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(Zweite Form der metaphysischen Erotik)
Minne, diu der werlde ir fröide mêret!
Heinrich von Morungen.
Die Liebe trägt latent das Bedürfnis nach Unendlichkeit in sich, ihr tiefstes Wesen ist die Sehnsucht, über alles Erreichbare hinaus zu wachsen, ist die Ekstase als Sinn der Welt. Der große Erotiker ist der Mensch, dessen Essenz und eigenste Wirklichkeit im Fühlen ruht, der das Gefühl zur Vollendung führen muß – und der an der Unvollendbarkeit alles menschlichen Fühlens scheitert. Wir erkennen in ihm eine der tragischen Gestalten, mit denen die Menschheit überhaupt ihre Grenzen erreicht. Das ist ja ihre letzte Tragik, daß die Seele, die den unentrinnbaren Willen hat, sich zu vollenden, an den Schranken alles Menschentums zerbricht.
Die Tragik des großen Tatmenschen ist viel weniger prinzipiell als die der anderen großen Charaktere, weil seine Grenzen keine absolut menschlichen, sondern nur seine eigenen zufälligen sind. Er empfindet – auch schon vermöge seiner unmetaphysischen Veranlagung – nicht die Schranken, die der handelnden Menschheit überhaupt gesetzt sind, sondern er gelangt nur an sein individuelles, also an ein relatives Ende. Anders der Denker, der Künstler, der Religiöse und der Erotiker. Vgl. über diese vier Typen bei Oscar Ewald »Gründe und Abgründe«. Der Denker besitzt die höchsten Geisteskräfte der Menschheit, er ist die erkennende Menschheit und er erfährt das schier unerträgliche Leid, daß sich das Sein von der Erkenntnis nicht greifen lassen will. Der große Künstler hat das Höchste geschaffen – aber er trägt im Herzen das Ideal vollkommener Schönheit, von dem nur er weiß und das sich ihm doch entzieht; der Heilige hat alle menschliche Vollkommenheit in sich verkörpert – und steht entsetzt vor der Unzulänglichkeit, die auf allem Menschensein lastet; der große Erotiker ist der Heros des Fühlens, er will sein Gefühl zum Gipfel bringen – da stößt er auch schon an die Grenzen des Lebens.
Es gibt verschiedene Wege, auf denen der Erotiker zur Vollendung schreiten kann, sie entsprechen den großen erotischen Typen. Auf den Liebessucher oder den Don Juan werde ich später kommen, vom Anbeter der Frau, der auf Erden keine Befriedigung findet, ist schon gesprochen worden. Anders als sie verhält sich der große und seltene Erotiker, der Erfüller der letzten Form der Liebe, der eine Frau der Wirklichkeit ganz und ohne jede Einschränkung liebt. Je intensiver ein Mensch fühlt, desto schwerer kann er den andern Menschen finden, der ihn wirklich ergänzte. Bei erotisch undifferenzierten Naturen (die geistig hoch genug stehen können) ist ein Individuum des andern Geschlechtes annähernd durch ein anderes zu ersetzen, je höher aber die Differenzierung und die innere Kraft des Gefühles wächst, desto schwerer ist ein solcher Ersatz denkbar und desto seltener kann diese vollkommene Liebesergänzung wirklich werden; desto gewaltiger ist dann aber auch die Leidenschaft, die im extremen Fall erweckt wird. Sie tritt mit dem unabweisbaren Bewußtsein des Einmaligen und des Endgültigen auf, sie führt das höchste Glück und das höchste Leid mit sich. Eine Liebe, die den Menschen mit absoluten erotischen Forderungen aus seiner Gefühlseinsamkeit erlösen könnte, ist selten; geschieht aber das kaum zu Erwartende, so wird vor solch einer Liebe alles Sonstige nichtig, das Leben wird als ein Ganzes von der Leidenschaft zusammengefaßt und unter ihren Bann gezwungen (man denke an Michelangelo). Dieser Liebende stürzt sich mit der Forderung des Unbedingten in die Liebe hinein, er will ganz in ihr vernichtet und ganz aus ihr heraus neu geboren werden.
Aber gerade in der mächtigsten Liebe findet der eine seine unübersteigbare Grenze am andern, am Geliebten. Sie sind zwei Menschen und nicht eine einzige unteilbare Einheit. Die Urtatsache der Einzelperson, der Individualisierung des Lebens, erhebt sich wie eine letzte Schranke. Je intensiver die Liebe ist, desto verzweifelter rennt sie gegen diese Mauer an, gegen die Unmöglichkeit, ganz ineinander aufzugehen, die Liebe ganz zu erfüllen, desto ungestümer fordert sie eine andere gemeinsame Existenzform. Die Einzelheit und die ewige Zerspaltenheit des Seins wird nun als ein Fluch empfunden. Diesen Liebenden scheint es unmöglich, fortan noch gesondert weiter zu existieren.
