Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
(Paris und London: September 1915-Mai 1917) 23.
Es kam die Zeit, das Propagandazentrum in die Hauptstädte der Ententestaaten zu verlegen; schon in Prag hatte ich mich dafür eingesetzt, es möchten von uns so viele über die Grenze gehen, daß wenigstens Paris, London, Petersburg besetzt werden. Ich erwartete Beneš, er sollte in Paris sein, ich in London.
Paris war 1915 das militärische Zentrum, London eher das politische; Frankreich mußte daran gelegen sein, die Sympathien Englands zu gewinnen und zu bewahren und dadurch auch auf Amerika einzuwirken. England war auch den Italienern näher als Frankreich. Ich entschloß mich daher, in London zu leben und von dort aus Paris zu besuchen, denn die Verbindung war rasch und leicht (auch während des Unterseebootkrieges); Dr. Beneš sollte von Paris mitunter nach London reisen. So geschah es auch, Paris und London bildeten ein aktives politisches Ganzes, ebenso wie die Entente Frankreichs mit England ihre große Bedeutung für den Krieg und den Frieden nach dem Kriege hatte und hat.
London paßte mir auch wegen der Verbindung mit Amerika, das für uns immer wichtiger wurde. In Amerika entwickelte sich eine sehr wichtige Abzweigung unserer Propaganda, wie ich berichten werde; und als wir durch den erwähnten Unfall die Art und Richtung unserer unterirdischen Verbindung mit Prag ändern mußten, entschloß ich mich zur Verwendung von Boten aus Amerika und Holland, und für die Verbindung mit beiden Ländern war London vorteilhafter.
Ich verließ Genf am 5., Dr. Beneš traf am 2. September ein; am 17. kam er mir nach Paris nach.
Unsere politische Position in Paris und London war noch prekär; von unseren Politikern war niemand draußen außer mir allein. Die Südslawen hatten einen bedeutenden Teil ihrer Abgeordneten, deren Namen beim Agramer Prozeß und auch sonst bei Aktionen gegen Österreich durch die Zeitungen gegangen waren, im Ausland; dazu bedeutete Serbien durch seinen heroischen Kampf für alle Südslawen und für Europa ein lebendiges Programm. Und ein blutiges Programm: die Schandtaten, die von den Österreichern und Magyaren in Serbien verübt wurden, dienten ausgiebig der südslawischen Propaganda. Auch die Polen hatten eine wirksame Propaganda, abgesehen davon, daß ihre Auslandsemigration schon lange bekannt und ihr Programm überall angenommen worden war.
Von uns wußten die Franzosen wenig; ungefähr nur das, was wir mit unseren vorläufig nur schwachen Mitteln zu sagen wußten. Und Vorfälle wie das Auftreten des Prager Bürgermeisters Gros kompromittierten uns gerade in Paris; in Wien tagte nicht das Parlament, und infolgedessen war keine tschechische Stimme zu vernehmen. Es ist wahr, daß es für uns draußen, übrigens auch für die Entwicklung der Verhältnisse daheim, kein Unglück war, daß das Wiener Parlament anfangs und längere Zeit nicht tagte.
Die österreichischen, magyarischen und deutschen Blätter schwiegen unseren Abfall tot. Im Pariser »Temps« war auch schon eine uns ungünstige Notiz erschienen; es war deshalb nicht verwunderlich, daß unsere Freunde wie Denis und Seton-Watson Befürchtungen hegten. Der eine wie der andere hatte nicht aufgehört, mich nach Paris und London zu laden; deshalb eilte ich aus Genf nach London und Paris, als dank einem glücklichen Zufall (Zufall?) Beneš ankam. Die Arbeit in der Schweiz und teilweise auch in Paris hatten wir organisiert. In Paris erschien bereits (seit 1. Mai) die französische Revue von Denis. Dr. Sychrava gab sein tschechisches Blatt erst später heraus (seit 22. August); die Gründung des tschechischen Blattes bereitete uns größere Schwierigkeiten, als die des französischen. Es gab keine tschechischen Mitarbeiter, jeder von uns hatte seine anderen Arbeiten; und eine bedeutende und immer bedeutendere Rolle spielte das Geld, und mein Fond war noch immer nicht stark genug. Daß man in Prag nicht einen Umweg fand, uns Geld zu senden, war mir ein Beweis, daß man an die politische Propaganda, wie sie nötig war, nicht dachte; allerdings hatten wir bisher etwas Derartiges nicht getan. Doch verloren wir nicht die Arbeitslust und die Hoffnung auf Sieg; wir waren wenige – gut, um so überlegter und intensiver müssen wir arbeiten.
Hier ist der Ort, etwas über Denis und seinen Anteil an unserer Befreiungspropaganda zu sagen.
Die Autorität, die Denis durch seine historische Arbeit bei uns gewonnen hatte, erwies sich zu Beginn des Krieges in der Pariser Kolonie als nützlich; aber die Schlichtung der inneren Streitigkeiten ging über seine Kraft. Die Verhältnisse waren ihm neu und überraschend, wie ich schon gesagt habe. Für das politische Paris war Denis ein Professor und Literat, und unter seinesgleichen hatte er ziemlich viele Gegner. Auch in dem verhältnismäßig engen Kreise der Slawisten gab es Unstimmigkeiten. Aber sein Buch über den Krieg trug ihm breitere Sympathien ein. Politisch hatte er in den Parteien keinen Einfluß und keinen in den offiziellen Kreisen; für den Kenner der Verhältnisse ist es nicht erstaunlich, daß er politisch auch gebrandmarkt war als – Protestant. Tout comme chez nous! Die französischen Protestanten bewährten sich zwar öffentlich und standen in den nationalen Reihen, aber selbst den Liberalen waren sie wenigstens ein bißchen der Germanophilie verdächtig. Das Buch von Denis konnte den Denkenden genug sagen, aber damals war das ruhige, genaue Denken überall eine Seltenheit. Mich überraschte es deshalb nicht, daß wir anfangs wegen Denis sogar gewisse Schwierigkeiten hatten, die wir erst nach längerer Zeit überwanden; es gelang Dr. Beneš in Sachen Denis auf die Regierungskreise der Wahrheit gemäß einzuwirken, und dann gab es keinen Einwand mehr gegen ihn. Das alles sagten wir damals natürlich niemand, namentlich unseren Leuten nicht.
Selbst manche von unseren Leuten waren gegen Denis eingenommen; bei den einen wirkte der Einfluß der offiziellen Kreise, die anderen verstanden seinen Abscheu vor den Parteikämpfen der Kolonie nicht.
Denis führte für uns ein großes und sehr wertvolles Stück publizistischer Arbeit aus und nützte uns dadurch, daß er sich um die Organisation der slawischen Studien in Paris bemühte. Sein Buch über die Slowaken war ein liebes Geschenk. Ich hatte mit Denis häufig Beratungen über alle unsere Angelegenheiten und hauptsächlich über die slawische Politik; im ganzen waren wir einig. Zwischen Štefanik und ihm war die Beziehung kühl, mit Beneš verstand er sich viel besser.
In diesem Zusammenhang will ich Einiges über unsere Kolonien sagen, um den Charakter unserer Auslandsarbeit und ihre Aufgabe besser hervorzuheben.
Ich kannte unsere größten Kolonien in Rußland, Amerika und Deutschland schon vor dem Krieg; öfter hielt ich mich bei ihnen auf, verfolgte ihre Entwicklung, kannte fast alle ihre führenden Leute persönlich. Auch die Kolonien in England und Serbien waren mir schon früher bekannt, nur die Schweizer und Pariser lernte ich erst während des Krieges kennen.
Es handelte sich darum, alle Kolonien zu informieren und zu einigen; das war schwer, schon wegen der geographischen Zersplitterung und wegen der Schwierigkeiten, die der Krieg dem Verkehr bereitete. Innerlich waren sie in Parteien und Fraktionen zerschlagen, jede hatte ihre eigene Art entsprechend dem Lande, in dem sie lebte. Eine Verbindung unter ihnen gab es nicht, zu Beginn auch kein zentrales führendes Blatt; deshalb war ein Blatt, ein tschechisches Blatt, das unser Programm verkündete und Informationen brachte, so notwendig. Aus Genf schickte ich gleich im März (1915) an alle Kolonien ein Programm, was in den einzelnen Kolonien zu tun sei.
Unsere Kolonien setzten sich hauptsächlich aus Arbeitern zusammen; die Mehrzahl war um des Brotes willen aus der Heimat gegangen, ein ziemlich hoher Prozentsatz entwich vor dem Militärdienst; in Amerika und in Rußland lebten auch unsere Landarbeiter, ein paar Kaufleute, Ingenieure und Unternehmer. Die Intelligenz, die aus der Heimat stammte, war nicht immer die beste, und das war an der Journalistik zu spüren; das Gros der Kolonie hatte zur journalistischen Intelligenz nicht Vertrauen genug. In Amerika jedoch und auch in Rußland reifte eine einheimische Intelligenz heran – Juristen, Ärzte, Kaufleute, Bankiers, Ingenieure usw. Diese jüngere Generation drang bereits oft in die amerikanische oder russische Gesellschaft, nur war sie bereits englisch und russisch; im Ganzen bildeten unsere Kolonien überall eine kleine Welt für sich, die sich durch neue Ankömmlinge aus der Heimat ergänzte und der Bevölkerung des Landes unbekannt war. Die Kenntnis des Lebens daheim, die vor allem auf Zeitungslektüre beruhte, war unvollständig. Unsere Auslandsaktion brachte den Kolonien insofern einen Vorteil, als das neue Vaterland (und das gilt am meisten von Amerika) auf sie aufmerksam gemacht wurde. Der Situation gemäß handelte es sich für unsere Zwecke um drei Kolonien – Amerika, Rußland und Paris. Von Paris habe ich bereits gesprochen; sie war nicht zahlreich, aber politisch lebendig, aufgeregt.
In Amerika war der führende Teil unserer Leute freisinnig; politisch war das der alte Liberalismus der sechziger Jahre, der sich in der amerikanischen Isolierung erhielt und auf den Amerika mit seiner Demokratie und seinen Einrichtungen einwirkte. Diese Freisinnigkeit neigte hie und da zum Sozialismus und zum Anarchismus; allerdings zum Sozialismus nach amerikanischer Art. Gegen die Freisinnigen standen die Katholiken und die Protestanten (diese weniger schroff).
In Rußland hatte nur der Teil der älteren Einwanderer die politischen Anschauungen der Zeit bewahrt, mit denen sie die Heimat verlassen hatten, die Mehrzahl war durch den Einfluß der Umgebung und der Regierung konservativ, ja sehr konservativ im Sinne der Regierung; sie war vom guten Willen der russischen Tschinovniks völlig abhängig. Eine Spezialität waren die russischen Mittelschulprofessoren, namentlich die Philologen, die von der russischen fortschrittlichen Intelligenz gehaßt wurden. (Ich erinnere mich aus meinen Studentenjahren des russischen Seminars in Leipzig, wo unsere Philologen für die Professur vorbereitet wurden.) Mit der fortschrittlichen und radikalen Intelligenz in Rußland – mit den Sozialisten aller Richtungen und den Liberalen – hatten unsere Leute sehr bescheidene Fühlung; deshalb waren sie diesem einflußreichen Teil der russischen Gesellschaft fast unbekannt.
In Rußland gab es mehrere Kolonialzentren, der Geographie nach; Petersburg, Moskau, Kiew waren voneinander so entfernt, daß es unter den Landsleuten schon deshalb keine Einheitlichkeit gab. Aus demselben Grunde bildeten in Amerika New York, Chicago, Cleveland und andere Städte jede ihre eigene Welt.
Natürlich gab es zu Beginn des Krieges in den Kolonien keinen einheitlichen Aktionsplan, man hatte nicht sofort von Kriegsbeginn Direktiven aus Prag; aber überall hatte man sich sofort richtig gegen Österreich gestellt, wie ich schon gezeigt habe. Ich betonte stets zu den Führern der Kolonien, daß die endgültige politische Entscheidung in Prag fallen müsse – es gab heißblütige Menschen genug, die die Entscheidung und Führung für sich in Anspruch nahmen, und es gab auch Spekulanten. In manchen Bierstuben von Paris und anderen Städten wurden allerhand Funktionen des künftigen Königreiches, angefangen vom König bis zu den niedrigen Würden und Dienststellen, vergeben. Das waren jedoch nur Auswüchse, entscheidenden Einfluß hatten sie nicht.
Von überall her meldeten sich die Unsrigen bei mir; auch aus Kanada, Südafrika usw., von überall her empfing ich Beiträge, sobald bekannt wurde, daß ich die Kolonien organisiere; viele liebe Geschenke wurden von schlichten tschechischen Müttern und Großmütterchen geschickt, begleitet von schönen Zuschriften, auf denen die Tränen der Liebe und der Hoffnung kaum trocken geworden waren ... Finanziell waren unsere Kolonien nicht reich, und darum liefen die Beiträge selbst aus Amerika langsam ein, erst später in größeren Summen.
Es ist nicht nötig, detaillierter die Gegensätze in den einzelnen Kolonien darzulegen; sie waren, wie ich schon bemerkt habe, eher lokaler, persönlicher, als sachlicher Art. Größere Wichtigkeit erlangten in Rußland die Differenzen zwischen der konservativen und der fortschrittlichen Partei, zwischen Kiew und Petersburg; durch die Revolution 1917 wurden die Konservativen in den Hintergrund gedrängt, und dadurch wurde dann, wenn auch nicht vollkommen, die Einheit erzielt. Die Gegensätze hatten (seit Sommer 1916) in Rußland eine besondere Bedeutung dadurch empfangen, daß der Abgeordnete Dürich sich auf die konservative Seite stellte und in die Dienste der germanophilen reaktionären Regierung geriet.
Die Affäre Dürich, zu der sich bald die Affäre Horký gesellte, wurde in unseren Blättern in Rußland und in Amerika genügend beleuchtet; mir handelte es sich darum, die Streitigkeiten im eigenen Hause zu erledigen, damit das Ausland nicht mit hineingezogen werde; im Ganzen ist dies gelungen. Dürich war unvorsichtig, er wurde in Paris von zweifelhaften Leuten mißbraucht, die aus der tschechischen Armee Nutzen ziehen wollten; in Rußland unterlag er dem Druck der Reaktionäre und unvernünftiger Beamten. Ich veröffentlichte noch im Januar 1917 (25.) eine Erklärung, daß wir von den Ententeregierungen finanziell unabhängig seien; das parierte die Angriffe der feindlichen Presse, aber auch die Zweifel, die sich hie und da doch regten; Dürichs Abhängigkeit von der russischen Regierung wurde in London und in Paris unliebsam empfunden. Ich sandte darüber vertrauliche Aufklärungen ein; in Paris und London fürchteten noch zu viele ein panslawistisches Rußland. Die Differenzen mit Dürich und über Dürich entstanden in Paris und wurden dann nach Rußland und sogar nach Amerika übertragen; deshalb berührten sie eher Beneš und Štefánik als mich. Zuletzt blieb nichts übrig, als die Ausschließung Dürichs aus dem Nationalrat, um auch unseren Kolonien Klarheit zu bieten; selbstverständlich wurde von unserer Seite über die Angelegenheit möglichst wenig geschrieben, und das mißbrauchten die Gegner und verdächtigten uns beständig. Auch darin half uns die russische Revolution am besten.
Im Ganzen hat uns die Affäre Dürich nicht geschadet; unsere Leute mußten sich infolge des Streites die Grundlage unseres Kampfes und seiner Taktik besser überlegen; bei den Alliierten nützte uns die entschlossene Unterdrückung. Insbesondere erkannten das auch die Südslawen und die Polen an, die viele persönliche Affären hatten und denen die Regelung nicht so leicht gelang. Ich kannte entsprechende Streitigkeiten und persönliche Affären in den Ländern der Alliierten, und so parierte ich, wenn man mich mitunter auf uns oder die Südslawen und andere Organisationen kleiner Völker wies, mit einer kurzen Hindeutung auf die socies malorum in London, Paris und Rom.
Bei dieser Gelegenheit will ich das unerwartete Anwachsen unserer Kolonien durch die sich zu uns meldenden funkelnagelneuen Tschechen und Tschechoslowaken streifen: da es in Paris und anderswo nicht vorteilhaft war, Deutscher zu sein, meldeten sich allerlei Renegaten, Leute, die ein bißchen tschechisch konnten, zu den Kolonien, zumal als wir von den alliierten Regierungen für unsere Staatsbürger Vorteile erlangten, die eine Folge davon waren, daß wir als Nation und als geradezu alliierte Nation anerkannt wurden. Auch der Abgeordnete Dürich fiel in die Hände solcher »nouveaux Tchèques«.
Der Zahl nach waren uns die amerikanische und die russische Kolonie die wichtigsten. Die Amerikaner konnten die Aktion finanzieren, in Rußland hatten wir Gefangene und konnten aus ihnen eine Armee aufstellen. Den größten Schwierigkeiten begegneten wir aber gerade in Rußland: in Amerika kam uns zugute, daß sofort bei Kriegsbeginn Herr Voska der Kolonie Nachrichten von mir mitgebracht hatte; nach ihm kam im Herbst 1915 Vojta Beneš (ein Bruder des Dr. Beneš) aus Böhmen mit neueren und vollständigeren Nachrichten an; er veranstaltete in allen Kolonien Versammlungen, einigte die Anhänger verschiedener Parteien und Fraktionen und mahnte zu finanziellen Opfern.
Hier will ich ein paar Aufklärungen über unseren ausländischen Nationalrat hinzufügen.
Es verstand sich von selbst, daß für unseren Kampf vor allem ein leitendes Zentralorgan im Auslande eingesetzt werden mußte. Das war ich anfangs selbst, und es handelte sich also darum, Mitarbeiter zu finden und alle Kolonien zu vereinheitlichen. Bei der Zersplitterung der Kolonien und der durch den Krieg erschwerten Korrespondenz ging die Sache langsam vor sich. Ich wollte mich nicht absolutistisch selbst als den auswärtigen Führer proklamieren, sondern ging konstitutionell, parlamentarisch vor. Ich war durch meine zeitweiligen Besuche bei den Kolonien schon vor dem Kriege draußen auch persönlich bekannt; die Autorität wuchs mit meiner ausländischen Arbeit; man sah, was ich tat, und begriff meine Taktik. Ich legte überall dar, wie es zu meiner Abreise gekommen war, wer, welche Parteien von ihr gewußt und sie gebilligt haben. Ich wurde überall als Führer anerkannt, wobei ins Gewicht fiel, daß ich Abgeordneter war; das war mein politischer Titel. Aber ich war allein; die Mitarbeiter, die sich bald meldeten, waren keine Abgeordneten. Das galt auch von Beneš und Štefánik, und so zog ich die formelle Konstituierung unseres Zentralorgans lange Zeit hinaus, da ich die anderen Abgeordneten aus Prag erwartete. Als einzelne Kolonien sich konzentrierten und mit mir in Fühlung kamen, eilte ich nicht mit der formellen Konstituierung des Zentralorgans. Wir sprachen darüber, und ungesucht ergab sich von selbst und nach alten Vorbildern der Name »Nationalrat«; aber ich fürchtete den Namen zu benutzen, um dem Nationalrat daheim nicht zu schaden, damit man nicht ihn als Führer des Kampfes ansehe und nicht an seinen Mitgliedern Rache nehme.
