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Anhang


Szenen aus dem Nazileben

Auf der Straße

Berlin, Nürnberger Platz. Die Fassade eines Hauses ist von unten bis oben bedeckt mit dem riesenhaften Abbild des »Führers«. Jeder Vorübergehende schleudert pflichtgemäß die Hand hinauf und ruft »Heil Hitler!«

Ein Mann ersucht einen anderen um Feuer. Während die Zigaretten einander berühren, springt der andere zurück.

»Sie haben mein Hakenkreuz bespuckt!«

»Ich? Im Gegenteil. Heil Hitler!«

»Das ist verkappter Marxismus. Ich muß Sie anzeigen.« Zu einem SA-Mann: »Nehmen Sie den Mann mit! Er hat das Hakenkreuz angespuckt.«

Der Beschuldigte: Ich bin Arier und Antimarxist. Lassen Sie mich, Kameraden! In den Spichernsälen bildet sich ein Zug der Arbeitsfront. Ich muß mitgehn, als deutscher Unternehmer in Reih und Glied mit deutschen Arbeitern!

Der SA-Mann: Halt mal! Das Hakenkreuz auf der Brust des anderen Mannes ist feucht. Ich stelle fest, daß das Speichel ist.

Der Beschuldigte: Meiner nicht!

Ein Zuschauer: Doch! Ich habe es gesehn.

Zweiter Zuschauer: Er hat den Herrn eigens um Feuer gebeten, damit er das Hakenkreuz bespucken konnte.

Der Mann mit dem Hakenkreuz: Habe ich es nicht gleich gesagt?

Der SA-Mann, zu dem Beschuldigten: Kommen Sie mal mit!

Der Beschuldigte schreit vor Angst: Nein! Ich will auch gestehn. Ich trage ein Gebiß. Es spuckt von selbst.

Der SA-Mann: Ihr Gebiß geht mich nichts an. Mitkommen!

Er packt ihn beim Arm.

Der Beschuldigte, verzweifelt: Heil Hitler!

Er bespuckt das Hakenkreuz des SA-Mannes.

Der SA-Mann: Auf frischer Tat! Du kommst ins Vorverhör, mein Junge. Bei unserem Sturm.

Der Verhaftete stößt ein Geheul aus, im Vorgefühl des »Vorverhörs« durch den »Sturm«.

Der Zug der Arbeitsfront marschiert an dem großen Abbild vorbei. Einstimmiger Ruf: Hoch der Führer! Der Arbeiterfreund! Heil Volkskanzler!

Die gutgekleideten Herren, die im Zuge mitgehn, rufen lauter und schleudern die Hand höher als die Masse der schlechtgekleideten Männer.

Eine Frau, in einem Menschenhaufen, schüttelt die geballte Faust gegen das Abbild des »Führers«: Ein Ausländer!

SA-Männer, die den Zug begleiten, fallen über sie her, sie verrenken ihr die Arme, bis sie aufheult.

Die SA-Männer: Beschimpfung des Führers! Du Marxistenbestie sollst uns kennenlernen.

Die Frau: Ich habe keinen Österreicher gemeint! Ich meinte einen Weißrussen. Der darf Hilfspolizei spielen und hat meinen Mann auf den Schädel geschlagen. Mein Mann wird vermißt. Ein Ausländer darf jetzt einen Deutschen ungestraft beseitigen.

Ein SA-Mann wendet den Aufschlag ihrer Jacke um. Darunter erscheint ein Sowjetstern.

Der SA-Mann: Da haben wir's.

Die Frau bekommt mit Gummiknüppeln einige über den Kopf und bricht zusammen.

Der wegen Spuckens Verhaftete ruft begeisterter als alle anderen: Totschlagen das Gesindel! Nieder mit Marx! Heil Hitler!

Der SA-Mann, der ihn verhaftet hatte: Warum haben Sie dann das Hakenkreuz bespuckt?

Der Verhaftete: Ganz unabsichtlich!

Der SA-Mann: Zweimal!

Der Verhaftete: Ein tragisches Verhängnis! Mein Gebiß –

Ein kleiner, dunkelhaariger Herr: Ich erbiete mich, den Fall wissenschaftlich aufzuklären. Ich bin Dentist.

Der SA-Mann: Sind Sie Jude?

Der Herr: Nur teilweise. Ich zähle zu den nachgedunkelten Schrumpfgermanen, wie unser Goebbels.

Der SA-Mann: Frechheit! Sie haben gar nichts aufzuklären, besonders nichts wissenschaftlich, Wissenschaft ist verkappter Marxismus. Mitkommen!

Er läßt den Arm des wegen Spuckens Verhafteten los. Dieser springt sofort in den Zug der Arbeitsfront und betätigt sich in wilder Begeisterung.

Der dunkelhaarige Herr wird abgeführt unter wohlgezielten Fußtritten ins Rückgrat. Während der Platz sich leert, dringt aus einer anliegenden Straße sein furchtbares Geschrei.

 

Im Konzentrationslager

Kommando: Auf! Ab! Auf! Ab!

Zwanzig Minuten lang werfen alle sich auf den Bauch und springen wieder auf. Wer nicht schnell genug ist, bekommt Peitschenhiebe um die entblößten Hüften.

Pause.

Alle fallen um und ringen am Boden nach Luft.

Zwei Männer blinzeln lange, bevor sie einander erkennen. Sie flüstern.

»Auch hier, Herr Zielke?«

»Ich bin so frei, Herr Blöm.«

»Frei ist das richtige Wort.«

»Voriges Jahr begegneten wir uns noch im Verein. Es waren sogar zwei Vereine.«

»Mein Apothekerverein ist gleichgeschaltet.«

»Mein Drogistenverein auch.«

»Wär ich nur nie als Gast in Ihren Verein gegangen!«

»Und ich nie in Ihren!«

»Dann hätten wir nie herausbekommen, was Traber machte.«

»Sein Doppelspiel.«

»Daß er in meinem Verein anders redete ...«

»Und in meinem wieder anders.«

»Uns Drogisten versprach er, wenn die Nazis die Macht hätten, dürften wir sämtliche Apothekerwaren verkaufen.«

»Uns Apothekern versprach er hoch und heilig die Schließung aller Drogerien.«

»Ich Esel entlarvte ihn!«

»Ich Rindvieh bestätigte Ihre Enthüllungen. Dafür bin ich hier.«

»Traber hat uns denunziert. Wir kamen sofort auf eine Liste.«

»Jetzt müssen wir hier turnen.«

»Und nierenleidend werden von den Prügeln.«

Noch leiseres Geflüster:

»Aber Traber auch.«

»Nicht möglich. Wer so gut lügen konnte!«

»Er ist doch damit hereingefallen. Seine Tante war Jüdin. Außerdem wußte er manches.«

»Haben Sie ihn gesehn?«

»Sie können ihn ebenso gut sehen. Der Mann, den sie grade an den Pfahl binden.«

»Der ist nicht mehr zu erkennen.«

»Den haben sie öfters ins Gesicht getroffen, Herr Zielke.«

»Sie können mir viel erzählen, daß es Traber ist, Herr Blöm.«

Kommando: Auf!