Die große erotische Persönlichkeit, die wider alles Erwarten doch einen zweiten Menschen gefunden hat, dem sie sich rückhaltlos und mit dem Gefühl der Ewigkeit hingeben kann, hat in sich selbst das höchste und einzige Glück entdeckt – und sie wird sich auch schon selbst, in ihrem Sosein und Seligsein, eigentliche Ursache aller Unseligkeit. Die Vereinzelung und die ewige Zerspaltenheit alles Lebens ist gerade durch die Persönlichkeit, das höchste Glück für Erdenkinder, als tragischer Fluch hell bewußt geworden. Die Seele erkennt ihr eigenes Grundprinzip und das Prinzip ihrer Seligkeit, die Tatsache ihrer Sonderung und ihrer Grenzen gegen alles übrige, als unerträglichen Schmerz, weil durch sie diese letzte ersehnte Vereinigung mit dem andern unmöglich gemacht wird, weil alles Sondersein auf dem »Und« ruht, mit dem die Zweiheit gesetzt ist. Der höchste Wert der europäischen Menschheit, zu dessen Aufbau und Vollendung alle höchsten Kräfte verzehrt worden, alle Opfer gebracht worden sind, die ausgebildete Persönlichkeit erkennt sich selbst und sich selbst gerade dort, wo sie sich ganz zu vollenden meinte, in ihrem zuhöchst gesteigerten Fühlen – als das Prinzip des größten Leides, als das, was durchaus nicht sein sollte. Nicht ihre Vollendung, sondern ihre Aufhebung wäre erst das wahrhaft und eigentlich Ersehnte.
Wir stehen hier an der Grenze des Menschlichen überhaupt: hat der größte Denker an den Schranken seiner Erkenntnis die Schranken aller menschlichen Erkenntnis angetroffen und ist er so zum Repräsentanten der denkenden Menschheit geworden, die ihr Ziel, Einsicht in das Wesen der Welt, nimmer erreichen kann, so hält der größte Erotiker noch um einen Schritt weiter. Er hat in der höchsten Vollendung seiner Persönlichkeit die Grenzen aller Menschheit erreicht – und er erkennt, daß sie unerträglich sind. Der seltenen Liebe des Seltenen quillt aus sich selber das Prinzip ihrer Unvollendbarkeit, denn nur in der Zerstörung ihres Ursprunges, in der Vernichtung ihrer selbst könnte – vielleicht! – die Schranke fallen, die sie vom andern scheidet. So entsteht in solch einer Seele mit Notwendigkeit der Gedanke und der Wille, mit der Geliebten zusammen der unerträglichen Einsamkeit des Daseins zu entfliehen, was im Leben nicht möglich ist, im Tode zu vollenden, einen geahnten anderen, höheren Zustand des Daseins zu verwirklichen, mit der Geliebten ein einziges zu werden – gleichviel was! –, endlich alle menschliche Sonderexistenz in eine neue geahnte Allexistenz zu wandeln – »Selbst dann bin ich die Welt!« Alles Einzelne und damit alles Leben, wie wir es kennen, versinkt, der gemeinsame Tod aus der Liebe und durch die Liebe ist die mystische Pforte des höheren Seins. Die letzte Ekstase der Einheit soll entstehen, die das Leben nicht schenken kann, weil es ewig an der Zweiheit scheitern muß – der Liebestod. Er bedeutet den verzweifelten Versuch, diese für menschliches Ermessen endgültige Erlösung aus dem Einzelnen, das aufs höchste gesteigert ist, zu gewinnen, und es ist durchaus charakteristisch, daß ihn gerade Wagner einmalig und groß dargestellt hat, dessen eigenstes Problem von Anfang an die »Erlösung« gewesen ist.
Es wäre ein Irrtum, wollte man in dem Gedanken des Liebestodes eine Abkehr von der Weltanschauung Europas, vom Weltgefühl der Persönlichkeit sehen und einen Sieg der kraftlosen Lehren des Ostens, die das Nichtsein über das Sein (d. h. über das gestaltete Sein) stellen. Denn in dem Entschluß der zuhöchst gesteigerten Persönlichkeit, über sich selbst hinaus eine neue und als positiv gefühlte Form der Existenz zu schaffen, liegt gerade der Kern des Liebestodes. Er wird als letzte Synthese empfunden, sowie (auf anderem Gebiet) das Zusammenfallen des rein Ideellen mit dem Persönlichen die Verklärung der menschlichen Existenz bedeutet. Wie wäre es denkbar, die Einzelseele, die Quelle aller persönlichen Liebe, übersteigen und aufheben zu wollen, hätte man sie nicht vorerst als das Wesentliche und Wertvolle vorausgesetzt. Wo persönliche Liebe nicht besteht, wie bei Orientalen und Japanern, da wäre der Gedanke des Liebestodes ganz unsinnig. Und wenn sich indische Witwen verbrennen lassen, so ist das genau das entgegengesetzte Phänomen: sie geben als leibeigen, als Sache eine durch den Tod des Besitzers herrenlos und sinnlos gewordene Existenz auf, ohne ein wirkliches Opfer zu bringen und ohne von Liebe bewegt zu sein. –
Völlige Einheit der Liebenden für eine kurze Stunde ist ja auch auf Erden möglich, und fast immer wird sich die erotische Sehnsucht mit ihr begnügen. Diese Vereinigung kann auf zwei Arten geschehen: die selige Ruhe der Liebenden ineinander, die alle Wünsche zum Schweigen bringt und die Zeit ihrer Herrschaft zu entsetzen scheint.