Doch mit der Entwicklung der Verhältnisse mußte unser Zentralorgan auch formell konstituiert werden; es kam die Zeit, in der wir öffentliche Kundgebungen veranstalten mußten; dazu bedurfte es einer öffentlich anerkannten Firma.
Und es kamen die Affären. Als erste die Koníčeks; als dieser in den Kolonien das angebliche, von Regierung und Zaren anerkannte Programm der russischen Tschechen verkündete, entstand die Frage, was für eine Legitimation er habe und wer in strittigen Fällen entscheide? Mit Koníček wurden wir bald fertig; aber es kam der Abgeordnete Dürich.
Einen dringenden Anlaß bot das öffentliche Auftreten gegen Österreich, das ohnehin lang genug hinausgeschoben worden war. Warum ich es hinausschob, habe ich schon gesagt. Als wir endlich am 14. November 1915 unsere Proklamation gegen Österreich herausgaben, unterschrieb ich: »Das tschechische Auslandskomitee«. Unterzeichnet waren die Vertreter aller Auslandskolonien; die Proklamation sollte möglichst allgemein sein, sie wurde sozusagen nicht nur von der Auslandsregierung, sondern auch vom Auslandsparlament erlassen.
Allein man brauchte eben eine Regierung, die das Zentralorgan darstellte, und so wurde im Laufe des Jahres 1916 der Nationalrat konstituiert. Nach der Situation in der Heimat fürchtete ich nicht mehr, durch den Namen dem Nationalrat daheim zu schaden. Den Namen und die Organisation machten wir mit Dr. Beneš und dem Abgeordneten Dürich gelegentlich meiner Anwesenheit in Paris ab, über die ich sofort berichten werde; Dr. Beneš, der zum Generalsekretär bestimmt wurde, führte die Aufgabe durch und benutzte in seinen offiziellen Korrespondenzen den Namen »Conseil National des Pays Tchèques«; öffentlich wurde der Titel zum erstenmal von Štefánik beim sogenannten Kiewer Protokoll am 29. August 1916 verwendet, und am 1. November 1916 wurde in der »Československá Samostatnost« (»Die tschechoslowakische Selbständigkeit«) ausdrücklich bekanntgegeben, daß der Nationalrat aus T. G. Masaryk als Vorsitzendem, dem Abgeordneten Dürich und Dr. Štefánik als Vorsitzenden-Stellvertretern und Dr. Beneš als Generalsekretär bestehe. Der Sitz war Paris. Gegen diesen Nationalrat bildete Abgeordneter Dürich, obwohl er sich seiner Funktion darin nicht begeben hatte, für Rußland einen besondern Nationalrat, der jedoch durch die Revolution bald begraben wurde. Im Jahre 1917, am 20. März, rief unsere Brigade den Tschechoslowakischen Staat aus; den Nationalrat proklamierte sie als Vorläufige Regierung und mich als Diktator. Auf dem Kiewer Kongreß wurde schließlich (12. Mai 1917) die Zweigstelle des tschechischen Nationalrates für Rußland gegründet.
Der auf diese Weise konstituierte Nationalrat wurde von den einzelnen Kolonien und ihren gewählten Repräsentanten anerkannt. In der Schweiz, in Holland, England verstand sich das von selbst; in Paris gab es eine kleine Opposition, die durch den Ehrgeiz einiger Streber genährt wurde, die beim Bier hohe Ämter in der künftigen russischen Satrapie verteilten. Aber diese Leute blieben eine unbedeutende Minderheit und boten mir bald ihre Dienste und einer oder zwei sogar ihr Geld für die Revolution an. (Die Herren begnügten sich mit dem Angebot!)
In Amerika hatte ich aus früherer Zeit viele Bekannte; die Anerkennung des Pariser Nationalrates geschah dort spontan und entschlossen; am 15. September durch den Sokol, am 14. Dezember durch den tschechoslowakischen Nationalverband.
Sogar aus Südafrika, aus Kimberley, kam die Anerkennung (28. Februar 1917).
Ich habe schon darüber geklagt, daß ich die Auslandsaktion und -propaganda vom Abc anfangen mußte, weil es Verbindungen mit dem politischen Ausland nicht gab; andererseits hatte das den Vorteil, daß wir systematisch und mit Überlegung anfangen und arbeiten konnten. Und weil der Krieg lange dauerte, hatte die Propaganda Erfolg. Natürlich knüpften wir jeder zu seinen Bekannten und Freunden Beziehungen an. Štefánik hatte schon einen beträchtlichen Kreis von politischen und einflußreichen Menschen; Dr. Beneš und Dr. Sychrava, später Dr. Osuský schufen sich ihre Kreise. Ich hatte Bekannte in allen alliierten Ländern schon lange vor dem Kriege, und durch sie erweiterte ich beständig meinen Bereich.
Unsere Propaganda war demokratisch; wir gewannen nämlich nicht nur Politiker und offizielle Personen, sondern vor allem die Presse und dadurch die breiten Schichten. Das kam uns gerade in den demokratischen Staaten zugute, in Frankreich, England, Amerika und Italien, wo das Parlament und die öffentliche Meinung einen viel größeren Einfluß hatten als in Österreich, Deutschland und Rußland. Doch in Rußland gingen wir nach der Revolution in gleicher Weise vor.
Selbstverständlich trachtete ich überall, so bald wie möglich Beziehungen zu den Regierungen und insbesondere zu den Ministerien des Äußern anzuknüpfen; daneben lag uns daran, überall Verbindungen mit den Ententegesandten zu gewinnen. Aber auch darin war Auswahl und System. Ich habe gesagt, daß ich 1915 Delcassé nicht aufgesucht habe; abgesehen von den angegebenen Gründen auch darum, weil ich aus seiner politischen Tätigkeit wußte, daß er längst Anhänger der französisch-englischen Verständigung sei, und das war auch für uns in der gegebenen Situation wertvoller, als die Unterredung zu einer Zeit, in der ihm der Vertrag mit Italien eine gewisse Reserve auferlegte.
Überall machte ich mich mit den wichtigsten Beamten der Ministerien bekannt, die über Einfluß und Kenntnis der Lage verfügten.
Oft waren uns Menschen behilflich, die, abseits stehend, freundschaftlichen Zutritt zu den entscheidenden Staatsmännern und Politikern hatten – Advokaten, Bankiers, Geistliche.
Aus der Psychologie der Propaganda ist eine Lehre wichtig: man denke nicht, daß sich die Menschen für ein politisches Programm gewinnen lassen, wenn man dieses nur vor allem energisch und begeistert verkündet und die einzelnen Punkte hervorhebt – es geht darum, die Menschen für unsere Sache beliebig wodurch und auch indirekt zu interessieren. Man spreche von Kunst, von Literatur usw., von dem, was den anderen interessiert, und man wird ihn gewinnen; durch politische Agitation werden denkende Menschen oft verscheucht oder bleiben unbekehrt. Oft genügt ein einziger Satz, der bei guter Gelegenheit hingeworfen wird; überhaupt hüte man sich, namentlich in Privatgesprächen, vor Weitschweifigkeit. Allerdings hat solch eine Propaganda Bildung, politische und gesellschaftliche Übersicht, Takt und Menschenkenntnis zur Voraussetzung! Paderewski und Sienkiewicz trieben seit Kriegsausbruch sehr erfolgreiche Propaganda für Polen – der Künstler und der Schriftsteller gewannen die weitesten Kreise; Sienkiewicz war durch sein »Quo vadis« sehr bekannt geworden, und damit gewann er die schon ihm gewonnenen Menschen. Ähnliche Bedeutung hatte Mestrović für die Südslawen. Wir hatten solche Leute nur in bescheidenem Maße; in Paris lebte der Maler Kupka (er trat in die Legion ein), in Rom war der damals anfangende Maler Brázda, und, ich glaube, auch die Sängerin Destinn griff einen Augenblick ein.
Und noch auf Eines will ich aufmerksam machen: Propaganda muß redlich sein. Übertreibungen und gar Lügen nützen nicht; auch bei uns fanden sich Einzelpersonen, die die ganze Politik als die Kunst, die Leute anzuschmieren, auffaßten und versuchten, »vaterländische« Unwahrheiten zu verbreiten; das stellten wir ihnen ab. Nachrichten werden doch kontrolliert, und unsere Feinde benützten das gegen uns. Wir hatten z. B. Unannehmlichkeiten mit solch einer Fälschung einer Rede des Abgeordneten Střibrný.
Auch eine andere Regel will ich erwähnen: es ist ein Irrtum, zu glauben, der Propagator müsse alles Eigene loben; das machen durchschnittliche Handelsagenten. Vernünftige und redliche Politik – vernünftige und redliche Propaganda!
Ich veranstaltete in den Hauptstädten aller Länder Vorträge für das breitere Publikum, öfter für einen engeren Kreis; ich suchte auch Gegner auf, Pazifisten usw. Ich knüpfte Beziehungen zu Universitäten, hauptsächlich zu Historikern, Ökonomen usw. an. In England nützte uns, wie ich schon gesagt habe, Hus. Mit einem Wort, wer Kulturpolitik treibt, wird auch Kulturpropaganda treiben. Die fremden Blätter pflegten wir durch Diskussionen mit den Redakteuren und Herausgebern und hauptsächlich durch Beiträge zu gewinnen. Ich schrieb selbst viele Artikel; Interviews waren ein anderes geeignetes Mittel. Wir richteten überall Pressebureaus ein, deren Aufgabe es war, mit den Blättern und Korrespondenzbureaus in Fühlung zu sein und unsere Nachrichten zu verbreiten. Ich erwähne namentlich das englische (Czech Press Bureau, Ende 1916) und das amerikanische (Slav Press Bureau, seit Mai 1918).
Ich trachtete, so bald wie möglich Zeitschriften herauszugeben, die zwar politisch, aber mit wissenschaftlicher Methode geleitet waren. Das galt von Denis »Nation Tchèque«; später besaßen wir eine geradezu wissenschaftliche Revue: »Le Monde Slave«; die ausgezeichnete Wochenschrift »New Europe« nützte uns sehr (seit 13. Oktober 1916). Ich drang in Seton-Watson, dieses Blatt herauszugeben, da ich seine ungewöhnlichen Fähigkeiten, sein politisches Interesse und seine Übersicht kannte. Die Revue stand mit ihrer Beurteilung Europas dort, wo wir standen; in der italienischen Politik war ich gemäßigter als der Redakteur. »New Europe« wurde nicht nur in England eifrig gelesen, sondern auch in Frankreich, Amerika und Italien. Sie wurde zur Direktive auch unseren ausländischen Organen.
In London mieteten wir an einem der belebtesten Plätze (Piccadilly Circus) einen Laden; wir richteten ihn wie das Schaufenster einer Buchhandlung her und stellten Landkarten aus, die über uns und Mitteleuropa Auskunft gaben, neueste Nachrichten über uns und die Feinde, Widerlegungen unrichtiger Meldungen, Publikationen usw.
Ein wirksames Mittel war die Gründung gemischter Gesellschaften, z. B. einer tschechisch-englischen; speziellen Zwecken dienten die Handelskammern.
Mir persönlich kam meine ganze Vergangenheit zugute; aus jüngster Zeit mein Streit mit Ährenthal und die Arbeit für die Südslawen überhaupt, ferner mein russisches Buch, weil das Problem Rußlands sich immer akuter entwickelte. »Rußland und Europa« war in seiner deutschen Ausgabe vielen bekannt; während des Krieges wurde das Buch ins Englische übersetzt, doch erschien diese Übersetzung verspätet i. J. 1919 unter dem Titel »The Spirit of Russia«. Auch wußte man z. B. von meiner Hilsneriade Ein i. J. 1899 Aufsehen erregender Prozeß, in dem ein jüdischer Landstreicher namens Leopold Hilsner fälschlich eines Mädchenmordes angeklagt war. Prof. Masaryk trat der damals in Böhmen demagogisch hervorgerufenen antisemitischen Stimmung entgegen, bekämpfte die Ritualmordlegende und nahm sich des Angeklagten an. Anm. d. Übers. u. a.
Indem ich mir politische Autorität gewann und festigte, festigte ich die Eintracht und Ausdauer der tschechischen Kolonie. Eine Zusammenfassung der Autorität ist, wie schon die Römer gewußt haben, im Kriege notwendig, und sie war notwendig angesichts der Zersplitterung der Kolonien und der alliierten Länder. In der Führung gab es nicht die geringste Rivalität, Dr. Beneš und Štefánik waren loyale, ergebene und treue Freunde. Wir sprachen alle in gleicher Weise, wir hatten alle das gleiche Programm. Dadurch unterschieden wir uns von den Südslawen und den Polen, bei denen die programmatischen, parteilichen und persönlichen Gegensätze ziemlich scharf hervortraten. Von selbst entstand bei uns ein gewisses Diktatorentum, aber mit parlamentarischem Charakter; daß mitunter eine sehr nachdrückliche Entschiedenheit nötig war, zeigten die Affäre Dürich und manche kleinere Vorfälle.
So wurden etwa Ende 1916 die Tschechen und Slowaken bereits interessant, und man begann von ihnen zu wissen und zu reden; die Blätter gaben durch Plakate bekannt, daß sie ein Interview mit mir bringen usw.
Große Hilfe brachte uns – Wien. Wir straften seine Nachrichten Lügen. Die Verfolgung unserer Leute überzeugte das Ausland von unserem Aufstand; Märtyrertum und insbesondere Blut pflegen gewinnend zu wirken; wir nützten namentlich die Einkerkerung, den Prozeß und die Verurteilung Dr. Kramářs und Dr. Rašíns sehr ergiebig aus. Die Gefangensetzung unserer Alice nützte uns namentlich in England und in Amerika – wenn selbst Frauen verhaftet werden, so ist der Aufstand wahr; die amerikanischen Frauen organisierten im ganzen Lande Petitionen an den Präsidenten um Intervention und schritten selbst durch den amerikanischen Botschafter in Wien ein. Durch diese Agitation in Amerika und in England wurde unser Aufstand bekannt.
Überhaupt wurde die Antipropaganda gegen die österreichische, magyarische und deutsche Propaganda ein besonderes Fach; wir ragten auch darin bald hervor, und gerade dadurch, daß wir eine gute Kenntnis der Verhältnisse hatten; seit Sommer 1916 erwies uns der amerikanische Slowak Dr. Osuský mit seiner Kenntnis des Magyarischen und der ungarischen Angelegenheiten gute Dienste. Wir konnten alle Meldungen gut verstehen und wußten sie gebührend zu interpretieren. Wir lasen zwischen den Zeilen unserer Prager Zeitungen. Dazu hatten wir unsere besonderen Nachrichten aus der Heimat, die wir weidlich verwendeten. Unsere militärischen Nachrichten bewährten sich und wurden willkommen geheißen; wir gewannen dadurch viele Freunde. Dabei half uns auch sehr, daß wir die Nachrichten im Interesse der Sache hergaben und eine Geldentschädigung ablehnten. Darin war ich sehr streng. Als dieser Teil der Propaganda sich zum regelmäßigen System von Antispionage und Spionage auswuchs, war es nicht leicht, alle Mitarbeiter zu überwachen; bis auf unbedeutende Abweichungen ist uns nichts passiert.
Ein ganz besonderer Zweig unserer Propaganda bestand darin, Nachrichten über Vorgänge in den alliierten Ländern in die deutschen und magyarischen Blätter zu bringen. In Österreich und Ungarn wurde alles darüber verschwiegen, welche Fortschritte die Alliierten machten; darum trachteten wir, solche Meldungen in die Blätter zu schmuggeln. Auch das gelang; Dr. Osuský könnte geradezu anekdotische Fälle erzählen, wie er in Form von Polemiken mit Amerika Nachrichten über die große, von Amerika den Alliierten erwiesene Hilfe in die Budapester Blätter brachte. Aus den magyarischen Blättern gingen die Nachrichten in Wiener und Prager Blätter über. In Amerika organisierte Herr Voska sehr geschickt eine wirksame Antispionage und erwarb sich und uns, wie ich später ausführlicher berichten werde, ein politisches Prestige. In Rußland waren die Schwierigkeiten größer, doch auch dort drangen wir durch, wenn auch erst nach der Revolution.
Mit Geld arbeiteten wir nicht, d. h. wir bestachen nicht. Aber ich unterstützte anständige Menschen, unsere und fremde, wenn ich von ihrer Bedürftigkeit erfuhr. Das tat ich ohne Bitten und diskret; es ist natürlich, daß in einer so stürmischen Zeit viele ohne Schuld in die Enge gerieten.
Wir drei, Beneš, Štefánik und ich, waren absichtlich vom amerikanischen Fond unabhängig. Das Gehalt von der Londoner Universität war klein (die Universität schränkte sich während des Krieges ein), dafür erhielt ich bedeutendere Beträge für meine Artikel, dazu kamen die persönlichen Beiträge meiner Freunde, der Amerikaner, so daß ich versorgt war. Dr. Beneš brachte, wie berichtet, gleich zu Beginn Geld in unser »Unternehmen« und hatte auch für sich genug. Štefánik hatte Einkünfte – diese Unabhängigkeit wirkte gut auf unsere Leute. Und es wirkte gut, daß wir bescheiden lebten; darüber zirkulierten allerhand Anekdoten, und es gab viele, die eine glänzendere Repräsentation wünschten. Aber wir brauchten diese sogenannte Repräsentation nicht, weil wir arbeiteten; in letzter Zeit kam sie von selbst. Als ich nach Amerika kam, hatten mir Landsleute eine Wohnung in einem ersten Hotel vorbereitet, eine größere ständige Wohnung war zum
Empfang der zahlreichen Gäste nötig. Für uns galt: »Wenig Geld – wenig Musik«, wir arbeiteten alle aus Überzeugung und gern, und darum kamen wir mit wenigem aus. Wir taten für einen Kreuzer mehr als die österreichischen und deutschen Diplomaten für Hunderttausende: eine so billige ausländische Revolutionspropaganda hat es vielleicht niemals gegeben – allerdings gab es, ich will nicht den Bescheidenen spielen, überhaupt nicht viele so durchdachte politische Aktionen
Ich will hier die Rechnung darüber wiedergeben, was ich aus Amerika für die Aktion erhalten habe:
1914-1915.........37 871 $
1916.........71 185 $
1917 (bis Ende April).........82 391 $
1918 (von Mai).........483 438 $
Gesamt:........674 885 $
Während meines Aufenthaltes in Rußland empfing Dr. Beneš Geld, ich schätzte es auf etwa 300 000 $, so daß die ganze Aktion nicht einmal eine Million Dollar gekostet hat. Der Dollar hatte damals lange Zeit seinen Vorkriegskurs (4,50 K.). Aus den mitgeteilten Angaben ersieht man, daß die amerikanischen Beiträge sich erst nach der Kriegserklärung Amerikas erhöhten.
