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Das Göhringsche Mittelboot näherte sich, von zwei kräftigen Schiffern gerudert, der Leeseite des eleganten Salondampfers »Freya«, welcher direct von Hamburg kam, während die Passagiere der »Cuxhaven« von Hamburg bis zur Stadt Cuxhaven die Unter-Elbische Eisenbahn benutzten und dadurch die Wasserfahrt bedeutend abkürzten.
Theodor stand aufrecht in dem schaukelnden Fahrzeug und spähte zum Promenadendeck des Dampfers hinauf. Bald hatte er entdeckt, was er suchte: seine Schwester Mathilde, den Schwager und die alte Tante Chanoinesse. Ueber die Ankunft der letztern freute er sich wirklich, denn die Stiftsdame mit ihren Sprachreminiscenzen aus der längst entschwundenen französischen Pensionszeit war überall als ein »Unicum wider Willen« bekannt. Er wunderte sich nur, daß die bejahrte Gräfin noch den Muth zu einer solchen Reise gefunden hatte. Sie sah gar nicht seekrank aus, sondern stand aufrecht an der Reling und musterte die sich dem Schiffsleibe nähernden Boote durch ihre Lorgnette. Mathilde schien indes dem Meeresgotte ihren Tribut dargebracht zu haben. Kreidebleich und ganz geknickt lehnte sie gegen die Schulter ihres Gatten, eines herkulisch gewachsenen Mannes, dessen eigenthümlich gewählter Civilkleidung man sofort ansah, daß sie nur ein Surrogat für den Waffenrock war.
Theodor bemerkte zu Hans: »Siehst du die drei da links vom Radkasten? Das sind sie. Laß uns nur vorwärts rudern, daß wir schnell an die Schiffstreppe kommen. Desto eher bringen wir meine Schwester ans Land – sie scheint fürchterlich seekrank zu sein.«
Da entdeckte auch der Graf seinen Schwager. Mit Stentorstimme, so daß die nächststehenden Passagiere entsetzt auseinanderfuhren, brüllte er vom Deck herunter: »Moi'n, Theo! Moi'n, moi'n!«
Theo winkte mit der Hand und dachte: Bei dem ist es immer »morgens«.
»Famose Fahrt, Theo! Kasten hat nach Noten geschaukelt.«
»Hat dein Schwager aber eine Stimme!« meinte Hans lachend.
Sie gaben den dreien ein Zeichen, sich zur Schiffstreppe hinzudrängen. Es war schwierig, da eine ganze Queue von Passagieren vor ihnen stand. Aber die Stimmmittel des Grafen schufen ihm und seinen Damen bald Platz. Fünf Minuten später befanden sich alle drei mit ihren Handtaschen, Plaids und Schirmen im Boot.
»Gott, wie das schaukelt! … Tag, Theo, wie geht's? … Himmel, ist die Schaukelei noch nicht zu Ende?« hauchte Mathilde, als sie glücklich saß.
»Ja,« versetzte Theo, »das Wasser hat keine Balken. Geht es dir sonst gut, Matty? Und dir, Waldemar? Gnädige Gräfin scheinen ohne Seekrankheit herübergekommen zu sein.«
»Versteht sich, Herr Göhring,« sagte die Chanoinesse und reichte dem jungen Manne die Hand.
»Tante wollte sich das Nest absolut 'mal ansehn,« berichtigte der Graf; »sie war vier Wochen auf Bernsloh bei Brewer, dann kam sie bei uns angeflitzt und nun begleitet sie uns. Courage hat sie für drei Wachtmeister.«
»Waldemar, das ist eine impertinente Bemerkung.«
Der Graf schlug ein homerisches Gelächter an.
