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Dreizehntes Kapitel

Die beiden Dampfer »Pacific« und »Labrador« liefen mit großer Schnelligkeit über den Ocean, beide wurden von denselben Wogen getragen und in der frischen und klaren Luft waren die Rauchwolken ihrer Schornsteine meilenweit sichtbar.

An Bord des »Labrador« befand sich eine Frau in eleganter Toilette, eine Pariserin, Cara, welche mit einem Opernglase die Rauchwolken am Horizonte musterte. Als ein Offizier bei ihr vorüberging, fragte sie ihn beiläufig, ob alle Dampfböte, die Europa am Sonnabend verlassen hätten, dieselbe Route nach Amerika einschlügen.

An Bord des »Pacific« blickte Leon ebenfalls ins Meer, aber seine Blicke waren gleichgiltig, denn er spähete nach keinem besonderen Punkt aus: Was ging es ihn an, welches Schiff in Sicht und welches nicht in Sicht sei. Seine Blicke irrten bald hier, bald dort hin, und seine Seele war in melancholische Träume eingelullt.

Seit langer Zeit hatte er nicht eine einzige Stunde der Einsamkeit und Freiheit gehabt; stets hatte Cara ihn so liebevoll und ausschließlich in Beschlag genommen, daß er schon daran gewöhnt war, nur für sie zu leben, zu denken und zu fühlen. Es ist nicht leicht, sich von einer solchen Gewohnheit loszumachen, sich der Knechtschaft zu entwöhnen, wenn nicht nur der Körper, sondern auch Geist und Herz in der Regelmäßigkeit und Eintönigkeit der Gedanken und Empfindungen volle Befriedigung gefunden haben. Allein auf dem Schiffe, fühlte er eine schmerzliche Oede und Traurigkeit in seinem Innern. Das monotone Rauschen der großen Wellen, welche an die Schiffsplanken schlugen, war nicht dazu geschaffen, seinen Geist heiterer zu stimmen. Er wußte nicht, was und mit wem er reden sollte. Das Ohr, welches ihm sonst so aufmerksam zuhörte, war weit weg, und die Augen, in welchen er Harmonie und Uebereinstimmung mit seinen Gedanken suchte, konnten ihm nicht mehr antworten.

Aber allmählich machte der melancholische Reiz der Seereise doch einen Eindruck auf seine Seele; selbst die Monotonie und die regelmäßige Wiederkehr der Vorgänge gewannen ihm Interesse ab, und neue Gewohnheiten ersetzten unmerklich diejenigen, welche so plötzlich durch seine Abreise unterbrochen worden waren.

Mit der Zeit wurde das Leben an Bord auch bewegter und abwechslungsreicher, und je weiter man sich von Europa entfernte, änderte sich auch mehr und mehr der Charakter des Meeres, des Himmels und der Luft.

Die Temperatur kühlte sich ab, die Luft verdunkelte sich und mehrmals fuhr der »Pacific« in geringer Entfernung bei schwimmenden Eisbergen vorüber, die in dem warmen Golfstrome allmählich hinschmolzen. Dichte Nebel, kälter als Schnee, umhüllten das Dampfboot, und Tag und Nacht war die Dampfpfeife in Thätigkeit, um die entgegenkommenden und die kreuzenden Schiffe zu warnen.

»Werden wir diejenigen Schiffe, welche mit uns zusammenstoßen, in den Grund fahren oder umgekehrt?«

Diese und ähnliche Fragen besprach Leon mit den Offizieren, welche in ihren wasserdichten, reifbedeckten Gummimänteln an Bord auf - und abgingen. Endlich erreichte der »Pacific« glücklich den Hafen von New-York.

Als Leon ans Land ging, war seine Gemüthsstimmung eine andere, als bei seiner Abreise von Paris. Wenn seine Eltern und Herr Byasson ihn gesehen hätten, würden sie geglaubt haben, daß ihre Hoffnungen schnell in Erfüllung gehen würden. Die Macht der Gewohnheit, mit, bei und für Cara allein zu leben, büßte mehr und mehr an Kraft ein, einige Tage der Zerstreuung noch und Leon wäre vielleicht ganz frei geworden.