Das Geld stammt von tschechischen Kolonisten, von slowakischen waren die Beiträge während des Krieges ganz unbedeutend; schon als Präsident erhielt ich 200 000 Dollar von amerikanischen Slowaken, und darin war ein Teil von meinen amerikanischen Bekannten. Dieses Geld und den Rest des tschechischen Revolutionsfonds gab ich als Präsident an Geschenken und Beiträgen aus, die öffentlich verrechnet wurden..
Am 24. September (1915) reiste ich von Paris ab zum ständigen, wenigstens längeren Aufenthalt nach England. Beneš blieb in Paris und fuhr mitunter, ebenso wie Štefánik, nach Italien, und so hatten wir die wichtigsten alliierten Länder offiziell besetzt. Übrigens konnten wir in London und Paris mit dem italienischen und den anderen Botschaftern verhandeln und taten es. Nur Rußland hatten wir nicht besetzt.
Warum ich London wählte, habe ich schon gesagt, auch habe ich über meinen dortigen Aufenthalt im Frühjahr und über das Memorandum für den Minister Grey berichtet. Indem ich mich nun in London niederließ, setzte ich die mit den Memoranden begonnene Arbeit fort.
In London bot mir die Universität (King's College) eine Professur für slawische Angelegenheiten an; es sollten auch noch andere slawische Fachleute gewonnen und eine slawische Abteilung gegründet werden. Das Angebot machte mir Seton-Watson im Namen des Rektors Burrows mehrmals; ich sträubte mich, die Stellung anzunehmen, da ich befürchtete, nicht Muße genug für wissenschaftliche Arbeit zu haben, und da ich nicht Slawist bin; aber ich nahm die Stellung doch an. Ich folgte dem Rate meiner Freunde und tat gut daran. Am 2. Oktober schloß ich mit Rektor Burrows ab. Ich gedenke hier in Dankbarkeit und Freundschaft meiner Beziehungen zu diesem ausgezeichneten Kenner Griechenlands und der neugriechischen Politik und Kultur; ich schätze seine Mannhaftigkeit und edle Fürsorge für seine Universität.
Die Antrittsvorlesung hielt ich am 19. Oktober: »Das Problem der kleinen Völker in der europäischen Krise«. Der Vortrag war der erste politische Erfolg größeren Stils. Vor allem führte ich mich beim breiteren politischen Publikum von London damit ein, daß Ministerpräsident Asquith (nach englischer Sitte) den Vorsitz übernommen hatte; da er erkrankt war, vertrat ihn Lord Robert Cecil. Dieser politische Hintergrund nützte unserer Sache beträchtlich. Aber auch sachlich wirkte der Vortrag gut und ausgiebig (ebenso die französische Übersetzung); ich legte darin zum erstenmal die politische Bedeutung jener besonderen Zone von kleinen Völkern dar, die sich in Europa zwischen den Deutschen und den Russen befindet. Ich verwies so auf den deutschen Drang nach Osten in einer neuen Beleuchtung und auch auf die russische Politik. Namentlich das Wesen Österreich-Ungarns und Preußens trat dadurch hervor. Die Teilung Österreich-Ungarns ergab sich als die Hauptaufgabe des Weltkrieges. Und schließlich gab ich, ich glaube, ziemlich treffende Argumente gegen die Furcht vor der sogenannten Balkanisierung Europas und überzeugte davon, daß die kleinen Völker ein Recht und die Möglichkeit einer selbständigen kulturellen und staatlichen Entwicklung haben.
Viele Blätter berichteten über den Vortrag, und man konnte dann seine Wirkung wahrnehmen. Über die kleinen Völker und die Möglichkeit ihrer Selbständigkeit wurde später häufig gesprochen und sachlicher geschrieben; überhaupt trat die positive Aufgabe des Krieges, die Aufgabe der Rekonstruktion hervor: es ging nicht nur um die Abwehr der Mittelmächte, nicht nur um ihre Niederringung – der Krieg war der Anfang der großen Rekonstruktion Mittel- und Osteuropas, ja ganz Europas.
In London hörte ich natürlich viel über das englische Heer und die Lage auf den Kriegsschauplätzen; ich hatte jetzt Gelegenheit, mich über alle militärischen Fragen bei (englischen und französischen) Militärfachleuten zu belehren.
Ich habe schon wiederholt daran erinnert, wie mich die Unsicherheit gequält hat, ob der Krieg lange oder kurz dauern werde. Zu Beginn des Krieges und noch im Frühjahr 1915 rechnete ich mit der Ansicht geradezu aller Militärfachleute und gab manchmal zu, daß der Krieg bis zum Winter 1915 beendet sein werde; doch die Entwicklung auf den Kriegsschauplätzen mußte schon als Anfang eines sich lange hinschleppenden Krieges aufgefaßt werden. Der Stellungskrieg zog sich hin, ohne Entscheidung; er ermöglichte den kriegführenden Mächten, ihre Kräfte im Lande zu sammeln, weitere Abteilungen und Reserven bereit zu stellen und auszubilden und die ganze Industrie den Kriegszwecken anzupassen. Man sprach von der größeren Teilnahme der Flugzeuge und Unterseeboote. Nach den jetzt empfangenen Nachrichten kam es mir nicht wahrscheinlich vor, daß die Alliierten ohne einen größeren Erfolg im Felde Frieden schließen werden, wenn auch einflußreiche Personen auf beiden Seiten für den Frieden arbeiteten. Die Schlacht an der Marne war für uns siegreich gewesen, aber nicht entscheidend; immerhin zeigte sich in Deutschland bereits eine gewisse Nervosität, wenigstens in sozialistischen Kreisen; darauf deuteten viele Meldungen hin, vor allem die Debatte über die Friedensbedingungen im Berliner Reichstag Anfang Dezember (1915 – Scheidemann). Aus allen Gesprächen mit guten Militärs aller Armeen (mitunter auch mit Gefangenen) gelangte ich zu der Anschauung, der Krieg werde militärisch lange dauern; die politischen Erwägungen führten zum selben Urteil.
In London erfuhr ich auch genug über die militärischen Pläne. Das waren nicht immer angenehme Erkenntnisse, – auch in den verantwortlichen Kreisen herrschten beträchtliche Meinungsverschiedenheiten. Und dies nicht allein über das speziell englische Unternehmen an den Dardanellen; auch über die Pläne in Frankreich und Rußland gingen die Urteile auseinander. Sonderbar war, wie nicht nur Politiker, sondern auch Militärs strategische Pläne verfaßten, die selbst dem Laien sichtlich unmöglich und phantastisch erschienen.
In London pflegte ich damals die Artikel des Obersten Repington in den »Times« und anderen Blättern zu lesen. Sie äußerten ein gewisses Mißtrauen nicht nur gegen die Führung der englischen, sondern auch der alliierten Armeen und der Flotte; ein noch größeres Mißtrauen wurde gegen die Regierung und die Politiker daheim und anderwärts empfunden. Der Zensor frisierte zwar Repingtons Artikel zu, doch lernte ich sie in ihrem ursprünglichen Wortlaut kennen; ich hatte viele und leichte Gelegenheit, von Repingtons publizistischer Tätigkeit und seinen Verbindungen mit Militärs und Politikern aller Lager und alliierten Länder zu hören. In vielem stimmte ich mit ihm überein.
Im Kreise der näheren Freunde diskutierten wir über all dies; auf ihr Verlangen schrieb ich Ende November (1915) für sie ein Memorandum über die Kriegsstärke der beiden kämpfenden Parteien.
Ich wies darin auf die Vorzüge und Nachteile der beiden kriegführenden Parteien hin und nahm insbesondere die Zahl der beiderseitigen militärischen Kräfte durch, über die wir ständig debattierten. Bei ihrer Abschätzung ging ich von der Voraussetzung aus, daß Österreich und Deutschland für den Krieg nicht mehr als 5-6 % der Bevölkerung ausmusterten, während Frankreich 2-3 % darüber ging. Demnach sollte England, darum handelte es sich mir, mit der Mobilisierung und Ausbildung sich beeilen, damit die Alliierten den Zentralmächten entgegentreten könnten, wenn diese den Prozentsatz der Ausgemusterten erhöhten. Den Nachrichten aus Böhmen entnahm ich, daß von unseren Leuten mehr ausgehoben wurden als von den Deutschen, und das gleiche hörte man aus dem Süden, wo z. B. in Bosnien, in der Herzegowina und anderswo (strafweise) sogar über 8 % ausgemustert wurden. Mir lag daran zu zeigen, daß die Zentralmächte an Mannschaften den Alliierten gleichkommen, obgleich diese zusammen mehr Einwohner hatten und anfangs auch mehr Soldaten; denn Rußland wurde immer zweifelhafter. Allerdings entscheidet nicht die bloße Stärke der Bevölkerung und der mögliche Prozentsatz der Mannschaft, sondern die beiderseitige Fähigkeit und Möglichkeit, die Mannschaft auszurüsten und im Felde zu verproviantieren. Kitchener hatte aus diesem Grunde schon im Frühjahr 1915 (15. März) im Oberhaus verschiedene Befürchtungen geäußert, obwohl mir vorkam, daß er mehr an die Vermehrung der Armee als an ihre moderne Ausrüstung denke. Im Ganzen gab ich dann eine scharfe Kritik der alliierten Kriegspolitik und Kriegsführung, wenn auch zumeist indirekt durch die Hervorhebung der deutschen Vorteile; hauptsächlich machte ich auch auf die Uneinheitlichkeit der alliierten Kriegführung aufmerksam. Die Frage wurde damals auch öffentlich aufgeworfen, doch erst die weiteren Mißerfolge im Felde machten sie zum dringenden Problem der alliierten Strategie und Politik.
Meine Freunde übergaben das Memorandum militärischen Autoritäten; mit einigen hatte ich darauf eine mündliche Diskussion. Die einen erkannten den Ernst der Lage an, hegten aber keine Befürchtungen; sie sagten, die Engländer würden rechtzeitig nach Frankreich kommen, und die Militärpflicht, die am 28. Oktober eingeführt worden war, würde in genügendem Maße ausgenützt werden. Doch fanden sich Kenner, die auch öffentlich eine größere Armee forderten; in diesem Sinne wirkte Repington, und ich gedenke des in England geschätzten Generals William Robertson, der seit Kriegsbeginn selbst an der französischen Front weilte und im Herbst 1916 mit der Forderung in die Öffentlichkeit trat, die Stärke der Armee zu erhöhen. Auch Lloyd George wünschte, wenn ich nicht irre, unter dem Einfluß Repingtons, eine viel höhere Stärke der alliierten Armeen, wenn die deutsche Front durchbrochen werden solle.
Die Lage auf den Kriegsschauplätzen wurde unerfreulich und immer komplizierter. Rußland enttäuschte, und das wurde überall sehr lebhaft empfunden; die Bulgaren schlossen sich im Oktober (1915) dem Feinde an, – in London wurde über die Verhandlungen der Entente mit Bulgarien viel diskutiert, und in der Tatsache, daß die Bulgaren von der Entente nicht gewonnen worden waren, sah man einen bedeutenden Mißerfolg der alliierten Diplomatie. Saloniki wurde gleichzeitig ein neues Zentrum der Ententekräfte; der Salonikiplan wurde lange erörtert, bis er schließlich in England und Frankreich (dank Briands Einfluß!) gebilligt wurde. Die ersten Schlachten der alliierten Kräfte unter General Sarrail mit den Bulgaren begannen im November (1915) und endigten für uns mit einem Mißerfolg. Einen bedeutenden Eindruck machten die Niederlage der Serben durch Mackensen und die Einnahme von Belgrad (8. Oktober); doch war der Eindruck nicht deprimierend, denn die Serben führten die Reste ihrer Armee geradezu heroisch über Albanien hinweg, und ihre Regierung übersiedelte auf die Insel Korfu.
In Mesopotamien siegten die Türken.
An der Westfront dauerten die blutigen und unentschiedenen Kämpfe fort; die Deutschen waren zur Defensive verurteilt, weil sie sich mit größeren Kräften gegen die Russen verteidigten.
Da ich die Erregung und die Befürchtungen in unseren Kolonien kannte, ich würde vielleicht gar nicht an die Öffentlichkeit treten, und vor allem, um die Unsrigen daheim zu verhindern, sich zu Konzessionen verleiten zu lassen, entschloß ich mich, ein Manifest zu veröffentlichen und Österreich den unverhüllten Kampf zu erklären; ich fürchtete eine unselige Wirkung der russischen Niederlage und Repressalien in der Heimat. Die Zustimmung zum offenen Auftreten gegen Österreich war mir von dem in der sogenannten »Maffia« vereinigten Kreis heimischer Politiker vorausgegeben worden; dieser hatte auch die Grundzüge des Manifestes gebilligt.
Das geschah am 14. November 1915, bald nachdem die Entscheidung Bulgariens gegen die Alliierten die Situation erschwert hatte und als die Lage auf den Kriegsschauplätzen überhaupt trübe war. Das Manifest war, wie schon gesagt, vom »Auswärtigen Komitee« unterzeichnet, von den Repräsentanten aller unserer ausländischen Kolonien.
In der gegebenen Situation erwartete ich von dem Manifest keinen großen Eindruck auf die Alliierten; dennoch erzielte aber unser Auftreten eine ziemliche Wirkung. Das Manifest wurde von den französischen Blättern viel verbreitet. M. Gauvain schrieb einen Leitartikel im »Journal des Débats«; auch die englischen Blätter schrieben hinlänglich darüber. In England waren wir verhältnismäßig weniger bekannt als in Frankreich, doch unser Bekanntwerden verbreitete sich ziemlich rasch, anfangs eher in den Kreisen der Intelligenz und in politischen und Regierungskreisen; das erreichten wir nicht nur durch unsere Arbeit in London und in ganz England, sondern auch durch die schon erwähnte Arbeit Voskas in Amerika, die auch in England gewürdigt wurde. Ich will darüber bei der Darlegung über Amerika mehr sagen.
Anfang 1916 dachte ich daran, nach Paris zu reisen. Dr. Beneš pflegte nach London zu kommen und Bericht über unsere ganze Situation zu erstatten. Wir verabredeten, daß ich Anfang Februar komme. An der Spitze der Regierung in Frankreich stand seit 28. Oktober (1915) Briand, und zu ihm hatte mir Štefánik den Weg geebnet.
Bei Briand war ich am 3. Februar (1916). Ich legte ihm eine kleine Landkarte von Europa vor und erklärte ihm meine Anschauung über den Krieg; Bedingung einer Rekonstruktion Europas und der wirklichen Schwächung Deutschlands, also auch Bedingung der Sicherheit Frankreichs sei die Teilung Österreichs in seine natürlichen und historisch gegebenen Teile. Meine Darlegung war sehr gedrängt, sozusagen schlagwortmäßig, – Briand hat seinen guten französischen Kopf und begriff den Kern der Sache sofort. Und vor allem – er akzeptierte unseren Plan und versprach, ihn durchzuführen. Ich hörte von Štefánik, daß Briand tatsächlich gewonnen worden sei. Über meinen Besuch erschien ein offizielles Kommuniqué; zur Ergänzung und um die breite politische Öffentlichkeit zu interessieren, veröffentlichte ich im »Matin«, dank der Liebenswürdigkeit M. Sauerweins in Form eines Interviews kurz unser antiösterreichisches Programm. Die Darlegung schlug, wie man zu sagen pflegt, nicht nur in Paris ein, sondern auch in den übrigen alliierten Ländern; ich übertreibe nicht, wenn ich sage, daß die Entente durch unser Programm der Teilung Österreichs ein positives Programm erhielt, – es genügte nicht, die Zentralmächte niederzuwerfen und sie finanziell und anders zu bestrafen, sondern Osteuropa und Europa überhaupt mußte reorganisiert werden. Meine Unterredung mit Briand machte Eindruck in London und stärkte dort unsere Position; nicht nur die »Times«, sondern auch andere Blätter brachten günstige Nachrichten (der »Matin« hatte in London einen geschickten Korrespondenten). Im übrigen versteht sich von selbst, daß wir einen so großen Erfolg in allen Blättern gehörig ausnützten. Der Empfang durch Briand wirkte auf die slawischen Politiker sehr und namentlich auch auf die russischen Diplomaten, wie wir uns bald überzeugten.
In Paris hielt ich mich etwa einen Monat auf und stützte und festigte durch viele Besuche die Wirkung von Briands Schritt. Das war auch darum nötig, weil unsere Gegner, die Freunde Österreich-Ungarns, alarmiert worden waren und in erhöhtem Maße zu arbeiten begannen; in Paris gab es wie in London und überall eine starke austro- und magyarophile Richtung. Den Entscheidungskampf mit dieser Austrophilie hatten wir noch vor uns, denn das österreichische Vorurteil in Europa und Amerika konnte nicht mit einem Schlage beseitigt werden! Österreich war in den Augen der alliierten Politiker die Rettung vor der Balkanisierung (»Jetzt haben wir mit einem zu tun, es ist unmöglich, mit zehn zu verhandeln!«) und – die Rettung vor Deutschland! Und dies zu einer Zeit, in der Österreich an der Seite Deutschlands stand!
Ich kann nicht über alle Besuche und Unterredungen berichten; nur zur Kennzeichnung der Arbeit führe ich einige Namen an: Pichon, Déschanel, Leygues, Gauvain, Fournol, Quirielle u. v. a.; ferner Boutroux, Chéradame u. a.
Ich darf die lieben Besuche in der Familie der Mlle. Weiss, jetzt Redakteurin der »L'Europe Nouvelle«, und den gastfreundlichen Salon der Mme. de Jouvenel nicht unerwähnt lassen; bei Štefániks Arzt Dr. Hartmann fand ich gleichfalls eine gewählte Gesellschaft. Den ständigen Verkehr mit Denis, Prof. Eisenmann u. a. brauche ich nicht ausdrücklich zu erwähnen.
Öfter waren wir mit Vesnić zusammen und tauschten unsere Nachrichten und Ansichten über die Gesamtlage und die uns betreffenden Fragen aus; gegen Vesnić war unter den Serben in Paris ein Kreis jüngerer Leute, – ich nahm ziemlich viel Persönliches dabei wahr, man tat ihm politisch unrecht.