Seine Gattin bat: »Aber um Himmels willen, Waldemar, ich habe so wie so schon Kopfschmerzen! Theo, wie lange dauert es, bis diese Schaukelei aushört?«
»Ein Viertelstündchen, Matty. Bist du noch seekrank?«
»Wenn ich das gewußt hätte, wär' ich nie aufs Wasser gegangen, Theo. Es ist entsetzlich. Zu Hause muß ich mich gleich ins Bett legen, Theo.«
»Schade, Matty. Papa läßt euch gerade bestellen, ihr könntet heute Abend mit zu der Soiree gehen, die der Gouverneur gibt. Aber wenn du so krank bist …«
»O nein, Theo, ich hoffe, daß ich mich in ein paar Stunden erholen kann.«
Die Chanoinesse meinte: »Diese Aussicht scheint Ihnen besser zu helfen als meine Riechsalze. Aber, mon eher jeune Göhring, diese Helgoländer Boote sind ganz extraordinär unbequem.«
»Comfort dürfen Sie auch auf der Insel nicht erwarten, gnädige Gräfin. Vielleicht … wollen Sie sich ein Plaid auf die Bank legen?«
»Das ist es nicht – die Bänke sind so niedrig.«
Der Neffe lachte wieder, als ob das ein brillanter Witz gewesen wäre. Dann fragte die Stiftsdame: »Wie befinden sich Ihre Eltern, Herr Göhring?«
»Danke, gut. Sie kamen nicht an Bord, weil sie jetzt gerade der Einweihungsfeier des Kirchthurms beiwohnen. Es geht ihnen recht gut. Mein Bruder Carlos nebst Frau und Söhnchen sind seit gestern auch hier.«
»Was?« rief Mathilde, »Carlos? Davon wußte ich ja gar nichts. Ich dachte, sie wären noch unterwegs. Wann sind sie denn in Hamburg angekommen?«
»Vorgestern.«
»Und gleich weiter gereist?«
»Gewiß, Matty.«
»Wie strapaziös!«
»Carlos wollte die Eltern sehen.«
»Nun, ein paar Tage früher oder später. – Ist die Frau nett?«
»Ja, sehr einfach und herzlich.«
»Eine Spanierin, nicht wahr?« erkundigte sich die Chanoinesse.
»Jawohl, gnädige Gräfin. Sie spricht aber schon ganz fließend deutsch.«
»Das ist recht, Herr Göhring, daß Ihr Bruder darauf hält. Man soll sein Vaterland nicht unter den Scheffel stellen.«
Abermals das laute Lachen des Grafen und eine Bitte Mathildens.
»Und Kinder haben sie auch?« forschte die Chanoinesse weiter.
»Einen niedlichen Jungen von sieben oder acht Jahren.«
Dieses Mal lachte der Graf nicht, als seine Tante darauf eine Bemerkung machte. Stormarns hatten keine Kinder. Wenn man von Kindern sprach, wurde Mathilde gewöhnlich traurig und ihr Gatte reizbar. Daher sagte der letztere auch jetzt: »Allmählich sehne ich mich auch nach dem Lande. Dieses Manöver macht einen auf die Dauer eklig nervös. Aha, da ist ja die Brücke … Existirt die Lästerallee noch?«
»Freilich,« versetzte Theo, »doch heute werden die meisten Badegäste bei der Kirche auf dem Oberlande sein.«
»Wo wohnen wir denn eigentlich, Herr Göhring?«
»Bei uns auf dem Oberlande, gnädige Gräfin.«
»Auf dem Oberlande? Ist es weit?«
»Etwa 20 Minuten zu gehen.«
»Haben Sie für einen Wagen gesorgt, mon ami?«
Natürlich platzte Waldemar wieder heraus, als er seine Tante belehrt hatte: »Es gibt keine Wagen auf Helgoland.«
»Herr Göhring, Sie haben eine Kalesche,« behauptete die Chanoinesse.
»Bedaure, es gibt auf ganz Helgoland kein Fuhrwerk.«
»Womit fährt man denn?«
»Gar nicht fährt man. Man benutzt höchstens den Lift zum Oberlande.«
» Jamais entendu telle chose,« sagte die Chanoinesse, und der Graf lachte sich weidlich aus.