Vor seiner Abreise hatte er beschlossen, in dem Grand Hotel der fünften Avenue, in New-York abzusteigen und hierhin sollten ihm auch die Depeschen nachgeschickt werden, wenn dringende Nachrichten nothwendig sein sollten. Leon erwartete keine, denn er hoffte mit Bestimmtheit, daß seine Mutter schnell genesen würde, und was Hortense betraf, so fürchtete er wohl, daß sie traurig und gelangweilt sein würde, aber nicht krank. Er fragte deshalb in ziemlich gleichgiltigem Tone den Portier des Hotels, ob eine Depesche für ihn angekommen sei und war höchst erstaunt und erschreckt, als dieser eine bejahende Antwort gab. Mit zitternder Hand öffnete er die Depesche und las:

»Werde kurz nach dir mit dem ›Labrador‹ in New-York ankommen. Schreibe niemanden und telegraphire auch nicht, ehe wir uns wiedergesehen haben.

Hortense.«

Was war das? Was war geschehen? Welchen Grund hatte Hortense, diese weite Reise zu unternehmen? Weshalb sollte er nicht schreiben und nicht telegraphiren?

Diese Gedanken drängten sich in seinem Gehirne und vergeblich suchte er eine Antwort auf die vielen Fragen.

Die Unruhe, welche Leon ergriff, verband sich mit der plötzlich wieder erwachten Sehnsucht, Cara wiederzusehen. Er sah nur sie, er dachte nur an sie, es war, als ob er Paris erst vor wenigen Stunden verlassen habe.

Aber weshalb reiste sie ihm nach? Ist sie eifersüchtig? Unmöglich, eine eifersüchtige Frau schickt ihrer Ankunft keine Depesche voraus.

Leon begab sich auf das Büreau der französisch-amerikanischen Dampfschifffahrt-Gesellschaft und erkundigte sich, wann der »Labrador« eintreffen würde. Man antwortete ihm, daß dieser Dampfer am Sonnabend Havre verlassen habe und jeden Augenblick in Sicht kommen dürfte.

Also hatte Cara an demselben Tage Havre verlassen, wo der »Pacific« Liverpool verließ. Diese schnelle und plötzliche Abreise Cara's war ihm ein neues Räthsel. Das Beste schien ihm, sich nicht unnöthig mit der Auflösung desselben den Kopf zu zerbrechen, und der junge Mann ging deshalb in Erwartung dessen, was da kommen sollte und um die Zeit hinzubringen, zu dem Banquier, bei welchem seine Mutter ihm einen bedeutenden Credit eröffnet hatte. Auf seinem Wege dahin lernte er Wallstreet kennen, das berühmte Finanzviertel der amerikanischen Metropole.

Er ließ dem Banquier, welcher seit langen Jahren mit dem Hause Haupois-Daguillon in Geschäftsverbindung stand, seine Karte überreichen. Wie groß war sein Erstaunen, als dieser ihn mit großer Kälte empfing und ihm stillschweigend eine Depesche überreichte, als Leon von seinem Credite sprach. Diese Depesche war französisch abgefaßt und enthielt nur die wenigen Worte:

»Betrachten Sie den Brief vom 5. d. M. als nicht empfangen. Der Credit ist aufgehoben.

Haupois-Daguillon.«

Wiederum eine Ueberraschung; aber, wenn er über die erste erstaunt war, so fühlte er sich durch die zweite beleidigt.

Frau Haupois war es selbst gewesen, welche diese Depesche abgeschickt hatte. Sie glaubte, als sie die Abreise Cara's erfuhr, von ihrem Sohne in hinterlistiger Weise getäuscht zu sein und handelte deshalb mit entschlossener Energie, ohne auf die Gefühle Leons Rücksicht zu nehmen.