Interessant war mir der Verkehr mit Izvolskij. Wir standen uns durch den Kampf gegen Ährenthal nahe; ich konnte deshalb erwarten, daß er unserer Sache Aufmerksamkeit schenken werde. Wir sprachen über die Affäre Ährenthal, doch war er ziemlich zurückhaltend; möglich, daß er das Interesse daran verloren hatte, so wie ich, – wir hatten jetzt andere und wichtigere Dinge vor. Was ich vernahm, bestärkte mich in der Meinung, daß in Buchlau weder Ährenthal noch Izvolskij ihre beiderseitigen Forderungen genau und bestimmt genug vereinbart hatten; die Sache ist bisher nicht hinlänglich aufgeklärt, insbesondere ist nicht festgestellt, ob tatsächlich ein Protokoll aufgenommen worden war, wie unlängst der Moskauer Professor Pokrovskij versichert hat. Soviel ich weiß, ist dieses Protokoll nicht aufgefunden worden.
Über die Zustände in Rußland und namentlich bei Hofe sprach Izvolskij ausführlich und mit Befürchtungen für die Zukunft Rußlands. Ich sah, daß er den Hof, alle Hauptpersonen und namentlich auch den Zaren gut kannte. Er kritisierte maßvoll in Worten, aber ziemlich stark in der Sache, obgleich er dem Hofe und besonders dem Zaren unbedingt ergeben war. Darin war er der Typus jener anständigen und vernünftigen hohen russischen Beamten, die die Situation durchschauten und sie verurteilten, aber für die Besserung wenig oder nichts taten. Ich sagte ihm über Rußland meine Meinung; er konnte und wollte sie nicht bestreiten.
Wie so viele offizielle Russen hatte selbst Izvolskij von uns und von den Slawen keine klare Anschauung. Ganz offenkundig dachte er nur an die Slawen oder die rechtgläubigen »Brüder«; die Vereinigung aller Südslawen hatte er nicht auf dem Programm. Die Kroaten sollten abseits bleiben, wenn auch selbständig. In diesem Sinne pflegte er öfter mit verschiedenen Personen zu reden, die mir darüber ausführlicher berichteten; es war klar, daß er aus Rußland einen offiziellen Plan über die Slawen nicht besaß. Briands Eintreten für uns machte auf ihn einen bedeutenden Eindruck. Er versprach, uns in Paris und London zu unterstützen, und ich überzeugte mich, daß er sein Wort gehalten hat.
Beständigen Verkehr mit Izvolskij erhielt Svatkovskij aufrecht, der damals auch nach Paris zu mir gekommen war.
Ich verhandelte mit Russen aller Parteien, die in Paris lebten. Wir hatten sogar eine organisatorische Versammlung, in der ich mit Dr. Beneš eine bessere Berichterstattung aus Rußland und die Konzentration der russischen Politiker im Auslande verlangte. Es war geradezu kläglich, wie sie schon damals unorganisiert und unorganisierbar waren.
Von Izvolskij gehe ich logischerweise zu der Darlegung über, welche Stimmung damals im Westen gegenüber den Russen herrschte. In allen westlichen Ländern trübte sich das Verhältnis zu Rußland. Frankreich hatte seine bindenden Abmachungen mit Rußland und die alte offizielle Freundschaft; aber ein ziemlich ansehnlicher Teil des politischen französischen Publikums war gegen Rußland immer zugeknöpft gewesen und ein Teil sogar feindselig. Die Liberalen und gar die Radikalen und Sozialisten liebten nicht den Zarismus, bekämpften ihn theoretisch und nach Kriegsausbruch auch praktisch in ihren Journalen und ihrer Propaganda. England hatte seit einigen Jahren sein Verhältnis zu Rußland verändert; doch in den breitesten englischen Kreisen hörte die ungünstige Anschauung nicht auf. In Italien waren die Ansichten über Rußland und die Slawen zu Beginn des Krieges unbestimmt und eher ungünstig.
Die Niederlagen der russischen Armee verstärkten die Stimmung gegen Rußland. Aus vielen Erklärungen französischer und englischer Politiker erkannte ich, daß Frankreich und England von Rußland die Versicherung erhalten hatten, seine Armee sei in bester Ordnung und Rußland fürchte nicht den Krieg, wenn Frankreich hinlänglich vorbereitet sei. Viele Franzosen und Engländer empfanden die Niederlagen der Russen als Nichterfüllung des Versprechens und als Täuschung. Ich glaube allerdings, daß es Pflicht der westlichen Rußlandkenner gewesen war, die Versicherung Rußlands kritischer zu beurteilen. Der japanische Krieg hatte die russische Militärverwaltung zu nachdrücklicherer Reorganisation der Armee veranlaßt, doch in viel geringerem Maße, als notwendig war.
Bei dieser Stimmung in Paris erneuerte Professor Denis sein früheres Gesuch, daß ich an der Sorbonne einen Vortrag über die Slawen halte; es sollte der Anfang von Vorträgen über slawische Angelegenheiten sein, wie sie schon in London am King's College gehalten wurden, und er dachte, mein Standpunkt werde, wenn ich ihn in Paris vortrage, die politische Öffentlichkeit über unsere und aller slawischen Völker Bestrebungen beruhigen; diese seien ja nicht panslawistisch im Sinne irgendeines aggressiven russischen Imperialismus. Denis wies dabei auf unangebrachte slawische Expektorationen hin, die sich zuvor Koniček und nach ihm manche unserer Leute hatten zuschulden kommen lassen. Abgeordneter Dürich bestärkte dieses Slawentum durch seine Schwärmerei für die russische Dynastie und die Versicherung, das tschechische Volk werde rechtgläubig werden; seine Ansichten wurden in Paris als Programm des Abgeordneten Kramář kolportiert, und die Austrophilen und unsere Gegner bemächtigten sich ihrer bereitwillig. (Ich bemerke hier ein für allemal: die österreichischen und magyarischen Agenten machten sich leicht an unsere naiven Leute heran und verstanden es, ihnen allerlei Vernünftiges und – Unvernünftiges zu entlocken.)
Ich glaube auch, daß in Frankreich und England die Behauptung Kaiser Wilhelms und Bethmann-Hollwegs, der russische Panslawismus habe den Krieg verursacht, Eindruck hinterlassen hatte.
Ich hielt also am 22. Februar an der Sorbonne meinen Vortrag über die Slawen und den Panslawismus, in dem ich der Wahrheit gemäß zeigte, daß es bei den Slawen und Russen keinen solchen Imperialismus gebe, wie ihn die Deutschen in ihrem Pangermanismus verkünden. Für den Zarismus trat ich freilich nicht ein, aber das bedeutete nicht einen Verzicht auf das Slawentum; ich setzte mich ja für die Errichtung eines Instituts für slawische Studien an der Sorbonne ein, wir gründeten hier eine wissenschaftliche Revue für slawische Angelegenheiten (»Le Monde Slave«), und ich arbeitete überall öffentlich mit den Südslawen und den Polen, später auch mit den Ukrainern zusammen. Und mein Verhältnis zu den Russen überall im Westen war sehr gut. Slawen sind wir und wollen wir sein, aber europäische Slawen, eine Weltnation.
Zu den Gründen, die die Sympathien zu den Russen abschwächten, muß noch das Benehmen von Russen verschiedener Parteien in den westlichen Ländern, namentlich in Paris gezählt werden. Als dann gar eine kleine russische Armee nach Frankreich kam, hielten sich die Franzosen und insbesondere die militärischen Kreise über ihre Undiszipliniertheit sehr auf. Das wirkte allerdings erst etwas später und nach meinem Vortrag, doch kann es in diesem Zusammenhang bereits hier erwähnt werden.
Während dieses Aufenthalts in Paris war ich beständig mit Štefánik zusammen.
Ich hatte Štefánik als Studenten in Prag kennengelernt; er war arm gewesen, und ich sorgte dafür, ihm das Leben zu erleichtern. Von Prag hatte er sich nach Paris begeben (ich glaube im Jahre 1904) und war Sekretär des astronomischen Observatoriums in Paris geworden. Er wurde zu verschiedenen astronomischen und wissenschaftlichen Arbeiten und Missionen entsendet, auf den Mont Blanc, nach Spanien, Oxford und dann in verschiedene ferne Länder, nach Turkestan, Algier, Südamerika und nach Tahiti.
Ich will einige Mitteilungen machen, die die Tätigkeit Štefániks während des Krieges charakterisieren können. Es wird kein vollständiger Bericht sein, vielleicht in dem und jenem sogar irrig; vor diesem Aufenthalt in Paris hatte ich, glaube ich, mit Štefánik keine schriftliche Korrespondenz während des Krieges geführt, – persönlich waren wir nicht zusammengekommen, hatten uns nur durch Bekannte zeitweise verständigt.
Er hatte damit begonnen, daß er sich bei einem Freunde, einem Beamten der Pariser Polizei, sofort bei Kriegsbeginn dafür eingesetzt hatte, daß die Tschechen, Slowaken und überhaupt alle slawischen Staatsbürger, die offiziell als Österreicher angesehen wurden, der den alliierten Staatsbürgern gewährten Vorteile teilhaftig werden. Bald fing er mit der Propaganda an; er nahm sich vor, jeden Tag wenigstens einen Verbündeten für unsere Sache zu gewinnen. Er meldete sich freiwillig zur Armee; im Juli 1915 nahm er an den Schlachten an der Aisne und bei Ypern teil. Er wurde als Fliegeroffizier nach Serbien gesendet. In Albanien stürzte er mit dem Flugzeug ab und traf aus Valona auf einem besonderen Torpedoboot in Rom ein (Ende November), wo er mit dem französischen Botschafter Barrère und dann mit Sonnino bekannt wurde. Ich fand ihn bald darauf (im Februar 1916) in Paris im Hospital nach einer schweren Magenoperation. Als Astronom kannte er sich gut in der Meteorologie aus und ragte während des Krieges in diesem Fache dadurch hervor, daß er an der französischen Front meteorologische Stationen errichtete. Er war vor dem Kriege naturalisiert worden und hatte also als Franzose überall dort Zutritt, wo man Nichtfranzosen nicht zuließ. Nachdem er genesen war, ging er nach Italien, um dort für uns zu arbeiten; im Sommer 1916 (Juli oder August) fuhr er nach Rußland; dort hatte er Gelegenheit, mit allen militärischen Autoritäten und auch mit dem Zaren zu verhandeln. Als Kuriosum erwähne ich, daß der Zar mir durch Štefánik einen sehr freundschaftlichen Gruß hatte bestellen lassen und. die Aufforderung, in meiner Politik fortzufahren; dies zu einer Zeit, in der im Ministerium des Innern Dürich gegen mich ausgespielt wurde. In Rußland hatte Štefánik (auch von der französischen Regierung) die Übertreibungen Dürichs und mancher seiner Leute zu paralysieren. Er unternahm den Versuch einer Vereinbarung mit Dürich in dem sogenannten Kiewer Protokoll.
Von Rußland reiste Štefánik Ende 1916 an die rumänische Front, wo er für Frankreich mehrere Hundert unserer Gefangenen organisierte, die im Sommer 1917 abgingen. Im Januar 1917 kehrte er nach Rußland zurück und hielt sich auf der Reise nach Paris bei mir in London auf (im April 1917). In Paris pflog er damals häufigen Verkehr mit Südslawen und Italienern; er fuhr auch selbst nach Rom. Im Sommer (Juni-Oktober) war er in Amerika, um unter den Tschechen und Slowaken Freiwillige zu werben, – er hatte eine große Anzahl erwartet, wurde aber darin enttäuscht; in Amerika gewann er für uns Roosevelt. Zu seiner Charakteristik sei erwähnt, daß er in einer am Tage seiner Abfahrt nach Europa abgehaltenen Versammlung in Carnegie-Hall von den Schmerzen seiner seltsamen Krankheit befallen und auf der Bahre nach dem Schiff gebracht wurde. Er eilte damals, wenn ich nicht irre, nach Italien.
Im Jahre 1918 (seit April) war er abermals in Italien und vereinbarte nach einer wirksamen Propaganda die Konvention vom 21. April und 30. Juni mit Orlando. Im Herbst kam er am 6. September zu mir nach Washington, mit General Janin auf dem Wege zu unserer Armee nach Sibirien. Im Februar 1919 kehrte er aus Rußland zurück; in Sibirien hatte er die Absicht gefaßt, die Armee über Turkestan zum Schwarzen und Mittelmeer zu transportieren, – offenbar hatten ihm die russische Eisenbahn durch Zentralasien und die in Vorderasien gegen die Türken operierende Armee diesen Plan eingegeben. Er erkannte jedoch an, daß dieser Plan unpraktisch sei, und gewann dann in Paris auch Foch für den Transport über Wladiwostok. In Paris überzeugte er viele davon, daß die Russen einer Offensive gegen die Bolschewiken unfähig seien.
Im Frühjahr 1919 rüstete er seine Rückkehr über Rom in die Heimat. Er hatte die Absicht, mit d'Annunzio zu sprechen, fuhr nach Venezien, traf ihn aber dort nicht an. Am 4. Mai flog er von Udine ab, – – am selben Tage starb er auf heimatlicher Erde ...
Während des Aufenthaltes in Paris traf ich Štefánik täglich, oft zusammen mit Beneš. Wir hatten Gelegenheit, alle für unsere Bewegung wichtigen Verhältnisse und Personen in den alliierten Ländern zu besprechen und einen detaillierten Plan für die weitere künftige Aktion festzusetzen. Damals wurden in Paris Verhandlungen über die Entsendung einer russischen Armee nach Frankreich geführt. Die Russen machten große Versprechungen (40 000 Mann monatlich) – aber schließlich trafen unbedeutend wenige Russen ein und, wie schon gesagt, bedauerlicherweise: die russischen Soldaten waren bereits demoralisiert und trugen so dazu bei, den russischen Namen in Frankreich und bei den Alliierten überhaupt herabzusetzen. Wir glaubten damals, mit den Russen auch unsere Gefangenen aus Rußland nach Frankreich transportieren zu können, – in dieser von der französischen Regierung gebilligten Absicht war Štefánik nach Rußland gefahren. Aus den Nachrichten, die ich von mehreren Seiten und auch von meinen zuverlässigen Boten schon damals aus Rußland erhalten hatte, ging klar hervor, daß die russische Regierung die Formation und den Transport unserer Armee nach Frankreich nicht wünschte und daß unsere Leute politisch und organisatorisch schwach waren. Darum mußte jemand von uns dahin reisen.
Wir kamen ferner überein, daß Štefánik in Italien arbeiten werde, damit auch dort unsere Gefangenen organisiert und, wenn möglich, gleichfalls nach Frankreich gebracht würden. Der Plan bestand darin, eine möglichst große Aktionseinheit auf einem Kriegsschauplatz zu haben, und allerdings bestand ein weiterer Plan: mit unserer Armee und mit dem alliierten Heer zur Beendigung des Krieges nach Berlin zu gelangen und dann über Dresden nach Hause. In Italien gewann Štefánik, namentlich in der Armee, viele Freunde, als er (im Frühjahr 1917) an der Front am oberen Isonzo vom Flugzeug aus starke österreichische Abteilungen erkundete, von denen Cadorna nichts gewußt hatte und die ihn überrascht haben würden.
Štefánik knüpfte auch Beziehungen zum Vatikan an und pflegte sie während der ganzen Dauer des Krieges? er, der Protestant, Sohn eines slowakischen Pastors, begriff gut die Wichtigkeit des Vatikans für uns im Weltkrieg.
Štefánik nützte unserer Sache durch seine Propaganda sehr. Er hatte sich in Paris allmählich einen Kreis von Freunden und Verehrern erworben; die Propaganda übte er mehr nach Art der Apostel als der eines Diplomaten und Militärs aus. Er ebnete mir und Dr. Beneš an vielen entscheidenden Orten in Paris (zu Briand u. a.) und in Rom den Weg. Wenn ich mich seiner erinnere, ersteht in meinem Gedächtnis stets das Bild unseres slowakischen Drahtbinderleins, das durch die Welt pilgert; nur daß dieser Slowak durch alle Fronten der Alliierten, durch alle Ministerien, alle politischen Salons und alle Höfe gegangen ist. Er gewann sich einflußreiche Freunde im Heer, – Foch hörte zum erstenmal durch Štefánik von uns und unseren Bestrebungen gegen Österreich. In der Regierung und der Bureaukratie hatte er allerdings auch seine Gegner.
Štefánik war politisch konservativer als ich: im Oktober 1918 stimmte er, als ich in Washington die Unabhängigkeitserklärung abgab, dem Programm nicht zu, wie ich es in Kürze formuliert hatte. Er pflegte zu fürchten, daß wir eine konsequent demokratische Republik nicht erfolgreich zu organisieren und auszubauen verstehen. Doch nach einiger Zeit erkannte er die Richtigkeit meines Schrittes an und widerrief seinen Protest.
Die Unkenntnis der Verhältnisse und der Personen in Prag stand ihm im Wege; politisch war er nicht immer parat genug; der Kiewer Pakt war so formuliert, daß er z. B. als Nationalitätenprogramm ausgelegt werden konnte, obgleich wir beständig das historische Recht betonten. Ihm kann zur Entschuldigung dienen, daß sich auch Abgeordneter Dürich dieses Versehen zuschulden kommen ließ. Auch in Sibirien war er politisch nicht vorausblickend, wie die Verkennung der wahren Situation in der Armee, die Verkennung unserer und der russischen Leute (Kolčak) bezeugt.
Mich persönlich hatte Štefánik fast ergreifend lieb; ich vergalt seine Ergebenheit mit der meinen und war ihm für seine Hilfe in unserem Kampfe dankbar. Er verdient die Dankbarkeit unser aller.
Nach London kehrte ich von Paris am 26.Februar (1916) zurück.
Durch den Aufenthalt in Paris wurde ich mir des großen Unterschiedes der beiden Großstädte während des Krieges bewußt. Paris erweckte den Eindruck einer Stadt in Trauer – Victor Hugos Hauptstadt des Allfriedens war gleichsam die Nekropolis unserer Zivilisation geworden; mehr als einmal bildete ich mir ein, die Geschütze von Verdun zu hören. Am Tage vor meiner Abreise fiel die Feste Douaumont ...
In London erblickte man geradezu nirgends Spuren des Krieges, überall Ruhe, »Handel und Wandel wie gewöhnlich«; erst später kam die Kriegserregung auf – langsam, aber sehr ernst. Die Soldaten fuhren ab und kamen an, bald darauf Verwundete; und schließlich sorgten die Deutschen in ihrer Kurzsichtigkeit dafür, London und England in Aufruhr zu bringen, nämlich durch ihre Zeppeline, die das strategisch unwichtige London und andere Städte bombardieren.