Da ruht das Herz und nichts vermag zu stören
Den tiefsten Sinn, den Sinn, ihr zu gehören.
So Goethe (Elegie); und ein neuerer Dichter:
Hülle ein, du Wunderbare,
In dein Zaubertuch Vergessen!
Lasse deine selig-klare
Ruhe um mich sein!
Gib mir, den du hast, den Frieden,
Alle Fernen sind verrauscht.
Diese engen Schatten frieden
Schweigend mich und alles ein.
Neben dieser idyllischen Erfüllung der Liebessehnsucht, die alles einzelne und Leidvolle der Seele stillt und das kurze Glück der Einheit schenkt, gibt es die andere ekstatische Erfüllung des gemeinsamen Taumels. Er bringt das Sonderbewußtsein der Liebenden fast zum Erlöschen und läßt nichts übrig als die gemeinsame sozusagen nur einfach (nicht mehr doppelt) empfundene Verzückung, die Körper und Seele in sich hineinreißt, die Leidenschaft, die so sehr Lust ist, daß sie die Lust nicht mehr als etwas Gesondertes wahrnimmt, sondern sich des ganzen Seins in einer veränderten Lage bewußt wird. Die Lust, von der ein großer Psychologe behauptet hat, sie wolle Ewigkeit, hat sich in ihrer höchsten Vollendung selbst aufgehoben, sie weiß nichts mehr von sich und geht in der geahnten Einheit der Liebenden unter. Sie will nicht »tiefe Ewigkeit« – dies ist vielmehr nur ihr vorletztes Stadium, der Vorhof (über den Nietzsche im Erotischen niemals hinausgekommen ist); im innersten Heiligtum aber verschwindet die Lust, sie hat ihren Sinn verloren, weil sie vor der neuen Bewußtseinslage der völligen Zusammengehörigkeit nichtig wird. Die höchste Ekstase der großen Liebe erbringt den Beweis, daß die Gipfelpunkte des menschlichen Fühlens fern von Lust und Unlust stehen – sie wissen auch von keinem Schmerz mehr – und daß sie die Grenzen des Lebens nicht anerkennen. So muß dem höchsten Rausch der Liebe der Gedanke seiner eigenen Ewigkeit, die Aufhebung des Einzelbewußtseins durch die Liebe entkeimen. Hier führe ich das Zeugnis einer Frau, der deutschen Dichterin Erika Rheinsch an:
Im Sturm der Liebe
Den Mund jetzt aufzutun, wär' nicht genug.
Kein Wort, kein Kuß selbst könnte alles sagen,
Was sich an Seufzern, Jubel, Glück und Klagen
Zu dir entwinden will mit Blitzesflug.
Hier hilft nicht Hoffnung, hilft kein fromm Gebet,
Gott selbst kann mich nicht ganz mit dir vereinen,
Die Augen stehn mir bei mit bittrem Weinen
Und löschen nicht die Glut, die in mir fleht.
Den Bann jetzt abzutun – die Brust entblößt,
Das Herz zerrissen und mein Blut verströmend,
Für dich des Todes Schärfe in mich nehmend,
O dunkle Lieb', dann wärest du erlöst!
Wir erkennen, wie sich die Liebe mit nichts Vorletztem mehr begnügen kann – sie muß den letzten heroischen Schritt tun, der über Körper und Seele hinaus ein Neues, Endgültiges erschafft –, denn »Gott selbst kann mich nicht ganz mit dir vereinen!« Der Liebestod ist die letzte und notwendige Folgerung der gegenseitigen Liebe, der alles andere für nichts gilt und die sich selbst verewigen will, auf daß nichts Fremdes mehr eintreten könne. Die beiden Gewalten Liebe und Tod überragen das Leben schicksalhaft und geheimnisvoll, vor ihnen verliert der einzelne Lebensinhalt alle Wucht, sie haben nur mit einem ganzen Menschenleben als einer zusammengefaßten Einheit zu schaffen. Wenn ein Mensch im höchsten Maß von der Liebe ergriffen wird, ebenso wenn er vor dem Tode steht, dann wird alles sonst klein, vor der Majestät des Liebestodes schließt sich das Leben zusammen, um ergriffen und in eine (geahnte) neue Form verklärt zu werden.