Sie springen vom Boden auf.

»Ab!«

Sie werfen sich auf den Bauch.


Ein Führer: Meyer, von der Commerzbank! Na, jetzt lernst du uns kennen.

Ein Gefangener: Metzger, auch mal bei der Commerzbank gewesen! Abgebaut wegen Unbrauchbarkeit. Freut mich, daß Sie hier endlich ein geeignetes Betätigungsfeld gefunden haben.

Der Führer: Mich freut es noch mehr.

Er zieht ihm die Peitsche um die Hüften.

Der Gefangene: Danke. Sie arbeiten Ihr Gehalt ab.

Der Führer: Sing doch, Mensch! Das tut weh.

Der Gefangene: Erst lange zetern? Ich bekomme lieber gleich den Herzschlag. Der ist mir sowieso sicher, und Sie werde ich nicht fragen.

Der Führer: Du hast wohl lange keine in die Fresse gekriegt. Du mußt verrückt sein, Meyer. Wozu hast du die ganze Sache gemacht? Nicht mal Marxist warst du.

Der Gefangene: Was habe ich gemacht? Das vergißt man hier ganz.

Der Führer: Vor den Kollegen in der Bank hast du gesagt: »Einer müßte sich doch endlich finden, der mit ihm Schluß macht.« Natürlich wußte jeder, mit wem.

Der Gefangene: Ach ja. Dann haben Sie mich angezeigt, und ich kam erst mal aufs Präsidium.

Der Führer: Das hätte dir als Lehre dienen sollen. Aber du mußt einen Defekt haben, Meyer. Nach deiner Entlassung aus dem Präsidium fragten wir dich, wie es gewesen war, und du antwortetest: »Mir haben sie nicht viel getan. Aber in meiner Zelle waren die Wände bespritzt mit frischem Blut.« Das meldete ich natürlich wieder.

Der Gefangene: Dafür sind Sie Führer geworden. Wenigstens hat es sich gelohnt für Sie, Metzger.

Der Führer: Für dich auch, Meyer. Lebendig kommst du hier nicht heraus.

Er hebt die Peitsche, läßt sie wieder sinken.

Der Führer: Hat keinen Zweck bei dir. Was mach ich mit Leuten, die einen so dicken Knacks haben.

Er dreht sich um und läßt ihn stehen.


Eine Frau: Hier kann sogar ich noch zulernen.

Eine andere: Was wollen Sie hier denn lernen?

Die Frau: Meine Herren krieg ich ganz anders ran, wenn ich erst wieder im Beruf bin. Sie sollen auch, wie hier, auf allen vieren um die Wette laufen und Siegheil rufen.

Die andere: Was für einen Beruf haben Sie denn?

Die Frau: Im Geschäft trag ich hohe rote Stiefel.

Die andere: Sie sind wohl Sadistin? Deswegen sind Sie hier?

Die Frau: Im Gegenteil. Ich vertrug nicht genug. Ich hatte zwar eine Folterbank, aber das war nur Kinderei. Kommen SA zu mir in den Laden und fragen nach der Folterbank. Ich sage: Kenne ich gar nicht. Sie finden zuerst meine Ketten und Peitschen. Die Folterbank sehen sie ganz zuletzt, und da hab ich ihnen eingeredet, das sei zum Turnen für meinen Affen.

Die andere: Das haben die Dussels Ihnen geglaubt?

Die Frau: Glatt. Nur wegen der Ketten und der Stiefel haben sie mich aufs Präsidium mitgenommen. Leider wußten die SA dort noch nicht genug Bescheid und führten mich in einen falschen Gang, wo Bilder hingen. Ich sah nicht hin, aber sie zeigten mir eins. Das sollte den marxistischen Präsidenten vorstellen.

Die andere: Grzesinsky? Von Landarbeitern sind wir auch mal regiert worden.

Die Frau: Sie hatten ihn als zehnfachen Juden abgebildet, eine Nase wie 'ne faule Gurke. In der Hand hielt er eine Peitsche. Darunter stand: »Hitler sollte man mit der Peitsche über die Grenze jagen.«

Die andere, flüstert: Aber getan hat er's nicht.

Die Frau: Darauf schiele ich auch nach den anderen Bildern. Das waren Photographien von Vermißten. Nicht mehr zu erkennen. Zerstückelt, zerschnippelt wie mit der Schere. Das rohe Fleisch und überall geronnenes Blut.

Die andere: Aber Sie als Sadistin?

Die Frau: Mir wurde schwach.

Die andere: Darum sind Sie hier?

Die Frau: Weil ich das gesehen hatte, und es nicht vertrug.

 

Die Vermißten

In einem Café. Alle Tische sind besetzt. An einem von ihnen sitzen zehn braun gekleidete Nazis in Gesellschaft eines sehr eleganten Zivilisten.

Der elegante Herr: Achtung! Da kommt er. Türen zu! Niemand verläßt das Lokal!

Der Wirt: Bitte gefälligst die Herren, nur keinen Krach! Die Polizei –

Der elegante Herr: Die sind wir.

Der zuletzt eingetretene Gast: Lassen Sie mich raus! Hier fühle ich mich nicht sicher.

Der elegante Herr: Sehr richtig. Kennen Sie mich?

Der letzte Gast: Herr Hanussen!

Der Herr: Persönlich. Ich bin der offizielle Astrologe des Dritten Reiches. Aus der Konstellation der Gestirne habe ich prophezeit, daß es kommt, und Tausende hörten ganz doof zu. Was denn, Hunderttausende! Millionen, und geglaubt haben sie's. Darum ist das Dritte Reich denn auch richtig eingetroffen.

Der letzte Gast: Geschwindelt haben Sie! Ein richtiger Astrologe sind Sie nicht, dabei bleibe ich. Sie sind nur ein Betrüger.

Der Herr: Das sollen Sie nicht noch mal sagen. Schmutzkonkurrenz in Astrologie machen Sie mir auch nicht mehr. Wissen Sie was? Körperliche Ertüchtigung treiben Sie gefälligst, und meine jungen Freunde in der kleidsamen braunen Tracht passen scharf auf Sie auf. Los! Trab!