Leon gerieth in einen Zustand der Wuth, welcher erklärlich ist, da er sich keiner Schuld bewußt war, und der Zorn über das Vorgehen seiner Mutter machte ihn nur um so bereitwilliger dazu, Cara mit offenen Armen zu empfangen.

Er eilte zum Hafen und hörte, daß der »Labrador« draußen auf der Rhede liege, aber von der Quarantaine zurückgehalten werde. Die Passagiere würden jedoch in einer Viertelstunde auf einem kleineren Dampfer ans Land gebracht werden.

Leon lehnte sich über die Brüstung der Dampfschiffsbrücke und sah den kleinen Dampfer herannahen. Schon in einiger Entfernung bemerkte er seine Geliebte, die grüßend mit dem Taschentuche wehte.

Endlich legte das Schiff an und Cara drängte sich durch die Menge. Als sie Leon erreicht hatte, warf sie sich weinend in seine Arme.

Als Beide einen Wagen bestiegen hatten, welcher sie ins Hotel bringen sollte, wollte Leon sogleich Cara mit Fragen bestürmen.

Aber ohne zu antworten, hielt Cara ihn umfangen und blickte lange Zeit zu ihm auf.

»O, laß mich dich betrachten und umarmen,« sagte sie endlich. »Nun bin ich wieder bei dir, ich halte dich und niemand wird uns trennen. Was für schreckliche zwölf Tage, ich bin während dessen zehn Jahre älter geworden. Liebst du mich noch?«

»Kannst du fragen?«

»Ja, du mußt es mir sagen, daß du mich noch liebst. Du mußt schwören.«

»Was ist denn geschehen, Hortense?«

»Das weißt du nicht?« entgegnete Cara, ihre Blicke in seine Augen versenkend.

»Nein,« fuhr sie fort, »du weißt es nicht. Dieser überraschte Blick, diese ehrlichen Augen können nicht lügen. Ich wußte wohl, daß ich sogleich beruhigt sei, wenn ich dich wiedersehen würde.«

»Aber …«

»Man hat in schändlicher Weise versucht, uns für immer zu trennen.«

»Wer?«

»Deine Eltern, deine Mutter, jawohl! Ich habe die Beweise mitgebracht. Wenn du sie gesehen und gelesen hast, wirst du einsehen, wie abscheulich uns mitgespielt worden ist.«

Sie betrachtete Leon von der Seite und wunderte sich, daß er so ruhig blieb und nicht seiner Gewohnheit gemäß heftig aufbrauste. Sie konnte nicht begreifen, daß er diese Anklage gegen seine Mutter anhörte und nicht ein einziges Wort dagegen sagte. Er fragte nur:

»Was soll ich lesen?«

»Das will ich dir später im Hotel mittheilen. Bis dahin lasse mir den ungestörten Genuß, dich ansehen zu dürfen. Da wir nun glücklich wieder vereinigt sind, können wir sprechen und uns Erklärungen geben, ohne daß uns jemand stört. Aber offen, frei, ohne Hintergedanken müssen wir mit einander reden, denn unsere Zukunft hängt davon ab.«

Er wollte näher in sie dringen, aber sie schloß ihm die Lippen mit einem Kusse.

»Laß mir die Freude, dich wiederzusehen, die Minuten eilen schnell dahin. Ich habe dich wieder, ich halte dich in meinen Armen und ich will nur das eine Wort von dir hören, daß du mich liebst.«

Der Wagen fuhr vor der Thür des Hotels vor und Leon und Cara begaben sich auf ihr Zimmer.

»Jetzt,« sagte sie, »ist der Augenblick gekommen, welcher über unser zukünftiges Leben entscheiden soll.«

Sie nahm aus ihrem Taschenbuche ein zusammengefaltetes Papier hervor und reichte es ihm.

»Lies dies,« sagte sie.