Der Gedanke des Liebestodes ist das unbedingteste Gefühlspostulat, das jemals erhoben worden ist, der Wille, daß der Gang der Welt vom Gefühl beherrscht werde. Denn der Liebestod ist der definitive und nicht mehr rückgängig zu machende Sieg des Gefühles, er ist die Ekstase als Lösung des Weltproblems und des Weltprozesses. Ist es doch den Menschen natürlich, Liebe und Tod als Gegensätze zu empfinden, beide in den weitesten Abstand voneinander zu rücken; Hochzeit und Begräbnis sind ja die Pole des bürgerlichen Daseins. Die Ekstase des Liebestodes aber legt vermöge ihrer alles natürliche Sein übersteigenden Forderung die beiden Pole ineinander. Der höchste Gipfel des Lebens muß auch sein Ende sein.
Hier ist der oft geahnte Zusammenhang von Liebe und Tod zu finden, hier, in der freiwilligen Hingabe des Lebens an eine geahnte gemeinsame Existenz, nicht in der Verbindung: Zeugen und Zerstören. Nicht Wollust und Tod greifen ineinander, wie seit Novalis so häufig wiederholt worden ist (wenigstens nicht auf der höheren Stufe der Erotik); sondern die Wollust hat ihr Dasein hingegeben, sie ist im Liebestod vernichtet worden. Die Ansicht, daß Zeugen und Zerstören verwandt seien, beruht im Grund auf der Annahme, daß mit der Liebe die Fortpflanzung gesetzt sei, daß im Geschlechtstrieb schon der Instinkt, ein Kind zu erzeugen, liege – der verhängnisvolle Irrtum aller modernen Theorien über die Liebe, eine rationalistisch-metaphysische Abstraktion, der nichts Lebendiges in der Menschenseele entspricht. Es ist ja sicherlich ein schönes Bild, daß die geahnte Verwandtschaft von Liebe und Tod auf einer Verknüpfung von Werden und Vergehen beruhe – aber nicht mehr. Die moderne synthetische Liebe bringt diesen Zusammenhang in ihrer metaphysischen Vollendung aus sich selber hervor, dem Stadium der reinen Sinnlichkeit und der seelischen Liebe ist er fremd. (Wo das Bedürfnis zu vernichten mit der Sinnlichkeit zusammen auftritt, sind offenbar krankhafte Triebe im Spiel.)
Es kommt nicht selten vor, daß Liebende in den Tod gehen, weil äußere Momente ihre Vereinigung hindern. Das ist ein Schritt, der dem Selbstmord wegen unbefriedigter Eitelkeit oder wegen Krankheit entspricht: Das Leben ist dem von einer fixen und nicht erfüllbaren Idee Besessenen unerträglich und er wirft es fort. Dies hat offenbar mit dem Liebestod nichts gemein, denn es ist ein Akt der Verzweiflung, etwas Negatives, die Zerstörung des Lebens, während der Liebestod eine durchaus positive Tat ist, der Wille, alle Zerrissenheit aufzuheben und eine – für uns unvorstellbare und paradoxe – höhere metaphysische Einheit zu gewinnen. Der Liebestod will das Wunder schaffen. Er ist vielleicht niemals in seiner ganzen Größe verwirklicht worden; man könnte versucht sein, an den gemeinsamen Tod Heinrich von Kleists und Henriette Vogels zu denken, muß dies aber schließlich auch abweisen. Kleist hat sich während der letzten Tage seines Lebens wohl in die Idee des gemeinsamen Todes in der Liebe hineingesponnen und schreibt an seine Cousine Marie von Kleist: »Wenn du wüßtest, wie der Tod und die Liebe sich abwechseln, um diese letzten Augenblicke meines Lebens mit Blumen, himmlischen und irdischen, zu bekränzen, gewiß, du würdest mich gerne sterben lassen. Ach, ich versichere dich, ich bin ganz selig.« Und im gleichen Briefe spricht er vom »wollüstigsten aller Tode«. Aber es ist doch kein wirklicher Liebestod, das heißt ein Tod, der als notwendige Konsequenz erfolgt, damit die Liebe ganz vollendet sei. Sowohl Kleist als auch Henriette sind schon früher, jeder für sich, entschlossen gewesen, freiwillig in den Tod zu gehen, und da sie – eigentlich zufällig – von dieser gemeinsamen Absicht Kenntnis erhalten haben, ist ihnen die neue Wollust, vereint zu sterben, aufgegangen. Die Liebe hat dabei keine allzu große Rolle gespielt. Kleist schreibt im selben Brief weiter: »Der Entschluß, der in ihrer Seele aufging, mit mir zu sterben, zog mich, ich kann dir nicht sagen, mit welch unaussprechlicher und unwiderstehlicher Gewalt, an ihre Brust. Erinnerst du dich wohl, daß ich dich mehrmals gefragt habe, ob du mit mir sterben wolltest? – Aber du sagtest immer nein!« – Hieraus und aus anderen Äußerungen geht mit Bestimmtheit hervor, daß sich Kleist auf jeden Fall getötet hätte und daß er nur diese besondere Gelegenheit benützt hat, in die Wollust des gemeinsamen Todes unterzutauchen.