Ich verbrachte in London etwa zwei Jahre; schon vor dem Krieg weilte ich gern in London und erfreute mich auch jetzt der Gastfreundschaft dieser riesigen Stadt, die mehr Einwohner hat als ganz Böhmen. Man versinkt in dieser Menschenwüste unbeachtet und kann sich ganz seiner Arbeit hingeben. Ich wohnte im Norden Londons, in Hampstead, fast auf dem Lande, und in die Stadt pflegte ich auf dem Omnibus zu fahren; ich beobachtete gern von oben das Leben auf den Straßen und brachte so den Verlust an Zeit ein. Regnete es zu sehr oder schneite es, so fuhr ich mit der Untergrundbahn. Fürs Auto langte es noch nicht.
In London fand ich meine alten lieben Freunde, die Dreiheit: Mr. Steed, Mme. Rose und Seton-Watson. Das war die freundschaftliche Zufluchtstätte und das Zentrum, von dem aus ich von Tag zu Tag meine politischen Kreise erweiterte. Mr. Steed war mir in Wien im Kampfe gegen Ährenthal und in der Aktion Pašić-Berchtold behilflich gewesen, zu Seton-Watson hatte mich die Slowakei genähert. Alle drei waren Kenner Österreich-Ungarns und ganz Mitteleuropas, – um so heimischer fühlte ich mich bei ihnen. Bei Steed kam nicht bloß die englische politische Welt zusammen, sondern auch die französische und eigentlich von ganz Europa, wenigstens die alliierte und die neutrale; Menschen aller Gebiete, Militärs, Journalisten, Bankiers, Abgeordnete, Diplomaten, kurzum die tätige politische Welt. Ich erinnere mich z. B. des Autors der Schrift über den Heiligen Franz von Assisi, Professor Sabatier, und vieler anderer.
Die Herren Steed und Seton-Watson haben ein großes Verdienst um unsere Befreiung; nicht so sehr dadurch, daß ich in den Blättern der Northcliff-Gruppe unser Programm propagieren konnte und daß ich durch den Einfluß der beiden Freunde Zutritt in alle und die einflußreichsten Londoner Kreise hatte, sondern auch dadurch, daß sowohl Mr. Steed als auch Mr. Seton-Watson unser Programm verfochten und das antiösterreichische Programm als englische Politiker und Schriftsteller selbst annahmen.
Mr. Steed veröffentlichte bald nach meiner Ankunft in London und fast gleichzeitig mit meiner Antrittsvorlesung in der »Edinburgh Review« im Oktober 1915 ein Programm, in dem als Bedingung eines dauernden Friedens die radikale Änderung Österreich-Ungarns – die Einigung der Südslawen und »der Vereinigte Tschechisch-Mährisch-Slowakische Staat« gefordert wurden. Nach meiner Reise nach Paris veröffentlichte Mr. Steed in derselben Zeitschrift (April 1916) ein »Friedensprogramm«, in dem unter anderm die Vereinigten Südslawischen Staaten, das autonome Polen unter russischem Zepter, das unabhängige oder wenigstens autonome Böhmen mit Mähren und der Slowakei, das geeinigte Rumänien usw. verlangt wurden. Daß die Forderung unserer Selbständigkeit mit einer gewissen Reserve gestellt wurde, entsprach der Kriegslage; später fiel die Reserve fort.
Die Beteiligung Mr. Seton-Watsons an der Propagierung und Aufstellung unseres Programms war durch seine Wochenschrift »New Europe« gegeben; der Einfluß dieses ausgezeichneten Blattes war sehr bedeutend. Dieser Einfluß läßt sich, glaube ich, auch danach abschätzen, daß sich Feinde fanden, die Seton-Watson um jeden Preis zur Armee abschaffen wollten und ihm verboten – zu schreiben.
Die Veröffentlichungen und alle Kundgebungen unserer Freunde fanden ein Echo auch in Frankreich, Italien und Amerika; Mr. Steed hatte ständige Beziehungen zu Frankreich und Italien und weilte während des Krieges oft in diesen Ländern (mit Vorträgen und in ähnlicher Propagandatätigkeit), wodurch seine politischen Anschauungen auch durch den persönlichen Einfluß in den entscheidenden und politischen Kreisen verbreitet und gefestigt wurden. Aber selbst Mr. Steed hatte, wenn auch nur zeitweise, Ungelegenheiten in den offiziellen Kreisen; Lord Northcliff und die »Times« stellten sich bald nach Kriegsausbruch gegen die auswärtige Politik, Foreign Office unterhielt den ganzen Winter 1914/15 mit den »Times« keinen Verkehr, erst im Frühjahr 1915 trat eine Wendung ein.
Mit Frankreich war ich in London nicht nur durch Beneš in ständigem Verkehr, sondern auch durch Franzosen, die in London lebten und London besuchten; ich erlebte so in eigener Person das Bündnis Frankreichs mit England. In mir war dieses Bündnis organisch, familiär, persönlich: die Familie meiner Frau entstammt einer Hugenottenfamilie aus Südfrankreich (Garrigue ist ein Höhenzug in Südfrankreich) und gelangte auf dem Umwege über Dänemark nach Amerika. Englisch und Französisch ist in meiner Familie neben Tschechisch (Slowakisch) die Umgangssprache der jüngeren Generation. Es ist kein Zufall, daß meine erste tschechische Arbeit in Prag eine Abhandlung über den Engländer Hume und den Franzosen Pascal war.
Mit Frankreich wuchs ich seit meiner Kindheit geistig zusammen. Mit dreizehn Jahren begann ich Französisch zu lernen; obgleich ich bis zum Kriege mit Franzosen keinen häufigen Verkehr hatte, verfolgte ich ihre ganze Literatur beständig und erlebte sie sehr lebendig. Ich befaßte mich mit Frankreich, seiner Kultur und Literatur so eingehend, daß ich nicht das Bedürfnis empfand, Frankreich selbst zu besuchen; so war ich bis zum Kriege nicht dort gewesen (abgesehen von Landungen in Havre).
Man sagt mitunter von mir, daß Comte den größten Einfluß auf mich ausgeübt habe; vielleicht ist das in der Soziologie der Fall, aber sein Positivismus war mir noetisch zu naiv. Comte geht von Hume aus, überwindet jedoch seine Skepsis durch Tradition und die sogenannte allgemeine Meinung. Comtes Positivismus hatte in Frankreich starken Einfluß, Wissenschaft und wissenschaftliche Methode werden dort stets hochgeschätzt (z. B. noch der Mathematiker Poincaré!); aber die positivistische Sehnsucht nach Klarheit und Genauigkeit verfällt leicht in einseitigen Intellektualismus. Der Kultus der Vernunft von Descartes bis zur Revolution und zum nachrevolutionären Positivismus ist im Grunde Kants »mathematisches Vorurteil« und »reine Vernunft« und endete ebenso mit einem Fiasko wie in Deutschland, – Comte selbst wurde Fetischist, da und dort folgte ein wilder Romantismus. Auch auf die gefeierte französische Klarheit muß man achtgeben!
Mich hat frühzeitig das große Problem der französischen Revolution und Restauration verfolgt: Rousseau, Diderot, Voltaire (den ich irgendwie nicht liebte) u. a. einerseits – de Maistre u. a. und dann Tocqueville u. a. andererseits. Ich erwähne nur die wichtigsten Namen, lernte aber auch die übrigen, größere und kleinere, die hierher gehören, kennen.
Comte interessierte mich als Verbindung der französischen Revolution mit der Restauration; der Gründer des Positivismus und der positivistischen Religion der Humanität vollstreckt die Politik de Maistres ...
Den französischen Romantismus machte ich ziemlich akut durch. Gleich in der Jugend ergötzte ich mich an Chateaubriand und der ganzen Romantik; Kollárs Bemerkung gegen den Romantismus machte mich schon damals stutzig, aber erst verhältnismäßig später wurde ich mir über das ungesunde Element des Romantismus klar. Manche meiner kritischen Glossen dagegen, was ich öfter Dekadenz geheißen habe (eine nicht ganz richtige Bezeichnung), zeugen dafür. Im französischen Romantismus fiel mir der besondere nervöse, ja perverse Sexualismus auf; ich glaube, daß bisher Musset der eigentliche Repräsentant dieses Fühlens in Frankreich ist. Ich suchte (wie ich glaube, richtigerweise) in diesem Element der Romantik den Einfluß des Katholizismus auf die Quasi-Katholiken: der Katholizismus weist durch seinen Asketismus und sein Zölibatsideal allzusehr auf das Geschlecht hin und vergrößert seine Bedeutung schon in der zarten Jugend. Dieser katholischen Erziehung schreibe ich speziell den Sexualismus in der französischen Literatur zu, und Frankreich ist darin repräsentativ. Der katholisierende Dichter Charles Guérin formuliert das als »den ewigen Zweikampf zwischen dem Feuer des heidnischen Leibes und der überirdischen Sehnsucht der katholischen Seele«. Und es ist nicht nur Asketismus, es ist übertriebener religiöser Transzendentismus überhaupt, der den Katholiken-Skeptiker und -Ungläubigen zum Extrem des äußersten Naturismus führt. Ich verglich die Franzosen und Italiener mit Engländern, Amerikanern und Deutschen. Bei den protestantischen (und rechtgläubigen) Völkern und Schriftstellern gibt es diesen Sexualromantismus nicht, und nicht diesen besonderen Blasphemismus, der durch den beständigen sichtbaren Gegensatz der religiösen transzendenten Welt und des asketischen Ideals einerseits und der erlebten wirklichen Welt andererseits hervorgerufen wird. Dieser Gegensatz beunruhigt und regt auf. Der Protestantismus ist weniger transzendent, ist realistisch. In Baudelaire ist die romantische Verbindung des Ideals einer katholischen Madonna und einer naturalistischen Venus drastisch und geradezu repräsentativ durchgeführt – dasselbe Salto mortale wie bei Comte die Kapitulation der positivistischen Wissenschaft vor dem Fetischismus. Zola vollführte dieses Salto mortale in seinem naturalistischen Roman, dieser seltsamen Mischung von nicht positivistischem Positivismus und grobem Romantismus.
Recht angenehm überraschten mich die literarischen Studien Carrières über den Romantismus, die ich jetzt kennengelernt habe. Er sagt allerhand, was ich in meinen Versuchen gesagt habe. Die Analyse und die Kritik des Romantismus ist für die geistige Entwicklung Frankreichs bisher eine große Aufgabe; die Romantik wurde von Tocqueville und dann von Taine und Brunetière verurteilt, heute gibt es eine Reihe von Gegnern der Romantik wie Seillière (»Fort von Rousseau«) und seinen Schüler Lasserre, Faguet, Gillouin u. a., auch Maurras.
Wie man aus den Namen sieht, entspringt die Gegnerschaft gegen den Romantismus aus ungleichen Anschauungen und Zielen. Das Problem ist sittlich und vor allem sittlich; daß nämlich die Revolution gegen das alte Regime – letzten Endes den Katholizismus – in Frankreich in übertriebenen Naturismus und Sexualismus, in ungesunden und eben dadurch dekadenten Sexualismus verfällt. Ich erblicke in dieser Dekadenz ein großes Problem Frankreichs, aber auch der übrigen katholischen Nationen und überhaupt der modernen Zeit.
Der akute Charakter des Problems äußert sich auch darin, daß die stärkeren französischen Schriftstellerinnen in so hohem Grade dieser Richtung unterlegen sind (Rachilde – Colette – Marx).
Daß ich mich in Paris und in London mit diesem literarischen und sittlichen Problem befaßte, ist natürlich; das Problem hat eine direkte Beziehung zum Krieg; wie Frankreich und namentlich seine Intelligenz alle Schwierigkeiten des Krieges aushalten werde, das war während des Krieges für mich eine ernste Frage. Ich erkannte zwar die Richtigkeit der Gründe, die für die Prophezeiung einer endgültigen Dekadenz Frankreichs und der romanischen Nationen von den deutschen Pangermanisten angeführt wurden, nicht an, doch selbst eine vorübergehende Dekadenz hatte ihre Gefahr, und diese Gefahr war um so drohender, als die Entvölkerung Frankreichs, die die Franzosen so beunruhigt, mit dieser sittlichen Dekadenz entschieden zusammenhängt. Und die Gefahr wird, wie mir schien, nicht einmal durch den Sieg der Alliierten beseitigt, wenn es auch im gegebenen Augenblick vor allem um diesen Sieg ging.
Wie ich schon erwähnt habe, sprach man viel von Unordnung in der französischen Armee, die nicht nur durch den pazifistischen Widerstand gegen das Blutvergießen erklärt werden konnte; ich dachte über die Sache im Zusammenhang mit diesem Dekadenz-Problem nach. Joffre, sagte man, habe nur durch die größte Strenge die Armee in Ordnung gebracht. Ich überzeugte mich, daß diese Klagen übertrieben waren.
Gegen die Dekadenz, die zur Passivität führt (gerade in der Intelligenz und hauptsächlich in Paris!), gab es in Frankreich starke aktivistische Strömungen; das muß loyal hervorgehoben werden. Die Richtung des Barrèsschen Nationalismus bewährte sich im Krieg; neben Barrès bereiteten Bourget und Maurras die Jugend zu energischem Widerstand gegen die Pangermanen vor. Die Namen Bourget und Maurras sind mit der neueren katholischen Bewegung verbunden; aber deren bester und einflußreichster Teil, wiederum in der Jugend, war demokratisch (»Sillon«).
Die katholische Bewegung selbst und überhaupt die religiöse Frage ist seit der Revolution und speziell seit de Maistre bis heute eine der Hauptfragen in Frankreich wie sonst überall; der Kampf um die Schule und die Trennung von Staat und Kirche sind stets und überall die Tagesfrage. Die französische katholische Bewegung ist gedanklich nicht einheitlich und in ihren literarischen Hauptrepräsentanten (z. B. Claudel, Péguy) keineswegs orthodox; Maurras verbindet einen nationalen Klassizismus mit Katholizismus und andere versuchen die Synthese des Katholizismus mit verschiedenen Elementen der modernen Zeit auf andere Weise. Diese verschiedenen Richtungen übten und üben bedeutenden Einfluß aus und wirkten im Ganzen erneuernd; der Tod Péguys auf dem Schlachtfelde ist kennzeichnend.
Außer Péguy fiel eine große Reihe junger Schriftsteller im Kriege, – ein beredtes Zeugnis für das moderne Frankreich aller Richtungen.
Neben dem mehr politischen Nationalismus entstand aus dem älteren Humanitismus und Internationalismus eine neue Richtung des realistischen Europäismus und Internationalismus, eine aktivistische, propagatorisch energische Richtung. Auf der einen Seite Schriftsteller wie Romain Rolland, Suarès, Claudel, Péguy, zu denen man in dieser Beziehung auch den Dichter Jules Romains hinzuzählen kann; auf der anderen Seite Jaurès, der in gleicher Weise einen konkreteren Internationalismus auf der Grundlage eines neuen Patriotismus erstrebte, welcher nicht dem Verlangen nach Vergeltung entspringt, sondern nach einer positiven Verbindung aller Nationen in ein harmonisches Ganzes.
Den meisten dieser verschiedenen Individualitäten und Führern des französischen Denkens war die Sehnsucht nach Tätigkeit gemeinsam, – mehr oder minder der klare Protest gegen den abstrakten Intellektualismus des positivistischen Erbes und gegen den Skeptizismus, der in seiner künstlichsten Form von Anatole France repräsentiert wurde; auch Bergsons Intuition und Philosophie ist ein Versuch, sie zu überwinden: élan vital – ferveur – ardent sérénité – effort und ähnlich klangen die Losungsworte Bergsons, Gides, Claudels, Jaurès; Sorel steigerte sie in violence. Ich erblicke darin mehr, als die Franzosen sich bewußt wurden, den Einfluß der deutschen Psychologie und ihres Aktivismus und Emotionalismus von Kant bis nach Nietzsche.
Die praktische Bestätigung dieser europäischen Richtung, in der außer deutschen, skandinavischen, englischen, amerikanischen Einflüssen starke russische Kräfte enthalten waren, erblickte ich in der Entente, in dem praktischen Bündnis Frankreichs mit England und Rußland, später auch mit Amerika. Wird durch diese Verständigung und den Krieg das krankhafte Element der romantischen Dekadenz überwunden werden? Die besten und gerade die modernen Geister sind sich des Problems des Verfalls und der Regeneration wohl bewußt, sie analysieren es beständig; charakteristisch für die französische Literatur ist darum die Form des komplizierten Romans, die Romanreihe, in der mittels Analyse einer ganzen Epoche das Bild des modernen Frankreichs gegeben werden soll; nach Balzac haben wir die Romane Zolas, R. Rollands, neuestens Martin du Gards u. a.
Der Aufenthalt in Paris und London, der ständige Verkehr mit Engländern und Franzosen, die Beobachtung französischer und englischer Militärs, französisch-englischer Harmonien und Disharmonien, die Gedanken über französische und englische Literatur regten mich natürlich zum Vergleich der französischen mit der englischen Kultur an.
Von englischen Philosophen fesselte mich am meisten Hume – das große Problem der modernen Skepsis, das Hume noetisch und am stärksten formuliert hat; der Vergleich mit Comte war dadurch gegeben, daß Comte von Hume ausgeht (wie Kant). Aber welch ein Unterschied zwischen beiden: der Franzose kehrt zum Fetischismus zurück und sucht die Erlösung in altneuer Religion, der Engländer (Schotte!) entgeht der eigenen Skepsis durch die Ethik der Humanität (nicht durch die Religion der Humanität wie Comte!), Der Katholik – der Protestant!
Von neuen Philosophen war mir John Stuart Mill (gewissermaßen auch ein Comteaner) als Repräsentant des englischen Empirismus sympathisch; nur nebenbei gedenke ich Bucles; ich machte mir an ihm das Wesen der Geschichte klar. Darwin war mir ein großes Problem, – ich lehnte und lehne bisher den Darwinismus ab, keineswegs den Evolutionismus; Spencer interessierte mich sehr, und zwar als Philosoph des Evolutionismus und als Soziolog.
Mehr als mit englischer Philosophie befaßte ich mich, aufrichtig gesprochen, mit englischer und amerikanischer Literatur. Ich lernte sie bald ziemlich vollständig kennen; jetzt verglich ich, wie gesagt, Engländer und Franzosen in bezug auf die romantische Dekadenz. Ich hatte schon früher Rossetti und Wilde analysiert, jetzt vertiefte ich in London meine Kenntnis der keltischen Renaissance und verifizierte dabei meine Analyse des französischen romantischen Sexualismus; von Neueren schien mir W. L. George neben dem älteren Geoye Moore ein guter Gegenstand dieses Studiums zu sein. Nun, nach dem Kriege, erblicke ich in Joyce den lehrreichsten Fall der katholisch-romantischen Dekadenz, – den Übergang vom metaphysischen und religiösen Transzendentismus und Asketismus zum naturalistischen und sexualen Terrestrismus in der Praxis kann man bei Joyce geradezu greifen.