Er wollte sie mit der Rechten umfangen, während die Linke das Papier nahm; aber sanft entwand sie sich seiner Umarmung.

»Ich will dir gegenüber stehen, Leon, denn dein Anblick soll mich belehren, was ich thun soll.«

Als er das Papier auseinander gefaltet und die Unterschrift Rouspineaus gelesen hatte, blickte er Cara an, als wollte er sagen, daß es unnütz sei, mehr zu lesen, aber sie erwiderte mit ersterbender Stimme:

»Lies. Siehst du nicht, daß ich nahe am Sterben vor Aufregung bin?«

Er las, und als er, von den Geständnissen Rouspineaus überrascht, unbeweglich wie niedergeschmettert da saß, sagte Cara:

»Du kennst die Handschrift Rouspineaus, auch seine Unterschrift, denn dir sind in der letzten Zeit manche Briefe dieses Ehrenmannes zugegangen.«

Er antwortete nicht.

»Du siehst also, welche Rolle Rouspineau gespielt und wie man sich seiner bedient hat, um dich zur Abreise von Paris zu zwingen. Sie haben gut Komödie gespielt und deine Mutter wirkte in dieser Posse auch mit. Ihre Krankheit war nur eine erdichtete. Wahrhaftig, dir ist schön mitgespielt worden.«

Sie sprach sehr langsam, indem sie den Blick nicht von ihrem Geliebten wendete, um den Effect zu beobachten, welchen ihre Enthüllung machte.

Plötzlich erhob Leon das Haupt und fragte, sie gerade ansehend:

»Hast du meine Mutter gesehen?«

»Nein.«

»Hast du einen Boten zu ihr geschickt?«

»Niemanden.«

»Hast du ihr geschrieben?«

»Du bist ein Thor, Leon.«

Da Cara von der Depesche, welche Madame Haupois dem Banquier geschickt hatte, noch nichts wußte, so befremdeten sie die Fragen Leons; aber sie hatte ihren Plan im voraus gemacht und wollte sich in dessen Ausführung nicht stören lassen.

»Was du wissen willst,« sagte sie, »ist, wie ich den Schleier des Geheimnisses gelüftet habe, nicht wahr? Sehr einfach, ich fragte Rouspineau, denn ich muß eingestehen, daß mich das insolente Betragen desselben endlich argwöhnisch machte. Die Hartnäckigkeit und Unverschämtheit deiner beiden Gläubiger erschienen mir seltsam, ja bis zu einem gewissen Grade unerklärlich. Du bist nicht der erste Sohn reicher Eltern, dem sie Geld geliehen haben, aber du bist der Erste, welchem sie in dieser Weise zusetzten. Am Freitag Abend, an demselben Tage, an welchem du abreistest, entschloß sich Rouspineau nach langem Drängen meinerseits mir die Wahrheit zu sagen. Geständnis auf Geständnis entriß ich ihm und endlich schrieb er jenen Schein unter der Bedingung, daß ich ihm die restirenden 20 000 Franken bezahle, wenn Madame Haupois etwas erführe. Dies geschah Freitag Abend, und du solltest dich am Sonnabend in Liverpool einschiffen. Was war zu thun? Es war mir unmöglich, mich mit dir vor deiner Abreise zu vereinigen, und andererseits wagte ich auch nicht zu telegraphiren, da ich fürchtete, daß Byasson, welcher dich, auf Befehl deiner Mutter vermuthlich, überwachte, die Depesche auffangen würde. Ah, deine Mutter hatte trefflich für alle Vorsichtsmaßregeln gesorgt und ließ dich wie ein Colli expediren. Schnell entschloß ich mich, dir auf einem anderen Wege nachzureisen und hatte kaum Zeit, in aller Eile meine Koffer zu packen, um noch am selben Abend mit dem Extrazuge nach Havre fahren zu können. Hier angelangt, telegraphirte ich dir und schiffte mich auf dem ›Labrador‹ ein. Hier bin ich nun; in welcher Gemüthsverfassung, kannst du dir denken, denn ich sehe, daß die ganze Welt sich verschworen hat, mich von dir zu trennen und weiß nicht einmal bestimmt, ob du nicht selbst mit in diesem Complot bist.«

»Ich?«.