Der Gedanke des Liebestodes ist im Gefühl wahrhaft Liebender nicht selten lebendig. So heißt es z. B. in der Schlegelschen Lucinde: »Dort (im andern Leben) wird dann vielleicht die Sehnsucht voller befriedigt.« Und in den Briefen Lenaus an Sophie Löwenthal klingt der Gedanke mehr als einmal an.
Aber seine Vollendung und Verewigung hat er erst in Wagners » Tristan und Isolde« gefunden. Es ist Wagners welthistorische Tat, diesen Gefühlskomplex zum ersten- und vorläufig zum letztenmal in der größten Weise durchgelebt und verkörpert zu haben; sein Liebespaar tritt als das absolute Liebespaar für die liebende Menschheit in ihrer höchsten Vollendung ein, Tristan und Isolde repräsentieren die Gipfelpunkte alles menschlichen Fühlens. Wagner hat die metaphysische Form der einheitlichen Liebe verewigt, seine Bedeutung für sie ist weit größer als die Dantes für die Vergöttlichung.
Schon im ersten Akt hat die Verwechslung des Liebestrankes mit dem Todestrank einen tieferen Sinn: sowohl Tristan als auch Isolde suchen den Tod, weil sie von den äußeren Hindernissen ihrer Liebe zu sehr erschreckt sind. Aber Tod und Liebe sind schon von Anfang in ihnen eins gewesen, die Ahnung ist da, daß ihre Liebe nur in diesem Letzten, Endgültigen zur Ruhe kommen könne. Gleichzeitig empfangen sie von der Liebe ein neues Leben und werden Schritt für Schritt durch sie in den Tod geführt. Im tiefsten Sinn ist eine Verwechslung der beiden Tränke gar nicht eingetreten, sondern durch den »Liebestrank« ist ihnen nur alles das bewußt geworden, was in ihren Seelen, bereit aufzuwachen, geschlummert hat. Tristan besitzt schon in dem Augenblick, da ihm von Isolde der Todestrank gereicht wird, die Gewißheit, daß es der Tod durch die Liebe sei, den sie ihm gewährt: »In deiner Hand den süßen Tod, als ich ihn erkannt, den sie mir bot« usw. – und ebenso Isolde: »Dem Licht des Tages wollt' ich entfliehn, dorthin in die Nacht dich mit mir ziehn, wo der Täuschung Ende mein Herz mir verhieß, wo des Trugs geahnter Wahn zerrinne: dort dir zu trinken ew'ge Minne mit mir, dich im Verein wollt' ich dem Tode weihn.«
Der zweite Akt führt nun die beiden tiefer und tiefer in den Abgrund ihrer Liebe hinein, immer bestimmter wissen sie, daß ihnen nur noch das letzte übrig bleibt, Schritt für Schritt entdecken sie das Geheimnis der mystischen Vereinigung, das sich ihrer Sehnsucht langsam enthüllt – und doch sind sie noch immer eingeschlossen in die Grenzen ihrer Individualität und können das Wunder nicht ganz verstehen. »Wie es fassen? wie es lassen, diese Wonne, fern der Sonne, fern der Tage Trennungsklage?« Denn es ist das eigentliche Geheimnis der Welt, das hier von der Liebe gelöst werden soll – letzte Einheit einer Seele mit einer andern und endlich Einheit mit allem Sein. Immer klarer und zwingender wird der Gedanke des gemeinsamen Todes erfaßt und festgehalten; sie fühlen, daß sie, um ganz Eins zu werden, dieses Leben aufgeben müssen, daß mit ihm nichts, was für sie wesentlich ist, vernichtet werden kann – »Was stürbe dem Tod als was uns stört?« – und endlich spricht Tristan den entscheidenden Gedanken aus, dem Isolde Wort für Wort, wie schlafwandelnd, nachtastet, um sich ihn zu eigen zu machen: »So starben wir, um ungetrennt ewig, einig, ohne End', ohn' Erwachen, ohn' Erbangen namenlos in Lieb' umfangen, ganz uns selbst gegeben, der Liebe nur zu leben.« – Als großartiges künstlerisches Symbol für diesen ins Metaphysische hineinschreitenden Bewußtseinszustand wird wie ein Gemeinsames über Liebe und Tod die Nacht eingeführt; sie verkörpert die jenseitige und für unsere Organe nicht mehr vorstellbare Existenz im Gegensatze zum irdischen Tag, zu des »Tages täuschendem Schein«. (Dies ist später von Nietzsche in seinem Symbol für alles Erhabene, der Mitternacht, nachgebildet worden.) Die sich anfangs im Tagesbewußtsein zu hassen glaubten, ahnen nun, der Weltennacht entgegenwandelnd, das Neue, das jenseits alles Truges und aller durch ihre gesonderte Individualität bedingten Zweiheit stehen muß. Diese Zweiheit wird äußerlich durch ihre verschiedenen, von dem »Wörtlein Und« getrennten Namen ausgedrückt. Sie wissen mit einemmal, daß die große Liebe nicht mehr im Tage der Welt zu vollenden ist, daß sie auf ein jenseitiges Sein weist. Sie haben dem Leben und der Welt einen letzten Sinn gefunden – die Aufhebung des individuellen Daseins und den Tod durch die Liebe, ganz analog der letzten Weisheit der Mystiker, selbst Gott zu werden. »Selbst dann bin ich die Welt.« Der Tod steigt hier absolut organisch und notwendig aus der höchsten Liebe auf. Wie sie aber dieses Hereinbrechen des für menschliches Fühlen Unfaßbaren zitternd ersehnen und erwarten – da reckt die Erdenwelt noch einmal ihre Arme nach ihnen, langsam verrinnt der Traum der höchsten metaphysischen Erotik im Orchester, »Tagesgespenster, Morgenträume« haben das Neue, Geahnte verdrängt.