Das dekadente Element, das bei französischen Schriftstellern so stark ist, gibt es bei den englischen nicht; freilich – das gibt es nicht nur bei den Franzosen! Es kommt auch in der italienischen und spanischen Literatur vor, in der deutschösterreichischen und in dieser sehr stark. Bei den Polen und bei uns. Die Historiker der englischen Literatur machen vor dieser Eigentümlichkeit halt; manche reden sehr oberflächlich von englischer Prüderie und Falschheit, andere wissen einfach keine Erklärung für diesen unbestreitbaren Unterschied. England und Frankreich – das ist der Unterschied zwischen Katholizismus und Protestantismus, mehr menschlicher, angeborener Moral und der Moral des religiösen Transzendentismus. Deshalb gibt es in England und in der englischen Literatur nicht jene Krise, die es in Frankreich und in der französischen Literatur gibt; es gibt nicht den Dualismus, den Zweikampf zwischen Leib und Seele. Ein Schriftsteller wie Lawrence ist eine Ausnahme, sein Dekadentismus ist eher aus Freud angelesen; dafür gehen allerdings die Iren als Katholiken darin mit Frankreich. Ich sehe die englische Literatur für gesünder an, – trotzdem gebe ich mir, wenn ich mir nach Taine die Frage vorlege: Musset oder Tennyson? die Antwort: Musset und Tennyson, die Franzosen und die Engländer mit den Amerikanern, aber gegen beide kritisch!
Während ich diese Auslegung des dekadenten Erotismus gebe, frage ich mich freilich, ob denn recht hat, wer sie aus Temperament und Rasse ableitet – eine gewiß unrichtige Auslegung und oberflächliche Beobachtung der Völker.
Kurz nach meiner Rückkehr aus Paris wurde der hundertste Geburtstag von Charlotte Brontë gefeiert, – meiner Lieblingsschriftstellerin: Romantik, aber ganz andere als bei den Franzosen, rein und trotzdem stark, kraftvolle, doch keineswegs so materielle Liebe. Ich las sie aufs neue und auch Elizabeth Browning. In London wurde ich mir bewußt, daß die Engländer verhältnismäßig die meisten und stärksten Schriftstellerinnen haben: ich kannte schon früher Mrs. Humphry-Ward und May Sinclaire (auch manche Romane von Corelli, die Naivitäten von Ouida und anderer Schriftstellerinnen in der Tauchnitzsammlung), jetzt fand ich eine ganze Reihe: Reeves, Ethel Sidgwick, Kaye-Smith, Richardson, Delafield, Dane, Woolf. Das sind nicht alle: in der englischen Literatur gibt es von Jane Austen angefangen über Charlotte (und Emily!) Brontë bis George Elliot und Elizabeth Browning erstaunlich viele und starke Schriftstellerinnen, im Verhältnis zu den männlichen Schriftstellern mehr, als in anderen Literaturen (auch in der amerikanischen?).
Das zeigt das Eindringen der Frau in die öffentliche Tätigkeit; die Frau befreit sich vom Harem-Küche. In London war während des Krieges, übrigens auch in anderen Ländern, zu beobachten, wie die Frauen die früher den Männern vorbehaltenen Berufe einnahmen. Das änderte sich nach dem Kriege, sobald der Mann zurückgekehrt war, doch die Frau vermehrt ihre Rechte und allerdings auch ihre Verantwortung. Aus den Tageszeitungen und aus privaten Nachrichten ergab sich eine auffallend bedeutende Zahl von Frauenselbstmorden; die Statistik bestätigt sie nunmehr und weist auf die Überlastung der Frau, an die sie nicht gewöhnt ist, auf den Einfluß der Verlassenheit usw. hin.
In London ergänzte ich mir die Kenntnisse, die ich aus der Literaturgeschichte und der literarischen Kritik hatte, durch die Lektüre der Schriftsteller selbst; bei uns hatten selbst die besten Bibliotheken doch nur große Lücken. S. Butler und sein Humor packte mich nicht; Th. Hardy kannte ich nur aus sensationelleren Romanen, jetzt las ich ihn ganz und ebenso Meredith (der mir besser gefiel als früher); von Neueren ergänzte ich mir die Kenntnis Gissings, Galsworthys, Walpoles, A. Benetts, Conrads; Wells kannte ich schon von früher. Von ihnen kam ich zu einem der jüngeren, Swinnerton; auch fesselten mich Hutchinson, Lawrence und andere.
Ich halte die englische Kultur für die fortschrittlichste und, was ich eben im Kriege wahrnehmen konnte, für die humanste; damit sage ich nicht, daß die Engländer lauter Engel sind. Die angelsächsische Kultur, und das gilt auch von Amerika, hat die Humanitätsideale in der Theorie am sorgfältigsten formuliert und in höherem Maße als andere Nationen praktisch betätigt.
Das war aus den Ansichten über den Krieg und der Führung des Krieges ersichtlich. Für den englischen Soldaten ist besser gesorgt als in anderen Armeen, und man geht besser mit ihm um; namentlich das Gesundheitswesen bei der Armee und der Sanitätsdienst sind gut; religiösen und sittlichen Gegnern des Krieges (»conscientious objectors«) wurden Gründe gegen den Krieg ziemlich liberal gelten gelassen. Die Engländer brachten verläßliche Nachrichten über den Krieg und unterdrückten nicht die Urteile des Feindes.
Ob all dies mit dem Reichtum Englands zusammenhängt? Keine Stadt Europas macht so den Eindruck einer reichen Stadt wie London; ich durchwanderte und durchfuhr ganz London in allen Richtungen, – fast überall sind an den Häusern anständige Klinken, viel glänzende Bronze (allerlei Firmentafeln u. ä.), an den Vorgärten die Zäune in Ordnung, – daraus ersah ich den Reichtum Englands anschaulicher als aus statistischen Ziffern.
Da ich die Stellung an der Londoner Universität angenommen hatte, mußte ich mich außer der Propagandatätigkeit auch den Vorlesungen widmen. Ich hielt dies damals für eine sehr unangenehme Störung, aber heute sehe ich, daß Seton-Watson und Mr. Burrows mir gut geraten haben, als sie mir den Professorenposten so nachdrücklich empfahlen.
Nachdem ich mich in London gründlich orientiert hatte, begann ich mit Besuchen bei offiziellen Persönlichkeiten. Einer der ersten, die ich aufsuchte, war im Auswärtigen Amt unser gegenwärtiger englischer Gesandter Sir George Rüssel Clerk. Bald besuchte ich auch den ehemaligen Botschafter in Wien Sir Maurice Bunsen und nach ihm eine Reihe von Sekretären und anderen Beamten des Ministeriums des Äußern und Regierungsleute überhaupt. Ich erinnere u. a. an Mr. Carr, den Sekretär Lloyd Georges, und zugleich mit ihm an den Kreis der ernsten Revue »Round Table«; zu einigen kam ich in persönliche Beziehung. Die Revue brachte sehr lehrreiche und sachliche Artikel über uns und die europäischen Probleme. Von Abgeordneten nenne ich Mr. Whyte, den Freund Seton-Watsons und bald fleißigen Mitarbeiter der »New Europe«, Sir Samuel Hoar u. a.
Ich setzte die Erweiterung meiner journalistischen Beziehungen fort; dazu boten mir gerade Mr. Steed und Mme. Rose die beste Gelegenheit; nicht nur, daß ich mit hervorragenden Journalisten und Zeitungsbesitzern persönlich bekannt wurde (ich nenne nur Northcliff, Mr. Garvin vom »Observer«, Dr. Dillon, Mr. Har Williams), sondern ich arbeitete mit Artikeln und Interviews. Ich verkehrte allerdings nicht nur mit englischen, sondern auch mit französischen, amerikanischen und vielen anderen Journalisten.
Von Zeit zu Zeit suchte ich hervorragende Männer verschiedener Gebiete auf. Ich erinnere mich z. B. eines Besuches bei Sir E. Vincente Evans, dem bekannten Kenner der kretischen Kultur, doch zugleich Kenner des Balkans, namentlich des südslawischen; gern erwähne ich auch Professor Vinograd. Lord Bryce zu sehen, hatte ich mehrmals Gelegenheit; seine Schrift über das mittelalterliche Kaisertum und die Schrift über Amerika gaben mir Anlaß, über Deutschland und seine Kriegspläne zu sprechen. Bei Bryce traf ich Morley, und seine Schrift über Gladstone brachte uns wiederum direkt in eine Diskussion über Österreich (der bekannte Ausspruch Gladstones über Österreich!). Sofort nach meiner Ankunft in London hatte ich Mr. Maurice, den bekannten Autor der tschechischen Geschichte, aufgesucht; bei ihm lernte ich einen Kreis von interessanten, eher pazifistischen Schriftstellern kennen. Ich erinnere mich noch des Historikers Professor Holland-Rose, Professor Bernard Pares u. a.; zu dem Historiker O. Browning kam ich in literarische Beziehung. Eine besondere Erwähnung widme ich dem jungen und strebsamen R. F. Young.
In lieber Erinnerung habe ich aus der Reihe politischer Persönlichkeiten den Nestor des englischen Sozialismus Hyndman; er wurde allgemein wegen seiner Kenntnis der europäischen Verhältnisse, nicht nur der sozialistischen Bewegung geschätzt. Frau Hyndman interessierte sich lebhaft für die Ukraina.
Auch muß ich Prof. Ch. Saroleas gedenken, des in Belgien geborenen belgischen Generalkonsuls in Edinburgh. Ich kannte ihn und seine bedeutende literarische Tätigkeit schon lange. Er hatte vor dem Kriege eine Schrift verfaßt, in der er bewies, Deutschland werde bald einen Krieg provozieren. Er gab die ausgezeichnete populäre Wochenschrift »Everyman« heraus und räumte mir darin sehr viel Raum für unsere Propaganda ein.
Auch mit Mr. Buxton, dem Freund der Bulgaren, kam ich zusammen, wie ich überhaupt Persönlichkeiten anderer und geradezu feindlicher Richtung nicht aus dem Wege ging. Bei einem Vortrag lernte ich Frau Green, die Witwe des bekannten Historikers, kennen; sie war in der irischen Bewegung tätig. Gerade erfüllte sich das Schicksal des unglücklichen Sir Roger Casement; ich kann diese Gelegenheit benützen, um zu zeigen, wie unsere Gegner mich überwachten und wie sie alles gegen uns benützten. Plötzlich tauchte nämlich in mehreren in Irland erscheinenden Blättern die Meldung auf, ich komme nach Irland, um mich an der irischen Bewegung zu beteiligen. Aber die österreichischen und deutschen Agenten überpfefferten die Nachricht so, daß sie gar nicht dementiert zu werden brauchte. In London war der Dozent unserer Universität Dr. Baudyš, der das Irische und überhaupt die keltischen Sprachen Britanniens studierte, steckengeblieben. In seinem Interesse sprach ich mit Frau Green über die Herausgabe seiner Arbeit. Übrigens lernte ich mit der Zeit auch andere Iren kennen, die in staatlicher und anderer Stellung in London waren; z. B. Mr. Fitzmaurie, den Kenner der Türkei und des Balkans. Allerdings hätte ich, wenn ich Zeit gehabt hätte, gern Irland bereist; die irische Bewegung kannte ich aus der (schönen) Literatur und aus der Politik; bei uns bestanden alte Sympathien für die Iren. Mich interessierte eine Hauptfrage: in welchem Maße und wie äußert sich der irische Charakter in den jetzigen nicht mehr irisch sprechenden Iren? Die englischen Schriftsteller weisen in ihren Charakteristiken sehr oft auf die keltischen Rassen- und Blutelemente hin. Um eine bekannte Redensart zu gebrauchen: Lebt ein Volk, auch wenn seine Sprache nicht lebt? Dieses Problem hat, wie mir haftengeblieben ist, einmal G. Moore sehr scharf für sich und die Iren formuliert.
Ich erwähne auch die Damen Pankhurst, mit denen ich bekannt wurde. Sie zeigten Interesse für unsere Bewegung und unterstützten uns in ihren Kreisen.
Ziemlich regelmäßig besuchte ich die einschlägigen Vorträge und öffentlichen Versammlungen; z. B. die von Mr. und Mrs. Sidney Webbs, mit denen auch Bernard Shaw auftrat. Shaw hatte mich selbstverständlich schon früher literarisch interessiert; jetzt lernte ich den Politiker und Propagandisten (Pazifisten) kennen. In solchen Versammlungen traf ich auch G. A. Chersterton und seinen Bruder (den Antisemiten). Auch den Besitzer des »John Bull«, den nationalistischen Schreihals und Überpatrioten Horatio Bottomley, sah ich mir an; dieser Herr hatte schon vor dem Kriege unfeine Finanzaffären gehabt und mußte auf sein Mandat verzichten; während des Krieges wurde er der Ausrufer der John Bulls und erreichte durch seinen Einfluß sogar die Revision seines alten Prozesses. Ein gewiß talentierter Mensch, ein typischer Ausbeuter des patriotischen Empfindens während des Krieges, der sogar eine offizielle Einladung des englischen Generalissimus in seinen Stab erkroch (»Patriotism is the last refuge of a scoundrel« – wußte bereits Johnson).
Das Niveau in den Versammlungen und namentlich in den Debatten war bedeutend; die Gegner hörten und widerlegten ruhig die Beweise der Gegner.
Unsere Propaganda ging gut vonstatten; das erwähnte Pressebureau und das Schaufenster wirkten ausgiebig. Wir suchten die Geschichte der tschechisch-englischen Beziehungen, die durch die Vermählung der Königin Anna mit Richard II. (1382) begannen, zusammen und verwerteten sie; Wiklif und sein Verhältnis zu Hus und unserer Reformation, Comenius und sein Interesse für das englische Schulwesen wurden hervorgehoben, auf die englischen und amerikanischen Nachkommen der Böhmischen Brüder und auf Hollar hingewiesen. Wir vergaßen nicht das Wappen und den Wahlspruch der Prinzen von Wales, die von König Johann in der Schlacht bei Crécy herstammen. Das alles wirkte gut, vor allem, daß wir solch eine kulturelle Wechselbeziehung hatten.
Einen Zwischenfall will ich noch erwähnen. In London erschien das Buch der Gräfin Zanardi-Landy: einer Prätendentin, die vorgab, eine Tochter der Kaiserin Elisabeth und des unglücklichen Königs von Bayern zu sein (sie deutete das an). Das Buch erweckte (allerdings mehr in den Kreisen der sogenannten Gesellschaft) Aufsehen, die Polizei befaßte sich mit der Autorin; ein Bruder von ihr tauchte auf und behauptete, seine Schwester verübe eine Mystifikation und einen Betrug. Offenbar als Kenner Wiens wurde ich zum Polizeidirektor geladen, um mich über die Sache zu äußern; bei ihm befand sich der erwähnte Bruder, der Beweise seiner Behauptung vorlegte. Für die Gräfin (die an den Grafen Z.-L. verheiratet war) sprach am meisten die Photographie am Anfang des Buches, die sie und zwei Kinder vorstellte – alle drei Physiognomien auffallend aristokratisch. Ich kannte das Buch, konnte mich aber nicht entscheiden, obgleich ich verschiedene Zweifel hegte. Zufällig wohnte die Gräfin um die Ecke von meiner Wohnung, – ich beobachtete sie einigemal unbemerkt auf dem Spaziergang und kam zu dem Schluß, daß ihr Bruder recht habe. Die Ähnlichkeit mit ihm und jüdische Elemente im ganzen Habitus der Dame waren markant.
Sage ich noch, daß ich verschiedene Kirchen besucht habe (unter anderem interessierte mich schon von früher her die ritualistische Bewegung), daß ich Predigten gehört und die Menschen und ihre Frömmigkeit beobachtet habe (die Frage: Wie hat der Krieg gewirkt?), so habe ich zur Genüge meine Londoner Tätigkeit geschildert.
Eine ständige Sorge bildeten für mich Rußland und seine Schicksale; von Zeit zu Zeit suchte ich wieder den russischen Botschafter Benckendorff auf. In London lebte auch der unter dem Namen »Argus« bekannte Regierungsjournalist Veselickij; ich wurde ebenfalls mit dem Emigranten Dioneo und mit Krapotkin bekannt (Professor Vinogradov habe ich schon genannt). Aus Rußland trafen (im April 1916) Miljukov und andere Mitglieder der Duma mit Protopopov ein. Wir verständigten uns mit Miljukov über das antiösterreichische Programm; in diesem Sinne verhandelte er auch in Paris mit Beneš und veröffentlichte dann eine Erklärung. Später kam er zu einem Vortrag nach Oxford, und hier hatten wir abermals Gelegenheit, uns detaillierter mit der Politik und dem Krieg zu befassen. Schließlich erwähne ich Amfiteatrov, der aus Italien über London nach Petersburg fuhr (Ende November 1916); er sollte eine Tageszeitung Protopopovs herausgeben und versprach mir, sie in radikal-liberalem Sinne führen zu können. Ich gab ihm für alle Fälle einen Artikel, in dem ich den Russen die Notwendigkeit darlegte, Österreich zu vernichten. Das mußte man in Rußland ebenso wie im Westen verkünden, weil viele Russen beständig den unklaren Plan eines etwa kleineren Österreich hatten, in dem wir eventuell die führende Rolle hätten spielen können. An Sazonov schickte ich durch den Belgrader Professor Belić ein Schreiben, worin ich den Abgeordneten Dürich empfahl.
Über die tschechischen Verhältnisse in Rußland war ich durch Briefe, meine besonderen Boten und eine Reihe von Russen und unseren Leuten unterrichtet, die nach London kamen. Dr. Pučálka war einer der ersten; er arbeitete auch für unsere Soldaten in Serbien. Es kam auch der Redakteur Pavlů und hatte Gelegenheit, die Zustände in England und Frankreich kennenzulernen und sich vom Verhältnis des Westens zu Rußland zu überzeugen. Ich erwähne noch die Herren Reiman, Vaněk und Professor Písecký. Ich hatte in die russischen Zustände, unsere Kolonien und ihre Führer einen ziemlich guten Einblick.
Nach London kam 1916 auch Dmowski; wir stimmten in vielem überein. Er begriff, daß die Fortdauer Österreichs auch für die Polen eine beständige Gefahr sei und sein werde. Von der schlesischen Frage war damals noch wenig die Rede, und im Verhältnis zu unseren gemeinsamen Zielen war dies gewiß eine sehr untergeordnete Frage; ich verhandelte mit ihm später über sie in Washington.