»Vielleicht ist dieser Gedanke absurd und ungerecht, aber du mußt zugeben, daß es deiner Mutter, von der du selbst gesagt hast, sie wolle nur dein Bestes, daß es deiner ›kranken‹ Mutter nicht zuzutrauen ist, allein einen solchen Plan in Scene zu setzen. Ich habe Paris verlassen mit dem festen Entschlusse, die Dinge zum Aeußersten zu treiben, um unser Verhältnis so oder so zu gestalten. Entweder trennen wir uns auf immer, oder du nimmst mich zu deiner Frau. Du bist fünfundzwanzig Jahre alt, du kannst dich gegen den Willen deiner Eltern verheirathen. Wenn du mich liebst, wie ich dich liebe, wenn du verstehst, daß ich nur für dich lebte und lebe und du bei niemandem sonst die gleiche Zuneigung und Zärtlichkeit findest, wenn du endlich eingesehen hast, daß deine Familie dich ausgestoßen und entehrt, und außerdem den Verfolgungen deiner Gläubiger preisgegeben hat, und dies alles nur aus elender Habgier, so darfst du nicht länger zögern, mir deinen Namen zu geben, denn ich bin deiner würdig durch die Liebe, die ich dir erzeigt habe. Wenn du noch länger zögerst, weil dich irgend welche kindische Convenienzrücksichten zurückhalten, so werde ich nicht zögern, einen Mann zu verlassen, der nicht würdig ist mein Freund zu sein.«

Diese Rede hatte sie im voraus gut einstudirt und sprach dieselbe ausdrucksvoll und leidenschaftlich ihrem Geliebten Auge gegen Auge gegenüber. Nun hielt sie inne und beobachtete das Gesicht Leons, in demselben wie in einem Buche lesend. Aber was sie beobachtete, konnte ihr keine Freude machen: zuerst Ueberraschung, dann Verlegenheit, endlich ein deutlicher Ausdruck der Mißbilligung.

Cara war keine Frau, welche sich so schnell in der Verfolgung ihres Planes entmuthigen ließ. In Wahrheit hatte sie diese kühle Aufnahme desselben vorausgesehen, denn sie kannte Leon zu gut, um sich einzubilden, daß er ihr sofort um den Hals fallen und nach einem Notar rufen würde. Diese schnelle Entschlossenheit lag nicht im Charakter Leons. So sehr erzürnt er auch auf seine Eltern war, so war er doch andererseits ein viel zu gut erzogenes Kind, als daß er den ersteren mit aufgezogenem Visir eine directe Kriegserklärung hätte machen können. Wenn sie dies geglaubt hätte, würde sie sich die Reise nach Amerika erspart und Leon in Paris geheirathet haben. Wenn sie trotz dieser Voraussicht dennoch von einer schnellen Heirath oder Trennung jetzt schon gesprochen hatte, so hatte sie diesen Versuch nur gemacht, um sich keinerlei Chance entschlüpfen zu lassen. Der Aerger und der Zorn Leons waren nicht groß genug, um ihn zum Aeußersten zu treiben, Cara lenkte daher schnell ein und vermied eine Scene voller Vorwürfe, welche doch nicht zum Ziele geführt hätte. Sie war gereizt darüber, daß er zögerte und hätte gern ihrem Herzen Luft gemacht, aber dieser Herzenserleichterung wegen hatte sie nicht die Reise über den Ocean gemacht. Später wollte sie sich für seine kindischen Zweifel rächen, später wollte sie ihm sagen, was sie von ihm dachte, für den Augenblick konnte dies nur störend in ihre Pläne eingreifen.