Da rief Hans vom Steven aus Theodor zu: »'n bißchen mehr Backbord halten, ja? Sonst treibt uns die Strömung zu weit ab.«
»Schön, Hans,« erwiderte Theo und steuerte nach gegebener Weisung. Die Neuangekommenen hatten die emsig rudernden Schiffer bis jetzt noch keines Blickes gewürdigt. Nun aber besichtigte die alte Gräfin die »Leute« durch die Lorgnette und äußerte sich dann zu Theodor: »Was für einen genteelen Jungen Sie da haben, Herr Göhring. Ist das wirklich ein Schiffer? Er sieht neben den andern ja fast aus wie ein Mensch von der Stadt.«
»Es ist aber ein Helgoländer, gnädige Gräfin. Ein guter Freund von mir, er hat mir als Knaben einmal das Leben gerettet.«
»O ist das der?« rief Mathilde, und nun starrten beide Damen auf Hans, als ob sie einen schönen Hund bewunderten.
Hans wurde purpurroth, und sein Freund fühlte den Aerger in sich aufsteigen. Wie erstaunte Theodor aber, als sein Schwager, welcher sich auch nach dem »genteelen Jungen« gnädig umgeschaut hatte, mit aschfahlem Antlitz und zitternder Stimme fragte: »Theo, wie heißt der Mensch?«
»Hans Payens.«
»Heißt er nicht … ich meine … was ist sein Familienname?«
»Payens.«
»Bist du gewiß?«
»Ich kenne ihn seit Jahren, Waldemar; was ist dir denn?«
Der Graf flüsterte ihm zu: »Ich erzähle dir etwas, wenn wir allein sind. Ich glaubte … doch, Schwamm drüber! Wenn der Junge wirklich Payens heißt, hat es nichts auf sich. Eine Aehnlichkeit hat mich getäuscht.«
»Eine Aehnlichkeit? Mit wem?« forschte Theo.
»Ich erzähle dir's später. Ach was. Schwamm drüber! Muth muß der Mensch haben. Schwerenoth noch einmal, ich habe wieder App'tit! Du auch, Mathilde?«
»Du weißt ja, wie elend ich bin. Ach Gott, diese Schaukelei!«
Theodor sah nach Hans hinüber. Der junge Schiffer hatte wohl gemerkt, daß man von ihm sprach. Sein Gesicht war finster und trotzig, doch hellte es sich sofort wieder auf, als Theo ihm freundlich zunickte.
Auf der Landungsbrücke mußte sich die Chanoinesse überzeugen, daß es auf Helgoland thatsächlich keine Droschke gab. Nach dieser Erkenntniß erklärte sie die Zustände für »vorsündfluthlich«. Hans und einige andere Jungen halfen das Gepäck nachtragen. Der Graf nahm den Arm seiner Tante, dann folgte Theo mit seiner Schwester, und so ging's zum Lift, einer Einrichtung, die von der Chanoinesse das Prädicat »passable« erhielt.
Vor der Villa söhnte sich die alte Dame noch mehr mit dem Orte aus, denn die Aussicht von der Falm war »remarquable«. Sie wollte Hans gnädig einen Thaler in die Hand drücken, aber der junge Mann dankte: »Lassen Sie man, Madame. Es is schon gut.«
»Nehmen Sie doch und kaufen Sie sich ein paar Glas Bier.«
»Is schon gut, Madame. Von Ihrer Familie nehme ich nichts.«
»Von meiner Familie?« fragte die Gräfin erstaunt und lorgnettirte ihn wieder.
Theodor erklärte die Sache: »Ich sagte Ihnen ja, daß er mein Freund ist. Er meint die Familie Göhring.«
» C'est ça. A présent je comprends. Dieser junge Mensch ist exceptionell.«
Ihm gnädig zunickend, trat sie ins Haus, fuhr aber entsetzt zurück, als Babuna ihr im Flur entgegenkam. »Was ist das, Herr Göhring? Wohnen hier Mohren im Hause?«
»Frau Gräfin, das ist die Dienerin meiner Schwägerin Dolores.«
»Ihre Schwägerin hält sich Mohren? Mein Gott, welche Idee! Waldemar, die junge Frau hält sich eine Mohrin.«
»Hahaha!« brach natürlich der Graf wieder los, so daß die arme Babuna erschreckt zusammenfuhr.
