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Achtes Kapitel.
Der Brotkorb wird hoch gehängt

Da Leon merkte, wie uneigennützig Cara war, so konnte er diejenigen Bitten, welche nicht auf Geld abzielten, um so weniger abschlagen. Cara verlangte von ihm im Namen ihrer Liebe, daß er ihr den größten Theil seiner Zeit widme, und welch' süßeres Verlangen hätte sie einem jungen Manne stellen können, der bis über die Ohren verliebt war und nur noch bei seiner Geliebten sich wohl und glücklich fühlte!

Leon sagte zu. Er verbrachte seine Tage mit Cara. Morgens zum Dejeuner stellte er sich auf dem Boulevard Malesherbes ein und blieb dann bis spät Nachts. Er fuhr mit ihr spazieren, besuchte die Vergnügungslokale und die Theater an ihrer Seite und war schließlich stolz darauf, vor aller Welt als Geliebter Cara's bewundert zu werden.

Aber obgleich Cara selbst verlangt hatte, daß Leon stets in ihrer Gesellschaft sei, so hatte sie sich doch zwei Tage in der Woche vorbehalten, an welchen sie der Gesellschaft Leons freiwillig entsagte.

»Weshalb? Warum diese Ausnahmen?

Mit der grenzenlosen Liebe, welche Cara ihm einzuflößen verstand, war auch die Eifersucht in sein Herz eingezogen und er konnte nicht umhin, erst leise, dann lauter die Gründe zu fordern, weshalb Cara an den Sonntagen und am 17. jeden Monats allein sein wolle. Aber immer antwortete sie ihm ausweichend, bis sie eines Tages ärgerlich wurde und fast zornig ausrief:

»Also du bist eifersüchtig, gestehe es nur. Wohl, wenn es so ist, ist es besser, daß wir uns sofort trennen. Ich schwöre dir, verstehe mich wohl, daß ich dich nicht betrüge, aber eine andere Erklärung kann ich dir nicht geben. Nimm sie, so wie sie ist, oder verlaß mich. Verstehe doch endlich, daß mir die Eifersucht unausstehlich ist. Es giebt Frauen, die glücklich sind, wenn man sie im unschuldigen Verdacht der Untreue hat, aber auch andere, die im Gegentheil nichts so sehr verachten, als das Mißtrauen in ihre Liebe.

Leon schwieg, aber er konnte sich nicht beruhigen und so beschloß er, auf andere Weise als durch Fragen ausfindig zu machen, wo Cara an den Sonntagen und am 17. jeden Monats ihre Zeit hinbringe. Der Zufall kam ihm zu Hilfe.

Es war am 17. des laufenden Monats, als Leon melancholisch auf dem Père Lachaise, dem großen Todtenhofe von Paris, spazieren ging. Plötzlich bemerkte er in der Ferne eine Frau, die ihm eine große Aehnlichkeit mit Cara zu haben schien. Sie war vor einem Marmorpostament niedergesunken und pflanzte in die Beete, welche dasselbe umgaben, frische Blumen ein, welche sie in einem Körbchen mitgebracht hatte. Da die Dame ihm den Rücken zukehrte, konnte er ihr Gesicht nicht deutlich sehen. Endlich machte sie eine Bewegung … es war Cara. Schnell versteckte sich Leon hinter einen Grabstein, damit sie ihn nicht sähe und glaube, er überwache sie. Eine halbe Stunde verstrich, während Cara mit dem Pflanzen der Blumen fortfuhr, dann begoß sie dieselben eigenhändig und ging fort, nachdem sie noch ein stilles Gebet verrichtet hatte.

Leon, aufs Tiefste gerührt, näherte sich dem Grabsteine und las: Amandus Claudius Franz, Fürst von Galaure, Herzog von Calami.«

Also derjenige, den er für einen Rivalen gehalten hatte, war ein Todter, der lange schon im Grabe lag!