Die aufsteigende und sich ins Nichts verlierende Horn- und Violamelodie, mit der der dritte Akt beginnt, drückt dann die völlige Trost- und Sinnlosigkeit des Tagesdaseins aus, nachdem der tiefste Sinn, die Neuschöpfung der Welt aus der Liebe heraus, verloren gegangen ist; ebenso das Motiv des englischen Hornes. Dieses Gefühl der absoluten Sinnlosigkeit muß den Aufwachenden beherrschen, Tristan deutet es im Geiste Schopenhauers als die allgemeine Zwecklosigkeit der Welt und des Lebens, gibt aber doch nur der Vernichtung seiner eigenen Wertsehnsucht Ausdruck, da er das Höchste geahnt und verloren hat. Und es ist eine geniale Intuition Wagners, daß auch die eigene Schuld in der höchsten Steigerung der Liebe und der Persönlichkeit erkannt ist, daß Tristan sich selbst und die Geliebte verfluchen muß, weil die Liebe als ihre letzte Konsequenz diese absolute Forderung des Liebestodes erhebt, die sich nimmer erfüllen kann: »Den furchtbaren Trank, ich selbst, ich hab' ihn gebraut! ... Verflucht sei, furchtbarer Trank! Verflucht, wer dich gebraut!«
In dem Musikstück am Schluß des dritten Aktes, das unter dem (nicht ganz zutreffenden) Namen »Isoldes Liebestod« bekannt ist, hat Wagner, nachdem vorher in den letzten Worten Tristans – »Wie, hör' ich das Licht?« – die Unzulänglichkeit der irdischen Sinne ausgedrückt worden ist, den Versuch gemacht, den metaphysischen Zustand der Liebeseinheit selbst zu schildern, der für unser Bewußtsein naturgemäß nur die negativen Merkmale des Undenkbaren und Unfühlbaren, kurz des »Unbewußten«, haben kann. Dies sollte künstlerisch, das heißt mit positiver Anschauung erfüllt sein, eigentlich ein Widerspruch in sich, und Wagner ruft hier alle Sinne zu Hilfe – Ton, Licht, Duft –, um dieses Untertauchen in des »Weltatems wehendem All« ahnen zu lassen. Man kann von diesem Zustand nur das eine aussagen, daß die Zweiheit der Seelen und endlich die Vielheit der Welt überhaupt in eine höhere Einheit erlöst ist – eigentlich eine negative Aussage. Da wir es aber mit dem Gefühlsleben der Liebenden zu tun haben und nicht mit unsicheren metaphysischen Behauptungen, dürfen wir sagen, daß solch ein Sterben nicht »Totsein« heißt, vernichtet, aufgehoben, zerstäubt sein – sondern anders sein, vollkommener sein in der Liebe. Es ist ja das Erstaunliche dieses Gefühlskomplexes, daß das wirkliche Leben nicht mehr ertragen werden kann, und daß ein anderes geschaffen wird, ohne nach Möglichkeit und Wahrheit zu fragen; dem Gefühl der Liebenden scheint göttliche Schöpferkraft zuteil geworden zu sein.
Die Musik von »Tristan und Isolde« hat für das noch niemals von Menschen Gefühlte einen Ausdruck gefunden, wie er noch niemals gehört worden war. Sie scheidet sehr deutlich zwischen den kommensurabelen Teilen des Tagesbewußtseins (etwa in den Partien Kurwenals und des Königs, die meistens in Dur stehen; der König, Kurwenal und Brangäne begegnen dem neuen Phänomen mit Sympathie, aber ohne jede Möglichkeit des Verständnisses) – und den inkommensurabelen, metaphysischen, dem eigentlichen Inhalt. Die Harmonie, auf der das Werk ruht, und die weder Dur noch Moll ist, hat durchaus den Charakter des Sich-über-die-Welt-hinaus-Sehnenden, das vom gewöhnlichen harmonischen Bewußtsein, von der irdischen Welt aus gesehen, als gebrochen und ruhelos empfunden wird (das Motiv der metaphysischen Liebessehnsucht, mit dem das Vorspiel einsetzt). Aus diesem Transharmonischen ist das ganze Werk wie aus einem Keim hervorgewachsen, Musiker und Nichtmusiker empfinden diesen Grundcharakter, der es von aller anderen Musik scheidet. »Tristan und Isolde« wurde daher von Nietzsche das »opus metaphysicum« genannt, und dieses Metaphysische ist die letzte Vollendung der modernen Liebe, die geforderte Einheit von Liebe und Tod.