Theo ging zuletzt hinein und rief Hans zu: »Nach dem Feste beim Gouverneur! Ich muß hin, Lady O'Brien hat mich selbst eingeladen. Aber nachher treffen wir uns.«
»Wo, Theo?«
»Oben an der Treppe bei der Laterne.«
»Recht. Und wann?«
»Ja, das weiß ich nicht; ich denke …«
»O bleib nur, solange du magst. Ich warte einfach von ½11 Uhr an, bis du kommst.«
»Aber es könnte Regen geben, Hans; der Himmel sieht ganz schwarz aus.«
»Schadet nichts, ich warte.«
Sie nahmen Abschied, und Theodor folgte den Verwandten in das Haus.
Die Chanoinesse war sehr befriedigt über die Aussicht, welche sie von ihren zwei Fenstern genießen konnte, beunruhigte sich aber über die dünnen Zimmerwände und Fußböden. Sie erklärte Anke Jaspers: »Ich werde des Nachts kein Auge zuthun, ich sehe es kommen. Man hört ja jeden Ton im Hause.«
»Einen Teppich könnte ich der Frau Gräfin allenfalls ins Zimmer legen …«
»Einen Teppich? Liebe Frau, wo denken Sie hin! Im Sommer Teppich? Dann würde ich niemals ein staubfreies Zimmer haben. Alle Mikroben nisten in solchen Teppichen.«
Anke, die nicht wußte, was Mikroben sind, versetzte: »Ich glaube nicht, daß Motten oder Flöhe in die Teppiche gekommen sind. Wir bewahren sie an einem luftigen Ort auf und klopfen sie allmonatlich aus.«
»Haben Sie denn derartiges Ungeziefer im Hause? Das ist ja in der That sehr vielversprechend. Ich sehe es kommen, liebe Frau, ich werde keine einzige Nacht Ruhe finden.«
»Göhrings haben nie geklagt,« lautete die schüchterne Entgegnung.
»Haben sie nicht? Nun, vielleicht ist die Directorin nicht nervös. Aber das sage ich Ihnen, liebe Frau, gleich von vornherein: ich bin zwar nicht nervös, aber eine abgesagte Feindin von Lärm und Ungeziefer. Verlassen Sie sich darauf, daß ich kein Blatt vor den Mund nehme, wenn es mir zu toll wird.«
Anke wußte nicht, was sie aus der alten Frau machen sollte. Die Gräfin sprach mit großer Bestimmtheit, doch in ruhigem Tone. Unschlüssig, ob sie gehen oder noch bleiben sollte, blieb sie stehen und zupfte an ihrer Schürze, die Augen zu Boden gesenkt und aus ein Zeichen der Dame wartend.
Da begann letztere wieder: »Sie haben etwas auf dem Herzen, Frau!«
»Ich?«
»Jawohl. Sie können es nicht herausbringen. Reden Sie ganz offen und verhehlen Sie mir nichts!«
»Was sollte ich Ihnen denn verhehlen, gnädige Frau?« rief die bestürzte Anke.