Der letzte Gast bekommt einen Fußtritt von einem der SA-Männer, darauf fängt er an, durch das Café zu laufen. Bald geht ihm der Atem aus, er stolpert und stößt an die Tische. Die Frauen schreien. Alle Gäste sind aufgesprungen, drängen nach den Ausgängen, finden sie aber geschlossen.

Der Wirt zu dem eleganten Herrn: Sehen Sie denn nicht, daß Sie mein Unternehmen abwürgen?

Er bricht auf einem Stuhl zusammen und sagt mit ersterbender Stimme: Ach! Noch mehr Aufregungen vertrag ich nicht. Die braune Kundschaft hört auch gar nicht mehr auf damit. Besetzen mein Lokal, die ganze Bande. Bestellen Kaffee und legen jeder 25 Pfennig hin. 60 kost' er.

Seine Stimme ist nur noch ein Hauch.

Der Herr: Ich werde rücksichtslos durchgreifen, wo mir der Junge das ganze Astrologie-Geschäft versaut. Ist er immer noch nicht erledigt?

Der letzte Gast läuft weiter wie toll. An beiden Enden des Lokals paßt ein SA-Mann auf ihn auf. Sooft er anlangt, wird er herumgedreht und bekommt einen Stiefelabsatz in den Hintern.

Das Publikum beschwert sich laut. Es hat genug und verlangt, daß die Türen geöffnet werden.

Der Herr wird wild: Ihr da unten im Parkett! Mal schön stieke, ja? Oder ihr kriegt euer blaues Wunder zu sehen. (Zu den SA:) Jungens, rauf mit dem Preisrenner auf den Tisch! Heil Hitler soll er rufen, bis er die Lunge auskotzt. Wenn er Zicken macht, haut ihn gründlich in die Fresse, den Marxisten! Alles kann ich mir leisten. Gegen mich wagt keiner was. Ich weiß zu viel über das Dritte Reich, und Graf Helldorf ist mein Freund.

Der letzte Gast wird auf einen Tisch gehoben. Mit der Kraft der Verzweiflung brüllt er: Heil Hitler!

Der Herr: Und die andern? Na los mal!

Der Chor der entsetzten Gäste: Heil Hitler!

Der Herr: So war's richtig. Aber dort hinten der Junge schreit nicht mit. Er hat nicht mal aufzustehn geruht. Na helft ihm, meine Heldenschar!

Ein SA-Mann: Das ist ja der Wirt! Komisch, der ist tot.


Beim Grafen Helldorf, Polizeipräsidenten von Potsdam. Er ist ein Lebemann vom sportlichen Typ, das Gesicht zeigt eher Zynismus als stilles Besinnen. Er hat eine Besprechung mit dem eleganten Herrn aus der vorigen Szene.

Helldorf: Herr Hanussen, gegen Sie liegen Beschwerden vor. Neulich abends sollen Sie gradezu einen öffentlichen Skandal erregt haben.

Hanussen: Ich dachte nur an Ihre eigenen Stückchen, lieber Graf. Ich folge Ihren berühmten Spuren.

Helldorf: Darauf brauchen Sie nicht zurückzukommen, da war ich noch nicht Polizeipräsident. Das habe ich alles vergessen.

Hanussen: Auch, was ich für das Dritte Reich getan habe? Ich hab es prophezeit!

Helldorf: Damit haben Sie Millionen verdient.

Hanussen: Und Ihnen hab ich sie geliehen, im Vertrauen auf Ihre künftige Macht. Jetzt haben Sie Ihr Händchen in den öffentlichen Geldern. Ersetzen Sie mir meine Auslagen!

Helldorf: Die haben Sie ersetzt bekommen, denn Ihre Prophezeiungen sind eingetroffen. Das muß Ihnen genügen.

Hanussen: Ich soll pleite sein, Sie aber sitzen in Ihrem Fett und schämen sich nicht. Ihre ganze Herrlichkeit verdanken Sie doch bloß Ihren Verbrechen. Mit den gemeinsten Betrügereien haben Sie es geschafft. Sie sind erledigt, wenn ich auspacke über Sie und nebenbei über die andern.

Helldorf: Sie sind ein jüdischer Wucherer und verlieren vor Geldgier den Verstand, Herr Hanussen.

Hanussen: Na schön. Ich bin Jude. Das Dritte Reich verdankt ihr der Zugkraft eines jüdischen Anreißers. Wir sind einer soviel wert wie der andere, Graf Helldorf. Bezahlen Sie mich!

Helldorf: Nein. Aber ich bin nett und erzähle Ihnen eine Geschichte von einem gewissen Bell.

Hanussen: Ihr Bell interessiert mich nicht.

Helldorf: Im Gegenteil, er interessiert Sie ganz persönlich. Dieser Bell vermittelte zwischen uns und einem internationalen Petroleummagnaten. Der Großkapitalist finanzierte unsere Bewegung auf Gegenseitigkeit. Wenn wir erst die Macht hätten, sollten wir ihm das russische Petroleum erobern.

Hanussen: Aha! Mir ahnt, wer das ist. Ihr habt für eure deutsche Erhebung internationales Geld genommen, und jetzt verleugnet ihr eure Unterschrift. So machen Sie es auch mit mir. Vergessen Sie aber nur nicht, daß Bell alle Beweise in Händen hat.

Helldorf: Das meine ich grade. Er hatte sie. Aber er wird vermißt.

Hanussen, erstarrt: Sie wollen wohl nicht sagen –. Sie haben ihn doch nicht –?

Helldorf steht auf: Halten Sie von der Geschichte, was Sie wollen. Adieu, Herr Hanussen.

Hanussen geht wankend auf die Tür zu: Jedenfalls weiß ich jetzt noch mehr. Wenn ich nur noch dazu komme, es zu benutzen!

Helldorf: Das ist allerdings die Hauptsache, Herr Hanussen.

Dem SA-Mann, der den Besucher hinausbegleiten soll, gibt der Polizeipräsident einen stummen Befehl. Der Mann antwortet ebenso, daß er verstanden hat.


Eine Vorstadtlandschaft gegen Abend. Ein Lastauto mit zwei Mann fährt in ein Gehölz. An einer besonders einsamen Stelle halten sie an und steigen ab. Beide sind gekleidet wie Erdarbeiter, mit Schaufeln in der Hand.

Der achtzehnjährige Junge: Hast du auch richtig nachgesehn? Ist wirklich niemand in der Nähe?

Der dreiundzwanzigjährige: An uns wagt keiner sich ran.

Der Jüngere: Wir haben ja die Uniform ausgezogen. Uns können sie für gewöhnliche Arbeiter halten.

Der Ältere: Man braucht nur zu kieken, was wir hier tätigen. Irrtum ausgeschlossen. Glaub mal ruhig einem erfahrenen alten Mann!

