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Nachher


Auch eine Revolution

Ihren Machern liegt offenbar viel daran, daß es auch wirklich eine Revolution ist. November 1918, das war für sie keine; es war ein Verbrechen, von einzelnen willkürlich begangen. Sie fühlen sich berufen, es auszutilgen mit dem glänzenden Schwung ihrer nationalen Erhebung. Allem Anschein nach sind sie selbst entzückt von ihren Taten, die Verfolgungen und Greuel mitgerechnet. Sie finden Gefallen daran, sich allgemeine Mißbilligung zuzuziehen, und bleiben um so fester überzeugt, was sie tun, sei echt deutsch.

Ich glaube, sie irren, und das wahre Deutschland, das für sich die Zukunft hat, sind sie nicht. Es ist allerdings schwer, die einzelnen Bestandteile dieses Landes auseinanderzuhalten. Deutlich voneinander getrennte Rassen bewohnen es, aber wichtiger ist, daß sie zu ganz verschiedenen Zeiten zivilisiert worden sind. Das erklärt zum Teil den Haß, der hier herrscht. Außerdem bestehen eng beisammen kulturelle Einflüsse, die einer vom andern abweichen und jeder seinen besonderen Sinn hat. Die Deutschen haben sich selbst immer nur schwer verstanden; daher ist ihre ständige Sorge die nationale Frage, und daher wissen sie immer noch nicht, was eigentlich deutsch ist.

Zweitausend Jahre sitzt die Nation auf ihrem Grund und Boden; die Sache könnte, sogar in ihren eigenen Augen, allmählich geklärt sein. Aber nein, von Zeit zu Zeit gibt es ihr einen Ruck und sie äußert erregt: »Endlich bin ich eine Nation geworden!« Diesen Ruck haben Hitler und seine famose Bewegung ihr soeben wieder mal verschafft. Sein Anfangserfolg liegt gewiß auch daran, hat aber natürlich noch andere Ursachen.

Der große Mann hatte es zu tun mit einer gleich eingeebneten, wenn auch nicht gleich gerichteten Masse; das Land kannte ihresgleichen erst seit kurzem. Gebildet wurde sie von heruntergekommenen, verarmten Schichten. Das kleine und mittlere Bürgertum war unlängst proletarisiert worden, und es fühlte nur Gegnerschaft für seinen nächsten Gefährten, den Proletarier, der seine Klasse schon vorher bewußt vertreten hatte. Inzwischen allerdings hatten die Arbeiter, infolge der langen Arbeitslosigkeit, viel eingebüßt von ihrem Klassenbewußtsein. Alles war geschwächt, ihr Glaube an den sozialen Gedanken und ihr ganzer einstiger Stolz. Der große Mann brauchte den weichen Teig nur zu kneten.

Überdies aber mußte die Luft mit Revolution geladen werden. Auch tief gesunkene Massen geben sich nicht gern her für Interessen, die das genaue Gegenteil ihrer eigenen sind, für die Interessen einiger reichen Leute, ob Industrielle, Großgrundbesitzer oder frühere Herrscherhäuser. Grade die aber zahlten für die nationalsozialistische Bewegung. »Das dürfen sie nicht merken«, sagten die Macher. »Wir behaupten einfach, daß es Klassengegensätze gar nicht gibt. Die Nation steht als Einheit da. Ran an die Marxisten, die sie spalten! Revolution machen, heißt den sozialen Gedanken zerstören mitsamt allem, was dranhängt, Gewerkschaften, Parlamentarismus und die ganze republikanische, menschenfreundliche Geistesart. Unsere Revolution ist die Revolution der Nation gegen die Parteien, und auch gegen alle, die denken wollen. Die Vernunft ist der Feind. Rotten wir uns zusammen gegen sie! Endlich sind wir eine Nation geworden! Ruft zum Haß gegen jeden, der uns abhalten möchte, endlich eine Nation zu sein! Was wir Revolutionäres haben, ist die Wucht unseres Hasses!«

Der Haß nicht nur als Mittel, sondern als einziger Daseinsgrund einer mächtigen Volksbewegung, das ist dem großen Hitler eingefallen. Nun hat wohl jede Revolution unter ihren Kräften auch den Haß, gleichgültig, wie weit er berechtigt ist. Aber im allgemeinen richtet er sich gegen die Mächtigen und die Reichen; er unterstreicht dann nur Forderungen, die ohnedies verständlich sind. Hier, nichts dergleichen. Noch niemals hatte man ein Volk haßerfüllt gesehen gegen seine eigenen Leute, die Kleinen, Schwachen und Armen, gleichzeitig aber auch gegen die Vereinzelten, die für es denken und aus Gerechtigkeitssinn auf Seiten der Unterdrückten stehen.