Zu einem Gärtner, der gerade vorüber ging, sagte Leon:

»Dieses Grab ist sehr gut gehalten!«

»Sie haben Recht, Herr,« erwiderte der Mann, »es giebt kein zweites auf diesem Kirchhof, das sorgfältiger gepflegt wird. An jedem 17. des Monats werden die alten Blumen mit neuen gewechselt, die immer die schönsten und theuersten sind.«

Leon kehrte nach Paris zurück und mit hocherhobenem Haupte und freudiger Miene trat er zu Cara ins Zimmer. Diese rief betroffen aus:

»Welch' eine fröhliche Miene hast du heute!«

»O, ich bin glücklich, sehr glücklich.«

Und ohne mehr zu sagen umarmte er sie zärtlich und gerührt.

Er faßte einen neuen Plan. Am anderen Tage war Donnerstag, an welchem Cara wie gewöhnlich von 2 bis 6 Uhr Nachmittags abwesend sein würde. Er war entschlossen, ihr zu folgen, denn jetzt war er davon überzeugt, daß seine Spionage keine Schande sei und in der festen Hoffnung, daß er nur eine neue angenehme Ueberraschung erfahren werde.

Um zwei Uhr Nachmittags am anderen Tage verließ Cara ihr Haus, heimlich gefolgt von Leon, der sie in einem Thorwege erwartet hatte. Sie ging schnell durch einige Straßen, wurde aber plötzlich gezwungen, innezuhalten, da sich die Menschenmenge an einer besonders engen Passage zusammendrängte. Unabsichtlich hob sie den Kopf, warf einen Blick rückwärts und bemerkte Leon. Mit wenigen Schritten war sie bei ihm.

»Du hier?« rief sie mit erstickter Stimme.

Aber, ohne sich irre machen zu lassen, erzählte ihr Leon rasch, daß er sie gestern Nachmittag aus dem Kirchhofe bemerkt habe und verheimlichte auch nicht, in welcher Absicht er ihr heute folge.

Einen Augenblick schwieg Cara still, dann antwortete sie:

»Du würdest verdienen, daß ich dir eingestände, einen Liebhaber zu haben. Ich will es aber nicht thun. Da du aber einmal soviel weißt, so sollst du alles wissen. Ich hatte einen Bruder, der jetzt todt ist und drei Kinder hinterlassen hat, deren Mutter verschollen ist. Ich habe sie an mich genommen, lasse sie erziehen und besuche sie jeden Sonntag und Donnerstag auf ein paar Stunden. Wenn sie nicht in der Schule sind, plaudere und spiele ich mit ihnen und beweise ihnen dadurch, daß sie nicht ganz verlassen auf dieser Welt sind. Hier sind wir vor ihrer Thüre, steige mit mir hinauf und weigere dich nicht. Ich will es und es soll deine Strafe sein, du Eifersüchtiger.«

Sie stiegen die Treppen hinauf. Niemand war in dem Treppenhaus und alle Etagenthüren waren fest geschlossen. Da konnte Leon sich nicht halten und schloß das schöne Weib in seine Arme.

»Du bist ein Engel,« sagte er und küßte sie.

»Und du,« erwiderte Cara, ihn einige Secunden zärtlich betrachtend, »du, du bist ein großes Kind!«

In der sechsten Etage waren die Kinder bei einer alten Bäuerin einlogirt. Die Wohnung war einfach, aber sehr sauber. Die Bäuerin öffnete die Thüre. Drei Kinder liefen herbei und stürzten sich auf Cara, sie umhalsend und küssend, ohne Leon, der hinter ihr stand, zu beachten.

»Guten Tag, liebe Tante, guten Tag. O wie glücklich sind wir, daß du kommst,« tönten die hellen Stimmen durcheinander …

Wochen verstrichen. In dem Leben, welches die beiden Liebenden untereinander führten, schien sich nichts zu ändern, die Zuneigung Leons nahm immer stärker zu und Cara verdoppelte ihre Zärtlichkeiten, ohne je etwas anderes zu verlangen, als die stete Gegenwart Leons.