Er faßt an seine hintere Hosentasche: Na, und wenn wirklich einer zu neugierig wird ... Höchstens macht das einen mehr. Dreizehn müssen wir sowieso schon einbuddeln.

Der Jüngere: Hier ist es richtig. Das Grab gehört zwischen die vier Buchen.

Der Ältere: Meinetwegen Buchen.

Sie gehen daran, Erde auszuheben. Nach einer Stunde angestrengter Arbeit betrachten sie befriedigt ihr Werk.

Der Jüngere: Wenigstens sind wir keine Arbeitslosen.

Der Ältere: Das kann niemand behaupten. Uns beide kennen sie als ekelhaft tüchtig und halsen uns den ganzen Dreck auf, jedesmal wenn es was gesetzt hat. Die Kameraden besorgen bloß das Totschlagen, was ist das schon. Wir müssen sie einbuddeln.

Der Jüngere: Ich hab aber auch einen gekillt. Er war schon ein bißchen älter und wollte Frieden stiften – ausgerechnet zwischen uns und den Kommunisten.

Der Ältere: Das hast du richtig angefaßt. Vorher war er wohl nicht friedlich, als die Kolonisten auf zwei von unseren Leuten geschossen haben. Wenn wir das durchgehn ließen, daß sie die SA überfallen! Gleich wäre alles kaputt.

Der Jüngere: Auf einen Anruf ist der ganze Sturm hinbeordert. Den Kolonisten haben wir es besorgt. Es war unser gutes Recht. Sie hatten uns ja überfallen.

Der Ältere: Quatsch nicht! Bei mir gibt's nur eins: Kommunistenherde ausrotten, ganz egal, ob wir überfallen sind.

Der Jüngere: Ach! Dann waren wir wohl gar nicht überfallen?

Der Ältere: Wenn schon. Geht uns nichts an. Die Grube hat Platz für die ganze Gesellschaft. Holen wir sie mal aus dem Lastauto und verstauen wir sie ordentlich!

Der Jüngere: Die sind wenigstens kein »Volk ohne Raum«.

Der Ältere: Was ist wieder los? Ach! Bildung. Intellektuellen trau ich nun mal nicht.

Der Jüngere: Ich hab aber den alten Mann gekillt. Wurde keß, wollte Frieden stiften.

Aus dem Lastauto ziehen sie nach und nach dreizehn Leichen heraus. Diese sind verstümmelt, meistens nackt und mit geronnenem Blut bedeckt. Die Gesichter sind unkenntlich geworden, so zerschlagen sind sie.

Der Ältere: Das haben sie davon, daß sie sich schief gelegt hatten. Faß mal bei dem Dicken mit an! Den befördern wir gleich in das Loch. Machen sich verdammt schwer, wenn sie tot sind. Mir läuft das Wasser runter.

Er mustert den Jüngeren: Du willst wohl nicht? Was hast du, Mensch? Du bist ja grün.

Der Jüngere: Das ist meiner, ich hab ihn wiedererkannt. Den hab ich gekillt. Gesicht hat er keins mehr. Ich erkenne ihn aber doch, weil ich ihn selbst so zugerichtet habe.

Der Ältere: Na und? Ich hab ihn mir grade erst richtig angesehn. Den legen wir für sich. Hier werden keine Faxen gemacht, tu, was man dir sagt! Und nimm dich zusammen, dich hab ich schon auf dem Kieker.

Der Jüngere macht einen Sprung rückwärts und flüchtet durch die Bäume. Der Ältere schickt ihm aus seinem Revolver eine Kugel nach. Dann horcht er. Endlich kommt ein Klagelaut aus dem tiefen Wald. Der Ältere läuft hin und findet seinen Kameraden, wie er hockt und erbricht. Neben ihm liegt eine Leiche, die offenbar schon ziemlich alt ist.

Der Ältere: Da ist ja noch so'n Bruder, und den kennen wir überhaupt nicht! Zum Kotzen ist der.

Auch er muß erbrechen. Beide schweigen, bis ihre Erregung sich gelegt hat.

Der Jüngere: Siehst du wohl? Du brauchst kein Intellektueller zu sein, es dreht dir doch den Magen um. Jetzt laß gefälligst deinen Revolver stecken. Ich hab auch einen.

Der Ältere: Geht in Ordnung. Der eklige Bruder hat sich aber vornehm angezogen! Das ist kein Kommunist aus der Laubenkolonie. Das ist ein hochvornehmer Herr, der lag sicher richtig. Mir ist sogar, als wenn ich ihn kenne. Wie soll man das Gesicht unterbringen, er hat doch keins mehr.

Er durchsucht die Leiche: Alles haben sie ihm geklaut. Kommunisten natürlich. Aha! Seine Karte. Das ist ja Hanussen!

Der Jüngere: Der Astrologe?

Der Ältere: Persönlich. Der prophezeit uns auch kein Glück mehr. Hat Pech gehabt.

Der Jüngere: Der Mann ist so bekannt! Wir müssen das melden.

Der Ältere: Besser, wir graben ihn auch mit ein. Leute wie wir können nicht so genau wissen, wenn was vorkommt, ob man es zu melden hat oder das Maul halten muß.

Der Jüngere: Außerdem ist mir dieser Astrologe immer vorgekommen wie ein ausgemachter Schuft.

Sie tragen die Leiche zu den anderen, legen sie aber für sich. Es wird schon Nacht.

Der Jüngere: Du legst ihn wohl absichtlich zu dem Alten, den ich gekillt habe!

Der Ältere: Weißt du wirklich nicht, wer das ist? Dann merk dir, daß du einen anständigen Kerl auf dem Gewissen hast. Marxist, war früher Minister, ist ein armer Hund geblieben, wohnte in einer Arbeiterkolonie.

Der Jüngere: Das hab ich gemacht! Ich seh ihn noch aus seiner Laube treten, er hielt ein Buch. Ich – ich habe ...

Er weint in die Dunkelheit, die immer tiefer wird.

Der Ältere: Stelling hieß er. Wir hatten Befehl bekommen, ihn aus dem Haufen herauszusuchen und wieder mitzunehmen. Er kommt in einen plombierten Sarg, und den kriegt die Witwe, aber sie muß eidesstattlich versichern, daß sie ihn nicht aufmacht.

Der Jüngere: Nur schnell fertig werden!

In Eile graben sie alle Toten ein. Schließlich liegen außerhalb des Grabes nur noch die beiden Leichname von Hanussen und Stelling; im Dunkeln sieht einer fast wie der andere aus.

Der Jüngere: Der Schuft und der ehrliche Mann.