Der große Mann nennt diese schlankweg ein Intellektuellen- und Professorengesindel. Der Weltruf eines Einstein oder eines Thomas Mann stört ihn nicht. Sollen alle machen, daß sie fortkommen, das Volk sieht dann nur noch ihn. Dann hat er es. Sogar die Marxisten werden zusammenknicken, werden niederbrechen unter dem Haß, der auf ihnen lastet. Das sah gradezu halsbrecherisch aus, all der erbitterte Haß, den man gegen Natur und Wahrscheinlichkeit, bloß mit Lügen, in den Leuten erzeugte. Es mußte aber gelingen bei einer verarmten, besonders geistig verarmten Masse. Fragte jemand einen armen Teufel, einen Studenten oder Arbeiter: »Wie kommt es, daß du in derselben Partei bist wie Prinz Sowieso von Preußen?« – der arme Teufel konnte nur die Achseln zucken. Unwissend und kulturlos wie er war, gelang es spielend, ihm die Republik verhaßt zu machen, zu dem ausgesprochenen Zweck, damit er nicht merkte, wer eigentlich schuld an seinem Unglück war. Zwanzig Jahre früher und vom Elend noch nicht geschwächt, hätten alle den Schwindel gerochen.

Diese junge Generation wußte von den Vorkriegszeiten nichts. Von Marx kannte sie nicht die Lehre, nur den Namen, und den nur zur Abschreckung. Manche hielten ihn für einen Bolschewistenführer in Moskau, andere hofften, eines Tages werde er gefaßt werden, und zwar auf der Redaktion eines Judenblattes! Marxismus und Judentum verschmolzen in den beschränkten Köpfen, so kam ihre Erbfeindschaft gegen die Juden zu neuen guten Gründen. Von den Gesetzen des Kapitalismus verstanden sie nichts und hielten sich daher bereitwillig an die Juden allein. Denn deren Rasse war der ihren fremd und drohte ihre Einheitlichkeit zu zerrütten – als wenn tatsächlich bewiesen wäre, daß es eine deutsche Einheitsrasse überhaupt gibt.

In dieser Volksbewegung wurde das wirkliche Problem des Kapitalismus weggeschwindelt, und an seine Stelle trat ein Phantasieerzeugnis, die Rassenlehre. Dem »Menschenmaterial«, mit dem die Führer ihr Glück versuchten, mußte vor allem die Mühe des Denkens erspart werden. Darin waren ja auch die Führer selbst ohne Übung. Keinen Augenblick untersuchten sie den Zusammenhang der Tatsachen, ihren Sinn und Ursprung. Ihre Sorge waren immer nur einzelne Menschen: die Novemberverbrecher, die Juden, die Intellektuellen. Haßt! Heil bringt euch der Haß!

Das letzte Mal, daß Brüning, der letzte Kanzler der Republik, öffentlich sprach, versicherte er, daß man nicht glauben dürfe, ihn beschäftigten Personalfragen. Er sei mit allen seinen Gedanken bei den Millionen Arbeitslosen und bei den sozialen Maßnahmen, auf die sie das Anrecht hätten. Zur gleichen Stunde aber, als er in aufrichtigem, natürlichem Ton diese Worte sprach, brüllten Tausende anderer Stimmen durch Lautsprecher, und die setzten ganz Deutschland unter Haß. Längst schon hatten die nationalsozialistischen Hetzer dies Volk damit durchsättigt, jetzt waren sie nah am Ziel, die Republik hing nur noch an einem Haar. Der Hohepriester des Hasses, der bald an die Stelle des wohlmeinenden Brüning treten sollte, Hitler, der Nationalheld, durchraste das Land im Auto, flog in der Luft umher, verzehnfachte sich, trat an mehreren Orten zugleich auf – und aus seinem Munde, der beständig schäumte, drangen Laute, die eher nach dem Balkan als deutsch klangen; aber soviel vermochten sie dennoch, daß Deutsche anderen Deutschen zu Tode verhaßt wurden.

Lange Jahre hindurch ist mit vervollkommneter Technik nur Haß gesät worden: das ergab zuletzt den Sieg des großen Mannes und seiner Bewegung. Er ist auf wenig Widerstand gestoßen, und Verräter haben ihm geholfen. Gleichviel, sein unerschöpflicher Haß und seine nackte Gier ergossen sich in Strömen, alle bewunderten seine Schamlosigkeit und lernten von ihr. Wenn er in den Lautsprecher brüllte »Ich hasse sie! Ich will ihre Stellungen haben! Die ganze Macht will ich!«, dann verstanden ihn seine Zeitgenossen. Sie selbst haben nur zu oft eine Vorliebe für ungerechtfertigte Erfolge, während alles, was wahr und gerecht ist, sie wenig kümmert. Die Person des Führers gehört wohl mit Recht in ihre Zeit, und diese deutsche Abart der Revolution kennzeichnet ihr Jahrhundert.


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