Herr und Frau Haupois-Daguillon gewöhnten sich allgemach daran, ihren Sohn selten und dann nur in den frühen Morgenstunden zu Gesicht zu bekommen. Sie wunderten sich über die treue Anhänglichkeit ihres Sohnes an ein Weib der Demimonde, fürchteten aber nun nicht im Geringsten mehr, daß er »dumme Streiche« machen werde. Wenn die Gatten sich über ihren Sohn unterhielten, bestärkte einer den andern in der Ansicht, daß Leon eines Tages, übersättigt von der feilen Liebe einer Dirne, zu ihnen zurückkehren und sich dann dem Geschäfte mit verdoppeltem Eifer widmen würde. Nur der alte Byasson schüttelte das graue Haupt und seine Blicke schienen ein nahes Unglück zu prophezeien.

Eines Morgens saß der erste Kassenbeamte Savourdin des Hauses Haupois-Daguillon hinter dem Drahtgitter und nahm wie gewöhnlich die Wechsel und Cheks in Empfang, welche fällig geworden waren. Er hatte eine Liste bei sich liegen, auf welcher die Wechsel verzeichnet waren, die heute eingelöst werden mußten. Da schob sich plötzlich durch das Loch des Gitters eine magere Hand mit einem Stück Papier hindurch. Savourdin entfaltete das Papier und öffnete seine Augen so weit als möglich. Er erkannte die Handschrift und die Unterschrift von Leon. Zehntausend Franken! Er nahm eine Lupe zur Hand, um die Unterschrift genauer zu prüfen. Der alte Mann schüttelte den Kopf und dachte einen Augenblick nach, die Anweisung in der Hand haltend. Dann schloß er plötzlich das Gitter der Kasse, setzte seine blaue Mütze auf und ging geraden Weges in das Büreau der Madame Haupois-Daguillon.

»Hier ist eine Anweisung auf 10 000 Franken,« sagte er. »Soll ich sie auszahlen?«

Frau Haupois erkannte sofort die Echtheit der Unterschrift ihres Sohnes, war aber so erstaunt, daß sie kein Wort erwidern konnte. Sie wandte ihr bleiches Gesicht dem Kassenbeamten zu und sagte so ruhig, wie es ihr möglich war:

»Hat mein Sohn Sie von diesem Wechsel nicht vorher benachrichtigt?«

»Nein, Madame, und deshalb frage ich, ob ich die Summe auszahlen soll?«

»Sie fragen, ob Sie eine Anweisung, die von der Firma Haupois-Daguillon signirt ist, acceptiren sollen? Bezahlen Sie schnell, Sie haben schon zu lange gezögert. Ich ersuche Sie jedoch, meinem Sohne zu bemerken, daß er Ihnen eine Anzeige machen solle, wenn er solche Papiere in Circulation setzt.«

Das war alles. Aber die Commis, welche an dem Tage mit der »Frau Chef« zu thun hatten, wurden in solcher Weise behandelt, daß ihnen die schlechte Laune derselben die Lust am Leben versalzte. Jedoch, da Savourdin nichts ausplauderte, wußte niemand, wodurch diese schlechte Stimmung erzeugt worden war.

Madame Haupois verließ ihr Büreau zur gewöhnlichen Stunde, um in der Rue Rivoli mit ihrem Gatten zu Mittag zu speisen. Sie fand den Letzteren bereits im Speisezimmer, wo er seine tägliche Zeitung las. Das Diner wurde in gewohnter Weise aufgetragen, und zwar für drei Personen, zwei Couverts für Herrn und Frau Haupois, eins für Leon; denn wenn der Letztere auch selten zum Mittagessen kam, so wurde doch täglich auf seine Gegenwart gerechnet.«

Madame Haupois-Daguillon ließ ihren Mann ruhig sein Mittagessen verzehren, aber sie selbst konnte keinen Bissen zu sich nehmen. Erst als der Diener, welcher servirte, das Zimmer verlassen hatte, zog sie den Wechsel Leons aus der Tasche und reichte ihn ihrem Manne.