Der Ältere: Jetzt macht das nichts mehr aus. Ich meine sogar, die Witwe sollte den Schuft kriegen. Wenn unsere Leute ihn anfassen, wird ihnen nicht so mulmig. Er hat eine feine Kluft an, und ihm ist auch bloß der halbe Schädel weggeschossen.

Der Jüngere: Wie du willst.

Sie stampfen über den Toten die Erde fest, dann tragen sie die Leiche Hanussens auf das Lastauto und fahren damit in eine nahe gelegene Garage. Auf ein verabredetes Zeichen wird ihnen geöffnet. Kein Wort wird gewechselt. Schweigend ziehen sie ihre Uniformen wieder an und machen, daß sie fortkommen. Erst hinter der Straßenecke wagen sie langsamer zu gehn. Die Straße ist beleuchtet.

Eine nicht mehr junge Frau sieht den Jüngeren so lange an, daß er zusammenzuckt. Er fühlt, wie er bleich wird; fassungslos murmelt er: Wenn das nun die Witwe war!

Angstvoll blickt er zur Seite nach seinem Gefährten. Der aber hält die Augen gesenkt.

 

Man muß sich zu helfen wissen

Ein offizieller Empfang im Palais des Reichstagspräsidenten. Der Hausherr ist Herr Göring. Teure, nagelneue Ausstattung. Massenandrang. Der mächtige Mann läßt sich von seinen Gästen bewundern in einer Phantasieuniform. Er füllt für sich allein den Vordergrund und hält seinen Riesenleib den photographischen Apparaten hin.

Göring, zu den Journalisten: Ich habe die ganze Nacht am Schreibtisch gesessen und Hinrichtungsbefehle unterschrieben. Überzeugen Sie sich selbst, daß ich frisch und munter bin!

Goebbels, Minister für Propaganda, folgt ihm von weitem mit haßerfüllten Blicken: Er hält sich mit Morphium aufrecht. Wie besessen ist er vor Aufdringlichkeit, und in Wirklichkeit habe doch nur ich allein sie zu dem gemacht, was sie sind, ihn wie die anderen!

Sinsheimer, vom »Berliner Tageblatt«: Das sage ich immer. Sie allein sind die treibende Kraft des neuen Staates. Wir hätten ihn gar nicht, wenn nicht Ihre gesammelten Werke wären.

Goebbels: Davon reden wir mal! Als mein Stück gespielt wurde, hätten Sie es würdigen sollen.

Sinsheimer: Das habe ich doch getan. Für einen Kritiker, der weiß, was los ist, sind Sie gegenwärtig der deutsche Dramatiker. Unsere Literatur macht einen Höhenflug seit Ihrem Auftreten. Wer das nicht einsieht, gehört glatt ins Konzentrationslager.

Goebbels: Für Sie war es aber Zeit, es einzusehn. Ich weiß noch: die nationale Erhebung war schon in vollem Gang, da setzten Sie noch immer auf die Kulturbolschewisten. Sie sind schwer von Begriff.

Sinsheimer: Dafür habe ich Sie dann auch restlos gelobt. Gepriesen hab ich Sie, sobald Sie die Macht hatten. Ganz klein hab ich mich gemacht, weil Sie so ein gewaltiger Redner waren und die Massen fest in der Hand hielten. Ihrem Zauber ist nicht zu widerstehen. Das hab ich erst voll begriffen, als es sich herumsprach, daß Sie meine Zeitung enteignen würden.

Goebbels: Ihr Glück! Von gestern auf heute haben Sie sich gleichgeschaltet. Wenn ich denke, wie oft Sie sich haben freiwillig demütigen müssen! Andauernd haben Sie von Ihrer Eigenliebe und Selbstachtung etwas nachgelassen, und schließlich ist der ganze alte Mensch futsch, der mal achtbar gewesen sein soll! Es macht mir noch nachträglich einen ungeheuren Spaß. Darum bin ich so gnädig und spreche mit Ihnen.

Sinsheimer: Am gewecktesten hab aber doch ich es gemacht. Ich hab es fertiggebracht, in dem jüdischen »Tageblatt« sitzen zu bleiben, als es nationalsozialistisch geworden war. Das hätten Sie mir selbst nicht zugetraut.

Goebbels: Auch Zufälle haben Ihnen geholfen, zum Beispiel ein telefonischer Anruf von einem Ihrer alten Freunde. Als die Marxisten noch herrschten, war er einer der geistigen Führer, und Sie pflegten seine Freundschaft. Natürlich war er getürmt. Meine hochgewachsenen, blonden Heldenjungen sind bei ihm zu spät gekommen, nie werde ich es mir verzeihn.

Sinsheimer: Hätten Sie ein Wort gesagt, den würde ich Ihnen in die Hände gespielt haben.

Goebbels: Das glaube ich Ihnen. Ich habe Sie am Telefon belauscht. Sie können sich denken, daß Ihre Gespräche abgehört wurden. Ich hatte Befehl gegeben, mich einzuschalten, wenn Ihr Freund anriefe. Wie Sie mit ihm Schluß machten, weil er jetzt für Sie eine Belastung war: das ging eins zwei drei und ließ an Schamlosigkeit nichts zu wünschen. So etwas kitzelt mich angenehm, sogar nachträglich. Darum habe ich Sie auf Ihrem Posten gelassen. Ich habe Verräter gern. Man hält sie besser in der Hand als ehrliche Leute.

Belling, Mitglied der Preußischen Akademie der Künste, zu Pfitzner, ihrem Präsidenten: Sie verlangen, ich soll mein Amt niederlegen. Dann würde ich kein Meisteratelier mehr leiten, ich hätte keine Bezüge mehr. Ich säße auf der Straße!

Pfitzner: Nur ruhig, lieber Freund! Hier werden recht trinkbare Erfrischungen gereicht.

Ein SA-Mann bietet Getränke an.

Pfitzner: Werden Sie sich über Ihre Lage klar, lieber Belling! Ungestraft heiratet man keine Jüdin. Ich habe das nicht getan, dies Verdienst kommt zu meinen anderen hinzu.

Belling: Wenn es nicht Ihr einziges ist. Sonst sind Sie nicht grade erstklassig, weder als Komponist noch als Dirigent. Ich schließe mich voll und ganz der Meinung an, die Sie von sich selbst haben.

Pfitzner: Sie irren. Ich bin ein deutscher Meister. Aber Glück muß man haben, und der Direktor der Städtischen Oper war Marxist. Ich wurde sein Nachfolger, das war mein Recht, und ebenso konnte ich mich auf jedes Orchester stürzen, dessen Leitung einem jüdischen Kapellmeister entzogen worden war. Sehen Sie: worauf es ankommt im Leben, das ist Reinheit.