Südslawen gab es in London viele; sie schufen sich London zum politischen Hauptzentrum, insbesondere die Kroaten und Slowenen: Supilo, Hinković, Vosnjak, Potoćnjak, Mestrović u. a. Ich erwähnte bereits, daß in London der auswärtige südslawische Ausschuß organisiert war. Von Serben kam als Gesandter nach London der mir aus Wien bekannte Jovanović; sein Vorgänger in der Gesandtschaft war mein guter Bekannter Antoniević gewesen. Von den Londoner Serben führe ich noch die Schriftsteller-Professoren an: Savić und Popović, auch Vater Velimirović und seine geschickte kirchenpolitische Propaganda. Im April (1916) traf der serbische Kronprinz mit Pašić ein; mit beiden gab es freundschaftliche Unterredungen und Verabredungen.
Das Verhältnis zu Italien – der Londoner Pakt – war das stets heikle Thema für die Südslawen und auch für mich. Die Sache wurde darum so akut, weil die Italiener in London selbst nicht faul waren und den Pakt verfochten. Meine Meinung war, daß Italien bei den schließlichen Friedensverhandlungen nachgeben werde; Italien konnte ohne Belohnung am Krieg nicht teilnehmen, und die Frage war, ob Italiens Teilnahme für uns alle nötig sei, damit die Alliierten siegen. Was, wenn die Österreicher und Deutschen siegen? Auch für die Südslawen wäre die Situation auf sehr lange Zeit schlimmer gewesen. Die südslawischen Freunde stellten sich bis auf unbedeutende Ausnahmen sehr schroff gegen Italien; aber taktisch war es nützlich, daß ein Teil milder dachte und mit den Italienern Beziehungen aufrechterhielt. Das offizielle Serbien verhielt sich ruhig, doch das bot den Kroaten und Slowenen Grund zu Mißtrauen und häufig zu Klagen, es verrate nicht anders als Rußland die südslawischen und überhaupt die slawischen Interessen.
Der Londoner Pakt hatte auch dadurch Bedeutung, daß durch ihn dem Wunsche Italiens gemäß die Kurie von der Friedenskonferenz ausgeschlossen war; selbst darin fühlten die Kroaten und Slowenen nicht so wie wir.
Das Verhältnis zu Italien wurde uns durch dessen Eintritt in den Krieg auch darum wichtig, weil wir in dem mit Österreich kämpfenden Lande bald eine größere Anzahl von Gefangenen hatten; wie in Rußland konnten wir auch in Italien die Gefangenen als Legionen organisieren. Die Beziehung zu Italien wurde deshalb dem Nationalrat sehr wichtig; wie schon gesagt, widmete sich ihr nach Vereinbarung Štefánik; auch Beneš pflegte nach Italien zu reisen und unterhielt mit der italienischen Botschaft in Paris einen beständigen Verkehr. Da ich in dauerndem Einverständnis mit den Südslawen arbeitete, hatte ich mit dem italienisch-slawischen Problem fortwährend zu tun.
Unsere Kolonien gingen mit den Südslawen gemeinsam vor; wir veranstalteten z. B. im August (1916) eine gemeinsame Versammlung gegen Österreich, der Vicomte Templetown präsidierte und in der auch Seton-Watson sprach.
Der Streit über Italien nährte, wie ich beobachtete, die alte Unstimmigkeit zwischen Serben und Kroaten; auch persönlicher Zwist stellte sich ein; die Gegensätze nahmen bereits einen solchen Charakter an, daß sie dem guten südslawischen Namen schadeten.
Die Südslawen besaßen in Seton-Watson und Steed warme Verfechter; beide exponierten sich in der italienischen Sache für den Standpunkt des Südslawischen Ausschusses. Seton-Watson organisierte den wichtigen serbisch-englischen Hilfsverein; nach seinem Vorbild wurde etwas später auch der tschechisch-englische Verein organisiert. In Paris bildete sich (im Frühjahr 1917) der Montenegrinische Ausschuß mit regierungs- (königs-) feindlicher Richtung; er gab im März sein Programm der nationalen Vereinigung heraus.
Ich war häufig mit Supilo, meinem Helfer gegen Ährenthal, zusammen; überhaupt verschaffte mir mein früheres Eintreten für die Südslawen (für Bosnien und Herzegowina 1891/93 – der Agramer und der Friedjung-Prozeß – der Kampf gegen Ährenthal und der Prozeß in Belgrad) eine merkwürdige Stellung unter allen Südslawen ein. Supilo war gleich zu Beginn des Jahres 1915 in Rußland gewesen und von dort sehr aufgebracht zurückgekehrt, weil die Russen dem Londoner Pakt beigetreten waren; ich will die Sache im russischen Kapitel erzählen. Hier gedenke ich unseres Verkehrs in London. Er begann in Genf. Es dauerte nicht lange, und Supilo kam nicht bloß mit den Russen und den Serben auseinander, sondern auch mit dem Südslawischen Ausschuß; ich gab mir Mühe, die Sache einzurenken, – am Tage vor meiner Abreise nach Rußland versprach mir Supilo, sich zu versöhnen. Ich ahnte allerdings nicht, daß wir uns an jenem Tage zum letztenmal gesehen hatten; doch sein Versprechen hat er gehalten.
Die tschechische Kolonie in London und in ganz England war nicht groß; einige persönliche Gegensätze waren schon während meiner ersten Anwesenheit in London ausgeglichen worden. Ich kam mit meinen Landsleuten gewöhnlich bei Herrn Sykora (einem Restaurant) zusammen. Er und Herr Fr. Kopecký hatten viel Mühe mit den englischen Behörden, um die Interessen unserer Leute zu schützen, Herr Kopecký widmete sich außerdem der Agitation für den Eintritt in die englische Armee und ging selbst mit gutem Beispiel voran. Im Juni (1916) traf aus Amerika ein junger slowakischer Jurist, Stefan Osuský, ein; nach einiger Zeit begab er sich nach Frankreich zu Dr. Beneš und wurde, nachdem er rasch französisch gelernt hatte, ein wertvoller Mitarbeiter unserer Bewegung.
Aus meinem mehr privaten Leben erinnere ich mich einer abermaligen Blutvergiftung. Die Ärzte in London vermochten mir die Sache nicht aufzuklären. Der unangenehme Zwischenfall hatte das Gute, daß man für mich eine in Wales geborene Pflegerin fand; so hatte ich Gelegenheit, vieles aus dem nationalen Leben von Wales zu hören. Meine Pflegerin kannte auch Lloyd George, der eine Kirche in Wales zu besuchen pflegte, wo er manchmal auch sprach. Auf ärztlichen Rat reiste ich auf eine Zeit an die See nach Bornemouth; hier wurde ich operiert, der Chirurg behauptete, die Vergiftung sei durch die Wäsche verursacht. Die Vermutung lag nahe, daß sich auf diese Weise die österreichischen Feinde um mich bemühten. Daß sie mir nachspürten, davon hatte ich schon in Genf, dann auch in London Beweise erhalten. Für alle Fälle besuchte ich überall Schießstätten und übte mich im Revolverschießen ein; aber das hätte ich wohl auch ohne all dies getan, – ich hatte immer Scheibenschießen gern und freute mich, wenn ich genau traf. Für meinen Schutz genügte mir, wenn meine Späher sahen, daß ich mich vorbereite.
Ich will auch erwähnen, daß Diebe in meine Wohnung einbrachen; anscheinend waren es Agenten, die mein Archiv besuchen wollten. Durch einen glücklichen Zufall wurden sie gestört; für die Zukunft ließ ich auf den Rat der Polizei alle möglichen Zugänge ins Haus mit elektrischen Klingeln versehen.
In London und überall besuchte ich Kinos, um Kriegsfilme zu sehen; man führte den Krieg von den ersten Vorbereitungen in den Fabriken und Werften bis in die Schützengräben vor, überhaupt alle Gebiete der Kriegstechnik; die Franzosen boten mehr politische Stücke. Das französische und das englische Publikum zeigten Gefallen an Sentimentalitäten, doch die englischen und die amerikanischen Filme waren nicht so traurig wie die französischen.
In London, später in Amerika, bemerkte ich, daß beim Auftreten politischer und militärischer Persönlichkeiten am lebhaftesten der König der Belgier akklamiert wurde, mehr als Joffre und Foch, – in England und ebenso in Amerika war das Volk um Belgiens willen in den Krieg gegangen.
Beim Besuche der Kinos wurde mir bewußt, daß in der englischen (neueren) Literatur alle Romane eine nötige Portion von Kinematographismus enthalten, Hardy, Meredith u. a. – eine Vorliebe für rätselhafte und detektivartige Verwicklungen; die Deutschen und in ähnlicher Weise wir analysieren, belehrt und verdorben durch die Russen, die Seele und graben aus, was wir Geheimnisvolles und Krankhaftes in ihr finden; der Engländer und der Amerikaner ist stets naiver, ihn interessiert der eher mechanische Rebus, aber auch er versteht es, sich gründlich durch moderne Theorien, Probleme und Überprobleme und gegebenen Falles selbst durch die lächerliche Psychologie Freuds zu verderben; siehe der erwähnte Mr. Lawrence, der manchmal fast wie Barbusse und Jaeger ist! (Übrigens ist in der älteren französischen Literatur – Balzac! – der Roman bereits ein Detektivroman.)
Im Kino waren die Schützengräben und die Schützengrabenkämpfe bequem zu schauen, – aber bei Verdun kämpfte man seit Ende Februar das ganze Jahr 1916 Monat um Monat furchtbar und blutig. Die Deutschen errangen nicht den Sieg, und das charakterisierte die Kriegslage. Weitere langwierige und blutige Stellungskämpfe (an der Somme). War im Jahre 1915 die Ostfront für die Entwicklung der Gesamtsituation des Krieges wichtiger gewesen, so kehrte 1916 der Schwerpunkt an die französische Front zurück; in Rußland führten die Deutschen ihren pangermanischen Plan durch. Anfang 1917 Mitau. An die Spitze der deutschen Armee waren Hindenburg und Ludendorff gestellt worden (August 1916); auch in der Leitung der französischen Armee vollzogen sich ernste Änderungen; Nivelle wurde (im Dezember) an Stelle Joffres, der mit der Marschallwürde entlohnt wurde, zum Generalissimus ernannt, Foch wurde Chef des Generalstabes. General Nivelle versuchte seit April 1917, die deutsche Front durchzubrechen, – vergeblich; die Verluste an Menschenleben waren zu groß. Die Deutschen verkürzten (im März 1917) die Front (Siegfriedstellung) und hatten am 1. Februar den uneingeschränkten Unterseebootkrieg begonnen.
Seit Anfang des Jahres 1916 trafen reichliche englische Kräfte auf dem Kriegsschauplatz ein, und obwohl sie anfangs in Belgien und im Norden verblieben, wurde ihre Ankunft doch an der ganzen französischen Front verspürt. Im Jahre 1916 wurde sichtbar, daß die Alliierten mit ihrer Menge von Waffen und Kriegsmaterial in der Übermacht waren; die deutsche Armee wurde nervös und verlor die Zuversicht.
Ich beobachtete das Wachsen der englischen Armee. Ich sah die Musterungen, das Leben in den Kasernen und in den Lagern – ich hatte die Tommys herzlich gern. Durch London kamen auch die Kanadier; mich interessierten die kanadischen Franzosen und ihre Sprache, ich suchte sie darum auf.
Dem Beobachter auf dem Festlande mußte auffallen, um wieviel besser die ganze Versorgung der englischen Armee war; die Amerikaner übertrafen darin noch die Engländer. Überhaupt muß man den Engländern und Amerikanern eine gute und, ich möchte sagen, große Eigenschaft zuerkennen: Beständigkeit und Ausdauer. Mr. Steed tröstete uns – und die englischen Freunde – immer: der Engländer komme schwer in Schwung, dann aber sei er und bleibe im Schwung, – was 1916 Mrs. Humphry Ward über den englischen Kriegswillen geschrieben hatte, bestätigte sich aufs Wort.
Den unerwarteten Tod Kitcheners empfanden in England viele gleichsam als ungünstiges Omen, doch waren der Rückzug von den Dardanellen (18. Januar 1916) und die Niederlage bei Kut-el Amara in Mesopotamien (28. April) schon vor seinem Tode (5. Juni) passiert. Die Versenkung des Kreuzers »Hampshire« soll durch eine deutsche Mine, nicht ein Unterseeboot verursacht worden sein, denn die Abfahrt des Marschalls war absolut geheim gehalten worden; dennoch wurde die Befürchtung ausgesprochen, daß sie verraten und Kitchener das Opfer eines Unterseebootes geworden sei. Man glaubte in unserem Kreise, der Verrat sei, wenn einer geschehen sei, in Petersburg verübt worden; denn Kitchener war auf Einladung des Zaren dahin gereist, um den Russen einen strategischen Plan gegen Österreich auszuarbeiten. Über die Episode an den Dardanellen wurde in London fortwährend lebhaft debattiert; möglich, daß ein Fehler begangen worden war, aber andererseits wirkte der kühne Versuch auch anfeuernd. Die Seeschlacht bei Jütland (31. Mai-1. Juni 1916) wurde in London zuerst so gemeldet, als hätten die Engländer sie verloren; erst durch die weitere Darlegung wurde die Sache aufgeklärt. Tatsache ist, daß die deutsche Flotte sich nach dieser Niederlage nicht mehr zu einem Seeangriff hervorgewagt hat.
In Mesopotamien machten die Engländer ihre früheren Niederlagen wieder wett und eroberten Bagdad, – ich erblickte darin eine sehr erwünschte Durchlöcherung des pangermanischen Berlin–Bagdad. Auch Jerusalem wurde genommen. Auf dem Balkan eröffnete General Sarrail von Saloniki aus eine erfolgreiche Aktion; dabei konnten sich die Reste der serbischen Armee zur Geltung bringen, was für Serbien eine beträchtliche politische Bedeutung hatte.
Die Italiener erlitten Verluste in Tirol, drangen aber am Isonzo vor und eroberten Görz; es sei vermerkt, daß Italien (Ende August 1916) an Deutschland den Krieg erklärt hatte.
In Rußland machte Brusilov (Juni-November 1916) einen Ausfall gegen die Deutschen und Österreicher und marschierte siegreich vor (Luck!); er nahm Hunderttausende von Österreichern gefangen, darunter viele künftige tschechoslowakische Legionäre, mußte aber bald haltmachen; trotzdem wurden durch seinen Vormarsch die Franzosen entlastet, da einige deutsche Truppenteile vom Westen nach dem Osten gebracht worden waren, ebenso wie die Italiener entlastet worden waren, als die Mitte Mai aus den Tiroler Bergen vorgetragene, anfangs erfolgreiche österreichische Offensive infolge Abtransportes österreichischer Truppen auf den russischen Kriegsschauplatz hatte eingestellt werden müssen. Auch Rumänien wurde nach langwierigen Verhandlungen mit Rußland und der Entente durch den russischen Vormarsch gewonnen und erklärte den Krieg (27. August), aber nach raschem Vordringen in Siebenbürgen beherrschte Mackensen am Ende des Jahres bereits Bukarest.
Trotz dem Augenblickserfolg Brusilovs brachte das Jahr 1916 die völlige Ausschaltung und den Rückzug der slawischen Heere, – Rußland war endgültig geschlagen; die serbische Niederlage vom Ende 1915 erreichte im Januar 1916 durch die Niederlage und Besetzung Montenegros ihren Gipfel. Am 15. Januar 1916 habe ich in meinem Tagebuch notiert: ad Berlin–Bagdad: Der erste Balkanzug Berlin–Wien–Budapest–Belgrad–Sofia–Konstantinopel!
Im April (1916) begann der Aufstand in Irland; Lloyd George wurde Kriegsminister (6. Juli) und Premier (7. Dezember). Für Rußland war kennzeichnend, daß Stürmer Premier wurde (2. Februar-23. November). Benckendorff erblickte einen gefährlichen Germanophilen in ihm. In Österreich folgten die Deutschen dem Vorbild der Magyaren: am 11. Oktober 1915 war »Österreich« entstanden, um drei Jahre zu vegetieren; der Tod des Grafen Stürgkh (21. Oktober 1916) und Franz Josephs (21. November 1916) waren Vorzeichen des baldigen Falles.
Das Jahr 1917 wurde politisch und militärisch für alle Nationen verhängnisvoll. Vor allem für Rußland. Daß Rußland vor einem Sturm stehe, war schon längere Zeit geflüstert worden; Stürmers Regime wurde allgemein verurteilt. Wenn die russische Zensur auch unbarmherzig keine Nachrichten über die innere Erregung nach Europa durchließ, waren doch nur zu viele Engländer und Franzosen in Rußland, die Alarmnachrichten schickten und brachten. In London und Paris machten die Mitglieder der russischen Duma bei ihrem Besuch im Westen auf die Lage in Petersburg und in der Armee aufmerksam; später beleuchtete Miljukovs Dumarede gegen Stürmer (14. November 1916), die sich in der Frage zuspitzte: Wahnsinn oder Verrat? den breitesten Kreisen die Situation.
Wie in England die russische Revolution zuerst aufgefaßt wurde, ersieht man daraus, daß man vom Fall des germanophilen Regimes erwartete, Rußland werde den Krieg besser und erfolgreicher führen.
Ein zweites weitreichendes Ereignis war die Entscheidung Amerikas, sich den Alliierten im Kampfe gegen die Zentralmächte anzuschließen und Deutschland den Krieg zu erklären.
Neben den Kämpfen auf den Kriegsschauplätzen zu Lande war seit Beginn des Krieges der Kampf zwischen England und Deutschland zur See entbrannt. An diesen Kampf wird gewöhnlich weniger gedacht, aber in Wirklichkeit war er sehr erbittert und für die Entscheidung des Krieges sehr bedeutsam. Deutschland hatte durch seinen übermäßigen Bau der Kriegsflotte und sein Bestreben, alle Meere zu okkupieren, England herausgefordert, so daß dieses sofort nach Erklärung des Krieges die Blockierung Deutschlands und seiner Verbündeten begonnen hatte, um die Einfuhr von Lebensmitteln und Industrierohstoffen unmöglich zu machen. Die französische Flotte half England dabei. Deutschland antwortete mit dem Unterseebootkrieg. Ich will mich über die Entwicklung dieses Ringens zur See nicht verbreiten; ich erinnere nur daran, daß Amerika die Gefahr für seine Flotte und seinen Handel herausfühlte; gleich am 6. August 1914 versuchte es zwischen den kriegführenden Parteien zu vermitteln – ohne Erfolg. Als Deutschland im Februar 1915 die englischen Gewässer als Kriegsschauplatz erklärte, protestierte Amerika unverweilt; die Proteste wiederholten sich, als das Leben amerikanischer Staatsbürger durch die deutschen Unterseeboote bedroht wurde. Die Deutschen verschärften ihren Unterseebootangriff (Februar 1916), bis sie schließlich mit dem uneingeschränkten Kampf begannen (1. Februar 1917). Amerika war gegen Deutschland aufgebracht. Die Abneigung gegen Deutschland war in Amerika durch die deutsche und österreichische Propaganda und den Kampf gegen die amerikanische Industrie und den Handel in Amerika selbst verstärkt worden; darüber will ich berichten, bis ich unsere Teilnahme an der Bekämpfung dieser deutschen Aktion darlegen werde.