»Leon! Zehntausend Franken?« rief er erstaunt aus. »Und du hast sie bezahlt?«

»Durfte ich die Unterschrift eines Haupois-Daguillon zurückweisen?«

Zehntausend Franken war für den reichen Industriellen keine beachtenswerthe Summe; aber es war die Frage, wie viele solcher Wechsel Leon bis jetzt ausgegeben hatte. Ohne Zweifel wäre es das Beste gewesen, wenn Herr Haupois persönlich mit seinem Sohne Rücksprache genommen hätte. Aber seit der unerquicklichen Geschichte mit Madeleine hatten Beide vor einer Unterredung Furcht und wichen sich lieber aus. Auch wollten beide Eltern nicht, daß es zum Bruche zwischen ihnen und ihrem Sohne käme, sie wollten ihn im Gegentheil an ihr Haus fesseln. Deshalb beschlossen sie, mit Sanftmuth und Vorsicht vorzugehen.

Der Vorsatz war gut, aber sehr schwierig auszuführen. Drei Tage lang ließ sich der gute Sohn nicht sehen. Endlich schrieb der alte Haupois einige Zeilen an Leon und adressirte dieselben in die Wohnung Cara's. Aber während er noch auf Antwort wartete, lief eine Nachricht ein, die den Geschäftsmann so sehr ärgerte und aufregte, daß alle sanften väterlichen Gefühle in ihm erstarben. Ein befreundeter Banquier schrieb nämlich, daß er drei von Leon unterzeichnete Wechsel zu je zehntausend Franken in Händen habe. Herr Haupois machte sich sofort auf und ließ sich die Wechsel zeigen. Er konnte die Unterschrift nicht wegläugnen und erfuhr aus diesen Papieren, daß er dem Wechselagenten Brazier in der Rue de la Paix dreißigtausend Franken schuldig sei. Nun eilte er zu diesem.

Herr Brazier, ein alter Engländer, dem fortwährend ein schlaues Lächeln um die Lippen spielte, empfing den Chef des Hauses Haupois-Daguillon mit tiefster Hochachtung und räumte ohne Schwierigkeit ein, daß der Herr Sohn, »übrigens ein ganz charmanter junger Mann,« bei ihm 150 000 Franken geliehen habe.

Haupois senior hätte sich fast von seinem Zorn hinreißen lassen, als er in das hämische Gesicht des alten Geldwechslers sah, aber er hielt glücklicher Weise an sich und den guten Mister Brazier ruhig stehen lassend, eilte er zu seinem Advocaten, Herrn Favas. Dieser hörte die Klagen seines Clienten ruhig an und äußerte sich dahin, daß nur schnelles und energisches Handeln in diesem Falle von Nutzen sein könne.

»Ich kenne dieses Weib,« sagte er, »und bin sicher, daß sie schon in wenigen Monaten über eine Million Schulden auf Leons Rücken laden wird und was das Wunderbarste dabei ist, es wird ihr nicht bewiesen werden können, daß sie Geld von ihm angenommen hat. Deshalb müssen wir ihr das Handwerk mit einem Schlage legen. Es giebt nur ein Mittel, mein bester Herr, Sie müssen Ihren Herrn Sohn gerichtlich unter Curatel stellen lassen.«

Bei diesem Worte wurde Herr Haupois bleich und rief aus: »Mein Sohn unter Curatel! Welch' eine Schande für unseren Namen!«

»Wollen Sie denn lieber, daß Ihr Sohn schon jetzt das ganze Vermögen verschwendet, welches Sie ihm hinterlassen wollen? Nein, nicht wahr? Nun, ich wiederhole es, das einzige Mittel, dies zu verhindern, ist die gerichtliche Curatel. Daß er dies verführerische Weib je freiwillig verlassen wird, ist nicht glaublich, aber wir können bewirken, daß sie ihn aufgiebt und von sich stößt. Sie wird einem Liebhaber, der ihr nur Liebe und nicht einen einzigen Sou bieten kann, gar bald den Stuhl vor die Thür stellen. Das erreichen Sie durch die gerichtliche Curatel. Ich in Ihrer Stelle würde jedenfalls so handeln.«

Es fand weder eine Unterredung noch ein Briefwechsel zwischen dem alten und jungen Haupois statt, aber eines Morgens erhielt Leon von einem alten Diener des Geschäfts einen Haufen gestempelten Papiers zugestellt, welchen er mit Interesse und Neugierde durchblätterte. Das erste Papier enthielt die Copie eines Gesuches an den Präsidenten des Gerichts, die gerichtliche Curatel über Herrn Leon Haupois-Daguillon aussprechen zu wollen, das zweite war ein Schreiben des Maires des siebenten Arrondissements von Paris, in welchem dieser respectable Würdenträger jenes Gesuch unterstützte und mit triftigen Gründen nothwendig erscheinen ließ, das dritte endlich war eine Vorladung an Leon, sich am andern Morgen vor dem Seinegericht einzufinden.