Belling: Durch meine Ehe bin ich verjudet; die Tatsache besteht nun mal. Wenn ich mich nur bis zu dem Hausherrn durchschlängeln könnte! Ich sehe ihn nirgends mehr. Der Andrang ist zu groß. All die Bittsteller, die ihn belagern!

Pfitzner: Da kommt er zurück, er hat sich nur umgezogen. Was allerdings Ihre Sache betrifft, wird mit ihm nichts anzufangen sein. Machen Sie sich keine leeren Hoffnungen!

Göring durchschreitet die Säle, damit die Gäste ihn bewundern können. Hierauf füllt er ganz allein den Vordergrund und hält seinen in eine zweite Phantasieuniform gekleideten Riesenleib den photographischen Apparaten hin.

Göring, zu den eifrig beflissenen Journalisten: Merken Sie sich, was ich für eine Arbeitsfähigkeit habe und wie glänzend meine Gesundheit ist! Heute habe ich den ganzen Tag mit meinen Kollegen vom Reichskabinett beraten, alle Einzelheiten wegen der Unfruchtbarmachung der Minderwertigen. Sämtlich kommen sie dran, Juden und Marxisten. Das war meine Idee. Die nationale Regierung dauert ewig, sie braucht nur alle ihre Feinde unfruchtbar zu machen.

Er fährt in seiner Rede fort mit donnernder Stimme.

Belling: Auch ich hab eine Idee, wie ich mich halten kann in meiner Stellung.

Pfitzner: Ihre jüdische Frau soll Ihnen verziehen werden? Das machen Sie sich wieder ab!

Belling: Sie werden es erleben, bei seinem nächsten Kostümwechsel. Ich werde mich ranhalten.

Er enteilt höchst geschäftig.

Goebbels folgt Göring mit Blicken voll Eifersucht und Haß: Der ist kein Doktor der Philosophie. Das merkt man an all den anspruchsvollen Albernheiten, die er zwischen zwei Morphiumspritzen von sich gibt. Erstens mal habe ich allein die ganze Unfruchtbarmachung aufgebracht. Außerdem denkt er doch gar zu wenig an sich selbst, während er von den Minderwertigen spricht. Wenn schon Unfruchtbarmachung zwecks Reinigung und Kräftigung der Rasse, dann wäre es nicht so übel, den ersten Versuch an einer offiziellen Persönlichkeit vorzunehmen.

Sinsheimer mustert den armen kleinen Krüppel mit dem nervös verzerrten Gesicht, das gespalten wird von einem ungeheuren Mund: Beinahe bin ich Ihrer Ansicht.

Goebbels zuckt auf, seine Stimme wird tief und kränklich: Das hab ich verstanden. Ich bin nämlich der am wenigsten Dumme aus der Bande. Sie kenne ich schon lange, Doktor Sinsheimer; Sie wissen es nur nicht. Als ich noch nichts als ein kleiner erfolgloser Literat war, las ich Ihre Kritiken über die Arbeiten meiner begabteren Kollegen. Mich beachteten Sie gar nicht, damit haben Sie mir den Haß beigebracht; und dem Haß verdanke ich mein ganzes Talent.

Sinsheimer: Sie machen mich stolz, Herr Minister. Das Vertrauen eines mächtigen Mannes ist ein Geschenk der Götter. Der Fall kann sogar eintreten, daß man es in Gebrauch nimmt.

Goebbels: Das hab ich auch wieder verstanden. Sie haben den Vorsatz, Enthüllungen über mich loszulassen und mich zu verraten, sobald Sie kommen sehen, daß ich gestürzt werde. Auf diese Weise erreichen Sie dann Ihre Aufnahme bei den Kommunisten, falls die uns besiegen. Die Wege haben wir ihnen geebnet. Darauf rechnen Sie lieber nicht, Doktor Sinsheimer! Wären Sie auch Weltmeister unter den Verrätern, mich liefern Sie nicht ans Messer. Ich war früher da und habe dafür gesorgt, daß Sie in der ersten Schicht mit drin sind bei dem großen Gemetzel, das die Geschichte uns sicher noch vorbehält.

Sinsheimer: Sie werden aber auch dabei sein.

Goebbels: Das entspricht meiner heroischen Weltanschauung. Ich will die deutsche Erhebung und meine glücklich erreichte Versorgung nicht überleben. Ich werde aufrecht zu sterben wissen, gleich wie Nero, Heliogabal und Jannings, in einem Film, dessen Titel mir nicht einfällt.

Sinsheimer: Sie meinen doch nicht Charlie Chaplin?

Sie werden unterbrochen durch den aufsehenerregenden Einzug des Hausherrn. Dieser trägt jetzt nicht nur eine dritte Phantasieuniform. Er hat auch einen großen Purpurmantel umgehängt. Der bewegliche Strahl einer Jupiterlampe taucht ihn in tragisches Licht. So durchschreitet er die schnell gebildeten Reihen der Gäste. Alle sind vom Schrecken starr angesichts der unerbittlichen Majestät der Erscheinung. Sein schwerer Schritt würde jeden zermalmen, der ihm im Weg stände. In seinem breiten, bleichen und sturen Gesicht sind die kleinen grausamen Augen auf künftige Schlachtopfer gerichtet.

Belling, Mitglied der Preußischen Akademie der Künste, geht dicht hinter Göring und flüstert ihm ins Ohr: Nehmen Sie auch das Schwert! Grade hab ich es selbst gebaut, mit Hilfe Ihrer Haushaltsgeräte. Es ist aus Holz, ich habe es bronziert. Einen Vorhang habe ich abgerissen und Ihnen daraus einen Mantel gemacht; der entspricht endlich Ihrer hohen Würde.

Göring: Geben Sie her das Schwert! Ich sehe, Sie verstehen mich. Was bin ich?

Belling: Sie sind geistig gesund. Ich kann es beschwören.

Göring: Endlich ein Mann! Sie dürfen um eine Gnade bitten. Sie wird bewilligt werden.

Belling: Dann bitte ich um den Kopf dieser kleinen Schlange von Pfitzner. Können Sie sich vorstellen, daß der die Frechheit hat und will mich um mein Amt bringen?

Göring: Mit diesem Schwert werde ich ihn treffen an der Stelle, wo er es verdient.

Pfitzner: Das ist Belling, der hat eine Stelle, wo er es verdient. Er hat eine Jüdin geheiratet!

Göring: Wie! Und er wagt sich blicken zu lassen in meiner hehren Gegenwart!

Belling: Sie hatten mir eine Gnade versprochen.

Göring: Gnade ausgeschlossen! Der Mann einer Jüdin!

Belling, nach verzweifelter Selbstüberwindung: Dann will ich nur gestehen, daß ich nicht mehr kann und seit fünf Jahren nicht mit ihr verkehrt habe.