Bis jetzt hatte Cara vor Leon in einer Stellung gestanden, die ihr erlaubte, jede seiner Bewegungen und das kleinste Zucken seiner Mienen zu beobachten, aber sie war schlecht gewählt, um ihn gerührt zu machen und ihm den Kopf zu verdrehen.

Sie setzte sich deshalb jetzt neben ihn auf das Sopha und legte den rechten Arm um seinen Hals.

Mit diesen Absichten habe ich Paris verlassen,« sagte sie, »entschlossen, eine Heirath oder einen schnellen Bruch herbeizuführen: eine Heirath, wenn du das Opfer jenes Complots wärst, einen Bruch, wenn du selbst bei demselben beteiligt bist. Und mein Entschluß stand so fest, daß ich sogar die zu einer Heirath nöthigen Papiere gleich mitgebracht habe, deinen Geburts- und Taufschein und auch den meinigen. Du fragst vielleicht, wie ich diese Papiere so schnell habe erhalten können. Ich will dich nicht belügen, dieselben sind schon seit einiger Zeit in meinem Besitz, schon lange vor deiner Abreise und ehe wir an dieselbe dachten.«

Cara verschwieg den Grund anzugeben, zu welchen, Zwecke sie sich die Copieen dieser Papiere verschafft hatte und fuhr schnell fort, um Leon nicht zum Nachdenken kommen zu lassen.

»Während der ersten Tage meiner Ueberfahrt wurde mein Entschluß immer fester: Heirath oder Bruch, etwas anderes war nicht möglich.«

»Aber, Hortense, wie konntest du denn kalten Blutes annehmen, daß ich dich betrügen wollte?«

»Ich war in einer schrecklichen Lage. Wenn ich auch daran zweifelte, daß du mich täuschen wolltest, so mußte ich doch annehmen, daß deine Mutter dich betrüge, und ich wollte eine so schwere Anschuldigung gegen sie, welche ich bis dahin hochachtete, nicht mit mir herumtragen. Ich verbrachte einige schreckliche Tage noch dazu seekrank. Während dieser Tage verließ ich meine Kabine nicht. Jedoch beruhigte die Krankheit mein Fieber und meinen Zorn ein wenig, die mich seit der Abreise von Paris verzehrten. Da hatte ich in einer Nacht, als alle schliefen und die Stille nur durch das Geräusch der Maschine und das Blasen des Windes gestört wurde, eine Vision. Ich sage eine Vision und nicht einen Traum, beim ich schlief nicht. Höre mir aufmerksam zu.«

»Ich höre.«

»Zweifle nicht an der Wirklichkeit dieser Vision trotz deiner Ungläubigkeit. Ich habe meinen Schutzengel gesehen und ich habe ihn auch sprechen hören. Das kommt dir vielleicht unwahrscheinlich vor, es ist aber so. Er sagte folgende Worte zu mir: du würdest eine Sünde begehen wenn du deinen Freund mit seinen Eltern erzürntest, du würdest aber auch eine Sünde begehen, wenn du noch langer in dem Leben, welches du führst, beharrtest. Dann verschwand die Vision, mir die Erklärung ihrer Worte selbst überlassend. Der erste Ausspruch schien mir leicht verständlich, mein Schutzengel wollte sagen, ich sollte dich nicht gegen deine Eltern, welche dich so tief betrübt hatten, aufreizen, und deshalb auf meinen Wunsch, dich zu heirathen, verzichten. Ich bin eine Frau, welche sich in den Willen Gottes fügt. Ich verzichte also auf diese Heirath.«

Cara senkte ihre Augen, als ob sie tief gerührt sei. Da sie aber von der Natur damit begabt war, etwas zu sehen, was sie nicht zu sehen schien, so bemerkte sie, daß das bis dahin verdüsterte Gesicht Leons sich erhellte.