»Wohnen vielleicht Leute über mir, die nachts betrunken heimkommen?«
»O nein, gewiß nicht.«
»Spielt einer Klavier im Hause?«
»Auch das nicht.«
»Oder haben Sie Studenten im Quartier?«
»Nein, nein, gnädige Frau.«
»Aber so kommen Sie doch mit der Sprache heraus! Was haben Sie mir zu sagen?«
»Ich habe der gnädigen Frau nichts zu sagen.«
»Ich finde die Geschichte schon heraus. Wenn irgend jemand im Hause mir zu Klagen Anlaß gibt, werde ich ausziehen.«
»Frau Gräfin, es wohnt hier ja nur die Familie des Herrn Director …«
»Das sagen Sie mir jetzt? Das ist ja etwas ganz anderes. Mein Gott, warum machen Sie mich denn zuerst besorgt? Aber es ist gut. Sie können sich zurückziehen. Ich hoffe, Ihr Kaffee des Morgens ist weder zu stark gebrannt noch mit Cichorie vermischt!«
»Frau Gräfin mögen mir morgen nach dem Frühstück Ihr Urtheil abgeben. Directors waren bislang immer zufrieden.«
»Sehr gut. Wenn der Kaffee reüssirt, spricht das für Ihre Menage, liebe Frau.«
»Wenn der Kaffee … wenn der Kaffee … Frau Gräfin meinen, wenn er schäumt, bevor er in die Maschine läuft? Ich verstehe nicht ganz.«
»Sie sprechen von einer Maschine? Haben Sie eine Wiener?«
»Freilich, gnädige Frau.«
»Dacht' ich's doch! Das ist nichts. Bei dem alten Trichtersystem sollten Sie bleiben. Wiener Maschinen entziehen dem Kaffee alles Aroma. Mais nous verrons. Ich danke, liebe Frau.«
»Guten Abend, Frau Gräfin.«
Ganz verblüfft über ihren seltsamen neuen Gast verschwand die brave Anke; besonders zerbrach sic sich den Kopf, was das »Aroma« im Kaffee sein könnte. Sie hatte noch nie welches zwischen den Bohnen entdeckt.
Theodor sah mittlerweile nach, ob im Zimmer seines Schwagers alles in Ordnung sei. Er wollte zwar schnell wieder fort, da er die Redensarten, welche Waldemar unter Herren zu führen gewohnt war, gründlich haßte; doch hielt der Graf ihn zurück.
»Famoses Nest, diese rothe Insel,« sagte der Gigant, als er vor dem Spiegel stand und mit der Verschönerung seiner röthlichblonden Frisur beschäftigt war; »hab' mich hier vor Jahren mal großartig vier Wochen amüsirt. Als junger Leutnant noch, versteht sich; ehe deine Schwester Gräfin Stormarn wurde. Bekam zu Hause sogar 'ne Nase vom Schwadronschef, dem einer gepetzt hatte. Uebrigens, wenn Mathilde wüßte, wie wir damals gewirtschaftet haben – Strambach, war das 'ne geniale Bummelei!«
»Kann ich mir denken,« erwiderte Theo spitz.
Ohne die Ironie seines jungen Schwagers herauszuhören, fuhr Waldemar fort: »Waren alle Mordskerle. Benno Ellerstorff, der ›Leuteschinder‹, wie er in der Schwadron hieß – euphemistisch nämlich – ich will mich nicht näher ausdrücken, er mußte vor drei Jahren nach Amerika; Fritz Honeck, der noch immer auf den Tod seines Onkels, des Fürsten Rasperg-Waldhofen, wartet und sein Vermögen, wenn er eines gehabt hätte, einige dutzendmal im Ecarté verloren – haben würde, sag‹ ich, Theo; denn der Kerl ist arm wie der göttliche Sauhirt beim alten Homer und hat dennoch immer Schwein. Weiß der Kuckuck, wie der Schwerenöther immer wieder zu Moneten kommt. Scheint, als ob sich irgend 'ne millionengespickte Favoritin in seinen schneidigen Schnurrbart vergafft hat und ihn durchpäppelt. Ja, und der unvergleichliche Gollwitz! Ehrlicher Strohsack von Neu-Ruppin, war der 'n Schwerenöther! Jeden Abend irgend einen neuen Schwiebus herauszufinden! Unerschöpflicher maître de plaisir, petit maître, grand maître – alles, was du willst, Theo. Kannte jeden Mädchenzopf …«