Göring: Geht in Ordnung. Überhaupt bin ich unbeschränkter Herr über die Menschengeschicke. Pfitzner, ich setze Sie ab. Belling tritt an Ihre Stelle.

Belling: Siegheil! Ich bin Präsident der Preußischen Akademie der Künste. Und ich mache das Reiterstandbild des riesigsten der Deutschen, mit dem Richtschwert!

Pfitzner, einer Ohnmacht nahe: Wenigstens wird er doch nicht mein Orchester führen. Er ist ja Bildhauer!

Göring: Erst recht wird er es führen. So wie ich Deutschland.

In einer schreckenerfüllten Stille setzt er seinen Weg fort und hält seinen Riesenleib den photographischen Apparaten hin.

 

Hitler bei Hindenburg

Hindenburg sitzt und weint.

Sein Sohn Oskar: Vater, weine mal nicht! Hitler ist da.

Hindenburg weint.

Sein Sohn Oskar: Nun ist's aber genug, Vater. Hysterisch sind schon die andern. Denke dran, daß wir preußische Offiziere sind!

Hindenburg: Du vielleicht. Ich komme mir bald vor wie'n Zivilist. Unglaublich, was der Mensch aushält, bevor er abhaut.

Sein Sohn Oskar: Bist du so weit, daß Hitler reinkommen kann?

Hindenburg: Darf ich ihn noch anschnauzen?

Sein Sohn Oskar: Es kommt drauf an, was er in der Hand hat.

Hindenburg: Harte Gegenstände? Ach, mein Sohn! Mein Sohn! Das kommt alles von deiner Geschäftstüchtigkeit.

Sein Sohn Oskar: Nicht wieder anfangen!

Hindenburg: Na laß den österreichischen Gefreiten rein!

Hitler, in stummer Ehrfurcht über die Hand des greisen Feldmarschalls gebeugt.

Hindenburg: Schießen Sie los, Herr Hitler!

Hitler: Herr Feldmarschall, ich habe die Ehre, mich tief zu neigen vor dem guten Geist des Vaterlandes.

Hindenburg: Guter Geist – das bin wohl ich? Vaterland! Ach ja, Ihres ist Österreich. Was macht es denn? Haben Sie es endlich erobert? Der Feldzug wird verschleppt, ich weiß, was dabei herauskommt.

Hitler: Es ist ein unglückliches Land, in den Händen von Ausländern.

Hindenburg: Ja, das ist unser Preußen allerdings.

Hitler: Ich mein halt Österreich. Dorten wirft der Kommunist allweil Bomben. Dö wir'n no kimma. Die werden noch kommehn wern die noch. Hier bei ins hats keine Marxisten nicht mehr und auch ansonsten hats nix mehr. Aber schon gar nix! Das hab ich nicht nottwendick!

Hindenburg: Abstellen die olle Walze! Alle Parteien verbieten, so'n Blödsinn!

Hitler: Schon mein Vorgänger tat einen Ausspruch von mir: Ich kenne keine Parteien mehr.

Hindenburg: Ihr Vorgänger? Der gute Ebert, der mir so schön geholfen hat, als die Muschkoten Aufstand machten.

Hitler: Erlaubens! Mein legaler Vorgänger ist Wilhelm von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser.

Hindenburg: Den mochte ich auch nicht.

Hitler: Jeder muß Opfer bringen.

Hindenburg: Früher bloß die andern. Heute soll ich mir von einem knieweichen österreichischen Gefreiten –. Strammstehn!

Hitler steht stramm: Mir wer'n kan Richter brauchn.

Hindenburg hat sich überanstrengt, sinkt in seinen Sessel, murmelt: Ich opfere mich ausgerechnet dem Vaterlande.

Hitler, die Führung ergreifend: Ich auch. Sonst hätt ich Ihr altes Knochengerüst schon längst ins Erbbegräbnis abgeschoben. Nur bei die dalketsten Teppen brauch ich Sie noch.

Hindenburg, stöhnend: Wo ist mein Papen hingekommen! Der konnte deutsch und hatte Kinderstube.

Hitler: Das könnens auch von mir haben. Ich bin von keiner proletarischen Herkunft nicht. Aus bürgerlichem Geschlecht entsprossen –.

Hindenburg: Herr Malermeister!

Hitler: Herr Feldmarschall! Sie habens den Weltkrieg gewonnen. Weil ich's den Leuten hab eingeredt!

Hindenburg: Zur Sache! Ich will im Kyffhäuserbund sprechen.

Hitler: Kann nicht gestattet werden.

Hindenburg: Warum nicht?

Hitler: Staatsinteresse.

Hindenburg: Quatsch. Staatsinteresse sind bloß Sie persönlich.

Hitler: Alstern wer will noch behaupten, daß Sie verblödet sind!

Hindenburg: Sie haben meine Deutschnationalen aufgelöst. Ich höre, daß ich Herrn Hugenberg entlassen haben soll. Den mochte ich übrigens auch nicht. Aber wo ist mein Papen? Schon verhaftet?

Hitler: Soll erst noch stattfinden, zur Beruhigung der gesamten Bevölkerung.

Hindenburg: Und mich wollen Sie nicht sprechen lassen? Dann protestiere ich öffentlich.

Hitler: Sie wer'ns Ihnen überlegen. Die Geschicht mit die zwa Milliarden Osthilfe is allweil noch unbereinickt. Wer verkriecht sich denn dorten im Dunkeln, hinter die Inneneinrichtung? So was, der Herr Sohn! Habe die Ehre, Herr von Sohn!

Hindenburg: Ehre, wenn ick det Wort heere, wird mir anders. Ihre ausländischen Raffinessen, Herr Hitler, versteht kein preußscher Offßier. Als ehrlicher Soldat hab ich gelebt. Als ehrlicher Soldat will ich zu meinen Vätern eingehn.

Hitler: Eingehn ist in meinem Sinn, Herr Feldmarschall.

Hindenburg: Mir dämmert man bloß, als ob meine Ehre einen Knacks weghat, seit Sie da sind, Meister.

Hitler: Schon vorher, Herr Feldmarschall, schon vorher. Aber dafür habens den Hitler. Wem Ehre gebührt, dös bestimm i! Ihnen sind die kolossalsten Trauerfeierlichkeiten sicher, was je da warn. Machen's nur schon!

Hindenburg: Ich weiß, was mir zu tun bleibt.

Hitler, Abschied nehmend: In Ehrfurcht neige ich mich vor dem guten Geist des Vaterlandes.

Hindenburg: Meinen Fußtritt in den Hintern, Meister!

Allein geblieben: Wo ist denn nur –?

Sein Sohn Oskar: Alle Schußwaffen sind aus deiner Nähe entfernt, Vater.