Leon war so bestürzt, daß er eine Zeitlang die Papiere wie geistesabwesend in den Händen auf- und zufaltete. Diesen Schritt hatte er nicht erwartet. Sein Vater wollte ihn lumpiger 150 000 Franken wegen unter Curatel stellen! Unmöglich, aber da steht's. Es ist kein schlechter Scherz!«

Unmuthig ging er in seinem Zimmer auf und ab und überlegte, was zu thun sei. Das wurde nun auch nachgerade Zeit, beim in den letzten Wochen hatte er unverantwortlich leichtsinnig gehandelt. Als er Carbans Forderung befriedigt hatte, glaubte er, daß Cara nun schuldenfrei sei, aber eines Tages überraschte er das Kammerkätzchen Luise, als sie weinend im Vorzimmer saß. Er befragte sie um ihren Kummer und erfuhr eine so abscheuliche Geschichte, daß sein edelmüthiges Herz stärker pochte und er mit doppelter Sehnsucht ins Zimmer zu Cara eilte. O wie elend, wie unglücklich, wie namenlos traurig sah seine schöne Geliebte in diesem Augenblick aus. Thränen entflossen ihren Augen und tröpfelten auf verschiedene Papiere, die Actien und sonstigen Werthpapieren sehr ähnlich sahen.

»Meine theure Cara!« rief Leon aus und preßte das schöne weinende Weib an seine Brust.

Cara blickte zu ihm empor, schüchtern, überrascht, ängstlich, als erwarte sie Vorwürfe.

»O Cara!« rief Leon, »weshalb bist du nicht aufrichtig gegen mich gewesen? Zweifelst du noch immer an meiner Liebe? Warum hast du mir nicht mitgetheilt, daß dich Schulden drücken?«

Noch immer blieb Cara stumm, während Leon die Thränen von ihren seidenen Wimpern küßte und dann fortfuhr:

»Ich will nicht weiter in dich dringen, meine theure Geliebte, denn das Gespräch würde dich peinigen. Ich kenne dein Zartgefühl. Luise hat mir alles mitgetheilt. O, ich bewundere dich. Um jenen Elenden, der dich später betrogen hat, zu einem ehrlichen Mann zu machen, hast du alles, was du besaßest, geopfert.«

Cara sah zu Leon mit einem tiefen dankbaren Blicke hinauf, schmiegte dann ihren Kopf an seine Brust und verbarg das Gesicht in seinem Rocke. Fast schien es Leon, als ob die Geliebte wie eine keusche Jungfrau sanft erröthete.

In dieser Position verharrte die Heuchlerin eine Zeitlang, bis Leon unruhig wurde, denn es verlangte ihn, die unangenehme Geschichte aus der Welt zu bringen. Cara ließ sich endlich zum Reden herbei. In schüchternem halbleisem Tone und häufig stockend erzählte sie, daß sie noch bis vor kurzem geglaubt habe, wohlhabend zu sein. Mit ihrer kleinen Hand zeigte sie auf die vor ihr liegenden Papiere.

»Meine Gläubiger bedrängten mich schon lange, aber ich hoffte immer, daß diese Actien der »Minen Mittelfrankreichs« und der »Neapolitanischen Docks« steigen würden, wie man mir gesagt hatte. Ich hoffe noch immer, denn die Hausse beginnt bereits, in einiger Zeit, bald, werde ich alle Gläubiger bezahlen können, aber sie wollen nicht warten und haben mir bereits einen Executor in die Wohnung geschickt.«

»Ich will sofort alles ordnen,« rief Leon, der in diesem Augenblicke nicht begriff, daß selbst ein Executor dieses reizende Weib durch seine Gegenwart beleidigen konnte.