Die den Liebestod aus sich heraus verwirklichen, gleichen dem großen Ekstatiker, dem alles irdische Sein nicht mehr genügen kann, weil er in die höhere kosmische Existenz eingehen muß. Sein eigentliches Erlebnis ist die Aufhebung der Einzelseele in Gott, er will sich ohne Mittler in die göttliche Liebe ergießen. Die in Liebe Sterbenden wollen unmittelbar nur die Einheit miteinander, erst durch sie die geahnte Auflösung in ein metaphysisches Sein. Der Liebestod ist die erotische, zweimenschliche Form der mystischen Ekstase, sie konnte erst reifen, nachdem die höchste Form der Liebe ausgebildet gewesen ist. Abermals muß neben Goethes Pater ecstaticus der unvergleichliche Jacopone genannt werden, auf den meine Darstellung immer wieder trifft, weil er vielleicht der größte aller metaphysischen Erotiker ist. An die Schlußverse der Isolde erinnern seine:
O Liebesgluten,
Gewaltige Meerfluten,
Wer kann eure Tiefe erspähen?
Wer in euch ertrunken,
Ist völlig versunken
Und kann seine Stätte nicht sehen;
Torheit begehen
Heißt Hohes verstehen,
Wenn töricht uns macht die Liebe. –
(Schlüter und Storck.)
Die metaphysische Erotik ist ein Produkt des europäischen Geistes, denn sie hängt an der Persönlichkeit, die die Liebe verewigen will. Aller Orientalismus steht diesem Fühlen fremd und verständnislos gegenüber, fehlt ihm doch die Voraussetzung der Persönlichkeitskultur. Der Semite, der Inder und der Japaner kennen nur die zum Taumel gesteigerte Sinnlichkeit; sie aber kreist ruhelos zwischen Genuß und Erschöpfung um sich selber und ist zur ewigen Unfruchtbarkeit verdammt. Alle religiös-sexuellen Orgien, von denen uns die Geschichte erzählt, sind Versuche der Sinnlichkeit, sich eines Höheren zu bemächtigen – ein vergebliches Bemühen, weil aus wahlloser Vermischung, aus der Aufhebung alles Individuellen nichts Neues entsteht.
Es ist nach Hegel der immanente Sinn alles Weltgeschehens, daß das Individuum aus der Knechtschaft in die Freiheit wachse; aber vielleicht liegt der Sinn der steigenden Kultur noch mehr darin, daß sich der Mensch selber finde und als Persönlichkeit fühle (was sicherlich keinen Widerspruch zu dem andern bedeutet). Die metaphysische Erotik ist die Vollendung der Persönlichkeit in der Liebe. Zugleich mit der Geburt der Persönlichkeit ist die Frau vergöttlicht worden, die Vernichtung der zuhöchst gekommenen Persönlichkeit, die letzte schmerzhafte Konsequenz aus ihrem selig-unseligen Wesen, gebiert den Gedanken des Liebestodes. Wie die antiken fackeltragenden Genien stehen die beiden metaphysischen Formen der Liebe zu Häupten und zu Füßen des seiner selbst bewußten Menschen. Hier und dort schreitet das erotische Fühlen über alle Grenzen hinaus, es wird Weg zu den letzten Geheimnissen des Daseins: die Vergöttlichung erschafft ein überirdisches weibliches Wesen als erotische Vertreterin alles Göttlichen. Dies ist eine produktive Tat, gleichzeitig erotisch, künstlerisch und religiös, sie bindet nicht den ganzen Menschen, sondern sie bringt aus sich selbst junge Kräfte für alles Höhere hervor, weil sie ein neues Gefühlsreich mit neuen Inhalten schafft. Zugleich mit der Projektion der Frauenliebe in die Ewigkeit sind ja die Keime zu allem Großen gelegt worden, auf dem unser höheres Geistesleben noch heute ruht. Die Vergöttlichung will Gestalt und Individualität über alles Irdische hinaus, in die Ewigkeit. Aber sie ist Liebe von einer Seite her, Liebe ohne Antwort (wenn die Antwort nicht aus dem Kunstwerk spricht), Erotik des einsamen Menschen – und als solche noch heut in seltenen Geistern lebendig. Die Frauenanbetung ist die natürliche und höchste Form der Liebe für den Mann, der seine Vollendung nicht in der Zweiheit, in Wechselwirkung mit einem andern Menschen sucht, sondern allein – aber doch auf einen Menschen gerichtet, nicht wie der Mystiker gestaltlos. Denn der Traum der vollendeten Frau ist der einzige der Erotik, den die Wirklichkeit niemals enttäuschen kann, weil er von der Wirklichkeit nichts fordert. Es liegt zweifellos eine gewisse Paradoxie darin, daß das eigentlich soziale Gefühl einsam erlebt und einsam vollendet wird, da ja sein Wesen in der Zweiheit verankert ist, daß es auf das scheinbar wichtigste Element der Liebe, auf Erwiderung und Gegenseitigkeit Verzicht leistet.