Die deutschen Unterseeboote erzielten anfangs bemerkenswerte Erfolge; in England mehrten sich im Frühjahr 1917 warnende und sehr pessimistische Stimmen, die die Aushungerung Englands und die Kapitulation erwarteten. Unter diesen Pessimisten befand sich auch Lloyd George.
Da ich seit Herbst 1915 in England lebte, verfolgte ich dieses Ringen mit Deutschland zur See natürlich aufmerksam; in London wurde ich beständig darauf gestoßen, bald auch im täglichen häuslichen Leben. Beständig wurde die Möglichkeit einer deutschen Invasion lebhaft diskutiert; die Möglichkeit einer Invasion wurde offiziell noch im Frühjahr 1918 zugegeben; die Frage hatte eine große Bedeutung, weil die Zahl des Militärs abgeschätzt werden mußte, das daheim in Bereitschaft bleiben mußte und daher nicht nach Frankreich gesendet werden konnte.
Ich verfolgte darum auch die amerikanischen Kundgebungen gegen Deutschland mit begreiflichem Interesse; diese Proteste waren schon vor der Versenkung der »Lusitania« (7. Mai 1915) energisch und verschärften sich in den Noten über die »Lusitania«. Ich erwähne gleichfalls die amerikanische Note gegen Österreich wegen Versenkung der »Ancona« durch ein österreichisches Unterseeboot (im Dezember 1915). Im Jahre 1916 folgten die Noten wegen Versenkung des französischen Dampfers »Sussex«, bis schließlich am 6. April 1918 der Krieg erklärt wurde. Damit waren gewiß nicht nur die Erfolge der deutschen Unterseeboote, sondern auch der deutschen Armeen aufgewogen. Das war meine feste Hoffnung, als ich mich entschloß, auf eine Zeit nach Rußland zu gehen.
Unsere systematische und unermüdliche Propaganda trug überall Früchte. In den politischen Kreisen half uns ausgiebig Seton-Watsons (seit Oktober 1916 erscheinende) Revue »The New Europe«. In den öffentlichen Erklärungen der alliierten Presse und der Politiker wurde unser antiösterreichisches Programm immer bestimmter verkündet und das Selbstbestimmungsrecht der kleinen Völker betont. Allerdings hatte in England der Überfall auf Belgien sofort nach Beginn des Krieges die Aufmerksamkeit auf die kleinen Völker gelenkt.
Allein die gespannte Lage auf den Kriegsschauplätzen war fortwährend beunruhigend. Die Deutschen schrien ihren Sieg aus, fingen aber mit Friedensangeboten an; man kann sagen, daß sie nicht mehr sicher waren, den Sieg festzuhalten. Jetzt wissen wir allerdings, daß Ludendorff u. a. schon Ende 1916 die Lage auf den Kriegsschauplätzen als bedroht ansahen (möglich, daß man durch diese »Befürchtungen« den Unterseebootkrieg erzwingen wollte?). Die Idee, sich aus Frankreich zurückzuziehen und den Osten – Rußland – zu behalten, war bei dem Angebot offenbar. Kaiser Wilhelm befahl nämlich am 31. Oktober (1916) Bethmann-Hollweg, einen Friedensvorschlag auszuarbeiten; am 12. Dezember überreichte der deutsche Kanzler dem amerikanischen, schweizerischen und spanischen Vertreter seine Vorschläge. Diese Vorschläge beantwortete als erster Briand ablehnend, nach ihm die übrigen alliierten Staatsmänner; am 30. Dezember antworteten die alliierten Regierungen kollektiv.
Ein neuer und wichtiger politischer Faktor tritt in dieser Zeit in der Person des Präsidenten Wilson auf; er war am 7. November 1916 neu zum Präsidenten gewählt worden, und schon dies gab ihm ein großes Gewicht. Gleich am 21. Dezember wandte er sich mit der Frage nach den Bedingungen eines möglichen Friedens an die kriegführenden Nationen. In dieser seiner Botschaft betont er das Selbstbestimmungsrecht der kleinen Völker und Staaten und schlägt einen Völkerbund vor. In der Botschaft fällt der Passus auf, wo der Präsident ausdrücklich hervorhebt, daß seine Aktion nicht durch das Friedensangebot der Zentralmächte hervorgerufen werde: später kam heraus, daß man von Berlin aus schon seit dem Sommer 1916 auf Wilson gewirkt hatte, eine Friedensaktion zu unternehmen, und daß er deshalb durch das Auftreten Berlins und Wiens unliebsam überrascht worden war.
Diese Initiative Wilsons in der Frage des Friedens beantworteten die Alliierten mit einer gemeinsamen Note am 12. Januar 1917, und diese Antwort ist ein glänzender Erfolg unserer Sache; hier lesen wir nämlich unter den Forderungen und Bedingungen des Friedens: »die Befreiung der Italiener, Slawen, Rumänen, Tschechoslowaken von der Fremdherrschaft.«
Die Antwort rief in unseren Kolonien Aufsehen hervor und stärkte uns sehr; Aufsehen wurde auch in der alliierten Publizistik und in den politischen Kreisen hervorgerufen, vor allem dadurch, daß wir Tschechen und Slowaken besonders genannt wurden. Doch gerade das gab Anlaß zu einer gewissen Unzufriedenheit in der südslawischen und der polnischen Kolonie. Ihnen erschien unser Erfolg unverhältnismäßig groß.
Ich las aus dem Text sofort heraus, daß das Wort »Tschechoslowaken« in den schon fertigen Wortlaut, der allgemein die Befreiung der »Slawen« forderte, eingefügt worden war; das wurde mir später bestätigt. Dr. Beneš hatte von der Vorbereitung der Alliierten-Antwort erfahren; er verhandelte mit M. Berthelot u. a., doch die Schwierigkeiten waren groß, weil die Alliierten zögerten, sich zur völligen Zertrümmerung Österreich-Ungarns zu verpflichten und den Völkern die sichere Befreiung zu versprechen. Dr. Beneš legte mündlich und durch Memoranden Wert darauf, daß dieses Versprechen zur Stärkung des Widerstandes der unterdrückten Nationen gegeben werde, und verlangte hauptsächlich die ausdrückliche Erwähnung der Tschechen und Slowaken. In diesem seinen Bestreben gewann Dr. Beneš einflußreiche Persönlichkeiten (M. Leygues, den Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses); André Tardieu schrieb im »Temps« einen Artikel zu unseren Gunsten, Redakteur Sauerwein im »Matin« (beide Artikel am 3. Januar). Durch den Artikel im »Matin« wurde Minister Briand an das mir im Jahre zuvor gegebene Versprechen erinnert.
Die Verhandlungen über die Antwort erfolgten zwischen Paris, Rom und London, und es wurde beschlossen, nur von Slawen überhaupt zu sprechen, um Unstimmigkeiten zwischen Italienern und Südslawen zu vermeiden. Aber dem französischen Ministerium des Äußern gelang es, dem Drängen des Dr. Beneš stattzugeben.
Das in der Note enthaltene Wort »Tschechoslowaken« hat eine interessante innere Geschichte; es gab drei Vorschläge: die Befreiung von »Böhmen« – »des tschechischen Volkes« – »der Tschechoslowaken«; der letzte Vorschlag wurde in einer Beratung von Dr. Beneš, Štefánik und Dr. Osuský angenommen.
Präsident Wilson verlor nach der Antwort der Alliierten nicht die Hoffnung auf eine verhältnismäßig baldige Verwirklichung des Friedens. Herr Bernstorff berief sich auf die Autorität des Obersten House und forderte von seiner Regierung die deutschen Friedensbedingungen ein (28. Januar 1917). Die deutsche Regierung sandte darauf am 29. Januar das Verzeichnis der Forderungen; Deutschland benützte völlig den Status quo auf den Kriegsschauplätzen und dachte insbesondere an eine Grenzregelung gegen Rußland, wobei es sich Polens als eines Deutschland ergebenen Landes annahm. Der Eindruck dieser Antwort war in Washington nicht befriedigend.
Für die deutsche Diplomatie ist es kennzeichnend, daß sie, während sie ihre Friedensbedingungen überreichte, Wilson zugleich den uneingeschränkten Unterseebootkrieg anzeigte. Die öffentliche Bekanntgabe des Unterseebootkrieges geschah am 31. Januar, und bereits am 5. Februar brachen die Vereinigten Staaten die diplomatischen Beziehungen zu Deutschland ab. Und es ist für die Situation charakteristisch, daß Präsident Wilson den Neutralen vorschlug, das gleiche zu tun; ziemlich interessant waren die Antworten dieser Staaten (soweit ich feststellte, antworteten zehn Staaten), ausweichend die einen, ablehnend die anderen.
Parallel mit der deutschen Friedensaktion begann Österreich, als in Amerika die Spannung gegen Deutschland zunahm, eine besondere Friedensaktion. Kaiser Karl wandte sich durch seinen Schwager Sixtus heimlich an Poincaré und die westlichen Staatsmänner. Darüber werde ich eingehender in anderem Zusammenhang berichten.
Alle Friedensaktionen verfolgte ich sehr aufmerksam; sie kennzeichneten die Gesamtlage nicht weniger als die Aktionen auf den Schlachtfeldern. Der Fall des Zarismus und die russische Revolution stärkte überall die Hoffnung auf Frieden und den Pazifismus; die russische Provisorische Regierung veröffentlichte (10. April) eine Erklärung, in der sie allen Nationen das Recht auf Selbstbestimmung versprach; es folgte die Erklärung aller russischen Arbeiter- und Soldatenvertreter (15. April), die einen Frieden ohne Annexionen und Kriegsentschädigungen verlangte, und eine Erklärung der Sozialdemokratie in Deutschland, Österreich und Ungarn (19. April), die sich der Erklärung der russischen Arbeiter und Soldaten anschloß.
Andererseits wurden diese Kundgebungen durch die Kriegserklärung Amerikas abgeschwächt; aus den Kundgebungen Wilsons und der Alliierten sah man, daß Amerika den Krieg wirklich erklärte, keineswegs nur als Druckmittel für den Augenblick. Die rasche und in gewissem Maße vorbereitete Rüstung Amerikas ließ keinen Zweifel daran übrig.
Ich erwartete nicht, daß der große Erfolg in der Antwort der Alliierten an Wilson, der durch die große Anstrengung von unserer Seite und die seltene Freundschaft Frankreichs erreicht worden war, daheim, was ich so fürchtete, ein Desaveu der Abgeordneten bewirken werde.
Die Zustände daheim beobachtete ich natürlich mit großer Sorgfalt; wir erhielten, wie schon berichtet, österreichische und tschechische Blätter, und außerdem wurden uns von verschiedenen Boten aus Prag und Wien Nachrichten gebracht. Dazu bemühte ich mich, die wichtigsten Berichte von den alliierten Regierungen zu erhalten.
Wie ich schon angedeutet habe, warf man uns im Auslande Passivität vor; die feindliche Propaganda wies darauf beständig und ziemlich wirksam hin. Wir verwiesen auf die Verfolgungen; es ist aber begreiflich, daß in den Ententeländern selbst solche Tatsachen wie die Verhaftung und Verurteilung Dr. Kramářs und Dr. Rašíns keinen solchen Eindruck hervorriefen wie daheim, – die Menschen hatten überall ihre Sorgen und Schmerzen, insbesondere in Frankreich, wo fast jede Familie den Tod eines Mitgliedes betrauerte. Doch verwerteten wir selbstverständlich alles, was sich für uns anständigerweise verwerten ließ, und dessen gab es genug. Z. B. schilderte die gerichtliche Begründung des Urteils gegen Dr. Kramář unsere antiösterreichischen Bestrebungen sehr beredt – die Dummheit Wiens und des Generalissimus schädigten sich auch in diesem Falle selbst, und wir benützten freilich, was sie uns boten.
Ich beobachtete daheim die Zerrissenheit der Parteien und der Personen; die Verhältnisse hatten sich seit meinem Weggang nicht besonders gebessert; aber das schadete nicht so sehr, weil es unter dem militärischen und politischen Druck kein öffentliches politisches Leben gab. Darum begrüßte ich gegen Ende des Jahres 1916 den Versuch, die tschechischen Abgeordneten und Parteien im Tschechischen Verband und im (unvollständigen) Nationalausschuß zu vereinigen. Als Franz Joseph starb (21. November 1916) und Karl sein Nachfolger wurde, war der Zusammenschluß der Abgeordneten und der politischen Menschen in dieser Situation verständig und allerdings notwendig. Der Tod Franz Josephs stärkte unsere Position; schon seit vielen Jahren war überall die Meinung verbreitet, daß Österreich mit dem Tode des alten Kaisers infolge seiner Zerrissenheit zerfallen werde. Diese Meinung hatte ich vor dem Kriege oft gehört, in Amerika und anderswo; und der Tod des populären kaiserlichen Greises schien den Leuten ein Omen und der Beginn des Zerfalls seines Reiches zu sein. Der neue Kaiser war unbekannt, und was man von ihm hörte, erweckte keine Hoffnungen. Schon die Ermordung Stürgkhs, die dem Tode des Kaisers voraufgegangen war, hatte die Schwächen Österreichs aufgezeigt; später wirkte die Verteidigungsrede Dr. Adlers durch seine Anklage Österreichs (Dr. Adler betonte wirksam die Schuld Österreichs am Kriege) für Österreich wiederum ungünstig. Wir sorgten dafür, daß derartige Dokumente im ganzen Ausland gründlich verbreitet wurden.
Es kam die Antwort der Alliierten an Wilson. Daß die katholische Partei sich mit der Ablehnung beeilt hatte (gleich am 14. Januar 1917), überraschte nicht; und es überraschte nicht, daß die deutschen und österreichischen Organe diese Loyalität der Welt verkündeten. Doch stellte sich auch das Desaveu des Tschechischen Verbandes ein. Ich begriff die schwere Lage, in die die Abgeordneten geraten waren, und erwartete, daß sie, insbesondere durch die Erklärung der Klerikalen, gezwungen sein würden, etwas zu sagen; es handelte sich freilich nur darum: wie. Ich stellte mir vor, wie sich die Antwort formulieren ließe, – sie fiel anders aus. Doch war sie dadurch abgeschwächt, daß man mich nicht nannte, die Blätter und die politische Öffentlichkeit beachteten darum die Verleugnung in dieser Unbestimmtheit nicht so; vor allem aber erwies uns Czernin einen Dienst dadurch, daß nur eine kurze Zuschrift veröffentlicht wurde, die von drei Abgeordneten unterschrieben war, deren Namen man im Ausland nicht kannte. Die austrophilen Kreise nützten allerdings die Verleugnung reichlich aus; es bereitete uns ziemlich viel Arbeit.
Unsere Gegner fanden auch Gefallen an der Erklärung des Tschechischen Verbandes des Nationalausschusses (19. November), die sich zur Dynastie und ihrer historischen Sendung bekannte. Und ebenso erblickten sie in der Beteiligung beider Körperschaften an der Krönung Kaiser Karls in Budapest (30. Dezember) einen Beweis gegen unsere Auslandsaktion; das Desaveu verband sie dann ziemlich geschickt mit diesen Handlungen.
Ich selbst erklärte mir die Verleugnung als eine Dankbezeugung für die Amnestierung Dr. Kramářs und seiner Genossen. Aber Kaiser Karl bestätigte durch seine Amnestie die Anschauung Franz Josephs, der die Anklage wegen Hochverrats als Schwäche ansah; das hatten wir draußen gehört, Wien hätte es nicht gewagt, an das Leben unserer Gefangenen zu rühren, und es war nicht nötig, die Amnestie so teuer zu bezahlen. Unsere Politik daheim konzentrierte sich, so schien es uns draußen, allzu ängstlich auf die Befreiung der Häftlinge. Mir kam auch der Gedanke, das Desaveu sei durch den Einfluß des Kaisers hervorgerufen, der in jener Zeit sich schon auf Sonderfriedensverhandlungen mit Frankreich und der Entente vorbereitete und die Unsrigen durch die Aussicht auf baldigen Frieden gewann. Das war ein gewiß ernster Umstand. Einen schlimmeren Eindruck hatte ich vom späteren Glückwunschtelegramm, das an Boroević gesandt wurde; er hatte nur einen der damals üblichen Siege in einer kleineren Aktion an der italienischen Front errungen, – desto auffallender war, daß man besonders gratulierte.
Im Sommer 1916 erschien unter der Redaktion Dr. Tobolkas ein Buch über das tschechische Volk (»Das böhmische Volk«); die Austrophilen benützten es als Beweis dafür, wie Österreich für seine Völker gesorgt hat und sorgt. Sie konnten sich auf die Tatsache berufen, daß nirgends im Buche etwas gegen Österreich gesagt werde. Das bekämpften wir leicht durch den Hinweis auf die Militärzensur; die Magyarophilen beriefen sich gegen uns auf die Landkarte darin, die die Ausbreitung der tschechischen Nation nur auf dem österreichischen Gebiet veranschaulichte und die Slowaken außer acht ließ; dagegen verwiesen wir auf den Text, wo von den Slowaken die Rede ist. Sachlich benützten wir Tobolkas Publikation reichlich durch Verarbeitung der wirtschaftlichen und anderen Aufsätze.
Mehr und überflüssige Arbeit bereitete uns das Sammelbuch »Austria Nova« und die Monatsschrift »Das neue Österreich« mit Aufsätzen von unseren Leuten.
Das Desaveu entging bald der Beachtung – die russische Revolution und die Teilnahme Amerikas am Kriege nahmen die Gedanken gefangen und stärkten die Hoffnungen auf den Sieg der Alliierten. Wir sahen, daß auch bei uns daheim die Abgeordnetenkundgebung am 14. April (1917) offenbar durch die russische Revolution hervorgerufen worden war; uns draußen half sie, denn sie enthielt, wenn auch noch indirekt, eine Kritik Österreichs.
Als angesichts dieser Lage in Wien das Parlament einberufen wurde, hegte ich keine so großen Befürchtungen mehr wie früher.