»Das ist ja außerordentlich anerkennenswerth.«
»Wurde auch anerkannt, lieber Freund. Aber, hahaha, sitzt jetzt mit drei nahrhaften Kindern bei Muttern in Potsdam. Heiratete objectiv.«
»Objectiv?«
»Ja, ohne viel Mondscheinlyrik und Herzkrämpfe. Frau von Gollwitz ist eine Tochter von dem reichen Kerl da in Berlin, der seine Millionen, ich weiß nicht, mit Leberthran oder Glanzwichse oder sonst so 'ner Pomade gemacht hat … na, wie heißt er doch? … Barband! Richtig.«
»Barband? Der geheime Commercienrath Barband ist mit Frau und einer unverheirateten Tochter hier auf Helgoland.«
»So, hat er noch eine am Markt? Wohl dem Glücklichen, der den Goldfisch fängt! Uebrigens – unter uns gesagt – es gibt reiche Schwiegerväter, die ihre Schwiegersöhne eine halbe Ewigkeit hindurch kalt stellen.«
»Wie meinst du das?«
»Nehmen wir mal deinen Alten, Theo! Ich sage dir, der hat einen Cherub mit flammendem Schwert vor seinem Geldschrank Posten stehen …«
»Hab' ich noch nicht gesehen, Waldemar.«
»Aber ich. Er rückt nichts mehr heraus.«
»Vielleicht hat er seine Gründe.«
»Aber ehrlicher Strohsack von Neu-Ruppin! Ich habe Schulden!«
»Muß mein Vater dafür aufkommen?«
»Wer denn sonst? Tante Chanoinesse hat kein Vermögen.«
»Du solltest eben keine Schulden machen.«
»So 'ne … so eine Platitude hat mir Mathilde auch schon mal gesagt.«
»Waldemar, du sprichst von meiner Schwester!«
»Allerdings, und von der Gräfin Stormarn, die einsehen sollte, daß ihr Gatte und sie nicht mit dem lumpigen Wechsel auskommen können, den Papa uns gestattet.«
»Soviel ich weiß, Waldemar, gibt Papa Mathilde jährlich 12 000 Mark Nadelgeld.«
»Bah, das geht in Toiletten mehr wie auf.«
»Und wieviel Zuschuß bekommst du selbst? Ich meine …«
»Jedenfalls nicht genug, um meine Schulden zu decken.«
»Papa hat doch vor zwei Jahren alles bezahlt.«
»Alles? Ja, was ich damals angegeben habe. Außerdem: meinst du, die Rennen kosten mir nichts? Beim letzten Norddeutschen Derby hab ich mich scheußlich in den Sumpf geritten.«
»Deine Schuld. Ich bedaure meine Schwester.«
Stormarn, der mittlerweile seine Frisur beendet hatte, kam auf seinen Schwager zu: »Lieber Theo, wenn du deine Schwester bemitleidest, solltest du ein Wort für uns bei Papa einlegen. Wir sind momentan colossal in Schwulibus.«
»Ich würde dir nichts nützen können, Waldemar. Papa läßt sich in Geschäftssachen von niemanden dareinreden.«
»Strambach, mit gemeinsamen Kräften sollten wir doch aus dem alten Pelz einige … na, etwas 'rausschütteln können.«
»Es wird Zeit, daß ich gehe, Waldemar …«
»Sei kein Laubfrosch, Theo!«
»Von Papa solltest du manierlicher sprechen.«
»Zieh' nur nicht gleich deine Piquéhosen an, Verehrter. Ich hab' den Alten colossal lieb. Aber wenn man immer so lange mit hungrigem Magen zu seiner Pfeife tanzen muß – na, kurz und gut, überleg' dir die Geschichte mal. Ich wollte dir übrigens noch die Geschichte erzählen, Theo – wie hieß doch der Schifferbengel mit dem Hermeskopf …?«
»Der Schiffer, der junge Mann, der uns mit zur Brücke ruderte, hieß Hans Payens.«
»Na ja! Potz Strambach und Kyritz, war ich doch einen Moment erschrocken!«
Theo, der bereits die Thürklinke in der Hand hatte, kehrte neugierig zur Mitte des Zimmers zurück und fragte: »Warum erschrocken?«
»Schau … du darfst natürlich Mathilde den Ulk nicht wiedererzählen …«
»Hast du vor deiner Frau Geheimnisse?«
»Strambach! ein ganzes Schock.«
»Das muß wohl nöthig sein!«