Der Liebestod entspricht insofern vollkommener dem erotischen Ideal, als er auf absoluter Gleichheit und Einheit von Geben und Nehmen beruht. Er findet die höchste Steigerung des Gefühles nicht in der Einsamkeit, sondern zusammen mit dem geliebten Menschen. Der einsam Liebende hat ein Widerstreben gegen die schrankenlose Hingabe. Der ganz der Geliebten Zugewandte kann wiederum die Liebe des Einsamen nicht verstehen; sie scheint ihm unnatürlich, kalt, vielleicht sinnlos und verrückt. Die Frauen kennen eigentliche Einsamkeit nicht, das Gefühl der Vergöttlichung ist ihnen fremd, sie erreichen das Höchste nur mit dem Mann, durch den Mann, es wird ihnen sogar leichter als ihm, sich dem Geliebten bis in den Tod hinzugeben. Hier aber kann ich den Zweifel nicht unterdrücken, ob dieses Grundgefühl der mystischen Weltvereinigung auch bei den Frauen so ganz zu finden ist, ob ihnen auch wirklich hinter dem Geliebten noch etwas steht – die Ewigkeit.
Während die Vergöttlichung alles Große aus sich heraus zu schaffen vermag und frühlinghaft, gläubig ist, beansprucht der Liebestod mit seinem düstern Pathos der Unbedingtheit und Einmaligkeit den ganzen Menschen, er vernichtet alles außer sich selbst. Er hat nicht wie die Frauenanbetung die Kraft zur Neuschöpfung, denn es gibt nichts mehr über ihn hinaus. Man darf sagen, daß der Liebestod die mystisch-ekstatische Religiosität verwirklicht, während in der Vergöttlichung der Frau das religiöse Bedürfnis nach Anbetung sein Genügen findet. Beides sind Verbindungen von Liebe und Religiosität, metaphysische Erotik, paradox und doch folgerichtig aus dem menschlichen Fühlen erwachsen. –
Wir können die überschwengliche Sehnsucht, die mit jeder starken Liebe wenigstens im Anfangsstadium verbunden zu sein pflegt, noch in einem andern, sozialen Sinne deuten. Das erotische Verhalten ist die intensivste und unmittelbarste aller Beziehungen, die ein Mensch zu anderen Menschen haben kann, in der Unerfüllbarkeit seiner letzten Sehnsucht drückt sich die echteste Tragik des Lebens unter den Menschen, des sozialen Daseins aus. Das Bedürfnis, das den einen zum andern führt, entbehrt so auch in diesem Bunde die Möglichkeit, sich ganz zu vollenden. Wenn aber selbst das mächtigste aller sozialen Gefühle (und wie manche glauben, die Wurzel aller anderen) mit innerem Zwiespalt geschlagen ist, dann darf man wohl den Schluß als bündig hinstellen, daß die weniger intensiven Formen der Verbindung von Mensch zu Mensch dasselbe Los werden teilen müssen, oder aber in der Gedankenlosigkeit des Alltags versanden und allen Wert verlieren. Die menschliche Gesellschaft birgt, wo sie tief und seelisch – nicht ökonomisch – gefaßt wird, den Keim ihrer tragischen Unvollendbarkeit in sich. Welches auch die sozialen Beziehungen sind, in die wir eingehen, immer wieder finden wir, daß sie einen Bruch im Herzen tragen, und je inniger und echter, je reiner von Nützlichkeitserwägungen sie sich halten – die hier der Bedeutung der Sinnlichkeit im Erotischen entsprechen –, desto schmerzlicher macht sich dies fühlbar, sei es nun in der Freundschaft, sei es in dienender Unterordnung, in freier Geselligkeit oder in anderen zwischenmenschlichen Relationen. Jede Beziehung von Mensch zu Mensch ist mit dem Fluch behaftet, sich nicht ganz vollenden zu können, sie wollte denn auf das Ausschöpfen des Letzten verzichten, und selbst die Liebe kann diesem Schicksal nicht entgehen. Sie erzwingt in der Anbetung der Frau eine Erhebung über die Erde hinaus, oder sie stürzt sich in die letzte Umarmung des gemeinsamen Todes – das heißt, sie erkennt schaudernd ihre Unerfüllbarkeit. –