Hindenburg sitzt und weint.

 

Der Zeuge

Kommandoruf: Klenau vortreten!

Ein junger blonder Mann, bleich, noch anständig gekleidet, tritt zum Richtertisch.

Ein Assessor, dreiundzwanzigjährig, mit Monokel und Schmissen: Warum wird der Bursche vorgeführt?

Der Zeuge: Den Ton haben Sie sich schnell wieder angelacht.

Der Assessor: Herr Landgerichtsrat, der Angeklagte erlaubt sich gegen mich Frechheiten. Ich mache Sie aufmerksam auf die Folgen –.

Der Richter: Wenn in Ihrem Protokoll Fehler vorkommen. Der Herr ist als Zeuge geladen.

Der Assessor: Ach so. Sie wünschen den Ton aus der Zeit der Genossen aufrechtzuerhalten.

Richter: Zeuge, Sie heißen Klenau, sind dreiundzwanzig Jahre alt. Beruf?

Der Zeuge: Mechaniker. Lebe von fünf Mark vierzig wöchentlicher Unterstützung und dem Essen, das meine Großmutter mir gibt.

Der Assessor: Die Großmutter ist natürlich eine Braut.

Der Richter macht dem Zeugen ein Zeichen, sich ruhig zu verhalten: Sie sollen aussagen in der kommunistischen Mordsache. Ein Schupomann und der SA-Mann Maikowsky sind die Opfer des Überfalls der Kommunisten auf ein Lokal, das der Schupomann zu schützen hatte. Sie haben den Überfall mit angesehen?

Der Zeuge: Augenblick. Das stimmt alles gar nicht.

Der Richter, schnell: Klenau, überlegen Sie sich, was Sie sagen müssen!

Der Assessor: Auch schon zu spät.

Der Zeuge: Herr Richter, ich stehe hier schon das fünfzehnte Mal und sage immer dasselbe. Ich hatte mich freiwillig gemeldet, weil zweihundert es wissen, und einer muß doch die Wahrheit sagen. Geschossen haben natürlich die Nazis.

Der Assessor: Ich würde den Burschen fragen, ob er nicht Marxist ist.

Der Zeuge: Genauso, wie Sie Nazi sind.

Der Richter: Und ich Richter. Beide Herren stehen in demselben jugendlichen Alter.

Der Assessor springt auf: Ich verbitte mir ganz energisch jeden Vergleich mit einem geständigen Feind der deutschen Erhebung.

Der Richter: Vergegenwärtigen Sie sich noch einmal den Sachverhalt, Klenau! Im Lokal waren Kommunisten. Stimmt das?

Der Zeuge: Ja. Und die Nazis wollten sie herausholen. Der Schupomann schützte den Eingang mit ausgebreiteten Armen. Ehre seinem Andenken! Er ist ein Opfer der Nazis, obwohl die ihn nachher im Dom aufgebahrt haben, als wäre er von den Kommunisten erschossen. Das ist so ihre Art.

Der Assessor, laut: Ich protestiere und nehme das selbstverständlich überhaupt nicht zu Protokoll.

Er schlägt auf den Tisch. Sofort wird außerhalb des Vernehmungszimmers von ungefähr dreißig Kehlen das Horst-Wessel-Lied angestimmt.

Der Richter senkt die Schultern, liest in den Akten, solange der Gesang dauert. Endlich setzt er, matter als vorher, das Verhör fort: Sie sagen, daß der Schupomann die Arme ausgebreitet hielt. Aber erschossen wurde er doch aus dem Lokal, von den Kommunisten?

Der Zeuge: Herzschuß, von vorn. Kam fast kein Blut. Sofort war ihm auch die Uniformjacke ausgezogen und sein Dienstrevolver abgenommen. So ergeht es den früheren republikanischen Beamten, Herr Richter.

Der Assessor: Das hätte ich gradesogut sagen können.

Der Richter ist aschfahl geworden: Ich ermahne Sie dringend, Zeuge, bei der Sache zu bleiben. Erschossen ist nicht nur der Schupomann, sondern ebensogut auch der SA-Führer Maikowsky. Dieser Schuß kann doch bestimmt nicht auf der Straße gefallen sein. Der ist aus dem Lokal gekommen.

Der Zeuge: Tut mir leid, Herr Richter. Die Kommunisten waren durch den hinteren Ausgang geflüchtet. Dann ist Maikowsky von seinen SA von rückwärts erschossen worden. Er war verhaßt.

Der Assessor, schlägt auf den Tisch, schreit: Nun aber Schluß!

Draußen verstärktes Absingen des Horst-Wessel-Liedes.

Der Richter, vorgebeugt, um sich verständlich zu machen: Wollen Sie behaupten, Zeuge, daß Sie auch das gesehen haben? Dann wird es für Sie selbst das beste sein, wenn ich Sie auf Ihren Geisteszustand untersuchen lasse.

Der Zeuge: Laden Sie lieber den Sturmführer Hahn vor, der rote Hahn genannt. Der wagt sich nicht unbewaffnet zu seinen Leuten und läßt sie immer alle vorgehn. Der ist der nächste.

Der Richter: Nochmals und zum letzten Mal, überlegen Sie es sich! Der Herr Assessor hat nicht mitgeschrieben, Sie können ebensogut alles umgekehrt angeben. Ist einer Ihrer Verwandten im Irrenhaus?

Weit vorgebeugt: Ich möchte Sie retten. Helfen Sie mir!

Der Zeuge: Ich kann nicht.

Der Richter: Sie sind deutschstämmig. Sie gehören auf die richtige Seite. Das ist die nationale Erhebung.

Der Zeuge: Hoch die soziale Revolution!

Der Richter: Schade.

Er richtet sich auf und spricht kalt: Ich muß Sie verhaften.

Der Assessor klemmt das Monokel ein: Viel zu spät, Herr Landgerichtsrat. Hat keinen Zweck mehr. Auch für Sie nicht.

Der Assessor verläßt das Zimmer. Draußen bricht der Gesang ab.

Der Richter sucht vergebens nach Worten: Sie werden jetzt –. Ich werde jetzt –.

Der Zeuge: Danke, Herr Richter. Sie können mir bloß noch sagen, daß ich dort hinausgehn soll.

Er geht aus der Tür. Sie schließt sich.

Der Richter hält sich den Kopf. Plötzlich fährt er auf; er hat einen Aufschrei und den Fall eines Körpers gehört.

Der Richter: Der kommt nicht wieder. Oder vielleicht doch – später mal? In anderer Gestalt. In tausend Gestalten. Unzählige Zeugen! Unzählige Zeugen!

 

Nachwort und Materialanhang aus Urheberrechtsgründen gelöscht. Re.

 


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