Nach einem Augenblick der Rührung fuhr sie fort:

»Der zweite Befehl war weniger deutlich. Warum sollte ich nicht in dem Leben, welches wir führen, beharren? Zuerst glaubte ich, daß ich mit dir brechen sollte. O mich trennen von dir, mein Leon! Mich erfaßte eine schreckliche Angst. Ich habe nach vielen Kämpfen auf meine Heirathswünsche verzichtet, aber dich verlassen, auf deine Liebe, auf mein Glück, auf mein Leben verzichten, nein, das schien mir unmöglich. Ich sagte mir, das kann Gottes Wille nicht sein und in seinen Worten muß ein anderer Sinn verborgen liegen. Gestern habe ich das Richtige errathen und von diesem Augenblicke an verließ ich meine Kabine gesund und heiter, um mich von der Krankheit und den gestrigen Kämpfen zu erholen. Deshalb sehe ich auch heute wieder wohl aus. Ach, wenn du mich vor einigen Tagen gesehen hättest! Ich glich nur noch einem Schatten. Wie findest du mich jetzt?«

Sie blieb einen Augenblick ruhig sitzen und sah ihm in die Augen, so nahe, daß ihr Athem seine Barthaare kräuselte. Leon wollte sie umarmen, aber leise nahm sie seine Hände in die ihrigen und ließ sich nicht von ihm küssen.

»Höre mir zu,« sagte sie, »höre mir zu mit ganzer Seele, ohne Zerstreuung, ohne einen fremden Gedanken, denn du sollst jetzt mit einem ›Ja‹ oder ›Nein‹ über mein Leben entscheiden.«

Sie küßte seine Hände fieberhaft, leidenschaftlich.

»Worauf ich verzichten muß, Leon, ist, deine Frau zu werden durch eine Heirath, die mit Zustimmung deiner Eltern auf legalem Wege geschlossen wird. Ich verzichte darauf. Aber deine Frau durch eine kirchliche Einsegnung ohne Einwilligung deiner Eltern, deine Frau vor dir und vor Gott, ja, das darf ich werden, das will Gott, das erbitte ich von dir und du mußt es mir bewilligen, wenn du mich liebst. Weigerst du dich, so darf ich auch nimmermehr deine Geliebte sein. O Leon, höre meine Bitte, ich wiederhole sie dir auf den Knieen, aber ehe du das entscheidende schreckliche ›Nein‹ oder das berauschende ›Ja‹ aussprichst, höre mich bis ans Ende.«

Sie hatte sich auf die Erde gleiten lassen und, die Arme um die Hüften Leons legend, klammerte sie sich mit erhobenem Kopfe leidenschaftlich an ihn.

»Was ich von dir verlange, Leon, ist nur ein Zeichen deiner Achtung und deiner Liebe. Deshalb liege ich bittend vor dir auf den Knieen, als ob ich zu Gott betete. Wenn ich meinen alten Plan festgehalten hätte, dich zu einer wirklichen Ehe mit mir zu bewegen, würde ich dich nicht in dieser Weise anflehen und einfach auf meine Frage deine Antwort abgewartet haben, denn eine legale Heirath würde mir Rechte verliehen haben, die ich durch die kirchliche Einsegnung allein nicht erhalten werde. Als deine rechtmäßige Frau vor dem Gesetze hättest du das Vermögen, welches du einst erben wirst, mit mir theilen müssen, ich wäre Trägerin des Namens und Erbin deiner Hinterlassenschaft geworden. Dies alles, weil es mit großen Geldopfern verbunden ist, würde mir eine gewisse Reserve bei meiner Bitte auferlegt haben. Jetzt aber, Gott sei Dank, brauche ich mich nicht in eine kalte Zurückhaltung zu hüllen, ich kann dich bitten, anflehen, an deine Zärtlichkeit und Liebe appelliren, ohne fürchten zu müssen, daß man mich der Habsucht beschuldigt; denn diese kirchliche Ehe giebt mir kein Anrecht auf dein Vermögen, ich werde weder deine Frau vor dem Gesetze sein, noch deinen Namen tragen, unsere Verbindung ist vor der Welt nicht rechtsgiltig und existirt nur für uns allein und für – Gott!«