»Nein, nein,« rief Cara, »beruhige dich, ich werde selbst diese hartnäckigen Gläubiger bezahlen. Warum willst du unsere Harmonie durch eine solche Sache stören? Liebst du das Streiten so sehr, so wähle wenigstens eine andere Ursache.«

Aber Leon bestand auf seiner Absicht, während Cara scheinbar immer ärgerlicher wurde, bis auch Leon böse wurde und ihr auseinandersetzte, daß seine persönliche Ehre mit im Spiele sei. Er dürfe eine solche gerichtliche Verfolgung seiner Geliebten nicht dulden, ohne sich selbst vor der Welt zu blamiren.

Zuerst wollte Cara diese Gründe nicht als stichhaltig anerkennen, dann ließ sie sich allmählich von den Bitten Leons rühren. Allerdings … freilich … gewiß … es sei unangenehm für ihn, daß seine Geliebte verfolgt würde … aber (und dies »aber« betonte das zartfühlende Weib mit Pathos) aber auch ihr selbst müsse es schrecklich erscheinen, daß die Welt sagen würde, daß sie ihn ruinire. O, o, (sie schluchzte) und das müsse ja unfehlbar eintreffen, denn ihre Schulden seien so groß, so groß … oh …

Leon lächelte! Leon fühlte sich als der Sohn seines Vaters, als der Erbe der Firma Haupois-Daguillon. Die Firma Haupois-Daguillon durch die Schulden eines Weibes ruinirt? Das ist in der That komisch, sehr komisch, und diese naive Einfalt Cara's mußte belohnt werden. Leon überhäufte seine Geliebte mit neuen Schmeicheleien, bis diese endlich unter einer Bedingung einwilligte. Alles, was er für sie thun könne, sei das, meinte sie, daß er die »Docks von Neapel« und die »Minen Mittelfrankreichs« verkaufe, ehe noch die Hausse einträfe. Ohne Zweifel würde sie dabei viel Geld verlieren, aber dieses Opfer wolle sie gerne bringen.

Leon, der durch Zufall wußte, daß die Hausse dieser sonst so vortrefflichen Actien kaum vor dem jüngsten Tage eintreffen würde, wollte von dem Vorschlage nichts wissen und blieb bei seinem Vorhaben, aus eigener Tasche Cara's Schulden zu bezahlen.

»O, wenn du mich dann mit Gewalt durch deine Güte unglücklich machen willst,« rief Cara, »so nimm wenigstens diese Actien, meine Brillanten und meine sonstige Habe zum Pfande. Wenn die Hausse eintrifft, wirst du die Actien günstig verkaufen und deine Ausgaben decken können.«

»Gut,« sagte Leon, »ich willige ein, was die Actien betrifft. Welchen Werth repräsentiren sie formell?«

»Achtzigtausend Franken,« erwiderte Cara leise und schüchtern.

»Und deine Schulden belaufen sich?«

»Sechszigtausend Franken.«

Leon packte die Papiere in seine Tasche und entfernte sich schnell nach einem zärtlichen Abschiede, um »das Geschäft in Ordnung zu bringen.«

Diese Scene ereignete sich circa drei Wochen vor dem Tage, an welchem der erste Schuldschein Leons in dem Büreau des Hauses Haupois-Daguillon präsentirt wurde und stand, wie der geehrte Leser wohl ahnt, in ursächlichem Verhältnis zu diesem Vorgange. In der That war es dem Sprößlinge der geschäftskundigen Frau Haupois, welcher noch immer nicht »schwimmen« konnte, gelungen, nicht nur sich achtzigtausend Franken, sondern sogar hundertundfünfzigtausend Franken zu leihen. Da war ein gewisser Mister Tom Brazier, ein Geschäftsfreund des Fuhrwerksbesitzers Rouspineau, welcher ihm die genannte Summe unter besonderen Umständen vorstreckte.