Waldemar fing wieder sein homerisches Gelächter an und schlug dann Theodor ein paarmal wuchtig auf die Schulter, indem er sagte: »Colossal nöthig. Sei versichert. Aber die Geschichte war so: Wie wir fünf oder sechs Olympier damals auf Helgoland waren, verschoß Waldemar Stormarn – der Cyklop hieß ich bei den Kameraden –, verschoß sich der Cyklop in eine Meernixe, und zwar wurde die Geschichte so brenzelig, d. h. ich war so verliebt, daß ich die Fee heiraten wollte. Denke dir, so verschossen, daß ich vierzehn Tage mit der Idee herumlief, ein Fischermädchen zur Gräfin zu machen. Natürlich waren die Kameraden so schlau, den verliebten Cyklopen so schnell wie möglich von der Insel fortzuexpediren.«
Theodor, der kaum seinen Zorn und seine Verachtung zurückhalten konnte, meinte: »Und das arme Mädchen hatte das Nachsehen.«
»Klar. Nach ein paar Monaten hörte ich, daß sie ausgeseufzt habe, nachdem sie stets an der Idee festgehalten, meine Gräfin zu werden. So nahm die Affaire einen glatten Verlauf.«
Theodor, den Zusammenhang schon lange ahnend, hätte den herzlosen Menschen ins Gesicht schlagen mögen. Um aber zu hören, was Hans mit der Sache zu thun hatte, fragte er kalt: »Und warum erschreckte dich vorhin der Anblick des Ruderers?«
»Der Kerl sah meiner Nixe verflucht ähnlich, wie ein Ei dem andern.«
»Merkwürdig.«
»Aber der Name, den ich natürlich in petto behalte, stimmt nicht. Und der Junge hat auch wohl keine Schwestern?«
»Doch, eine von circa 30 Jahren.«
»Meine Nixe wäre höchstens 23 oder 24.«
»Soll ich dir mal sagen, Schwager, was ich von der ganzen Affaire denke?«
»Romantisches Jugenderlebniß, he? Na, bin jetzt gesetzter Ehemann.«
»Ich habe einen andern Namen dafür. Indessen, mit Rücksicht auf meine bedauernswerthe Schwester, will ich deiner Handlungsweise nicht das ihr zukommende Prädicat beilegen. Empfehle mich, Waldemar.«
Mit einem für den Grafen nicht mißverständlichen Blicke machte Theodor eine Art von ironischer Reverenz und verließ das Zimmer.
Einen Augenblick schaute der Cyklop starr auf die Thür, die hinter Theodor donnernd ins Schloß gefallen. Dann schlug er sich mit der flachen Hand gegen die Stirn und rief: »Strambach, habe ich 'ne Eselei begangen, dem grünen Jungen von dem Intermezzo zu erzählen! Stormarn … Schwerenoth, bist du ein Esel!«
Bei den letzten Worten hatte sich die Thüre wieder geöffnet, und der Director, mit kaum merklichem Lächeln um den glattrasirten Mund, erschien. »Halloh, Waldemar, da treffe ich Sie bei einem Monologe.«
»Allerdings, verehrter Papa, das heißt, nicht so sehr Monolog als …«
»Als Apostrophe. Verstehe. Sind Sie gut herübergekommen? Mathilde habe ich eben schon begrüßt …; haben Sie die Schwiegermama schon umarmt? Meine Frau verlangt nach ihrem Grafen; kommen Sie in den ersten Stock. Wir haben eben eine schöne Feier mitangesehen. Sie gehen doch mit zum Gouverneur? Hat Theo Ihnen davon gesagt?«
»Ich komme gern, lieber Papa, wenn Sie mich einführen. Wann ist die Geschichte?«
»Wir gehen gegen ½9 hin. Sie werden an Bord gut dinirt haben!«
»Passabel, oder wie Tante Chanoinesse sich ausdrückte: etwas stark ›à l'escarpolette‹, hahahohoho!«
»Sie sind guter Laune, Graf; freut mich. Wir haben hier eine sehr fidele Clique. Den Seebär und den Dr. Lexikon und – na, Sie werden sehen! Jetzt kommen Sie zur Mama. Sie finden dort Ihre schöne Schwägerin Dolores und deren Jungen. Sehen Sie: bei den Göhrings bin ich Großvater – bei den Stormarns will kein Stammhalter erscheinen!«