Es waren nicht allein diese Worte, mit welchen Cara ihren Geliebten zu bestürmen suchte, ihre Blicke sprachen fast noch eindringlicher und wurden von der Stimme, der Betonung, den Gesten unterstützt. Kein Mittel oratorischer Verführungskunst und weiblicher Ueberzeugungsgabe versäumte das schlaue Weib im geeigneten Augenblicke anzuwenden, und ihre Rede hätte selbst einen gleichgiltigen Menschen gerührt. Aber sie sprach nicht zu einem Gleichgiltigen, sie sprach zu einem Manne, der sie liebte, der vierzehn Tage lang ihre Abwesenheit schmerzlich empfunden hatte. Und sie selbst kannte Leon fast besser als sich selbst; sie hatte seit langer Zeit seine starken und schwachen Seiten studirt und beherrschte seine Gedanken, Gefühle und Stimmungen, wie ein Virtuose die Tasten des Instruments. Während ihrer Ueberfahrt hatte sie die Melodie, welche sie spielen wollte, gründlich geübt, und was sie sagte und that war im voraus berechnet.

Cara fuhr in ihrer Rede fort, als Leon noch immer schwieg.

»Um ehrlich zu sein, muß ich dir eingestehen, daß ich dich nicht nur meiner Gewissensruhe wegen um die kirchliche Trauung bitte, es handelt sich auch um meine und deine Lebensfreude. Ohne Zweifel werden deine Eltern sich anstrengen, unsere Scheidung durchzusetzen, aber diese Ehe wird eine feste Schutzwehr gegen ihre Angriffe bilden und mir die Sicherheit geben, ohne welche ich nicht länger leben kann. Du würdest ihnen die Wahrheit gestehen und sie wären gezwungen auf den Krieg zu verzichten. Und wenn erst der Friede geschlossen ist, wirst du ihnen sagen, was sich zugetragen hat und daß ich nur eine kirchliche und keine gesetzliche Ehe angestrebt habe. Sie werden mich dann besser kennen und, hoffe ich, höher schätzen lernen.«

Cara schwieg einen Augenblick, ihr Antlitz war von Thränen feucht, und leidenschaftlich ergriff sie Leons Hände, um sie zu küssen. Dieser beugte sich über sie, doch noch einmal wehrte sie ihn ab und erhob sich.

»Jetzt habe ich alles gesagt,« sprach sie. »Jetzt sollst du entscheiden, du hast die Wahl, es gilt unser Leben oder unsern Tod. Sagst du ›Ja‹, werfe ich mich in deine Arme, bleibe stets bei dir und werde nie eine andere Sorge haben, als dich durch meine Liebe glücklich zu machen, indem ich dich verehre, wie noch kein Mann verehrt worden ist. Sagst du aber ›Nein‹, so gehe ich auf Nimmerwiedersehen, denn meine Liebe müßte der Verachtung weichen, die du mir erzeigst, indem du mir diese kleine Genugthuung verweigerst. Dieser Augenblick soll entscheiden, ob du mich liebst oder nicht liebst. Liebst du mich, bleibe ich; liebst du mich nicht, reise ich sofort ab. Leon, sprich nur das eine Wort: Ich liebe dich. Deine Lippen haben es mir so oft zugeflüstert, werden sie jetzt stumm bleiben?«

Während Cara sprach, hatte sie mit hastiger Bewegung ihren Hut und Mantel genommen und hatte sich mit jedem Worte mehr und mehr der Thür genähert, welche sie jetzt fast berührte.

Leon war ihr gefolgt.

Sie legte die Hand auf den Thürdrücker und blickte ihrem Geliebten tief in die Augen. So blieben Beide eine Zeitlang, sie erwartungsvoll, er in Zweifeln befangen. Dann öffnete er die Arme und sie warf sich an seine Brust.

Leon hatte stillschweigend die Bitte Cara's bewilligt …


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