»Das Geschäft läßt sich machen,« hatte dieser Ehrenmann gesagt, »es handelt sich nur um eine sichere Garantie. Welche können Sie mir bieten, Herr Haupois junior?«

»Meine Unterschrift!«

»In moralischer Beziehung genügt sie, aber in finanzieller nicht. Ich erlaube mir zu glauben, daß Sie kein eigenes Vermögen besitzen.«

»Ich besitze dasjenige, was meine Eltern mir hinterlassen werden.«

»Ich habe die Ehre Herrn und Madame Haupois persönlich zu kennen, da ich häufig Geschäfte mit ihnen hatte, aber sie sind beide noch jung, von guter Gesundheit und können lange leben.«

»Das hoffe ich.«

»O, ich bin davon überzeugt und eben deshalb kann ich die Garantie Ihrer Unterschrift nicht anerkennen. Aber dennoch werde ich Ihnen aus der Klemme helfen können, wenn Sie meinen Vorschlag annehmen. Vor allen Dingen ist es für mich notwendig, eine ehrenhafte Ursache zu haben, Ihnen Geld zu leihen. Welche Gründe haben Sie, eine so große Summe besitzen zu wollen? Nicht einen einzigen, der vor dem Tribunal stichhaltig wäre. Ich weiß, wie Sie daran sind. Sie dagegen wissen wohl, daß es in dieser Welt immer nützlich ist, einen größeren Fehler durch eine kleine moralische Schwäche zuzudecken. So etwas Aehnliches möchte ich Ihnen vorschlagen. Hören Sie zu: Ich verkaufe Ihnen einen Rennstall von drei Pferden, natürlich nur für die Dauer des nächsten Rennens. Es sind drei schöne Renner, welche Sie zum Liebhaberpreis erhalten. Damit ändert sich Ihre Situation. Sie können gewinnen, Sie können freilich auch verlieren, aber ob die Pferde Preise gewinnen oder nicht, mein Darlehn ist dann vor der Welt und vor den Gerichten gerechtfertigt. Ich glaube jedoch, daß Ihre Pferde Ihnen Geld einbringen werden, ja, ich bin dessen gewiß, und Sie werden schon in drei Wochen in der Lage sein, mir das Darlehen zurück zu zahlen. Schütteln Sie nicht mit dem Kopfe, denn ich kenne die drei vorzüglichen Renner ganz genau. Es sind die weltbekannten Sieger: ›Aventure‹, ›Diavolo‹ und ›Rubber‹. Wenn Sie nicht unter Ihren Namen laufen sollen, so wählen Sie irgend ein Pseudonym. Was sagen Sie z. B. zu dem prächtigen Namen: ›Kapitän Donner?‹«

Leon sagte gar nichts: weder zu dem prächtigen Namen »Kapitän Donner«, noch zu den Pferden »Aventure«, »Diavolo« und »Rubber«. Er unterschrieb einen Schein, auf welchem er den Empfang von 150 000 Franken bescheinigte, und erhielt dafür achtzigtauseud Franken in guten Werthpapieren, sowie das Recht auf die Gewinne, welche die drei »Sieger« beim nächsten Rennen einbringen würden. Das Letztere gefiel dem jungen Manne so übel nicht. Es war ein Loos für die Lotterie, welches er kaufte, und vielleicht gewann er durch dasselbe mehr, als er jetzt borgen mußte.

Mit dem empfangenen Gelde hatte Leon die Schulden Cara's bezahlt und noch zehntausend Franken übrig behalten, die er für seine eigenen Ausgaben zurück behielt.

Fünf Wochen später traf dem leichtsinnigen jungen Mann der Donnerschlag der Curatel, und sein Sträuben dagegen half nichts. Das Gericht gab dem Wunsche der Eltern nach. Einige Tage später sollten auch »Aventure«, »Diavolo« und »Rubber« zeigen, was sie konnten. Sie trugen bei dem großen Rennen von Auteuil die Farben des famosen Kapitäns Donner: Reitrock weiß und Mütze roth, aber zogen nicht das große Loos, auf welches Leon gehofft hatte. Die nächste Folge war, daß Herr Rouspineau den Ehrenschein präsentirte, welchen Leon natürlich nicht bezahlen konnte.

»Was thun? Was wird Cara sagen?«


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