.
Statt mich zu beklagen, beneiden Sie mein Los und sagen Sie nur, dass es nur für Menschen von glühendem Gefühl, die in ihrer ersten Jugend den Stürmen der Leidenschaft preisgegeben waren, nie mehr ein vollkommenes Glück auf Erden gibt.
Ende.